TERRA BARBARICA

»Wir sind vielleicht Zeugen des Endes der Politik.«
Michel Foucault

»Die Verkrüppelten beherrschen die Welt.«
Thomas Bernhard

»Staat heißt das kälteste aller kalten Ungeheuer.«
Friedrich Nietzsche


Politclowns, Staatsnieten, Kabinettsluschen

Vom Niedergang der politischen Kultur

Von Michael Loeckle

 

Wie kaum ein Autor hat sich der Journalist Jürgen Leinemann mit der wirklichkeitsleeren Welt der Politik in Deutschland befaßt und wurde einer großen Leserschaft bekannt durch seine glänzenden Politiker-Psychogranime im "Spiegel", für den er seit 1971 arbeitet, zuletzt als "Spiegel"-Autor. (Jürgen Leinemann: Höhenrausch. Die wirklichkeitsleere Welt der Politiker, Blessing-Verlag, München 2004, 496 Seiten, 20 Euro).

Der gelernte Historiker und Philosoph kennt die classe politique aus Washington, Bonn und Berlin seit über vierzig Jahren, und er hat genau registriert, wie die Polit-Profis von Generation zu Generation farbloser und austauschbarer geworden sind. Egozentrismus, Realitätsverlust und Suchttendenzen sind die häufigsten Symptome, die der Autor bei den Politaholics beobachtet hat; der Wille zur Macht als Droge. Paradigmatisch findet sich dieses Symptom etwa beim Macht-Haber Kohl, einem kitschigen Nostalgiker, der in Bierzelten, Stadthallen und Festsälen stets eine "religiöse" Weihestimmung inszenierte, um sein pfälzisches Froschperspektiven-Panorama zu exponieren. "Je länger er amtierte, desto unverhohlener führte er sich auf, als sei er der Eigentümer des Staates und seiner Privilegien. Er kaufte Einfluß, vergab demokratische Ämter wie Pfründen, strafte und belohnte nach Gutsherrenart. Geld war für ihn mehr ein Herrschafts- als ein Zahlungsmittel. Illegale Spendenkonten und 'schwarze Kassen‘ hielt er für notwendige Waffenlager im Kampf gegen politische Gegner, die er als Feinde verteufelte. Wie die Welt zu sehen sei, bestimmte er. Er inszenierte sie als Kampfstätte: 'wir‘ gegen 'die'. So entstand das inzwischen legendäre System Kohl - ein System von Abhängigkeiten, in dem Machtbesitzstände in jeder Form zu Drogen wurden."

Der pathologische Narzißmus des Oggersheimer Großdumpfmeisters mit seinen grandiosen Allmachtsphantasien, seinem an Primaten erinnernden Dominanz- und Imponiergebaren, seiner Egozentrik, Skrupellosigkeit und Machtbesessenheit korrespondiert schönstens mit der narzißtischen Gruppenregression innerhalb seiner Partei, in der sich der absolutistische Dinosaurier, der seine Gegner gerne als “Straßenköter” bezeichnet, jahrzehntelang mit servilen Bubigesichtern wie Bohl und Hinze umgeben hat, um als pfälzischer Sonnenkönig und Inkarnation des deutschen Spießer- und Philistertums zu exzellieren. Dabei war dieser geistig-moralische Polit-Invalide lediglich ein "Großmeister der Intrige, der Lüge, des Betrugs, der Leoparden-Geschäfte und Leuna-Deals, der Geldwäsche und zynischen Manipulationen", wie Hans-Jürgen Wirth in seiner Studie "Narzißmus und Macht" erklärt hat.

Hypnotisierung der Massen

Anders als Kohl, dessen Insignien neben der bewährten moral insanity hauptsächlich aus Knödeln, Würsten und Saumagen bestanden, umgibt sich der abgewatschte "Weltstaatsmann" und Volksankumpler Schröder lieber mit Trabanten- und Kanidenidyllen, durch die er sich im Doppel mit seiner knöpfäugelnd-bulimitischen Donja und deren "Adventskalender für Hunde" dem Urnenpöbel populistisch anbiedert. Die glorifizierend-einschüchternde Hypnotisierung der Massen durch Schröders biedere captatio benevolentiae aus Phrase und Fiktion, wie sie kennzeichnend ist für Merchandising und Akquisition, nobilitiert den "herrenmenschelnden Wichtelmann" (Klaus Bittermann) zum Prototyp des "eindimensionalen Menschen", wie ihn Herbert Marcuse analysiert hat. Das behavioristische Universum des saxonischen "Bildzeitungsmaskottchens" mit seiner schauderhaften Polit-Folklore unter dem Diktat des Unsinns und Zufalls wirkt auf die Wähler à la longue ebenso platt und banausisch, wie das fossile Panoptikum seiner sozialdemokratischen Abnicker und Gewohnheitsclaqueure.

Auch ein Karnevalsverein wie die FDP, die über Jahre damit beschäftigt war, ihren verstorbenen Rechtspopulisten Möllemann zu domestizieren - ein Floskelprofi, den manche Parteigenossen für einen Quartalsirren hielten -, scheint mit den anstehenden Aufgaben völlig überfordert zu sein. Möllemanns Natschalnik Westerwelle, ein virtueller Zauberlehrling der Telekratie, der optisch jenen blaublonden NS-Kreaturen seines Lieblingsmalers Norbert Bisky ähnelt und mitunter aussieht, als käme er gerade vom Proktologen, steht seinerseits für "eine ständige Aura von Kindergeburtstag", wie Leinemann im "Spiegel" schrieb; ihm gelinge es nicht, seine diskrepanten Ausdrucksformen zu einem auch nur halbwegs authentischen Persönlichkeitsbild zusammenzufügen. "Und das ist gefährlich für einen Politiker, der auf Glaubwürdigkeit angewiesen ist. Denn die Selbstdarstellung als bloßes Schauspiel weckt auf Dauer nicht nur romantische Neugier auf ein mögliches privates Trauerspiel hinter den öffentlichen Ritualen. Sie schürt auch den Verdacht, daß die Leerstelle nichts anderes aussagt als Entscheidungsschwäche und Angst vor Verantwortung." Wie bei den meisten Politikern werden bei Westerwelle Persönlichkeit und moralische Integrität durch die klassischen Symptome des pathologischen Narzißmus ersetzt, durch ungezügelte Selbstbezogenheit, Sieger-Mentalität, Karriere-Besessenheit und Größenphantasien, die auf pompös inszenierten Parteitagen stets im bewährten Aluata-Sound vorgetragen werden. Wie viele Politiker ähnelt der FDP-Primarius mit seinen Spießer-Topoi und seinem semantisch restringierten Newspeak, durch den die Realität manipuliert und die Macht legitimiert werden sollen, jenem homo inflatus, den der irische Satiriker Swift in seinem Panegyrikus des neuzeitlichen Wahnsinns, in "A Tale of a Tub" karikiert hat.

