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Fuad Kandil: Blockierte Kommunikation:
Islam und Christentum.
Zum Hintergrund aktueller Verständigungsprobleme. Mit
einem Geleitwort von Karl Ernst Nipkow. Lit Verlag, Berlin 2008
Der nicht nur in akademischen und Fachkreisen bekannte
Soziologe Fuad Kandil ist gebürtiger Ägypter und lebt
seit über fünfzig Jahren in der Bundesrepublik, zwei biographische
Fakten, die ihn fast prädestinierten, das Buch zu schreiben,
das jetzt der Öffentlichkeit vorliegt. Es ist auch nicht schwer
zu vermuten, dass diese zweifache Erfahrung ihm dazu verholfen hat,
den nicht erst seit heute komplexen und oft mit gegenseitiger Polemik
belasteten Beziehungen zwischen den arabisch-islamischen und den
europäisch-abendländischen Völkern ohne voreingenommene
und einseitige Argumente bzw. Pseudoargumente auf den Grund zu gehen.
Denn dies ist das erste, was über sein neues Werk hervorgehoben
werden muss: der in jeder Zeile erkennbare Wille zur unbedingten
Objektivität, seine Mühe, durch sachliche Argumentation
beiden Seiten gerecht zu werden.
Es ist trotzdem das gerade Gegenteil eines eklektischen
Buches. Daher auch seine grundkritische Ausrichtung und seine schonungslose
Auseinandersetzung mit jeder Form von Dogmatismus und Fanatismus,
Erscheinungen, die er als Ergebnis der Instrumentalisierung der
Religion zu ideologischen Zwecken entlarvt. Den europäischen
Mächten und den USA wirft er nicht nur ihre koloniale, neokoloniale
und imperialistische Politik gegenüber der arabischen Welt
vor; darüber hinaus beschuldigt er sie, die muslimischen Völker
auf ihre religiös-kulturelle Dimension zu reduzieren und den
ökonomischen und sozialpolitischen Ausbeutungsprozess, dessen
sie seit Jahrhunderten Opfer sind, nicht zur Kenntnis zu nehmen,
und zwar nach dem bekannten, selbsgefälligen Motto, das die
Arroganz der Macht stets benutzt, um die eigene Verantwortung von
sich zu weisen: die Schuld haben immer die anderen. Der Verfasserr
versäumt auch nicht, die Komplizenschaft der Westmächte
mit der von Israel mit allen Mitteln betriebenen anti-arabischen
Machtpolitik anzuprangern, eine Komplizenschaft, die dem jüdischen
Staat ermöglicht, Verlautbarungen und Besschlüsse der
Vereinten Nationen gegen seine oft skrupellose und rechtswidrige
Handllungsweise einfach zu ignorieren. Merkwürdig genug: während
die arabisch-islamischen Völker den Westen in erster Linie
im Zusammenhang mit seiner technischen, wissenschaftlichen und ökonomischen
Überlegenheit sehen, werden sie vom Westen fast ausschliesslich
als Träger eines religiösen Credos eingestuft. Fuad Kandil
stellt immer wieder fest, dass diese Fixierung auf den kulturell-religiösen
Sachverhalt eine grobe Entstellung der wahren Problematik bedeutet.
Es liegt auf der Hand, dass die Klischés, die
sich beiden Seite bedienen, um die eigenen Positionen zu rechtfertigen
bzw. zu sublimieren, den Dialog zwischen ihnen im voraus erschweren;
daher auch der Titel des Buches. Ein Paradebeispiel der Rechtfertigungsideologie
des Westens liefert das Buch von Samuel P. Huntington „The
Clash of Civilizations“, in dem der jüdisch-nordamerikaniche
Politologe seine zügellosen Phantasien über einen möglichen
Zusammenstoss zwischen der westlichen und der arabisch-muslimischen
Welt freien Lauf lässt. Nüchtern stellt Fuad Kandil fest:
„Die islamische Welt ist einfach viel zu schwach, um eine
ernsthafte Herausforderung oder eine Gefahr für den Westen
darstellen zu können!“.
Während der westliche Diskurs darauf gerichtet
ist, alle negativen Erscheinungen der arabischen Welt auf die islamische
Religion zurückzuführen, versucht der in den letzten Jahrzehnten
entstandene „politische Islam“ seine Taten und Untaten
durch die Doktrin Mohammeds zu begründen und zu legitimieren.
Beide Haltungen werden vom Autor entschieden als Rechtfertigungsideologie
und als eine grobe Verfälschung des wahren Sachverhalts entlarvt.
