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Verriß der kulturalistischen Karikatur der Leitkultur-Litaneien – Editorial der Ausgabe 131, Januar-Februar-März 2004/1
Schwarzer Winter an der Saar
Das Dominium der Leitkultur schlägt zurück – analog dem Wahlspruch: Zerschlagt die kosmopolitischen Brücken!

   
Die Netz-Brücke
 

Die ersten acht Seiten dieses Heftes (Nr. 131) dokumentieren, wie sich die bürokratischen Prätorianer der demokratisch dekorierten Domäne absprachen, DIE BRÜCKE in ihrem dreiundzwanzigsten Jahrgang zum Einsturz zu bringen.

Auf den hiesigen Spielwiesen und Spaßterrassen wiehert der Amtsschimmel schwarz. Seine Fraktions-Fabulisten trumpfen mit dem Feuereifer der Gut-Mensch-Glorie auf, eine affige Pressuregroup der Kolonisatoren für die Tretmühle „Migration & Integration“ zu beweihräuchern. Die Fabel der Affäre, die sie mit dem affektierten Artefakt des Wortklauberischen gegen unser kontradiktorisches Blattwerk arrangierten, hat folgenden Fortgang:

Im Frühherbst 2003 wurde Die Brücke e.V., Herausgeber dieser Blätter, aus dem Etat-Absatz der frei-gemeinnützigen Vereine entfernt, die für ihre Tätigkeit im gesellschaftlichen Gefüge der Zugewanderten-Integration bezuschußt werden. Die Initiative für dieses Bravourstück ergriff die Ministerin für Frauen, Arbeit, Gesundheit und Soziales, Dr. Regina Görner - Historikerin, vormalige Gewerkschaftsfunktionärin, Mitinitiatorin der Gelbe-Punkt-Aktion „Macht meinen Kumpel nicht an!“, Mitbegründerin des Düsseldorfer „Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e.V.“ (IDA).

Im Frühsommer des gleichen Jahres wurde das sozial-ministeriale Büro „Soziale Integration der Migranten“ in das Portefeuille des Ministeriums für Inneres und Sport umquartiert und in einer Schupo-Kaserne untergebracht. Mit der Annahme, daß die hiesigen Bürolisten über einige Ermessensspielräume verfügen, führte die Redaktion mit ihrem Amtsleiter ein Gespräch und reichte ihm am 10. Dezember einen Antrag auf einen Zuschuß. Wie der Amtsschimmel auch hastig galoppieren kann, erfuhr sie vor den Weihnachtsferien: Gleich am 21. Dezember 2003 brachte die Budget-Bürokratie ihr „Nein“ vom Tisch.

Geprüft habe der diensteifrige Paragraphenreiter, „ob Ausgaben an Stellen außerhalb der Landesverwaltung zur Erfüllung bestimmter Zwecke (Zuwendungen) getätigt werden können und ob hierzu ein erhebliches Interesse des Landes besteht.“ Er führt dann „die Gründe“ auf, nach denen „ein solches erhebliches Interesse nicht festgestellt werden“ könne:

„Die in der Zeitschrift verwandte Sprache ist lediglich geeignet, eine kleine Minderheit der Bevölkerung hinsichtlich der Hintergründe, der Problematik usw. von Migration und Integration in Deutschland anzusprechen, zu informieren und zu sensibilisieren.

Der weitaus größte Teil der Bevölkerung wird durch ‚Die Brücke‘ nicht erreicht. Dies wird insbesondere durch die auf 1.000 Exemplare begrenzte Auflage und die geringe Anzahl der Abonnements deutlich.

Darüber hinaus wird das Thema Migration und Integration in den letzten Jahren von den Medien verstärkt als gesellschaftspolitisches Thema ‚aufgegriffen‘ und bearbeitet. Aufgrund der Entwicklung der Kommunikationstechnologie ist der Zugang zu diesem Themenkreis in einer großen Vielfalt für alle Zielgruppen der Gesellschaft möglich...“

Der Posten-Poet stützt seine Argumente auf ein paar geschäftstechnische Angaben und interpretiert sie nach eigenem Gutdünken. So setzt er sich darüber hinweg, daß sich der tatsächliche Leserkreis dieser Blätter erst dimensionieren läßt, nachdem die von ihm erwähnten Zahlen mit einer „Zehn“ multipliziert werden. Denn jedes Exemplar dieser Blätter gelangt - besonders in den öffentlichen Räumen - an die Hände von allerhand engagierten Einzelnen als Multiplikatoren im Themenfeld. Hinzu kommt der Elan jener Verseschmiede, die das Schreiben als elementare Leidenschaft auffassen und achtbare Emotionen hervortreten lassen. Um lichtdurchflutete Horizonte des Lebensflusses zu erreichen, reichen sie DIE BRÜCKE von Hand zu Hand weiter. Darin liegt auch die Qualität eines gesellschaftlichen Engagements.

Wie das Thema in den letzten Jahren von den Medien verstärkt „aufgegriffen“ (rätselhaft, warum der Ministerial-Bearbeiter das Verb in Gänsefüßchen setzt) und bearbeitet wird - damit befassen sich allerlei Autoren in DIE BRÜCKE: Die eurozentrisch avancierte mass-mediale Gilde ragt facettenreich mit den Fragmenten der kulturellen Apartheid auf und versorgt die trübe Tretmühle mit neorassistischen Rauchfahnen. Und daß eine Zeitschrift nicht nur Informationen vermittelt, sondern auch Wurzeln aufdeckt, hat bei den administrativen Allüren der Integrationsverwalter - geblendet von übergreifenden Kommunikationstechnologien - natürlich kein Gewicht aufzuweisen.

Kurzum: Ausflüchte werden als Argumente fingiert, um das autoritäre Nein-Schreiben zu rechtfertigen. Dabei strengt sich sein Autor sehr an, die zuvor ideologisch ausgebrüteten Attitüden der Ministerin Dr. Regina Görner zu besiegeln, die darauf abzielten, DIE BRÜCKE materiell zu lähmen, indem sie ihr den Anspruch absprach, am Fördertropf zu hängen.

Die Heroine der Affäre

Seit dem Flairwechsel vom Roten zum Schwarzen gedeihen die Dividenden der integrationalen Zunft auf der Spaß- und Spielwiese der Kolonisatoren an der Saar. Ihr Endzweck ist, mit der Autonomie der Migration aufzuräumen und zu negieren, daß die Wandererfluten immer als Hebamme der Geschichte fungierten. Um dieser Weltkenntnis zu entgegnen und ein missionarisches Handwerk des Kolonialismus im metropolitanen Terrain bewerkstelligen zu können, spannen die Soziusse des Migrationstrubels den Mythos der Heimat sowie der ethnisch markierten kollektiven Identitäten vor ihren Karren - im karnevalesken Zirkusrund der extra-exotisch bunten Kulturen.