Wie die FDP verfügt auch die CSU in Gestalt des "Deutschland-Sanierers" Stoiber über einen Shootingstar der Extraklasse, der im TV-Interview mit Sabine Christiansen 2002 sogar den kognitiven Esprit des Chef-Lalologen Kohl übertroffen und damit Platons Ideal eines Philosophen-Herrschers nahezu erreicht hat. Wenig später trat der krachblonde Sprachakrobat und Literaturanthropologe (Vorbild: Fritz Walter) mit einer Buchpublikation "Das Maß der Dinge" hervor, in der das gewohnte Humangesülze und Sonntagsgeseire des "bonus orator" erkennen läßt, "daß auch ein fescher Rassentheoretiker mit Garnsbart und Vollmeise 'nen mittelschweren Weizsäcker ariner Waffel haben kann", wie Wolfgang Nitschke protokollierte. Nachfolgend eine Kostprobe aus dem an Notker dem Stammler erprobten opus magnum des Meisters, das dank seiner an Quintilians "Institutio oratoria" geschulten Rhetorik aus inventio, dispositio, elocutio, pronuntiatio und memoria überzeugend das intellektuelle Format des bajuwarischen Dittologen dokumentiert: "Das Vertrauen der Menschen in den Politiker ist der Humus, in dem die Blumen, die Pflanzen, die Bäume, das gesamte Biotop wachsen und gedeihen." Mit diesem unrasierten Altphilologengebräse aus den CSU-think-tanks sind womöglich auch jene blühenden Landschaften gemeint, über die schon der CDU-Kryptiker Kohl halluziniert hat. "Es wird Zeit, nicht nur die Kompetenz von Parteimenschen in Frage zu stellen, sondern auch deren Geisteszustand", schrieb ein Leser am 15. Dezember 2003 an den "Spiegel".

Demokratischer Gulag

Was kümmert es solche Dilettanten und Eskapisten, daß die krisenkapitalistische neoliberale Apartheidgesellschaft vor ihrem Bankrott steht? Außer der repressiven Arbeitssimulation durch Formen der Zwangs- und Billigarbeit und dem Abbau aller Leistungen hat dieser Staat seinen Bürgern nichts mehr zu bieten. In ihrem "Manifest gegen Arbeit" erklärte die "Gruppe Krisis" 1999 im Blick auf die globale Lage: "Die Staatsapparate verwildern zu einer korrupten Kleptokratie, das Militär zu Mafia-Kriegsbanden, die Polizei zu Wegelagerern." Das herrschende gesellschaftliche Bewußtsein lüge sich systematisch über den wahren Zustand der Arbeitsgesellschaft hinweg. "Die Zusammenbruchsregionen werden ideologisch exkommuniziert, die Arbeitsmarktstatistiken hemmungslos gefälscht, die Formen der Verelendung medial wegsimuliert. Simulation ist überhaupt das zentrale Merkmal des Krisenkapitalismus. An der fortgeschrittenen Dehumanisierung des Kapitals werden zu Beginn des 21. Jahrhunderts die ungeheuren Ausmaße des demokratischen Gulags sichtbar. Hierzu Robert Kurz: "Dieser Gulag gliedert sich in drei Abteilungen. Die erste Abteilung besteht aus den Anstalten der Menschenverwahrung und Einschließung, in denen immer mehr überflüssige, delinquente oder sonstwie unverwertbare Menschen verschwinden." Die zweite, mittlere und größte Abteilung besteht nach Ansicht Kurz' aus den Massen der Arbeitslosen und Herausgefallenen, die von der demokratischen Armuts- und Krisenverwaltung bürokratisch auf Trab gehalten, drangsaliert, gedemütigt und zunehmend auf Hungerration gesetzt werden. "Die dritte Abteilung in Triptychon des demokratischen Gulags bilden die teilweise sogar aus der Statistik herausgefallenen Obdachlosen, Straßenkinder, Immigranten, Asylbewerber und sonstige Illegalen, die ganz am Rande der Gesellschaft vegetieren und nicht einmal durchgehend verwaltet werden, sondern nur noch sporadisches Objekt von Polizei- und gelegentlich sogar Militäreinsätzen (oder in manchen Ländern von privaten Todesschwadronen) sind."

Zur zweiten Gulag-Sektion der von der Armuts- und Krisenverwaltung Degradierten zählen auch die von Hartz IV betroffenen Millionen deutscher Arbeitsloser, die mit KZ-Methoden wie Zählappell und Stundenlöhnen von einem Euro auf Vordermann gebracht werden. "Über die Pflicht zur Zwangsarbeit soll versucht werden, bestehende tarifliche und gesetzliche Mindeststandards auf breiter Basis auszuhöhlen, den Kommunen die Möglichkeit einzuräumen, reguläre Arbeitsplätze abzubauen, um diese Tätigkeiten dann von Zwangsarbeitern ausführen zu lassen und damit die kommunalen Haushalte zu entlasten", resümiert Jürgen Roth in seiner Recherche "Absturz".

Die Zwangsarbeit war im Dritten Reich ein probates Mittel der politökonomischen Herrschaftssicherung, erfaßt wurden damals alle Personen, "die sich dem Arbeitsleben der Nation" nicht anpaßten. Ende 1944 waren über sieben Millionen Zwangsarbeiter unter sklavereiähnlichen Bedingungen im Reichseinsatz; anno 2005 werden bereits wieder Hunderttausende von osteuropäischen Lohnsklaven unter skandalösen Arbeits- und Wohnverhältnissen für zwei oder drei Euro pro Stunde beschäftigt. Wer bei den Nazis nicht spurte, wurde von der Gestapo ins Arbeitserziehungslager oder, als "Asozialer" mit der Begründung "angeborener Schwachsinn", ins Konzentrationslager eingewiesen. Unter die Kategorie Asoziale fielen hauptsächlich Bettler, Landstreicher, Prostituierte, Zuhälter, Alkoholiker und arbeitsunwillige Fürsorgeempfänger. Schon Mitte der 1930er Jahre gab es in Deutschland den Reichsarbeitsdienst (RAD), worunter die Nazis einen "Ehrendienst am deutschen Volk" verstanden. Ausgeführt wurden wirtschaftliche Aufgaben wie Landeskulturarbeiten, Forst- und Wegebauten sowie Hilfsarbeiten beim Bau der Reichsautobahn. Angesichts der rasanten Assimilation der Bundesrepublik an die gloriose NS-Epoche darf man gespannt sein, ob die Chaos-Regierung Schröder demnächst wieder den Eintopfsonntag und das Winterhilfswerk (WHW) einführen wird. Damit wollten die Nazis seinerzeit die Folgen der Arbeitslosigkeit bekämpfen. Diese hat im Jahr 2005 bekanntlich die Sieben-Millionen-Grenze erreicht, während der Schuldenstand der Republik bei 1.5 Billionen Euro liegt. Im kommenden Jahrzehnt werden gemäß einer Prognose der "Boston Consulting Group" weitere zwei Millionen Arbeitsplätze das Land in Richtung Asien und Osteuropa verlassen. Der Sanierungsfall Deutschland mit seinem dilettierenden Politensemble und seiner rigiden Slow-motion-society ist nicht nur ein "Land der Lähmung" (“SZ”) und ein "Land am Abgrund" (“FAZ”), sondern, wie "Der Spiegel" schrieb, ein "Land der Lügen, unfähig zum Fortschritt, regiert von Stümpern."