So definiert er den Neo-Islamismus als eine Pervertierung der islamischen
Botschaft; entsprechend verurteilt er mit aller Schärfe die
theoretischen und praktischen Folgen dieses Pervertierungsprozesses,
an erster Stelle die Terroranschläge gegen unschuldige Zivilisten,
die er mit allem Nachdruck und unmissverständlich als „verabscheuungswürdig“
und „feige“ bezeichnet. Allerdings sind die Anhänger
des ideologisierten Islamismus nicht sehr zahlreich, denn der überwiegende
Teil der Gläubigen bleibt ihm fremd, wie aus den Ausführugen
des Verfassers unmissverständlich hervorgeht.
Die Problematik der direkten, persönlichen Beziehungen
zwischen den Zugewanderten und der autochthonen Bevölkerung
Westeuropas wird in dem Buch eingehend untersucht. Nach Meinung
von Fuad Kandil muss das Zusammenleben von Menschen, die aus verschiedenen
Kulturkreisen stammen, nicht zwangsläufig zum Konflikt und
zur Konfrontation führen, sondern kann durchaus der Vertiefung
und Bereicherung der jeweiligen eigenen Identität dienen. Wörtlich
der Autor: „So gesehen, kann die Begegnung mit einer fremden
Kulturtradition bei einem entsprechenden Wahrnehmungsmodus auch
zum besseren Verständnis der eigenen Kulturtradition führen
und Ansätze zu ihrer Re-Interpretation und Weiterentwicklung
liefern - und somit schliesslich zur gegenseitigen Befruchtung beider
Traditionen beitragen, anstatt Abgrenzungsbestrebungen und Ausgrenzungsmechanismen
zu fördern und zu mobilisieren“. Aber dieses für
alle Beteiligten wünschenswerte Ziel ist alles andere als leicht
zu erreichen, vor allem aufgrund der stets latenten Animosität
der einheimischen Bevölkerung gegenüber der muslimischen
Minderheiten. „Festzuhalten bleibt in jedem Fall, dass es
eine ungeheure psychische Belastung bedeutet, in einer sozialen
Umwelt zu leben, deren Ablehnung man ständig zu spüren
bekommt“. Das gilt nicht nur, aber auch für die Bundesrepublik.
Als die zahlenmässig grösste Immigrantengemeinschaft sind
die Türken am meisten von der Ausländerfeindlichkeit betroffen.
„Es lassen sich viele Belege dafür anführen, dass
die häufig festgestellte Abneigung der Bevölkerung gegen
die Türken primär auf ihre Islamzugehörgkeit zurückzuführen
ist“. Überhaupt wird seitens des Staates wie der einzelnen
Bürger der Islam mehr geduldet als ausdrücklich anerkannt,
eine Haltung, die die Selbststilisiung der deutschen bzw. westeuropäischen
Gesellschaft als demokratisch-pluralistisch Lügen straft.
Karl Heinz Niphok bezeichnet in seinem Geleitwort
das Buch von Fuad Kandil völlig zu Recht als ein „Leseereignis“.
Es handelt sich in der Tat und in jeder Beziehung um ein grossartiges
Buch, was auch für die kristallklare Sprache und die bestechende,
schwer zu widerlegende Argumentation gilt. Der Autor hat es darüber
hinaus geschafft, ein streng wissenschaftliches und zugleich ein
leicht zu lesendes und zu verstehendes Buch zu schreiben, dessen
zentrale Bedeutung darin besteht, eine gelungene Synthese von Aufklärung
und Dialogbereitschaft zu sein. Wer es liest, wird ausgiebig Gelegenheit
haben, nachzudenken und zu lernen.
Heleno Saña
***
Dariusz Muszer: Gottes
Homepage
Roman. A1 Verlag, München 2007.
In sozialen Utopien wird entweder der historisch vorprogrammierten
Sieg einer gerechten Gesellschaftsordnung und die allgemeine Glückseligkeit
prognostiziert oder aber vor dem Ökokollaps, dem totalitären
Überwachungsstaat bzw. dem Vormarsch einer faschistoiden Diktatur
gewarnt. Nachdem Theoretiker der Postmoderne ein Ende der Geschichte
verkündeten, schien utopisches Denken überflüssig.
Nach einer längeren Atempause deutet sich in der Literatur
nun eine Renaissance kritischer Zukunfsprognosen an.
Der polnische Autor Darius Muszer, bekannt durch seine
Romane „Die Freiheit riecht nach Vanille“ und „Der
Echsenmann“, beschreibt in seinem neuen Buch „Gottes
Homepage“ das Zeitalter des Regenbogens, eine sterile Welt
des ewigen Jetzt. Die Erde ist bewohnt von geklonten Arbeitssklaven
und von Hologrammen einstmals lebender Menschen. Unter Aufsicht
der „Himmelblauen“, einer außerirdischen Spezies,
fristen wenige übriggebliebene menschlichen Originale ein sinnloses
Dasein. Den „Himmelblauen“ verdanken diese letzten Menschen
„Gottes Homepage“, eine vermeintlich allwissende Datenbank,
auf der alle Informationen aus der Zeit vor Ankunft der „Himmelblauen“
erfaßt sind.