Nach dem Erscheinen des Heftes 127 (Januar-Februar-März 2003/1) bezog die nun mix-farbene Ministerin für Frauen, Arbeit, Gesundheit und Soziales einen ausgefallen distanzierten Blickpunkt gegenüber unserem Forum, und zwar anhand eines an die „Redaktion ‘Die Brücke e.V.’ (?)“ gerichteten Schreibens, in dem sie angeblich auf „die letzte Ausgabe der ‘Brücke’ (!)“ zurückgreift. Gemeint ist eigentlich das Heft 125, in dem das Vorhaben der neu errichteten schwarz-grünen Stadtrat-Koalition, eine „Stabsstelle“ für „Migration und Integration“ zu errichten, leidlich thematisiert wird.

Was wollte die ministeriale Patrona der integrationalen Intima tatsächlich? Hatte ihr Schreiben ein indirekt autoritatives Drohwort inne? Oder ging es um die konstruktive Kritik am abträglichen Gestichel einer Redaktion samt der Blatt-Belegschaft, obwohl sie eben für ihre Marginalie keinen Artikel und keine Stelle zu nennen nötig hielt? Jedenfalls wurde sie mit einem ausführlichen Gegenstandpunkt vom 3. März 2003 konfrontiert - und mit dem Vorschlag, einen konstruktiven Dialog einzuwilligen.

Eine Reaktion ließ lange auf sich warten. Erst nach einem zweiten Brief vom 19. Mai 2003 rief ein Ministerialer an, um der Redaktion mitzuteilen, daß die Amtsherrin auf ihrem Standpunkt bestehe. Und was heißt das? Was ist mit dem Vorschlag zur Durchführung von Gesprächsrunden über den emanzipatorischen Gehalt des bombastischen Brockens „Integration“? Ob es sich bei dem Schriftstück der Ministerin um einen Leserbrief dreht? Nach einem fühlbaren Zögern bejahte er konfus: Ja, das muß es sein...

Der Abdruck erfolgte nicht, da es keine schriftliche Autorisierung vorlag, was in solchen Fällen berücksichtigt werden müßte. Wie eben DIE BRÜCKE immer auf den Blütentraum vom Zustandekommen eines Gesprächs stützte, erhoffte sie ein Einlenken von Seiten der Ministerin. Stattdessen kam im Juli 2003 der Bescheid, daß es in 2003 „letztmalig“ zu einer Zuwendung kommt. Das ließ sich Anfang November endgültig bestätigen: Der Titel DIE BRÜCKE verschwand nach über einem Jahrzehnt aus dem saarländischen Haushaltsplan. Auch ging der Anstoß der SPD-Fraktion im Landtag des Saarlandes, die Budget-Patrone der Schwarzen-Union umzustimmen, in die Brüche.

Das Nonplusultra der gebieterisch fabrizierten Fabel ist der Mahnruf, der den kritischen Foren das Kommando erteilt, in die Grauzone der Selbstzensur zu galoppieren. Hier darf kein Dafürhalten in Umlauf gebracht werden, das der volksstaalichen Gewalträson zuwiderläuft.

Analog diesem Gebot begann auch die Reaktion der Ministerin Dr. Regina Görner, seit sie mit den „black is beautiful“-trunkenen Soziussen der neoständischen Noblesse korrespondiert. Mit dem Privileg ihrer Position der Protektion verschleiert, servierte sie den Aufsässigen im Kolonisatoren-Konvoi durch einen geheimnisumwitterten „Leserbrief“ eine züchtige wie züchtigende Portion Gutleutgetue-Denkzettel. Das Sponsoring tauchte im Dunkel unter, in dem nun auch die Frage hängenbleibt: Was ist Integration? Präsentiert sie ein Götzenbild? Oder muß das Wortkunstwerk nicht auch kritisch interpretiert werden?

Nicht hinwegsetzen läßt sich darüber, daß DIE BRÜCKE Dialog heißt und verbindet, daß in diesem Forum sich allerlei - jenseits jeglichen ethno-kulturellen Scheuklappenblicks - Wortschmiede zusammenfinden und damit auch Lebenswelten aller Himmelsrichtungen: Okzident und Orient, OneWorld und Trikont!..

Jeder, der bereit ist auszutauschen, kommt hier zu Wort. Seit dreiundzwanzig Jahren. Unvoreingenommen.

Die Ministerin lehnt den Dialog ab, besteht auf ihre Position der Absoluten, hält an ihrer kulturellen Identität fest, akklimatisiert mit dem Recht des Majoritären, mimt als Advokatin einer Pressuregroup und nimmt Position gegen abweichende Gedanken. Eine Schwäche für das Braunen-“Raus!-Gebrüll hat sie dennoch nicht. Söldlinge braucht das Land, Humankapital im Status der Leibeigenen. Daher richtet sie ihr kulturalistisches Augenmerk auf die marginalisierten Quartiere.

***

Der streitige »Leserbrief«

Ministerium für Frauen, Arbeit, Gesundheit und Soziales, Franz-Josef-Röder Straße 23, 66119 Saarbrücken, Tel. 0681-501-3114/3115, Fax 501-3135, r.goerner@soziales.saarland.de

Saarbrücken, 27. Januar 2003

Redaktion „Die Brücke e.V.“

Sehr geehrte Damen und Herren,

die letzte Ausgabe der „Brücke“ ist für mich Anlass, Ihnen einen Eindruck zur Kenntnis zu bringen, der sich mir bei der Lektüre der Zeitschrift seit einiger Zeit zunehmend verfestigt. Als jemand, der sich seit vielen Jahren, nicht zuletzt als Vorsitzende des Vereins „Mach meinen Kumpel nicht an“, gegen die Ausgrenzung von MigrantInnen in Deutschland eingesetzt hat, beobachte ich mit wachsendem Unbehagen die Art und Weise, in der in der „Brücke“ gegen den Begriff „Integration“ und die damit verbundenen Maßnahmen polemisiert wird. Natürlich kann man über den einen oder anderen Sachverhalt, der unter dem Überbegriff „Integration“ subsummiert wird, sehr wohl streiten. Mir drängt sich inzwischen aber der Eindruck auf, dass sich die „Brücke“ generell gegen den Integrationsgedanken wendet. Und das halte ich für eine Fehlentwicklung, von der ich mich ausdrücklich distanziere.

Der Gegenbegriff zu „Integration“ ist nun einmal „Ghettoisierung“ - und dagegen ist Widerstand geboten - egal, ob Ghettoisierung von der Mehrheit verordnet oder von der Minderheit gewählt wird. Eine offene und demokratische Gesellschaft besteht nicht aus einer Ansammlung von hermetisch gegeneinander abgeschlossenen Nischen, sondern eröffnet allen ihren Mitglieder die Chance auf Teilhabe. Und das setzt voraus, dass alle zu gegenseitigem Respekt und zur Akzeptanz gemeinsamer Spielregeln bereit sind, dass sie sich nicht gegenseitig ausgrenzen, sich aber ebenso wenig voneinander abschotten.

