XXVII. Jahrgang, Heft 147
Jan - Apr 2008/1
 
  Inhalt  
  Editorial  
  Meinungen - Karawanserei  
  In den Kulissen der Teutozentrale  
  Kosmopolitane
Menschenwelten
 
  Kultur-Atelier  
  Medien-Kultur-Schau  
  Lyrik  
     
  Wir über uns  
  Der Verein  
  Archiv  
  Impressum  
     
 

Letzte Änderung:
24.2.2008

 
 

 

 
 

 

 

LYRIK




   
 
 


Vom deutschen Humor

Wir Deutschen haben viel Humor,
doch bringt er nicht zum Lachen,
denn überall in unserm Land
kommt zu viel schwarzer vor!

und Schwarz, das ist allseits bekannt,
läßt einen, der aufs Leben schaut
und der sich noch zu leben traut,
nicht hierzulande lachen.

Gottfried Weger


***


überflieger

was für ein sturm
der über das land fegen könnte
in den herzen der weltmeister
ganze wälder entwurzelt
es soll nicht ihr schaden sein
wenn sie nur klug voran gingen
nicht mit einer taschenlampe
auch wenn die eine oder andere
ihnen auf den kopf fiele
zur tonnenschweren erleuchtung
regen und nebel im dickicht
eine klimaveränderung eben
die noch dazu bildet
eine gemeinschaft unter den verlierern
was für ein anblick
einer naturgewalt könnte das sein
im zeichen der globalisierung
wasser nach europa tragen
ohne leichenbittergeschmack
brüder und schwestern
jenseits der grenzen
die ich nicht einzeln kennen muß
des wachstums immer nur wachstum
wenn ich sie überfliege
getragen von einem sturm
der empörung
nachhaltiger als alles
bisher dagewesene

Manfred Pricha


***


Wach

Sie tragen dir auf,
Dick aufzutragen
Die Schmiere,
Damit das Räderwerk rollt
Und das Sandkorn nicht
Stört, das du dir aus
Den Augen gerieben,

Sie tragen dir nach
Dick im Geschäft
Den Billiglohn,
Damit die Konten wachsen
Und du nicht zum
Störfall wirst,
Auf den Kopf gefallen,

Sie tragen dir vor
Den dicken Antrag
Auf Mitgliedschaft,
Damit die Hände gewaschen,
Und du nicht gestört
Durch, die Straßen rennst,
Blutend aus dem Herzen,

Sie tragen dir zu
Das dicke Gerücht
Vom Lotto-Leben,
Damit die Zungen schweigen,
Und du nicht verstörst
Die reichen Spieler
Mit Hungerschreien.

Hadayatullah Hübsch


***


Bavaria Blues

Ein Tycoon beginnt zu wanken,
stand er einst auch felsenfest –
erst sich beugen, dann abdanken,
kümmerlicher kleiner Rest.
Verteidigt er Bavaria,
in Berlin noch gegen Preußen –
doch die große Schickeria,
legte schon aus die Fangreusen.

Bayernführer Edmund Stoiber,
ihm war jeder Sieg gewiß –
fällt wie viele unter Räuber,
endet mit dem Natternbiß.
Er beruft die Krisensitzung,
wohl zum aller letzten Mal –
wie so oft bei Überhitzung,
wird aus Funken ein Fanal.

Hat den Mund zu voll genommen,
fühlt sich dadurch mißverstanden –
dabei ist sein Glück zerronnen,
und wird wie ein Walfisch stranden.
Weit geschwungen seine Netze,
und zu weit hinaus gelehnt –
durch die Spionagen-Hetze,
wird sein Abgang nicht verschönt.

Elisabeth Rosing


***


Menschliche Macht

Herzen werden den Frühling abwarten
Hier wird jemand sein
Abtropfen wird die Nacht
Tropfen für Tropfen das Glück
Wir werden uns wieder an die Hand nehmen
Ozeane werden wieder kehren
Völker kommen von allen Seiten zurück

Jasmina Segrt


***


Herr, sagen Sie dem UNHCR,
er solle das Jammern um Defizite lassen
und sein Programm den Mitteln anpassen.