Gospodin Gepin, der Held des Buches, bemerkt, daß
immer mehr Informationen von „Gottes Homepage“ gelöscht
werden, und beschließt, der verwirrenden Welt entschwindener
Daten ein Schnippchen zu schlagen, indem er auf ganz altmodische
Art seine Erinnerungen zu Papier bringt. Das Ergebnis entspricht
jedoch nicht den Erwartungen der Behörden, die sein Angebot
zunächst befürwortet hatten. Denn Gepin ist Veteran des
Zeitalters der Kriege und Bürgerkriege, die der Ankunft der
„Himmelblauen“ vorangingen. Er berichtet in seinen Aufzeichnungen
von Plünderungen, Folter, blutigen Gemetzeln des Militärs
und der Ethnomilizen - alles Informationen, die der offiziellen
Geschichtsschreibung widersprechen und daher auf „Gottes Homepage“
nicht verzeichnet sind.
Muszers Roman ist eine eigenartiger Mischung aus konsequenter
Fortschreibung genau beobachteter gesellschaftlicher Entwicklungen
und deren ironischer Brechung durch groteske Überhöhung.
Als in Deutschland lebender Pole ist er in der Lage, die Situation
der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit sowohl in Ost- als
auch in Westeuropa detailliert darzustellen. Die von ihm daraus
abgeleiteten Bilder vom gesamteuropäischen Bürgerkriegschaos
der Zukunft machen nicht froh. Urkomisch sind dagegen die Schilderungen
von der Endzeitwelt des Regenbogens und die Berichte von geradezu
makaberen Manipulationen der Vergangenheit und Zukunft.
Was geschieht im Roman aber nun mit Gepins Erinnerungen?
Selbstverständlich gibt es im Zeitalter des Regenbogens keine
staatliche Zensur. Diese ist bekanntlich ein Kennzeichen totalitärer
Diktaturen, die zum Glück für immer der Vergangenheit
angehören. Zensiert wird natürlich trotzdem. Man hat die
Wahl, entweder die Daten von „Gottes Homepage“ Gepins
Buch oder sein Buch der Geschichtsschreibung auf „Gottes Homepage“
anzupassen.
Muszer schreibt: „Jede Gesellschaft ist im Grund
genommen totalitär und zensurverliebt. Meistens hat sie davon
aber keine Ahnung.“
Gerd Bedszent
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Jutta Ditfurth: Ulrike
Meinhof
Ullstein Verlag, Berlin 2007.
In dieser nun vorliegenden Biographie wird ‘Die
Wahrheit über Ulrike Meinhof’ (Untertitel) versprochen
- in ihrer sechsjährigen Recherche fand Ditfurth „bisher
unbekannte Quellen“, so kann sie „völlig neue Zusammenhänge
in der Lebensgeschichte der RAF-Gründerin“ aufzeigen
(vgl. Klappentext). Eine freilich pikante Konstellation, wenn eine
ehemalige Grüne und jetzige Angehörige der ‘ÖkoLinX-Antirassistischen
Liste Frankfurt’ über eine Radikallinke schreibt und
dabei fein säuberlich ideologisch Gemeinsamkeiten und politpraktische
Gegensätzlichkeiten ausbalancieren muß. Ulrike Meinhof
(1934-1976) wurde militant durch politisch motivierten Überfrust,
Jutta Ditfurth (geb. 1951) wurde linksradikal, weil sie Fundi bleiben
wollte, während die Grünen überwiegend zu Realos
mutierten - und ihr übrigens Die Linke auch noch zu kapitalismusimmanent
agiert.
Die Meinhof-Tochter Bettina Röhl bezeichnete
Ditfurths Buch als „terroristisch kontaminierten Giftmüll“
- sie hatte ja vorher schon mit ihrem Buch ‘So macht Kommunismus
Spaß’ ihre eigene Darstellung der ‘Akte Konkret’
abgeliefert. Und nun meint sie zu Ditfurth, sie habe vieles bei
ihr abgeschrieben und bediene sich „trüber“ Quellen:
„Da muß man einfach feststellen, daß Ditfurth
eigentlich überhaupt kein Buch selber geschrieben hat.“
Zu einem Drittel habe sie bei Alois Prinz abgeschrieben, zum zweiten
Drittel aus ihrem ‘Kommunismus’-Buch - und das dritte
Drittel sei die unreflektierte Übernahme alter Mythen von unbelehrbaren
RAF-Veteranen.
