XXVII. Jahrgang, Heft 147
Jan - Apr 2008/1
 
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Letzte Änderung:
24.2.2008

 
 

 

 
 

 

 

Editorial

Gedankenfaden für die Kritik am Kritikus


   
 
 


Ein paar Bilder anläßlich eines Jahreswechsels

• Wieder bilanzierten die Stabsstubendarsteller ein Stadium, das kräftigen Kurs entfaltet. Der ethnisch homogene Hegemon produziert sich hünenhaft, seine Helden driften die Hominiden in eine Art Ameisenhaufen - vor der fingierten Invasion der harschen Horror-Hunnen. Den Taktstock schwingen dabei die digitalen Dirigenten der Journaillen-Junta.

• Eingedrungen in kahle Quartiere der divergenten Population, liegen die Antiterror-Trojaner im Hinterhalt. Bald werden die Bravour-Bullen der Antiraucher-Riten hinter den Straßenlaternen patrouillieren, zugleich im Halbdunkel der spätnächtlichen Spelunken lauern. Während die passionierten Genüßlinge des Glimmstengels draußen im zittrigen Zustand vor dem Frost ihrer Sucht frönen.

• Die repräsentative, doktrinär durchgesetzte Demokratie fundiert auf dem dumpf repressiven Weltbild der differenzierten Werte zwischen eigenem und anderem - analog zur antiken Agora, auf der sich die Sklavenhalter als partizipierte Parteien mitteilten und sich als Siegerbarden über Barbaren brüsteten. Auf dem Minoritäten-Phantom der Metöken, die als provisorisch geduldete Parasiten beäugelt werden, erstarrt gegenwärtig das aufklärerische Augenmerk.

• Der nimmersatte monetäre Moloch abendländischer Abart kühlt am Typus des exotisch Orientalischen seinen mythischen Mut und verursacht aufgeschwemmte Wutausbrüche in allen Breiten. Der Blaue Planet verwandelt sich mehr und mehr in ein ramponiertes Raumschiff der marktkreischenden Desperados sowie piratenparaten Privatisierer.

• Die mediale Monteuren-Meute steht als Status-quo-Quäker hinter den hart praktizierten Privatier-Parties neoliberalistischer Qualität, der krämerhaften Krankmalerei. Selbst im Klamauk des Überlebenskampfes üben die loyalen Untertanen des Novum Romanum ihre Lakaien-Rolle getreu den Gemeinplatz-Gesetzen sowie den Ritualen der messianischen Maskerade aus. Sie verfolgen vorsichtig die späten Spuren des spartanischen Spektakels und versuchen, eine einheitsfrontmäßige Formation aller Fraktionen gegen die furios fremden Fantasien zu formatieren, sie als fundamentalistische Fiktionen am Gegenufer zu forcieren.

• Honorige Humanisten hantieren mit dem Artefakt der heimlichen Horror-Horden. Heimatliche Honoratioren heimeliger Moral lassen Reform-Routinen ständestaatlicher Strukturen memorieren - jene gefahrvollen Subsysteme, die dadurch eskalieren, daß die minderbegütert untertänigen Lebenswelten zu ethnisch rivalisierenden Wesensarten manipuliert werden.

• Grenzenlos läuten die Großglocken der militanten, grimmig marktschreierischen Mobilität, bereichern - von dogmatischen Philosophie-Fanfaren der teutomanischen tüftelnden Tink-Tanks oder demokratisch dekorierten Denkfabriken ins Global übersetzt - den Gauner-Gaumen.

• Die Freiheits-Fundamentalisten, die als Gewinnmargen-Mönche des Besitzgötzen fuhrwerken, bewirken als absolute Autoritäten der Gerechtigkeit, die eventuell als ethische Waffe eingesetzt wird, um resolute Gefühlslagen zu übertünchen - meist mit der Firnis aus dem Arsenal in der Finsternis. Ihnen gehen selbst die linken Lemminge auf den Leim, nicht aus mangelnder Unkenntnis, sondern Werte-Treue.

