XXVII. Jahrgang, Heft 148
Mai - Aug 2008/2
 
  Inhalt  
  Editorial  
  Meinungen - Karawanserei  
  In den Kulissen der Teutozentrale  
  Gegenwart der Geschichte  
  Kultur-Atelier  
  Medien-Kultur-Schau  
  Lyrik  
     
  Wir über uns  
  Der Verein  
  Archiv  
  Impressum  
     
 

Letzte Änderung:
14.6.2008

 
 

 

 
 

 

 

MEDIEN – KULTUR – SCHAU




   
 
 


Fuad Kandil: Blockierte Kommunikation: Islam und Christentum.
Zum Hintergrund aktueller Verständigungsprobleme
. Mit einem Geleitwort von Karl Ernst Nipkow. Lit Verlag, Berlin 2008

Der nicht nur in akademischen und Fachkreisen bekannte Soziologe Fuad Kandil ist gebürtiger Ägypter und lebt seit über fünfzig Jahren in der Bundesrepublik, zwei biographische Fakten, die ihn fast prädestinierten, das Buch zu schreiben, das jetzt der Öffentlichkeit vorliegt. Es ist auch nicht schwer zu vermuten, dass diese zweifache Erfahrung ihm dazu verholfen hat, den nicht erst seit heute komplexen und oft mit gegenseitiger Polemik belasteten Beziehungen zwischen den arabisch-islamischen und den europäisch-abendländischen Völkern ohne voreingenommene und einseitige Argumente bzw. Pseudoargumente auf den Grund zu gehen. Denn dies ist das erste, was über sein neues Werk hervorgehoben werden muss: der in jeder Zeile erkennbare Wille zur unbedingten Objektivität, seine Mühe, durch sachliche Argumentation beiden Seiten gerecht zu werden.

Es ist trotzdem das gerade Gegenteil eines eklektischen Buches. Daher auch seine grundkritische Ausrichtung und seine schonungslose Auseinandersetzung mit jeder Form von Dogmatismus und Fanatismus, Erscheinungen, die er als Ergebnis der Instrumentalisierung der Religion zu ideologischen Zwecken entlarvt. Den europäischen Mächten und den USA wirft er nicht nur ihre koloniale, neokoloniale und imperialistische Politik gegenüber der arabischen Welt vor; darüber hinaus beschuldigt er sie, die muslimischen Völker auf ihre religiös-kulturelle Dimension zu reduzieren und den ökonomischen und sozialpolitischen Ausbeutungsprozess, dessen sie seit Jahrhunderten Opfer sind, nicht zur Kenntnis zu nehmen, und zwar nach dem bekannten, selbsgefälligen Motto, das die Arroganz der Macht stets benutzt, um die eigene Verantwortung von sich zu weisen: die Schuld haben immer die anderen. Der Verfasserr versäumt auch nicht, die Komplizenschaft der Westmächte mit der von Israel mit allen Mitteln betriebenen anti-arabischen Machtpolitik anzuprangern, eine Komplizenschaft, die dem jüdischen Staat ermöglicht, Verlautbarungen und Besschlüsse der Vereinten Nationen gegen seine oft skrupellose und rechtswidrige Handllungsweise einfach zu ignorieren. Merkwürdig genug: während die arabisch-islamischen Völker den Westen in erster Linie im Zusammenhang mit seiner technischen, wissenschaftlichen und ökonomischen Überlegenheit sehen, werden sie vom Westen fast ausschliesslich als Träger eines religiösen Credos eingestuft. Fuad Kandil stellt immer wieder fest, dass diese Fixierung auf den kulturell-religiösen Sachverhalt eine grobe Entstellung der wahren Problematik bedeutet.

Es liegt auf der Hand, dass die Klischés, die sich beiden Seite bedienen, um die eigenen Positionen zu rechtfertigen bzw. zu sublimieren, den Dialog zwischen ihnen im voraus erschweren; daher auch der Titel des Buches. Ein Paradebeispiel der Rechtfertigungsideologie des Westens liefert das Buch von Samuel P. Huntington „The Clash of Civilizations“, in dem der jüdisch-nordamerikaniche Politologe seine zügellosen Phantasien über einen möglichen Zusammenstoss zwischen der westlichen und der arabisch-muslimischen Welt freien Lauf lässt. Nüchtern stellt Fuad Kandil fest: „Die islamische Welt ist einfach viel zu schwach, um eine ernsthafte Herausforderung oder eine Gefahr für den Westen darstellen zu können!“.

