XXVI. Jahrgang, Heft 146
Okt - Nov - Dez 2007/4

 
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  Meinungen - Karawanserei  
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Letzte Änderung:
11.12.2007

 
 

 

 
 

 

 

LYRIK




   
 
 


spottlied

die beliebten
die sich so unbeliebt machen
bauen sich einen cordon securité
einen gehörigen schutzwall
wie angefressene speckrollen
am besten von fern gesehen
aus der zuschauerperspektive
nur nicht zu nahe treten
unter bluthochdruck
könnte der ekel überhand nehmen
übel mitspielen
in brechreiz ausarten
den reizdarm aktivieren
mit einer gesundheitsgefährdung
einher gehen ohne den hinweis
auf der verpackung
die man besser zu läßt
wie bei einer mogelei
eine rückgabe
dürfte schwer werden
bei dieser allgemeinen präsenz
und verpflichtenden repräsentanz
mit schauspielerischen qualitäten
und dem glauben
an ihre unentbehrlichkeit
bei jeder unpäßlichen gelegenheit
unsere fernsehlieblinge
kennen nur den auftritt
unter abgeschirmten bedingungen
der abtrieb
bleibt dem almvieh vorbehalten
als guter hirte
mit den schäfchen im trockenen
essen und trinken
hält mit macht zusammen
und an dieser fest

Manfred Pricha

***

zwischen dem planeten mars
wo der mangel
an sonnenwärme
alles erfrieren lässt

und der venus
– manche erzählen
sie sei seine liebste –
wo alles verglüht

hat sich ein streifen gebildet
gemäßigt
für unsere erde
wo pflanzen und tiere gedeihn

wer möchte nicht alles tun
beten sogar
um leben und denken
zu erhalten

Wilhelm Riedel


***


Bewegung

In Bewegung bleiben,
Laß dich nicht nieder,
In Bewegung bleiben,
Keine Schlaflieder,
Um aufzuwachen,
Braucht es Bewegung,
Kein zudröhnendes Lachen,
Bewegung, Bewegung,
Nicht in Kummer versinken,
Beweg dich, beweg dich,
Nicht in Trübsal verfallen,
Selbstmitleidig lallen,
Um die Ursache des Lahmens
Zu verstehen, zu erkennen,
Brauchst du Bewegung,
Brauchst du Bewegung,
Um die Dinge beim Namen
Ganz deutlich zu nennen,
Mußt du in deinem Kopf
Gehen und rennen,
Ruh dich aus in Bewegung,
Kleb nicht fest in Lethargie,
Die Schuld hat nicht das Wetter,
Der andere nie,
Bleib in Bewegung,
In freudiger Erregung,
In Wiederbelebung,
Nach dem Tod des Lügens
Und Selbstbetrügens,
Beweg dich, beweg dich,
Bleib in Bewegung,
Leg dich nicht in den Schnee,
Ach müde, ach so müde,
Vergebung, Vergebung,
Wenn du stolperst und stockst,
Ist da nicht ein Licht
In Bewegung, in Bewegung,
Oh. du, oh du, wie du lockst!

Hadayatullah Hübsch


***


Ein Duzend Aphorismen
1. Etwas worauf ich mich als Mensch tatsächlich freuen kann ist: Niemandem bewusst Unrechtes getan zu haben.

2. Bei einigen Freunden ist am schwersten verständlich, dass sie einander gut kennen und trotzdem sympathisieren.

3. Ein ganzes Leben lang habe ich viel in Erfahrung gebracht; ich würde jedoch gerne alles was ich weiß dafür eintauschen, was ich noch nicht weiß.

4. Der Lauf der Zeit ist vor und hinter einer Toilettentür meistens grundverschieden.

5. Mit der Brille sieht schon irgendwie "intellektueller" aus, aber man kann mit ihr nur leichter lesen, nicht schneller begreifen.

