|
Hans Peter Duerr
Tränen der Göttinnen
Die Reisen der Minoer ans Ende der Welt. Verlag
Das Wunderhorn, Heidelberg 2008. 94 Seiten, 17,80 Euro
Professor Hans Peter Dürr ist als anerkannter Ethnologe und
Kulturhistoriker hauptsächlich durch philosophische und religionswissenschaftliche
Werke hervorgetreten, bevor er sich mit seinem erschienenen Werk
„Rungholt. Die Suche nach einer versunkenen Stadt“ auf
das Gebiet der Archäologie begab. Duerr dokumentierte in dem
im Jahre 2005 im Insel-Verlag erschienenem Buch die Ergebnisse der
von ihm seit 1992 unternommenen Ausgrabungen im nordfriesischen
Wattenmeer. Seine Funde interpretierte er als Reste der 1362 bei
einer Sturmflut versunkenen Handelsstadt Rungholt. Sein Ausgrabungsort
liegt allerdings an einer anderen Stelle, als von Fachkreisen bisher
als Standort der untergegangenen Stadt angenommen.
Duerrs Veröffentlichung zog heftige Auseinandersetzungen
nach sich. Zum einen, weil er als Grabungsbefunde u. a. Tonscherben
präsentierte, die der 3.300 Jahre alten minoischen Kultur auf
der Mittelmeerinsel Kreta zuzuordnen sind. Duerrs von diesen Funden
abgeleitete These einer Expedition minoischer Seefahrer nach Nordfriesland
wird bis heute von der Fachwelt abgelehnt. Und zum anderen, weil
Duerr seine archäologischen Streifzüge ins Wattenmeer
ohne vorherige behördliche Genehmigung unternommen hatte -
seine Grabungen waren illegal.
Wer in dem jetzt erschienen Buch „Tränen
der Göttinnen“ eine Fortsetzung dieses archäologischen
Krimis erwartet, wird allerdings leicht enttäuscht sein: Duerr
hat lediglich am Anfang des Sammelbandes mehrere von ihm verfaßte
Artikel, Streitschriften und Leserbriefe zur Kontroverse um sein
vorangegangenes Buch zusammengestellt. Der Autor bekräftigt
darin die von ihm vertretene These von einer minoischen Handelsexpedition
in die Nordsee, setzt sich mit Vorwürfen seiner Gegner auseinander
und wirft den lokalen Behörden des Landes Schleswig-Holstein
„Verhinderung von Forschung“ vor.
Das Buch enthält außerdem mehrere Essays
und Interviews, in denen sich Duerr zu grundlegenden Problemen der
gegenwärtigen Moderne äußert: Zerfall gesellschaftlicher
Bindungen und Solidarbeziehungen als Folge eines schrankenlosen
Individualismus sowie drohender Ökokollaps. Diese Ausführungen
sind interessant, zumal sie zu einer grundsätzlichen Abrechnung
mit seiner Generation der 68er geraten, der Duerr vorwirft, anstelle
der angekündigten revolutionären Umwälzung der bürgerlichen
Gesellschaft einen Modernisierungsschub eben dieser Gesellschaft
hervorgebracht zu haben. Mit den im Titel genannten „Reisen
der Minoer“ hat dieser Teil des Buches allerdings nichts zu
tun.
Gerd Bedszent
***
Jannis Ritsos
Zwölf Gedichte zu Kavafis
Griechisch/Deutsch. Übertragen von Niki
Eideneier. Romiosini Verlag, Köln 2009. 40 Seiten, 9,80 Euro
Zum 100. Geburtstag von Konstantinos Kavafis
(29.4.1863 - 29.4.1933) hatte Jannis Ritsos (1.5.1909 - 11.11. 1990)
die „12 Gedichte zu Kavafis“ in seinem Athener Hausverlag
Kedros veröffentlicht. Sie sind nun, da Ritsos’ 100.
Geburtstag begangen wird, erstmals bei Romiosini in Köln auf
Deutsch erschienen. Den sanftmütigen Ritsos muß seinerzeit
das späte Getöse um den seelenverwandten Kavafis ziemlich
genervt haben. Es habe Jahre gedauert, in denen man sich um ihn
stritt und von ihm abrückte, bis er als der Ewig Junge erkannt
worden sei. Zum Glück habe er, der Einzigartige, ein wunderbares
Maß hinterlassen, damit man sich an ihm messe. In dem Punkt
nun gibt es für Ritsos kein Zaudern: „Allein wir, die
würdig dieses Maß benutzen, /… des Erzengels Schwert,
/ wir schliffen es bereits und sind nun in der Lage, / sie der Reihe
nach zu köpfen, alle.“ Die Zahl derer, die sich an Kavafis
maßen, ist stattlich (und stetig im Wachsen begriffen). 1946,
im Britischen Institut Athen hatte Giorgos Seferis ihn mit einer
Rede gewissermaßen für sich vereinnahmt, indem er sich
über dessen „Typ der Sensibilität“ erging
und befand, „dass Kavafis jenseits seiner Gedichte kaum von
Interesse ist“. Sind es Äußerungen dieser Art gewesen,
die Ritsos so rigoros, für ihn völlig ungewohnt reagieren
lassen? Ihm bedeutet Dichtung, zu sagen „der Himmel ist siebenmal
blau. Diese Klarheit wiederum ist die erste Wahrheit“, - so
zu lesen auf der Marmorplatte, die sein Grab in Monemvasia bedeckt.
