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Kabarettist Kittner erfreut uns durch die Botschaft, die Bundesregierung
habe sich endlich zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns
für Spitzenmanager durchgerungen. Sie denke an acht Millionen
Euro jährlich. Führungskräfte bei Volkswagen, Siemens,
Deutscher Bank drohten allerdings schon mit Streik; sie möchten
mindestens 60 Millionen. So weit der altkommunistische Haudegen
- und ich bin nicht sicher, ob er nicht zu weit schlug. Denn durch
seine Erläuterungen macht er ja im Grunde auch die sattsam
bekannten gewerkschaftlichen Raufereien des Arbeiters um einen größeren
Anteil vom kapitalistischen Kuchen lächerlich. Zumindest wirft
er die Begierden beider Seiten in einen Topf - und da gehören
sie auch hin. Des Kapitalisten Mahnung, wir säßen alle
in einem Boot, war immer richtig. Wir fahren auf dem Mehr und denken
ausschließlich in Seemeilen. Jeder im Boot will mehr Geld,
um mehr von dem lebensgefährlichen Schund und Schrott genießen
zu können, den man gemeinsam produziert. Die Aktien steigen
und die Gletscher schmelzen.
Legionen von Reformisten müßten schon deshalb
auf den Mond geschossen werden, weil sie sich nicht mehr an der
Rüstungsproduktion stoßen, die unsere Weltwirtschaft
prägt. Jammern sie aber über die Schließung einer
Fabrik für Autos oder Airbusse, Mobiltelefone oder Überwachungskameras;
trachten sie - plötzlich mit staatlicher Kohle - Großbäckereien
und Gänsemastfarmen zu retten; preisen sie einen Kahlschlag
namens Golfplatz, weil er neue Arbeitsplätze für beinahe
kugelförmige RasenmähtraktorenfahrerInnen schafft - ist
das etwa weniger schlimm? Auch hier wird nur aufgerüstet. Wie
sich der Dicke gegen sein Verschwinden wappnet, so der golfende
Porschefahrer gegen den Streß des Konkurrenzkampfes. Beide
steuern absolut überflüssige Dreckschleudern. Wenn jener
ungleich weniger Geld verdient als dieser, rüttelt es nicht
am Wesen der kapitalistischen Warenproduktion. Ausschließlich
am Profit orientiert, ist sie außerstande, für etwas
anderes als Entwertung zu sorgen - der Rohstoffe, der Arbeitszeit,
der Natur, des Menschen, ja sogar des Geldes. Die immer wiederkehrenden
Inflationen zeigen, daß es dem Kapital um nichts geht. Es
betreibt Vernichtung.
Selbst George Orwell wäre auf dem Mond gelandet,
hätte er nur nicht viel zu früh ins Gras beißen
müssen (1950 mit 46). In WIGAN PIER verherrlicht er die Schufterei
des Bergmanns, die unser aller Alltag trage. Im Essay LEVIATHAN
verkündet er, die Überwindung der Armut und die Befreiung
der Arbeiterklasse erfordere nicht weniger, sondern immer mehr Industrialisierung
- mit schönen Grüßen von Lenin, Trotzki, Stalin.
Politik nennt er die Wahl zwischen zwei Übeln - für das
kleinere hätten wir uns zu entscheiden. In seiner Schrift vom
EINHORN schlägt er für die nächstbessere britische
Gesellschaft neben der Verstaatlichung von Schwerindustrie und Boden
vor, die Einkommensdifferenz zwischen Reich und Arm auf maximal
10:1 zu begrenzen. Er schließt mit einem Lob (der Tradition)
des Kompromisses. Mit seiner Lebensfrist schloß er wohl auch
einen, starb doch Eileen 0´Shaugnessy, seine erste Frau, schon
mit 39.
