Lieber FS,
zwischen Ende April und Anfang Mai 2007 weilte ich
zwei Wochen an der Ägäis, in Altinoluk, und erhoffte,
daß die dortig duftige Luft meinem Herzen gut tut. Viel Zeit
verbrachte ich auch vor dem Glotzophon und verfolgte die Kontroverse
zwischen den leidenschaftlichen Wächtern des laizistischen
Lehrgebäudes und den gewalthabenden Matadoren der religiös
retrospektiven „Renaissance“. Dann warf ich über
Internet einen Blick in die Reaktionen der deutschen Medien-Meute.
Mir verging Hören und Sehen.
Allerorten ließen die Wortführer der öffentlichen
Organe an den millionenfachen Demonstranten kein gutes Haar und
belangten sie mit der Standpauke, als Handlanger der Militärs
fungiert zu haben. Den Islamisten Abdullah Gül, der stets den
Mund verziehen und den Richtschnur der „Takkiya“ perfekt
meistern kann, hätten Frank-Walter Steinmeier und Janvier Solana,
selbst die Grünen-Gladiatorin Claudia Roth gern als Staatsoberhaupt
gesehen.
Man fördert den „gemäßigten“
Muselmanen dort, grenzt die muslimische Multitude hier aus.
Wieder zu Hause: Offensichtlich wird der Türkei
bei ihren Ambitionen nach der EU-Vollmitgliedschaft im Falle des
Machtverlustes des Triumvirats Erdogan-Arinç-Gül weitere
Stolpersteine in den Weg gelegt. Zugleich legt die schwarz-rote
Koalition erneut Hand ans Werk, die Heiratsmigration lahmzulegen,
den Erwerb der Staatsbürgerschaft zu erschweren sowie die Anstalten
zur Akklimatisation der eingewanderten Minoritäten zu verschärfen.
Grotesk erscheint mir das exklusive Experiment der
bundesdeutschen Majorität, die Population der Republik erst
grob in „Wir“ und „Sie“ zu parzellieren,
post festum schließlich die stilgerecht klassifizierten „Sie“
aufzufordern, sich naturalisieren zu lassen. Publik ist, daß
die in aller Munde mutwillig murmelnde Integration seit über
drei Jahrzehnten zu keinem Ergebnis führte, als jene reklamehaft
positionierte Projekt-Posten zu protegieren, deren Gilde-Gesellen
nichts zustande bringen, als sich vor dem breiten Publikum zu prostituieren.
Während die administrativen und primär potenzierten
Sanftmut-Partisanen bzw. Missionare jeden Schrieb in Mainstream-Medien,
der die ethnizistisch spezifische Klassifikation zum Inhalt hat,
als einen bombastischen Beitrag zum „interkulturellen Dialog“
werten und mustergültig beweihräuchern, erhöhen sie
den Druck auf die Angehörigen „anderer“, auf die
von selbstherrlich überlegenen eigenen abweichenden Allochthonen.
Die Gedankenfolge der Existentia ersetzen sie exemplarisch durch
die Exklusion derer, die aufgrund der retrospektiv spartanischen
Gesetze als untertänige Fronarbeit-Anwärter oder Heloten
thematisiert, jedenfalls nicht für voll angesehen werden.
Das weitläufig verbreitete Wortkunstwerk „Kampf
der Kulturen“ ist der Ausdruck der Heuchelei. Auf dem Propagandafeldzug
wird die als muslimisch spezialisierte Community als festgefahrene
homogene Gefahrenzone thematisiert und attackiert. Während
die Institutionen sich mit Maßnahmen zur Integration eingewanderter
Eliten brüsten, brüskieren auserwählte Akteure der
eurozentrisch germanophilen Intelligenzia wie Necla Kelek und Henryk
M. Broder oder der zuletzt zusammengestückelte „Zentralrat
der Ex-Muslime“ die islamische „Multitude“.
Eine Integration, wie sie vielerorts definiert wird,
wollen die Regenten der Republik nicht, sondern die selektive Assimilation.
Um ihr eigentliches Ziel zu erreichen, benötigen sie einen
fiktiven „Kampf der Kulturen“ sowie einen theatralischen
„Dialog der Kulturen“, um das breite Publikum zu unterhalten.
Die multidimensional betätigte Ideenmanufaktur
des integrationalen Inbegriffs demontiert systematisch die universale
Werte wie Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit, stigmatisiert
nicht-okzidentale Lebenswelten und dämonisiert die Andersartigkeit
als Gefahrenquelle.
Aus diesem Grund gebrauche ich den belangvollen Begriff
„Kosmopolitania“, um dem öffentlich tief verankerten
Kulturalismus, der als eine Komponente des Rassismus zu Buche schlägt,
entgegenzuwirken.
Um diesem utopischen Terminus ein Stück Leben
zu geben, bin ich auf die Solidarität angewiesen. Und damit
unser kritisches Blatt seine Existenz fortsetzen kann, benötigen
wir jeden Beistand. Daß wir das von den voll- und halbamtlichen
Institutionen nicht erhalten, liegt klar auf der Hand.
(...)
Im Vertrauen auf Deine aufrechte Freundschaft verbleibe
ich mit morgenbunten Grüßen
Necati Mert
Im Mai 2007
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