In dieser Wahrhaftigkeit des Dichtens war er eins mit Kavafis, den
er dafür preist, „ein bewundernswertes Maß beibehalten
zu haben, mit sauber ausgewogenen Analogien, so daß seine
Dichtung tiefgründiger wurde und das Niedrige niemals niedrig,
sondern aufrecht erscheint.“ Das Licht, das ihm behagte, sei
das der Öllampe gewesen, die er anderer Beleuchtung vorgezogen
habe. Sie lasse sich regeln je nach dem Bedarf des Augenblicks,
nach der ewigen, uneingestandenen Begierde. Die Öllampe, sie
symbolisiert von altersher den Phallus und ist recht oft auch als
ein solcher antikisch geformt in Augenschein zu nehmen. In diesem
Zusammenhang heißt es bei Marguerite Yourcenar: „Seine
[Kavafis’] Redlichkeit hindert ihn daran, wie Proust ein groteskes
und gefälschtes Bild seiner eigenen Neigungen zu liefern, eine
Art schamhaftes Alibi in der Karikatur oder ein romantisches Alibi
in einer transvestitischen Vermummung.“ Auch in dieser unbedingten
Redlichkeit weiß Ritsos sich eins mit Kavafis. Allerdings
bescherte ihm sein Aufrechtsein andere, äußerst brutale
Zumutungen. Was Kavafis in seinen von ihm so genannten historischen
Gedichten im Rückgriff aufs geschichtliche Beispiel vermeldet,
nicht Siege, sondern Niederlagen, das hatte Ritsos am eigenen Leib
und mit eigener Seele zu durchleiden. Sich dem Unglück stellen,
wie das Kavafis etwa den Troern angesichts des drohenden Untergangs
ihrer Stadt nachempfindet („Unsere Anstrengungen sind wie
die der Trojaner. / Wir fassen etwas Vertrauen und fangen an, /
Mutig und voller Hoffnung zu sein“), hierin sind sich die
beiden wiederum gleich. Voller Hoffnung zu sein trotz aller Vergeblichkeit
- das ist das Resultat der Kavafis-Lektüre auch Bertolt Brechts:
„In den Tagen, als ihr Fall gewiß war - / Auf den Mauern
begann schon die Totenklage / Richteten die Troer Stückchen
gerade, Stückchen / In den dreifachen Holztoren, Stückchen.
/ Und begannen Mut zu haben und gute Hoffnung. /Auch die Troer also.“
- Diese „12 Gedichte zu Kavafis“, die nur ein schmales
Bändchen abgeben, - was für ein unvergleichliches Beziehungsgeflecht
tut sich mit ihnen auf!
Horst Möller
***
Langston Hughes
Simpel spricht sich aus
Roman. Aus dem Amerikanischen von Evelyn Steinthaler. Milena-Verlag.
265 Seiten, 19,90 Euro
Jesse B. Semple, von allen nur Simpel genannt,
ist ein schwarzer Arbeiter in Harlem kurz nach dem zweiten Weltkrieg.
Sein Leben ist nicht gerade einfach zu nennen: Von seiner Frau ist
er getrennt, aber noch nicht geschieden, und mit seinen beiden Freundinnen
hat er viel Ärger. Aber vor allem bedrückt ihn der Rassismus,
der die US-amerikanische Gesellschaft mit seinem Gift durchtränkt.
Nach der Arbeit hängt Simpel am liebsten in einer Bar herum
und wenn er, was öfter mal vorkommt, kein Geld für einen
Drink hat, dann läßt er sich einen ausgeben. Meist macht
das der Erzähler des Buches, ein Journalist, den Simpel zum
Dank dafür mit Material für sein Feuilleton versorgt.
Manchmal versucht der Journalist ihn auf intellektuelles Glatteis
zu führen, aber Simpel ist kein Gimpel. Er weiß schlagfertig
zu antworten und sein bitterer, durchdringender Witz ist immer des
Erzählers Bildungswissen überlegen. Man nehme nur die
Episode, in der Simpel berichtet, wie er seinen Boß, der ihn
beschuldigte, ein Roter zu sein, einfach zum Schweigen bringt mit
der Bemerkung, seit wann Schwarze denn rot werden können.
Langston Hughes, der Autor dieses Buches, lebte von
1902 bis 1967 und ist einer der bedeutensten afroamerikanischen
Lyriker. Er brachte den Jazz in die Dichtung ein, diese unruhigen,
kraftvollen, herausforderten Rhythmen, von denen viele glauben,
daß sie in der Musik des vergangenen Jahrhunderts die schöpferische
Intelligenz gegenüber dem anspruchslosen Schlager oder der
epigonalen nachromantischen Sinfom’k verteten. So unterschiedliche
künstlerische Persönlichkeiten und Strömungen wie
Nicolas Guillen und der kubanische Son oder Boris Vian und die französische
Jazzliteratur der fünfziger Jahre können sich auf Hughes
berufen. Und selbst der Hiphop kann ihn als seinen Vorläufer
ansehen.