Herr, sagen Sie dem Minister,
der Hunger der Flüchtlinge sei nicht mehr
zu fassen
Der Minister solle was springen lassen.

Schon, die Sache regelt sich in der Region.
Wir schaffen nicht mehr diese Flüchtlingsmassen.
Man muß die Leute sterben lassen.

Herr, ich komme vom UNHCR.
Will der Minister Staatsräson
oder das C mit Religion?

Jaime Salas


***

ein tiefer schnitt

zwischen den kuchen eine torte: ein tiefer schnitt,
dann ists getan, das ende eingeleitet / schon
kurz darauf die creme ranzig, die milch zieht haut;

ein orden dem, der böses denkt / die maske(n)
gefallen, dahinter kein lachen, kein scherz:
christel feldmaus des nachts vor dem fernseher,

das liebste metall die klinge, stets neben dem kissen

Stefan Heuer


***


GÖÖGLMÖÖSCH & = 10

46
Ich bin langemarschfußkrank (wer spricht da
   von unsern) nicht Jagger nicht Rotten
Tunix taz und eternit
   und Tomjerry Hollywoodplotten
Bevor ich aus dem schwarzen fenn
   zwischen Krupp & Schneider Creuzot kam
hat der Bergalte Libanonzedern gesetzt
   die stehn heut noch in Hergenrath hochstamm

47
Mein anderer großvater war wie bekannt
   der figuristenwillem
der trug zwischen Moresnet und Verviers
   den pickelhaubgasmaskenbrillhelm
Kleine leute! sogar ein seebär dabei
   dessen frau aus Kalimantan war
Die nasimgesicht hab ich geerbt
    von einem der mal Osman war

48
So kalt war ‘s geworden dem hund der da kack-
   te schlugste die wurst mitm brett ab
Heiliges blitzmädel! Posita schlug ‘s
   ohne brett im bogen aufs bett ab
Da hockte der bucklige köter im schnee
   so sparschweinhämmerchenplingpling
Nur Äricha kriegte nen anfall: die sah
   ihn siebenfach ach auch sein dingding

49
Freund Heiner blickte in eine schlucht
   Wollt ihr sie zählen die leichen?
ist noch fleisch dran Da hing auch ein schwein
   aufgeschlitzt bis zu den weichen
Anny Dreigroschen kriegte nen schreck
   als sie seinen morgenurin trank
Du hast wohl wieder von weibern geträumt
   und dabei bin ich insulinkrank

50
No I pflegte grad sein Divansyndrom
   Überkommt einen wie ne Verliebtheit
Dauert ca 12 wochen Bei weisheitsbefall
   muß man nachsichtig sein In der Priebkeit
dagegen war Toyms man sah ‘s an den braun
   vereult über eisiger iris
Er schoß auf alles was aufrecht ging
   nur auf uns nicht: Kommando Z ibis

ToussainT


***

Straßenbegegnungen Radickestraße

der mann läuft breitbeinig
hält eine flasche in der hand
sucht einen euro
in seiner jacke
sucht den schlitz
am einkaufswagen
heute ist sonntag

Dörpfeldstraße

jeden tag sehe ich sie
die frau
sieht niemanden
langsam läuft sie
im mund eine zigarre
vom qualm umnebelt
ihr altes gesicht

Mariendorfer Damm

babyflasche in der hand
tränen in den äugen
die frau schaut mich an
zögernd ihre worte
sie trinkt nicht
zeigt auf die flasche
spricht weiter
leise

ihre tochter
muß arbeiten
der Schwiegersohn
ist gestorben
krebs
aus der türkei seien sie
über den wagen
beuge ich mich

sehe ein kleines
schlafendes gesicht
den nuckel
ausgespuckt am kinn
milchreste
auf der Unterlippe
kurze regung
nur dort

Wassermannstraße

in meinem wohnhaus
geöffnet die fahrstuhltüren
jeden tag fährt er seine frau
spazieren im rollstuhl
trägt einen rucksack
schwer wird es manchmal
sagt er
beide lächeln
hinter seinem krummen rücken
schließt sich die tür