6. Ich möchte sehr oft sagen, was ich nicht sagen möchte.

7. Die Stärke der Gewalt besteht darin, dass sie ihre Schwächen kraftvoll verteidigen kann.

8. Um in den Himmel zu kommen, muss so mancher durch die Hölle.

9. Wenn man sich längere Zeit in einer Umgebung aufhält, wo man der Gescheiteste ist, wird man immer dümmer.

10. Um den Platz an der Sonne zu behalten, muss man das Schwitzen akzeptieren

11. Oft zerstört man die eigene Zukunft aus Angst vor ihr.

12. Das perfekte Verbrechen wäre nur im Rahmen des Gesetzes möglich.

Johannes Bettisch


***


Sancho Pansa

Stürmt sie den Himmel? Mit dem Löwen, an der Leine, der Löwe,
     folgt der Löwe,
sie, im Himmel. Zieht der Löwe? Im Himmel, der Löwe, an der Leine,
     der Löwe,
es dringt, ein Schrei, die Herzogin ein, der Donner, im
Ohr, der Löwengroll.
Zuckst du? Zappelst, zerrst, du suchst, die Mütze, deine Nase,
     versteckt, ein Ohr,
verstopft, Mund, Auge, ich,
du, du zauderst nicht, kein Zurück, im Herzen, die Ritter, alle Väter,
     im Marschgepäck, unser, der Himmel,
du, dort, dein Himmel,
besetzt ist der Himmel,
die Karten, verschenkt, die Steuer, umsonst,
besetzt ist der Himmel, der Löwe, im Himmel, die Frau, mit der Leine,
du zögerst, vergeblich, der Löwe, im Himmel, der Löwe, eine Maus,
     der Löwe, an der Leine, die Frau, ich,
du erschrickst.
Sie haben den Löwen seziert, die Pfunde, aufgeteilt, der Löwe,
sie, haben den Löwen der Herzogin zugeteilt, der Traurigen,die Pfunde,
alles vergeben, vorbei,
auf dich wartet, im Himmel, der Löwe, die Herzogin,
du stürmst, die Leine, im Maul, du glaubst, du stehst,
deine Beine,
du reitest, den Löwen, mich,

du träumst, die Herzogin, der Liebreiz, die Milde, das Tagebuch,
du bist, wenn sie wollen, ich will, für eine Sekunde, mein Löwe,
du, im Totenbett,
nackt, wie du bist, sie haben uns ausgeschnitten, zugeteilt,
warte nur,
bald,
du gibst nichts ab, nichts zurück,
du bist der Löwe, du schweigst.
Sie haben die Noten gedruckt, unsre Instrumente, ausgegeben,
dich, den Horizont,
alles ist sicher, ich,
dein Esel, dort, Flügel,
sie stehen und grüßen, sie,
Sancho Pansa.

Horst Bingel


***


Illusion

Tageslicht
Von der Dunkelheit erwürgt
Liegt vor mir
Ich erahne deine Nähe
Um mich fliegen Bündel aus Andenken
Ich öffne die Augen
Kann nicht weiter
Meine Jugend ist alt
Aus der Seele geflüchtet

Jasmina Segrt


***


Stimmabgabe

Ich gebe bei jeder Bundestagswahl
ab meine Stimme für CDU
und CSU,

und dennoch sagt man zu mir,
ich wählte linksliberal
in unserem Lande hier.

Gottfried Weger


***

Kapitalismus

Es ist nix los, und ich knips
den Fernseher an und seh diese
verhätschelte Paris Hilton
über den Bildschirm flitzen, die
mit ihrer Entenfresse und ihrem
schrillen Auftreten für Furore sorgt.

Sie sagen, dass sie sogar Ein-
ladungen von Privatpartys nachgeht,
allerdings verlangt sie für
15 Minuten ihrer Anwesenheit
satte 250.000 Tacken.

Scheiße, denk ich mir, das kann
doch nicht angehen. Da ist so ne
schäbige Olle unterwegs, die in ner
Stunde Dummfickschwatz und
Körperschau so viel Kohle verdient,
wie ich in meinem ganzen Leben
nicht an Land ziehen werde.

Ich hab genug und schalte das
Programm um und seh mir eine
Live-Berichterstattung aus Berlin an.
Merkel hat das Wort.