Das Vierte Reich

Deutschland ist zudem ein Land, in dem die Renazifizierung in vollem Gange ist, wie die Wahlerfolge von DVU und NPD illustrieren, die sich vom Osten in den Westen und von der Landes- auf die Bundesebene verlagern werden. Erst jüngst erklärte Günter Wallraff, daß die Brandmorde von Solingen, Mölln, Hünxe, Rostock, Hoyerswerda und Guben jederzeit und überall in Deutschland wiederholbar seien. "Ob wieder Menschen verbrennen, erschlagen, zu Tode gehetzt werden oder noch mal so eben mit dem Leben davonkommen, ist reine Glücksache. In manchen Regionen herrscht Jagdstimmung...Die Dauerstigmatisierung der hier lebenden Arbeitsemigranten und Flüchtlinge zu einem angeblichen Problem muß endlich aufhören. Unsere Politiker müssen erkennen, daß es sich zu allererst um ein Problem der Deutschen selbst handelt."

Heleno Saña hat eine solche Prognose bereits 1990 in seinem Buch "Das Vierte Reich" gestellt. Deutschlands "später Sieg" werde gekennzeichnet sein durch wirtschaftlichen Expansionismus und durch eine halbautoritäre, kontrollierte und bespitzelte Pseudo-Demokratie. "Die Losungsworte werden Freiheit, Rechtsstaat und Selbstbestimmung sein... Das Vierte Reich wird ein neuer Versuch sein, die Erfahrungen der vorausgegangenen, gescheiterten Reiche aus dem Gedächtnis zu tilgen und die deutsche Geschichte mit neuem Glanz zu schmücken. Aufgrund dieses noch immer unerfüllten völkisch-geschichtlichen Legitimations- und Kompensationsbedürfnisses ist das kommende Reich prädestiniert, die angestauten Ressentiments früherer Epochen mitzuschleppen. Das wird seine revanchistische Komponente bilden." Deutschland wird sich als ein "Reich im Dienste der germanischen Vorherrschaft in Europa gestalten, dessen ideologischer Hintergrund eine Mischung aus instrumenteller Vernunft, utilitaristischer Macht- und Geldgier und rassistischer Pathologie sein wird."

Die expansionistische Geopolitik des neuen Imperium germanicum wird heute bereits sichtbar am Beispiel der ökonomischen Kolonisierung des Ostens (Tschechien, Georgien, Armenien, Ukraine u.a.) und dessen Regermanisierung über Brüssel (Europaverträge, Deutsch-Baltischer Verein u.a.). Die von den Nazis propagierte Volk-braucht-Raum-Ideologie gründet sowohl in der tradierten annexionistischen Raubrittermentalität als auch im schizoiden Verfolgungs- und Geltungswahn der Deutschen. Wer ein Blick auf die diplomatischen Interna des Auswärtigen Amtes und des Innenministeriums der BRD wirft, kann sich leicht davon überzeugen, wie Walter von Goldendach und Hans Minow in ihrer Recherche "Deutschtum erwache!" dokumentiert haben, daß

– zwischen den staatlichen Spitzen der BRD und maßgeblichen Kreisen des großdeutschen Nationalismus sowie des Rechtsradikalismus langjährige, organisierte Beziehungen bestehen;

– das Zusammenspiel sowohl der inneren Formierung des deutschen Staates als auch seiner Expansion dient. Insbesondere geht es um die Unterwerfung Osteuropas; dabei setzen Auswärtiges Amt und Innenministerium die deutschstämmigen Minderheiten im Ausland ein, schaffen territoriale Exklaven und verfügen über jederzeit handhabbare Instrumente nationalistischer Spannungspolitik.

Zu den maßgeblichen Organisatoren jenes pangermanischen Expansionismus, in dem die Auschwitzlüge und der arisch-völkische Erwähltheitsmythos ebenso tradiert werden wie die GPO-Programmatik der Nazis, zählt der “Verein für das Deutschtum im Ausland” (VDA) sowie die "Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen” (FUEV) und das “Europäische Zentrum für Minderheitenfragen” (EZM), durch die die ethnische Parzellierung Europas gemäß den ökonomischen und hegemonialen Zielen und Interessen Deutschlands prozediert wird. "Nach außen gilt es etwas zu vollbringen", so der frühere Außenminister Kinkel, "woran wir zweimal zuvor gescheitert sind: ... zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen und unserem Potential entspricht". Wenig später drohte Bundespräsident Roman Herzog: "Die Globalisierung der deutschen Außenpolitik wird unvermeidlich sein. Wir müssen bereit sein, militärische Macht einzusetzen." Postuliert werden solche imperialistischen Schimären, zu denen auch die von Kohl geforderte Revision der Oder-Neiße-Grenze zählt, von reaktionären deutschen Historikern und Politikwissenschaftlern wie Hans-Peter Schwarz, Arnulf Baring und Gregor Schöllgen, die seit Jahren in ihren Büchern für eine Renaissance der deutschen Geopolitik plädieren: das wiedervereinigte Deutschland müsse sich endlich als Zentralmacht Europas begreifen. Baring, der eine "neue Ostkolonisation" auf die deutsche Innen- und Außenpolitik zukommen sieht, versteigt sich in seinem geopolitischen Kalkül zu der Behauptung: "Wenn man die Polen ließe, würden sie sich vermutlich mit großen Mehrheiten der Bundesrepublik anschließen."

Exponenten dieser geopolitischen Hegemonial-Ideologie gibt es zuhauf in der BRD, allen voran die "hegelianisch verschwurbelten rechtsradikalen Kraut- und Rübenvordenker für Blut-, Boden- und Schollenanbeter" (Klaus Bittermann), etwa der Chef-Radoteur des neuen Deutschland Oberlercher, der im Internet auf seiner "Heimatseite" Schulungstexte für das Vierte Reich offeriert, in denen die zur "Opfergemeinschaft" zurechtfabulierten "rechsheidnisch-wotanischen" Volksgenossen unter www.deutsches-kolleg.org/oberlercher/texte-zur-zeit/2000-2009/aufstand.html zur allgemeinen Resurrektion aufgerufen werden.