Sind demnächst Lafontaine oder Wagenknecht auf
dem Kanzlerthron zu bewundern, werde ich ihnen als treuer Orwell-Schüler
vorschlagen, für ihre Legislaturperiode nur noch 30 statt 80
Prozent Rassismus zuzulassen. Kurz, das reformistische Bestreben
ist hoffnungslos dem quantitativen Denken verhaftet. In wirtschaftlichen
Fragen drückt sich dieses gleichermaßen in der Haben-Mentalität
wie im Schachern oder Schlagen um den Preis aus - die Ware Arbeitskraft
eingeschlossen. Nebenbei sind diese gebetsmühlenartigen „Kämpfe“
nicht nur ungemein kostspielig, sondern auch - für mein Empfinden
- ungemein entwürdigend. Man feilscht um längst Absehbares;
veranstaltet Possen um nichts. Alle humanen Fragen - etwa nach dem
Sinn von Produkten, Einrichtungen, Lebensweisen - werden aus dem
Verhandlungssaal verbannt. Dafür sind umso mehr Stühle
für Presse und Fernsehen frei.
Verheißen uns die Reformisten - nach Schema
des obigen Beispiels - statt 80 nur noch 50 Prozent Fortschritt,
dann 30, 20 und so weiter, handelt es sich gleichfalls nur um Augenwischerei.
Dynamische Einrichtungen lassen sich durch quantitative Korrekturen
weder begrenzen noch aufhalten. Sie bleiben ihrer Dynamik treu.
Sie finden jede Umgehungsstraße, jede Hintertür, jeden
Steuertrick. Sie unterlaufen jeden Schlagbaum. Haben sich Öl
und Erdgas erschöpft, werden sie sämtliche deutsche Bodenwellen
mit Windrädern spicken und jede neue Autobahn gleich mit Solarzellen
pflastern. Versiegt das Wasser, tränken sie ihre Mastbullen
mit Bio-Sprit. Jeder Mensch ahnt inzwischen, daß wir mit unserer
Lebensweise den Planeten verderben - doch kein Schwein sieht sich
veranlaßt, sie zu ändern. Diese Lösung wäre
gar zu radikal und damit unbequem. Im DALI-Essay bemerkt Orwell,
Verbote seien immer fragwürdig. Völlig richtig, Mister!
Ob Tempolimit, Reichtumsbremse 10:1 oder Nagelfeilenverbot auf Schulhöfen
- es geht an Kern und Wurzel des Problems vorbei. Man muß
an den Bedingungen rütteln, damit sich die Haltungen ändern.
Der von Orwell gepriesene Kompromiß läuft
im Zeichen des quantitativen Denkens leider auf endlosen Kuhhandel
hinaus. Ob mit oder ohne Abstimmung, der Stärkere setzt sich
durch, allerdings immer nur vorübergehend. Wegen der unvermeidlichen
„Zugeständnisse“ fühlt man sich stets zu kurz
gekommen - und da Gewalt salonfähig ist, verschafft man sich
eben neue Mehrheiten. Die dazu erforderlichen ÜberredungskünstlerInnen,
GutachterInnen, Lobbyisten sind natürlich nicht umsonst zu
haben. Das quantitative Denken setzt auf Bestechung = Kampf. Es
ist keineswegs zu simpel, Kapitalismus und Krieg als Synonyme aufzufassen.
Wünschen Herr Lula oder Frau Pau, jenen zu „humanisieren“,
machen sie uns weis, ein Pitbull ließe sich in ein Teddybärchen
verwandeln.
Die Alternative wären aufrichtige und geduldige
Erörterungen, wie sie etwa in unseren wenigen anarchistischen
Kommunen versucht werden. Niemand verhehlt seine Wünsche, Zweifel,
Ängste. Alle gemeinschaftlichen Vorgänge sind durch- und
überschaubar. Jeder bemüht sich um eine Vereinbarung,
die von allen getragen werden kann. So manche verblüffende
Lösung hat bereits gezeigt, daß sich die Zufriedenheit
aller Beteiligten herstellen läßt, wenn sie sich nur
genügend Spielraum geben. Bei der herrschenden Unrast der Profit-
und Kaufsüchtigen ist daran natürlich nicht zu denken.
Sie haben alle Hände voll zu tun, ihren Geschäfts- und
Geschlechtspartnern über Mobiltelefon mitzuteilen, wo sie sich
gerade befinden. Dadurch schaffen sie immerhin Platz in ihrer Birne:
für den nächstgrößeren Gehirntumor.
Henner Reitmeier
***
Kapitalsucht
Glaubt man kapitalistischen Ideologen, ist die Diktatur
des Proletariats längstens unrühmliche Geschichte und
nur die des Kapitals hat noch uneingeschränkt Zukunft.
