XXVIII. Jahrgang, Heft 151
Mai - Aug 2009/2
 
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Letzte Änderung:
4.05.2009

 
 

 

 
 

 

 

LYRIK

   
 
 


Sancho Pansa

Stürmt sie den Himmel? Mit dem Löwen, an der Leine, der Löwe, folgt der Löwe,
sie, im Himmel. Zieht der Löwe? Im Himmel, der Löwe, an derLeine, der Löwe,
es dringt, ein Schrei, die Herzogin ein, der Donner, im Ohr, der Löwengroll.
Zuckst du? Zappelst, zerrst, du suchst, die Mütze, deine Nase, versteckt, ein Ohr,
verstopft, Mund, Auge, ich,
du, du zauderst nicht, kein Zurück, im Herzen, die Ritter, alle Väter, im Marschgepäck, unser, der Himmel,
du, dort, dein Himmel,
besetzt ist der Himmel,
die Karten, verschenkt, die Steuer, umsonst,
besetzt ist der Himmel, der Löwe, im Himmel, die Frau, mit der Leine,
du zögerst, vergeblich, der Löwe, im Himmel, der Löwe, eine Maus, der Löwe, an der Leine, die Frau, ich,
du erschrickst.
Sie haben den Löwen seziert, die Pfunde, aufgeteilt, der Löwe,
sie, haben den Löwen der Herzogin zugeteilt, der Traurigen, die Pfunde,
alles vergeben, vorbei,
auf dich wartet, im Himmel, der Löwe, die Herzogin,
du stürmst, die Leine, im Maul, du glaubst, du stehst, deine Beine,
du reitest, den Löwen, mich,

du träumst, die Herzogin, der Liebreiz, die Milde, das Tagebuch,
du bist, wenn sie wollen, ich will, für eine Sekunde, mein Löwe,
du, im Totenbett,
nackt, wie du bist, sie haben uns ausgeschnitten, zugeteilt,
warte nur,
bald,
du gibst nichts ab, nichts zurück,
du bist der Löwe, du schweigst.
Sie haben die Noten gedruckt, unsre Instrumente, ausgegeben,
dich, den Horizont,
alles ist sicher, ich,
dein Esel, dort, Flügel,
sie stehen und grüßen, sie,
Sancho Pansa.

Horst Bingel


***

Frage

Bevor wir uns trösten
Mit Worten und Bildern,
Damit sich mildern
Die Schmerzen im Kopf,
Gefühle sich lösten
Von den Gedanken,
Die ließen wanken,
Was Licht versprach,

Was aber wäre,
Wenn wir sie bewerten,
Bevor sie beschwerten,
Was Freiheit ist,
Auf dass die Lehre,
Zu wissen, wohin,
Zu Neubeginn
Uns leiten mag.

Hadayatullah Hübsch


***

in schweren nachten
wenn nebelträume tief
in unsre häuser dringen

ich wie im rausch
die festigkeit der wände
verliere der boden schwankt

dann öffnet sich der blick
auf alles was sich eint
verliebte paare

bündige rede
musik aus mächtigen orchestem
netze des wissens

rund um die weit
sogar die täter stehen
demutsvoll vor ihren opfern

auch wenn es tag wird
und die sonne wärmend
ihr licht in unsre gärten schickt

und unsre häuser wachsen
so sehne ich mich täglich
nach den nebelnächten

die alle schranken
weich und kraftvoll überwinden
so dass nichts ausgeschlossen bleibt

Wilhelm Riedel


***

die neue spezies

moderne wanderarbeiter
schicken sich über den globus
als genügsame amphibien
in flexibel angepaßter natur
robust in hinreichender zahl
stets herzlich willkommen
folgen sie freiwillig dem abruf
kennen jeden winkel der erde
bestellt vom kamerasuchdienst
zeit und raum flüchtig erfaßt
spezies zwischen mensch und tier
ein kapitales zuchtprogramm