Politik als Wurstelprater

Daß Politiker des eingangs skizzierten Niveaus in der BRD derartig populär werden können, ist erstaunlich genug. Typen wie Kohl ("Was wollt ihr denn, ihr Pöbel?") und Fischer ("beliebter als Hitler") sind vermutlich deshalb so beliebt, weil sie exakt jene Attribute verkörpern, die für die Krauts kennzeichnend sind: unbedingter Wille zur Macht, grenzenloser Opportunismus, permanente Gewaltbereitschaft, pastorales Gutmenschentum, Raffgier und Pharisäismus ohne Ende. "Ich bin durch und durch Katholik", schwadronierte "Joschka" Fischer, ein ungelernter Metzgerssohn aus der schwäbischen Tundra, "meine Einstiegsdroge war der Weihrauch". Der sektöse Parvenü und konvertierte Mollywerfer versteht es aber nicht nur, mit narzißtischen Borderliner-Inszenierungen zu bluffen, er ist auch ein geborener Schläger, der laut eigener Aussage "die Lust am Schlagen" als "sadistisches Vergnügen" genießt. Das war schon so, als der "Außendackel und Vizedödel" (Peter Köhler) mit seiner "SA-Putztruppe" in der Hessenmetropole unterwegs war. Schon damals waren die ideellen Positionen der Grünen bloß Staffage für seine Machtambitionen. "Wer von uns interessiert sich denn für die Wassernotstände im Vogelsberg..., weil er sich persönlich betroffen fühlt?" fabulierte der Umwelt-Schnuffi in seinem Schmöker "Von grüner Kraft und Herrlichkeit". Tatsächlich ist der stets mit wichtigtuerischen Sorgenfaltendackelblicken lamentierende Grünen-Blöker, den die "SZ" im Herbst 2003 als ein Exponat für das Bonner Gartenzwergmuseum vorgestellt hat, der Idealfall einer classe politique, deren Darstellungsorientiertheit stets in bloßem Opportunismus endet. Klaus Bittermann nannte Fischer einen mittelbaren Deszendenten Hitlers. Im Dream-Team mit Schröder, über den die "New Yorker"-Kolumnistin Jane Kramer meinte, "this man has no culture at all", repräsentiert Fischer exakt jenes Spießertum, das in Deutschland schon immer die Voraussetzung für politisches Avancement war. Wiglaf Droste brachte den Kohärenzfaktor zwischen Kanzler und Vize mit den Worten ins Bild: "Zur Seite steht Schröder ein Außenminister, der vom selben Schlag ist wie er, einer, der sich aus dem Kleinbürgermief hochgebrüllt und -geprügelt hat, und, nachdem er die Seiten gewechselt hat, den feinen Mann markiert." Es wird höchste Zeit, solche ochlokratischen "Volksaffen" (Aristophanes) in jene Spießerkloaken zu entlassen, die sie einst hervorgebracht haben und die sie dort ohne Unterlaß reproduzieren. Der Mief der Spießbürger ist von besonderer Penetranz", schrieb Arthur Rimbaud, "durchdringender als jeder Abort. Das kommt daher, daß diese Leute permanent in sich selbst hineinscheißen."

Polizeistaat

Aber auch pöbelnde Despoten des Establishments wie der spinöse Überwachungs-Anthroposoph Schily ("In meinem Ministerium kann jeder machen was ich will!"), ein inquisitorischer Staatstyrann mit Nerokomplex, der sich für die Reinkarnation Ciceros hält und, perfekter noch als die Gestapo, von den BRD-Habitanten demnächst satellitengestützte Bewegungsprofile erstellen möchte, zählen zur Laienspielschar der Schröder-Combo. Mit seinen Sicherheits-, Selektions- und "Schornsteinfegerverpflichtungs"-Phantasmagorien hat der arrogante und repressive "Mini-Goebbels" bereits Rechtsausleger wie Kanther und Haider rechts überholt. Ein Anthroposoph als Innenminister, der mit seiner petrifizierten Despotenvisage aussieht wie "Mister Spock" aus der TV-Serie "Raumschiff Enterprise" und der mit seinen nazierprobten Observationspraktiken (Biometrik, biopolitische Tätowierung, Lauschangriff, Körperschall-Abhörtechniken usw.) alle Bundesbürger unter Generalverdacht stellen möchte, ist für Deutschland zweifellos ein Glücksfall. "Ist die Bundesrepublik ein Polizeistaat?", titelte Jürgen Roth seine 1972 erschienene Recherche, die den täglichen deutschen Polizeiterror aus Bedrohung, Einschüchterung, Vorbeugehaft, Folter, Vergewaltigung und Mord dokumentiert. "Die Polizei, damals wie heute, garantiert die durchgehende Kontinuität der politischen Unterdrückung, von Bismarck über Hitler bis hin zu Strauß und Genscher." Legalisiert werden derlei Gestapo-Methoden im Vierten Reich durch den gezielten Todesschuß (§§ 41-44 ME), der auch auf Kinder unter 14 Jahren angewendet werden darf. Die Autoren Gössner und Herzog schreiben in ihrem 1982 erschienenen Buch "Der Apparat" über diese Polizeistaatsallüren: "Hinter den unzähligen Polizeiübergriffen, unverhältnismäßigen Polizeieinsätzen und grundrechtswidrigen Polizeistaatsmethoden steckt System: die Strukturen und Entwicklungstendenzen eines weithin menschenverachtenden Apparates, der unter dem Vorwand, der Sicherheit des Bürgers zu dienen, hoch aufgerüstet wurde und weiterhin wird - und damit die Sicherheit des Bürgers vor organisierten Eingriffen des Staates in seine Rechte systematisch untergräbt. Nach eingehender Untersuchung erweisen sich die vermeintlichen Einzelfälle nicht als individuelles Fehlverhalten, sondern als Mosaiksteine eines Gesamtbildes mit fast totalitären Zügen."

Daß Foltermethoden wie Dunkelhaft, Prügel, Schlafentzug, Isolation, Elektroschock und psychische Mißhandlung zum festen Repertoire der BRD-Exekutive zählen, kann in den Jahresberichten von amnesty international nachgelesen werden. Diese dokumentieren das Rechtsverständnis eines Volkes, dessen Repräsentanten nicht nur die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" signiert haben, sondern das "im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen" einem Grundgesetz verpflichtet ist, das explizit fordert: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." (Art. 1 GG) Der "Geist der Brüderlichkeit", zu dem uns die Menschenrechtserklärung aufruft, ist auf deutschen Polizeibehörden indessen der Geist der Repression, der sich nur wenig vom faschistischen Ungeist der Nazis unterscheidet. Hier werden laut ai Asylbewerber aus Ruanda, Algerien, Sudan, Vietnam, Somalia u.a. brutal mißhandelt und gedemütigt (1998), Behinderte von Polizeibeamten vorsätzlich erschossen (1999), Abschiebehäftlinge mit martialischen Methoden ausgewiesen (2000), schwangere Frauen aus Togo terrorisiert (2001), Asylanten aus Kamerun medikamentös liquidiert (2002). Verantwortlich für diesen totalitären Terror ist der Anthroposoph und Law-and-Order-Sheriff Otto Schily.