Nun habe ich weder vor, eine wirtschafts- oder finanzwissenschaftliche
Abhandlung zu schreiben, noch werde ich historische Beweise anführen
oder absolut haltbare politische oder gar politikwissenschaftliche
Thesen aufstellen. Die Haltbarkeit politischer Thesen liegt ohnehin
selten über der von ungekühlter Frischmilch.
Mir geht es allein um die Folgen der alltäglichen
Diktatur des Geldes und um jene vielen, deren Finanzen trotz oder
gar wegen des Konjunkturaufschwungs ständig schrumpfen, um
auf den Konten der wenigen zu landen, deren Reichtümer ohnehin
unaufhaltsam wachsen.
Die kleine Zahl Ultrareicher, derzeitig noch Milliardäre
und in Zukunft vielleicht sogar Billionäre, schafften und schaffen
offensichtlich ein System, mit dem sich Reiche in immer kürzeren
Zeiträumen immer mehr bereichern konnten und können. Ungehindert
wächst ihnen Machtfülle zu, da sich mit Geld alle Machtmittel
kaufen lassen: Grund, Boden und Immobilien, Waffen, Bodyguards,
Überwachungskameras, Angestellte, Politiker, Frauen, Männer,
Verwaltungsangehörige, willige Spekulanten und nicht weniger
willige Geschäftemacher aller Art sowie vor allem weitere Finanzen.
Superreiche sowie deren Anhänger und Helfer,
die auch immer reicher zu werden hoffen, finden stets die einsichtigsten
Antworten auf die entscheidende Frage, warum gerade sie wohlhabender
werden müssen.
Moralisch entrüstet unterstellen sie Armen, eine
unbotmäßige und deswegen verwerfliche Neiddebatte zu
führen. Kurzerhand erklären sie die Umverteilung von oben
nach unten zu einer in jeder Hinsicht unmodernen politischen Richtung.
Wirtschafts- und Finanzpolitik, die ihnen und ihren Konten hingegen
nützt, preisen sie und die ihnen nahestehenden wissenschaftlichen
Experten als einzig notwendige an, da allein sie die Konjunktur
steigere. Und Konjunktursteigerung kommt selbstverständlich
wiederum allen zu gute, die ohnehin schon die größeren
Guthaben besitzen und am meisten denen, die besonders rasant wachsende
Vermögen ihr Eigen nennen. Auch das ist natürlich Umverteilungspolitik
- nur eben die zweifelsfrei höchst zeitgemäße von
unten nach oben.
Jene Geldadeligen wollen übrigens auch allen
Mitgliedern der so genannten Gesellschaft weismachen, es herrsche
Chancengerechtigkeit. Doch diese hat weder mit Gerechtigkeit noch
Chancengleichheit zu tun. Vielmehr stellen Politiker und Wirtschaftsexperten
mit diesem missverständlichen Begriff allen - also Armen und
Reichen die gleichen Chancen gegenüber. Nur die Armen verfügen
nicht über die (Finanz-)Mittel, die Chancen wahrzunehmen. Für
sie bleibt, mit dem Geld, über das sie nicht verfügen
und auch nicht verfügen werden, in trügerischer Hoffnung
auf Reichtum angestrengt für den Reichtum der Reichen zu arbeiten.
Konsequent wie sie sind, lassen Gutbegüterte
zum Beispiel Bedingungen zu, die nur Wohlhabenden Bildungschancen
ermöglichen. Sie loben die Sparsamkeit der Politiker, wenn
sie Studiengelder einfordern und die Lernmittelfreiheit einschränken.
Schließlich benötigen allein sie, die es sich selbstverständlich
leisten können, umfangreiches Wissen und Können, um einfache
Bereicherungsmodelle so zu verkomplizieren, dass einer ohne ihr
Wissen und Können diese Modelle für zu kompliziert hält,
um sie (als weniger Wohlhabender) durchschauen und beeinflussen
zu können.
Ihr gesellschaftspolitisches Credo für jene,
die sie nicht zu den Ihren zählen, lautet schlicht: Ihr habt
keine Chance, aber nützt sie, wir nützen doch auch Chancen
(die ihr nicht habt). Und das mit allergrößtem Erfolg.
Nun wissen selbstverständlich längst alle,
die nicht zu jenen Wohlhabenden gehören, dass gerade Reiche
sie daran hindern, zu deren Reichtum und dessen Zuwächsen zu
kommen.