Manfred Pricha


***

leise die Stimme der Richter
hat ein sanftes Organ mild
schnappt die Fessel um
mein Leben

zwei Jahre

die Staatsanwältin blättert
in den Akten die paar Zuhörer
lassen ihre Schuhe sprechen
Kopf hoch mahnt der Verteidiger
wir gehen in Revision

in den Knast

hallt es in mir
einen Stein sahen die Polizisten
in meiner Hand war nichts
wer glaubt dem Chaoten

schreiben die Zeitungen
diese bellenden Hunde hart
durchgreifen muß der Staat

einmal

mußt du zahlen
für dein Dagegensein

Norbert Büttner


***

traumtrudes verführung

der fluß die weiden
junge männer im boot
rudern zack-zack zu
Gertruds-Eck heute
der weiße schleier
hinterm fenster
im turm
heut’ ist sie nicht
zu haus

der fluß die weiden
junge männer im boot
kehren um zack-zack an
Gertruds-Eck morgen
fahren sie aus
erneut
wohin?
gen engeland
vielleicht

Jutta Dornheim


***

Die toten Kinder

Die Kinder, die im Gazastreifen sterben,
haben nicht das Privileg,
das Jahr 2009 mit ihrem
unschuldigen Lächeln zu begrüßen.

Ihre wenigen Tage, Monate, Jahre des Lebens
sind voller Dunkelheit und Furcht,
Tränen und Schmerz. Ihr Blut befruchtet
genau den Flecken Erde,
wo sie geboren wurden: ihr Land.

Ich meine, für diesen Krieg in Gaza
gibt es überhaupt keine plausible Erklärung.
Es spielt weder eine Rolle, wer die Gebieter
von diesem Landstreifen sind,
noch wer in den reichen Siedlungen
oder den Gebäuden des jüdischen Kondominiums lebt
oder in den Hütten Palästinas.
Es spielt keine Rolle, wer mit den gesetzlichen
Steuern seiner ehrenvollen Arbeit
für die Raketen bezahlt,
die von der einen zur anderen Seite
des Gazastreifens fliegen. Es sind Kriminelle,
die die Raketen starten, die sie kaufen und
verkaufen in der Absicht, Menschen zu verletzen,
Kinder zu töten.

Das Leben eines Kindes ist mehr wert
als das ganze Land, ist mehr wert
als all die religiösen oder politischen Ideologien,
mehr wert als die Landkarten auf dem amtlichen Papier,
die die Länder der Herrscher nach jedem Krieg verändern.

Die Kinder sterben wie Vögel,
wehrlos, vor ihrem ersten Flug
schon herausgeworfen aus dem Nest.
Ich möchte weder eine Erklärung hören
noch die Gründe, warum die Raketen fliegen.
Noch möchte ich denen verzeihen,
die den Tod und die Verletzungen
tausender Kinder im Gazastreifen befehlen.

Teresinka Pereira
Aus dem Spanischen von Sigrid Becher


***


Hölderlin als Revolutionär

    Da mir so manches stinket in diesem Land,
   Bin ich nach Bonn gezogen mit einer Schar
  Von Helden, welche ihren Mut an
Knödeln und Sauerkraut oft erprobten.

    Nach vielen Stunden kamen wir an; erschöpft
   Vom langen Gehen, machten wir Rast. Alsdann
  Warf jeder, voller Kühnheit, gegen
Alle Regierungsgebäude Haufen

    Von Gummibärchen! Aber es sprang sofort
   Herbei ein Trupp von Uniformierten, und
  Es rollte auf uns Revoluzzer
Eine enorme Verhaftungsflut zu,

    Die uns erfaßte und ins Gefängnis schob.
   Dort sagte eine Stimme zu uns, es sei
  Hier in der BRD jedweder
Aufstand Harmloseren vorbehalten!

Gottfried Weger


***

schiffbrüchige

die kollateralschäden der zuwanderung
tauchen zum dunklen meeresgrund ab
strengstens beobachtet und überwacht
meldet die aufklärung einige luftblasen
versunkene nußschalen wilder gewässer
der ausweg ersoffen in tödlicher gefahr
kein zugriff erlaubt die stürmische see
waffenschmuggler und öltanker kreuzen
die schiffe zur abwehr im offenen meer
eines tages schwemmt sich das elend
an die inselketten und küstenstreifen
gestrandete leichen vergeblicher ruhe

Manfred Pricha


***

Der Arbeitslose

Nun bin ich glücklich ohne Arbeit.
Mein Chef sprach, du bist mir zu reich.
Denn du fährst Wagen, ich fahr Auto
Und das stört meinen Machtbereich.
Nun habe ich mich angemeldet
Beim Arbeitsamt, wie das so ist.
Man bot mir einundvierzig Stellen,
Doch alle waren Mist und trist.
Jetzt werd ich erstmals tüchtig kneipen.
Ich lebe meistens partnerlos.
Ich kann mir etwas Urlaub leisten
Und auch die Hände still im Schoß.