Vor dem zweiten Weltkrieg stand Hughes an der Seite
der Arbeiterbewegung und der kommunistischen Partei. Er besuchte
mehrmals die Sowjetunion und schrieb darüber begeisterte Berichte.
In der McCarthy-Ära hat man ihm das sehr verübelt.
Und genau in dieser Zeit setzte er sich an „Simpel
spricht sich aus“, 1950 zuerst veröffentlicht als Artikelfolge
in einer Wochenzeitung und daraufhin als Buch. Es ist eine in ihrer
Genauigkeit und Schmucklosigkeit fast dokumentarische Erkundung
des schwarzen Amerika, den Bedürfnissen der Zeitungsarbeit
entsprechend unterteilt in an die 50 dialogische Szenen. Was den
schwarzen Mann (noch nicht die Frau) bedrängt, kommt hier auf
den Bartisch und es schwingt auch schon der Zorn mit, der wenig
später in der Bürgerrechtsbewegung und in den Ghettoaufständen
zutage treten wird.
Man spricht so oft und fast mit Sehnsucht von einem
einfachen, arbeitenden, friedliebenden Amerika, einem Land, das
anders ist, als es uns in seinen Führern und Medien entgegentritt.
Es gehört zur Freiheit der Medien in unserer freiesten aller
Welten, daß man so selten von ihm erfährt. Langston Hughes
hat ihm eine Stimme gegeben.
Norbert Büttner
***
Alexander Dorin
Srebrenica
Die Geschichte eines salonfähigen Rassismus.
Kai Homilius Verlag, 256 Seiten, 19,90 Euro
Laut der offiziellen Version der Ereignisse von Srebrenica,
gemeint ist die Version der damaligen Regierung unter dem bosnisch-moslemischen
Präsidenten Alija Izetbegovic und seinen Unterstützern
in Washington, wurden im Sommer 1995 in der Umgebung der bosnischen
Kleinstadt Srebrenica bis zu 8000 moslemische Jungen und Männer
von serbischen Truppen exekutiert. Das „schlimmste Massaker
auf europäischem Boden seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs“
wird von den westlichen Massenmedien seitdem eisern und unaufhörlich
repetiert. Als im März 1999 der von der UNO nicht mandatierte
Angriffskrieg der NATO gegen Rest-Jugoslawien begann, wurde beschworen,
es gelte ein „zweites Srebrenica“ im Kosovo zu verhindern.
Autoren, die seit Jahren auf stark übertriebene
Opferzahlen hinweisen, werden von den Medien konsequent ignoriert.
Und das, obwohl diese Autoren lediglich das Ausmaß der „nicht
zu entschuldigenden serbischen Verbrechen“ in Frage stellen.
Das neue Buch von Alexander Dorin legt den Schluß nahe, daß
abgesehen von den unterschiedlichen Opferzahlen beide Versionen
eines gemeinsam haben: Sie beruhen nicht auf fundierten und ausführlichen
Recherchen. Der von den Medien fabrizierte Mythos vom Völkermord
in Srebrenica läßt auch manchen sonst kritischen Geist
plötzlich den Willen zum Konformismus zeigen, faule Kompromisse
eingehen oder gleich ganz verstummen.
Davon unbeeindruckt hat sich Dorin nun der gewagten
Aufgabe verschrieben, herauszufinden, was sich in den Tagen nach
dem Fall Srebrenicas wirklich abspielte. Gewagt deshalb, weil das
Hinterfragen der offiziellen Version vom Völkermord in Srebrenica
heute von den meisten Medien mit der Leugnung des Holocaust gleichgesetzt
wird und in einigen europäischen Ländern Gesetzentwürfe
in den Schubladen liegen, es als solche zu bestrafen.
Und tatsächlich zeigt Dorins längst überfällige
Untersuchung über die Vorfälle um Srebrenica, daß
der „Völkermord“ nicht ohne Grund durch Abschreckungsmaßnahmen
unantastbar gemacht werden sollte.
Nachdem Dorin die Vorgeschichte in der Region um Srebrenica
zwischen 1992 und 1995 aufrollt und anhand von Zeugenaussagen von
Pathologen und Überlebenden sowie zahlreicher Dokumenten aufzeigt,
wie moslemische Streitkräfte in der Region Podrinje, in der
auch Srebrenica liegt, bis Sommer 1995 mehrere tausend Serben, darunter
zahlreiche Frauen, Kinder und alte Menschen, bestialisch ermordet
haben - in Ostbosnien gehen etwa 190 zerstörte serbische Dörfer
und fast 3300 ermordete Serben auf das Konto der Truppen des moslemischen
Kriegsherren Naser Oric - widmet er sich den Geschehnissen im Juli
1995.