Dafür steht das gewohnheitsrechtliche und von
Juristen und Legislative formulierte Gesetz der Besitzstandswahrung,
aber auch das Strafgesetzbuch. Es belegt gerade Eigentumsdelikte
mit umso empfindlicheren Strafen, je mehr gestohlen oder geraubt
wurde. Besitz ist damit gesetzlich umso mehr geschützt, je
umfangreicher er ist.
Darüber hinaus bemüht sich konservative
Politik (Und welche Regierungspolitik ist nicht konservativ?) immer
darum, mit nahezu allen ihren Mitteln Macht und damit Geld zu beschaffen
und zu konservieren.
Doch es ist nicht allein ihr Bestreben, ihre großen
Vermögen einfach nur zu erhalten. Damit wäre das Guthaben
kaum mehr als eine wertvolle sorgfältig einbalsamierte Mumie
- also totes Kapital ohne Geld- und Machtzuwachs.
Nein, der vielbesitzende Mensch, suchtgefährdet
wie er ist, will grundsätzlich immer mehr als er ohnehin schon
hat. Die Droge Geld ist offenbar die legalste aller legalen Suchtmittel.
Konsumenten anderer legaler Drogen - etwa Alkohol - werden im fortgeschrittenen
Suchtstadium gesellschaftlich geächtet. Ungebremster Alkoholismus
führt in der Regel nämlich zu Geld- und Besitzverlust.
Der Geldsüchtige hingegen gewinnt mit der Steigerung seiner
Sucht weiter an Ansehen.
Unerbittlich neigen Süchtige dazu, ihr Leben
und das ihrer Angehörigen und aller ihnen Nahestehenden in
die Sucht hineinzuziehen. Keiner soll der Sucht entgehen. Konsequenter
Weise werden alle Einflussbereiche der Geldmachthaber der Abhängigkeit
von Geld unterworfen: die Politik, die öffentliche Verwaltung,
Kunst und Kultur, Freizeit, Familie, Kindererziehung, selbst Freund-
und Liebschaften. Überall wird zunächst gefragt, „Und
was kostet mich das?“
Die Entscheidung für ein Kind fällt erst,
wenn klar ist, ob das junge Paar sich auch ein Kind leisten kann.
Geheiratet wird wegen zu erwartender Steuervergünstigungen.
Im Krankenhaus haben Krankenschwestern keine Zeit dafür, sich
ihren Patienten menschlich zuzuwenden. Dafür zahlen Krankenkasse
und Krankenhausverwaltung nicht. Wer als Privatpatient allerdings
ausreichend Geld einsetzen kann, für den ist auch Zeit vorhanden.
Und dann macht Reichtum auch noch sexy….
Mit zunehmender Maßlosigkeit vernichtet Sucht
bekanntlich irgendwann Existenzen und zuletzt Leben. Jeder trockene
Alkoholiker, der kurz vor dem endgültigen Absturz noch die
Kurve gekriegt hat, weiß das. Sucht ist erbarmungslos und
kann selbst Unbeteiligte mit in den Abgrund reißen.
Karl Marx war sicherlich kein Suchtexperte, aber er
hat aufgrund seiner scheinbar altmodischen machtpolitischen Erkenntnisse
vor dem Selbstvernichtungspotential des Kapitalismus gewarnt.
Wer Euro- und Dollarzeichen in den Augen hat, dessen
Sehkraft bleibt eingeschränkt, selbst wenn er sich die teuersten
Augenärzte leisten könnte.
Karl Feldkamp
***
Skandal und Skandalisierung
Über die seltsame Anatomie gesellschaftlicher Affären
Fad werden soll einem nicht. So torkeln wir von einer
Affäre in die nächste. Auch die übernächste
Enthüllung wird nicht lange auf sich warten lassen. Doch wissen
wir eigentlich, was das ist, was wir da so selbstverständlich
als Skandal wahrnehmen? Vielleicht ist seine Funktion, doch eine
andere als seine Darstellung uns immer wieder zu vermitteln vorgibt.