Es gibt so viele gute Arbeit.
Man nennt sie schwarz, ich nenn sie frei.
Dabei verdient man fette Knete
Und wird nicht schikaniert dabei.
Dann muss ich noch ein Häuschen bauen.
Der kluge Mann sorgt eben vor.
Denn morgen habe ich Familie,
Heut hab ich leider nur Humor.
Man fragt, wie kommt ein Arbeitsloser
Zu so viel Geld, das hat nicht Sinn.
Erst half mir eine große Erbschaft
Und dann ein Lottohauptgewinn.

Vielleicht gar kaufe ich die Firma
Von meinem Chef. Wir werden sehn.
Dann wird er klein vor meinem Schreibtisch
Als Arbeitsloser bettelnd stehn.
So ist die Zeit, so geht das Leben.
Ich hab die Welt ja nicht gemacht.
Doch eines will ich gern gestehen,
Sie hat mir doch was eingebracht.
Ich bin Beweis, man lebt im Lande
Als Arbeitsloser auch sehr gut.
Man muss das rechte Glück nur haben
Und etwas Lottowagemut.

Kurt May


***

Rose, meine Rose

Ein Ästchen und ein Sporn im Winterwind,
die in der spitzen Atemlosigkeit verharren,
verwurzelt und verbunden mit dem Dasein, wie sie sind,
bemüht, im Eiseshauch nicht zu erstarren,
gebeugt, den Kern versetzt in ferner Wärme Raum:
O Rose, meine Rose, schlafend bedornter Traum.

In unversehens angeregtem Streben, voll Vertrauen,
ereignen neues Knospen sich und still verborgenes Schwellen,
ein Hoffen erst, ein Glauben, dann ein Schauen;
im Sprengen, und im Springen aller Quellen,
durchschauert und durchströmt dich Frühlingssaft:
O Rose, meine Rose, erwachend junge Kraft.

Lichttrunken von der Sonnenseligkeit gemacht,
die sich als ausgeschenktes Elixier erweist,
enthüllen Blutenkelche endlich die verschwenderische Pracht
des Lebens, das, in Vollendung, stets sich selber preist;
wie tut der Anblick solchen wahren Reifens gut:
O Rose, meine Rose, gesegnet sei dein Mut.

Margot Born


***

Doppelsprung Irkutsk

1
Achtzehn Uhr dreißig, Moskau im August
in Sonnenuntergangs-, Sonnenaufgangszeit entgegen
Wenn, kurz die Nacht
der Morgen eingeht in den Tag. Zeit
die wir entgegenfliegen

2
Stadt
zieht sich zusammen wie ein Muskel
Häuser, Wolkenkratzerkathedralen schrumpfen
mikroskopisch klein
Mosaik geometrischer Formen
Eine Schornsteinzigarrettenspitze raucht
Vereinzelte Seen wie große Zungen
Flüsse in rötlichen Tinten
verlieren sich im Glast. Sanft
in einer Nebelwand
(Werkstätten des Regens, Lichts)
Zenons jagender Pfeil
in Ruhe

Leicht die Erde im Luftjet
(wie sie uns durchwob
mit Wurzeln, Fasern der Bäume)

Augen starren aus bulleyes
Nichts zu sehen: Wolkenpropyläen
ferne Planetern im Dunkelwerden
schwebende Ewigkeit

