XXVI. Jahrgang, Heft 145
Jul - Aug - Sep 2007/3

 
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Letzte Änderung:
18.07.2007

 
 

 

 
 

 

 

MEDIEN – KULTUR – SCHAU




   
 
 


Lester R. Brown: Plan B 2.0
Mobilmachung zur Rettung der Zivilisation. Aus dem Amerikanischen übertragen von Verena Gajewski. Kai Homilius Verlag, Berlin 2007

Der zensierte Planet – Garantiert fortschrittlich beschränkte Meinungsfreiheit Zivilisation? –

Stolz behauptet Artikel 5 des Grundgesetzes, jene bis heute nicht vom Volk angenommenen Verfassung, „Eine Zensur findet nicht statt.“ Kühn ließe sich anmerken, sie finde weder in der Einzahl statt, noch sei sie vereinzelte Ausnahme. Zensur findet statt, gehäuft, regelmäßig, regelmäßig gezielt. Erst das sichert Überleben einer verschwindend kleinen Zahl von Nischenverlagen, indem sie sich um Publikation jener Werke bemühen, die durch das Raster eines Mainstreams der etablierten Verlage fallen, mal aus Erwägungen des zu erwartenden Gegenwindes, mal zum Erhalt politischer und kultureller Gewogenheit der zweihundert Reichsten einer in Demokratismus eingewickelten Gesellschaft, welcher die kapitalen finanziellen Verwicklungen verborgen werden müssen.

Der Kai Homilius Verlag in Berlin, verwurzelt in einer DDR-Vergangenheit, die der Restrepublik abgeht, gerade deshalb vom Mainstream beinahe geächtet, entwickelt sich zu einem Nischenverlag namhafter, substantieller Publikationen ausgerechnet eines beachtenswert politisch-wirtschaftlichen Oeuvres, besonders von Werken des einstigen Klassenfeindes. Einerseits gieren deren Autoren nach gesellschaftlichem Wandel, andererseits ist ihnen das Festschreiben und Überleben gerade ihrer überlebten Zivilisation Herzensangelegenheit. Nach William Blums Schurkenstaat in 2006 nun also Lester R. Brown mit seinem Plan B 2.0 für 2007.

Lester R. Brown beansprucht mit Plan B 2.0 eine umfassende, erschöpfende Analyse des Ist-Zustandes des Blauen Planeten und seiner Bevölkerungsmeute, vollständige Zukunftsprognose und begründete alternative Handlungsstrategien, deren strikte und umgehende Befolgung das Überleben einer wie auch immer zu definierenden Zivilisation und des sie beherbergenden Planeten garantieren, beider Untergang umgehen soll. Mit nahezu lästiger Ausgewogenheit beschäftigen sich auf rund 170 Seiten sechs Kapitel mit dem Sündenfall Mensch und den Vergehen der Menschheit, weitere sechs Kapitel gleicher Seitenzahl mit alternativen Verhaltensmustern. Im Anschluß daran handelt zum Unglück Kapitel Dreizehn den eigentlichen Plan B auf den noch verbliebenen 23 Seiten ab.

In nüchterner Wissenschaftlichkeit wird der Sanierungsfall Erde emotionslos präsentiert, das Spektrum der verschiedenstartigen Wissenschaftsaspekte über Arten-, Umwelt- und Klimagefährdung abgehandelt. Dies alles aus einem Blickwinkel USA versus Asien/Afrika, wenn nicht gar USA gegen Asien/Afrika und Restwelt. Aufgezeigt werden ausufernder Rohstoffverbrauch, die Transformation von Nahrungsstoffen in nutzbare Energieträger für eine mobile Gesellschaft und der Wettlauf um Anbaufläche, die Wettbewerbssituation der Konsumenten gegenüber den Erzeugern von nachwachsenden Rohstoffen für Nahrungsmittel und Energietransfer, Erderwärmung und Klimawandel, Artensterben und Zivilisationsende. Dargestellt wird, derzeit bereits bekannte biologische und technologische Verfahren könnten bei konsequenter Anwendung den Trend hin zur befürchteten und erwarteten Katastrophe ausbremsen, aufhalten, rückgängig machen, würden sie denn sofort und konsequent angewendet, rigoros durchgesetzt. Eine Fülle von Fakten und Zahlen, bis hin zu einem haushaltsrechnerischen Szenar, skizziert, der wirtschaftliche Umbau werde sich ökonomisch rechnen, sei finanzierbar, sei ökologische Alternative, zugleich und schlechthin Rettung der Zivilisation.

