Necati Mert´s Kolumne

Trüber Trubel in der Tretmühle »Integration«

   
Die Netz-Brücke
 


Es gibt kaum ein Wort, mit dem solange soviel Geschäft gemacht wurde wie das der Integration. Was steckt hinter dem Geschrei? Was enthält der Schrein?

Vollzog sich seit den Normativ-Novellen der Staatsbürgerschafts- und Ausländergesetze eine Wende in Deutschland? In dem Sinne ja, wenn die Wende bedeutet, daß man sich umdreht und wieder einen Blickwinkel vor sich hat, den man lange hinter sich glaubte.

Festgefahren auf die kollektiven Verdrängungsmentalitäten in der ökonomistischen Verwertungsanstalt des Fremden reflektiert das national partizipierte Konsenskartell ausschließlich den altbackenen Leitspruch "Integration" und schlägt die notwendigen Novitäten für eine entethnisierte Gestaltung der Staatsbürgergesellschaft aus dem Felde. Also leugnet das Groß-D die Autonomie der Migration.

Das mit geschlossenen Elementen der Dramaturgie der parlamentarischen Theatralik paraphrasierte Paragraphenwerk "Zuwanderungsgesetz" bezieht die bislang eingewanderten Menschenländer (Arbeitsmigranten & Flüchtlinge) nicht einmal ins Themenfeld der "Integration" ein, sondern verweist sie in die Marginalien der Geduldeten. Wiederum gilt das Augenmerk der Regeltüftler vorrangig der provisorischen Rekrutierung von mikroelektronischen Industriesöldnern und parodieren damit die Ära der Unterordnungsparadigmen aus den Gastarbeiterarealen.

Mit dem "Interkulturellen Zusammenleben" vervielfältigt man das agitatorische Vorstellungsvermögen. Zu stabil sind aber nach dreißigjährigem Trubel in der Tretmühle "Integration" die mentalen Paradigmen der Selbstdifferenzierung und Emotionen geworden, welche die subalternen Kulturalismen auf der Seite der Mehrheit fortsetzen. Dies hat zur Folge, daß auch die Rückzugstendenzen der Minderheiten in die ethno-kulturellen Sperrzonen verstärkt steigen. Es genügt nicht, wie in manchen strukturkonservativen Denkwerkstätten praktiziert, auf diese rückwärtsgewandte Entwicklung warnend und sogar angstschürend hinzuweisen, vielmehr setzt der Aufbau einer Staatsbürgergesellschaft Mut und Mühsal voraus.

Das Protobild "Ghetto" enthält Konturen der Kriminalität, vor allem des ethno-kulturell Imaginären, was im breiten Publikum als "türkische Jugendbanden" Karriere macht. Hier wird eine "Neidgesellschaft" zusammengesetzt aus den Verlierern der Liberalisierungsarena, gegen die Quartiere der als Eindringlinge abgewerteten Reservearmeen - vor allem durch die mediale Zunft.

Hervorgerufen hat das Leitwertprodukt der "bedauernswerten", daher "integrationsbedürftigen Fremden" einen solchen Marktbereich, der sich nicht an der Nachfrage aus der Mitte der Allgemeinheit orientiert, sondern lediglich an den Bedürfnissen der sozialpädagogischen Beschäftigung mit der Randgruppenthematik. Es dreht sich dabei nicht um ein gesellschaftliches Handikap, sondern um ein Problem der Gesellschaft mit Außenstehenden. Nicht um die Frage, welche wesenhaften Korrekturen vorgenommen werden müssen, sondern um das Flicken von Fragmenten zur Zunahme der Kraftquelle gegenüber den Pannenphantomen fremd-georteter Fontäne.

Während die fraktionellen Soziusse des Konsenskartells die neoliberale Libertinage gegen das Egalitäre ausspielen und sich über die verkorkste staatliche Bürokratie beklagen, paraphrasieren sie jeden Ansatz, die Autonomie der Eingewanderten aus dem Bewußtsein zu verbannen. Sie lassen einen Berufsstand modellieren, dessen werktätiges Gewicht darin besteht, aus dem importierten Menschenmaterial Humankapital zu basteln. Vor dieser Kulisse spielt nun auch das "Salto Kommunale" kommunitarischer Affekthandlung, dessen Akteure nur noch auf den integrationalen Knopf drücken müssen, damit ihr Publikum als Laien der Inszenierung hervortreten. Dieser Fremdenbedarf kommt schließlich dem Auffüllen der Spott- und Spaßgesellschaft zugute, begleitet von folkloristischer Exotik, aber auch von fortschreitender Ethnozentrik.

Zu den vermarktungsreifen Themen in diesem Nischenmarkt, auf dem eine Vielzahl ziviler Societäten mit universitären, medialen, sozialarbeiterischen oder humanitären Projekten handeln, gehören als andere Seite der Medaille eine Vielfalt von Objekten, die in Generationen aufgeteilt werden, in Geschlechter oder in aufenthaltsrechtliche Konstellationen wie Einwanderer und Flüchtlinge.

Gleichlaufend stagniert die öffentliche Debatte zunehmend, und die Klasse der Mandatsträger begnügt sich mit der Verkündung, daß sie vollkommen in ihrem Tun ist. Hieraus resultiert die permanente Assoziation obiger Objekte mit dem stillen Begriff "unterentwickelte Fremde" und die Aufforderung an diese, zivilisatorische Fähigkeiten zu assimilieren und ihre Urbanität nachzuweisen, wenn sie den Bürgerstatus erwerben wollen.