Via Aufdeckung und Konstruktion von Affären demonstriert
das System nicht seine Instabilität, sondern im Gegenteil seine
Stabilität. Gerade Skandale stärken die bürgerlichen
Werte und Normen, weil die Skandalisierung deren Zustimmung voraussetzt
wie einfordert. Die Skandalisierung dient zur Selbstversicherung
der Ideale, zur Selbstverständigung des Selbstverständlichen.
Es ist eine Art Crash-Kurs in Sachen Staatsbürgerkunde. Mit
Affären immunisiert sich ein politisches System gegen substanzielle
Angriffe, indem es regelmäßig Säuberungen und Opferungen
veranstaltet. Esoterisch ist es ein quasi religiöses Ritual
der Reinigung, exoterisch ein Räuber- und Gendarmspiel für
Erwachsene.
Auf ideologischer Ebene haben die Skandalierer leichtes
Spiel, weil die Skandalisierten immer defensiv, nie offensiv agieren,
eben weil sie selbst der gleichen Moral aufsitzen wie ihre moralischen
Richter. Zumeist wollen sie es nicht getan haben. Wenn das nicht
geht, ist es ihnen passiert und sie versprechen Besserung. Niemand
hingegen sagt: „Ja zur Steuerhinterziehung!“ „Hoch
die Schmiergeldzahlung!“ „Es lebe die Vetternwirtschaft!“
- Das ist eigentlich schade.
Was das Empirische betrifft, ist der Skandal oft wirklich
so, wie ihn sich der kleine Maxi vorstellt, nur komparativer. Das
ist darauf zurückzuführen, dass der kleine Maxi im Kleinen
nichts anderes tut als die großen Maxln in Politik und Wirtschaft.
Aber das sagt man nicht. Maxi weiß, was er Max vorwirft, weil
er sich, obwohl er sich verleugnet, kennt. Ihn entsetzt, was er
tut - bei den andern, die nichts anderes tun. Gemeinhin kommt das
Publikum über „unproduktive Empörung“ (Karl
Kraus) nicht hinaus. Erregung herrscht und Entsetzen, doch zum Schluss
dominieren Ermattung und Indifferenz.
Der Skandal bedroht nicht den gesellschaftlichen Zweck,
Geld zu machen, sondern erfüllt ihn mit Mitteln, die sitten-
oder rechtswidrig sind. Aber das ist ein Detail. Was sind schon
die Mittel gegen das Ziel, das kaum jemandem als fragwürdig
erscheint? Skandale sind primär als Folgen und Funktionen der
Geldwirtschaft dechiffrieren. Und zwar als solche, die zwar den
Zweck teilen, aber die Regeln flexibel bestimmen möchten und
das auch tun. Im schier ewigen Spiel der Geldmacherei ist der Skandal
nicht Bedrohung, sondern Stachel. Keine Regel soll aufhalten und
behindern. Illegal gewesen ist nicht das, was illegal gewesen ist,
sondern nur das, was der Illegalität überführt werden
konnte.
Kein Skandal ohne Skandalisierung! Gibt es letztere
nicht, hat es ersteren nie gegeben, egal nun, wie hoch die kriminellen
Ingredienzien der jeweiligen Geschäfte und Politiken zu veranschlagen
gewesen wären. Die Voraussetzung einer Affäre mag ein
krimineller Sachverhalt sein, ihre Bedingung ist aber ihre Inszenierung.
Der Skandal kann ohne öffentliche Kenntnisnahme nicht gedacht
werden. Letztlich verschleiert die Skandalisierung mehr als sie
aufdeckt, eben weil sie sich beharrlich weigert, Misstände
und Zustände als Einheit zu denken, sondern deren immanente
Diskrepanz immer zur kontrafaktischen, aber kategorischen Zweiheit
aufbauscht.
Skandalisierung und Skandal verhalten sich wie die
Verlogenheit zur Lüge. Erscheint letztere offensichtlich, bleibt
erstere aufgrund der Beleuchtung im Dunkeln. Viele Fragen bleiben
offen: Wer beliefert die Aufdecker? Was unterscheidet die Bestechung
von der Aufdeckung? Wer bezahlt die Lieferanten? Wo werden solche
Waren gehandelt? Wie hoch sind die Summen? Abgehörte Telefonate,
bespitzelte Personen, umgeleitete E-Mails veröffentlichte Steuerbescheide,
weitergereichte Prüfberichte, gestohlene Akten, Erpressungen
- das alles, obwohl tatsächlich, ist kaum präsent. Nichts
ist transparent, aber alles undicht. Der Skandal, so zeichnet es
sich ab, ist nur auf skandalöse Art und Weise zu bekämpfen.