Marcus Mohr


***


Vergeblich die Warnungen

vergeblich die Warnungen
der Pazifisten
im Weltbühnen-Urteil
wegen Landesverrat verurteilt
durchs vergitterte Fenster
warten
dass alles eintrifft

auch nach der Verwerfung
der Revision
durch das Kammergericht
trotzdem
der aufrechte Gang
ungebrochen

in der Nacht
des Reichstagsbrandes 1933
erneut verhaftet
vom Gefängnis ins Lager verschleppt
im Moor von Esterwegen gefoltert
zu Tode gepflegt
in Berliner Krankenhäusern
am 4. Mai 1938
an den Folgen der KZ-Haft gestorben

Carl von Ossietzky

Ingo Cesaro


***


Deutschlandlied

Tauschland Täuschland über alles,
über alles in der Welt,
wenn es stets zum Schutz und Nutze
unser Geld zusammenhält.
Vom Bordell bis an die Börse
hörst du „Ätsch! Der Euro fällt!“
Mauschel-, Meuchel-, Lüginsland,
bis der letzte Groschen fehlt!

Hamm’ wir auch nichts mehr zu protzen,
triumphieren wir wie Sau!
Wir sind schon bereit zum Kotzen:
Ekelfleisch, versifft und grau!
Aber deutsche Art bleibt rein!
Nix Kanakerbräute frei’n!
Auf geht’s! Negernüsse knacken,
Türken klatschen, das ist fein!

Einigkeit in Geiz und Geilheit
für den Standort Heuschreckland!
Danach lasst uns alle sterben:
Turbo-Sintflut, Mega-Pfand!
Knete, Koks und Volksverblödung
fahr’n den Karren an die Wand.
Glüh im Glanze der Verwesung,
strahle grell, Atomstromland!

Manfred Ach


***


Vom Semiolus Silvanus (Waldaffen) zum Semiolus Domesticus (Hausaffen) – ein Evolutionsgedicht

Einst haben die Kerls noch auf Bäumen gehockt,
behaart und mit blöder Visage.
Dann hat es sie in die Stadt gelockt,
nach Berlin, asphaltiert und aufgebockt
bis zur dreißigsten Etage.

Da kauern sie nun, den Flöhen zum Hohn,
in mit Gas beheizten Räumen.
Da blöken sie nun ins Telefon,
und es herrscht noch genau derselbe Ton
wie seinerzeit auf den Bäumen.

Sie hören nichts. Sie studieren fern.
Sie sind mit der Klapse in Fühlung.
Sie putzen das Bad nicht. Sie kratzen sich gern.
Berlin ist heute ein Halbaffenstern
voll Schuppen und Schauma-Spülung.

Sie stinken aus Mund, sie stinken aus Ohr,
sie fangen oft an zu toben
und nennen das „Party“. Sie drängeln gern vor.
Sie verstehen nichts von humanem Komfort,
sie ham nicht mal Garderoben.

Was ihre Verdauung übrig läßt,
verfüttern sie an die Ratten.
Sie verzapfen dir Schnee über Buddha und Brest,
sie sind gern „kraß drauf, ey“ und mehr noch „gestreßt“
und lieben sinnfreie Debatten.

Sie glauben, sie hätten mit Kopf und Mund
einen Fortschritt der Menschheit geschaffen.
Doch wissen wir, das ist alles Schund.
Ob Wald- oder Stadtaffen, sie bleiben im Grund
immer noch wesentlich – Affen.

Ní Gudix

Umgedichtet Kästners »Entwicklung der Menschheit«


***


Brüder 1917

die Toten des Weltkriegs leben
auf dieser einen Fotografie
die der Zensur entging die Gewehre
an die Brüstung des Grabens gelehnt
reichen sie sich die Hände Russen
Deutsche Franzosen einen Augenblick
unter der roten Fahne vereint bevor
sie auf Befehl erschossen werden
stehen sie auf gegen den Mord

Norbert Büttner


***

Der letzte Tanz

Wenn Empfindungen in Knechtschaft,
und das Recht gegängelt werden –
wenn ein Staat in einer Seilschaft,
von Verbrechern hängt auf Erden.
Menschen sich am Boden winden,
Halt und Hilfe sie nicht finden.
Sind Gesetze Beutegreifer,
stehen sie für Fron und Blut –
mörderischer Übereifer,
schürt hoch nur den Haß, die Wut.

Wenn ein wirtschaftlicher Aufwind,
auf den Schultern von Millionen –
Armen seinen Start beginnt,
und die Reichen dabei schonen.
Solidarität betrügen,
wird den Pöbel schon besiegen.
Klebt in dem Gesetzes-Dschungel,
an den Bäumen nur noch HARTZ –
schwelt und kocht es mit Gegrummel,
in den dunklen Tiefen gart´s.