Während der westliche Diskurs darauf gerichtet ist, alle negativen Erscheinungen der arabischen Welt auf die islamische Religion zurückzuführen, versucht der in den letzten Jahrzehnten entstandene „politische Islam“ seine Taten und Untaten durch die Doktrin Mohammeds zu begründen und zu legitimieren. Beide Haltungen werden vom Autor entschieden als Rechtfertigungsideologie und als eine grobe Verfälschung des wahren Sachverhalts entlarvt. So definiert er den Neo-Islamismus als eine Pervertierung der islamischen Botschaft; entsprechend verurteilt er mit aller Schärfe die theoretischen und praktischen Folgen dieses Pervertierungsprozesses, an erster Stelle die Terroranschläge gegen unschuldige Zivilisten, die er mit allem Nachdruck und unmissverständlich als „verabscheuungswürdig“ und „feige“ bezeichnet. Allerdings sind die Anhänger des ideologisierten Islamismus nicht sehr zahlreich, denn der überwiegende Teil der Gläubigen bleibt ihm fremd, wie aus den Ausführugen des Verfassers unmissverständlich hervorgeht.

Die Problematik der direkten, persönlichen Beziehungen zwischen den Zugewanderten und der autochthonen Bevölkerung Westeuropas wird in dem Buch eingehend untersucht. Nach Meinung von Fuad Kandil muss das Zusammenleben von Menschen, die aus verschiedenen Kulturkreisen stammen, nicht zwangsläufig zum Konflikt und zur Konfrontation führen, sondern kann durchaus der Vertiefung und Bereicherung der jeweiligen eigenen Identität dienen. Wörtlich der Autor: „So gesehen, kann die Begegnung mit einer fremden Kulturtradition bei einem entsprechenden Wahrnehmungsmodus auch zum besseren Verständnis der eigenen Kulturtradition führen und Ansätze zu ihrer Re-Interpretation und Weiterentwicklung liefern - und somit schliesslich zur gegenseitigen Befruchtung beider Traditionen beitragen, anstatt Abgrenzungsbestrebungen und Ausgrenzungsmechanismen zu fördern und zu mobilisieren“. Aber dieses für alle Beteiligten wünschenswerte Ziel ist alles andere als leicht zu erreichen, vor allem aufgrund der stets latenten Animosität der einheimischen Bevölkerung gegenüber der muslimischen Minderheiten. „Festzuhalten bleibt in jedem Fall, dass es eine ungeheure psychische Belastung bedeutet, in einer sozialen Umwelt zu leben, deren Ablehnung man ständig zu spüren bekommt“. Das gilt nicht nur, aber auch für die Bundesrepublik. Als die zahlenmässig grösste Immigrantengemeinschaft sind die Türken am meisten von der Ausländerfeindlichkeit betroffen. „Es lassen sich viele Belege dafür anführen, dass die häufig festgestellte Abneigung der Bevölkerung gegen die Türken primär auf ihre Islamzugehörgkeit zurückzuführen ist“. Überhaupt wird seitens des Staates wie der einzelnen Bürger der Islam mehr geduldet als ausdrücklich anerkannt, eine Haltung, die die Selbststilisiung der deutschen bzw. westeuropäischen Gesellschaft als demokratisch-pluralistisch Lügen straft.

Karl Heinz Niphok bezeichnet in seinem Geleitwort das Buch von Fuad Kandil völlig zu Recht als ein „Leseereignis“. Es handelt sich in der Tat und in jeder Beziehung um ein grossartiges Buch, was auch für die kristallklare Sprache und die bestechende, schwer zu widerlegende Argumentation gilt. Der Autor hat es darüber hinaus geschafft, ein streng wissenschaftliches und zugleich ein leicht zu lesendes und zu verstehendes Buch zu schreiben, dessen zentrale Bedeutung darin besteht, eine gelungene Synthese von Aufklärung und Dialogbereitschaft zu sein. Wer es liest, wird ausgiebig Gelegenheit haben, nachzudenken und zu lernen.

Heleno Saña


***

Dariusz Muszer: Gottes Homepage
Roman
. A1 Verlag, München 2007.

In sozialen Utopien wird entweder der historisch vorprogrammierten Sieg einer gerechten Gesellschaftsordnung und die allgemeine Glückseligkeit prognostiziert oder aber vor dem Ökokollaps, dem totalitären Überwachungsstaat bzw. dem Vormarsch einer faschistoiden Diktatur gewarnt. Nachdem Theoretiker der Postmoderne ein Ende der Geschichte verkündeten, schien utopisches Denken überflüssig. Nach einer längeren Atempause deutet sich in der Literatur nun eine Renaissance kritischer Zukunfsprognosen an.

