XXVI. Jahrgang, Heft 145
Jul - Aug - Sep 2007/3

 
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Letzte Änderung:
18.07.2007

 
 

 

 
 

 

 

Editorial

Brief an einen Freund


   
 
 


Lieber FS,

zwischen Ende April und Anfang Mai 2007 weilte ich zwei Wochen an der Ägäis, in Altinoluk, und erhoffte, daß die dortig duftige Luft meinem Herzen gut tut. Viel Zeit verbrachte ich auch vor dem Glotzophon und verfolgte die Kontroverse zwischen den leidenschaftlichen Wächtern des laizistischen Lehrgebäudes und den gewalthabenden Matadoren der religiös retrospektiven „Renaissance“. Dann warf ich über Internet einen Blick in die Reaktionen der deutschen Medien-Meute. Mir verging Hören und Sehen.

Allerorten ließen die Wortführer der öffentlichen Organe an den millionenfachen Demonstranten kein gutes Haar und belangten sie mit der Standpauke, als Handlanger der Militärs fungiert zu haben. Den Islamisten Abdullah Gül, der stets den Mund verziehen und den Richtschnur der „Takkiya“ perfekt meistern kann, hätten Frank-Walter Steinmeier und Janvier Solana, selbst die Grünen-Gladiatorin Claudia Roth gern als Staatsoberhaupt gesehen.

Man fördert den „gemäßigten“ Muselmanen dort, grenzt die muslimische Multitude hier aus.

Wieder zu Hause: Offensichtlich wird der Türkei bei ihren Ambitionen nach der EU-Vollmitgliedschaft im Falle des Machtverlustes des Triumvirats Erdogan-Arinç-Gül weitere Stolpersteine in den Weg gelegt. Zugleich legt die schwarz-rote Koalition erneut Hand ans Werk, die Heiratsmigration lahmzulegen, den Erwerb der Staatsbürgerschaft zu erschweren sowie die Anstalten zur Akklimatisation der eingewanderten Minoritäten zu verschärfen.

Grotesk erscheint mir das exklusive Experiment der bundesdeutschen Majorität, die Population der Republik erst grob in „Wir“ und „Sie“ zu parzellieren, post festum schließlich die stilgerecht klassifizierten „Sie“ aufzufordern, sich naturalisieren zu lassen. Publik ist, daß die in aller Munde mutwillig murmelnde Integration seit über drei Jahrzehnten zu keinem Ergebnis führte, als jene reklamehaft positionierte Projekt-Posten zu protegieren, deren Gilde-Gesellen nichts zustande bringen, als sich vor dem breiten Publikum zu prostituieren.

Während die administrativen und primär potenzierten Sanftmut-Partisanen bzw. Missionare jeden Schrieb in Mainstream-Medien, der die ethnizistisch spezifische Klassifikation zum Inhalt hat, als einen bombastischen Beitrag zum „interkulturellen Dialog“ werten und mustergültig beweihräuchern, erhöhen sie den Druck auf die Angehörigen „anderer“, auf die von selbstherrlich überlegenen eigenen abweichenden Allochthonen. Die Gedankenfolge der Existentia ersetzen sie exemplarisch durch die Exklusion derer, die aufgrund der retrospektiv spartanischen Gesetze als untertänige Fronarbeit-Anwärter oder Heloten thematisiert, jedenfalls nicht für voll angesehen werden.

Das weitläufig verbreitete Wortkunstwerk „Kampf der Kulturen“ ist der Ausdruck der Heuchelei. Auf dem Propagandafeldzug wird die als muslimisch spezialisierte Community als festgefahrene homogene Gefahrenzone thematisiert und attackiert. Während die Institutionen sich mit Maßnahmen zur Integration eingewanderter Eliten brüsten, brüskieren auserwählte Akteure der eurozentrisch germanophilen Intelligenzia wie Necla Kelek und Henryk M. Broder oder der zuletzt zusammengestückelte „Zentralrat der Ex-Muslime“ die islamische „Multitude“.

Eine Integration, wie sie vielerorts definiert wird, wollen die Regenten der Republik nicht, sondern die selektive Assimilation. Um ihr eigentliches Ziel zu erreichen, benötigen sie einen fiktiven „Kampf der Kulturen“ sowie einen theatralischen „Dialog der Kulturen“, um das breite Publikum zu unterhalten.

Die multidimensional betätigte Ideenmanufaktur des integrationalen Inbegriffs demontiert systematisch die universale Werte wie Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit, stigmatisiert nicht-okzidentale Lebenswelten und dämonisiert die Andersartigkeit als Gefahrenquelle.

Aus diesem Grund gebrauche ich den belangvollen Begriff „Kosmopolitania“, um dem öffentlich tief verankerten Kulturalismus, der als eine Komponente des Rassismus zu Buche schlägt, entgegenzuwirken.

Um diesem utopischen Terminus ein Stück Leben zu geben, bin ich auf die Solidarität angewiesen. Und damit unser kritisches Blatt seine Existenz fortsetzen kann, benötigen wir jeden Beistand. Daß wir das von den voll- und halbamtlichen Institutionen nicht erhalten, liegt klar auf der Hand.

(...)

Im Vertrauen auf Deine aufrechte Freundschaft verbleibe ich mit morgenbunten Grüßen

Necati Mert

Im Mai 2007

   

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