Plan B 2.0 ist ein beeindruckendes Buch. Jede Aussage einzeln für sich, unabhängig von ihrer nationalen, mitunter chauvinistischen Naivität, wenn nicht gar Banalität, ist isoliert betrachtet richtig, bildet jeweils ein feines Kapitel exzellenter Theorie, bleibt eben deswegen grau, ist Studentenfutter für akademische Fingerübungen abseits von Realität und Praxis. Jedes der dreizehn Kapitel ist bedenkenswert, nachdenkenswert, ist Anregung und Forderung zugleich. Keines der Kapitel trägt den gesellschaftlichen, kulturellen und metaphysisch in Religionen, Ethik, Moral und Mentalitätsmustern angelegten Vielfältigkeiten und Verschiedenartigkeiten Rechnung, den eingeübten Wirtschaftsusancen ohnehin nicht. Mit bewundernswerter Unbedarftheit wird vorausgesetzt, der US-amerikanische Gesellschaftsentwurf sei jenes Zivilisationsmodell, das zu retten, zu erhalten, zu unterhalten der Restwelt aufgebürdet werden muß. Dort, wo Samuel Huntington den Clash der Kulturen heraufbeschwört, sich vor fremden Religionen fürchtet, Robert Kagan Mars bemüht, fürchtet sich Lester R. Brown als Nachfahre eines Oswald Spengler vor dem Verlust der US-Vormachtstellung auf ökonomischem Gebiet, sieht er Asien/ Afrika als ökologische und wirtschaftliche Bedrohung, folgt George Kennans Vormachtanspruch, denunziert gescheiterte Nationalstaatlichkeit, wähnt das versorgungsuntüchtige Amerika von solchem Scheitern ausgenommen, erlaubt sich Schuldzuweisung für Energieverschwendung, während die US-Automobilindustrie munter Fahrzeuge baut, deren Durchschnittsverbrauch das Dreifache ihrer asiatischen und europäischen Wettbewerber beträgt, der Luftverkehr in horrendem Tempo ausgebaut wird, der Transport von Fertigwaren ausufert, Weltraumprojekte mit Raketenstarts und Planetenbeschuß die Katastrophe beschleunigen, ganz abgesehen von jeder Form nuklearer Tests. Selbst die wundervolle IT-Welt mit 24 Stunden Online frißt uferlos Energie und hat den Papierverbrauch in zwei Jahrzehnten verdreißigfacht. Zivilisation!

Wer wollte solcher Zivilisation eines Viertels der Weltbevölkerung zu Lasten der übrigen drei Viertel auch nur eine einzige Träne nachweinen? Nur der, der auch und zuerst um eben jene drei Viertel und den Blauen Planeten weint und dem zivilisierten Viertel das Recht zur Zerstörung der gesamten Welt abspricht! Ist es nicht gerade diese Zivilisation, die in bewußter Ausübung ihres Herrenmenschentums auf den Sklavenmärkten Asiens und Afrikas den Rohstoff- und Ressourcenverbrauch zur Produktion von für sie und damit außerhalb Asiens und Afrika bestimmten Waren und Verbrauchsgütern anheizt, um postwendend ausgerechnet die Folgen solchen Konsums Afrika und Asien anzulasten?!

Plan B 2.0 ist Patchwork des menschlichen Frevels an Natur und Umwelt, Flickenteppich des Instrumentariums aus alternativen Energien von Windkraft bis Solarstrom, von Biokraftstoffen bis Öko-Landwirtschaft, von Emissionsreduzierung bis Emissionshandel, ein Köcher voller Pfeile für das Ziel des Erhalts jenes völlig unbefriedigenden Zustandes „Zivilisation“ unter Vermeidung der Vokabeln Lebensstandard und westliche Werte. Gleichwohl ist Plan B 2.0 als Plan eben nur dürftig auf dreiundzwanzig Seiten ausgebreitete B-Ware, taugt mit der Finanzierungsvariante Schwerter zu Pflugscharen nicht als Masterplan. Er ist nicht Alpha-Plan, sondern nur zweitbeste der schlechten Lösungen im Stile genereller Mobilmachung, ein Plan von Alphatieren für Alphatiere, elitäres Gedankenspiel, von wissenschaftlicher Akribie bewältigte Wahrscheinlichkeitsrechnung abseits realer Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, außerhalb des Feldes ideologischer Auseinandersetzungen und weltanschaulicher Überzeugungen und der in ihnen geborgenen und verborgenen Dogmata.

