Necati Mert´s Kolumne

Die Gegenwart der Geschichte

   
Die Netz-Brücke
 


"Wir kommen von weit her"
wußte der Verse-Werkmeister
Nazim Hikmet weiter
   "von sehr
      weit her"

Wir heiser im Ameisenmeer
dröhnend wie Donnerwetter
   im dornigen Daseinsringen
die wir vom kriechenden Kreaturen-Heer
zügig zu Zweibeinern übergingen
Wir wissen nicht mehr
genau den Start der Evolution
die es niemals gab ohne die Revolution
Dann kamen die Gottheiten
in unserem Streben nach Weiten
um uns zu trennen
   von unseren Früchten
um uns zu verbrennen
      von unseren Sehnsüchten

Wo unsere Mordgeschichte begann
   und genau wann
      weiß kein Weiser
und keiner wird erfahren
         wo sie enden kann
Unterwegs auf unserer Odyssee
   hörten wir die Sirene singen
ließen uns von unserem Weg nicht abbringen
Der Herr der himmlischen Heerscharen
   verwirrte uns gewiß
konnte uns aber nicht aufhalten
Jeder von uns hinterließ
      einen Brocken Beiwort
         vor uns in jedem Ort

Wir sind in Territorien gedrungen
haben Terrains und die Scheidewand erzwungen
anfangs als niemandes Eigentum
Nachdem wir in faulen Feluken
und auf unseren Schultern nur
unsere kranke Mutter Natur
auf den Wogenprall gestoßen hatten
überquerten wir in Fähren
die Meere und Atmosphären
die himmlische Sirenen-Schlucht
   behielten in uns
      die Bucht der Sehnsucht

Kriege waren kaum vom Vermeidbaren
zwischen Besitzstandsbarbaren
   und Universums Urbaren
zwischen Patriziers und Parias
   Demokreatur-Despoten
      Desperados und Zeloten

In Pax ÖkoLogen bequemt sich halt
   die kranke ÖkoNomenKlatur
die Soldatesken-Sentiment ausstrahlt
      immer in Miniatur
reservierte Solidaritätssalute
an Apostels resolute Absolute

Alle Spiele angebändelt
üben sie jetzt KlimaAlarm
täglich eine Generalprobe gebündelt
mit Mäuse-Lärm und Gendarm
wenn der Morgenstern dämmert

Hinter humanitaristischem Rauchschleier
   und dem Horst der Geier
Sorgenadel-Agitatoren der feinen Luft
betätigen Sirenen-Signal
      gegen Sargnagel-Qual
auf Mount-Everest-hohen Wellen
Retro-Reform-Rhetoren reiten
hinter Schickeria-Schikanen her
Besitzstandsbestien verbreiten
   sich in allen Breiten und Weiten
in Formation der Borderline-Brigaden
mit Eliminiationseliten auf Demograden
         Über-All-Alien und Hurien
fest auf den Fährten der Fanfaren-Furien
kommen angetanzt auch noch
die sakralen Scharlatane der Scharia
im Pakt mit Schaitans Schakalen
üben das Recht auf Parias Angaria

Auf Krakenkorpus fundiert
die Hyänenhymne der Mäuse-Mystiker
   klassenkategorisch grundiert
Hervor tritt wiederholt
aus dem Rauchnebel der Herold
erobert den blutigen Bravour-Turm
verkündet den kollektiven Morgensturm
allerlei auf die permanente Prä-Power-Partei
   und die Bestie der Besitzstandsbastei

Barke-Barbaren vor der Besitzstandsbastei

Es war einmal Streetfighter JoJo Fischer an der Spree
Er liebäugelte mit Zombi-Cäsaren im Teutonen-Turm
      und turtelte mit Mulattinen-Fee