„Integration“ ist im übrigen auch Gegenbegriff zu „Gleichmacherei“. Wer Ängste um die eigene kulturelle Identität hat, muss sich gegen Gleichmacherei wenden, nicht aber gegen Integration. Sonst schlägt er den Sack, meint aber den Esel. Integration setzt nämlich voraus, dass Menschen unterschiedliche Identitäten haben und auch als Integrierte behalten.

Integration ist im übrigen ja nicht nur eine Anforderung an MigrantInnen, sondern eine Grundkompenente menschlichen Zusammenlebens. Alle gesellschaftlichen Gruppierungen, unterschiedliche Generationen und Kulturen müssen sich aufeinander einlassen. Andernfalls sind Ghettoisierungen, Diskriminierungen und Benachteiligungen unausweichlich.

Dieses Sich-Aufeinander-Einlassen ist kein einmaliger Akt, sondern ein Prozess, der von allen immer wieder erneuert werden muss. Er setzt vor allem sprachliche Kommunikation voraus. Und dazu ist das Erlernen der gemeinsamen Sprache unabdingbar. Nur wer mit den anderen sprechen kann, kann sich verständlich machen und erwarten, dass ihm Verständnis entgegengebracht werden kann. Insofern halte ich die Anforderung an MigrantInnen, die Sprache ihrer Wohnregion zu erlernen für unverzichtbar, gerade weil mir daran gelegen ist, dass MigrantInnen nicht unter schlichten Anpassungsdruck gesetzt werden, sondern sich mit ihrer kulturellen Identität in die Gesellschaft einbringen können.

Auch wenn es genügend Beispiele für misslungene Integrationsbemühungen und Ghettoisierungen gibt: Die Geschichte Europas ist nicht zuletzt durch die vielfältigen Integrationsprozesse gestaltet worden, die seit der Antike stattgefunden haben. Europa und die europäischen Staaten haben sich nicht zuletzt durch die Befruchtungen, die sie über Jahrhunderte hinweg durch Migrationsprozesse erfahren haben, zu Regionen entwickelt, in denen offene, demokratische Gesellschaften möglich sind und bleiben werden. Migration, die zu Integration führt, ist kulturelle Bereicherung.

Als Historikerin weiß ich, dass die Identität Europas gerade in der Fähigkeit besteht, sich durch Integration fremder Einflüsse immer weiter zu entwickeln. Als Gewerkschafterin und auch als Ministerin weiß ich, dass dieses Konzept heute in Europa und in der Welt ohne humane Alternative ist.

Insofern melde ich heftigen Widerspruch an, wenn in der „Brücke“ die Integrationsbemühungen von Menschen lächerlich gemacht werden oder sogar offen gegen das Konzept „Integration“ polemisiert wird. Das ist nicht nur unfair gegenüber denjenigen, die sich bemühen, in ihrer neuen Heimat Fuß zu fassen und ihren Platz in der Gesellschaft einzunehmen. Es liefert im übrigen - und das halte ich für regelrecht gefährlich! - auch denjenigen, die mit dem Rassismus und den Ausgrenzungen liebäugeln, Vorwände, an ihren menschenverachtenden Haltungen festzuhalten. Die saarländische Landesregierung und, da bin ich sicher: die allermeisten BürgerInnen des Saarlandes, wo immer sie geboren sind, werden eine solche Haltung jedenfalls nicht akzeptieren.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Regina Görner

Die Ministerin

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Für eine kosmopolitische Bürgerrepublik

Gegenstandpunkt vom 3. März 2003 (leicht gekürzte Lesart)


Sehr geehrte Frau Dr. Görner,

herzlichen Dank für Ihr Schreiben vom 27. Januar 2003, aus dem jedoch nicht hervorgeht, ob es sich dabei um einen Diskussionsbeitrag handelt bzw. um einen Leserbrief. Neben der Klarstellung dieser Frage versuche ich in folgender recht ausführlicher Replik, Position auf Ihre Behauptungen zu beziehen im Hinblick auf einen kreativen Dialog mit Ihnen. Darauf legen die aktiven Fertiger dieses Blätterwerks großen Wert.

Offensichtlich in Ihrem an die Redaktion der Zeitschrift DIE BRÜCKE gerichteten Brief ist, daß Ihre Intention primär meinen Standpunkt zum Integrationsbetrieb attackiert. Bezogen haben Sie Ihre Vorhaltung auf die „letzte Nummer“, die jedoch die Ausgabe 125 meint, nämlich die vorletzte, inzwischen die vorvorletzte. Denn Sie räumen der Frage nach dem Erlernen der gemeinsamen Kommunikationssprache einen ganzen Absatz ein und erwecken den Eindruck, als hätte ich dagegen die Klinge gekreuzt. Im besagten Heft hatte ich auf das Grünen-Verständnis von der „kulturellen Dimension“ der Integration im Satzgefüge „Zentral ist hierbei das Erlernen der deutschen Sprache, um eine gemeinsame Verständigung zu ermöglichen“ sarkastisch mit dem Hinweis reagiert: „Kann die Verständigung nicht auch auf einem anderen, leichteren Wege erfolgen? Oder aufgrund der notwendigen Veränderung des Mehrheitsgewichts?“

Berechtigt ist diese Reaktion nach wie vor. Denn man reduziert den Sinngehalt der kollektiv kommunikativen Kompotente auf die bloße „Verständigung“ und ignoriert oder vergißt sein Gewicht als Hauptglied des allgemein zugänglichen Zusammenhalts für die Persönlichkeits
entwicklung. Nichts kann notwendiger sein als der Anstoß, den potentiellen wie realen Bürgern mit migrantischem Hintergrund den Zugang zu Sprachkursen zu gewährleisten, die nach wie vor vernachlässigt oder als Randaspekt traktiert werden. Nichts spricht auch dagegen, wenn die Konzipienten eines Zuwanderungsgesetzes den künftigen Immigranten die Pflicht auferlegen, an Integrationskursen teilzunehmen - mit den Fächern Deutsch, Grundlagen der Verfassungs- und Rechtsordnung, der Geschichte und Kultur Deutschlands. Kritik verdient diese Sicht der Novelle jedoch, wenn sie von dem bereits im Lande ansässig gewordenen migrantischen Menschenauflauf nur beiläufig Notiz nimmt und ihm den Zugang zu dem „Angebot“ nahezu blockiert.

Das selektive »Angebot«: »Integration contra Ghetto«

Dazu gehört ein ganzes Dossier von Fehlschlüssen informativer Wesensart, z.B. der stiefmütterliche Augenschein auf die Existenzgründungen, auf die marktläufigen Begegnungen in Berufsverbänden, Gewerkschaften und ähnlichen Zusammenschlüssen als elementare Wirkungsfelder der Gesellschaft. Die Geistesgegenwart der nationalen Entscheidungsträger richtet sich - ob Wahlkampfgetöse oder Talkshow - ziemlich einseitig auf den „internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe“. Auf der Strecke bleiben die vor Jahrzehnten eingewanderten Landeskinder, denen die unter dem Leitwort Integration verkündeten Angebote weiter verkürzt werden sollen, wenn nicht ganz vorenthalten. Es geht hier nicht mehr um den verbalen Lobspruch für ihre sozio-kulturellen Leistungen, sondern um deren Anerkennung durch das Resozialisieren der positiven Diskriminierung in den inländischen Modernisierungsprozessen unter der Globalisierungs-Glocke.

