XXIX. Jahrgang, Heft 153
Jan - Apr 2010/1
 
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Letzte Änderung:
3.4.2010

 
 

 

 
 

 

 

LYRIK


   
 
 


Felsenmeer

Wir haben uns eingegraben, Stollen an Stollen, die Wälder
   umgestülpt,
wir haben der Erde Schätze abgefackelt, sie jagt uns in
   Teer und Federn von dannen, nackt, entblößt, wie
   wir kamen,
uns bleibt die Flucht, die Wege, aufgerissen, zersprungen,
   wir haben die Berge abgetragen,
noch einmal, wir halten an. Wer grüßt?
Wir, die Steine, sie schmerzen, der Asphalt, die Sonne,
   noch einmal, es schmilzt, hängt fest, zieht
   Blasen,
wir werden mit Blei die Formen ausgießen.

Wir haben uns angestrengt, es waren Frauen, Kinder, die
   weinten,
wir haben der Sonne Gewinn abgeschöpft, das Licht
   gestohlen, ausgetrocknet den Fluß,
uns bleibt der Sieg, wir, niemand, der folgt, wir, wir
   greifen den Wind,
noch einmal, wir verbieten die Geschichte, keiner fragt,
   niemand erzählt.
Wir, der Marsch, ohne Ende, wir ziehen den Fischen die
   Kiemen lang, wir, Amphibien, erjagt,
wir werden in Stein jetzt feilgeboten.

Horst Bingel


***

ausgegrenzt

du bist ausgegrenzt
lebst doch in den grenzen
des gemeinwesens
ein gemeines wesen
das dich aussperrt
vor den toren der gemeinschaft
hinter einlaßgittern
einer demarkationslinie

du bist ein bürger
und sollst nur bürgen
zahlen für die solidarität
die man dir verweigert
du zählst auf uns
wirst nicht einmal ausgezahlt
am boden nur angezählt
weil du so fremd bist

büßt du mit der freiheit
die sie dir gewähren
wenn du dich anpaßt
mit der integration
wollen sie ausklammernd
die grenzen aufheben
wenn du so bist
wie sie es wollen

die hürden aufgestockt
als kind schon verbockt
das alter nicht angedockt
die mitte schon abgezockt

Manfred Pricha


**


Liebe Worte

Laß die Welt schlafen,
Die Liebe macht wahr,
Der Kopf ist kein Gefängnis,
Der Leib kein Steinbruch,
Das Herz kein offenes Buch,
Laß die Welt fliegen,
Du mußt nicht betrügen,
Kein Heil in Lügen,
Die Liebe .macht wahr,

Wenn es denn Worte gäbe
Statt Luft,
Solche, die wir uns nicht an
Den Kopf werfe, auf dass
Er blute, und auch solche
Nicht, die wir ausstoßen
Wie Schneegestöber,
Um den und die anderen
Damit einzuhüllen,
Bis sie nichts mehr sehen,
Geschweige denn solche,
Die aus unseren Mündern
Rinnen wie flüssige Zuckerwatte,
Mit denen wir einschleimen,
Einwickeln, umgarnen,
Wenn es also Worte gibt,
Die uns aufmerken,
wachen lassen,
Dann solche der Liebe,
Gleich, ob sie denn schmerzen,
Wie bittere Medizin,
Oder ob sie frohlocken lassen
Wie Blütenhonig,

Laß die Maschinen ruhen,
Die Liebe nimmt ihren Lauf.

Hadayatullah Hübsch


***


hange?

Der klägliche Rückzug
aus Vietnam,
Gifte flammen
durch die Adern
der Soldaten
und vernichten die Hoffnung
auf ein Neues,
das. die Lieder
gegen den Völkermörder Johnson
verstummen lässt.

Der taumelnde Sieg
über den Irak,
der Staatsführer
erstickte am Galgen,
düster und grau
war seine Zelle,
in der man ihn sterben ließ,
damit der andre Präsident,
George W. Bush,
triumphiere.

Und jetzt,
Afghanistan,
man treibt bewaffnete
Krieger her
ins Feuer,
als müsse man
noch immer
den Frieden,
Barack Obama,
mit Blutopfer kaufen.