Der polnische Autor Darius Muszer, bekannt durch seine Romane „Die Freiheit riecht nach Vanille“ und „Der Echsenmann“, beschreibt in seinem neuen Buch „Gottes Homepage“ das Zeitalter des Regenbogens, eine sterile Welt des ewigen Jetzt. Die Erde ist bewohnt von geklonten Arbeitssklaven und von Hologrammen einstmals lebender Menschen. Unter Aufsicht der „Himmelblauen“, einer außerirdischen Spezies, fristen wenige übriggebliebene menschlichen Originale ein sinnloses Dasein. Den „Himmelblauen“ verdanken diese letzten Menschen „Gottes Homepage“, eine vermeintlich allwissende Datenbank, auf der alle Informationen aus der Zeit vor Ankunft der „Himmelblauen“ erfaßt sind.

Gospodin Gepin, der Held des Buches, bemerkt, daß immer mehr Informationen von „Gottes Homepage“ gelöscht werden, und beschließt, der verwirrenden Welt entschwindener Daten ein Schnippchen zu schlagen, indem er auf ganz altmodische Art seine Erinnerungen zu Papier bringt. Das Ergebnis entspricht jedoch nicht den Erwartungen der Behörden, die sein Angebot zunächst befürwortet hatten. Denn Gepin ist Veteran des Zeitalters der Kriege und Bürgerkriege, die der Ankunft der „Himmelblauen“ vorangingen. Er berichtet in seinen Aufzeichnungen von Plünderungen, Folter, blutigen Gemetzeln des Militärs und der Ethnomilizen - alles Informationen, die der offiziellen Geschichtsschreibung widersprechen und daher auf „Gottes Homepage“ nicht verzeichnet sind.

Muszers Roman ist eine eigenartiger Mischung aus konsequenter Fortschreibung genau beobachteter gesellschaftlicher Entwicklungen und deren ironischer Brechung durch groteske Überhöhung. Als in Deutschland lebender Pole ist er in der Lage, die Situation der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit sowohl in Ost- als auch in Westeuropa detailliert darzustellen. Die von ihm daraus abgeleiteten Bilder vom gesamteuropäischen Bürgerkriegschaos der Zukunft machen nicht froh. Urkomisch sind dagegen die Schilderungen von der Endzeitwelt des Regenbogens und die Berichte von geradezu makaberen Manipulationen der Vergangenheit und Zukunft.

Was geschieht im Roman aber nun mit Gepins Erinnerungen? Selbstverständlich gibt es im Zeitalter des Regenbogens keine staatliche Zensur. Diese ist bekanntlich ein Kennzeichen totalitärer Diktaturen, die zum Glück für immer der Vergangenheit angehören. Zensiert wird natürlich trotzdem. Man hat die Wahl, entweder die Daten von „Gottes Homepage“ Gepins Buch oder sein Buch der Geschichtsschreibung auf „Gottes Homepage“ anzupassen.

Muszer schreibt: „Jede Gesellschaft ist im Grund genommen totalitär und zensurverliebt. Meistens hat sie davon aber keine Ahnung.“

Gerd Bedszent


***


Jutta Ditfurth: Ulrike Meinhof
Ullstein Verlag, Berlin 2007.

In dieser nun vorliegenden Biographie wird ‘Die Wahrheit über Ulrike Meinhof’ (Untertitel) versprochen - in ihrer sechsjährigen Recherche fand Ditfurth „bisher unbekannte Quellen“, so kann sie „völlig neue Zusammenhänge in der Lebensgeschichte der RAF-Gründerin“ aufzeigen (vgl. Klappentext). Eine freilich pikante Konstellation, wenn eine ehemalige Grüne und jetzige Angehörige der ‘ÖkoLinX-Antirassistischen Liste Frankfurt’ über eine Radikallinke schreibt und dabei fein säuberlich ideologisch Gemeinsamkeiten und politpraktische Gegensätzlichkeiten ausbalancieren muß. Ulrike Meinhof (1934-1976) wurde militant durch politisch motivierten Überfrust, Jutta Ditfurth (geb. 1951) wurde linksradikal, weil sie Fundi bleiben wollte, während die Grünen überwiegend zu Realos mutierten - und ihr übrigens Die Linke auch noch zu kapitalismusimmanent agiert.

Die Meinhof-Tochter Bettina Röhl bezeichnete Ditfurths Buch als „terroristisch kontaminierten Giftmüll“ - sie hatte ja vorher schon mit ihrem Buch ‘So macht Kommunismus Spaß’ ihre eigene Darstellung der ‘Akte Konkret’ abgeliefert. Und nun meint sie zu Ditfurth, sie habe vieles bei ihr abgeschrieben und bediene sich „trüber“ Quellen: „Da muß man einfach feststellen, daß Ditfurth eigentlich überhaupt kein Buch selber geschrieben hat.“ Zu einem Drittel habe sie bei Alois Prinz abgeschrieben, zum zweiten Drittel aus ihrem ‘Kommunismus’-Buch - und das dritte Drittel sei die unreflektierte Übernahme alter Mythen von unbelehrbaren RAF-Veteranen.

