www.bruecke-saarbruecken.de

Mehr lesenswertes Textmaterial

Reinhard Bernhof: Goldgräberland

Juli 2007

   
Die Netz-Brücke
 


Auf Straßen, Plätzen:
Wurzener Teppiche, abgelatscht, Sofas, Küchenteile, die sich
durchnässt im Regen beulen, Bücher, Türme
   von Sperrmüll
ein aus dem Leim gegangenes Klavier, das zerbeulte Saxofon
das nicht mehr auf den Busch klopft
(nach der Re-vo-lut-iong, als wären es Reste von Barrikaden
wackelt Hausrat und Mobiliar)

Aber die meisten richten sich neu ein, träumen
von gekachelten Bädern, himmelblauen Pools
mit angegoldeten Armaturen, sagte mein Begleiter
BBC-London (aber ich glaube mehr vom Yard)
weiße Haare in Wellen zur Seite gekämmt
Reiste das erste Mal durch die Soviet-Zone, Botswanaland
(für Golf und Croquet braucht es noch Zeit)
Schmeckte die Luft, schlug sich eine Mücke weg, hielt inne
als hörte er fernen Hörnerklang, Frösche im Laubwerk
   brekett quak quak
Blickte durch den Feldstecher, sah trockene Disteln
zwischen Pflanzungen, baumartigen Gewächsen
nicht ganz anomale Menschen an den Feuertiegeln
mit gröberen Händen, vielleicht noch korrigierbar

und ihr falsch buchstabiertes Englisch
Schoß tausendelf Fotos, eins mit mir: Blätterschatten
wie blind gewordene Alu-Chips auf den Lebenswinkeln
der Gesichter, Masken
Fragte, wie weit ich verstrickt sei mit der Geheimlehre
   von Dr. Marx
sprach von Law & Order, schenkte mir den Reader’s Digest

Seitdem er da war, passten auch mir nicht mehr
die Türklinken zu Hause

Auf anderen Konterfeis verblichene Besitze, Herrenhäuser
davor wir standen auf kleebewachsenen Pflastersteinen
(Splendid inzwischen mit Sahnehäubchen, in denen wir waren
voller Hirschgeweihe, ausgestopfter Fasane, Vögel)
lästig liebenswürdige Schwäbele, Titeladlige in Dauerfaltenhose
unerträgliche Oberpfälzer, Wachsfiguren
verblichener Politik; einer mit Ansteckfliege à la Ribbentrop
sprach Rätoromanisch aus der Schweiz

Ich sah ihnen in die Augen, wir tauschten Rauchkringel
sie wünschten Verständigung, lächelten
   mit gespieltem Phlegma
Wir stritten, suchten nach einem Kompromiss
nach irgendeiner Übereinkunft, Eisklirren in den Gläsern
(unser fruchtbares Bündnis mit dem Feuerwasser)
Ich sagte Okay, begann mit dem Wetter
Einer wies auf die umliegenden Garagenhöfe
schätzte sie ab, zeigte in die Ferne, umspannte mit dem Finger
   einen Radius
wir aßen granatapfelrosig und ockerfarbig gebratenes Fleisch

Ich war von ihnen umstellt, die Menge
die neuen Heerscharen – Legionen wälzten sich auf der Autobahn –
in schnittigen Blechen: Sternzeichen, Ringzeichen
Tieren in Ellipsen
mit den besseren Radachsen, Motorgelenken ...
Sie kamen uns nicht näher, fielen in allen Hierarchien
über uns her

Jemand drückte meine Fußballerwaden, meine festen
menschlichen Sehnen, vertrauenswürdig haltbar
gut zum Verkauf, so wie man billige Aktien kauft
um sie teurer zu konvertieren
ein anderer zählte meine Finger, prüfte die Linien meiner Handkarte
zupfte an mir rum, an meinem Ohr, durchlöcherte mich
schenkte mir ne Perle, nen papageienfarbenen Schlips
ein dritter gab mir ein Fläschchen Ekzemwasser
schob mir sein kleines Grundgesetzbüchlein
in die Arschtasche

Sie trieben mit mir ihre Späße, ich trieb sie mit ihnen
(Spott war mir erlaubt, aber leicht zu ertragen
   sollte er sein)
Ich sagte: hab mehrere Frauen, leb in Promiskuität
koche am offenen Feuer, ernähre mich von unreinen Speisen
esse Wurzeln, Insekten (lebendige Proteine)
benutze Blätter anstatt dreilagiges Toilettenpapier

In meinem Denken sehe ich oft Zusammenhänge aller Dinge
überlegte ich
schmiedete Pläne, sie könnten zu was führen

Aber sie, luftig wie Popcorn, wollten davon nichts wissen
klappten ihre Augendeckel herunter, hörten weg
hatten ihre eigene Religion im Aktenkoffer
brauchten mich für ihr Pyramidensystem, um ihre Waren
wie ein Sektenangehöriger, Guru
mit vollendeter Gehirnwäsche auszutrompeten

Ich schrecke vor Zusammenstößen nicht zurück
doch ich versteckte mich mitunter hinter des anderen Zunge
tadelte mit verkniffenen Augen, was sie tadelten, lobte
was sie lobten, lächelte ein bescheidenes Lächeln
wechselte das Hemd bei jedem Wort