Röhl stellt ganz dezidiert fest: „Die eigentliche
Biographie von Ulrike Meinhof steht in meinem Buch. Die Hauptquelle
zu Ulrike Meinhof ist Ulrike Meinhof selbst. Und das ist ganz nötig
gewesen, daß ich vor einem Jahr überhaupt mal Ulrike
Meinhof zitiert habe, denn der normale Bürger weiß in
der Tat nicht, was Ulrike Meinhof selber gesagt und geschrieben
hat. Das erfährt man auch in Ditfurths Buch überhaupt
nicht.“ (Deutschlandradio, Dez. 2007). Ditfurth bemerkte in
einem Interview (Stern, Sept. 2007): „Keine öffentliche
Figur in diesem Land ist dermaßen unter Legenden, Mythen,
Fälschungen begraben wie Meinhof.“ Ditfurth polemisiert
gegen Stefan Austs Buch ‘Der Baader-Meinhof-Komplex’
- und sie sagt: „oft haben Zeitzeugen keine besondere Glaubwürdigkeit.“
Dabei strotzt sie vor Selbstbewußtsein: „Ich denke schon,
daß mein Buch für die nächsten Jahre Bestand haben
wird (...) weil die empirischen Grundlagen sauber sind.“ Generell
macht sie anderen Meinhof-Biographen dieselben Vorwürfe, die
Röhl an ihre Adresse richtet, nämlich daß immer
wieder nur abgeschrieben wurde: „Bis auf ein Buch, das von
Mario Krebs, war das alles Müll.“ Der taz (Jan. 2008)
verrät sie, daß mehr als 6000 Quellenangaben aus ihren
sechsjährigen Recherchen „aus komplizierten rechtlichen
Gründen“ nicht im Buch erwähnt werden durften. Resümierend
charakterisiert Ditfurth ihr Projekt so: „Ich habe dieses
Buch ganz absichtlich sehr zurückhaltend geschrieben und ohne
moralinsaure Beurteilung und Bewertung (...) ich versuche einem
Menschen, der Kriegskind war und der früh revoltiert hat ...
gerecht zu werden.“
Die Frage, die sich für den heutigen Leser stellt,
ist die, ob der damalige Staat nicht zu sehr dämonisiert wird
und ob damit einhergehend der Mythos RAF im Denkansatz gerechtfertigt
wird - die Gefahr deutet sich zumindest an, den RAF-Terror als moralisch
bezeugbaren Bürgerkrieg zu glorifizieren. Jedenfalls wird deutlich,
daß es sich nicht um „gewöhnliche Kriminelle“
handelte, wie es gerne von offiziöser Seite artikuliert wurde.
Meinhof sah sich als Kämpferin gegen die Refaschisierung der
BRD - daß es auch Gegentendenzen gab, konnte oder wollte sie
nicht wahrhaben. Ditfurth hätte hier aber stärker differenzieren
und quasi neutralisieren müssen. Offensichtlich wollte sie
keine zu große Distanz zu Meinhof aufkommen lassen. Meinhof
war eben nicht nur eine Terroristin, sondern auch eine scharfe Analytikerin
und brillante Autorin, eine Vorreiterin der APO und der Frauenbewegung.
Ulrike Meinhof stammt aus einem Elternhaus mit dem
Vater als Mitglied der NSDAP und beim ‘Kampfbund für
deutsche Kultur’. Nach seinem Tod lebt Ulrikes Mutter mit
einer Frau zusammen, ebenfalls NSDAP-Mitglied, später witzigerweise
in der SPD. Ulrike ist ebenso schon in ihrer Jugend bisexuell veranlagt
und wild - schon 1958 gründete sie an der Uni Münster
den ‘Arbeitskreis für ein kernwaffenfreies Europa’,
war anfangs die einzige Frau im SDS, trat 1958 auch in die KPD ein
(die sie 1964 wieder verließ), knüpfte Kontakte zu der
von der DDR finanzierten Zeitschrift ‘Konkret’, deren
Chefradakteurin sie 1961 in Hamburg wird. Ihre Ehe mit dem ‘Konkret’-Leiter
Klaus Rainer Röhl scheitert, sie findet vorübergehend
in Rudi Dutschke einen engen Freund. Im Jahre 1968 freundet sie
sich mit Andreas Baader und Gudrun Ensslin an - ein Sprengstoffanschlag
auf ein portugiesisches Kriegsschiff im Hamburger Hafen 1969 wird
von Ditfurth als „Startschuß“ für die RAF
interpretiert. Meinhofs Wege in der Illegalität bis zu ihrer
Verhaftung und letztendlichen Festsetzung in Stammheim werden im
vorliegenden Buch chronologisch minutiös nachgezeichnet, teilweise
sogar recht volkstümlich situativ geschildert. Ditfurth ist
17 Jahre jünger als Meinhof, die beiden sind sich nie persönlich
begegnet - sie zieht im Gegensatz zur RAF eine deutliche Trennungslinie
zwischen Sachbeschädigung und Gewalt gegen Menschen. Die Radikallinke
Ditfurth empfindet offensichtlich dennoch eine Art Respekt vor der
unbeugsamen Revolutionärein Meinhof - der Ton des Buches wirkt
jedenfalls nicht immer genügend sachlich und distanziert. Für
Ditfurth ist Meinhof eine „politische Gefangene“ gewesen,
eine „überzeugte bewaffnete Kämpferin, Revolutionärin
und Stadtguerilla“, deren Tod in Stammheim äußerst
zweifelhaft bleibt.