Röhl stellt ganz dezidiert fest: „Die eigentliche Biographie von Ulrike Meinhof steht in meinem Buch. Die Hauptquelle zu Ulrike Meinhof ist Ulrike Meinhof selbst. Und das ist ganz nötig gewesen, daß ich vor einem Jahr überhaupt mal Ulrike Meinhof zitiert habe, denn der normale Bürger weiß in der Tat nicht, was Ulrike Meinhof selber gesagt und geschrieben hat. Das erfährt man auch in Ditfurths Buch überhaupt nicht.“ (Deutschlandradio, Dez. 2007). Ditfurth bemerkte in einem Interview (Stern, Sept. 2007): „Keine öffentliche Figur in diesem Land ist dermaßen unter Legenden, Mythen, Fälschungen begraben wie Meinhof.“ Ditfurth polemisiert gegen Stefan Austs Buch ‘Der Baader-Meinhof-Komplex’ - und sie sagt: „oft haben Zeitzeugen keine besondere Glaubwürdigkeit.“ Dabei strotzt sie vor Selbstbewußtsein: „Ich denke schon, daß mein Buch für die nächsten Jahre Bestand haben wird (...) weil die empirischen Grundlagen sauber sind.“ Generell macht sie anderen Meinhof-Biographen dieselben Vorwürfe, die Röhl an ihre Adresse richtet, nämlich daß immer wieder nur abgeschrieben wurde: „Bis auf ein Buch, das von Mario Krebs, war das alles Müll.“ Der taz (Jan. 2008) verrät sie, daß mehr als 6000 Quellenangaben aus ihren sechsjährigen Recherchen „aus komplizierten rechtlichen Gründen“ nicht im Buch erwähnt werden durften. Resümierend charakterisiert Ditfurth ihr Projekt so: „Ich habe dieses Buch ganz absichtlich sehr zurückhaltend geschrieben und ohne moralinsaure Beurteilung und Bewertung (...) ich versuche einem Menschen, der Kriegskind war und der früh revoltiert hat ... gerecht zu werden.“

Die Frage, die sich für den heutigen Leser stellt, ist die, ob der damalige Staat nicht zu sehr dämonisiert wird und ob damit einhergehend der Mythos RAF im Denkansatz gerechtfertigt wird - die Gefahr deutet sich zumindest an, den RAF-Terror als moralisch bezeugbaren Bürgerkrieg zu glorifizieren. Jedenfalls wird deutlich, daß es sich nicht um „gewöhnliche Kriminelle“ handelte, wie es gerne von offiziöser Seite artikuliert wurde. Meinhof sah sich als Kämpferin gegen die Refaschisierung der BRD - daß es auch Gegentendenzen gab, konnte oder wollte sie nicht wahrhaben. Ditfurth hätte hier aber stärker differenzieren und quasi neutralisieren müssen. Offensichtlich wollte sie keine zu große Distanz zu Meinhof aufkommen lassen. Meinhof war eben nicht nur eine Terroristin, sondern auch eine scharfe Analytikerin und brillante Autorin, eine Vorreiterin der APO und der Frauenbewegung.

Ulrike Meinhof stammt aus einem Elternhaus mit dem Vater als Mitglied der NSDAP und beim ‘Kampfbund für deutsche Kultur’. Nach seinem Tod lebt Ulrikes Mutter mit einer Frau zusammen, ebenfalls NSDAP-Mitglied, später witzigerweise in der SPD. Ulrike ist ebenso schon in ihrer Jugend bisexuell veranlagt und wild - schon 1958 gründete sie an der Uni Münster den ‘Arbeitskreis für ein kernwaffenfreies Europa’, war anfangs die einzige Frau im SDS, trat 1958 auch in die KPD ein (die sie 1964 wieder verließ), knüpfte Kontakte zu der von der DDR finanzierten Zeitschrift ‘Konkret’, deren Chefradakteurin sie 1961 in Hamburg wird. Ihre Ehe mit dem ‘Konkret’-Leiter Klaus Rainer Röhl scheitert, sie findet vorübergehend in Rudi Dutschke einen engen Freund. Im Jahre 1968 freundet sie sich mit Andreas Baader und Gudrun Ensslin an - ein Sprengstoffanschlag auf ein portugiesisches Kriegsschiff im Hamburger Hafen 1969 wird von Ditfurth als „Startschuß“ für die RAF interpretiert. Meinhofs Wege in der Illegalität bis zu ihrer Verhaftung und letztendlichen Festsetzung in Stammheim werden im vorliegenden Buch chronologisch minutiös nachgezeichnet, teilweise sogar recht volkstümlich situativ geschildert. Ditfurth ist 17 Jahre jünger als Meinhof, die beiden sind sich nie persönlich begegnet - sie zieht im Gegensatz zur RAF eine deutliche Trennungslinie zwischen Sachbeschädigung und Gewalt gegen Menschen. Die Radikallinke Ditfurth empfindet offensichtlich dennoch eine Art Respekt vor der unbeugsamen Revolutionärein Meinhof - der Ton des Buches wirkt jedenfalls nicht immer genügend sachlich und distanziert. Für Ditfurth ist Meinhof eine „politische Gefangene“ gewesen, eine „überzeugte bewaffnete Kämpferin, Revolutionärin und Stadtguerilla“, deren Tod in Stammheim äußerst zweifelhaft bleibt.

