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Lester R. Brown: Plan B 2.0
Mobilmachung zur Rettung der Zivilisation. Aus dem Amerikanischen
übertragen von Verena Gajewski. Kai Homilius Verlag, Berlin
2007
Der zensierte Planet – Garantiert fortschrittlich
beschränkte Meinungsfreiheit Zivilisation? –
Stolz behauptet Artikel 5 des Grundgesetzes, jene
bis heute nicht vom Volk angenommenen Verfassung, „Eine Zensur
findet nicht statt.“ Kühn ließe sich anmerken,
sie finde weder in der Einzahl statt, noch sei sie vereinzelte Ausnahme.
Zensur findet statt, gehäuft, regelmäßig, regelmäßig
gezielt. Erst das sichert Überleben einer verschwindend kleinen
Zahl von Nischenverlagen, indem sie sich um Publikation jener Werke
bemühen, die durch das Raster eines Mainstreams der etablierten
Verlage fallen, mal aus Erwägungen des zu erwartenden Gegenwindes,
mal zum Erhalt politischer und kultureller Gewogenheit der zweihundert
Reichsten einer in Demokratismus eingewickelten Gesellschaft, welcher
die kapitalen finanziellen Verwicklungen verborgen werden müssen.
Der Kai Homilius Verlag in Berlin, verwurzelt in einer
DDR-Vergangenheit, die der Restrepublik abgeht, gerade deshalb vom
Mainstream beinahe geächtet, entwickelt sich zu einem Nischenverlag
namhafter, substantieller Publikationen ausgerechnet eines beachtenswert
politisch-wirtschaftlichen Oeuvres, besonders von Werken des einstigen
Klassenfeindes. Einerseits gieren deren Autoren nach gesellschaftlichem
Wandel, andererseits ist ihnen das Festschreiben und Überleben
gerade ihrer überlebten Zivilisation Herzensangelegenheit.
Nach William Blums Schurkenstaat in 2006 nun also Lester R. Brown
mit seinem Plan B 2.0 für 2007.
Lester R. Brown beansprucht mit Plan B 2.0 eine umfassende,
erschöpfende Analyse des Ist-Zustandes des Blauen Planeten
und seiner Bevölkerungsmeute, vollständige Zukunftsprognose
und begründete alternative Handlungsstrategien, deren strikte
und umgehende Befolgung das Überleben einer wie auch immer
zu definierenden Zivilisation und des sie beherbergenden Planeten
garantieren, beider Untergang umgehen soll. Mit nahezu lästiger
Ausgewogenheit beschäftigen sich auf rund 170 Seiten sechs
Kapitel mit dem Sündenfall Mensch und den Vergehen der Menschheit,
weitere sechs Kapitel gleicher Seitenzahl mit alternativen Verhaltensmustern.
Im Anschluß daran handelt zum Unglück Kapitel Dreizehn
den eigentlichen Plan B auf den noch verbliebenen 23 Seiten ab.
In nüchterner Wissenschaftlichkeit wird der Sanierungsfall
Erde emotionslos präsentiert, das Spektrum der verschiedenstartigen
Wissenschaftsaspekte über Arten-, Umwelt- und Klimagefährdung
abgehandelt. Dies alles aus einem Blickwinkel USA versus Asien/Afrika,
wenn nicht gar USA gegen Asien/Afrika und Restwelt. Aufgezeigt werden
ausufernder Rohstoffverbrauch, die Transformation von Nahrungsstoffen
in nutzbare Energieträger für eine mobile Gesellschaft
und der Wettlauf um Anbaufläche, die Wettbewerbssituation der
Konsumenten gegenüber den Erzeugern von nachwachsenden Rohstoffen
für Nahrungsmittel und Energietransfer, Erderwärmung und
Klimawandel, Artensterben und Zivilisationsende. Dargestellt wird,
derzeit bereits bekannte biologische und technologische Verfahren
könnten bei konsequenter Anwendung den Trend hin zur befürchteten
und erwarteten Katastrophe ausbremsen, aufhalten, rückgängig
machen, würden sie denn sofort und konsequent angewendet, rigoros
durchgesetzt. Eine Fülle von Fakten und Zahlen, bis hin zu
einem haushaltsrechnerischen Szenar, skizziert, der wirtschaftliche
Umbau werde sich ökonomisch rechnen, sei finanzierbar, sei
ökologische Alternative, zugleich und schlechthin Rettung der
Zivilisation.