Wilhelm Riedel


***


Die Staatsmacht

Die Staatsmacht gibt sich kühl,
staatstragende Symmetrie,
rechte & linke Hirnhälfte,
gleichgeschaltet.
Der Exterminator steht nicht im Hintergrund,
aber er ist hinterhältig.
Die Wirklichkeit ist abweisend,
heute,

die Nässe des Kopfsteinpflasters (Cobble Stone Garden),
die Feuchtigkeit der Luft (Wasserpartikelchen fein),
schwer atmend,
das diffuse Licht der Straßenlaternen in der Dunkelheit der Nacht.

Vereinzelte Autos als Relikte längst vergangener technischer Epoche.
Schickt man bei so einem Sauwetter einen anständigen Bürger auf die Straße?
Bin ich der Fool on the Hill?
Gedanken, die einem kommen, wenn man schaut,
was man auf seiner Gabel hat.

Holt den hohen Reiter von seinem Roß,
& stürzt auch das Roß von seinem Sockel.
Ich will es bunt,
einen Sommer der Liebe,
eine Cool Rebellion,
was immer das heißt,
Hauptsache schrill.

Peter Oehler


***


neuer sozialer frieden

unter der Oberfläche brodeln
die innerlichen kündigungen
es wird weiter umverteilt
– von unten nach oben –
schwarz-gelber eiter
zeigt sich in den wunden
die Spaltung geht weiter
trotz zaghafter gegenwehr
die schichten gruppieren sich um
vom obszönen reichtum
bis zur schreienden armut
eines tages findet sich bürgerkrieg
trotz der zensur
wäre eine lange strecke
bis zu einem neuen sozialen frieden
wir müssen sie gehen

Fred Luhde


***


Mutter

Lass stehen, auf dem Tisch das Brot
im Krug das Wasser
Lass den Spiegel stumpf, schmutzig die Fensterscheibe
Dein Haar so durcheinander,
deine Augen so schläfrig.
Gieß die Blume im Topf nicht, lass die Katze
warten auf ihren Brei in einer Ecke
Lass das Obst auf dem Baum hängen
in der Luft die Schwalbe
Den feinen Sommerregen, der auf das Dach fällt….
Ganz erschöpft bist du nun geworden, den ganzen Tag
hast du dich unablässig abgemüht
Selbst die Erde, selbst der Himmel, selbst das Meer
ermüden mit der Zeit.
Lass den Besen an die Wand angelehnt
lass die Seife im Eimer
Mutter, komm setz dich neben mich.

Sohn

Ich bin gekommen, Mutter, meine Kleider sind
Jämmerlich von dem Staub ferner Strassen
Längst zerrissen der Pullover, den du gestrickt
Der mit den grünen Stickereien

Ich bin gekommen, Mutter, ich bin es leid,
An jeder Kreuzung mir selbst zu begegnen
Immer so Kummer beladen, betrunken und zittrig
Ein Gedichte kritzelnder Mann eben

Das Wasser des Brunnen ist ausgetrocknet, der Feige
Milch ist längst versiegt
Den Garten, den ich einst für die gesamte Welt hielt,
Haben Quecken und Dornen eingehüllt

Schwarz wurde von der feuchten Luft die Türglocke
Geblieben sind aber der Knoblauch und das Hufeisen
Deine "Sohn, schreibe mir" sagende
Stimme klingt noch immer in meinen Ohren

Ich bin gekommen, Mutter, so verzweifelt
Wie der Fisch im Netz bin ich, wie im Glas das Wasser
Sind deine Knie noch da, auf die ich mein Haupt legen kann
Mutter ich bin gekommen, dein Sohn, dein Ungeratener

Ahmet Erhan

Aus dem Türkischen von Danyal Nacarli


***


jeden tag

jeden tag
das bekannte,
mühevolle kennenlernen,
die flugzeuge
am himmel
wie aus einer
anderen weit
hinter wölken.

jeden tag
das bekannte
sich überwinden-müssen,
schöne, schreckliche natur
wie im traum,
ein leerer stuhl,
der zukunft
schnarrende stimme.

jeden tag
exil und asyl,
ein gedächtnis
aus dunklem gestein,
unwiderrufliche bilder,
herzschlag,
schlaganfall,
die freude, bei
der geburt vertauscht
gegen angst.

jeden tag
das warten,
dass der schmerz nachlässt,
dass die erinnerung
ein einsehen hat
und die mutter,
die ihre toten kinder
identifizieren muss,
sie lebendig
in die arme schließen kann.