Elisabeth Rosing

***

Vollmond

Er zeigt den Weg, wenn die Dunkelheit aufreißt.
Wenn der Mensch glaubt,
die ganze Nacht schwebt am Himmel,
ohne daran gebunden zu sein.

Sehe ich den blauen Atlas an,
denke ich an glänzendes Metall,
die Härte des zarten Diamanten.
Am schönsten ist der volle Mond,
weiß nicht, warum ich den halben nicht mag.

So wundersam in der Röte des Morgens
sein Schein am anderen Ende der Ägäis,
dieser betörend lächelnde Blick.
Immer ging Vater von den Lippen
das Lied der Fischer von jenen Ufern.

Der Tag wird kommen, der schaffende Hände belohnt
Von einem Ufer zum anderen werden
die Fischschwärme ziehen.
Meine Seele habe ich zur Aue gemacht
für die Völker der Welt, sie lacht.
In diesem Augenblick streichelt einer die Schecks
in seiner Tasche,
ein anderer das rote Gesicht des im Wasser
badenden Vollmonds.

Das ist eine große Liebe, wenn der Vollmond
beide Ufer der Ägäis bescheint.
Das ist das Friedenslied jener Fischer,
das fließt von Mund zu Mund:

Sät Friedenssamen!
Sät Widerstandssamen in die Herzen!

Molla Demirel

Aus »Blatt für Blatt«. Gedichte. Hamza Demirel, Dilek Karabudak. Verlag Anadolu, Hückelhoven 2001


***

Epochenschock

plötzlich aufzuwachen in einem
fremden jahrhundert ohne telephon
und unverhofft in engpässen gelandet
wie läßt sich der schock neutralisieren
in einem land voller ungewohnter menschen
man spricht und ißt auch anders
man kann sich natürlich naiv stellen
aber man möchte wahrscheinlich
überleben und geliebt werden
jetzt müßte man auf barmherzigkeit stoßen
und man müßte sich seine polemik abgewöhnen
ich war doch schon einmal höher entwickelt
und ich könnte euch erzählen
von fußballergebnissen und peepshows
von wahlergebnissen und kosmetikgeheimnissen
ich könnte die ganze vergangenheit verwirren
womöglich müßte man mich zwangsläufig
als einen originellen gott installieren
das wünschen wir uns wahrscheinlich gar nicht
die offiziellen verpflichtungen ekeln uns
wir suchen einen kompromiß
und beginnen die vergangenheit zu lieben
wenn sie unsere gegenwart verläßt

Karl-Heinz Schreiber


***


Einkerkerung eines Dichters

     Bedduali Sair – Nazim Hikmet

Feuchtigkeit, Ratten, Gedanken…
umgaben den Dichter.
In dunkler Zelle
vor allem entwickelte sich
ein großer Freiheitsdrang.

Die Freiheit haben sie ihm genommen,
diejenige die stärker waren als sein schwacher Leib.
Sie hatten Angst vor seiner scharfen Feder,
so schlossen sie ihn ein,
damit so auch ihre Untaten
eingeschlossen blieben.

Er wollte nicht dienen Agas und Beg
die die Schwachen unterjochten.
Er wollte nicht dienen den Mächtigen
die die Kleinen ausbeuteten.

Seine Brüder waren Byron, Lorca,
Neruda, Majakowski...,
die er in Gedanken bewirtete.
Die Gedanken gaben ihm Kraft,
daß er bei Sinnen blieb.

In seinem dichterischen Geist
verbrüderte er sich mit allen Dichtern der Welt.

Er träumte, wie Vögel durch die blauen Weiten fliegen,
hörte deren Gesang von des Baumes Kronen,
vernahm Pferdegetrappel durch endlose Felder
und die Brandung gegen Felsen schlagen,
im Fieberwahn des Schiffes Signalhorn erschallen.
Aus dem Traum erweckte ihn
ein Klagegeschrei der Mitleidenden.

Er träumte vom Sommer und reifen Kirschen,
von der Liebe und Geburten,
doch der Tod war ihm näher als sein Hemd.
Er betete ihn an,
ihn von der Qual zu erlösen.

Er sah schon sein Leben beendet
von denen,
deren Gesetze Schwerte und Streitkolben sind.
Auch Zarathustra hatte man mundtod gemacht.