Darauf wurde das gesamte Integrationsregime aufgebaut, als deren kosmetische Begleiterscheinung die flutartig florierenden Studien und anderen Printprodukte gelten. Darin tauchen die eingewanderten Gruppen nur als Probanden der Projekte auf und keinesfalls als ihre Mitgestalter. Vor diesem Hintergrund ergeben sich vielfältige Fragestellungen, deren Antworten die gesellschaftliche Notwendigkeit und Dringlichkeit utopischer Attacken verdeutlichen:

Infolge des ständig steigenden Wertes globaler Ethnisierung tendiert vor allem die türkische Minderheit zur Bildung stabiler "Communities", was im gemeingültigen Wortschatz als "Parallelgesellschaften" oder "ethnische Ghettos" Furore macht. Laut wird dagegen die Standpauke geschlagen, daß sich ein " Volksgruppen- und Minderheitensektor" wider das "Integrationsgebot unter Wahrung kultureller Eigenheiten" etabliere. Vor der fiktiven Gefahr, daß der global angeblich unvermeidbare "clash of civilization" auch in den Metropolitan-Societies Fuß fassen kann, läuten die Warnglocken.

"Die ethnischen Konflikte nehmen zu, damit auch die Gewalt, und die radikalisierte Moderne mit ihrer hohen Veränderungsgeschwindigkeit treibt die Gesellschaft auseinander." So heißt die These, welche immer stärker verbreitet wird. Sie porträtiert jedoch lediglich das, was sie vom Schneidersitz auf dem Strohsack aus sieht. Sie führt den ethnischen Radikalismus auf soziale Benachteiligung zurück, warnt vor den karnevalesken Auftritten der marginalisierten Jugendlichen aus den türkisch-kurdisch-islamischen Communities, vermeidet aber gleichzeitig, in das Reservat der zeitnahen Parias hineinzuschauen. Was übrig bleibt vom ganzen Wirrwarr der Studien-Stukkatur ist dies: ein Regelwerk von Legitimität, in welchem dem angeblich homogenen Staatsvolk als hegemoniale Universalmacht nichts anderes übrig bleibt, als sich durchzusetzen, wie auch immer.

Das Schicksal der Eingewanderten, ob mit erworbenem Bleibe- oder mit Gastrecht, vor allem derer aus dem Vorderen Orient, hängt von der Richtung der Entwicklung ab. Geht es in Richtung Anerkennung als vollwertige Staatsbürger, so gibt es Hoffnung auf einen Prozeß hin zu einer kosmopolitischen Gesellschaft.

Wie immer sie bezeichnet werden, "ausländische Wohnbevölkerung" oder "migrantische Minderheiten", deutlich erkennbar ist eine Tendenz bereits heute, auch wenn die Ladenhüter der "Gastarbeiter-Ideologie" sie nicht wahrnehmen wollen: der Selbstverwirklichungskurs der Einwanderergesellschaft gelangte längst in den Markt der Mitte. Aus ihr erwuchs ein wirtschaftlicher Faktor.

Während die Repräsentanten der öffentlichen Gewalt von "sozialen Brennpunkten" sprechen, vollzog sich dieser Prozeß: Die einstigen Gastarbeiter und ihre Nachkommen machten aus der Not eine Tugend. Der dem System innewohnenden Arbeitslosigkeit begegneten sie mit der Selbständigkeit. Im übrigen haben verschiedene Studien nachgewiesen, daß die Eingewanderten den dynamischen Teil der Modernisierungsprozesse ausmachen.

Gewiß: Der Globalisierungskorso verursacht Wirrwarr, Zwiespalt, Furcht davor, daß gewisse Bequemlichkeiten verloren gehen. Der historische Prozeß läßt sich aber nicht allein auf die ökonomischen Zwänge der mikroelektronischen Revolution reduzieren. Dabei gilt es auch den Effekt zu sichten: Die Erde ändert sich, mit ihr die Menschenlandschaften. Die Mobilität hebt die gewohnten Grenzen auf. Die Erdenbürger öffnen sich, ihre Areale verlassen die völkischen Sperrzonen.

Auch der Morgen der kosmopolitischen Lebensformen bricht an. Zwar ziehen sich die Menschen noch ins Terrain des Gewohnten zurück, doch das ist eine Übergangserscheinung. In den metropolitanen Quartieren wachsen die Früchte selbstbestimmter Lebensformen. Sie überwinden die Mauern, verweisen die Epoche der Nationalstaaten ins Museum.

Zu beobachten ist nach wie vor eine steinharte Majoritätsideologie, für die die eingewanderten Minoritäten die Quarantäne der Probleme nicht verlassen haben. Gehandelt wird auf dem Markt der Medien mit Konflikt- und Katastrophenbildern, der "Invasion der Armen" in die metropolitane Idylle der Supermärkte, mit Autochthonen kontra Allochthonen. Gespräche über die Parallelen von Denkstrukturen im Konfliktfeld zwischen Partikularismus und Universalismus werden verdrängt.

Dagegen stellen die Attacken auf den kulturalistischen Konformismus nicht die Negativfolie in den Vordergrund, welche im Zusammenhang mit den Folgen der Globalisierung stehen. Vielmehr zielen sie auf eine morgenbunte, hofmungsfrohe Zukunft.

   

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  Letzte Änderung: 11.12.2007