Michael Starcke


***


Ruinenhalden

auch brenstoffdepots
nicht eingefroren
die blicke der frauen
Einer trug er
das holz in die wohnung
der ofen war kalt
er blieb

Zu hause
am anderen tag
schwieg seine frau
sie dachte
es kommt
wie es kommt
Er verteilte die nächte

Sie
bekommt ein kind
sagte er
Die frau öffnete den schrank
aufbewahrte babywäsche
damals
trug sie der sohn

Der mann nahm
das bündel
und küßte seine frau
worte blieben
in der tür hängen
Zurück

Marlies Schmidl

aus dem kriegszyklus


***


Integration

Kindergarten. Müller, Bäcker,
Diaz, Fromme, Fuchs, Versäcker,
Meister, Wakitsch, Schneider, Bock,
Schmidt, Trivadis, Erlenstock …

Grundschule. Salat, Frohwalter,
Kohlert, Fuchs, Yilmaz, Luckalter,
Schuster, Wingert, Maurer, Brett,
Sackmann, Krauser, Braun, Courbett …

Hauptschule. Popescu. Évert
Yildirim, Assef, Scodert,
Mehmet, Iwántschitsch, Kerenow
Martini, Schwenker, Rustikow …

Realschule. Berliner, Walter
Urbanek, Popescu, Spalter,
Schäufele, Neuhauser, Rörich,
Dempel, Kovács, Hausmann, Gehrich …

Gymnasium. Gebauer, Mayer
Eichhammer, Tomaschin, Geier,
Pfleger, Mark, Heilbronner, Zell,
Ziegler, Hartmann, Brunner, Schell …

Uni. Ulrich Graf von Hügeln
Siebengroschen, Konew, Kübel,
Thomas Freiherr zu Tiefnarberg
Hesse, Dschawaharlal, Goldberg …

So läuft Integration
weiter bis das ganze Land
wie ein altes Mosaik
nur aus Gruppen nur hat Bestand.

Vielleicht sieht man nicht so gut
von oben was das Volk so tut …
Ja und nein kommt’s Gleiche raus?
Überraschung reift in das Haus?

Johannes Bettisch


***


Verworrene Klarheit

Die Wege, die wir gehen
Um sie zu begreifen
Sind wir sie nicht
Vergeblich gegangen

Die Reisen, die wir unternehmen
Um sie zu benutzen
Haben wir sie nicht
Vergeblich unternommen

All unsere Bewegungen
In unseren kleinen Dimensionen
Lassen uns nur wieder
An unseren Ausgangspunkt zurück

Und all diese unverschämterweise
Sogenannten höheren Erkenntnisse
Zwingen uns nur immer unausweichlicher
Zur niederen Bescheidenheit

Und so wird aus dem Leben ein Labyrinth
Das Labyrinth wird zur Bühne
Und diese Bühne wird zur Folterkammer

Und wir existieren weiter
Uns selbst und gegenseitig
Zum Gefallen und zur Last

Kehren wir zurück
Zu den einfachen Gedanken
Tun wir etwas
Um es zu tun
Nehmen wir uns zurück
Aus der Applausmaschinerie
Die uns verurteilt zum Sklaven
Existierender oder eingebildeter
Autoritäten und Massenabstimmungen

Es ist schon wahr
Die Qualität meines Lebens
Erfahrt ihr nicht über
Tabellen, Regelwerke, dergleichen

Daher bin ich der geworden
Der ich schon immer war
Lasse euch an möglichst
Wenigem teilhaben
Damit mir nicht
die Lust vergeht

Karl-Heinz Schreiber


***


Kennsche Siehsche Detsche

Kennsch was anneres han
Hättsche domols hättsche net
kennsche des hättsche bloß
domols die Hand vun de Fraa
gnumm net gnumm dann hättsche
die Fraa ghatt unn e anneri velor
Kennsche Siehsche Hättsche
Du dummer Hund, hättsche bloß…