Ein Dichter, der niemanden ein Leid angetan
ist eingekerkert wie ein Verbrecher.
Nur weil ihm Herz und Mund überfloß,
verbannte man ihn von allem Schönen.

Er ertrug seine Wunden und die der Mitleidenden,
die zu schwer waren für seinen schwachen Körper.
So sagte er ab der schweren Last
und seine Gedanken durchreisten die Welt,
die mich so erreichten.

Lazar Dasic

* Der verfluchte Dichter


***


Gotteslob 2007

Lobet den Herrn, den intelligenten Designer;
so intelligent wie er war ja vordem noch keiner.

Krönt ihn als König der Zahlen,
der rationalen und irrationalen,
der uns neckt mit Korpuskeln und Wellen
der Zahl Pi mit unendlich viel Stellen.

Der reich beschenkt hat unsereins mit
dem kleinen, dem großen Einmaleins
sowie der höheren Mathematik,
die er umgesetzt hat in Physik.

Begrüsst ihn nun als genialen Player
und Würfler, mit Quanten,
der nichtsdestotrotz als stabiler Steher
festgesetzt hat die Naturkonstanten.

Lobet den Herrn, den Zünder des urigen Knallen,
des heraklitischen Feuers, lobt ihn über alles.
Lobet den Knall, der so feuerhell ist,
was ganz in Übereinstimmung mit dem Standardmodell ist.
Aber halt mal – lobt ihr noch immer den
Märchen-Schöpfer mit voller Lippe,
der den Adam knetete als ein Töpfer
und Eva aus dessen Rippe?

Nein! Viel aktueller: ihr lobet den Herrn,
den mächtigen König der Ehren,
der das Atom erschuf, seinen Kern
und die Elemente, die schweren.

Achtung! Der Gott, der Eisen wachsen liess
unser Ur-Ahne, schuf uns zu Schutz und Trutze,
überdies Uran und die Trans-Urane.

Lobet den Gott-Knall der alles uns gab,
was im All ist und was einerseits Glücksfall, doch
anderseits leider auch Katastrophenfall ist.

Wie bitte?! Gott ist die Liebe,
aber auch grausam und streng,
obwohl er sein ganzes Getriebe
neutral begann, als Big Bang.
Egal, ihr lobt ihn den mächtigen König der Universen,
lobt ihn gedankenlos mit prächtigen Internet-Versen.

Lobet den Herrn, den Erfinder von
Raub- und Beutetieren,
und, nichtsdestominder, von Bakterien und Viren.

Lobet den Herrn mit Hymnen und Oden,
den Macher von Bränden und Fluten,
der die Wesen in Geburten und Toden
jubeln lässt, blühn und verbluten.

Kommet zuhauf, Psalter und Hip-Hop wacht auf.
Lasst euch vom Elend nicht stören,
weiter das Gotteslob hören.

Wer ihn besitzt, den knalligen Glauben,
Ist fein heraus:
kaum je lässt den Spass er sich rauben,
spendet dem Urknall Applaus.

Doch ob ihr auch lobet den Gott und den Knall,
designet kraft Intelligenz,
das verlogenste Wörtchen im ganzen All
bleibt im Grunde die “Transzendenz“.

Lobet den Herrn, – er lässt sich gern loben.
Wetten! Auf Wolke siebzehn, es gibt ihn dort oben!

Reimar Lenz


***


lächelnde äugen

zierlich die alte frau
schmal ihr gesteht
winddurchweht das
graue haar
aufrecht ging sie
grüßte
mit lächelnden augen

ich sah sie wieder
im sommer
erkannte nicht
ihre kleine gestalt
krummgezogen
im schwarzen mantel
kam sie mir entgegen

stehen blieb sie
drehte den kopf
schaute mich an
von der seite
und wünschte
einen guten abend
mit lächelnden augen

die mantelschöße hielt sie
fest in einer faust
hob sie hoch
weiter ging sie
krummgezogen
wieder im blick
die stumpfen pflastersteine

ich fror

Marlies Schmidl


***


Augsburg. Maximilianstraße 83. Rein.
Welch langer Weg in den Gewölbekeller.
Handwaschvorgang. Serviette umgebunden.
Honigmet. Willkommensschluck im Horn.
Zwischen Marterwerkzeugen, des Mittelalters Töpfen,
serviert man auf Brettern, und dazu den Trunk
im Tonkrug, als 'Welser Küche',
ein Dutzend Gänge, klein aber fein, bekömmlich.