Verblüffend ist dennoch, all die aufgezeigten Wege zur Umsetzung längst verfügbarer Technologien in größerem Stile wären binnen kürzester Frist geeignet, den der Existenz der Menschheit geschuldeten beschleunigenden Anteil am Klimawandel auf ein Minimum, wenn nicht gar auf Null zurückzufahren. Dem stehen die mit der Industrialisierung und Fortschrittsglauben im zwanzigsten Jahrhundert erworbenen Gewohnheiten des westlichen Wirtschaftsfaschismus ebenso entgegen, wie der mit dem einundzwanzigsten Jahrhundert etablierte Finanzfaschismus. So wenig, wie solche Systeme verzichtsbereit sind, sowenig wird Allgemeinheit auf Mobilität, Wissenschaft auf Machbarkeit auch nur einer ihrer prinzipiell unseligen Utopien des Schöpfergedankens verzichten wollen.

Dem hinzugerechnet, Klimawandel ist grundsätzliches und grundsätzlich erwiesen natürliches Schicksal der Erde, wenn jede einzelne Sonneneruption binnen Stunden mehr von einer labilen Ozonschicht zu zerstören vermag als technisierte Menschheit in Jahrhunderten, wird Plan B 2.0 zum Sandkasten für blauäugige Elite und bleibt doch alternative Richtschnur, deren Erfolgsaussicht allenfalls auf Zeitgewinn, keineswegs auf Eliminierung der natürlichen Abläufe hinauslaufen könnte.

Nach dem Generalschlüssel zur Rettung der Welt suchen nicht erst seit Jonathan Schell, Zbigniew Brzezinski, Al Gore, Ernst von Weizsäcker, Franz Alt all diejenigen, die sich ihrer absoluten Gefährdung absolut bewußt sind. Dompteure demokratischer Entscheidungsprozesse haben jedoch bereits im September 1995 im „The Fairmont“ in San Francisco auf Gorbatschows Lockruf hin als neuer globaler Braintrust den unumkehrbaren Weg ihrer monetären Absichten und ihres Zivilisationsmodells unterwegs zu einer neuen Zivilisation festgeschrieben. Plan B 2.0 kommt also ohnehin nicht nur zu spät, sondern gar nicht erst zum Zuge.

Wo gewissenhaft Fakten und Daten zusammengetragen werden, bleiben statistische Zahlen stets von einer Qualität, der jede andere beliebige Zahl widerspricht. Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Annahme von möglichen und zu erwartenden Entwicklungen machen jedoch deutlich, wie unvollständig Wissen und Sichtweise grundsätzlich sind. Die einschneidenden klimatischen Veränderungen unter Berufung auf Eisbohrungen auf den Beginn des Industriezeitalters zu datieren und eine in der gleichen Bohrung nachgewiesene „natürliche(!)“ Zerstörung der Ozonschicht durch die Sonnenexplosion von 1859 zu verschweigen, trifft auf die nicht industriell bedingte Abfolge von Eiszeiten. Die Sorgen der Versicherungsindustrie(!) bezüglich künftiger Sturmschäden trifft auf Luftverdrängung beschleunigter Fortbewegung, geht doch letztlich keinerlei physikalische Energie verloren, kumulieren selbst Fahrtwinde leicht zu Orkanen. Da mutet der Etat für Plan B 2.0, jene oberflächliche Finanzbedarfrechnung, die den weltweiten Wehretats gerade einmal 25 Prozent nimmt, wie das Stochern im Nebel an. Mit einem jährlichen Weltbudget von 161 Milliarden Dollar die Rettung der Welt finanzieren, kaufen zu wollen, läßt das Pendel heftig zwischen amüsant, arrogant bis lächerlich ausschlagen. Hier kann der Autor trotz aller akademischen Bildung und Ehren seine Wurzeln als Farmer im Tomatenanbau nicht verleugnen, trifft das hierzulande geläufige Bild von Tomaten auf den Augen zu.