Aufdeckung erfordert gerade die Methoden, gegen die sie auftritt.
Indes, Thema ist die Enthüllung der zu Enthüllenden nicht
die Enthüllung der Enthüller. Wer sollte die auch einbringen?
Die nichtbeobachteten Beobachter, also die Aufdecker? Sie können
absolut kein Interesse an solchen Geschäftsstörungen haben.
Die deutsche Postbankaffäre um Herrn Zumwinkel
offenbart da mehr als allen Aufdeckern Recht sein kann. Der offiziell
bekannt gewordene Ankauf von Daten über Steuersünder mag
ein Novum sein. Dass mit solchen Sachen gehandelt wird, liegt aber
auf der Hand. Wer Informationen sammelt und besitzt, der will und
darf sie doch auch verkaufen. Da mag die Beschaffung auch selbst
nicht ganz legal sein. Egal. Rein formal wird ein Angebot gelegt,
das auf Nachfrage hofft. Hätte der BND nicht gekauft, hätte
er sich zahlreiche große Fische durch die Lappen gehen lassen.
Zumwinkel wäre nichts nachzuweisen gewesen.
Er war ein großer Mann, eine Stütze der
Gesellschaft. Schon 2001 erhielt Klaus Zumwinkel das Große
Bundesverdienstkreuz. 2003 wurde er zum „Manager des Jahres“
gewählt. Auch der erfolgreiche Gang der Postbank an die Börse
fällt in seine Ära. Erst unlängst, vor einigen Monaten
wurde ihm der Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen nachgereicht.
Dass das alles Fehlentscheidungen gewesen sind, wollen wir aber
in keiner Weise behaupten. Er hat es sich verdient, jene passen
gut in das System von Erfolg und Karriere, Leistung und Konkurrenz.
Es hatte alles seine Richtigkeit wie Rücksichtslosigkeit. Ohne
gewisse Zutaten wären Aufstieg und Macht solcher Typen gar
nicht bewerkstelligbar. Leistungsträger sind so! Man soll sich
doch nicht in den Sack lügen. Hartz, Ackermann, Kleinfeld,
man könnte die Liste fortsetzen oder besser, sie wird sich
selbst fortsetzen.
Es ist halt blöd gelaufen. Hätte sich ein
liechtensteinischer Informationshehler nicht erdreistet, mit dem
BND ein Geschäft zu machen wie dieser mit ihm, Zumwinkel wäre
geachtet und geschätzt wie ehedem, weitere Ehrungen eingeschlossen.
Hätte er also vielleicht selbst ein paar Mille für diesen
Spitzel springen lassen, wäre Zumwinkel hochdekoriert in Rente
gegangen, und die Politiker, die ihn heute als Steuersünder
verurteilen und meiden, hätten ihn gelobt und gepriesen und
sich von ihm beraten lassen. Wetten, dass...
Besonders gefährlich sind Leute, die prophylaktisch
(oft ohne konkrete Absicht und Hintergrund) Daten sammeln, Dateien
speichern, Dossiers anlegen. Denn diese sind oft unauffällige
und unverdächtige Elemente, die unmittelbar gar nicht als Gefahrenquelle
angenommen werden können. Keine Spionageabwehr rechnet mit
ihnen. Jene sind also unberechenbar. Wer weiß, was passiert,
wenn sie übergangen oder gemobbt, degradiert, gedemütigt
oder arbeitslos werden? Wenn sie meinen, sie kämen zu kurz
oder auch einmal mächtig erscheinen möchten? Wenn sie
jemanden eins auswischen wollen? Oder einfach nur geldgierig sind?
Soll vorkommen. Da können aus biederen Sammlern gierige Jäger
werden, wahre Denunziationsbomben. Sie brauchen sich nur zu entsichern,
also bei Redaktionen oder Behörden vorstellig werden und andeuten,
dass sie unter Umständen was hätten, wenn....
Wo die Integrität sinkt, häufen sich auch
noch die Intrigen. Es muss ja nicht gleich der Bundesnachrichtendienst
sein, auch auf privater Ebene können vertrauliche Informationen
zu einem lukrativen Geschäft werden. Was heißt werden?