Erst regnete es in Strömen und hielt die Wächter wach
Das Mittelmeer trank die Lebensmilch tränenlau
Dann stieg die Sonne zitronengelb auf
   und vertrieb das Wolken-Wallach
Stunden später – es war Abend – Land
      und es war pflaumenblau
Die satten Ratten miauten hinter Krakeel-Katzen her
   jagten johlend nach Heimlichen-Heer
und memorierten Jägerlatein von maritimen Martern
Sie brachen auf und es war immer Neumondnacht
   haben schwermütig gesungen
die Camarades im mondialen Menschenmeer
   zogen tränen- und blutnaß zur Schlacht
wurden vom salzigen Wasservampir verschlungen
bevor die Umrisse Almerias am Fontänen-Horizont
   Gestalt annahmen hinter der Femme-Fatale-Front

In Feurteventuras Privatier-Park prahlt der Prassueren-Pakt

Über das Manöver der Minerva, der Korvette der italienischen Militärmarine, in der Nacht vom 18. auf 19. August 2006

Lange warst du namenlos
bis du sechzig Camarades das Leben nahmst
Minerve für die Gloria der Fortness Europe bloß
Schwielige Hände schweigen sehr geschwind und wild
   sterben langsam und lautlos
   wie die Besiegten im Blut-besudelten Bild

Schwielige Hände sprechen schwierig
Minerve und feurig bist du und gierig
den Spätlingen der Schwarzhemden Anwesen
bist einst Metall gewesen
im Kastrierten-Kastell der Kröten-Kaste
mit seinen Hünen der Agora-Hunnen
wenn sie Börsen-Blätter memorieren fleißig
      und sich brüsten bärbeißig

Schwielige Hände schwimmen im Schnee
   schreiben Schrei im Schatten
      schmieden Schwert-scharfe Idee

Kennst du die Mordgeschichte Kunta Kintas
Minerve aber nicht jene Gefilmte des Galeerensklaven
   aus dem Jahrhundert der Humanitas
sondern das Abenteuer des freien Braven
Negros aus dem Niger-Delta und dort herum
   im postkolonialen Weltalter
      dem dritten christlichen Millennium
der in einer Mondnacht den Globus der Weißen ausgrub
auf dem Konsumenten-Tempel Flagge hieß
      und einen Schrei losließ
"Dort gehe ich auch hin nicht nur im Denken
um Meinigen ein Nest unterm Firmament zu schenken
unter einem aus reinem Licht geflochtenen Netz
Morgen werden andere Steuer lenken"
Dann schwieg und erhob Kunta Kinta die schwielige Hand
"Morgen um den gleichen Moment im Schlaraffenland"
dachte er schwer und lachte sehr
   – Ketten klebten an ihm wie Kletten –
und sprach nicht mehr
als die nötigen Worte über die Medien-Meute:
„Es gibt Leute
   die hinter unserem Unglück herlaufen
      und Ruhm und Reichtum erlangen,
         wenn sie unsere Leiden verkaufen."

Dieser Tunka Tinka nahm als Clandistinos Aventurier
um das weite Brot mit etwas Beikost zu erlangen
den Umweg dem mediterranen Teich entlang
gelangte in die Levante beim Freudes-Gesang
machte einen Bogen über kahle Gegende
spuckte in seine schwielige Hände
und glaubte am Ostufer vom Marmarameerarm
dem Boden des alten Kontinents Fuß zu fassen
nach staubigen Stegen und Straßen
geriet westseits von Evros in Mienenfelder
verlor seine Beine und das Licht
nahm sich im Haftzentrum auf einem Eiland das Leben
Es war so blind die Aussicht
wie ein Kormoran im Blutmeer ertränkt wurde

Kennst du das Abenteuer Kunta Kintas
Minerve unterwegs in den Tod
   in einem hölzernen Boot

Fremd von Robinsonaden und Sonnensonetten
   von Seemannsgarns und Odysseen
Fremd und verschämt
   verklemmt und verfemt
von Freiheits-Armaden und Star-Treck-Maskeraden
         von Fanfarade-Paraden