Der Wirt verkündet zu Beginn die Regel:
Das Weibsbild bedient das Mannsbild.
Sonst tut der Wirt das letzere
mit Hals und Händen eng in ein Würgeeisen.
Die Suppe schlurft man betont aus tönernen Schüsseln.
Die Klößchen greift man mit Fingern ungewohnt.
Die Wachteln zerflattern in den hastigen Händen.
Stilette ersetzen, erschreckend, die Bestecke.

Ein Sänger zur Laute beschwört das Mittelalter.
Mit Pruntzelschütz. mit Liedgut, das vergessen.
Gerhard Mayr, merkt's euch, lautet der Bänkelsänger.
Mit Witzen der Wirt, alt, neu, teils derben.
Ein Korporierter mag sich derweil erinnern
an Kneipen und Umtrunk, sein Leben als Student
Nostalgien der Jugend, zeitlose Männerbünde
der Mannsbilder, ohne Weibsbilder, nur Damen.

Überkommenes Deutschtum. Europas Reichsgedanke.
Mit Minne durchmengt und Brocken Provenzalisch.
Mit Reminiszenzen an Ungarn vor den Toren.
Sankt Ulrich versöhnte damals, statt zu spalten.
Kirche, Kloster und Reichsstadt hielten das Geld beisammen.

Das Bier rückt nach in mehrlitrigen Krügen.
Weibsbild schenk ein! Laßt Essensreste den Armen!
Macht's wie die Fugger. Das ist hier Brauch der Gäste.
Ein Küßchen befreit das Mannsbild aus der Zwinge.
Zweimal zwölf schlägt die Glocke, wir aber müssen heim.
vielen Dank! Bis auf bald! Rauf! Maximilianstraße.
Im Ohr schwingen nach des Mittelalters Klänge.
Inständig der Wunsch, hier kehren wir wieder ein.

Jaime Salas


***


zeitgeschichte
persönlich gefärbt

zedern und ölbäume
die einander
mit benzin bestäuben
und die ernte
einfahren

eine venusfliegenfalle
die sich selbst
befruchtet
und auf schnelle beute
lauert

giftpilze
die ein wort
pflanzen
und ihr erbe über
generationen bewahren

ein billiger vorteil
der den eigenen himmel
zusammenfaltet
und auf das gardemaß
der georges bringt

kinder
die die zukunft
hinter sich haben
und in ihrer erinnerung
leben

Artur Nickel


***


Die Geschichte des deutschen Fernsehens

Vorspiel auf dem Theater
Beat Club
Unsere Nachbarn heute Abend:
Die Familie Schölermann
Panorama
Zeichen der Zeit
Krönung Elisabeths
Mondlandung
Wünsch´ Dir was
Spiel ohne Grenzen
Ein Herz und eine Seele
Acht Stunden sind kein Tag
Anna Karenina
Traumjob
Die Schwarzwaldklinik
Gute Zeiten, Schlechte Zeiten
Die Hunderttausend Mark Show
Geh aufs Ganze
Big Brother

Aufmerksamkeit in ihrer
Quantifizierung

Programmplanung über
Nutzungsverhalten

wo die gesellschaftliche Aufgabe?

der erste elektronische Krieg:
Golfkrieg

Bild- statt
Konversationsmaschine

der traumlose Traum
Adornos

Der Schwund der Medien
Signale Zahlen

Von Massen- zur
Individualkommunikation

der passive Zuschauer
ein interaktiver User:

Inter---net.

Sara Ehsan


***


Kosmopolit

Vater ist von hier,
Mutter ist von dort
doch du bist heimisch
stets an jedem Ort...

Du kannst viele Sprachen
kennst jeden Hit,
du bist Weltenbummlerin,
und ein echter Kosmopolit...

Du verbindest Menschen,
pflegst viele Kulturen,
du bist es de facto,
aber nicht de jure...

Du kämpfst für die Menschen
aller Kontinente,
verteilst deine Liebe
in kleinste Fragmente...

Erkenntnisse gibst du
aus Erfahrung weiter,
dein Gemüt ist sonnig,
dein Herz ist heiter...

Du bist nicht aus Ungarn,
auch nicht aus Spanien,
du bist Weltbürgerin
aus Kosmopolitanien...

Dragica Schröder

   

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