An der Haltestelle Greifswalder Straße

im weißen kleid mit Überwurf
kam sie
jeder schritt
eine fließende welle
über pflastersteine
die engelsflügel
aus echten federn
windgeplustert

für das haar
würde ein maler
die färben
des Sonnenlichts nehmen

sie stieg in die Straßenbahn
fest in der hand
eine braune papiertüte an schnüren
danziger straße
dort nahm sie eine andere bahn
heiligabend war’s

Marlies Schmidl


***


kinder sind
unsere zukunft

die fahne flattert
vom rathaus

der kriegsminister
lässt geschwader steigen

ihre schrift
zeichnet den himmel

heranwachsend
werden sie diebe

mörder sogar
vernichter des nächsten

ausbeuter
auf kosten andrer

genießen sie
die güter der welt

kleingeduckte auch
die alles sich gefallen lassen

sind kinder
unsere zukunft

wenige nur
wachsen heran

zu liebenden und heiligen
in gewaltfreiem sprechen

verbindender freude
erhabenem glück

Wilhelm Riedel


***


Schattensprechen

Bilder
schlagen
in die Augen
körperoffen
liegen
Menschenreste
auf diesem Weg
wünsche ich
die Erinnerungen
verloren
mit einem Blinzeln
reißt
die Sonne
den Himmel auf
augentrocken
scheint
der verwendeten Jugend
alles möglich
und dies ist eine Warnung
ohne Zeit
zündet
Vergangenheit
die Zukunft
zieht sich
in ein Schattensprechen

Olaf Kurtz


***


Diesseits

Das Diesseits
als der Magnet,
dem die Späne des Rückwurfs
unablässig
entgegenrinnt,
ist selber Sichüberschreiten.

Doch das Unbewusste
besteht auf
einer Art falscher
Ewigkeit.

Das sprechende Wesen
ist ein
im Treibsand des Unendlichen
mahlender Lastwagen,
egal was es
transportiert.

Das sprechende Wesen
ist dazu verurteilt,
die Mühle
zu mahlen.

Thomas Collmer


***


Besserwisser

In der Nähe von Chancelade,
Zwischen den Windungen der Dronne,
Jagten vor siebzigtausend
Plus zehntausend Jahren
Die direkten Ahnen der Besserwisser.
Leibliche Not saß selten an ihren Herden,
Denn wildreich waren die Täler der Berge de Limousin.
Und wendiger Erfindungsgeist stellte diese Clique
Über alle anderen lebenden Auchmenschen.

Eines Tages, kurz vor der Sommerzeit –
Es hatte wohl drei Tage prasselnd geregnet –
Strahlte plötzlich um 17. 39 Uhr
Vom Firmament ein prachtvoller Regenbogen.
Und staunend lief zusammen
der homo sapiens fossilis.
Das gesamte Lager glotzte maulaffig zum Himmel
Und jeder versuchte das Rätsel zu deuten.
Wie rührend waren die kindlichen Vermutungen.
War man sich bisher im Unbegreiflichen
Immer tierisch einig gewesen,
So zerstritt sich,
Denn das Gehirn war gewachsen,
Der Haufen zum ersten Mal gründlich.

Oh, seht, eine Schlangenhaut, rief Nenny,
Das drallste der unschuldigen Reservegefäße.
Nein nein, prahlte der Führer der Kommune.
Das ist die Seele von Mantu, dem Pfauen.
Wir haben ihn listig erlegt mit einer Lawine.
Und da den anderen nichts Eigenes einfiel,
Schlossen sie sich der unfassbaren Deutung
Der beiden Wissenden an.
Und immer hitziger wurden Zank und Streit.
Er führte schnell zu Schlägen und Knuffen.
Rasend vor Eifer verteidigte jeder
Eigenen Glauben und nützliche Erfahrung.

Endlich griff ein Pelka,
Der geschickteste Knochenlecker.
Er trennte die beißenden Ungeheuer
Und sprach im gepflegten Affendeutsch.
Das ist ein Regenbogen.
Da wird reflektiert
In H2O Tropfen das weiße Sonnenlicht.
Es bricht hierbei und...