3
Blick auf die Uhr
Nahtlos übergegangen der Kontinent
in einen andren
Damen in Kornblumenblau servieren Dampfwasser
für den instant coffee. Heiß
einen Schluck auf die fröhliche Luftfahrt
einen zweiten auf Dädalus, den Veteran
(er verlor seinen Sohn, als sie
auf Federn- und Wachsschwingen
dem Gefängnis entflohn)
einen dritten auf Roger Bacon
(er versuchte mit ätherischer Flüssigkeit
in einer Hohlkugel aus dem Mittelalter auf-
und auszusteigen)
einen vierten auf Lilienthal & Co
(sechshundert Jahre später)
Den Rest auf Graf Zeppelins abgestürztes
und mit Musketen, Heugabeln der Bauernsoldaten
in Stücke gerißnes Himmelsungeheuer
All ihre Erfahrungen
in dieser TU

4
Gesang der Düsen. Weite
die nichts verrät
Assoziationen, Vermutungen:
Unten Schneisen, Fallensteller irgendwo am Fluß
Trinken aus der ledernen Höhle
der Hand. Geologen
befragen die Erde mit einem Hammer
nach ihrem Alter. Und über trigonometrische Punkte
sind turmhohe
menschenfreundliche Gestelle gebaut

5
Kaum Wolken
das Lichtspinnennetz Omsk
Das Flugzeug setzt auf, fliegt ab
Sibirien berührt (auf ein Mineralnaja woda
im Aeroport)
Nichts gesehen in der für Ausländer verbotenen Stadt
und weiter mit den Gestirnen allein

6
Abgeschloßne Welten
Saure Sümpfe zwischen Verbannungsdörfern
(Oh ihr armen Schweine damals
beim Eisbärenhüten für den Zar
im Gulag-Komplex danach
Was ihr gesagt
schwebt ewig im Ozon

Von den Schwingen aufgegangner Sonne
Schlafaugen durchspeert
Erwartende Erde, die uns schnürt, benagt
Festschnallen! Durch milchiges Nichts
Erschütterungen: Die Hydraulik des Rädergestells
Land biegt sich hinweg in einer Kurve
Birkenhaine: Wolken in gewellten Ebenen
Füße schlagen an (ein Luftloch)
nach irgendeinem Grund
Sonne kippt ab
Erde hängt an Hintern, Hoden
Rollbahnen: Schwanzflossen versammelter Luftflotten
propellerige Oldtimer
für den Nahverkehr

Der Jet setzt auf. Sprung
über Millionen von Bäumen hinweg
Druck in den Ohren
Haare wehn von Bord zur Pier
Wir betreten in wenigen Augenblicken
den Planeten Sibirien
Boden, der sich schwererloser als sonst unter den Füßen
entgegenstemmt. Aber Mark Sergejew
hält uns die Hand …

7
Baumstammtransporter, Dumper, Trambahnen
mit O-Bus-Gleitstangen
Taxen, Kehrmaschinen, Sprengwagen
Flotten von Omnibussen segeln dahin
Chemischer Rauch aus metalloiden Düsen
(Auch hier wird gebuttert
für Zivilisation)

Nur wenige Kirchen
die arbeiten: die Snamenskaja-Kathedrale, umgeben
von Gräbern der Dekabristen
Am Eingang wenige Frauen, Greise
zedernholzrindige Gesichter
Sie leben nach altem Glockensystem
Einer bettelt, paddelt auf einem Brett
mit Kinderwagenrädern
Kantige Bärte der Popen: Messingglanzgesichter
wie Ikonenheilige
Wir kaufen bleistiftdünne Kerzen, zünden sie an
(Der heilige Nikolaus
unser Zeuge)

Frugale Typen
in der Vorstadt, City
Menschen wie überall Menschen sein können
auf hartem Boden schwebend zu gehen
Die Stadt wächst: knisternde Frauen
nach Krasnaja Moskwa duftend
quellen aus Instituten
niekassierte Küsse rasen durch meine Wirbel
Trotzdenm
Land schwer entzifferbar vor Zukunft

8
Im Hotel erst recht noch unterwegs
mit allen Gliedern
– Störeier auf der Abendbrotschnitte –

Teerpisten durch rötende Wälder
abfallende Berge in den zellulosefreien Baikal
klarster Erdspiegel
aus dem die wilde Angara zu den Turbinen strömt
nach Bratsk

Leninabzeichen neben Tinnef
und Prawdas im Kiosk
aluminiumbeschlagene Kochwagen
mit dampfendheißen Piroggen
von rundlichen Babuschkas beherrscht
Kinder tauschen Orden gegen chewing-gum
Oh ihr verschiedenen Legierungen
der Bronzemänner

Irkutsk gesehen (inoffiziell
für Jahre: Hauptstadt von Russisch-Amerika)
Die Geschichte – und welche Möglichkeiten
an Gags
Ein Fünftel der Erde
mit Kommunismus vermischt

Zuletzt die Frage, ob alles so war?
Oder waren es nur Abschweifungen
Halluzinationen, Details, eine
deiner vielen geteilten Meinungen, Beobachtungen
zufällige Augenblicke
im richtigen Moment?