• Immer wenn der Krisenkurs des endkapitalistischen Kometen in die Höhe schnellt und der Karren-Konvoi der Demokratie-Kumpanen tief im Dreck steckt, streckt ihnen der bunte Bund der Biedermänner willfährig die Hand entgegen.


Mainhattens Dompteuren-Demokratie

Das Jahr 2008 begann im Groß-D-Land mit einer Attrappen-Attacke der Verbotsformationen auf den blauen Dunst, die irgendwie zusammenhängt mit dem dauerhaft kommandierten Handstreich der kulturalistisch aufgerüsteten Kompanien auf die halbwüchsigen Bösewichte nicht-germanischer Altvordern.

Die Schwarzen-Union der Grauen-Republik benötigte ein Phantom, um den hochheimatlichen wie tiefheimeligen Chor der ausgerufenen Wahlpartie im Jahr 2008 zu protegieren. Ihre Leitfiguren hatten den neorassistischen Grundcharakter des Lehrgebäudes, in dem sie es sich bequem machen, nicht zu verheimlichen. Um die Reklametrommel zu rühren, genügte ihnen eine Episode der Aversionen, die den Laien ohne weiteres ethnisierte Eigenschaften boten.

Gewaltexzesse in der U-Bahn. So lautete der Titel des Szenariums, das sich vor laufenden Kameras am Tatort tatsächlich abspielte und im Anschluß daran tagelang in der Glotzkiste. Spätabends oder Frühnachts - nicht von tiefgreifender Tragweite. Da verweilen zwei Jünglinge, der eine mit türkischer, der andere mit griechischer Stammtafel. Ein Flaneur im Rentier-Alter ertappt sie beim passionierten Ziehen am Sargnagel, weist auf das frisch verhängte Verbot hin. Ob er noch mehr sagte, z.B. "unartige Ausländer!" bleibt unbekannt. Jedenfalls liefen die beiden ihm nach und wurden tätlich.

Nichts rechtfertigt ihr Tun. Zudem verpflichtet sie ihre elterliche Mentalität, Respekt vor den Älteren zu zeigen. Kann von weiteren provokativen Hintergründen die Rede sein? Sie gab es vielleicht tatsächlich nicht, müßte jedoch nachgeprüft werden, bevor die Zöglinge der medialen Zunft aus einer Episode ein Politikum, ein generelles gesellschaftliches Geschehen fabrizierten. Denn sie liefert letztlich den ungehörigen Anstoß, die heranwachsende Generation einer ganzen Gemeinschaft als Störenfried in den Verdacht zu rücken und sie dann auch für vogelfrei zu erklären.

Nach eigenen Angaben der beiden Radaubrüder habe der wehrlose krankenhausreif getretene Ruheständler jedem von ihnen eine Ohrfeige geknallt, nachdem sie sich geweigert hätten, seinem Warnwort zu folgen und die Raucherorgie zu beenden. In manchen Portalen im WWW-Dschungel tauchten sogar Zeugenaussagen auf, welche diese Variante erhärteten. Welcher Dreh den Positionen der Züchtiger auch immer anheimfallen mag, das Geschehen erschien ihnen vollkommen als genehm.


Reparatur-Atelier der Apartheidsapparatur

Es wäre dümmlich, den gezielt inszenierten Debattenzirkus als ein humanitäres Debakel aufzufassen, wobei es sich vorgeblich darum dreht zu vereiteln, daß ein demographischer Dompteur und demagogischer Feuerteufel namens Roland Koch aus der angeheizten Atmosphäre - mit einer gehörigen Portion braun-brummiger Affronts -Wählerstimmen saugt. Erbärmlich ist zudem, daß sich der volksstaatlich geschulte Souverän leicht von "Bild"-Stürmern lenken läßt. Denn das bedeutet, daß im majoritären Potpourri fortan ein solches Potential existiert, dessen sich jeder Mandatar der Macht idiotensicher bedienen kann. Es genügt lediglich, ressentimentgeladenem, neorassistischem Gedankengut freien Lauf zu lassen. Statt sich daher über den unlauteren Urnengang zu beklagen, müßte hier vielmehr ein Vergehen an Menschenrechtsmetaphern ins Auge gefaßt werden. Und nicht nur.