Ulrike Meinhof „mochte Weihnachten und liebte
den Duft von Zimt und Bratäpfeln“ - aber: „Die
Verhältnisse, in denen sie lebte, kamen ihr verlogen vor.“
In ihrem Artikel ‘Hitler in Euch’ forderte sie die „Absage
an jeden politischen Terror vermittelst administrativer Maßnahmen
gegen Andersdenkende, Andersglaubende und Andersfühlende.“
Berühmt wurde ihre Aussage: „Protest ist, wenn ich sage,
das und das paßt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür
sorge, daß das, was mir nicht paßt, nicht länger
geschieht.“ Für das Jahr 1969 spricht Ditfurth ein Problem
an, welches die längerfristige Umsetzung „linker“
Theorie seit jeher schier unmöglich macht - die sog. „Linke“
schwächt sich immer selbt:“Die Linke zerfiel weiter in
antiautoritäre Flügel, in marxistisch-leninistische Gruppen,
in reformistische, parteikommunistische und maoistische Organisationen,
in Frauengruppen, Lederjackenfraktionen, Jungarbeiter, Lehrlinge,
Schüler. (...) Eine wilde Gemengelage, in der alles diskutiert
wurde, vom Eintritt in die SPD bis zum bewaffneten Kampf.“
Das Dilemma der „Linken“ läßt sich auch schmerzlich
registrieren an der selbstverständlichen Position gegen Antisemitismus
und Pro-Israel einerseits, an der Sympathie für den palästinensischen
Befreiungskampf bzw. die PLO andererseits. Alle Schattierungen kritischer
bis dogmatischer „Linker“ haben sich immer wieder gegenseitig
aufgerieben.
Etwas vermessen erscheint doch Ditfurths Behauptung:
„Weder Bundespräsident Gustav Heinemann noch Bundeskanzler
Willy Brandt - beide wären ohne die außerparlamentarische
Opposition nicht an die Macht gekommen.“ Schwer zu beweisen
dürfte auch die Behauptung sein, „daß das BKA keine
Gefangenen machen wollte“, sondern daß Polizisten gezielt
auf RAF-Mitglieder bei Festnahmen schossen. Der Umgang mit Heinrich
Böll nach dessen Einsatz für Meinhof zeigt die Zerrissenheit
der damaligen politischen Landschaft: die Bildzeitung verglich Bölls
Sprache mit der von Goebbels, die RAF-Leute werteten Bölls
aufforderung sich zu stellen als naiv. In Stammheim arbeitete Meinhof
- auch auf Gruppenbeschluß - an einem „Grundlagenwerk
über das politische Konzept der RAF“. Im Prozeß
verkündete sie u.a., es sei an der Zeit, den Imperialismus
militärisch, ökonomisch und politisch zu vernichten. Bei
ihrer Beerdigung am 15. Mai 1976 bemerkte Klaus Wagenbach in seiner
Grabrede: „Was Ulrike Meinhof umgebracht hat, waren die deutschen
Verhältnisse.“ Erich Fried sagte, sie war „nicht
nur die beste Journalistin der BRD, sondern ... auch die bedeutendste
deutsche Frau seit Rosa Luxemburg.“
Bei allen Kontroversen um das vorliegende Buch hinterläßt
Ditfurths Meinhof-Biographie doch einen detaillierten und engagierten
Eindruck. Man kann sich vorstellen, daß in manchen Kreisen
eine relativ objektive Darstellung der RAF-Gedankenwelt nicht gern
gesehen wird - Ditfurths Buch wird auf jeden Fall ein Baustein sein,
wenn man nach und nach die gesamte RAF-Geschichte aufarbeiten sollte
- was für einen neuerlichen politischen Lernprozeß dringend
überfällig wäre.
Karlyce Schrybyr
***
Volker Weidermann: Das
Buch der verbrannten Bücher
Sachbuch. Kiepenheuer & Witsch, Köln
2008
Ein unbeholfener Löschversuch oder: Wie man sich
sonst noch die Finger verbrennt
Alle Jahre wieder ... ist Weihnachten. Nicht nur.
Mit schlichter Regelmäßigkeit jähren sich Gedenktage,
darunter auch ein 10. Mai. DER 10 Mai, ist derjenige von 1933, derjenige
der verbrannten Bücher. Und er jährt sich anno 2008 zum
fünfundsiebzigsten Mal.