Hingegen erstarrt das Augenmerk des Integrationsbetriebs in der Hypothese, nach der man sich für eine moralische Sinnesart gegenüber denjenigen verpflichtet, von denen man annimmt, daß sie aus eigener Kraft den Anschluß an der Ganzheit nicht in Gang setzen können. Man ignoriert die Ergebnisse vielerlei Studien und Erfahrungsprotokolle, nach denen die migrantische Bevölkerung das dynamische Quantum jener Vorgänge verkörpert, welche die allgemeine Wohlstandskurve in Fahrt bringen. Dazu kommt ihr kreatives Talent und künstlerisches Temperament. Man weicht von diesen Erkenntnismomenten ab und befaßt sich mit der Wahrung der ethno-kulturellen Identitäten, indem man sie meistens auf die Religiösität, das Volkstum oder auch auf die Folklore reduziert. Ob diese Spielart sich innerhalb einer gesellschaftlichen Partnerschaft einordnen kann, läßt sich nur spekulieren.

In diesem Zusammenhang verliert die Formulierung „Integration contra Ghetto“ jeglichen fruchtbaren Aspekt. Denn die Konzentration auf den Affekt der kulturellen Identität bewölkt den Horizont des Universalen, untermauert die partikulären Potentiale, wirkt daher rudimentär und kontraproduktiv. Man geht dabei von dem Trennenden, dem Differenzierenden aus und verliert das humanitär Bindende, das Gemeinsame aus den Augen.

Rückt man die Etappen des Einwanderungsgeschehens seit den letzten vier Jahrzehnten innerhalb der Bundesrepublik Deutschland ins Blickfeld, so läßt sich die Ghettoisierung nicht als Gegenufer der Integration in Worte fassen, sondern als deren Folge oder als eine Art Antwort darauf. Natürlich gilt diesem Panorama der Widerstand. Aber wie?

Immer wenn vom Konfliktstau bezüglich der migrantionsbedingten Abläufe die Rede ist, verweisen die Träger der gesellschaftlichen Gewalt und ihre beratenden Begleiter mit starrem Blick auf die Integration als Allheilmittel, ohne sich die Mühe zu machen, den Terminus in einen einigermaßen verständlichen Denkhaushalt zu assimilieren. Verloren geht damit auch der zu erstellende Vertrag der Verträglichkeit zwischen den sozial grundierten Lebenswelten. Sollte man sie nicht zunächst als urbane Geburten der Metropolen erachten, bevor sie als Gefahrenzone konturiert werden?

Oder die »Staatsbürgernation«

Sehr geehrte Frau Dr. Görner,

der Hauptgehalt Ihrer auf Distanzierung gerichteten Kritik besteht aus der Vorhaltung gegenüber einem zwei Jahrzehnte alten Periodikum, das „offen gegen das Konzept ‘Integration’ polemisiert“ habe. Es liefere „im übrigen ... auch denjenigen, die mit dem Rassismus und den Ausgrenzungen liebäugeln, Vorwände, an ihren menschenverachtenden Haltungen festzuhalten“.

Ihren Denkvorgängen bezüglich des nachbarschaftlichen Miteinanders kann ich nur zustimmen. Offen bleibt jedoch die Frage nach dem affirmativen Augenmerk auf den populär kursierenden Begriff „Integration“, welche der Freiburger Gelehrter und Vorsitzende des „Rats der Migration“ Prof. Dr. Dieter Oberndörfer in „Frankfurter Rundschau“ vom 8. Oktober 2002 als ein „Instrument neuerlicher Zuwanderungsblockade“ bezeichnet:

„Integration ist in der Debatte über Zuwanderung ein normativ aufgeladenes Postulat. Es geht bei ihm nicht um eine beliebige, sondern um die wünschenswerte Gestalt der Eingliederung bisher Fremder in Politik, Gesellschaft und Kultur. Übersehen wurde, dass im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland klar vorgezeichnet wird, was Integration bedeuten kann und was nicht. ...

Das Staatsverständnis der völkischen Nation geht von der Vorstellung einer homogenen, für alle verbindlich definierbaren und vor Verunreinigung durch fremde Elemente zu bewahrenden ‘nationalen’ Kultur aus. Solange sich dieses überlieferte völkische Staatsverständnis in den Köpfen hält, bleiben Ausländer von der Nation ausgeschlossen. Gefordert sind daher jetzt die längst fällige geistige und politische Aneignung der Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaates. Dieser versteht sich als Staatsbürgernation.“

Gerade für diese „Staatsbürgernation“ statt eines ethnisch homogenen „Volksstaates“ plädiere ich seit zwei Jahrzehnten. Dabei forderte ich mehr als einmal auf, sich neben dem „normativ aufgeladenen Postulat“ über den beifälligen Keim des Terminus „Assimilation“ Gedanken zu machen. Im weiteren betrachtete ich das Plädoyer für kulturelle Identität als einen Fehltritt, durch den der zwanglose Prozeß der gleichberechtigten Bürger droht, ins Stocken zu geraten. Die auf den völkischen sowie rechtgläubigen Erhalt bezogenen Kulturen haben sich vor allem in den letzten Jahrzehnten weltweit als destruktiv erwiesen. Daher stellte ich den weit verbreiteten Tendenzen der kulturalistischen Kommunikationsformen das Kosmopolitische entgegen.

»Was heißt eigentlich Integration?«

Indes bin ich einer der vielen Autoren in diesem unserem Forum, die sich über die „Integration“ kritisch wie affirmativ Gedanken machen. Daher wird DIE BRÜCKE immer wieder als ein Organ der Integration wahrgenommen: „Mit Interesse habe ich das Belegexemplar der Zeitschrift zunächst nur durchgeblättert. ... Ein zentrales Anliegen Ihrer Arbeit ist erkennbar die Integration. ... Sie haben ein ehrenwertes Anliegen und professionell einen gewissen Anspruch,“ lautet zum Beispiel eine Mitteilung anläßlich eines Probeexemplars der Ausgabe 127 in unserer elektronischen Post.

Es geht nicht um Für oder Wider auf der medial öffentlichen Plattform der Debatten, sondern um die Frage nach dem Inhalt eines Schlagworts bei seinem inflationären Gebrauch. Und es geht um zukunftsträchtige Gedankenfäden, welche DIE BRÜCKE nur in Ansätzen zu liefern imstande ist.