Hättsche kennsche siehsche
gmach net gmach dann hättsche
dann hättsche net oder doch
Hättsche domols e anneri Hos aaghatt
hättsche die dick Fraa vum Eheinschtitut
net vegrault hättschse vielleicht net unn
detsche jetzt met rer e Buh han
Du dummer Hund hättsche bloß…

Hättsche dem net die Vorfahrt gnumm
detsche heit noch kennsche aa iwwerall
Du dummer Hund geb mer Ruh met
Kennsche Siehsche Detsche
Hättsche uffgbaßt wär heit des net
hättsche net uffgbaßt wär des
bassert was sasche aa des zu
warum hasche des net gsat
zu Deim Chef hättsche bloß…
Kennsche siehsche dann hättsche

Kennsch e annerer sinn
Hättsche domols beim Bund metgmach
wärsche vielleicht e hohes Tier
Wärsche vielleicht de Kompanietrottel
Hättsche siehsche denksche
Ich wär so e dummer Hund –
wie ich mer immer vorm Spiechel saa

Manfred Dechert


***

Nicht für jeden blühen die Rosen

Nicht für jeden blühen die Rosen,
manche kannst du getrost eindosen.
Manche sind auch gänzlich Mimosen.
Nun, nicht für jeden blühen die Rosen.

Nicht für jeden blühen die Rosen.
Manches geht in die Hosen.
Wer will schon jeden liebkosen.
Nicht für jeden blühen die Rosen.

Nicht für jeden blühen die Rosen,
schon gar nicht für Mimosen.
Bei denen geht leider fast alles in die Hosen.
Die kannst du getrost eindosen.
Nicht für jeden blühen die Rosen.

Du siehst die Rosen blühen nicht für jeden,
wer ist der König der tausend Fehden?
Warum warum blühen nicht für alle die Rosen?
Warum geht so vieles in die Hosen?
Warum muß man so viele eindosen?

Warum gibt es so viele Mimosen?
Viele Fragen, die Antwort du findest sie nicht.
Vielleicht findest du sie in diesem Gedicht.
Verliere die Hoffnung nicht.
Nicht für jeden blühen die Rosen.
Niemals für Mimosen

Wolfgang Profen


***


Wenn einer das Wort verdient hat,
dann du

Du wertest andere ab
und erhöhst dich über sie.
Du machst andere klein
um selber größer zu sein.
Du lobst fremde Gebildete
und behandelst Gebildete
in deinem nächsten Umfeld
herablassend.
Du hast keine Bildung.
Du machst anderen bewusst
und mit voller Absicht
schlechte Gefühle
stellst ihr Können bloß.
Du redest anderen
mentale Probleme ein
und hast selbst Neurosen
täglich frisch
im Vorgarten
deines Kleingeistes.
Große Dichter hätten dich
in ihren Stücken Wurm genannt.
Doch ein anderes Wort trifft es besser,
ARSCHLOCH.

Gerd Egelhof


***

Nachtschattengedicht

Erfunden hat die Nacht den Wald, das Pfeifen.
Eulen mit lautlosem Flug stecken ab
Ihr Revier. Es huscht das kleine Getier
Bemessene Strecken. Im Schutz des Mutterleibs
Schlafen Frischlinge. Der Mond zählt ihre Streifen,
Legt sich um einen gleisenden Reifen.

Hin zur flimmernden, schlaflosen Stadt:
Ihre Leuchtschrift skizziert die Nacht
In Rot und Blau, Grün, Lila und Rose.
Kühner Schwung, der Ausklang aber erweist sich
Knapp, der bekannte Sprung über die Klinge.
Blinde folgen den Spuren im Schnee.

Es heben und senken sich Plätze und Brüste.
Eine Ahnung von tieferen Adern. Kein Hadern.
Trostspender sind in Tiefschlaf versunken.
Ein Nachtschaf, geschoren, weint sich nass,
Tappt verloren durch eine Allee. Fahl
Fallen Flocken über einem Autofriedhof,

Ein Hauch von einstmals schnittigen Fahrten,
Von Siegerlächeln und Karambolagen, von Rauch.
Leuchtspuren der Erinnerung über der Ebene.
Ein Fächeln von landweiten Schwingen. Halme
Klirren, verneigen sich vor schwarzem Wind
Und ein Sirren zieht über alles geschwind.