Zahlreiche Reisen in das Gebiet um Srebrenica, Interviews
mit Pathologen, Politikern, der Bevölkerung, Journalisten und
internationalen Beobachtern dienen dem Autor als Basis seiner akribischen
Recherche. Von damaligen UNO-Blauhelmen erfährt er, daß
die Serben die moslemischen Zivilisten nach der Einnahme der Stadt
gut behandelt haben. Ein moslemischer Kommandant berichtet, daß
im Gefecht nach dem Fall der Stadt, als sich Naser Orics Truppen
durch serbisch kontrolliertes Gebiet in Richtung der Stadt Tuzla
durchschlugen, ca. 2000 moslemische Soldaten fielen. Das entspricht
in etwa der Zahl der Toten, die die Ermittler des Jugoslawientribunals
in Den Haag ursprünglich finden konnten. Dem Autor vorliegenden
Dokumente der moslemischen Armee beweisen, daß diese Zahl
nachträglich um mehrere hundert Tote aufgestockt wurde, die
bereits während Gefechten im Jahr 1993 umgekommen sind. Ein
moslemischer Politiker sagt aus, daß der damalige US-Präsident
Bill Clinton bereits im Jahr 1993 Izetbegovic die Variante eines
„Massakers von Srebrenica“ angeboten haben. Nur dann
könne die NATO zu Gunsten der moslemischen Armee eingreifen.
Immer wieder wurde in den letzten Jahren spekuliert,
daß 1996/97 auf bosnischen Wählerlisten Namen von angeblich
in Srebrenica ermordeten Männern stünden. Wie die Dorin
zugänglich gemachten Wählerlisten nun zeigen, waren 3000
dieser angeblich vermissten moslemischen Männer zur Wahl registriert.
Dorin gelangte darüber hinaus in Besitz einer Liste mit den
Namen von fast 1000 gefallenen moslemischen Kämpfern, die ebenfalls
den Ereignissen von Juli1995 zugeschrieben werden, obwohl sie bereits
lange vor dem Fall Srebrenicas umgekommen sind.
Ausführlich untersucht wird auch der Fall des
Kroaten Drazen Erdemovic, der bis heute vom Haager Tribunal als
Kronzeuge und Trumpfkarte in Sachen Srebrenica präsentiert
wird. Erdemovic gibt vor, als Mitglied einer bosnisch-serbischen
Einheit von insgesamt 1200 moslemischen Erschiessungsopfern 100
selbst getötet zu haben. Dorins Analyse des Falls Erdemovic
bestätigt eindrücklich die Widersprüche und Absurditäten,
die bereits von Germinal Civikov in seinem kürzlich erschienen
Buch „Der Kronzeuge“ herausgestellt wurden.
Dorin zeigt, wie sich Zeugenaussagen einiger angeblicher
Überlebender der Erschiessungen von Srebrenica nicht nur gegenseitig
widersprechen, sondern wie sich die Aussagen der Einzelnen ändern.
Bedrückend sind vor allem auch die Analysen der Gerichtsprozesse
gegen eine Reihe von Serben, die wegen der Ereignisse von Srebrenica
zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Es wird gezeigt,
wie einige der Angeklagten durch die Anwendung des sogenannten „Plea
Agreements“ quasi gezwungen wurden, Mitangeklagte durch Falschaussagen
zu belasten, um selbst ein milderes Urteil erwarten zu können.
Ein wahrlich spektakuläres Buch, dessen Schlußfolgerung
nahe legt, daß es nicht nur keinen Beweis für angeblich
von der bosnisch-serbischen Führung angeordnete Erschiessungen
gibt, sondern überhaupt keine Grund zur Annahme eines serbischen
Massenverbrechens. Was bleibt, sind 2000 Gefechtstote. Vielleicht
wachen durch dieses Buch endlich jene „Ja-Aber“-Kriegsgegner
auf, denen es offenbar nicht genügte, daß Dubrovnik nie
wie behauptet in „Ruinen“ lag, es keine serbischen Vernichtungslager
gab, die größte ethnische Säuberung an kroatischen
Serben verübt wurde, Milosevic 1989 im Kosovo keine „Brandrede“
gehalten hat, es das „Massaker von Racak“ an unschuldigen
kosovo-albanischen Zivilisten nicht gab und den Serben in Rambouillet
zum zweiten Mal im Zwanzigsten Jahrhundert ein unannehmbares Ultimatum
gestellt wurde, die sich aber immer noch am Strohhalm Srebrenica
festhielten, um den Serben als Opfer eines imperialistischen Krieges
ihre Solidarität zu verweigern.
Anna Gutenberg
***
André Schinkel
Löwenpanneau
Neue Gedichte. mitteldeutscher verlag, Halle
2009. 134 Seiten. 16,– Euro
Der Saum des Erreichbaren
„Weiße Pünktchen“ heißt
das Nachwort, das A.S. schrieb. Ellipse also. Das, was nicht gesagt
werden muss, was die Gedichte in schwarzen Buchstaben sagen. Es
ist eine kleine Poetologie. Darin sagt er nicht nur, dass er die
Gedichte diesmal nicht ordnete. Keine Zyklen, sondern magische Verse
sind es. Ein Gedicht ordnet sich nicht unter, keinem Prinzip, auch
nicht einem anderen Gedicht.