„Was heißt eigentlich Integration?“ lautet der Titel eines Flyers, den das Düsseldorfer Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit (IDA e.V.) vor kurzem publizierte. Kritisch setzt sich das Faltblatt mit dem Schlagwort auseinander und geht den Fragen nach wie dieser: „Der Begriff Integration hat sich zu einem der beliebtesten Schlagworte in Zusammenhang mit Migration und dem Leben von MigrantInnen in Deutschland entwickelt. Manchmal scheint er unerfüllbare oder auch unerwünschte Forderung, manchmal jedoch auch eine Art Allheilmittel für gesellschaftspolitische Probleme zu sein. Doch wer soll und muss sich integrieren?

Von welchen Personen wird der Begriff Integration in welchem Kontext und mit welcher Intention verwendet? Welche verschiedenen Konnotationen kann Integration haben?“ ...

Das Blendwerk »Ethno-Kultur«

Sehr geehrte Frau Dr. Görner,

abgesehen vom polemischen oder provokativen Sprachgebrauch habe ich meine Kritik an der Integration als gebetsmühlenartig wiederholter Wahlspruch sorgfältig auf den Ergebnissen verschiedener Studien und Tagungsprotokollen begründet. Im Angelpunkt meiner Intention seit über zwei Jahrzehnten liegt der bürgerliche Ansatz einer Staatsbürgernation. Sie wird ausdrücklich zum Hauptthema der bundesdeutschen Gesellschaftsformation erhoben, und zwar von renommierten Gelehrten und Persönlichkeiten dieser Republik.

Dabei habe ich bewußt eine eigene Sprache entwickelt, wiederum bewußt auf den aufklärerischen Anspruch verzichtet und eine gewisse Distanz zum politischen Areal geschaffen. Mein Ziel bestand hauptsächlich darin, die mental mechanische Form der menschlichen Begegnungen zu überwinden und sie in einen humanen Gefühlshaushalt morgenbunter Menschenlandschaften einzubringen. Nicht als politischer Protagonist wollte ich mich aufspielen, ging - auf eigenes Idealbild bedacht - meinem Traum vom Einsatz schriftstellerischer Ästhetik für die Zeitkritik nach und versuchte, mich als Reimeschmied in die Wortgefechte über den sozialen Brückenschlag einzumischen.

Die Sprache, die ich mir zu eigen machte, erweckt zwar gewisse Aversionen, im Endeffekt erwies sie sich jedoch als beifällig. Denn sie sollte die Menschen dazu animieren, sich schreibend - in Form der Poesie, Prosa, Kritik oder Rezension - den Foren sozio-humaner Prozesse anzuschließen. So fanden in DIE BRÜCKE Hunderte von Autoren eine Heimat. Sie wirken in ihren Nachbarschaften schließlich als Vermittler von libertären Weltbildern zwischen Menschen als kosmopolitischen Erdenbürgern wider den Rückzug in die völkischen Kollektive oder gottesfürchtigen Brüderschaften.

Es gehört zu meinem Anliegen, dem postmodern ausgebuchten Zeitgeist entgegenzusteuern, der das Postulat Kultur hauptsächlich verwässert, ihr den allgemein urbanen Hintergrund entzieht, sie auf die ethno-fundamentalen Grenzziehungen reduziert und instrumentalisiert. Kultur ist da nicht mehr die Summe von Resultaten der materiellen wie geistigen Produktionen, von Organisationsformen des Zusammenlebens, von Institutionen der Bildung und Kommunikation, nicht mehr das als Menschenbild und Persönlichkeitsideal der Gesellschaft, als Ausdruck der theoretischen, praktischen, moralischen und schließlich ästhetischen Fähigkeiten und Bedürfnisse der Menschen, nicht mehr das, was dem Naturzustand der Humanität entspricht.

Gerade auf dieser historischen Definitions-Strecke der Kultur entwickelte sich aber Europa zu dem, was es heute ist - ein Terrain der freien Gedankenflüsse. Jede Gesellschaft, die einen zivilisatorischen Wandlungsprozeß zum Urbanen vollzog, hatte die Kultur zu assimilieren, die sie vorfand. Dieses Verständnis von Kultur, die sich ständig entwickelt und verwandelt, ist gerade für die Festlegung der kollektiven Identitäten nicht geeignet.

Das darf sie jedenfalls nicht sein, wenn das Menschentum sich unterwegs zu einem „Eine-Welt“-Ideal bewegen soll. Denn Identität drückt ein statisches Befinden aus. Sie hat sich seit den Achtzigern des vorangegangenen Jahrhunderts von einem individuell-psychologischen Kontext zu einem verkrampft umkämpften Ausbund der gesellschaftlichen Diskurse etabliert. Sie reflektiert die Aufwertung des Eigenen im abfälligen Vergleich mit dem Anderen und artikuliert deswegen die Spaltung der Gesellschaften in die ethno-kulturellen Identitätsnischen.

Am Rande vermerkt: Ohne die postmoderne Verdrehung des Kontinuums Kultur in Orwelscher Manier wäre gegenwärtig von einem in aller Munde kursierenden „Zusammenprall der Kulturen“ nicht die Rede.

Es basiert auf einer inkorrekten Annahme, mir vorzuwerfen, ich (als Vertreter der Zeitschrift DIE BRÜCKE) sei generell gegen den Integrationsgedanken. Wahr ist, daß gegen den zentralen Topos seit seinem Aufstieg zum Politikum bekanntlich die Jünger der klassischen Rassentheorien operieren und ihm einen Völkergemisch entgegenhalten, der die intakten Gemeinschaften in den Abgrund stürze. Sie betrachten auch die Geschichte der Gegenwart als Gladiatoren-Arena der völkisch kollektiven Konstrukte.

»Multikulturelle Gesellschaft«

Unter dem - wie auch immer - zum Durchbruch gebrachten Gewicht der postmodernen Ideologie wurde auch die Humanität als universales Ansinnen aus dem Zentrum sozialer Interaktionen verbannt. An ihre Stelle rückte die Ethno-Kultur als Medium in hohem Maße, als Motor der Rivalitäten zwischen Stammes- und Ständeordnungen.

Aus dieser historisch rückwärtsgewandten Fontäne entsprang zunächst das Wortkunstwerk „Multikulturelle Gesellschaft“, welche die faktische Population in die ethno-kulturellen Segmente parzellierte und sie zum bloßen Nebeneinander verpflichtete. Dieses Modemodell diente zu nichts anderem, als die sozialen Widersprüche bzw. humanen Zusammenhänge im Sinne des neorechten Ethnopluralismus in die kulturalistischen Separationen hineinzustecken. Es führte zur Lobeshymne der kulturellen Identität, die nach und nach zum Stützpfeiler der Integration erwuchs. Wenn Integration die Zusammenfügung der Teile in ein Ganzes bedeutet, dann stellt sich die berechtigte Frage: Welche universalen Elemente enthält dieses Ganze jenseits der Summe des Partikularen?