Weiter kam er nicht.
Denn ein Höhlenbruder begann
Plötzlich ungeniert rückwärts zu essen.
Er hieß Suffu und war eingestuft
Vom obersten Medizinmann
Als hyperaktiv und etwas blöde.
Als das Menü endlich den Boden berührte,
Sprach Pelka weiter.
Ich meine, das Sonnenlicht wird zerlegt,
Man kann sagen, es wird in Streifen geschnitten.
Und wir sehen so das weiße Licht bunt.
Rot, orange, gelb, grün, blau, indigo und violett
Heißen die sieben Geschwisterfarben.
Und exakt 42 Grad misst der Abstand des...

Doch hier war zu Ende gesprochen
die physikalische Wahrheit.
Die wilde Gemeinde, eitel und noch nicht schulfähig,
Erbost über die lange Belehrung,
Erwürgte den ehrlichen Artgenossen
und Lehrerhöhlenbruder
Und begann sich dann zu zerfleischen,
Weil jeder es besser wissen wollte.
Noch heute leben viele der Nachkommen
Der Affenmenschen von Chancelade.

Ererbter Hang

Proconsul, adliger Affe aus Afrika,
Saß eines Mittags während der Siesta
Im wilden Walde bei Tanjganika
Und dachte angestrengt nach über sein Vermächtnis.
Denn er war der letzte seiner Gattung
Und hatte die dumpfe Ahnung,
Dass er vor dem Aussterben
Ein Erbe zu hinterlassen habe.

Und die Sonne schien heiß
Und Durst dörrte sein Hirn
Zügig zu zwei Falten mehr.
Und er gebar seinen letzten
Und unbefleckten Gedanken.
Halb im Todeswahn
Beschloss er, eine einmalige Tat zu begehen.
Doch der Tod war sehr nah.
Die Erfindung eines Weltgedankens
Dauert lange und gelingt nur seltenen Leuten.
Darum musste ein Zufall rasch helfen.

Verzweifelt riss der aussterbende kranke Affe
Blätter und Äste von den Bäumen
Und warf sie in den unter ihm strömenden Fluss,
Nahm Steine und Kot
Und Knochen und ausgerupfte Haare
Und tat ein gleiches mit diesen Dingen.
Und stereotyp fraß sich diese Tat
In sein nach Ruhm schreiendes Hirn,
Bohrte sich tief und krebsartig in seine Psyche.
Und als der Todgeweihte
Mit letzter Lendenkraft
Seinen Erben, den Limnopithecus zeugte,
Vererbte er ihm den Hang zum Beschmutzen.
Herr Proconsul starb,
Doch diese affige Neurose
Pflanzte sich fort bis auf uns,
Den herrlichen Übermenschennarr

Barbarei

Welch ein Unrecht,
Grölten die Affen aus der Höhle von Teschick – Tasch.
Die Staroselje – Sippe
Hat in ihren Jagdgebieten
Eine Ratte mehr herum zu laufen.
Wir sind betrogen, so geiferten sie.
Auf und wetzt die Pranken.
Dieses Unrecht soll es nicht länger geben.

Und die Teschik – Tasch - Neanderthaler
Stürzten sich auf alle Staroseljer.
Und bestialisch war das Schlachten.
Wer gesiegt hat?
Der überschüssigen Ratte war es egal.
Da sich die Sammler und Jäger
Gegenseitig ausrotteten,
Hatte die Ratte nun Platz
Sich planlos über beide Jagdgebiete zu vermehren.

Pfui, welch eine Barbarei.
Wir Heutigen führen Kriege
Doch nicht mehr um Ratten.
Wir sind edel, hilfreich und gut.
So steht es geschrieben
Bis zum letzten Krieg.

Wir Vormenschen

Und homo sapiens sapiens,
Der Weltbürger und Elektroniker,
Der Raumeroberer und Gottsucher,
Der Quantenforscher,
Der Produzent von Massenvernichtungswaffen,
Der Süchtige und Alleskonsument,
Der Kotisierer der Welt und Moral,
Der Titan und Dummkopf?
Auch er hat eine Mission.
Auch er ist nur Vormensch
Und bastelt an seinem Nachfolger,
Dem Robotermensch mit künstlicher Intelligenz.