Ein dreiviertel Jahrhundert Gedenken, auch wenn erst
seit etwa 30 Jahren überhaupt ge-dacht wird, darf nicht verpaßt
sein. So, oder so ähnlich wird man beim Verlag Kiepenheuer
& Witsch gedacht haben, präsentiert pünktlich zur
Buchmesse Leipzig, überpünktlich 59 mal 24 Stunden vor
dem eigentlichen Gedenktag, Volker Weidermanns Arbeit Das Buch der
verbrannten Bücher.
Ein 75-jähriges Jubiläum, keine goldene
Hochzeit, verdient Aufmerksamkeit. Die versucht gleich der Einband
mit goldfarbenen Lettern abzuholen. Und der Einband behauptet auf
der Rückseite, Volker Weidemann erzähle hier erstmals
die Lebensgeschichte aller (!!! d. Rezensent)) Autoren, deren Werke
damals in Flammen aufgingen.
Wer je sich näher mit den Vorgängen um den
10. Mai 1933 ernsthaft beschäftigt hat, weiß schon jetzt,
der Autor wird, der Verfasser muß an diesem Versprechen scheitern.
Gestatten wir dem Kenner des Sachgegenstandes das Überspringen
der Hürde des Unmöglichen, begeben uns auf die Suche nach
dem, was eine solche Arbeit allenfalls wird liefern können,
wird doch die jeweilige Lebensgeschichte der betroffenen Autoren
versprochen.
Ach, was wäre das für ein wunderbares Werk,
die Lebensgeschichten der hier versammelten 131 Autoren nachlesen
zu können! Nur die Lebensgeschichten bitte. Die Geschichten
ihrer Bücher, ja, das wäre wirklich etwas! Obgleich, mit
den Lebensgeschichten alleine ließe sich eine Weile leben
und lesen, eine lange Weile ohne Langeweile, ohne gleich die Geschichten
der Bücher zu vermissen, auch wenn sie versprochen sind, dennoch
völlig fehlen. Doch nach 252 Seiten geht das Papier aus, besteht
Mangel an Druckerschwärze, ist das Buch schlicht zu Ende, stiehlt
sich der Autor davon. Vorwort, eine Einleitung, das Nachwort, Autorenliste
und Textnachweis abgezogen, muß sich das pralle Leben der
131 aufgeführten Autoren mit 215 Buchseiten begnügen,
im Schnitt schlappe 1,5 Seiten für jede versprochene Lebensgeschichte.
Nicht genug, daß ihre Werke verschwiegen, verbrannt sind,
nun wird in der Hitze des (h)eiligen Marktes ihr Leben geschrumpft,
eingedampft, auf Histörchen, Anekdoten, in Banalitäten
zusammengestaucht. Das Leben der verbrannten Dichter wird noch einmal
vergessen.
Ja doch, Volker Weidermann kann erzählen, schreiben.
Er hat durchaus einen Blick für Wesentliches. Sein Versuch
ist lesbar, teilweise informativ. Er versteht, Verbindungen zu knüpfen.
Er separiert 131 Autoren verbrannter Bücher, teilt sie in 23
Grüppchen, strickt eigene Konstellationen, indem er zum Beispiel
Thomas Mann, den Anspruchsintellektuellen und Großbürger,
mit Oskar Maria Grafs Beharren auf Volksverbundenheit zusammenspannt.
Und doch verpaßt er um dieses Erzählens Willen die erzählenswerte
Anekdote der Selbstindizierung, die Graf am 12.05. 1933 öffentlich
den Nazis befohlen und dafür mit einem Jahr Verspätung
auch sein Extrafeuerchen im Innenhof der Universität zu München
bekommen hat. Selbst da, wo Weidermann Brecht wörtlich zitiert,
ausgerechnet den auf Graf bezogenen Text, versäumt er die Verbindung.
Zu Klaus Mann findet sich der Hinweis auf dessen mit seiner Schwester
Erika zusammen verfaßten und 1939 erschienen Titel Escape
to life, ein Buch, das nur schwerlich den Flammen vom 10. Mai 1933
überantwortet sein kann. Erika Mann findet sich mit ihrem am
Rande notierten Namen abgefertigt. Der nicht allerorts verschont
gebliebene Thomas Mann, obwohl er in Weidermanns Liste nicht vorkommt,
ziert wenigstens oben zitierter Verbindung. Wie ein roter Faden
durchziehen diese Ungenauigkeiten, oder ist es einfach nur Oberflächlichkeit
(?), den Text. Da schreibt einer: „Es scheint deshalb plausibel
und ist in der Forschung inzwischen fast einhellige Meinung, daß
die Bücherverbrennung ... nicht auf die Initiative des Propagandaministers
Joseph Goebbels ... zurückging.“ Nur wenige Zeilen später
impliziert er einen Zusammenhang zwischen der Gründung des
Reichsministeriums für Volksaufklärung vom 12. März
1933 und der Gründung des „Hauptamtes für Presse
und Propaganda“ der Deutschen Studentenschaft, die doch in
all ihren Belangen dem Kultusministerium bis zum Untergang unterstellt
blieb. Gewiß hat auch Professor Kohlrausch, Rektor der Berliner
Universität, sein Ersuchen um ministerielle Entscheidung eher
an seinen zuständigen Fachminister Bernhard Rust und keineswegs
an Goebbels gerichtet.