Auf der anderen Seite: Verwenden läßt sich der Begriff „Integration“ geradewegs nicht als operativer Leitsatz ohne den kritisch begleitenden Kommentar, sondern als übergeordnetes Symbol, um das Lehrgebäude der segmentierten Strukturen zu entschleiern. Dann zielt die Folgerung nicht auf komplette Handhabungen ab, sondern auf die komplementären Rahmenbedingungen für die Eingliederung der einströmenden Humankapitalien in die Systeme der bürgerlichen Verfassungsordnung.

Man kann einen Sachverhalt nicht in Worte kleiden und ihm allgegenwärtige Gültigkeit verleihen. Wenn die Integration einen langwierigen Prozeß voraussetzt, so gehört es dazu, hinter ihrem Habitus auch einen argwöhnischen Blick zu werfen. Ohne das elementar kritische Denken fehlt den gesellschaftlichen Gestaltungsakteuren der Kompaß in die Zukunft, damit die Spannkraft für die Gegenwart, und sie können ohne die intellektuell kritische Begleitung vollkommen aus dem Konzept geraten, nicht mehr aus noch ein wissen. Was dann zwischen dem sensationsgeladenen Alarmismus und dem systematischen Desinteresse aufplustern kann, ist ein kontinuierlicher Problemstau.

Die Ausbesserung der staatsbürgerlichen Strukturen setzt mutiges Unterfangen voraus, vor allem aber die Bereitschaft, sich mit den anfänglich unbequem erscheinenden Geistesblitzen auseinanderzusetzen. Nur so kann sich diese Republik zu einer Einwanderungsgesellschaft entwickeln, nämlich zu einer Staatsbürgernation wider das festgefahrene Verständnis von einem ethnisch fundierten Volksstaat. Das ist schwieriger als die Begegnung der Menschen, die selbst nicht in toto auf die Perspektive zugeschnitten ist, daß beispielsweise der Deutsche vor ihm gleich den Türken sieht oder der sonntägliche Kirchgänger den freitäglichen Moscheebesucher. Der Passant erspäht in seinem Pendant zuallererst den Menschen.

Noch befindet sich die Gesellschaft, in der wir leben und für deren Fortentwicklung wir uns Gedanken machen, nicht einmal auf der Etappe des bürgerlichen Bestrebens „gleiche Rechte für alle“. Mich persönlich interessiert die Analogie nicht, daß dies anderswo nicht anders bzw. besser oder schlechter ist. Mich bewegt vielmehr das Ideal von einem kosmopolitischen Gesellschaftsgebilde der bürgerrechtlich gleichen Bürger jenseits völkischer oder heilsgewisser Identitätsnischen. Daß die Bundesrepublik auf dieser Strecke Einiges geleistet hat, läßt sich natürlich nicht negieren. Das darf aber dem nicht im Wege stehen, was noch zu leisten ist - auf der langen Strecke zu einer offenen Republik. Darin liegt auch der Sinn eines Prozesses. Er bedeutet nämlich, daß man auf immer Höheres abzielt.

Die konservierte Fata Morgana: »Parallelgesellschaften«

Was uns allen als Diskutanten oder Administratoren herausfordert, ist die Mühsal, die ethnokulturelle Parzellierung zu überwinden, sie jedenfalls nicht noch zu fördern. Wir müssen uns mit den Lebenswelten noch gründlicher befassen, die gerade in unserer Nähe entstehen. Hierzu noch einmal Dieter Oberndörfer in „Frankfurter Rundschau“ vom 8. Oktober 2002: „Die immer noch geringe Akzeptanz gesellschaftlichen Pluralismus in Deutschland, manifestiert sich nicht zuletzt auch in der Polemik gegen die Entstehung so genannter Parallelgesellschaften als Folge von Zuwanderung. Eine bunte und zunehmende Vielfalt von oft wenig miteinander verbundenen Parallelgesellschaften oder Lebenswelten ist gerade für moderne Gesellschaften charakteristisch. ...

Aber die Bürger freier Gesellschaften haben das Recht, sich ihre eigene Lebenswelt zu suchen und sich dabei auch von anderen Lebenswelten zu disasoziieren. Disasoziation kann eine legitime Technik der Konfliktprävention sein. Es müssen nicht alle Menschen miteinander Händchen halten. ...

Die Übernahme der Sprache des Aufnahmelands, sowie die Angleichung sozial und kulturell geprägter Verhaltensweisen an die Mehrheitsgesellschaft und allmähliche Vermischung sind in Einwanderergesellschaften meist ein mehrere Generationen dauernder komplexer Prozess. Dieser Prozess kann in nur sehr begrenztem Umfange beeinflusst werden.“

Beharrliches Unterfangen für das unbefangene Gespräch

Meinem Wahrnehmungsempfinden nach leidet die Szene, die für die Sozialisation migrantischer Abläufe tätig ist, unter dem Mangel an theoretischen Maximen. Als Folge zeichnet sich eine Verwechslung zwischen einem historischen und bürokratischen Auftrag ab. Der demokratisch bemäntelte agitatorische Ansatz verdrängt jeglichen substantiellen Aufwand. Wie bereits erwähnt, könnte das Experiment mit den populären Imitationen wie mit der Ethno-Kultur der Ausweitung der Konfliktfelder den Weg bahnen. Dagegen hilft das unbefangene Gespräch, ohne die Parteinahme für den einen oder anderen roten Faden sowie ohne den bürokratischen Formulierungszwang.

Sie, Frau Dr. Regina Görner, könnten neben Ihrer Funktion als die für die Belange der migrantischen Bevölkerung zuständige Verantwortungsträgerin auch als engagierte Bürgerin und Historikerin Wesentliches zum Zustandekommen einer Gesprächsreihe in unserem Umland beitragen.

Zum Weltbild einer offenen Gesellschaft gehört, daß über die Menschenschicksale nicht nur in den fraktionellen Kulissen, Projektbüros oder Redaktionsstuben gesprochen wird, sondern auch in den allgemein zugänglichen Debatten. Daher schlage ich Ihnen die Durchführung einer Reihe von Gesprächsrunden mit Autoritäten aus dem universitären Bereich vor. ...

In der Hoffnung auf Ihre zustimmende Reaktion und eine Fortführung der Diskussion in einem Gespräch verbleibe ich mit den besten Wünschen und kosmopolitischen Grüßen

Necati Mert

(Verantwortlicher und koordinierender Redakteur der Zeitschrift DIE BRÜCKE)

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Resolution

– Redaktionskonferenz der Zeitschrift DIE BRÜCKE –

Bestürzt nahmen wir, die Unterzeichner dieser Resolution, in der Redaktionssitzung vom 29.11.2003 zur Kenntnis, dass der Zeitschrift DIE BRÜCKE von Seiten der Regierung des Saarlandes droht, dem Rotstift zum Opfer zu fallen. Denn der herausgebende Verein DIE BRÜCKE e.V. wurde aus dem Haushaltstitel für gemeinnützig tätigen Vereine gestrichen, die seit langem ihren gesellschaftlichen Beitrag zur Integration der Zugewanderten leisten. Mit der Einbuße des bisher geleisteten Förderbetrages, mit dem der Verein seit über zwölf Jahren einen Teil der Sachkosten decken konnte, kippt ein wesentlicher Pfeiler seines Fundaments.