Dennoch ist Plan B 2.0 keineswegs leichte Unterhaltung. So trefflich sich über die aus der Faktenfülle getroffenen Schlußfolgerungen und einen eher bescheidenen, wenn nicht gar dürftigen Plan selbst streiten läßt, die reale Bedrohung des Blauen Planeten läßt sich nicht wegdiskutieren. Eine schier unendliche Vielzahl an Quellenhinweisen in Fußnoten ist weitgehend unergiebig, weil nicht zugänglich. Das strikte Bemühen um Wissenschaftlichkeit im Verein mit einer streckenweise aus gleichem Grunde hölzernen Übersetzung strengen an. Und doch lohnt sich die Lektüre, vermittelt sie doch neben dem Bedrohungsszenarium eine Vorstellung davon, mit welch simplen Maßnahmen wirksames Gegensteuern möglich wäre. Es wäre möglich, wenn diese Welt nicht so wäre wie sie ist, wären nicht wir mit und in ihr.

Plan B 2.0, ein in mancherlei Hinsicht ungeschicktes Werk, ist dessen ungeachtet ein wichtiger, ein ernstzunehmender Beitrag zur Diskussion, Pflichtlektüre für all jene, denen am Fortbestand des wunderbaren Planten namens Erde gelegen ist. Solche Lektüre zugänglich gemacht zu haben, verdient Anerkennung.

Teja Bernardy


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Egon Becker / Thomas John (Hrsg.): Soziale Ökologie
Campus Verlag, Frankfurt/Main 2006

Ein gewichtiges Buch über die ‘Grundzüge einer Wissenschaft von den gesellschaftlichen Naturverhältnissen’ (Untertitel) liegt hier vor als kollektive Leistung der Forschungsgruppe im ‘Institut für sozial-ökologische Forschung’ (ISOE) in Frankfurt/Main. Geboten wird erstmals ein umfassender Überblick über die Soziale Ökologie als Wissenschaft, ihre Entstehung aus einer Vielzahl von Disziplinen und ihre Entwicklung zu einer integrierten Umweltforschung. Mittlerweile gefördert durch das ‘Bundesministerium für Bildung und Forschung’ (BMBF) wurden eine Vielzahl von Forschungsergebnissen vorgelegt auf den „gesellschaftlichen Handlungsfeldern“ Mobilität, Ernährung, Wasserversorgung, Raumentwicklung und Ressourcennutzung. Das Buch erläutert, wie die Soziale Ökologie entstanden ist und warum eine derartige Wissenschaft von den gesellschaftlichen Naturverhältnissen unverzichtbar ist.

In die krisenhafte Beziehung zwischen Gesellschaft und Natur sollen also Sensibilität und Pragmatismus Eingang finden, damit der alte Fortschrittsglaube und die neuere technische Rationalität nicht in pure Naturzerstörung ausarten. Gerade weil Wisenschaft ethisch ambivalent ist, muß der Mensch sein Verhältnis zur Natur neu überdenken: „Das wissenschaftliche Wissen soll in praktische Lebens- und Handlungszusammenhänge eingebunden, in materielle Bedingungen und lokale Praktiken eingebunden sein“ (vgl. Einleitung). Diese neue Wissenschaft entstand aus einem politisch-intellektuellem Krisendiskurs und versteht sich nun als dynamischer Innovationsprozeß, in dem eine neue transdisziplinäre Forschungsmentalität dominiert. Dabei werden philosophische Fragen in wissenschaftliche Probleme übersetzt. Im Grunde geht es darum, die Trias Gesellschaft - Individuum - Natur in ein überlebensfähiges Verhältnis zu bringen.

Die Natur wurde zu einer politischen Kategorie - die Belastung der Umwelt soll durch technische, administrative, ökonomische und pädagogische Maßnahmen eingeschränkt werden. Inzwischen hat man erkannt, daß Wissenschaft und Technik sowohl als Krisenursache als Krisenprävention als auch als Krisenbewältigung betrachtet werden müssen. Und so befindet sich die Soziale Ökologie in dem Spannungsfeld, sich als Wissenschaft Anerkennung verschaffen zu müssen, eine erkennbare Theorie zu entwickeln, die als praxisrelevant zu rechtfertigen ist - und sich v.a. als lösungsorientiert darzustellen. Daraus ergibt sich folgende offizielle Definition: „Soziale Ökologie ist die Wissenschaft von den Beziehungen der Menschen zu ihrer jeweiligen natürlichen und gesellschaftlichen Umwelt. In der sozial-ökologischen Forschung werden die Formen und die Gestaltungsmöglichkeiten dieser Beziehungen in einer disziplinübergreifenden Perspektive untersucht. Ziel der Forschung ist es, Wissen für gesellschaftliche Handlungskonzepte zu generieren, um die zukünftige Reproduktions- und Entwicklungsfähigkeit der Gesellschaft und ihrer natürlichen Lebensgrundlagen sichern zu können“ (BMBF)! Es wird eingeräumt, daß diese Definition ergänzungsbedürftig ist - aber das liegt in der Natur einer dynamischen Wissenschaft, die man auch als Suchbewegung verstehen kann.

