XXVII. Jahrgang, Heft 147
Jan - Apr 2008/1
 
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Letzte Änderung:
24.2.2008

 
 

 

 
 

 

 

Meinungen–Karawanserei

Gagge statt Flagge

Wider die unerträgliche Züchtigung grüner Youngsters

   
 
 


Den originellsten Beitrag zur österreichischen Innenpolitik der letzten Wochen lieferte die Parteijugend der Wiener Grünen. In revolutionärem Eifer ließ die GAJ ein Plakat drucken, das den stimmigen Slogan der Gemeinde Wien gegen Hundekot „Nimm ein Sackerl für mein Gaggerl“ in ein „Nimm dein Flaggerl für dein Gaggerl“ umwandelte. Mehr haben sie nicht gebraucht, diese vaterlandslosen Gesellen. Da hört sich jeder Spaß auf. Wenn die Fahne in den Kot gezogen wird, ist für die Patrioten Feuer am Dach. Großes Geschrei war die Folge. Eine kleine Hetzjagd war angesagt.

Eilfertig distanzierte sich die Ökopartei. In seiner Funktion als Innenminister im Wartezimmer trat gleich mal Peter Pilz auf den Plan. Auf seiner Homepage fordert er Züchtigung, Bekenntnis und Ausschluss. Unter dem Titel „Grüne Scheisser“ schreibt er: „Bis vor kurzem wusste ich nicht, dass es auch das bei uns gibt. Jetzt empfiehlt die ‘Grün Alternative Jugend Wien’: ‘Nimm dein Flaggerl für dein Gaggerl’. Ein Hund hält dazu die österreichische Fahne im Maul. Ist das jetzt ein grüner Lausbuben- und Lausmäderlstreich? Reicht da ein mildes Kopfschütteln unserer Parteiführer und Führerinnen? ‘Wer Österreich liebt, muss Scheisse sein.’ Das steht auf dem Plakat und ist offensichtlich die Meinung der GAJ Wien. Ich bin anderer Meinung. Wer Österreich für Scheisse hält, soll sich dafür eine Scheisspartei suchen. Die sind sicherlich nicht wir. Bis jetzt sind die Plakatkünstler noch nicht an die Öffentlichkeit getreten. Das sollten sie jetzt tun. Sie sollten sich persönlich vorstellen, entschuldigen und sich ein neues Feld für ihr Gaggerl suchen.“ Da fehlt nur noch die Forderung, den Youngsters doch eine ordentliche Tracht Prügel zu verpassen.

Wo Pilz poltert, ist die FPÖ nicht weit. Die würde die jungen Grünen am liebsten gleich einsperren. Denn die Parolen seien nicht nur „ein Schlag ins Gesicht jedes aufrechten Österreichers. Sie sind auch von strafrechtlicher Relevanz.“ Man fragt an, ob dieses Plakat nicht den Tatbestand des § 248 des Strafgesetzbuches erfüllt, der die Herabwürdigung der Republik, insbesondere der österreichischen Fahne regelt. Nichts Schlimmeres als eine Fahne durch den Dreck zu ziehen. Der Taschenspielertrick dabei ist, den Leuten einzureden, die Kritik von Symbol und Institution trifft a priori auch sie, beleidigt sie höchstpersönlich. Doch stimmt das so? Wer die Fahne beschimpft, beschimpft nicht mich, und wenn jemand das Volk nicht mag, warum sollte ich mich da betroffen fühlen? Weil ich einen österreichischen Staatsbürgerschaftsnachweis habe, deswegen stehe ich doch nicht in Geiselhaft.

Bevor noch mehr auszucken, erinnern wir uns doch nur kurz an den lange kolportierten Mythos von der Entstehung dieser Fahne. Auch wenn die Geschichte nachweislich nicht stimmt und sie immer mehr aus dem Verkehr gezogen wurde, ist sie geradezu bezeichnend. Nun, es war unser ostmärkischer Herzog Leopold V., der auf dem Dritten Kreuzzug durch das Blut der Muselmanen watete. Sein ganzer Waffenrock war rot. Nur dort, wo sich der Gürtel befand, blieb darunter ein breiter Streifen weiß. Rot-weiß-rot ward geboren. Was erzählt uns diese Geschichte? Doch nicht weniger, als dass die Flagge Folge eines Gemetzels ist. Darf man sich dazu bekennen? Welch blöde Frage, man muss! Die Abschlachtung missliebiger Fremder ist die ideologische Basis der österreichischen Flagge. Es ging um Aggression und Invasion, inklusive Blutbad. Und die Barbaren standen wie so oft im Osten.