Aber gleichgültig, ob es der Prügeldiplomat Fischer ist, der wegen seiner katastrophalen Visapolitik als Zuhälter und Menschenhändler bezeichnet wurde, ob es der Abschiebe-Kläffer Schily ist, der Volkstumsapologet Schäuble, der Reichstugendführer Schmidt, die Froschkönigin Merkel, der Floskelprofi Clement, der Pflegefall Scharping, der Maut-Murkser Stolpe, der Schmalspurschwadroneur Rau, der KZ-Konstrukteur Lübke, der Stotterspezi Stoiber ("König der Zulu-Metaphern"), der Kröterich Strauß, der Marine-Nazi Filbinger, der Humansülzer Kiesinger, der Dachdecker Honecker, der KPD-Denunziant Wehner, der Berufs-Hypokrit Barzel, der TV-Thymopath Blüm ("Sprachrohr der Vollrohrverblödung") oder wer auch immer in Bonn und Berlin: die parlamentarische Quasselbude der Deutschen beherbergt vorwiegend neurotisch verkrüppelte Rabulisten und Radoteure, entstellt von Habgier, Hochmut und Eitelkeit, vielfach korrupte Defraudanten und Partitenmacher, die den politischen Kontrahenten stets insultieren, um sich als Wichtigkasper zu profilieren. Volksvertreter wie der stolzdeutsche Sauerländer Merz ("Die Achtundsechziger habe ich immer für Spinner gehalten") oder der Krawattenmann des Jahres Westerwelle ("Alles was er hatte, war Krawatte") outen sich bevorzugt als aufgeblasene Liliputaner, deren lächerlich-belehrender Präsenzmodus ("Der Untertan als Oberlehrer") nur vom Pöbeljargon der Wehner-Deszendenten übertroffen wird, der entsprechend der "Würde des Hohen Hauses" von Arschloch und Drecksau über Putzlumpen und Stinktier bis Tölpel und Wühlratte reicht, wie man im "Parlamentarischen Schimpf- und Schmunzellexikon" nachlesen kann. Überhaupt transmutiert das BRD-Parlament mit seinen Politclowns, Staatsnieten und Kabinettsluschen sukzessive zum "Wurstelprater", wie ihn Thomas Bernhard in seinem Bühnenopus "Heldenleben" karikiert hat: das Gubernium als Kloake, "stinkend und tödlich", die Politiker mit ihrer Plebs-Konduite und ihren Mobster-Allüren als venale Parasiten und Destrukteure der Nation - ein elitär-hybrides Abzocker- und Lobbyistenkartell aus verantwortungslosen und frivolen Egozentrikern, die sich im politischen Schmierentheater ihre Idiosynkrasien um die Ohren schlagen und sich mitunter nicht entblöden, ihre libidinösen Präferenzen im Stil von Peep-Shows obszön zu exhibieren: Biedermanns Karriereoptimierung durch anales Coming-out: der politische Taugenichts als narzißtischer After-Freak. Demnächst sollen die Bundestagsabstimmungen "unserer Besten" gar per La-Ola-Welle prozediert werden, wie das Satiremagazin "Eulenspiegel" auguriert. Der französische Sozialist Proudhon muß es geahnt haben, als er über das Narrenparadies des Staates 1846 in seinen "Contradictions economiques" bemerkte: "L'état c'est la caste des improductivs." Im Dutzend lassen sich derweil die beamteten Fanfarons aus der politischen Knalldeppencomunity von Industriekonzernen fürs Dolcefarniente alimentieren. "O blinde Gier! O unverständig Wüten, das uns so mächtig spornt im kurzen Leben", klagte schon Dante in seiner "Divina Commedia".

Polis und Eudaimonia

Dem "parlamentarischen Blödsinn", von dem Nietzsche sprach, sind offenbar keine Grenzen gesetzt im hiesigen Invaliden-Gulag. Angesichts der hier skizzierten Polit-Tschandala sowie einer ochlokratisch strukturierten Heerschar von Votanten wird man dem Historiker Alexis de Tocqueville zustimmen, der in seiner Schrift "De la Démocratie en Amérique" erklärt hat: "Es ist wirklich schwer einzusehen, wie Menschen, die der Gewohnheit, sich selber zu regieren, vollständig entsagt haben, imstande sein könnten, diejenigen gut auszuwählen, die sie regieren sollen; und man wird niemanden glauben machen, eine freiheitliche und weise Regierung könne jemals aus den Stimmen eines Volkes von Knechten hervorgehen." Schon Nietzsche wußte: "Was sich heute Volk heißt, verdient keine Könige." Noch für Platon lag die eigentliche Aufgabe der Politik in der "Sorge um die Seele", als dessen Abbild der Staat gedacht wurde. Für Aristoteles kann sich der Mensch nur in der Polis verwirklichen, sie ist der Weg zum Glück, zur eudaimonia. Im Mittelalter oblag es dem Staat, dafür zu sorgen, daß der Mensch sich geistig-sittlich vervollkommnen konnte, wobei die Identifikation mit der polis vorausgesetzt wurde. Die heutige res publica kennt die Kategorie Bürger indessen nur mehr rudimentär, von jener platonisch-aristotelischen Tradition, die als ethische Praxis verstanden wurde, ist kaum mehr etwas sichtbar. Eine Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk, von Abraham Lincoln 1863 gefordert, ist heute ebenso illusorisch wie Rousseaus plebiszitär verstandene Staatsphilosophie einer volonté générale und volonté de tous. Rousseau wußte freilich, daß dort, wo die intérêts particulièrs dominieren, wie dies bei den Konkurrenzsubjekten spätkapitalistischer Marktwirtschafts-Demokratien üblich ist, der Staat zu einer sinnlosen Konfiguration verblaßt. "The worth of a State in the long run", erklärte Stuart Mill, "is the worth of the individuals composing it."

Es wird bis heute weithin unterschätzt, daß die moralischen Qualitäten der Menschen im höchsten Maße das Produkt der Regierungsform und der staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen sind, worauf William Godwin bereits 1793 in seiner "Inquiry concerning the principles of political justice and its influence on general virtue and happiness" hingewiesen hat. Die Folgen der Serenissimus-Despotien im Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts, die faschistische Strangulierung des Volkes durch den Braunauer Judenfresser, die Restauration der 50er und 60er Jahre unter Adenauer sowie die von Repression und Korruption geprägten Dekaden der 80er und 90er Jahre unter dem Oggersheimer Spießerkönig Kohl haben, um nur einige Beispiele zu nennen, das Volk der Deutschen ganz erheblich geprägt, verstümmelt, deformiert. Schon unter der zynischen Regentschaft Friedrich II., der sich Voltaire gegenüber brüstete: "Ich habe Europa mit der Seuche des Krieges angesteckt", wurde rund um die Uhr gezüchtigt, geknüppelt und exerziert. "Preußens Gloria" bestand aus einem repressiven Galeoten-Kaschott, über das der italienische Tragödiendichter Alfieri nach seiner Begegnung mit dem Tyrannen notierte: "Beim Betreten des Staates des großen Friedrich, der mir wie eine einzige große Wachstube erschien, fühlte ich, wie sich in mir der Abscheu vor dem ruchlosen Soldatenhandwerk verdoppelte und verdreifachte. Ich wurde dem König vorgestellt. Als ich ihn sah, empfand ich keine Regung von Bewunderung und Ehrfurcht, sondern Entrüstung und Wut. Der König sprach mit mir die üblichen paar Worte; ich beobachtete ihn scharf und dankte beim Himmel, daß ich nicht als sein Sklave geboren bin. Mitte November (1769) verließ ich die große Kaserne Preußen mit dem gebührenden Abscheu." Aber der als tugendhafter Literat drapierte homoerotisch-analsadistische Königs-Narziß und Sodomit, den Carlyle einen "allgemeinen Feind der Menschheit" nannte, amoralisch, bösartig, machiavellistisch, avancierte innerhalb der deutschen Historiographie zum Heros einer bis heute tradierten Politlegende, die bellizistisch von Leuthen über Königgrätz, Sedan, Versailles bis Stalingrad reicht und nichts weniger dokumentiert, als eine Kontinuität der Gewalt und Zerstörung mit allen Folgen für den deutschen Nationalcharakter.