Reinhard Bernhof


***

Endlich Frieden!

Es ist schön,
wenn ein mächtiger Präsident

– die Farbe seiner Haut erinnert
   an Schweiß und Tränen schwarzer Sklaven,
   auch an den Ruf aus Träumen
   von allgemeiner Bürgerschaft –

von Frieden spricht
in allen Regionen der Erde.

Das wollen wir,
Waffen nieder legen,

– es ist nicht leicht,
   Atomraketen,
   (schon technisch nicht)
   zu verschrotten –

anderen Präsidenten
Vorbild zu sein.

Wilhelm Riedel


***

Ich muß jetzt gehen

Ich nehm mir einen lauten Tod
der nimmt mirs Leben und die Not
Heut ist mein letztes Abendrot
ich nehm mir einen hellen Tod
Ich hab gehasst ich hab geliebt
ich hab geschimpft manchmal gesiegt
Nun ließ mich das Leben doch allein -
drum soll der Tod jetzt bei mir sein

Ich geh so wie ich gelebt
und wenn mein Körper qualvoll bebt
Ich nahm mir meinen eigenen Tod
und machte ein Ende mit der Not
Auch ich hab gehofft so manchen Tag
doch kam statt Glück nur neue Plag
Keine Hand konnte zuletzt bei mir sein -
drum schrei ich ein letztes Mal an Euch: NEIN

Ich nahm mir einen schlimmen Tod
und hoff doch auf ein neues Abendrot
Vielleicht wird dort ein guter Geist bei mir sein
oder ich schlaf für immer ein
Ich hab gehasst ich hab geliebt
ich hab geweint manchen bekriegt
Doch ließ mich die Hoffnung ganz allein

Vielleicht schließt Du mich
in Deine Gebete ein

Manfred Dechert


***

Digital I (nicht ganz ernst)

Der Fuß tritt hastend über rostige Gleise
zielt südwärts zu dem Sandsteinhaus
Gedanken baden im Pool der Bilderreise
Zoom pickt das blaue Mauerkorn heraus

Die Risse im Catalpa-Stamm
platzen als mächtige Schollen in die Linse
in grauem Grün steht ein bemehlter Kamm
aus Becherpilzen vor einer Urwaldbinse

Wo Lack zerspringt und Bleche blättern
zoom der Blick geht schnell darauf
im Bilderrausch gescant von Rettern
aus dem Off gezoomt im freien Lauf

Mikro springt ins Makro vor
scharf gespannte Welten klingen tief
aus Klaftern und ein altes Fabriktor
inszeniert den Rost wie Schlingensief
die Pixel tanzen bühnenreif und betricksen
mit dieser Cam lassen sich gute Bilder
machen

Frank Milautzcki


***

Gott weint, was sonst

Gibt es einen Ort im Weltall,
wo vollkommener Blues herrscht?
Gott in die Saiten greift
für eine Ballade,
die alle zum Weinen bringt,
sofern anwesend?
Das muss nicht die Erde sein.
Es könnte auch ein schwarzes Loch sein,
weit weg, weit weg...
Jedenfalls kann man die Musik auch hier noch hören.

Fred Luhde

***


Wie ein zerbrochener Kristall

Bedecke mit deiner Asche nicht
das Feuer in mir

Vielleicht könnte es als eine Tasse Wasser
den Durst der Menschen in der Wüste stillen

Wenn die Kinder vor den Wänden
erschossen werden,
dann schliessen die Sterne in der Nacht
Augen zu.
Dann werden unsere Berge
Felder und Meere von einer tiefen Traurigkeit bedeckt.
Dann fliegen Tränen hilfloser Mütter
als traurige Lieder aus ihren Augen.