Ulrike Meinhof „mochte Weihnachten und liebte den Duft von Zimt und Bratäpfeln“ - aber: „Die Verhältnisse, in denen sie lebte, kamen ihr verlogen vor.“ In ihrem Artikel ‘Hitler in Euch’ forderte sie die „Absage an jeden politischen Terror vermittelst administrativer Maßnahmen gegen Andersdenkende, Andersglaubende und Andersfühlende.“ Berühmt wurde ihre Aussage: „Protest ist, wenn ich sage, das und das paßt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, daß das, was mir nicht paßt, nicht länger geschieht.“ Für das Jahr 1969 spricht Ditfurth ein Problem an, welches die längerfristige Umsetzung „linker“ Theorie seit jeher schier unmöglich macht - die sog. „Linke“ schwächt sich immer selbt:“Die Linke zerfiel weiter in antiautoritäre Flügel, in marxistisch-leninistische Gruppen, in reformistische, parteikommunistische und maoistische Organisationen, in Frauengruppen, Lederjackenfraktionen, Jungarbeiter, Lehrlinge, Schüler. (...) Eine wilde Gemengelage, in der alles diskutiert wurde, vom Eintritt in die SPD bis zum bewaffneten Kampf.“ Das Dilemma der „Linken“ läßt sich auch schmerzlich registrieren an der selbstverständlichen Position gegen Antisemitismus und Pro-Israel einerseits, an der Sympathie für den palästinensischen Befreiungskampf bzw. die PLO andererseits. Alle Schattierungen kritischer bis dogmatischer „Linker“ haben sich immer wieder gegenseitig aufgerieben.

Etwas vermessen erscheint doch Ditfurths Behauptung: „Weder Bundespräsident Gustav Heinemann noch Bundeskanzler Willy Brandt - beide wären ohne die außerparlamentarische Opposition nicht an die Macht gekommen.“ Schwer zu beweisen dürfte auch die Behauptung sein, „daß das BKA keine Gefangenen machen wollte“, sondern daß Polizisten gezielt auf RAF-Mitglieder bei Festnahmen schossen. Der Umgang mit Heinrich Böll nach dessen Einsatz für Meinhof zeigt die Zerrissenheit der damaligen politischen Landschaft: die Bildzeitung verglich Bölls Sprache mit der von Goebbels, die RAF-Leute werteten Bölls aufforderung sich zu stellen als naiv. In Stammheim arbeitete Meinhof - auch auf Gruppenbeschluß - an einem „Grundlagenwerk über das politische Konzept der RAF“. Im Prozeß verkündete sie u.a., es sei an der Zeit, den Imperialismus militärisch, ökonomisch und politisch zu vernichten. Bei ihrer Beerdigung am 15. Mai 1976 bemerkte Klaus Wagenbach in seiner Grabrede: „Was Ulrike Meinhof umgebracht hat, waren die deutschen Verhältnisse.“ Erich Fried sagte, sie war „nicht nur die beste Journalistin der BRD, sondern ... auch die bedeutendste deutsche Frau seit Rosa Luxemburg.“

Bei allen Kontroversen um das vorliegende Buch hinterläßt Ditfurths Meinhof-Biographie doch einen detaillierten und engagierten Eindruck. Man kann sich vorstellen, daß in manchen Kreisen eine relativ objektive Darstellung der RAF-Gedankenwelt nicht gern gesehen wird - Ditfurths Buch wird auf jeden Fall ein Baustein sein, wenn man nach und nach die gesamte RAF-Geschichte aufarbeiten sollte - was für einen neuerlichen politischen Lernprozeß dringend überfällig wäre.

Karlyce Schrybyr


***


Volker Weidermann: Das Buch der verbrannten Bücher
Sachbuch. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008

Ein unbeholfener Löschversuch oder: Wie man sich sonst noch die Finger verbrennt

Alle Jahre wieder ... ist Weihnachten. Nicht nur. Mit schlichter Regelmäßigkeit jähren sich Gedenktage, darunter auch ein 10. Mai. DER 10 Mai, ist derjenige von 1933, derjenige der verbrannten Bücher. Und er jährt sich anno 2008 zum fünfundsiebzigsten Mal.