Wenn unsere Zeit abgelaufen ist,
Werden wir in Reservaten und Gehegen leben,
In Bildern und Filmen und Geschichten.
Und der Robotermensch wird zu seinen Kindern sagen:
Seht, das ist unser Ahn,
Unser Neanderthaler, unser Cro Magnon.
Ehrt und achtet ihn.
Und vergebt ihm alle seine Entwicklungsfehler.
Auch er unterstand dem Gesetz des ewigen Lebens.
Ein donnerndes Hoch unserem Vormenschen!
Hoch! Hoch! Hoch!

Kurt May


***


Und wenn es im Deutschen ein Wort für „nicht-durstig-sein“ gäbe,
hieße es DICHT, VOLL, ZU oder auch ABGEFÜLLT.
Wir leben, weil wir uns allenfalls den Tod der anderen,
jedoch nie unseren eigenen Tod vorstellen können.
So trinken wir auf das elementare Zerwürfnis des Seins,
als wäre die Geschichte von Liebe und Sex
nicht die Geschichte einer einzigen Verwechslung,
die beide „Phänomene“ zu den letzten Ideologien aufsteigen lässt,
an die wir uns wie Produkte verkaufen;
...und Ismen ziehen sich nach:
ein Li(e)beralismus als (Neo-)Sexismus.
Bevor jemandes Ausbeutung greift,
beute ich mich doch lieber selbst aus
und zensiere mein Werk, das ich bin
anstelle einer Biographie / den Kopf in der Schere.
Wie du das Innere des Todes
draußen IM LEBEN NICHT findest...
Atome strahlen, wenn uns das Denken blendet,
das wir als solches hinter den Handlungen
nicht erkennen (können) / wie einen Spiegel,
der in dem Moment mit uns zerbricht,
wenn wir ihn nur einmal
statt unserer selbst betrachten (würden).
Wo wir uns verlieren, gewinnen wir erst...Träume,
wie sie die Wirklichkeit freisetzt und die Möglichkeit bindet.
Die einfachste aller Fragen,
die Frage nämlich „wie es einem geht“,
lässt nur die schwierigste aller Antworten zu
bzw. offen – in einer Art des Schweigens,
indem man sich verspricht.
Eingeschlossen in meinem Körper,
kann ich mich selbst dann nicht verlassen,
wenn ich in dir bin (und blute).
Dieser Text ist es, den wir als bildgebende,
ja quasi-religiöse Nahrung aufnehmen,
wollen wir unsere eigentliche Nahrung ausscheiden,
war „Scheiße“ bislang doch immer mehr
als nur das bekannteste deutsche Wort,
wofür „Deutschland“ in der Fremde steht...
Ich kann alles für dich sein,
sofern ich für mich selbst nahezu nichts bin.
Wenn das Wort „Revolution“
aus der Öffentlichkeit verschwunden ist,
ist das die nächste Revolution!?
Je schöner die Nachrichtensprecherinnen,
desto unschöner die Nachrichten.
Liebe, an die wir uns gewöhnt haben,
ist nicht länger Liebe,
wie sie als Wahrnehmung zirkuliert,
als Bild in einem Kreislauf, dessen Abbild wir warten.
Sein UND Nicht-Sein ist die Antwort.
Wer eigentlich kontrolliert die Kontrolleure?
Mit Problemen, die niemand hat,
beschäftigt sich die Philosophie;
Bedürfnisse, von denen wir nichts wissen,
erzeugen in uns Wirtschaft, Medien und Politik;
Gedichte aber, die sich weder mit Tabus beschäftigen
noch solche außerhalb ihrer selbst erzeugen,
sind noch lange nicht tabu.
Dass wir anders sein wollen als alle anderen,
haben wir mit allen anderen gemein,
macht uns mit allen anderen gleich, oftmals sogar gleicher.
Ist Sex die (eine) Realität,
die den Tod in uns von Gott träumen lässt?
Früher machte man sich noch die Mühe,
Autoren umzubringen und ihre Bücher zu verbrennen;
heute ist es nur noch ein Ignorieren,
der freie Markt als moderne Form der Zensur –
für alles, was nicht unterhält.