Sie teilten die Starken ein: Wasser hat einen neuen Besitzer
(noch nicht das lebende aus meinem Brunnen)
Windhändler sind sich einig, Standard Oil Companys
übernahmen Schwedt, Leuna-Minol
Chemietrustmagnaten Bitterfeld, Schkopau
Überall in der Welt werden Schlachten für sie geschlagen
dehnen sich ihre Phalanxen aus
(Die neuen Stahlleute, Holzleute, Gummileute, Papierleute
Leute für Milch, Mais, Kaffee, Zucker ...
nur nicht welche aus Fleisch und Blut)
Sie sind mit den Steuerhinterziehern, Geldpriestern
Banksafes-Geheimnis-Bewahrern in allen Richtungen
   der Windrose verbunden
Mit dem Eigentum des Volkes, zu Abbruch erklärt, Planierraupenschutt
werden sie sich noch mehr Freiheit kaufen
wohliger denn je sich zwischen neuen Schätzen einrichten

Das Land ein riesiger ausgetrockneter Krater, sagte alsbald
ein Holländer auf dem Marktplatz
neben dem Info der Ökopaxen-Sonnenblumenpartei
verkaufte Yucca-Palmen, Washington-Palmen
im Siebenerpack
         und eins drauf: Tulpenzwiebeln

Mein Tisch gedeckt mit leuchtenderen Mustern
allen Farben, die man begehrt, auf Schnabeltasse, Keramikschale
voll Weißbrot, schaumgummiflockig
Früchte ganz anderer Sträucher, Bäume: Kiwis
California-Nektarinen ...
Der pinkfarbene Aufschnitt auf der Porzellanplatte
neben den in geriebenen Nüssen gerollten Roqueforthäppchen
Einsam mit meinem Warenwägele, zwischen Kaschmirpullis
und Slips
      Luftschlangen und Plexiglasfliegen
die sich ins Bier werfen lassen
die großen bunten Bücher: Silber-, Goldstanniol
pralinenschachtelgleich
Welches Buch aber lesen Sie wirklich gern in dem ehemaligen
neonlosen Land?
         Den Bestseller von Otto Verstand
(Dagegen in der neuen Kondomerie am Markt gibts auch nur
gewohnte Besamungsfallen: Mostkappen
             Mondos
wenn auch feuchter, mit Fasern, Widerhaken
für allerzarteste Geschlechtsorgane)

Überall Wohnwagen voll Nebellampen:
Baulückenfilialen einer Bank (wie klein sie anfangen müssen
ohne Totengold der Juden

bis sie Marmorschlösser, ultramoderne Kathedralen
mit Münzurnentürmen sind)

Zuhälter im Gefolge, Campingfahrzeuge, Trailer
en masse
      neonrosa
gelbe Mädels, schimmernde Frauen, moosgrüne Augen
verkappte Berührungen
Sonne, Liebe nicht zugelassen von ihren Zungen, Schamhäuten

Kredit-Syndikate überbieten einander
Besitz-Vermehrungstempel
            (Gynäkologie-Look)
Vestibüle aus Marmor, Galerien aus Laterit...
(Verherrlichung des Gewinns, der Macht
um jeden Preis
      ob gestohlen oder usurpiert
bis zum kalten Schweiß, bis zum braunen Scheiß)

Einmal ein schwarzer KJ-Jaguar vor meinem Fenster
ein Typ stieg aus in Nietledernem, Ohrclips, Nackenspoiler
ein Schmetterling in gelben Kniestiefeln flatterte hinterher
ein bunter Vogel in Lodencape ums Haus, mit diesem Zotti
   an der Leine
Sie sahen zu mir hoch, einschließlich Hund, an mir vorbei
nach der Salpeterspur bis zu den Gaupen

Es fiel mir schwer, wohnhaft zu bleiben
sie hatten in mir nicht ihren hingegebenen Mieter

Meine Meinung längst passé
davor die eine, danach die andere
(nicht Liberté, die wir errungen, bis sie funktioniert)
für die mittels Grimassen im richtigen Augenblick, in enger
Gemeinschaft, nebst Leuten alter Parteien, neuer Hierarchien
– Circulos vitiosus – wenige von uns, schmeichelnd, hüpfend
springend
      ins Reich gut bezahlter Öffentlichkeit kamen
zu den halbverdauten fremden Gedanken, schnellgelernten
   neuen Enzykliken
Anbequemte, Freiheitskrämer des Augenblicks
Wunderland-Alice, Blockfreund-Pastor (seine nachgelassene
   Ehrwürdigkeit)

Sie lächeln, wispern, juxen auf Essen, Bällen, Konferenzen
wickeln ab, schließen aus, entwenden in allen Rahmen
derweil arbeitslos Gestützte
            Neuzeitfehlgeburten
apathisch durch die Gegend streunen, illu lesen, vergeblich
in den Horoskopen stochern

Ich zog mich zurück ins Dickicht meines Gartens, Exil
Mittelpunkt der Welt, des Universums, um alles zu vergessen
was draußen wirbelt
Trag nicht Lendenschurz aus Blättern, dagegen meine alten
Wolpryla-Shorts, Salamander-Fußhäute
um Brennesseleierkuchen, Kohlrabischnitzel zu backen
dich wie die Regenwürmer an der in das in Wahrheit allen Menschen
und Lebewesen gehörende Stück Erde
zu stoßen

Aus »Goldgräberland, Ground Poetry«. Plöttner Verlag, Leipzig 2007

   

Beiträge für´s Internet, von der aktuellen Ausgabe unabhängig

• Necati Merts Kolumne

• Mehr lesenswertes   Textmaterial

• Wider den Schwarzen Winter

• Porträt des Periodikums

____________________________

zurück zur
gedruckten Ausgabe

 

 

 

 

   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
        nach oben