Cäsarenwahnsinn

Im Deutschland Wilhelm II., "von Gottes Gnaden König von Preußen", galt jeder Sozialdemokrat als Reichs- und Vaterlandsfeind. Von seinen Untertanen verlangte der durchgeknallte Despot, ihre "eigenen Verwandten, Brüder, ja Eltern niederzuschießen", "wenn Ich euch befehle." In seinem antisemitischen Verfolgungswahn erklärte der "Imperator Rex" die Juden zu den "Parasiten meines Reichs". Vier Jahre vor Hitlers Machtergreifung machte "Seine Königliche Hoheit" einen bemerkenswerten Vorschlag für die "Befreiung von der jüdischen Pest": "Ich glaube, das Beste wäre Gas". Gegenüber Bülow meinte der Potentat: "Erst die Sozialisten abschießen, köpfen und unschädlich machen, wenn nötig per Blutbad und dann Krieg nach außen." Der Historiker Ludwig Quidde schrieb 1893 mit Blick auf den hybriden Generalissimus, der unter einem perinatalen Hirnschaden litt, der die charakterneurotische Psychopathie "Seiner Majestät" erklärt: "Der spezifische Casarenwahnsinn ist das Produkt von Zuständen, die nur gedeihen können bei der moralischen Degeneration monarchistisch gesinnter Völker oder doch der höher stehenden Klassen, aus denen sich die nähere Umgebung der Herrscher zusammensetzt... Kommt dann noch hinzu, daß nicht nur die höfische Umgebung, sondern auch die Masse des Volkes korrumpiert ist; daß der Herrscher ... keinen mannhaften, offenen Widerstand findet; ... ist gar dieser korrumpierte Geist, der das Vergehen der Majestätsbeleidigung erfunden hat und in der Versagung der Ehrfurcht eine strafbare Beleidigung des Herrschers erblickt, in die Gesetzgebung und in die Rechtssprechung eingezogen: so ist es ja wirklich zu verwundern, wenn ein so absoluter Monarch bei gesunden Sinnen bleibt."

Verrückte Hoheit

Schon im Deutschland der Renaissance gab es zahlreiche vom Cäsarenwahnsinn befallene Tyrannen, etwa den debil-senilen Markgrafen Christoph I. von Baden, der auf Veranlassung Kaiser Maximilians wegen Regierungsunfähigkeit demissionieren mußte, oder den geistesgestörten Herzog Philipp von Mecklenburg ("Ex stupido factus est fatuus"), oder den irrsinnigen Herzog Wilhelm den Jüngeren von Braunschweig-Lüneburg, der nächtens durch die Gassen der Stadt lief und mit Pistolen um sich schoß. Auch der an Idiotie erkrankte Herzog Johann Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg ("animi infirmitate"), der sich für den "Ducem Franciae et Galliae" hielt und wegen seiner Dämonomanie von den Hofpfaffen exorziert wurde, brachte im November 1592 diverse Pistolen in seine Gewalt und schoß auf jeden, den er zu Gesicht bekam. Kaiser Rudolf II., der von Tobsuchtsanfällen, Phobien und Halluzinationen heimgesucht wurde, galt wegen seiner "Hauptblödigkeit" als unkalkulierbares Risiko, nachdem er erkannt hatte: "Ich weiß gewiß, daß ich des Teufels bin." Sein illegitimer Sohn Don Julius de Austria war ebenfalls von allerlei Dämonen besessen, als er im Jahre 1607 mit einem Schwert auf seine Konkubine losging und das blutende Mädchen aus dem Fenster warf. Wenig später zwang der debile Kretin sein Opfer in einem pelzgefütterten Nachthemd auf sein Bett: "Er stürzte sich in rasender Wut auf sie", schreibt H.C.E. Midelfort in seiner Studie "Verrückte Hoheit", "stach unzählige Male auf sie ein, schnitt ihr die Ohren ab, stach ihr ein Auge aus, schlug ihr die Zähne ein und spaltete ihr den Schädel so tief, daß das Gehirn hervorquoll. Er warf Stücke ihres Fleisches im ganzen Raum umher und ließ erst nach drei Stunden von seinem Opfer ab... Als er sich von seinem Tobsuchtsanfall erholt hatte, befahl er, die Leiche in Leintücher zu wickeln und wegzutragen." Vier Tage lang lief der Irrsinnige blutverschmiert im Schloß herum, ein Augenzeuge berichtete, selbst die Hunde seien ihm aus dem Weg gegangen.

Anarchie und Diktatur

Aber zurück zur Demokratie, die in Deutschland zu einer Art "demokratischer Fürstenherrschaft" (Danilo Zolo) degeneriert, in der Begriffe wie Mitbestimmung, Gemeinwohl, Volkssouveränität, Konsens, Pluralismus, Parteienwettstreit, öffentliche Meinung u.a. nur mehr leere Worthülsen darstellen, die ihren ursprünglichen Sinn längst verloren haben. Die Gefahren, die solchen Scheindemokratien weltweit drohen - Rußland ist ein signifikantes Beispiel -, sind Anarchie und Diktatur, wovor Tocqueville im 19. Jahrhundert wiederholt gewarnt hat. Mehr denn je ist es daher angebracht, die BRD-Politiker an jener Eidesformel zu messen, durch die sie legitimiert sind, Politiker zu sein: "Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft zu erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe." (GG 56)

Dem Wohle des deutschen Volkes hat das Brimborium der politischen Kleptokraten bisher nur wenig genutzt, die Elektoren sind mittlerweile reichlich ermüdet vom Firlefanz aus Dosenpfand, Maut und Ladenschlußzeiten, sie haben keine Lust mehr, sich weiterhin dem parlamentarischen Kasperletheater aus Lüge, Pomp und Posse auszusetzen, wie es beispielsweise 2003 in Bundesrat während der Zuwanderungsdebatte aufgeführt wurde, wo sich die CDU durch eine "verabredete Empörung" im Stil der Muppet-Show profilieren wollte und bei dieser Gelegenheit das bewährte Hypokritenpotential dieser Politsekte offenbarte. Heribert Prantl schrieb unter dem Motto "Die Pubertät der Politik" am 25. November 2002 in der "Süddeutschen Zeitung": "Wir erleben einen Prozeß des Niedergangs politischer Kultur, der gefährlicher werden könnte, als die schwierige Wirtschaftslage." Offenbar hat sich unter den BRD-Citoyens noch nicht herumgesprochen, daß ohne eine generelle Partizipation an der demokratischen Politik durch eine engagierte und informierte Bürgerschaft "selbst die am besten verfaßten politischen Institutionen in die Hände derer fallen, die nach Macht streben und ihren Willen mit Hilfe des Staatsapparates entweder um der Macht und militärischer Ehren willen oder aus Klasseninteressen sowie ökonomischen Interessen durchsetzen wollen", wie John Rawls in seinem Buch "Die Idee des politischen Liberalismus" festgestellt hat.