Die Soziale Ökologie bewegt sich als Wissenschaft in einem Übergangsbereich zwischen Natur- und Sozialwissenschaften - verwandt mit ihr sind die Nachhaltigkeits- und Technikforschung, die Energie- und Klimaforschung, die Global-Change-Forschung und die Humanökologie. Für den Laien klingen manche Differnezierungen oder gar Abgrenzungen eher befremdlich bis kontraproduktiv - denn es kann kein isoliertes Forschen mehr geben auf allen Gebieten, die mit Mensch und Umwelt zu tun haben! Wissen funktioniert heutzutage sozusagen fachübergreifend und muß integrationsfähig sein. Denn wir Menschen sind sowohl Natur- als auch Kulturwesen - in beide Richtungen müssen die analytischen Methoden greifen.

Die hier vorstelligen Sozialökologen machen es sich nicht leicht, sich in allen Varianten als Wissenschaft zu erklären bzw. sich gegen aller möglichen Einwände zu verwehren, wenn sie die ‘Landkarte eines neuen Feldes der Wissenschaft’ erläutern. Man spricht von drei fundamentalen Kritikperspektiven bei der Entwicklung der Sozialen Ökologie: der gesellschaftskritischen, der feministischen und der ökologischen. Zwischen recht weitschweifigen Rechtfertigungsexkursen gelangt man mitten im Buch zu der Erkenntnis: „Erfolgreiche sozial-ökologische Problemlösungen müssen alltagstauglich sein und sich in Tag für Tag ausgeübten Praktiken bewähren. Die Kategorie Alltag besitzt somit eine Schlüsselbedeutung für die Soziale Ökologie.“

Da hat man die Kurve aber gerade mal noch so bekommen - denn es stellt sich die Frage, für wen dieses Buch geschrieben wurde: als selbstreferentielle Gewissenserforschung, als Suada gegen lästernde wissenschaftliche Konkurrenten, für aufgeschlossene Politiker - der naive Laie wird hier jedenfalls durch die Fülle des Materials und die Übertriebenheit der Artikulation überfordert.

Immerhin können wir uns die schöne Formel vom „Denken und Handeln in Möglichkeiten“ merken. Positiv klingt auch die Absicht, „die Kluft zwischen getrennten Wissenskulturen und -praktiken“ zu überbrücken. Allein so kann der „besondere gesellschaftliche Mehrwert transdisziplinärer Forschung“ zugunsten der Praxis entstehen.

Im letzten Kapitel ‘Forschungszugänge’ widmet sich das Buch konkreten Problemfeldern: Wasser, Konsum, Ernährung, Mobilität, Bauen und Wohnen, Bevölkerungsentwicklung, Versorgungssysteme, Gender& Environment. Dies sind die Gebiete, zu denen am ISOE (Ffm) geforscht wurde und wird. In anderen Forschungseinriochtungen wird geforscht zu Energieversorgung, Biodiversität, Landnutzung, Wald- und Forstwirtschaft sowie Küstenmanagement.

Alles in allem freilich ein spannendes Buch, welches nur allzusehr mit Fachjargon übertreibt, als ob es darum ginge, jemanden beeindrucken zu müssen. Liebe Forscher - letztendlich müßt ihr uns Bürger, Steuerzahler und Menschen davon überzeugen, daß unsere Steuergelder nur für Forschungsprojekte vergeben werden, die unser tägliches Leben erträglicher zu gestalten helfen. Und wenn da Buhlen um Anerkennung der Wissenschaftlichkeit bedeuten soll, ob hier mit Seriosität gehandelt wird - dann vermittelt uns das bitte im nächsten Zustandsbericht im leserfreundlichen Ton - damit wir „normalen“ Leser auch kapieren, warum ihr und wofür wir „da“ sind.

