INTEGRATIONALE INTENTIONEN


Ausdauer und Gelassenheit

Zum 40-jährigen Jubiläum der Einwanderung Riza Barans

Von Walter Schmidt

 

Häufig wird darüber spekuliert, welche Charaktereigenschaften in der Politik wichtig sind. Zum einen, um sich gegen tradierende Kräfte durchzusetzen und zum anderen, um nicht aufzugeben - sollte es auch noch so schwierig erscheinen Veränderungen anzustoßen. Der Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung in Friedrichshain-Kreuzberg, Riza Baran, besitzt diese Eigenschaften. Musste er auch. Schließlich hat er sich 40 Jahre als Migrant innerhalb der deutschen Gesellschaft bewegt.

Mit 21 Jahren kam er 1963 als Student aus der Türkei nach Deutschland. Seit 1970 lebt und wirkt er in Berlin. Bis vor einem Jahr war er noch Berufsschullehrer. Das passt zu seinem Charakter. Denn auch für einen Lehrer sind Ausdauer und Gelassenheit notwendige Charaktereigenschaften.

Als solcher hat er auch in seinem außerschulischen gesellschaftlichen Umfeld gewirkt. Dabei hat er Diskussionen angeschoben, Fragen gestellt und Initiativen aus der Taufe gehoben, deren Wirkungen sich oft erst dann zeigten, als er sich schon anderen, neuen Problemen widmete. Sein Weg verlief nicht schnurgerade, aber ein roter bzw. grüner Faden der Kontinuität ist unübersehbar.

Schon 1972/73, als nach dem Olympia-Attentat eine antiarabische Hysterie über das Land schwappte, stellte er sich dem Trend entgegen. Analog zu einer Frankfurter Initiative gründeten er und seine Frau mit dem befreundeten Ehepaar Massarrat die im Familiengarten beheimatete “Interessensgemeinschaft der mit Ausländern verheirateten deutschen Frauen” (IAF).

1975 schloss sich die Gründung des “Kultur- und Hilfsvereins” an, der kurdisch orientiert war. Dort, in der Böckhstraße, kam öfter ein gewisser Reimund Helms zu Besuch und agitierte mit proletarischen Parolen.

Von der Notwendigkeit überzeugt, die vorhandenen Initiativen bezüglich der Ausländerpolitik zu vernetzen, wurde das Ausländerkomitee (1976/77) gegründet, auf dessen Gründungstreffen auch Otto Schily zugegen war und die Eröffnungsrede hielt.

Es war die Übergangszeit mit dem Auslaufen der zersplitterten kommunistisch orientierten Kadergruppen und der organisatorischen Findung des basisorientiert-antiautoritären Flügels der ehemaligen Studentenbewegung.

Am Ende dieser Übergangszeit stand die Gründung von grün-alternativen Parteien. So auch im damaligen Westberlin. 1978 wurde die Alternative Liste (AL) gegründet. Viele Diskussionen gingen dem Voraus und begleiteten forthin die Geschichte der Partei. Immer mittendrin: Riza Baran. In den Diskussionen versteht sich. Denn darauf kam und kommt es ihm an. Eine Formale Mitgliedschaft war zweitrangig.

Zu jener Zeit war er Vorsitzender der Ausländerkommission der GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) und begrüßte von Anfang an den Einsatz der AL für Minderheiten. Als kompetenter Berater von Migranten konnte die AL ihn 1980 dafür gewinnen als ihr Vertreter im 1971 gegründeten Ausländerbeirat mitzuarbeiten.

Als die AL im Jahre 1981 ins Abgeordnetenhaus einzog wurden die Ideen Riza Barans vor allem durch die Abgeordnete Rita Kantemir auf die parlamentarische Bühne transportiert. Bei der Entstehung des “Memorandum zum muttersprachlichen Unterricht” (1983) war er federführend beteiligt. In den folgenden Jahren schärften sich die programmatischen Aussagen der Partei und erreichten zunehmend die betroffenen Migranten. So zog Sevim Celebi 1987 als erste Migrantin in ein deutsches Parlament ein. Unterstützt wurde sie durch ein grünnahes immigrantenpolitisches Forum, das auf die Potenziale außerhalb der Partei zurückgriff.

1992, ein Jahr nachdem Riza Baran den deutschen Pass erhalten (und die Berliner Sektion von SOS Rassismus mitbegründet) hatte, kandidierte er für die BVV (Bezirksverordnetensverammlung) auf der Liste der Grünen und wurde gewählt. Dort kümmerte er sich nicht nur um das Thema Integration der Migranten, sondern brachte die Diskussion auch in anderen voran. Beispiele seiner erfolgreichen Aktivitäten sind:

Die Einführung eines Dolmetscherdienstes in der Verwaltung, die Gründung eines interkulturellen Gesundheitszentrums und die Städtepartnerschaft zwischen Kreuzberg und Kadiköy.

1995 gewann Riza Baran als grüner Direktkandidat den Wahlkreis 3 direkt und zog ins Abgeordnetenhaus ein. In den 4 Jahren seiner Tätigkeit öffnete er durch seine Beharrlichkeit und Freundlichkeit viele Ohren und Herzen für die Belange der Migranten. So setzte er die Entwicklung einer Migrationskonzeption für alle Teilbereiche ebenso auf die Tagesordnung wie er auch das Bewusstsein von Mitstreitern und Gegner dafür schärfte, dass Migration ein Querschnittsthema ist. Insofern überrascht es auch nicht, dass er mit allen anderen Politikbereichen in regen Austausch von Ideen stand, vor allem beim Thema Lernen und Gesundheit. Seit 1996 gibt der Senat einen Gesundheitsbericht mit einem gesonderten und ausführlichen Migrantenteil heraus, den es ohne seine Initiative womöglich gar nicht geben würde.

Überall, wo er gewirkt hat, hat er nicht nur seine Spuren hinterlassen, sondern auch Sympathie, Bewunderung und Vertrauen.

Kein Wunder, dass die Grünen nicht auf einen Mann mit seinem Wissen, seiner Erfahrung und seinen Vermittlungsfähigkeiten verzichten wollten und ihn 2001 dazu bewegten wieder für die BVV bei der Wahl zu kandidieren.

Auch kein Wunder, dass er sich einverstanden erklärte. Und es war ein Symbol für das ganze Land, als er dann 2001 zum Vorsteher der BVV gewählt wurde. Zur Zeit wird innerhalb der BVV-Gremien der von ihm entwickelte Antrag zu einer “Interkulturellen Agenda” für den Bezirk diskutiert. Getreu seiner Sicht sieht er in der Integrationsaufgabe nicht nur eine Querschnittsaufgabe, sondern er ist der Überzeugung, dass dies sowohl auf lokaler und nationaler wie auch auf internationaler Ebene angegangen werden muss, denn inzwischen ist der ganze Kontinent ein Einwanderungskontinent geworden.

Friedrichshain-Kreuzberg ist ein Symbol dafür, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Und kein Mann könnte den Bezirk treffender repräsentieren als Riza Baran, der vor 4 Jahrzehnten eingewandert ist!