Peter Frömmig


***

GÖÖGLMÖÖSCH & = 15

71
Sein augwerk sprach und sein mundwerk sah:
   Die Welt ist eine Hersilie
Er kannte das wort nicht es reimte sich nur
   auf peter – und auf die homilie
Und weil ihm die zu katholisch war
   so stieg er zur erde hinunter
Die ändern hatten sich abgesetzt
   und die sonne platzte herunter

72
Als er die bände suchte traf
   er nen jungen mit namen Bill Childish
der sagte zu ihm auf Chathamer platt:
   Sie sind um die ecke beeil dich!
tatsächlich die sprecherecke war leer
   kein böhme raunzte uns nieder
Wir soffen ab im daumenpub
   und die sonne schrammelte wieder

73
Wir tranken nicht whisky wir saugten auch nicht
   dem Mülleheins letzte havannas
Big Mama braute den morgentee
   wir achielten die reste vom panhas
Wild Bills gitarre miaute im schoß
   er suchte dauernd den –y reim
Hai hat am heizhaus den Schornstein gezählt
   Big Mama rief uns zur tea time

74
Und als wir gelangten zur meute zurück
   da tanzten sie um den tomtoyspfahl
Bill hatte Buk von hinten gesehn
   nur tafeln fehlten zum noise ball
Und weil er den –y reim nicht verriet
   da wollten sie Billyn gleich töten
doch hatte der genug flöhe im sack:
   Na laßt sie man beißen die föten

75
Und er sprach: Mein freund hier macht wieder mit
   denn er weiß das geheimnis der reimnis
Ihr haltet nicht buten- nicht binnenreim ein
   ihr seid schon von keimnis an schleimnis
Sie aber sprachen: Wer ist der gurk
   der geht in unserer mitten
und säuft nicht und raucht nicht und dichtet wohl auch
   nicht und noggert an Posis Rositten

TousssainT


***

Laß

Laß uns auf das Meer schauen,
Den Wellen hinterher schauen,
Bis unsre Ohren auftauen,
Bis unsre Augen aufbauen
Ein Haus, das nicht von hier,

Laß uns in Schatten ziehen,
In Schatten, alten, frühen,
Bis enden unsre Mühen,
Bis kalte Sterne glühen
Im Feuer, das von hier,

Laß uns in Wolken pflügen,
Weil Himmel niemals lügen,
Bis frei wir vom Betrügen,
Bis wir uns selber rügen
Auf Bergen, die fest stehn,

Laß uns die Herzen ändern,
Mit Blumen und mit Bändern,
Bis sie in neuen Ländern,
Bis frei von Feindesrändern
Die Grenzen, die vergehn.

Hadayatullah Hübsch


***

artikel null
(anläßlich der jubelfeiern zum 60. geburtstag der bundesrepublik)

bei uns verhungert niemand
aber er vegetiert dahin
nicht als vegetarier
aber als hungerleider

ein armer mit zeit
der sich nichts leisten kann
und es gibt andere
die sich etwas leisten können
nur keine zeit

dazwischen wird aufgestockt
gelockt auf den rummelplatz
gezockt auf dem schummelplatz

irgendetwas
zwischen zwangsarbeit
und selbstausbeutung
verletzt
die würde des menschen
artikel null

Manfred Pricha


***


Lolita schüttete
Den Segen über
Uns
Und gab uns
jugendliche
Sexualität.

Madame Butterfly
Verlieh einem
Messer
ihren Namen.

Was bleibt für
Uns
Übrig?

Alte Säcke,
die beides
für ihren
Puls gebrauchen
können.

Gerald Meyer


***

In Stalingrad, im harten Winter 43,
als ich verwundet war im Häuserkampf,
und ich spie Blut, das schmeckte so würzig
und mein Atem stieg auf wie heißer Dampf,

da glaubte ich plötzlich, eine Frau zu sehn,
die rote Rosa, rief ich im Fieberwahn.
Ich war verkrüppelt, konnte nicht mehr gehn,
so konnte sie sich ungehindert nahn.