Wir sehen den Vorgang in direktem Zusammenhang mit dem in der BRÜCKE Ausgabe 131 abgedruckten Schreiben der Ministerin für Frauen, Arbeit, Gesundheit und Soziales, in dem Frau Dr. Görner unserer Zeitschrift vorwirft, »offen gegen das Konzept „Integration“ zu polemisieren« und damit gefährlichen rassistischen Tendenzen in die Hände zu spielen. Wir Unterzeichner, Streiter für ein humaneres Zusammenleben aller Menschen und seit langen Jahren Fördermitglieder, Redakteure und Autoren der Zeitschrift, fühlen uns missverstanden und bestraft.

Der Verein zur Förderung politischer, sozialer und kultureller Verständigung zwischen Mitbürgern deutscher und ausländischer Herkunft DIE BRÜCKE e.V., bietet seit über zwei Jahrzehnten den kosmopolitischen Denkern und Protagonisten einer egalitären Bundesrepublik ein freies Forum, in dem die Entwicklungen zwischen der Mehrheitsgesellschaft und ihren eingewanderten Bürgern kritisch beobachtet und begleitet werden. Dabei versteht sich DIE BRÜCKE als Sprachrohr der in Deutschland beheimateten Migranten, ein Forum, bei dem der Titel Programm ist und die Diskussion um eine menschenwürdigere Gesellschaft unzensiert und auf gleicher Augenhöhe geführt wird.

Als Reaktion auf eine neu erwachte völkische Strömung, protokolliert im »Heidelberger Manifest«, mit dem Ende 1981 fünfzehn universitäre »Vordenker« zum Widerstand gegen »die Unterwanderung des deutschen Volkes durch den Zuzug von Millionen, die Überfremdung unserer Sprache, unserer Kultur und unseres Volkstums« aufriefen, entstand DIE BRÜCKE als Publikation für ein von der Herkunft unabhängiges Welt- und Staatsbürgerdenken in Deutschland.

Von Beginn an widmet sie sich dabei Themenfeldern, die in den letzten Jahren immer mächtiger in den Mittelpunkt öffentlicher Debatten rückten, wie:

Das dauerhafte Plädoyer für eine bundesrepublikanische Staatsbürgernation und die endgültige Abschaffung eines überkommenen völkisch motivierten Staatsbegriffs.

Die Ursachen und Folgen einer neoliberalen Globalisierung und der damit verbundene neue Krisenkolonialismus, der die Welt unter dem Deckmantel »humanitäre Interventionen« in Interessensphären der Mächtigen aufteilt.

Die neue Völkerwanderung der enteigneten Erdenbürger und die Abschottung der »Festung Europa« als Reaktion darauf.

Der Neorassismus, die globale Apartheid und ein lukrativer Menschenhandel, als moderne Sklaverei bezeichnet, von dem ausschließlich die reichen Zentren profitieren.

Eine seit 30 Jahren fehlschlagende und immer wieder neu propagierte Integrationspolitik, während gleichzeitig die fortschreitende Ethnisierung Europas gefördert wird.

Die Untersuchung sich verändernder Lebensverhältnisse zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den eingewanderten Lebenswelten in den urbanen »Quartieren« Deutschlands.

Im Gegensatz zum etablierten Mediendiskurs richtet DIE BRÜCKE ihr Augenmerk nicht auf das Ethnisch-Trennende, sondern auf das Human-Verbindende. Dazu gehört, gerade in einer Zeit neoliberaler Kälte, eine kritische, aber konstruktive Streitkultur jenseits wechselnder parteipolitischer Willensbekundungen in den Zuwanderungs- und Integrationsdebatten.

In diesem Sinne sehen die Mitstreiter und Leser in DIE BRÜCKE mehr als eine Publikation, sie ist eine Idee – für ein kosmopolitisches Denken – für eine offene Gesellschaft – für ein humaneres Miteinander. Soviel unabhängiges Denken muss sein. Soviel Anspruch darf erhoben werden.

Für diese Idee arbeiten die Unterzeichner, alle Redakteure, Lektoren, Autoren und Förderer der Zeitschrift ehrenamtlich. Der bisher von der Regierung des Saarlandes bewilligte Förderbetrag bezuschusste ausschließlich die Sachkosten zur Herausgabe der Quartalshefte.

Deshalb fordern wir die Regierung des Saarlandes auf, die Streichung des Vereins DIE BRÜCKE e.V. als förderungswürdiges Projekt zurück zu nehmen.


An der Redaktionskonferenz, verbunden mit einem Meeting zum Thema »Mediendiskurs in der kosmopolitanen Gesellschaft«, nahmen vierzehn Personen teil und sprachen sich einstimmig für eine Resolution aus.

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Der marinierte Blickfang: Manisch germanisch

Ein triftiger nachträglicher Kommentar

Es war recht bravourös, wie die Ministerin Dr. Regina Görner mit dem Auslassen einer Antwort den Deckel auf eine von ihr herbeigeführten Affäre drückte, nachdem sie manche Eskapaden mißinterpretiert hatte. Der ständige Verweis auf Grauzone zum rechten Rand des gesellschaftlichen Geflechts soll sie davor decken, daß ihre gebieterische Vorgehensweise als kulturalistische Attacke eingestuft wird.

Als Spektakel läßt sich vor allem ermitteln, wenn unter all den neoliberal gebotenen Gegebenheiten der ökonomischen Händel die Ministerin sich von den bösen Nachreden gegenüber den mitleidig Mitwirkenden des kolonisatorischen Szenarios beklagt und darauf anspielt, daß dies den mit dem Rassismus liebäugelnden Milieus zugute kommt. „Unfair“ sei das sogar „gegenüber denjenigen, die sich bemühen, in ihrer neuen Heimat Fuß zu fassen und ihren Platz in der Gesellschaft einzunehmen“. Auch als ritterlich gilt scheinbar, dem gebotenen Widerstand gegen „Ghettoisierung“ beizupflichten. Nonplusultra!

Was nun? Wie geht die Zusammenkunft der Menschen vonstatten, ohne die ethnisch politierte Scheidewand zu überschreiten? Mit dem Ausbau der kulturellen Identitäten als Lobeshymne für das majoritäre Kollektiv? Daß der himmlisch sanktionierte Teuto-Trabant unter dem Dachwort „Integration“ weiter kursiert - über den Dächern migrantischer Quartiere? Was hat die Integration sonst zum Inhalt, wenn nicht das inszenierte Meeting der Kulturen gemäß der Maxime, daß der große Fisch den kleinen schluckt?

„Ghettos“ (oder „Parallelgesellschaften“) gehören zum eingewurzelten Umland der postmodernen D-Metropolen - auch der Ortschaften an der Saar. Neben der größten Eingewanderten-Kolonie der Sizilien-Italiener mit ihren dutzenden Vereinen im Saarland kristallisieren sich auch die Anatolier-Quartiere in allerlei Stadtteilen als Lebenswelten heraus. Trotz des dreißigjährigen Gewimmers der „Integration“.