Parteienoligarchie

"Wohin treibt die Bundesrepublik?" war die Frage des Philosophen Karl Jaspers in seinem gleichnamigen, 1966 erschienenen Buch. Jaspers hat im Zusammenhang mit der damaligen Verjährungsdebatte erklärt, daß die Bundesrepublik die innere Umkehr versäumt habe, die nach dem Ende des Dritten Reichs unverzichtbar gewesen wäre. Die BRD habe die sittlich-politische Aufgabe, einen neuen, demokratischen Staat auf die Idee der Freiheit zu gründen, bisher nicht erfüllt, sie sei weit davon entfernt, eine wirkliche Demokratie zu sein, sie sei zu einer üblen Parteienoligarchie entartet, die unter Mißachtung des Volkswillens und in zynischem Einverständnis untereinander ihre usurpierte Macht mit allen Mitteln verteidige. Diese Parteienoligarchie sei die Vorstufe zum autoritären Staat, der notwendig in eine neue Diktatur führe. Jaspers verglich den Zustand der damaligen Demokratie mit dem der Weimarer Republik vor der Machtergreifung Hitlers. Was der Philosoph bei den Politikern vermißte, war primär das gemeinsame sittlich-politische Fundament. Seinen aristokratischen, an höchsten Tugenden orientierten Ansprüchen konnte der Typus des Gewohnheitspolitikers weder damals noch heute genügen. Was Jaspers vor fast vierzig Jahren über den Kurs der BRD gesagt hat, ist in der jetzigen Bundesrepublik unvermindert gültig und aktuell. "In der Politik der Bundesrepublik handelt man von Fall zu Fall ohne Führung durch eine Idee... Man lebt im Reagieren, nicht durch eigenes Agieren. Man unterwirft sich den Zufällen, statt sie für gehaltvolle politische Zwecke zu nutzen. Das ist Geistlosigkeit und politisch ohne Charakter."

Was den von Jaspers reklamierten Freiheitsbegriff in der Politik betrifft, so hat der Soziologe Iring Fetscher in seinem Buch "Herrschaft und Emanzipation" aus guten Gründen darauf hingewiesen, daß das demokratische Recht der Teilhabe an der Gestaltung des Gemeinwesens nur dort einen praktischen Wert hat, "wo die Individuen in Freiheit, d.h. ohne Einmischung der Regierungsorgane, ihre Auffassungen bilden, Informationen sammeln, eine öffentliche Meinung konstituieren können." Fehlen oder verkümmern diese liberalen Voraussetzungen, sinke die Demokratie zu einer wert- und sinnlosen Hülle für mono- oder bürokratische Dezisionen herab. "Ihr formaler Apparat wird zum Instrument, mit dessen Hilfe sich eine etablierte Führungsgruppe plebiszitär legitimieren läßt." Genau dies ist aber der gegenwärtige Zustand der Demokratie in Deutschland. "Die Freiheit ist in keinem politischen System ein für allemal gesichertes Gut, sie ist immer bedroht und muß ständig aufs neue von einzelnen sozialen Gruppen oder sogar von der Gesellschaft als Ganzes verteidigt werden."

Der gelernte Untertan

Die Idee der Freiheit ist in der politischen Geschichte Deutschlands freilich bloß Dekoration und Phrase gewesen. Nietzsche, dem eine Art Kloster zur Erziehung freier Geister, eine "université libre" für autonome übersittliche Individuen vorschwebte und der unter Freiheit vor allem den "Willen zur Selbstverantwortlichkeit" verstand, meinte im Blick auf die "lex libertatis" der Deutschen: "Sich unterwerfen, folgen, öffentlich oder in der Verborgenheit - das ist deutsche Tugend." Thomas Mann vertrat einen ähnlichen Standpunkt, er notierte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs: "Ich bekenne mich tief überzeugt, daß das deutsche Volk die politische Demokratie niemals wird lieben können, aus dem einfachen Grunde, weil es die Politik selbst nicht lieben kann, und daß der vielverschiene 'Obrigkeitsstaat' die dem deutschen Volke angemessene, zukömmliche und von ihm im Grunde gewollte Staatsform ist und bleibt." An dieser spezifisch deutschen Affektion zur "Demokratur" (Rudolf Augstein) hat sich im Prinzip bis heute nichts geändert. In seiner Rede "Deutschland und die Deutschen" erklärte Mann: "Warum muß immer der deutsche Freiheitsdrang auf innere Unfreiheit hinauslaufen? Warum mußte er endlich zum Attentat auf die Freiheit aller anderen, auf die Freiheit selbst werden? Der Grund ist, daß Deutschland nie eine Revolution gehabt und gelernt hat, den Begriff der Nation mit dem der Freiheit zu vereinigen."

Auch Manns frankophiler Sohn Klaus, der die Deutschen für "das aggressivste enfant terrible unter den Völkern" hielt, das stets ein gebrochenes Verhältnis zu den europäischen Werten gehabt habe, vertrat diese Ansicht. Für Klaus Mann gab es ein deutsches Problem nur deshalb, weil die Deutschen keinen politischen Instinkt hätten und für die Politik völlig unbegabt seien. Deshalb hätten sie den Wert der Freiheit niemals kapiert und den sittlichen Fortschritt, den die Französische Revolution für die Menschheit bedeutet, niemals akzeptiert. In seinem Essay "The other Germany" schrieb Mann 1940: "The solid type of the citoyen was never known in Germany... In truth, the German burgher was always the Untertan - the subject." Während in Frankreich der europäische Geist zum Allgemeingut zählte, hätten die Intellektuellen Deutschlands niemals einen Einfluß auf das öffentliche Leben gehabt und mußten am Rande einer Gesellschaft leben, in der "stets ein Rest ... von tiefem, atavistischem Haß gegen den zivilisierten Westen, die Demokratie geblieben" sei.