Ein dreiviertel Jahrhundert Gedenken, auch wenn erst seit etwa 30 Jahren überhaupt ge-dacht wird, darf nicht verpaßt sein. So, oder so ähnlich wird man beim Verlag Kiepenheuer & Witsch gedacht haben, präsentiert pünktlich zur Buchmesse Leipzig, überpünktlich 59 mal 24 Stunden vor dem eigentlichen Gedenktag, Volker Weidermanns Arbeit Das Buch der verbrannten Bücher.

Ein 75-jähriges Jubiläum, keine goldene Hochzeit, verdient Aufmerksamkeit. Die versucht gleich der Einband mit goldfarbenen Lettern abzuholen. Und der Einband behauptet auf der Rückseite, Volker Weidemann erzähle hier erstmals die Lebensgeschichte aller (!!! d. Rezensent)) Autoren, deren Werke damals in Flammen aufgingen.

Wer je sich näher mit den Vorgängen um den 10. Mai 1933 ernsthaft beschäftigt hat, weiß schon jetzt, der Autor wird, der Verfasser muß an diesem Versprechen scheitern. Gestatten wir dem Kenner des Sachgegenstandes das Überspringen der Hürde des Unmöglichen, begeben uns auf die Suche nach dem, was eine solche Arbeit allenfalls wird liefern können, wird doch die jeweilige Lebensgeschichte der betroffenen Autoren versprochen.

Ach, was wäre das für ein wunderbares Werk, die Lebensgeschichten der hier versammelten 131 Autoren nachlesen zu können! Nur die Lebensgeschichten bitte. Die Geschichten ihrer Bücher, ja, das wäre wirklich etwas! Obgleich, mit den Lebensgeschichten alleine ließe sich eine Weile leben und lesen, eine lange Weile ohne Langeweile, ohne gleich die Geschichten der Bücher zu vermissen, auch wenn sie versprochen sind, dennoch völlig fehlen. Doch nach 252 Seiten geht das Papier aus, besteht Mangel an Druckerschwärze, ist das Buch schlicht zu Ende, stiehlt sich der Autor davon. Vorwort, eine Einleitung, das Nachwort, Autorenliste und Textnachweis abgezogen, muß sich das pralle Leben der 131 aufgeführten Autoren mit 215 Buchseiten begnügen, im Schnitt schlappe 1,5 Seiten für jede versprochene Lebensgeschichte. Nicht genug, daß ihre Werke verschwiegen, verbrannt sind, nun wird in der Hitze des (h)eiligen Marktes ihr Leben geschrumpft, eingedampft, auf Histörchen, Anekdoten, in Banalitäten zusammengestaucht. Das Leben der verbrannten Dichter wird noch einmal vergessen.

Ja doch, Volker Weidermann kann erzählen, schreiben. Er hat durchaus einen Blick für Wesentliches. Sein Versuch ist lesbar, teilweise informativ. Er versteht, Verbindungen zu knüpfen. Er separiert 131 Autoren verbrannter Bücher, teilt sie in 23 Grüppchen, strickt eigene Konstellationen, indem er zum Beispiel Thomas Mann, den Anspruchsintellektuellen und Großbürger, mit Oskar Maria Grafs Beharren auf Volksverbundenheit zusammenspannt. Und doch verpaßt er um dieses Erzählens Willen die erzählenswerte Anekdote der Selbstindizierung, die Graf am 12.05. 1933 öffentlich den Nazis befohlen und dafür mit einem Jahr Verspätung auch sein Extrafeuerchen im Innenhof der Universität zu München bekommen hat. Selbst da, wo Weidermann Brecht wörtlich zitiert, ausgerechnet den auf Graf bezogenen Text, versäumt er die Verbindung. Zu Klaus Mann findet sich der Hinweis auf dessen mit seiner Schwester Erika zusammen verfaßten und 1939 erschienen Titel Escape to life, ein Buch, das nur schwerlich den Flammen vom 10. Mai 1933 überantwortet sein kann. Erika Mann findet sich mit ihrem am Rande notierten Namen abgefertigt. Der nicht allerorts verschont gebliebene Thomas Mann, obwohl er in Weidermanns Liste nicht vorkommt, ziert wenigstens oben zitierter Verbindung. Wie ein roter Faden durchziehen diese Ungenauigkeiten, oder ist es einfach nur Oberflächlichkeit (?), den Text. Da schreibt einer: „Es scheint deshalb plausibel und ist in der Forschung inzwischen fast einhellige Meinung, daß die Bücherverbrennung ... nicht auf die Initiative des Propagandaministers Joseph Goebbels ... zurückging.“ Nur wenige Zeilen später impliziert er einen Zusammenhang zwischen der Gründung des Reichsministeriums für Volksaufklärung vom 12. März 1933 und der Gründung des „Hauptamtes für Presse und Propaganda“ der Deutschen Studentenschaft, die doch in all ihren Belangen dem Kultusministerium bis zum Untergang unterstellt blieb. Gewiß hat auch Professor Kohlrausch, Rektor der Berliner Universität, sein Ersuchen um ministerielle Entscheidung eher an seinen zuständigen Fachminister Bernhard Rust und keineswegs an Goebbels gerichtet.