Mir zweifellos ist der Kot beim Arsch lieber als die rot-weiß-rote Kriegsbemalung im Gesicht. Um es auf den deftigen Punkt zu bringen, auf dass es auch Patrioten verstehen: Gagge kommt im Normalfall natürlich aus den Menschen heraus, Blut (von der weiblichen Menstruation abgesehen) hingegen nicht, es muss durch einen extremen Ein- oder Übergriff aus ihnen herausgeholt werden. Sind sie die Gagge los, so sind sie erleichtert, sind sie das Blut los, sind sie tot. Was da die obszönere Vorstellung ist, liegt auf der Hand. Wahrlich, es ist um vieles unerträglicher, für die Flagge zu töten oder zu fallen als auf sie zu scheißen. Gegen die menschenfeindliche Perversion des ersteren ist zweiteres direkt befreiend, ein Tabubruch der humansten Güte. Auch wenn man diese Erkenntnis den grünen Jungs jetzt rausprügelt, es ist gesagt und ich gratuliere. Und erkläre mich solidarisch, wenn sich schon sonst niemand findet. Noch einmal: gegaggt werden wird immer, auf alles, auch auf Fahnen, aber geblutet wurde schon genug, gerade für Fahnen. Die Frage also, ob man wahlweise für die Fahne in irgendeinen Krieg ziehen oder auf sie scheißen möchte, ist doch so etwas von eindeutig im Sinne des Lebens zu entscheiden, dass es eindeutiger gar nicht mehr geht.

Die nationalen Gemüter nehmen das aber umgekehrt wahr. Indes, Nationen sind kollektive Halluzinationen, freilich ganz von der reellen Sorte. Diese Haltung wird nicht nur von Patrioten exponiert, sondern auch alle andern haben sie internalisiert. Verglichen damit ist die GAJ-Persiflage ein intellektueller Hochgenuss. Auch analytisch deutet das Plakat an, was eigentlich auf der Tagesordnung stünde: Die Abwicklung der Nationen, die Entwöhnung der Menschen vom klassifizierenden Schwachsinn nationaler Zugehörigkeiten. Das Zoogehege der Völker ist zu entsorgen, damit die Menschen als Individuen zu sich kommen können. Wer also die Scheisser sind, mag Pilz bestimmen, wer die Hosenscheißer sind, bestimme allemal ich. Das sind staatsfromme grüne Althirsche, die hinter diversen Rabiatismen nichts anderes als ihre Angepasstheit und Abgeklärtheit verstecken. Erlauben wollen sie nur noch, was in das beschränkte Weltbild ihrer FDGO, der Freiheitlich-demokratischen-Grünzeug-Ordnung passt. Wenn Pilz danach ist, kann er sich gemeinsam mit Strache rot-weiß-rote Stricherl ins Gesicht schmieren. „Heute“ druckt solche Fotos sicher ab.

Mich erschrecken ehrlich ganz andere Sachen. Etwa wenn der konservative Politikwissenschafter Günther Burkert-Dottolo, in der Tageszeitung „Die Presse“ schreibt: „Österreich braucht einen fröhlichen Patriotismus“. Jener dürfe nicht dem „blutleeren Verfassungspatriotismus der Intellektuellen“ entsprechen. Wer sich also über blutleeren Patriotismus beklagt, was wünscht der sich? Einen blutigen? Es ist zu vermuten, dass einmal mehr das Volksvorurteil bedient werden soll, dass man für sein Land schon zu bluten habe, in vielfacher Hinsicht. Das sind die Selbstbeschwörungsformeln der Normalität, deren Selbstverständlichkeit selbstverständlich in Frage zu stellen ist.

Was Burkert-Dottolo als „fröhlichen Patriotismus“ besingt, ist nichts anderes als eine schwere Droge. Das nationale Gefühl ist eine gesellschaftliche Pathologie, an der wir alle (auch ich) leiden. Frag nicht, was du für dein Volk tun kannst, frag, wie dieses zu überwinden sei! Schlimm ist nicht, dass man die Flagge mit der Gagge vergleicht, sondern die Gagge mit der Flagge. In diesem Sinne. Gagge statt Flagge! - Werde ich jetzt eingesperrt? Oder ausgebürgert?

Franz Schandl

   

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