Was man fingerfertig tabusiert, läßt sich nicht mehr diskutieren. Dafür wird eine drahtige Schablone zurecht geschnitten, und sie trägt das Prädikat „Zuwanderungssteuerungs- und begrenzungsgesetz“. Wer im Portal der Majorität eine Botschaft abgeben will, kann sich an dieses Novellenwerk wenden, welches das Migrantenpotential als Material im Ressourcenpool ermißt und es als zu melkende Kuh betrachtet. Das im abgestandenen Schaufenster „Integration“ servierte Geistesprodukt soll selbst die eingewanderten Alten besänftigen, daß die Regelwerk-Regenten sie nicht mehr wie vor drei Jahrzehnten in die eingezäunten vom Werkschutz beachten Baracken einweisen wollen.

Summa summarum: Von Herzen gern stehen die demokratischen Postenjäger im anthroposophischen Musentempel vor der Breakdance-Performance hybrider Teenager fürs Photo. Mehr erträgt ihr Gefühlshaushalt nicht. Die Schwarzen-Ministerin, die allem Anschein nach anstandslos auch vaterländisch-grün agiert, ersehnt - dem Volkstum Pate gestanden - einen Integrationsbetrieb analog dem teutomanen Reinheitsgebot ohne Einflüsse und Impulse aus den Reihen der Objektmasse.

Im grauen Einerlei der demokrallten Domäne

Landeskinder, die seit Jahrzehnten in die Hände spucken, Mehrwert produzieren, Bruttosozialprodukt vermehren, werden von den Tacherons der Groß-D AG als Konfliktpotential pointiert. Serviert wird dann die Fabel sogar als Großtat, daß die Fremdlinge schwerfällig sind, mit einer gesellschaftlichen Emanzipation Schritt zu halten, also integrationsbedürftig, daher lauthals in den Himmel heben müssen, was ihnen im Mittelding der Gutleut-Getue und Zucht-Zunge ins Ohr geflüstert wird.

Das Phänomen Migration weist auf ein Verpacktes hin, dessen Gewicht in der Rangglosse der imperatorischen Novellen liegt und hauptsächlich als Problem wiegt. Und das Ensemble der emanzipatorisch trainierten Troubadour-Tournee singt die Integrationale, pflegt die Traute der Gentilhommes und läßt sich mit dem Stückwerk einer heimeligen Gutmenschen-Manier renommieren.

Der Umbau des bisherigen Behördendschungels geht still und stilvoll vonstatten, wie sich im „Kleinsten Reich der Mitte“ am Gesicht ablesen läßt. Der bündnisgrün gegrübelten Gründungspartie eines schwarz übertönten stadtamtlichen „Zuwanderungs- und Integrationsbüro“ folgte das Büscheln des Referats „Soziale Integration der Migranten“ beim Ministerium für Frauen, Arbeit, Gesundheit und Soziales mit dem Büro „Prävention, Kultur und Sport“ beim Ministerium des Innern und Sport.

Beherbergt wurde das aufgefrischte bzw. neugebackene Amtsschimmel im „Dienstgebäude“ Mainzer Straße, dem Hof einer Grünen-Kaserne. Pech für die migrantischen Mitwelten dunkel-brünetten Teints, wenn sie wegen ihrer Fassade am Eingangstor zurückgewiesen werden - gemäß der Maßregel bezüglich der Präventiv-Fehde mit dem Terrorismus. Schließlich kann die Inkarnation des Teufels überall hausen. Ins Gesicht lassen sich die Bürolisten sowieso nicht schlagen - von Angehörigen des widerborstigen Get-togethers.

Der Umzug bzw. Standortwechsel des Ressorts „Integration“ vom Ministerium des Sozialen zu dem des Inneren läßt sich auf einen Wink hindeuten, daß die migrantischen Angelegenheiten im Rahmen der eurozentrisch strukturierten zentralen Sicherheitssysteme gedreht und gewendet werden. Hier geht es primär darum, die aufgewühlten Sprößlinge der autochthonen Majorität zu beseligen. Die spaß-programmierte Prävention der ethnophoben Gewaltakte und übelgelaunten Attacken der völkischen Faktionen gewinnt Überhand gegenüber der eventuellen Partizipation der eingewanderten Minoritäten. Investiert wird für jene Exit-Programme, die fabriziert werden, um die Halbwüchsigen aus dem Fahrwasser der gewaltbereiten Extremisten-Ekstasen herauszufischen.

Mittel bleiben somit beispielsweise für die Sprachkurse zugunsten der alteingesessenen Migranten nicht mehr übrig, wobei die Sprachkenntnisse als maßgebliche Kondition der Integrationspflichten gelten und die Absicht, sich einbürgern zu lassen, als Grundmauer steht - auf dem Blut- und Boden-Bürgerrecht. Und dieser Grundtext findet sich im täglichen Gickgack der Kolonisatoren-Kolonne im integrationalen Gefilde - als humanitäres Gewächs.

Die präventive Paradigmen-Poesie, welche die Fraktions-Fabulisten des Gewaltkartells am laufenden Band faseln, entpuppt sich in allen ihren Phasen als pappesatte Phrasen des Wohlfühlpatriotismus. Denn pausenlos recken die parlamentarischen Stimmenjäger und parteienparate Nomenklatur ihren populistischen Stinkefinger Richtung „Parallelgesellschaften“ und nähren - unstrittig hinter ihrem neorassistisch notorischen Notschrei - die Flamme des extrem rechten Randes im volksstaalichen Gesamtgefüge. Man gibt den halbwüchsigen Prolltypen der Nation, die in neoliberalen Novellen als Verlierer eingestuft werden und die daher für ihre Zornröte noch geschwächtere Sündenböcke erwählen, das Vorgefühl, auf Aufmerksamkeit stoßen zu können, wenn sie zuvor den starken Mann markieren. Hinter all dem konzertierten Allerlei steckt die Parodie der völkisch mentalen Majorität. In einem solchen Amphitheater werden die Täter gleichermaßen zu Opfern dargetan wie ihre Opfer. Indirekt werden sie für ihre Mannestat sogar mit kurzweiligen Garantien, Kumpaneien und Hanswurstiaden honoriert. Die Exponenten dieses kulturalistischen Szenariums exotisch imitierten Exemplars treten das Prinzip auf die Hacken: Potentielle Opfer lassen sich leichter und beherrschter züchtigen als reale Täter.

Die Taufpaten des demographischen Reservoir-Kanaken und ihrer germanischen Gegröle-Gegner wollen nicht zu Gesicht bekommen, was sich außerhalb ihrer Sichtgrenze abspielt. Doch heiter dreht sich auch das Erdenrund der Metöken und Heloten weiter.

Necati Mert

   

Beiträge für´s Internet, von der aktuellen Ausgabe unabhängig

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  Letzte Änderung: 31.01.2007