Kennst du die Fahrt Kunta Kintas
Minerve in den Tod
   vor den Toren der Humanitas
      auf der Flucht vor der Not

Auf die Fälle der Furie stoßt täglich ein Schrei im Floß
Einsam in Archipelagos
   endet ein Clandistinos
      hinterläßt keine Spur in Heroen-Epos
Bordeauxrot der Abend und brotbraun
   der Augenwinkel und Missionaren-Gehalt
im Zirkuszentrum der clownesken Eine-Welten-Gewalt

Nicht allein im mediterranen Teich
   voll von Früchten aus dem Träumer-Reich
      im Blut-bemalten Bild
         unterm braun gegossen Schild
Dort Rio de Janeiro hier Kanaren
Wenn der Herr der himmlischen Heerscharen
   über den Morgen wacht
im Dachgeschoß der Eldorado-Schlacht
und sich das Dolce-Vita-Getto abwehrt
   beneiden Favelados Clandestinos
      und umgekehrt

Dichter der Migrantenflut
verfügen über eigenes Sprachgut
verfluchen das Gewesene der Arier-Zunft
pflanzen in jedem Wort die Sehnsucht
   nach der hungerfreien Zukunft
      in Fernweh fruchten Elegie
         begleiten die Flucht

Über die Schwiele und Hände

Schwielige Hände schlagen Alarm
wiegen wohlan Scharlach-farben
   folgen dem frühen Blüte-Schwarm
      in feuchten Brandnarben

In schwieligen Händen schwellen
   schäumend das Schrillen der Wut
      und Wellenberge der Flut
Sie besteigen im Nebel Seewogen
   schnellen hoch auf den Regenbogen

Schwielige Hände sprechen Blut
   spucken in Not Sonnenglut
Schlangen-schräg melken
      sie aus der alten Ätherbrust
          stern-schlanke Mainelken

Schwielige Hände sehen Geschwistern
zu und verneinen die Mär des Urknalls
   lassen nichts im Gestern
      verzeihen niemals

Schwielige Hände sind schneidig
oder schlechthin wehleidig
   im Meritenmeeting der Abenteurer
      der Abendandacht-Märtyrer

Schwielige Hände schwimmen
   im Horrormeer der Heerscharen
klagen voll Krallen und knallig an
      den hochbetuchten Eine-Welt-Klan

Schwielige Hände schaffen schmierig
   schwarz hinter der Schleiermauer
schwärmen auch neugierig
   nach dem warmen Regenschauer

Schwielige Hände sind schwach
   weinen manch einmal Ach-Wach
scheinen erfaßt zu sein
   von Samumschlacht und Schmach

Schwielige Hände schlucken Schikanen
vom Schwergewicht der Schickeria
   als permanent Primitiv-Paria
können nicht so schminken
      wie die Pinke-Pinke-Linken

Schwielige Hände spicken
   Protestpost an die Schicken
fordern das Geschick der Geschichte heraus
      hinter hohem Warenwerthaus

Schwielige Hände schrecken
auf den fernen Serpentine-Strecken
   die heiligen Fanfaren
stürmen den Turm der Luna
      und der Halleluja-Scharen

Schwielige Hände schieben
die Heimlichen der Humanitas ab
schmeicheln dem Spionage-Stab
   in den Hochprofit-Betrieben
      schaufeln den ihrigen das Grab

Schwielige Hände schüren
an der Werkbank Zwietracht
   mit speckigen Schwüren
      schmieren die wacklige Supernacht

Schwielige Hände schielen
   zur Pracht der Niedertracht
schnüren die unfrankierte Menschenfracht
nach dem Metier der Majoritäten-Macht

M. Kurtulus

   

Beiträge, die nur im Internet und nicht in der gedruckten Ausgabe erscheinen

• Necati Merts Kolumne

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• Wider den Schwarzen Winter

• Porträt des Periodikums

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  Letzte Änderung: 17.6.2008