Im Gedicht spiegelt sich die Zerrissenheit des Künstlers:
Im Gedicht ist er souverän, im Leben seinen menschlichen Bedürfnissen
unterworfen. Im Gedicht ist er frei, im Leben unfrei. Mir fällt
Holger Benkel ein, der die Freiheit des Künstlers auch für
sein Leben durchsetzt; er lebt ein Existenzminimum, um ein dichterisches
Maximum zu erreichen. André Schinkel ist nicht derart extrem
konsequent in der Negation des bürgerlichen Lebens. Als Redakteur
der Literaturzeitschrift Sachsen-Anhalts, Ort der Augen, ist er
nicht ganz frei. Da gehört er auch anderen: Den Mitgliedern
des Beirats, dem Mitspracherecht des Herausgebers, den Autoren.
Aber das ist eine andere Zerrissenheit. Der Spagat, der im Literaturbetrieb
die einzige Kompromiss-Art ist, droht den Künstler im Literatur-Macher
zu zerreißen. Härter noch spaltet sich das Leben im Dichter,
wenn er sich selbst gehören will. Hier steht er mit einem Bein
in der Form, mit dem anderen im Inhalt - entweder du fällst
oder du läufst. Eigentlich läuft dann das Gedicht, es
läuft dir weg, will selber frei sein. Man sieht: Das lässt
sich nicht ordnen, das geht seinen poetischen Gang. A.S. nennt das
den „Anfang des vereinzelnden Parlierens“ und er sieht:
Die Gedichte werden in ihrer Vereinzelung auch genauer.
Trotzdem bricht das bürgerliche Leben ein in
die Sphäre des Dichtens, es geht auch gar nicht anders, denn
nur selbst erlebte Welt kann Form und Ausdruck finden in allgemein
gültigen Versen. A.S. erwähnt Liebe und Vaterschaft, spricht
von temporärer Erfüllung: „... die Früchte
der Liebe waren eine Zeitlang ihr Katalysator zugleich.“ Dann
die Gegenbewegung, der Schreibende „gierte zugleich nach dem
Überallhin, zeitweise erschien es mir, der ich es nicht ausleben
konnte, wie der Spiegel der Welt.“ Klar, dass er Vollkommenheit
im Schreiben sucht, die im Leben nicht zu finden ist, dass also
die Wahrheit des Seins wenigstens im Vers klarer wird als im gelebten
Leben. Genau das war das Motiv für André Schinkel, hineinzugehen
ins Leben, auch wenn „der Moment der Erkenntnis ... selten
und flüchtig ist.“ Selten habe ich einen Schriftsteller
offener über sich selbst erlebt wie André Schinkel,
der seine Feigheit vor dem Leben sieht und bekennt und als Künstler
die einzige mögliche Konsequenz zieht: Mutig zu werden, um
Dichter sein zu können. Leichter gesagt: Die Kunst braucht
Material. Die Kunst braucht Stoff und Nahrung, wenn das Leben im
Vers gerinnen soll. Schinkel musste heraus aus seinem „Autismus“
allzu zerebralen Schreibens: „Ich, der Lebensfeigling“,
sagt er, „tat einen Blick aufs Leben, nun doch, litt daran
und profitierte davon und erweiterte, noch im Moment der Angst,
jede Fähigkeit zu verlieren, den Saum des Erreichbaren.“
Ich finde, das zeigen die Gedichte nun auch. Sie atmen
stärker als die früheren Gedichte, weil mehr Leben in
sie eingeflossen ist. Die früheren Gedichte waren nicht übel
und sie waren nicht nur gedankliche Abstraktionen des Lebens; vor
diesem Schicksal bewahrte sie die Metaphorik, die auf das Leben
hindeutete. Nun aber sagen die Verse viel mehr als Anspielung auf
Erlebtes, Erlittenes, Bedachtes, Gefühltes - jetzt ist es gelebtes
und gewagtes Leben. Nicht dass nun die Ängste überwunden
wären, das gelingt vielleicht nur dem Gedicht als Souverän
der Gedanken und Gefühle, aber Schinkels vita activa rührt
den Leser mehr an, zumal der nun viel mehr wagende Dichter seine
Kampfzone ausgeweitet hat, er transzendiert in andere Dimensionen,
er meißelt aus der Brut seiner Gedichte einen so feinen Humor,
dass ich denke, so eine Heiterkeit ist das Maß der Ausgewogenheit
zwischen Form und Inhalt, also Klassik.
Die Themen der in vier Kapitel eingeteilten Gedichte
(also doch noch eine Ordnung?) umfassen das ganze Leben und die
Kunst. Ich würde scheitern, versuchte ich, auch nur die besten
Gedichte zu würdigen. Ich beschränke mich auf eins. „Löwenpanneau“
heißt das Gedicht, das dem Buch den Namen gibt.
Sehen Sie hier: die Lefzen des schleichenden Harems,
Unwiederholbar, als hätte sie Picasso gemalt,
Sagt Gerhard Bosinski, der es wirklich gesehn hat.