So informativ, wie Weidermanns Werk ansonsten sein mag, von allerlei Ungenauigkeiten einmal abgesehen, das Versprechen des Einbandes vermag der Autor nicht einzulösen, auch den mit seinem Vorwort formulierten Anspruch nicht. Die abgelieferten Informationen sind inzwischen längst Standard in elektronischen Medien. Sie hier gekonnt und durchaus mit Emphase verbunden vorzufinden, macht das Buch lesbar. Mehr nicht.

Am Thema hat sich der Autor schlicht die Finger verbrannt, seine Mission, die verbrannten Bücher, ihre Inhalte und ihre Autoren dem Vergessen zu entreißen, gleich mit. Ein Bärendienst für die verbrannten Autoren und ihre Werke. Spielt es in unserer modernen Dienstleistungsgesellschaft wirklich noch eine Rolle, wenn der Schriftsteller Weidermann jede Angabe von Quellen ausläßt, sich eine Bibliographie erspart? Eine sehr besondere, besonders pünktliche Dienstleistung zu 75 Jahre Bücherverbrennung/10. Mai 1933.

Teja Bernardy


***


Saqi Farooqi: Jan Muhammad Khan und andere Gedichte
Übersetzt von Albert Schröder, Gundi Fasrooqi und Bibi Gaspar. Draupadi-Verlag, Heidelberg 2008

Mitleid mit allen leidenden Geschöpfen...

Militärputsche, Selbstmordattentate, Straßenschlachten, Guerillakriege und Antiterroreinsätze: davon wird gegenwärtig die bundesdeutsche Berichterstattung über Pakistan bestimmt. Dass die pakistanische Hauptsprache, das Urdu, zu den fünf meistbenutzten Sprache der Welt gehört und dass auf Urdu spätestens seit Mohammed Igbal, dem 1938 verstorbenen Begründer der pakistanischen Moderne, eine Dichtung von weltliterarischem Rang geschrieben wird, ist hierzulande allerdings kaum bekannt. Die meisten der auf Urdu schreibenden Autoren leben allerdings nicht zuhause, sondern im Exil, in Deutschland wie Munir Ahmed, einem bedeutenden Mittler zwischen westlicher und östlicher Kultur, in den USA und vor allem in England, und sie kehren in ihre Heimat nur dann zurück, wenn der Wind einmal günstig steht, bevor ein neuer Monsumsturm wieder Unheil verheißt. London darf mit gutem Recht als ein Zentrum der heutigen Urduliteratur bezeichnet werden. In London lebt auch Saqib Farooqi, einer der bedeutendsten zeitgenössischen Urdulyriker. Von ihm hat der Heidelberger Draupadi-Verlag jetzt zum ersten Mal in deutscher Sprache eine Auswahl seiner Gedichte herausgebracht: „Jan Muhammed Khan und andere Gedichte“. Politische Gedichte, die aktuell in das Geschehen in seinem Heimatland eingreifen sollen, sucht man in dieser Auswahl allerdings vergebens. Farooqi verhält sich reserviert gegenüber dem Polittheater in seinem Lande. Er ergreift keine Partei für den einen oder anderen Clan. Seine Kritik drückt er nur verhalten, in Bildern und Gleichnissen, aus - oder im Rückgriff auf die Geschichte. Seine Elegien auf das untergegangene maurische Spanien, eine Insel der Toleranz und des gegenseitigen Respekts, lassen sich wie Gegenbilder zum Fanatismus und Fundamentalismus der Gegenwart lesen.