Direkte Demokratie

Eine Lösung der hier angedeuteten Probleme, denen die zunehmende Wahrnehmungsdiskrepanz zwischen Wählern und Politikern sowie das allgemeine Partizipationsdefizit zuzurechnen sind, steht im Land der Lügen kaum in Aussicht, die Politikverdrossenheit der Deutschen ist flächendeckend. "Je rationaler, produktiver, technischer und totaler die repressive Verwaltung der Gesellschaft wird", schrieb Herbert Marcuse, "desto unvorstellbarer sind die Mittel und Wege, vermöge derer die verwalteten Individuen ihre Knechtschaft brechen und ihre Befreiung selbst in die Hand nehmen könnten." Auch Jürgen Leinemann kennt kein wirksames Konzept gegen die Misere der politischen Alphatiere, er fürchtet, daß der politische Betrieb immer mehr zu einem Suchtprozeß entartet: "In dieser Hinsicht betrachte ich die Politiker als wahre Repräsentanten ihrer Wähler. Denn ich habe wenig Zweifel, daß wir heute eine Suchtgesellschaft sind - eine Gesellschaft, die ihr Bedürfnis nach Sinn, Glück und vor allem nach Sicherheit vorwiegend mit Ersatzmitteln befriedigt. Zumindest in den entwickelten Industrieländern erscheint mir Sucht als die zentrale Krankheit der Zeit." Was man den Polit-Narkomanen angesichts der nationalen und globalen Krise ins Stammbuch schreiben müßte, wenn Politik in Deutschland noch glaubwürdig sein soll, das ist die Forderung: "Erkenne die Lage. Rechne mit deinen Defekten, gehe von deinen Beständen aus, nicht von deinen Parolen." (Benn) Und was den BRD-Votanten wärmstens zu empfehlen wäre, das ist der "Widerstand der sozialhumanen Vernunft" (Bloch) gegen die Diktatur der Märkte, der Einsatz für einen grundlegenden Strukturwandel, für eine Transformation der abstrakten in eine konkrete Gesellschaft, wie sie Heleno Saña in seinem Buch "Das Elend des Politischen" nachdrücklich gefordert hat: der Einsatz für eine basisdemokratische und selbstverwaltete Gesellschaftsordnung, "in der jeder Einzelne die Chance hat, an der Gestaltung der Gemeinschaft normativ zu partizipieren, ohne die Möglichkeit zu haben, seine Mitmenschen auszubeuten oder zu benachteiligen." Selbstverwaltung ist für den spanischen Gesellschaftstheoretiker das einzige Modell, durch das eine fruchtbare, repressionsfreie und sinnvolle Synthese zwischen den individuellen und kollektiven Interessen zu realisieren ist. Das Self-Government-Prinzip steht hier synonym für direkte Demokratie und für die Herrschaft des Volkes. "Die Idee der Selbstverwaltung kann von ihrem Wesen her nicht anders als international ausgerichtet sein; sie ist, wie alle wahren Emanzipationsentwürfe, ein Befreiungsmodell, das für die ganze Menschheit gilt."

Es ist mehr als fraglich, ob hierfür die politischen Parteien noch vonnöten sind. Der Sinn einer wirklich emanzipatorisch ausgerichteten Politik sollte, so Saña, darin bestehen, "Parteien in ihrer jetzigen Form überflüssig zu machen. Sie sind seit langem eine obsolete und anachronistische Einrichtung, die nicht mehr in der Lage ist, die Probleme, Aporien und himmelschreienden Skandale der Zeit halbwegs zu bewältigen. Sie sind mitverantwortlich für die Schweinereien, die rund um die Uhr in den parlamentarischen Demokratien geschehen." Von der etablierten Politik ist kein vorausblickender und aufbaufähiger Beitrag zur Befreiung der Menschheit von Not, Entfremdung und Zerstörung zu erwarten. Politik ist seit langem "zum Synonym für Arroganz, Unfähigkeit, Korruption, Parasitentum, Immobilismus, Prinzipienlosigkeit, Public-Relations und Selbstdarstellung geworden. Sie taugt nicht einmal für ein halbwegs effizientes Krisenmanagement. Die einzige Tüchtigkeit ihrer Vertreter besteht darin, die üppigen Bezüge und Pfründe zu kassieren, die sie sich bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit selbstherrlich genehmigen." Solange die Politokratie das Sagen hat, werde sich nichts Substantielles ändern. Mit Kritik allein werde man jedoch nicht sehr weit kommen: "um wirksam zu sein, muß sie konkrete und militante Praxis sein." Oder mit den Worten des Junghegelianers Ludwig Feuerbach: "Die Menschheit muß, wenn sie eine neue Epoche begründen will, rücksichtslos mit der Vergangenheit brechen; sie muß voraussetzen, das bisher Gewesene sei nichts. Nur durch diese Voraussetzung gewinnt sie Kraft und Lust zu neuen Schöpfungen. Alle Anknüpfungen an das Vorhandene würden den Flug ihrer Tatkraft lahmen."

Ob es nun Parteispendenaffären sind, Korruption, Lobbyismus, Betrug, Menschenhandel Nepotismus, schwarze Kassen, Usurpation, Kommunalklüngel, Verstrickungen mit der organisierten Kriminalität: "Power always corrupts", wie der Parlamentarier Lord Acton im 19. Jahrhundert erkannte. Zum gleichen Zeitpunkt der Philosoph Kierkegaard: "Alle Verhältnisse des öffentlichen Lebens sind eigentlich von Anfang bis Ende Gewissenlosigkeit." Lüge und Gewissenlosigkeit rangieren seit jeher als treue Begleiter der Politiker, dafür haben sie eine Lizenz. In ihrem Essay "Wahrheit und Lüge in der Politik" schrieb Hannah Arendt vor fünfzig Jahren: "Niemand hat je bezweifelt, daß es um die Wahrheit in der Politik schlecht bestellt ist, niemand hat je die Wahrhaftigkeit zu den politischen Tugenden gerechnet. Lügen scheint zum Handwerk nicht nur des Demagogen, sondern auch des Politikers und sogar des Staatsmannes zu gehören." Politik ist, das haben die letzten Dekaden in der BRD nur zu deutlich gezeigt, die Kunst der Lüge und Fiktion, der Simulakra und Arkana. Und wer wollte bestreiten, daß die Lüge das Fundament der sogenannten civil society ist? Die moralische Forderung nach Wahrhaftigkeit ist dagegen nichts anderes als die gesellschaftliche "Verpflichtung, nach einer festen Konvention zu lügen" (Nietzsche). Tatsächlich geht es in der Politik nicht um die Alternative Lüge oder Wahrheit, sondern um den sublimierten Betrug, um die Kunst der richtigen Dosierung von Lüge, um die fable convenue. "Man hieß bisher die Lüge Wahrheit", schrieb Nietzsche, der seiner Zeit stets voraus war: "Die Lüge als Supplement der Macht - ein neuer Begriff der 'Wahrheit'."

Damit ist der gesamtdeutsche Hypokritenverein der parlamentarischen Schleimröhrlinge aus Mobstern, Kalumnianten und Defraudanten in seiner ganzen Abgründigkeit und Verworfenheit hinreichend und angemessen charakterisiert.