Der markant markierte Streit über die jugendtypische Straßengewalt, der einer krakeelenden Kampagne gegen die als ungleichwertig abgestuften Spätankömmlinge gleich kommt, trägt ziemlich dreiste Züge der intensiven Apartheidsapparatur und zielt systematisch auf das ethnisierte Unten. Erwähnt werden sollte in diesem Kontext das Vorhaben der mitwirkenden Akteure des eliminatorisch tönenden Szenarios mit den "geschlossenen Erziehungscamps" für straffällig gewordene Heranwachsende eingewanderter Einwohner. Damit nähern sich die Repressionsroutinen der Berliner Republik historischen Vorläufern. Um jedoch jegliche Kombination mit den Konzentrationslagern des Dritten Reichs zu vermeiden, wird anstelle des Terminus "Lager" der Anglizismus "Camp" verwendet. Die ersten dieserlei Fremdenlager befinden sich bereits im Aufbau, berichtet das Internetportal www.german-foreign-policy.com/de vom 9. Januar 2008, oder sogar in Betrieb wie das "Trainingscamp" im nordhessischen Diemelstadt, das als Modellprojekt bezeichnet bzw. gewürdigt wird. Ein weiteres "Camp" errichtet das Bundesland Nordrhein-Westfalen noch im Frühjahr 2008.


Allerlei-Allianz der Allemanen

Das Groß-D-Land bekommt ein frischgebackenes arisches Gesicht mit metropolitan manifestierten Deportationsdepots für migrantisches Menschenmaterial, Anstalten bzw. geschlossenen Lagern zum Umerziehen, respektive Züchtigen straffälliger Greenhorns - garantiert frei vom blauen Dunst.

Die Wertedifferenz gehört zum allgemeinen Werk des alteingesessenen Allemanen. Jeden, der anders aussieht als er und seinesgleichen, entwertet er als überflüssigen "Ausländer", dem es gilt, die Leviten zu lesen, damit er dem marginalisierten Status anpaßt oder abhaut. Anders kann der germanophile Philister nicht. Für ihn sind Ausländer per Gesetz politierte Primitive oder vorläufig existentielle Exoten, die sich ziemlich anderes benehmen, auch wenn sie hier zur Welt kamen und aufwuchsen. Und das Andere enthält grundsätzlich nichts Gutes, in erster Linie nur Negatives.

Dieses in Memen (Memory) fest verwurzelte Weltbild des aufs Grundgesetz gestützten guten Germanen schiebt jeglichem Engagement für ein re-visionäres Fortkommen gesellschaftlicher Regeln einen Riegel vor. Als scheinheilig läßt sich daher entlarven, was sich im Gegengestade der neokonservativen Kolonisatoren abspielt. Es waren bei Lichte besehen miesepetrige Gemeckere, die gegen Roland Kochs populistisch passionierte Positur sowie "Bild"-Boulevard-Provokationen zeitweise Wellen schlugen. Die altbewährten Kräfte der linkslastigen Kritik kommen auch dieses Mal in sonorer Sonderlaune als artige Apologeten des Fetischs Demokratie anmarschiert und gehen an der ethnisch entstandenen Unterschicht vorbei, damit an der expansiven, gewissermaßen dynamischen sozialen Dramatik.

Was wahrscheinlich im Wesentlichen fehlt, ist die Kritik am Kritikus. Sie hat den revolutionären Akt zum Inhalt und zielt darauf, das normative Niveau des völkisch Gegenwärtigen zu überwinden, allen voran das System - und nicht dessen Subsysteme - in seinen faulen Fundamenten generell in Frage zu stellen, die Utopie zu wagen und ein Gesellschaftsbild auf höherer Etappe zu illustrieren - ein kosmopolitanes Kollektiv. Das bedeutet, dem Thema der Gesprächsrunden den Ton anzugeben, die verkorksten Strukturen des Volksstaates anzuprangern. Es gilt den Rahmen zu ändern, nicht das Menschenbild.

Necati Mert

   

Netzbrücke:

• Necati Merts Kolumne

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