Farooqis Gedichte sind von einem melancholischen Grundton geprägt. Das bestimmende Motiv ist das Mitleid - Mitleid mit allen leidenden Geschöpfen, mit Pflanzen, Tieren und Menschen. Westliches, buddhistisches und islamisches Ideengut verbinden sich. Nach Art der Mystiker wird jedem Lebewesen, auch den Pflanzen und Tiere, eine mitfühlende und mitleidende Seele zugesprochen, fern von jeder Esoterik. Bezeichnend ist das Titelgedicht. „Jan Muhammad Khan“ ist der Name eines todkranken Katers, der in einem leeren Reisbeutel zu einem schmutzigen Tümpel getragen wird, um darin ersäuft zu werden. Das Leiden des sterbenden Tieres wird zum Sinnbild für das armselige Leben mancher Menschen, die nicht einmal mehr Miau schreien und ihren Krallen ausfahren können. Andere Gedichte gelten einer Spinne, einem gefangenen und sezierten Schmetterling und einem Kaninchen, das einen Totentanz aufrührt. Aber Farooqis Mitleid schließt auch den Hund und das Schwein mit ein, Tiere, die im Islam als unrein gelten und verachtet werden. Das Schwein erhält menschliche Züge, es wird zur Metapher für alle ausgestoßenen und ausgebeuteten Lebewesen. Seine Hässlichkeit verwandelt sich im Auge des liebenden Betrachters in Schönheit: „Als ich dich unbeholfen mit steinernen Händen / streichelte / deine struppigen Borsten / zwischen meinen Fingern zwirbelte / empfand ich eine unerhörte Freude / ein seltsames Empfinden von Entzücken. / Die strenge Sperre aus Hass / Die in meinem Herzen vergraben war / öffnete sich / mein inneres Triebwerk sprang an / ich begann zu schmelzen...“ Das arme Schwein erlebt den Krieg der Kulturen auf seine Weise. Im Orient wird es verachtet, aber wenigstens nicht zur Schlachtbank getrieben, im Westen wird es dagegen als Glücksschwein verhätschelt und dafür millionenfach hingeschlachtet.

Farooqis Mitgefühl gilt den Verstoßenen und Vertriebenen, dem verspotteten Eunuchen und dem Bettelkind, dem der Vater die Arme mehrfach gebrochen hat, damit es mehr Mitleid erregen und mehr Spenden eintreiben kann. Der Dichter kennt das Elend des indischen Subkontinents nicht nur vom Hörensagen, er hat es am eigenen Leib erfahren. Fast zwei Jahrzehnte war er auf der Flucht. 1936 im Norden Indiens geboren, musste er 1947 mit seinen Eltern ins heutige Bangladesch fliehen. Drei Jahre später zog er nach Karatschis in Pakistan, bis er Anfang der Sechzigerjahre nach England emigrieren musste. Seine Lyrikbände werden dennoch in seiner pakistanischen Heimat veröffentlicht. Sie erreichen dort hohe Auflagen und werden nicht selten von populären Sängern vertont. Farooqi gilt als das enfant terrible der Urdudichtung. Er schockiert, erregt Aufsehen und wird von den fundamentalistischen Geistlichen immer wieder wegen seiner ketzerischen Ansichten angegriffen. Auch seine erotischen Gedichte wie das in der Sammlung abgedruckte Poem „Morgendliche Nacktheit am Strand“ haben wiederholt Anstoß erregt.

In seinen metrischen Formen bleibt Farooqi den strengen Traditionen der Urduliteratur verbunden. Das Urdu ist eine sehr vokalreiche Sprache und ermöglichst unzählige Reimvariationen. Das zeigt sfch vor allem an der Form des Ghasels, die der Lyriker in fast attmeisterlicher Vollendung beherrscht. Das dem Persischen entlehnte Urdughasel besteht aus zehn oder mehr Verszeilen. Die ersten beiden Reime bestimmen das gesamte Reimschema und werden in jeder zweiten Zeiten wiederholt Der letzte Vers enthält entweder den Namen des Dichters oder eines seiner Tarnnamen. Dabei werden überlieferte Symbole der Lyrik wie Falter und Kerze, Vogel und Käfig, Rose und Garten vielfältig umspielt. Es ist vermutlich sehr schwer, derartig kunstvolle Gebilde ins Deutsche zu übertragen, aber das dreiköpfige deutsch-pakistanische Übersetzerteam - Albert Schröder, Gundi Farooqi und Bibi Gaspar - hat unter Zuhilfenahme der englischen Übersetzungen sein Bestes getan und deutsche Fassungen vorgelegt, die zumindest eine Ahnung von der Schönheit des Originals vermitteln. Dem Heidelberger nach einer Heldin aus einem altindischen Epos benannte Draupadi-Verlag, der sich seit 2003 um die Vermittlung südasiatischer Literatur bemüht, gebührt Dank dafür, dass er Farooqis Lyrik in sein junges Programm aufgenommen hat.

Peter Schütt

   

Netzbrücke:

• Necati Merts Kolumne

• Mehr lesenswertes   Textmaterial

• Wider den Schwarzen   Winter

• Porträt des   Periodikums