Schreibe ich nicht mittelmäßig genug,
wird man mich nicht lesen,
ja noch nicht einmal verlegen.
Ich habe keinen Traum, ich träume...
(und wache tot auf).
Die Erwärmung der Erde
kann kaum noch darüber hinwegtäuschen,
dass es (einmal mehr) kälter in uns geworden ist.
Nicht das Begehren, das Nicht-Begehren ist es,
wonach sich Schönheit sehnt, die nicht in Ästhetik aufgeht
wie die den Körper weitenden Vorstellungen
von der Wirklichkeit eines anderen Körpers,
der in dem einen Körper ein Asyl sucht und ein Exil findet.
Man kann sich nicht gegen etwas entscheiden;
man kann sich nur nicht entscheiden
(zwischen Alles-Haben{-Wollen} und Nichts-Sein{-Können}).
Mich beruhigt, dass du auch ohne mich nicht zurecht kommst.
Meine Schublade, in die ich passe, ist ein Sarg;
und jede Unterstellung, die den anderen bezichtigt,
einer Ideologie auf den Leim zu gehen,
ist selbst schon Ideologie, nicht mehr
und (oder: aber auch) nicht weniger.
Gib mir Namen, unzählig viele,
damit ich eins werde mit der Welt,
von der ich nichts verstehe, und verschwinde.
Sag Ja zum Nein, sag nur nicht Jein,
wenn jedes Vielleicht schon zu einem Nein geworden ist.
Es gibt so viele Definitionen von Liebe,
wie es Menschen auf der Erde gibt,
aber so wenige Definitionen darüber, was ein Mensch ist,
wenn wir ihn nicht in zwei Geschlechter zerlegen.
Überhaupt nicht definiert sind die Begriffe in (den) Gedichten;
deshalb sind Gedichte jene sprachlichen Äußerungen,
denen am meisten misstraut wird.
Aus Dingen wurden Waren, aus Werten Preise.
Das System gehört zu den Toten und nicht,
wie von so manchem (für uns abstrakten) Funktionär angenommen,
die Toten zum System.
Schließlich stirbt die Sprache ja auch nicht in den Menschen,
sondern sterben die Menschen in der Sprache.
Wie poetisch die Welt doch geworden ist, seit wir lügen.
Wenn du nicht mehr gegen Staat,
Industrie und Gesellschaft sein kannst,
bist du nur noch gegen dich selbst.
Das Leben hat genau den Sinn,
dass es keinen Sinn hat / so wie der Tod,
der uns in seiner Sinnlosigkeit
(wie sonst nichts im Universum) ein Trost ist.
Und wurde je das Gesagte getan,
das Gedachte gesagt
oder das Getane vom Gedachten unterschieden?
Da wir es nicht gelernt haben,
mit Messer und Gabel umzugehen,
fressen wir wieder und wieder
das uns vorgesetzte Besteck
und spielen mit dem Essen wie mit Kot.
Nennt mich einen „freien Autor”, wenn ich gestorben bin
und nichts mehr mit meiner Biographie
respektive meinem Werk zu tun habe.
Und gebt den „jungen – hungrigen – Autoren” zu verstehen,
wie wenig ihre aufgeblähten Biographien überzeugen,
hinter denen sie ihre mittelmäßigen Werke zu verstecken suchen.
Verlernt wird das Leben ja erst durch Lesen und Schreiben.
Für jemanden aber, der nichts damit anzufangen weiß,
wie ich wem was wann schreibe, bin ich einfach nur arrogant,
zumal ich ja selbst kaum etwas mit mir anzufangen weiß,
um einen Zugang zu meinem Geschriebenen zu finden.
Was bleibt da noch, als dass mein Geschriebenes
einen Zugang zu mir findet und es nicht mehr
dieser Vorwurf der Arroganz ist,
dem man sich zumindest so lange ausgesetzt sieht,
bis man selbst am Ende glaubt, tatsächlich arrogant zu sein?
Leben meint Sterben, meint die Vorbereitung auf den Tod,
aus dem wir gekommen sind, als wir geboren wurden