Ja!, und So ist es!, denkt man, nur daß Picasso
Gelebt hat vor fünfunddreißig mal tausend
Jahren
Und mit dem Pinsel das Licht führen mußte,
Um den Fels zu erkennen; mit einer Hand den auf-
Steigenden Steindom abstützend oder der Schatten
Der Geister und Bären sich zu erwehrn. Jener
Picasso, den wir in unseren Träumen betrachten,
Bei seiner mühseligen Arbeit, im flackernden
Rauch
Einer kiefernen Kerze, den Schurz mit Farbe be-
Kleckert, den Mund voll ockerner Erde. Und dieses
Das heiligste Bild, in einer Galerie verlehmter
Ikonen: die Tafeln der Löwen und Mammuts, weit,
Hinter den Balustraden der Gehörnten, Geduckten,
die
Schnuppernden Flotze erhoben, auf blutiger Jagd.
André Schinkel deutet Picassos Künstlertum,
der mit dem Pinsel das Licht führte, und erkennt (in der Grotte
Chauvet im Tal der Ardèche) „Das heiligste Bild, in
einer Galerie verlehmter Ikonen: die Tafeln der Löwen und Mammuts...
auf blutiger Jagd“. Tertium comparationis ist die unveränderliche
Wahrheit, die schon in der Höhlenmalerei vor fünfunddreißigtausend
Jahren galt: Dass das Künstlertum im Leben verankert ist, und
umgekehrt, und dass es im Leben wie in der Kunst um Leben und Tod
geht. Die Kunst gibt es nicht ohne das andere, die Nichtkunst, das
bloße Leben, das sich in seinem Erleben seiner selbst noch
nicht bewusst werden kann. Die Kunst kommt immer danach. Nach dem
Erlebten. Aber sie fließt nicht nur in sich selbst. Gedichte
sind keine bloße Mechanik, sondern bewirken neues Leben. So
gesehen wird Kunst auch ein Davor. Sie modelliert den denkenden
und fühlenden Lebenden allmählich. Die Utopie solcher
Dialektik ist klar: Es ist die Hoffnung auf eine Synthese: Lebenskunst.
Schinkel nennt das „Gesamtkunstwerk der Grotte Chauvet...
ein Urbild für Erfüllung und Hoffnung auf Befreiung durch
die Kunst.“
Das Erfühlte und Geträumte kommt zur Sprache
- und so reduziert sich im Selbstgespräch des Dichters der
Zweifel an einer hoffnungslos scheinenden Welt. „Was ich gewann“,
sagt Schinkel, „ist die Liebe zur Klarheit: die Gedichte,
glaube ich, kommen zu mir und sprechen nun mit mir.“ Und mit
dem Leser.
Ich habe seit Jahren keinen derart großartigen
Gedichtband eines lebenden deutschsprachigen Lyrikers gelesen. Was
Durs Grünbein immer mehr verliert, gewinnt André Schinkel:
Sinnlichkeit und Überraschung in der Metaphorik, Gedanklichkeit
im plastischen Lebensextrakt, Klarheit, stilistische Vielfalt, eine
Leichtigkeit der Form, die erreicht wird, weil die Inhalte mit ihr
Schritt halten und nicht davonfliegen, in manchen Gedichten wohnt
eine heitere Stimmung, Humor entfaltet sich neben dem Ernst dessen,
der wirklich etwas zum Leben zu sagen hat, weil er im Leben steht,
der eine Sprache hat, die im besten und mehrfachen Sinn des Wortes
den Leser unterhält. Diese Gedichte erzählen, erfühlen
eine Welt. Sie denken und tanzen. Sie schwingen melodisch im Takt
einer natürlichen, wenn auch elaborierten, Sprache. Sie schweigen
und sagen viel. Manche sind still, manche lauter, einige sind politisch
und klagen leise, niemals aber larmoyant, immer steht ein Geist
drüber, dem du vertraust. Alle Verse bewegen dich, wenn du
genau hinhörst. Wenn du ganz tief in die Verse hinein liest,
streust du den Sand ins Getriebe deines Autismus! Lies die Bilder,
die genau sind, von dir!
Ulrich Bergmann
***
Gabriele Dietze, Claudia Brunner, Edith Wenzel
(Hrgs.)
Kritik des Okzidentalismus
Transdisziplinäre Beiträge zu (Neo-) Orientalismus und
Geschlecht. transcript Verlag, Bielefeld 2009. 318 Seiten, 29,80
Euro
Unter „Okzidentalismus“ wird hier
ein Diskurs abendländischer Hegemonieproduktion verstanden,
der ein „orientalisiertes“ Anderes in der muslimischen
Diaspora und im politischen Islamismus verkörpert sieht. „Okzidentalismuskritik“
begreift Neo-Orientalismen und antimuslimische Rassismen nicht als
Folge von Migration und internationalen Konflikten, sondern als
Kristallisation neuer nationaler und europäischer Identitätsbildungen,
in der Gender und Sexualpolitik eine strategische Rolle spielen.
Das transdisziplinäre Projekt führt Beiträge aus
der Postcolonial, Queer und Critical Whiteness Theory auf historischen
sowie sozial- und kulturwissenschaftlichen Feldern zusammen. Die
Herausgeberinnen zum vorliegenden Band:
Herausgeberinnen und AutorInnen dieses Bandes reagieren
mit dieser Publikation auf eine seit einigen Jahren zunehmende Schließung
westlich-europäischer Gesellschaften, die in der synthetisierenden
Konstruktion eines orientalischen Anderem ein neues, ‘okzidentales’
Selbst zu suchen und an unterschiedlichen Orten auch zu finden scheinen.