Sie sind es wohl schon lange, nur weiß man eben nicht so genau,
welche investigativen Leistungen diverser Medienprodukte mithilfe
welcher Transaktionen erzielt wurden. Dafür sorgt auch das
Geschäftsgeheimnis, das nur durch gezieltes Enthüllen
diverser Intimfeinde oder Abstauber in Leidenschaft gezogen wird.
Faktum ist: Dem kriminellen Handeln erster Ordnung folgt unweigerlich
eines zweiter Ordnung.
Anstand ist ein menschliches, kein ökonomisches
Kriterium. Wer sich am Markt auf den Anstand beruft, ist in einem
wirtschaftlichen Notstand. Wer anständig Geschäfte machen
will, kann keine anständigen machen. Böse Zungen wie glaubhafte
Sachverständige im großen Wiener BAWAG-Prozess behaupten
gar, dass man in letzter Konsequenz nur jenen Bilanzen vertrauen
dürfe, die man selber gefälscht hat: „Letztlich
ist jede Bilanz objektiv unrichtig“, sagte der Gutachter Thomas
Keppert, der es wissen muss. Nun, wir wollen’s nicht übertreiben,
aber verantwortungsvoll im Sinne eines Unternehmens zu agieren,
heißt nicht, nicht zu lügen. Es heißt, zu lügen.
Zwar nicht notorisch, aber kalkulierend und proportioniert. Gerade
in der Welt von Geschäft und Politik gilt: Wenn eine Wahrheit
schlecht ist, ist sie schlecht und daher zu unterdrücken; wenn
eine Lüge gut ist, ist sie gut und daher zu verbreiten.
Erkannt (nicht zu verwechseln mit anerkannt!) werden
sollte, dass Korruption erfolgreichen Handlungen wie Verhandlungen
nicht abträglich ist, sondern zumeist ungemein förderlich.
Das sagt man zwar nicht, aber alle Praktizierenden wissen es. Nicht
zu Unrecht spricht man davon, dass Geschäfte wie geschmiert
laufen. Korruption, richtig dosiert, ist zweifellos ein wichtiges
Schmier-, ja Treibmittel: Beschleuniger, Abkürzer, Erleichterer.
Das, was hochkommt, ist ein Bruchteil dessen, was skandalträchtig
sein könnte. Wobei der Prozentsatz, der auffliegt, nicht unbedingt
steigt, denn der ist abhängig von der begrenzten Aufnahmekapazität
des Publikums, hingegen der Prozentsatz, der auffliegen könnte,
im Steigen begriffen ist, weil die Informationskanäle sich
immer vielfältiger gestalten und Geheimhaltung schwieriger
wird. Wir wissen alle nicht, was von uns alles gewusst wird oder
gegebenenfalls in Erfahrung gebracht werden könnte.
Seriös oder unseriös, das war bei Geschäften
nie die entscheidende, aber doch eine wichtige Frage. Nun ist aber
auch der Kurs der Seriosität im Sinken begriffen. Zuschlag
hat Handschlag ersetzt. Man muss zuschlagen können. Mit dem
Risiko steigt auch die Korruption. Erfolgreiche Businessmenschen
sind dann Leute, die sich etwas trauen, aber auf nichts mehr vertauen
können, weil sie in ihren Konkurrenten zu Recht Spiegelbilder
ihrer selbst vermuten. Gute Geschäfte haben immer etwas Verwegenes,
ja Mafioses an sich.
Aufgabe von Politik und Justiz ist es auch nie, die
Korruption zu beseitigen, sondern sie entsprechend zu verwalten,
ein bestimmtes Verhalten als Schuld zu definieren, und unentwegt
von Fehlern und Schwächen einzelner Täter zu schwätzen.
Das ist zwar auch nicht ganz falsch, aber es ist nur ein untergeordneter,
wenn auch offensichtlicher Aspekt, vorausgesetzt er erblickt überhaupt
das Licht der Welt. Jeder Skandal gerät so zur Beschau des
Personals unter Ausblendung der es bedingenden Struktur. Wölfe
sagen, dass es unter ihnen auch schwarze Schafe gibt. Was alle Schafe
sofort glauben.
Franz Schandl
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