und man es nicht mehr aushielt,
dass wir noch länger tot sind.
Fänden sich nur in jedem von uns
sämtliche Krankheiten dieser Welt wieder,
was zur Folge hätte, dass sie sich gegenseitig aufheben,
wir wären nie wieder krank.
Denken ist eine Depression
(wie jedes andere Wort / Architektur aus Schmerz und Zeit).
Seitdem die Erde rund ist und keine Mitte mehr hat,
die noch von irgendeiner Grenze vorgegeben wird,
kann es dir passieren, dass du dich, ohne es zu merken,
längst schon rechts von allem und jedem
draußen im Osten befindest,
je mehr du dich nach links, immer der Sonne nach,
Richtung Westen bewegst.
Das Leben kommt nicht im Imperativ,
der Tod nicht im Konjunktiv zu sich.
Wie kann es noch Knoten im Gehirn geben,
wenn das Gehirn für sich genommen
bereits ein einziger Knoten ist?
Kaufmännisch betrachtet ist der Funkspruch „Erde an Universum”
auch nichts anderes als ein Buchungssatz,
mit dem wir kontieren,
dass das Gegenwärtige sein aushöhlendes Element
nicht aus dem Vergangenen bezieht.
Erst mittendrin ist man nicht mehr dabei.
Deine Hand mit meinem Körper berühren;
Worte wie Wind; dass das, was wir wahrnehmen,
sich nie dort ereignet, wo wir es wahrnehmen;
und Bilder sich aus dem weißen Rauschen der Sprache lösen –
als Licht und Pause, als Musik –
Statistiken / gelöscht auf dem Papier,
der Archäologie Protokolle in der Bürokratie.
Vom Krieg erzählen die Alten wie die Jungen vom Sex.
Man kann noch sagen,
dass das, was sich sagen lässt,
schon gesagt worden ist.
Wie wir aber dabei lieben, werden wir stumm:
für den Tod, der nicht tötet, wo er lebt.
Und ginge es demokratisch zu,
müsste man Wahlbenachrichtigungen an die Adressen
der uns in der Überzahl befindlichen Toten schicken –
an die Friedhöfe und Schlachtfelder dieser Welt;
entschieden wäre nichts...
Es gibt keine Freiheit, nur Befreiung;
kein Tun-und-lassen-was-man-will,
nur ein Nicht-tun-müssen-was-man-nicht-will.
Wer beim Arzt nur noch ablegt,
macht sich frei bei seinen Bekannten,
den Beichtvätern von einst.
In den Fernsehdokumentationen
geben die Hintergrundsprecher Gott und Nicht-Gott.
Nie war es leichter, berühmt zu werden,
solange man nichts / außer seinem Ich / zur Schau stellt.
Der Organismus – ein Orgasmus...
Dieser Zwang zur Nonkonformität:
Wie das geschichtlose Vergangene
provoziert jetzt das Betuliche
in der Beschreibung des eigenen Gartens.
Wir hören auf, wo die Welt beginnt.
Und in den Städten riecht der Frühling nach Urin.
Nur ein Wort ist Liebe, nur eine Silbe der Tod.
Bis hierhin sind diejenigen gelangt,
die über der Sprache verrückt geworden sein müssen.
Warum für eine Literatur sterben,
die von sich aus nicht bereit ist,
für irgendjemanden zu sterben,
und von einem Betrieb künstlich am Leben gehalten wird,
obwohl der Unterschied zwischen Angebot und Nachfrage
nirgends größer ist als hier
und sämtliche Ver-Käufer die Käufer sind?
Bist du denn gemeint, wenn von dir als Kunde oder Gast,
Patient oder Insasse die Rede ist?
Wären wir nicht dumm, wären wir nicht hier.
Da die Gedichte nicht durch die Geliebte gehen,
geht die Geliebte durch die Gedichte.
Ich bin so müde, dass mir die Kraft fehlt einzuschlafen.
Euch kann ich es ja sagen; wir werden uns nie begegnen.
Zur Welt kommt allein die Welt nicht.
Das Problem der Lösung:
Entweder bist du Teil der Verfremdung
oder Teil der Entfremdung.
Solange ich Bücher kaufen kann,
muss ich sie (ja) nicht lesen.
Überhaupt: ein Buch lesen...; ich lese Text.
Wer die Uhren hat, hat nicht die Zeit.
Indem ich einräume, dass ich mich wiederhole,
wiederhole ich mich nicht.
Am Ende kommen Terroristen
wie der Selbstmordattentäter Gott,
der nicht tot wäre, hätte er nicht beides:
Brüste UND Penis.
Ich weiß nicht, was passieren muss,
bis endlich etwas passiert.
Die Namen der Autoren,
die ich gelesen oder nicht gelesen habe,
muss ich jedenfalls hier nicht erwähnen.
Wenn du die Hand aus deinem Gesicht nimmst,
kannst du deinen Kopf in beide Hände legen.
So in die Nacht / sein Licht bluten,
so Schatten der Erde / am Himmel stillen.
Ein gegen den Leser geschriebener
oder gegen den Autor gelesener Text –
oder eine Literatur, die zum Tabu wird,
wo sie selbst kein Tabu mehr benennt.
Das Seiende ist das Schweigende,
ein Alibi unserer Libido.
Du brauchst dich nichts und niemandem zu verschließen;
du wirst ausgeschlossen.
(Was soll sein?)
Eine Anspielung verweist...(so oder so).
Bisher hat noch jede Hierarchie
Demokratie zu verhindern „gewusst”.
Wem es nicht gelingt, Macht auszuüben,
indem er sich selbst erhöht,
erniedrigt andere stattdessen.
Ich muss so gut sein, dass ich es
auf den Dorotheenstädtischen Friedhof schaffe.
Über Dritte spreche ich nicht und will ich nichts hören,
selbst wenn sie noch leben.
Den eigenen Egoismus auf eine zweite Person (Singular) ausdehnen
und es wieder Liebe nennen...
Als sei die Entbindung,
gerichtet gegen die Arbeit des Todes und des Sexes,
vergleichbar mit der Notdurft;
als seien die WC´s nur deshalb die hellsten Orte im Universum,
damit die Exkremente von Nahrung
zuverlässig unterschieden werden können.
Die Welt wird uns tragen,
die Erde, der in uns nicht zu helfen war;
wo immer der Himmel küsste, traf er auf Haut;
gekrümmtes Haar – den ausgefallenen Federn eine Schlinge.
Wie fängt man sich Wolken ein?
Es wird hinterfragt,
um das Hinterfragen an sich / nicht zu hinterfragen.
Abgewandert in die Prosa ist das lyrische Ich.
Vorbei an aufgeschlagenen Speisekarten,
die aussehen wie Gedichtbände.
Und abwesend sind diejenigen, die es betrifft
und gegen die wir schreiben,
solange uns ihre Abwesenheit nichts anhaben kann.
Erinnere dich daran, dass du vergessen wolltest.
Erinnere dich oder vergiss es,
wie du dich selbst nie vergessen würdest.
Grenzen werden nicht überschritten;
sie werden verschoben.
Das Pflaster, von der Haut gezogen,
reißt eine verheilte Wunde auf.
Ein Rieselfeld das Gehirn,
wenn wie ein Unwetter
die Bilder sich im Beifall entladen
und das Stilleben unserer Körper schalten,
das weder die Sprache selbst ist
noch eine Zeit, die so verbracht wird,
wie Leichen verbracht werden
oder G R A S formatiert,
wenn es rückwärtsgelesen den SARG abgibt.
Ich bin ein Zitat, wo das Zitat bereits Zitat ist,
ein Schweigen – viel redend / nichts sagend –
der Tunnel am Ende des Lichts.
Um die Menschen von der Straße zu bekommen,
wurde das Auto erfunden;
um sie von den Gehwegen zu bekommen, das Fahrrad –
so schneidend das Licht...

Clemens Schittko

   

Netzbrücke:

• Necati Merts Kolumne

• Mehr lesenswertes   Textmaterial

• Wider den Schwarzen   Winter

• Porträt des   Periodikums