Wir gehen davon aus, dass sich im Unterschied zur binarisierten
Systemkonkurrenz ‘Freiheit versus Sozialismus’ des Kalten
Krieges gegenwärtig eine Verschiebung und Neukonstituierung
(west-)europäischer Identitäten herausbildet. Diese bedürfen
nach dem Ende der bipolaren Weltordnung am Übergang vom 20.
zum 21. Jahrhundert im Inneren wie im Äußeren eines neuen
Gegenübers, um sich selbst in einem sich neu ordnenden Machtgefüge
der internationalen Gemeinschaft wiederzuerkennen und bestehende
Dominanzansprüche zu sichern oder auszubauen. Wenngleich es
sich keinesfalls um ein völlig neues Phänomen handelt
und sich zahlreiche historische Kontinuitäten in den hier thematisierten
okzidentalistischen Praktiken zeigen lassen, spitzen sich diese
Selbstvergewisserungsprozesse insbesondere seit ‘9/11’
in ihren Projektionen auf einen bedrohlichen ‘Orient’
zu. Zugleich wird gerade dieses Datum zunehmend zu einer Zäsur
zwischen alter und neuer Weltordnung verfestigt, die bestehende
Kontinuitäten wiederum überdeckt und in neue ideologische
Horizonte einsortiert. Die multifunktional gewordene und immer wieder
von neuem aufgeladene ‘Projektionsfläche Orient’
tritt in Wissenschaften, Politik, Kunst, Literatur, Film etc. wort-
und bildreich als diffuses Konglomerat von unberechenbaren Schurkenstaaten,
omnipräsenten TerroristInnen und anpassungsverweigernden muslimischen
MigrantInnen in Erscheinung. In leidenschaftlich und nicht selten
rassistisch und sexistisch geführten Debatten um die Grenzziehungen,
die für die Renaissance eines neuen Verständnisses von
‘Abendländischkeit’ nötig sind, bilden sich
spezifische Typologien „ganz anderer Andersheit“, die
im Laufe der Zeit ein spezifisches ‘Profil’ annehmen.
Ahistorisierend, essenzialisierend, kulturalisierend, bisweilen
irrationalisierend und auch pathologisierend werden bestimmte Individuen,
Personengruppen und Weltregionen immer wieder auf ein Bündel
an ‘Eigenheiten’ im Sinne ganz anderer Andersheit festgelegt,
das den ihnen zugrunde liegenden sozialen, politischen, ökonomischen
und historischen Gegebenheiten nicht gerecht werden kann. Vielmehr
erwächst aus diesen Prozessen des kollektivierenden ‘Othering’
eine „okzidentalistische Selbstvergewisserung“ dominanter
Denk-, Sprech- und Handlungspositionen. Jene sind sich ihrer vermeintlichen
Überlegenheiten, die unter anderem das Resultat eines Vermächtnisses
kolonialer Expansionen sowie auch eines so definierten europäischen
Einigungsprozesses samt dessen Exklusionsmechanismen sind, zunehmend
unsicher geworden und investieren umso mehr in ihr Wiedererstarken.
(...)
Kien Nghi Ha zur deutschen Integrationspolitik als
koloniale Praxis:
Statt die Priorität auf den Abbau von strukturellen
Diskriminierungsdynamiken und die nachhaltige Herstellung von gleichen
Rechten zu legen, fördert die politische Rahmensetzung der
rigiden Integration rassistische Praktiken. Das Stigma der Integrationsbedürftigkeit
behandelt Migrierte wie Kinder oder Kranke, die auch als unmündig
und unselbständig konzeptionalisiert werden. Da sie ihre wohlverstandenen
Eigeninteressen nicht zu erkennen bzw. umzusetzen vermögen,
sieht sich der deutsche Staat nicht nur berechtigt, sondern auch
in der Pflicht, ihre gesellschaftlichen Aufgaben festzulegen. Wir
befinden uns erneut in einer Situation, in der es die ‘Bürde
des Weißen Mannes’ ist, den Anderen ihr ‘Glück’
in der Integration aufzuzwingen.
Aus dieser manichäischen Differenzkonstruktion
wird seit dem aufklärerischen Zeitalter der europäischen
‘Entdeckungen’ und Expansionen ein Anspruch auf politische
und kulturelle Überlegenheit abgeleitet. Historisch standen
die gewalttätige Missionierung, Zivilisierung und (Unter-)Entwicklung
des Anderen im Zentrum kolonial-pädagogischer Praktiken. Heute
werden in der nach wie vor westlich dominierten Weltpolitik neo-liberale
und neo-imperiale Kräfte verdächtigt, vor allem Fragen
der Werterziehung (kapitalistische Wirtschaftsweise, liberale Demokratie,
Frauen- und Menschenrechte, religiöse Freiheiten etc.) in den
internationalen Beziehungen zu instrumentalisieren, um tiefgreifende
Interventionen zu legitimieren. Auch im hiesigen Integrationsdiskurs
wird erst durch die dominante Perspektive das Paradigma der Defizitkompensation
erschaffen, das die demokratische und kulturelle Werterziehung des
postkolonialen Anderen als vordringliches Ziel der politischen Agenda
vorschreibt. Im Integrationsdiskurs werden, in unterschiedlichen
Ausformungen und Abstufungen, die rassistisch und kolonialistisch
aufgeladenen Stigmata des ‘Kulturkonflikts’ mittels
pauschaler Unterstellungen und dichotomischer Zuordnungen als zentrales
Problem westlicher Einwanderungsgesellschaften Festgeschrieben.