Sie blickte aus einem Auge sehr ernst und tief
(das andere hatten wir ihr am Kanal zerschlagen),
und auch der Kopf saß etwas schief
(sie mußte den Hieb meines Kolbens ertragen)

Du Armer, sagte sie, was du aus Dummheit angefangen,
hat dich hierher geführt. Jetzt mußt du hangen.

Norbert Büttner


***

Ich werfe meine Wünsche durch
das Fenster.
Im All führt einer an der Hand
zur Sehnsucht sie.
Die in der Erdenzeit nicht
zueinander fanden,
im Widerpart der Engel und Gespenster,
tanzen dann Hand in Hand
nach seiner Melodie.

Ein liebender Wunsch wird keine
Ruhe finden,
bis er beim anderen in dessen
Armen ruht.
Ein Widerhall zur Erdenzeit
kann künden,
was im Gebet liebende Güte tut.

Jaime Salas

***

Unterwegs die Vorboten

Fanal! Rustikal! Frontal! Fenomenal!
Ein Krawall befeuert der Tyrann
traktiert mit Metaphern des Göttlichen radikal
setzt den Hungertod ins Werk und dann und wann
   den Feldzug gegen den Morgen
wenn Wallache wiehern und der Monetarismus
mit den Weihen im Winkelzug des Abendländischen
   des arisch archaischen Akademismus
      gegen kosmopolitane Nischen
Weder Ritual des Rivalen noch Trubel
erschreckt den Rebell
   der durchweg aufsteht
      im humanen Haufen
         bevor der Hahn kräht
läßt Seinige nicht ins Messer laufen
zwischen Wellenschlägen im Meer enden
      in erdbreiten Bränden

Es war einmal wahr geworden
Der Abendländer saß auf Pfauenthron
   des kosmischen Imperiums hinterm Kordon
         und verwaltete die Fron
im Fanfaren-Gewand des Freien
      mit Scharlatanen-Schreien

Immer wenn die Frontex-Flotte
      nachts die Mole verläßt
   morgens in den Horizont bläst
      und in das Jägerrohr
erzeugt sie Wellen gegen den Mohr
läßt cayucos kentern auf offenem Meer
verwaltet Unterwassergottesacker in Color
verwandelt den Blütentraum in Trümmer
honoriert den Hybriden-Horror
   und das verletzte Menschenrecht
demontiert das Mythengeflecht
um den Sturm auf den Turm der Zeloten
Seemannsgarn trägt dann der Mentor
   in den Megameetings vor
      von Hurrikan und Havarien
         und feinen Furien
            und humanen Heloten
im Plenum der Profit-Propheten
   und jungfräulichen Hurien

Eliten-Eloge auf Ellbogen-Elan
ordert die Borderline-Journaille an
   auf Jeremiaden der Broker
      im eliminatorischen Eleven-Elend
borgt dem dunklen Bürokraten-Abend
   einen Brocken Morgen
um den bornierten Baron der Tartüffe-Tugend
      und in den Nächten die Trara-Jugend
aus dem Bord vom Eldorado zu versorgen
wenn im Krisen-Kosmos kreiselt
         vor dem Morgen im Feldherren-Zelt
Digital-Dirnen dirigieren auserwählt
die Helden-Sinfonie der einen Welt
unter Berolina-Blick und agieren
   für den Rambo-Ruhm
      im ratenharten Wachstum
Bevor steht ihnen der schwarz-brünette Sturm
   auf den weißen Bastei-Wachtturm

Der Zyklopen-Zombie zentriert
die Fahrt auf der Sonnenstraße
      zensiert den Fahrplan
an Profit-Propheten adressiert
wie das Donnerwetter-Dokument
mit dem Siegel des Sagen-Siegers frankiert
   im Platin-paraten Quartett
      darin der Blaue Planet
         als Korsaren-Ganymet

Opfer gegeben
zehntausende Toten
unterwegs die Vorboten
zu zivilisationszentrierten Zitadellen
         der Zeloten
und Cäsaren-Zombies
im Schrein der Banknoten

In der Anonymität steckt das Wunder
Himmel schließen sich zusammen
      die Erde wird runder
         das Morgenrot gesunder

Grüßt mir den Morgen
vor dem Sturm aufs Zentrum der Zeloten
   laßt ruhen die Toten
      nehmt Acht auf die Heloten
         und auch die Windboten

M. Kurtulus

   

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