Ich weis nicht, was ich sagen soll
Die Waffen erbrechen den Tod in unsere Berge.
Hintereinander lässt ein jeder
der Freiheitskämpfer sein Leben.

Die Wolken erbrechen den Tod
und bedecken den einst so strahlenden Himmel
Ich bin so hilflos
wie ein zerbrochener Kristall

Molla Demirel


***


Ohne Titel
   (grellgelb)

Blitze im Kopf, ein Gewitter der Gefühle,
Gedanken, die sich formen müssen
der Park
auf rohrigen Stühlen sitzend
noch winterkalt
aber schon frühlingshaft
ein Blinzeln in der Sonne
augengleich
ein Durchströmen des ganzen Körpers
Lebendigkeit
Lust
Sonne strömt durch meinen Körper,
durchflutet mich, flutet mich
ich drohe damit zu ersticken
aber gemach
Glücksgefühle explodieren im Kopf
Flitterkram
Jahrmarktszeug
so schön
verströmen
sich verausgaben im Blinzeln des Auges
vor der prallen Sonne, die dich anstrahlt
ein Lächeln strahlt über dein Gesicht,
du hast den Gesprächsfaden deines Gegenüber schon wieder verloren,
schweifst ab, andere Gedanken
durchfluten deinen Kopf
Glück im kurzen Augenblick
Sekundenglück
du erhebst dich
im Angesicht der Sonne
im blanken Schein
stehst nackt da, vor der Sonne
bloß & verletztlich
einer geöffneten Blüte gleich
& du denkst zurück, im Schmerz,
an vergangene Tage, verpaßte Gelegenheiten
aber das ist jetzt egal,
im Angesicht der Ewigkeit verliert die Traurigkeit ihre Kraft über dich
du spürst größeres, gewaltigeres in dir
ein Aufzerren
ein Dich-Hochziehen,
denn es berührt dich, es bewegt dich
eine einzelne Träne kullert in deinem inneren Auge hinunter,
& du weißt, die Kraft der Sonne läßt dich nie wieder los!

Peter Oehler


***

Fabriklandschaft
   Malchow am See 2008

Rauchlose Dächer,
tote Fenster,
Spinnen weben Gardinen.
An zugenagelten Türen
spaltet Rost das Holz.

In leeren Hallen
kein Webstuhl,
eine Fadenspule,
vom Staub ergraut,
ist geblieben.

Lagerschuppen
eingezäunt,
Sträucher im Drahtgeflecht.
Die Sägewerke
sind verschwunden.

Den süßen Duft der Späne
hat längst der Boden
aufgesogen.
Junge Birken
am Wiesenrand.

Marlies Schmidl


***

GÖÖGLTIÖÖSCH & = 13

61
Wir brieten IHN und verzehrten ihn
   Er war weniger zäh als die krähe
die Toto für einen raben hielt
   Nur die Speiseröhre war zähe
Pattn bekam nicht den arsch nur den fuß
   Ann aß den schwänz wie nen hering
Für Yann war das herz und für Kalla die milz
   à Posi blieb finger samt ehring

62
Posi hat nämlich ihr monster gesäugt
   und ließ uns alle dran saufen
Wir packten ‘s dann in ein postpaket
   um ‘s Babelsberg zu verkaufen
Wir waren so pleite wie Mompers Block
   Wir hörten es sei dann bei Schlöndorff
rausgekommen Der kurbelte los:
   Die 1-dicke Kose von Rhöndorf

63
Zur tafelmusik engagierten wir
   Grandmaster Majakowski
Der schluckte Tomtoysschwerterklingen und der
   jonglierte mit Schalck und Schabowski
Idiotenwind blies von osten her
   den weisen entlang ihren halsen
Xamorr von -lin wurde Schreiber von Ber-
   gen-Enkheim nicht einmal Belsen

64
welche Option wir nicht wahrnahmen denn
   zum einen waren wir pleite
zum ändern war da immer noch
   die biernarrenteidingtestseite
Standen wir also am Alex im wald
   und der war wildgewachsen
und kamen nicht durch bis Charlottenburg
   und kamen glei gor nee nach Sachsen