***
Jürgen Peters & Christoph Schulze (Hrsg.)
»Autonome Nationalisten«
Die Modernisierung neonazistischer Jugendkultur.
UNRAST-Verlag, Münster 2009. 72 Seiten, 7,80 Euro
Ein „schwarzer Block“, Basecaps, dunkle
Kleidung und Parolen wie „Fight the System!“ - die Verwirrung
ist groß, seitdem vor einigen Jahren erstmals „Autonome
Nationalisten“ (AN) auf Neonazi-Aufmärschen zu beobachten
waren. Es handelt sich um eine Strömung in der militanten Neonaziszene,
die sich diverser Symbole, Codes und Sprachformen bedient, die bisher
in der Linken verortet waren.
Was hat es nun auf sich mit den AN? Haben wir es mit
verkleideten Neonazis oder mit einer neuen Form extrem rechter Jugendkultur
zu tun? Ist die Herausbildung der AN gewinnbringend für die
extreme Rechte oder führt sie zu weiteren Konflikten? Funktioniert
der Stilwandel tatsächlich reibungslos? Stellen die „Autonomen
Nationalisten“ eine neue Gefahr dar?
Was lässt sich aus der Enteignung der Form politischer
Inszenierung lernen?
Die Herausgeber dazu:
Das vorliegende Buch möchte in komprimierter
und verständlicher Form dem Phänomen „Autonome Nationalisten“
auf den Grund gehen.
Im ersten Kapitel nimmt Christoph Schulze den Kontext,
die Geschichte und den Charakter der „Autonomen Nationalisten“
unter die Lupe. Bei den AN steht Popkultur wesentlich höher
im Kurs als NS-Nostalgie. Wie und warum sind die AN entstanden,
welches politische Selbstverständnis haben sie? Was macht sie
attraktiv für Jugendliche?
Daniel Schlüter nimmt sich im zweiten Kapitel
die inhaltlichen Perspektiven des „Autonomen Nationalismus“
vor. Hierbei stößt er bei der Suche nach einem inhaltlich
geleiteten Konzept der AN auf „eine gewisse Leere“ und
auf eine „Suchbewegung“. Der Riot, den die „Autonomen
Nationalisten“ inszenieren, erweist sich häufig vor allem
auch als Riot in den Köpfen der Beteiligten.
Jan Raabe widmet sich im dritten Kapitel den „Autonomen
Nationalisten“ als jugendkulturellem Phänomen. Handelt
es sich bei der Entstehung der AN um einen politisch reflektierten
und strategisch ausgerichteten Prozess oder um eine jugendkulturelle
Dynamik, in der „cooles“ und „modisches“
Auftreten von zentraler Bedeutung ist? Und welche Rolle spielt Hardcore
für die AN und ihre Entstehung?
Die politische Ästhetik der extremen Rechten
nach 1945 kennt keine eigenständige Bilder- und Formensprache.
Was also tun, wenn man als AN modern und jugendkulturell zeitgemäß
erscheinen möchte? David Begrich beschäftigt sich im vierten
Kapitel mit der politischen Ästhetik der „Autonomen Nationalisten“
und deren An- und Enteignung von Bildern und Formen aus anderen
ästhetisch-politischen Strömungen.
Bei weitem nicht alle Strömungen des Neonazismus
können sich trotz inhaltlicher Übereinstimmung mit dem
Auftreten der „Autonomen Nationalisten“ anfreunden.
Insbesondere die NPD bemüht sich um Abgrenzung, befürchtet
sie doch, dass Wählerinnen und Wähler durch die „Straßenkampf“-Ästhetik
der „Autonomen Nationalisten“ abgeschreckt werden. Jürgen
Peters und Tomas Sager schauen im fünften Kapitel hinter die
Kulissen des Streitpunktes „Autonome Nationalisten“.
Für die beispielhafte Darstellung einer lokalen
Gruppe der „Autonomen Nationalisten“ wagt Johannes Lohmann
im sechsten und letzten Kapitel einen Blick in die Provinz auf die
„Autonomen Nationalisten“ in Pulheim, einer Kleinstadt
im Kölner Umland. Wenngleich diese Neonazigruppe aktuell nicht
zuletzt wegen anstehender Strafprozesse ihren Aktivitätsgrad
stark eingeschränkt hat, so wird doch deutlich, dass es sich
bei den „Autonomen Nationalisten“ inzwischen nicht mehr
nur um ein urbanes Phänomen handelt, das aus gewachsenen Neonazi-Strukturen
entsteht.
|
|
|
Netzbrücke:
• Necati Merts Kolumne
• Mehr lesenswertes
Textmaterial
• Wider den Schwarzen Winter
• Porträt des Periodikums
|
|