Karlyce Schrybyr


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Greg Rucka: Dschihad
Thriller. Aus dem Englischen von Philipp Stern. dtv, München 2007

Mit den Worten „ein schrecklich aktueller Roman über den erbarmungslosen Krieg gegen den Terror“ rührt der Verlag die Reklametrommel für den Triller von Greg Rucka, der einen nicht nur an der Kehle packe, sondern auch zerdrücke.

Der Titel „Dschihad“ und das Bild einer Frau auf dem Umschlag bestätigt das Ranken einer Phantasie. Warum verdeckt die Schönheit ihr Gesicht so wie ein vermummter Störenfried oder Schupo im Einsatz? Und was hält sie versteckt in ihrer Hand unterm Lederhandschuh? Auf wen richten sich ihre Blicke? Was hat eine Frau mit dem Dschihad zu tun, dem Krieg der Muslimannen? Ist sie Opfer oder Täter? Beides zugleich sicher nicht? Der Verlag gibt Auskunft darüber:

„Nach einem tödlichen Brandanschlag auf die Londoner U-Bahn mit zahllosen Opfern beschließt die englische Regierung einen Vergeltungsschlag gegen den Dschihad. Einer der Hintermänner des Attentats soll liquidiert werden. Eine Aufgabe für die operative Abteilung von MI6. Aber wer soll den Job übernehmen? Die Wahl fällt auf Tara Chace, eine ehrgeizige und begabte Agentin, deren Disziplin allerdings manchmal zu wünschen übrig lässt, besonders wenn es um Männer geht. Denn in der Liebe wie im Krieg spielt Tara nach ihren eigenen Regeln.“

Wer Dschihad sagt, meint den Islam als Religion der Gewalt, der unter den Drillingen Abrahams nicht brutaler zum Vorschein kommt als die beiden anderen, in vielerlei Hinsicht historisch sogar humaner. Doch hier geht es um den archaisch patriarchalischen Muslim-Mann, den der Autor gleich im ersten Kapitel wie folgt beschreibt:

„Er hatte es überall in Europa gesehen: Frauen, die nicht von ihren Vätern und Brüdern bewacht und beschützt wurden. Die ein ‘freies’ Leben führen mussten. Sie arbeiteten in Büros und Schulen, sie belehrten und unterrichteten Männer. Ihre Körper und Stimmen waren hergerichtet, um zu unterhalten und zu verführen. Auch jetzt, wo er auf der langen Rolltreppe zum Bahnsteig hinunterfuhr, während die jungen Leute ein paar Meter weiter unten herumalberten, war er davon umgeben. Plakate und Anzeigen, die Reklame machten für Uhren, Kleider, Parfüm, Cognac und Filme. Alle benutzten sie Frauen als Köder, das Versprechen von Schönheit, Hingabe, Sex. Eine ständige Verlockung, eine Versuchung, die sowohl die Frauen als auch den Betrachter erniedrigte.

Warum begriffen sie die Gefahr nicht? Wie konnten sie Frauen nur so behandeln? Sie entehren und herzeigen, und sie damit zu Geschöpfen machen, die wieder andere entehrten?

Es machte ihn wütend, es stellte seine Kraft wieder her, er spürte wieder, dass er die gerechte Sache vertrat. Dieses Mädchen da brachte es auf den Punkt. Sie war eine Pakistani, vielleicht stammten ihre Eltern sogar aus seiner eigenen Heimat in Kaschmir, und jetzt stand sie da auf dem Bahnsteig. Ihre Lippen pressten sich auf die eines Londoner Jungen, und ihr Rock wurde vom Luftstoß des einfahrenden Zuges an ihre Schenkel geweht.“

Insoweit läßt sich dieser „Dschihad“ als „einen komplexen Thriller“ bezeichnen, „der tief in die Welt der internationalen Beziehungen nach dem 11. September eindringt.“ Aber völlig voreingenommen. Der Autor bringt dementsprechend nichts Neues in Sicht, bestätigt Vorurteile und verstärkt die Ängste - jedoch geschickt inszeniert gemäß dem islamophoben Gemeinplatz der westlichen Werte-Warte. Nicht Bond oder Rambo, sondern eine weiße Frau rettet dieses Mal die Welt der zivilisierten Weißen.

M. Kurtulus

   

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