So informativ, wie Weidermanns Werk ansonsten sein
mag, von allerlei Ungenauigkeiten einmal abgesehen, das Versprechen
des Einbandes vermag der Autor nicht einzulösen, auch den mit
seinem Vorwort formulierten Anspruch nicht. Die abgelieferten Informationen
sind inzwischen längst Standard in elektronischen Medien. Sie
hier gekonnt und durchaus mit Emphase verbunden vorzufinden, macht
das Buch lesbar. Mehr nicht.
Am Thema hat sich der Autor schlicht die Finger verbrannt,
seine Mission, die verbrannten Bücher, ihre Inhalte und ihre
Autoren dem Vergessen zu entreißen, gleich mit. Ein Bärendienst
für die verbrannten Autoren und ihre Werke. Spielt es in unserer
modernen Dienstleistungsgesellschaft wirklich noch eine Rolle, wenn
der Schriftsteller Weidermann jede Angabe von Quellen ausläßt,
sich eine Bibliographie erspart? Eine sehr besondere, besonders
pünktliche Dienstleistung zu 75 Jahre Bücherverbrennung/10.
Mai 1933.
Teja Bernardy
***
Saqi Farooqi:
Jan Muhammad Khan und andere Gedichte
Übersetzt von Albert Schröder, Gundi
Fasrooqi und Bibi Gaspar. Draupadi-Verlag, Heidelberg 2008
Mitleid mit allen leidenden Geschöpfen...
Militärputsche, Selbstmordattentate, Straßenschlachten,
Guerillakriege und Antiterroreinsätze: davon wird gegenwärtig
die bundesdeutsche Berichterstattung über Pakistan bestimmt.
Dass die pakistanische Hauptsprache, das Urdu, zu den fünf
meistbenutzten Sprache der Welt gehört und dass auf Urdu spätestens
seit Mohammed Igbal, dem 1938 verstorbenen Begründer der pakistanischen
Moderne, eine Dichtung von weltliterarischem Rang geschrieben wird,
ist hierzulande allerdings kaum bekannt. Die meisten der auf Urdu
schreibenden Autoren leben allerdings nicht zuhause, sondern im
Exil, in Deutschland wie Munir Ahmed, einem bedeutenden Mittler
zwischen westlicher und östlicher Kultur, in den USA und vor
allem in England, und sie kehren in ihre Heimat nur dann zurück,
wenn der Wind einmal günstig steht, bevor ein neuer Monsumsturm
wieder Unheil verheißt. London darf mit gutem Recht als ein
Zentrum der heutigen Urduliteratur bezeichnet werden. In London
lebt auch Saqib Farooqi, einer der bedeutendsten zeitgenössischen
Urdulyriker. Von ihm hat der Heidelberger Draupadi-Verlag jetzt
zum ersten Mal in deutscher Sprache eine Auswahl seiner Gedichte
herausgebracht: „Jan Muhammed Khan und andere Gedichte“.
Politische Gedichte, die aktuell in das Geschehen in seinem Heimatland
eingreifen sollen, sucht man in dieser Auswahl allerdings vergebens.
Farooqi verhält sich reserviert gegenüber dem Polittheater
in seinem Lande. Er ergreift keine Partei für den einen oder
anderen Clan. Seine Kritik drückt er nur verhalten, in Bildern
und Gleichnissen, aus - oder im Rückgriff auf die Geschichte.
Seine Elegien auf das untergegangene maurische Spanien, eine Insel
der Toleranz und des gegenseitigen Respekts, lassen sich wie Gegenbilder
zum Fanatismus und Fundamentalismus der Gegenwart lesen.
Farooqis Gedichte sind von einem melancholischen Grundton
geprägt. Das bestimmende Motiv ist das Mitleid - Mitleid mit
allen leidenden Geschöpfen, mit Pflanzen, Tieren und Menschen.
Westliches, buddhistisches und islamisches Ideengut verbinden sich.