65
Saggsn? do warn mr andisäggsisdsch
   Mr herd scha wie ‘s ieberall säggsid
Die hängenden guschen hängten wir höhr
   Wir haben uns abgewechselt
Wie drosten und dronten erschlugen wir sie
   Zwei perser eigentlich kurden
brachen die jubellatten heraus
   damit wir fertig wurden

ToussainT


***

Endlosschleife

Zu viel, zu schnell,
Auf dem Highway to hell,
Der nächste Krieg
Ist unser Lohn,
Du hast keine Chance,
Das kennen wir schon,
Das Leben ist hart
Ohne Sensation
Zu schnell, zu viel,
Was ist das Ziel?

Zu viel, zu schnell,
Das Make-up ist grell,
Wohin und wie,
Mir fällt nichts mehr ein,
Nur die Drogerie,
Flüssig müssen wir sein,
Das Leben ist hohl,
Ist man kein Tier,
Zu schnell, zu viel,
Betrügen mit Stil,

Zu viel, zu schnell,
Uns juckt das Fell,
Der Untergang
Wird vorprogrammiert,
Das Ohr ist zu,
Das Auge stiert,
Das Leben ist Brei
Ohne Heuchelei,
Zu schnell, zu viel,
Wo ist das Ziel?

Hadayatullah Hübsch


***

Schwarzer Mann im weißen Haus

Eine Schwalbe ganz allein
macht noch keinen Frühling,
aber des Frühlings Bote
das könnte sie wohl sein.

Schwarzer Mann im Weißem Haus …
Ist der alte Rassenhass dort,
dort, Gott sei Dank, schon aus?

Wir, Europa, haben
als brave, fromme Christen,
uns drüben eingenistet
die meisten Indianer
beseitigt, umgebracht,
kein Recht und ohne Rücksicht
ihr Land uns angeeignet,
von Afrika uns Sklaven
gebracht und abgerichtet
zu sagen Sir und Massa;
was unsren Pferden schwer war,
am Rücken selbst zu tragen.
Und wo das nicht ganz klappte,
der Schwarze Ärger machte,
da hat der Ku-Klux-Clan
der Herren die gern golfen,
mit Feuer nachgeholfen
das Kreuz immer dabei,
oft mit geheimem Segen
der Bürgermeisterei.

Wird’s jetzt noch Schulen, Kneipen,
Strand – separate geben
für weiße – nicht für schwarze?
Oder werden Menschen
zusammen menschlich leben?
Wird US immer schwärzer?
Was wird aus weißen Hassern´
der andren vielen Rassen,
wenn dunkler die Regierung,
und nicht nur die für doof
gehaltnen breiten Massen?

Eine Schwalbe ganz allein
macht keinen echten Frühling.
’S ist doch ein klares Zeichen
wenn auch ohne Gewähr,
dass Tom Der alte Onkel
ist endlich umgezogen;
die armselige Hütte
ist weg, die gibt’s nicht mehr!

Johannes Bettisch


***

Frühlingsmorgen

Ahnungslos und unberührt vom Werden dieser Welt
Lieg ich frei und unbekümmert unter einem Apfelbaum
Wie unter einem großen Frühlingsblumenblütenzelt

Die Sonne scheint warm, ganz mild und ungebunden
Wie von einer unsichtbaren Hand entbunden
Wirkt ihr Bogenlauf hoch und weit und ungezwungen

Alles leuchtet in tausendfachen Farbnuancen
Der Himmel lodert, der Himmel brennt
Er entfesselt auch die allerletzten Blütenblätter
Die erröten und zitternd in den Winden tanzen

Der Bäume unfassbar mannigfaches Blattgewirr
Durchbricht hier und da ein geheimnissvolles Leuchten
Ein Rauschen geht dann leise durch die Blätterkronen
Wenn Gottes Atem flüsternd durch die Zweige weht

Bülent Kacan


***

Gewalt

Sie floh ...
Er verfolgte sie –
holte sie ein,
warf sie zu Boden –
und schlug auf sie ein ...
Sie wehrte sich –
schrie ...
"Ich halte das nicht mehr aus!"
Sie stand auf –
und drehte das Fernsehgerät ab.

Helma Giannone

   

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