Nach Art der Mystiker wird jedem Lebewesen, auch den Pflanzen und
Tiere, eine mitfühlende und mitleidende Seele zugesprochen,
fern von jeder Esoterik. Bezeichnend ist das Titelgedicht. „Jan
Muhammad Khan“ ist der Name eines todkranken Katers, der in
einem leeren Reisbeutel zu einem schmutzigen Tümpel getragen
wird, um darin ersäuft zu werden. Das Leiden des sterbenden
Tieres wird zum Sinnbild für das armselige Leben mancher Menschen,
die nicht einmal mehr Miau schreien und ihren Krallen ausfahren
können. Andere Gedichte gelten einer Spinne, einem gefangenen
und sezierten Schmetterling und einem Kaninchen, das einen Totentanz
aufrührt. Aber Farooqis Mitleid schließt auch den Hund
und das Schwein mit ein, Tiere, die im Islam als unrein gelten und
verachtet werden. Das Schwein erhält menschliche Züge,
es wird zur Metapher für alle ausgestoßenen und ausgebeuteten
Lebewesen. Seine Hässlichkeit verwandelt sich im Auge des liebenden
Betrachters in Schönheit: „Als ich dich unbeholfen mit
steinernen Händen / streichelte / deine struppigen Borsten
/ zwischen meinen Fingern zwirbelte / empfand ich eine unerhörte
Freude / ein seltsames Empfinden von Entzücken. / Die strenge
Sperre aus Hass / Die in meinem Herzen vergraben war / öffnete
sich / mein inneres Triebwerk sprang an / ich begann zu schmelzen...“
Das arme Schwein erlebt den Krieg der Kulturen auf seine Weise.
Im Orient wird es verachtet, aber wenigstens nicht zur Schlachtbank
getrieben, im Westen wird es dagegen als Glücksschwein verhätschelt
und dafür millionenfach hingeschlachtet.
Farooqis Mitgefühl gilt den Verstoßenen
und Vertriebenen, dem verspotteten Eunuchen und dem Bettelkind,
dem der Vater die Arme mehrfach gebrochen hat, damit es mehr Mitleid
erregen und mehr Spenden eintreiben kann. Der Dichter kennt das
Elend des indischen Subkontinents nicht nur vom Hörensagen,
er hat es am eigenen Leib erfahren. Fast zwei Jahrzehnte war er
auf der Flucht. 1936 im Norden Indiens geboren, musste er 1947 mit
seinen Eltern ins heutige Bangladesch fliehen. Drei Jahre später
zog er nach Karatschis in Pakistan, bis er Anfang der Sechzigerjahre
nach England emigrieren musste. Seine Lyrikbände werden dennoch
in seiner pakistanischen Heimat veröffentlicht. Sie erreichen
dort hohe Auflagen und werden nicht selten von populären Sängern
vertont. Farooqi gilt als das enfant terrible der Urdudichtung.
Er schockiert, erregt Aufsehen und wird von den fundamentalistischen
Geistlichen immer wieder wegen seiner ketzerischen Ansichten angegriffen.
Auch seine erotischen Gedichte wie das in der Sammlung abgedruckte
Poem „Morgendliche Nacktheit am Strand“ haben wiederholt
Anstoß erregt.
In seinen metrischen Formen bleibt Farooqi den strengen
Traditionen der Urduliteratur verbunden. Das Urdu ist eine sehr
vokalreiche Sprache und ermöglichst unzählige Reimvariationen.
Das zeigt sfch vor allem an der Form des Ghasels, die der Lyriker
in fast attmeisterlicher Vollendung beherrscht. Das dem Persischen
entlehnte Urdughasel besteht aus zehn oder mehr Verszeilen. Die
ersten beiden Reime bestimmen das gesamte Reimschema und werden
in jeder zweiten Zeiten wiederholt Der letzte Vers enthält
entweder den Namen des Dichters oder eines seiner Tarnnamen. Dabei
werden überlieferte Symbole der Lyrik wie Falter und Kerze,
Vogel und Käfig, Rose und Garten vielfältig umspielt.
Es ist vermutlich sehr schwer, derartig kunstvolle Gebilde ins Deutsche
zu übertragen, aber das dreiköpfige deutsch-pakistanische
Übersetzerteam - Albert Schröder, Gundi Farooqi und Bibi
Gaspar - hat unter Zuhilfenahme der englischen Übersetzungen
sein Bestes getan und deutsche Fassungen vorgelegt, die zumindest
eine Ahnung von der Schönheit des Originals vermitteln. Dem
Heidelberger nach einer Heldin aus einem altindischen Epos benannte
Draupadi-Verlag, der sich seit 2003 um die Vermittlung südasiatischer
Literatur bemüht, gebührt Dank dafür, dass er Farooqis
Lyrik in sein junges Programm aufgenommen hat.
Peter Schütt
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Netzbrücke:
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Textmaterial
• Wider den Schwarzen Winter
• Porträt des Periodikums
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