Plan B 2.0 ist ein beeindruckendes Buch. Jede Aussage
einzeln für sich, unabhängig von ihrer nationalen, mitunter
chauvinistischen Naivität, wenn nicht gar Banalität, ist
isoliert betrachtet richtig, bildet jeweils ein feines Kapitel exzellenter
Theorie, bleibt eben deswegen grau, ist Studentenfutter für
akademische Fingerübungen abseits von Realität und Praxis.
Jedes der dreizehn Kapitel ist bedenkenswert, nachdenkenswert, ist
Anregung und Forderung zugleich. Keines der Kapitel trägt den
gesellschaftlichen, kulturellen und metaphysisch in Religionen,
Ethik, Moral und Mentalitätsmustern angelegten Vielfältigkeiten
und Verschiedenartigkeiten Rechnung, den eingeübten Wirtschaftsusancen
ohnehin nicht. Mit bewundernswerter Unbedarftheit wird vorausgesetzt,
der US-amerikanische Gesellschaftsentwurf sei jenes Zivilisationsmodell,
das zu retten, zu erhalten, zu unterhalten der Restwelt aufgebürdet
werden muß. Dort, wo Samuel Huntington den Clash der Kulturen
heraufbeschwört, sich vor fremden Religionen fürchtet,
Robert Kagan Mars bemüht, fürchtet sich Lester R. Brown
als Nachfahre eines Oswald Spengler vor dem Verlust der US-Vormachtstellung
auf ökonomischem Gebiet, sieht er Asien/ Afrika als ökologische
und wirtschaftliche Bedrohung, folgt George Kennans Vormachtanspruch,
denunziert gescheiterte Nationalstaatlichkeit, wähnt das versorgungsuntüchtige
Amerika von solchem Scheitern ausgenommen, erlaubt sich Schuldzuweisung
für Energieverschwendung, während die US-Automobilindustrie
munter Fahrzeuge baut, deren Durchschnittsverbrauch das Dreifache
ihrer asiatischen und europäischen Wettbewerber beträgt,
der Luftverkehr in horrendem Tempo ausgebaut wird, der Transport
von Fertigwaren ausufert, Weltraumprojekte mit Raketenstarts und
Planetenbeschuß die Katastrophe beschleunigen, ganz abgesehen
von jeder Form nuklearer Tests. Selbst die wundervolle IT-Welt mit
24 Stunden Online frißt uferlos Energie und hat den Papierverbrauch
in zwei Jahrzehnten verdreißigfacht. Zivilisation!
Wer wollte solcher Zivilisation eines Viertels der
Weltbevölkerung zu Lasten der übrigen drei Viertel auch
nur eine einzige Träne nachweinen? Nur der, der auch und zuerst
um eben jene drei Viertel und den Blauen Planeten weint und dem
zivilisierten Viertel das Recht zur Zerstörung der gesamten
Welt abspricht! Ist es nicht gerade diese Zivilisation, die in bewußter
Ausübung ihres Herrenmenschentums auf den Sklavenmärkten
Asiens und Afrikas den Rohstoff- und Ressourcenverbrauch zur Produktion
von für sie und damit außerhalb Asiens und Afrika bestimmten
Waren und Verbrauchsgütern anheizt, um postwendend ausgerechnet
die Folgen solchen Konsums Afrika und Asien anzulasten?!
Plan B 2.0 ist Patchwork des menschlichen Frevels
an Natur und Umwelt, Flickenteppich des Instrumentariums aus alternativen
Energien von Windkraft bis Solarstrom, von Biokraftstoffen bis Öko-Landwirtschaft,
von Emissionsreduzierung bis Emissionshandel, ein Köcher voller
Pfeile für das Ziel des Erhalts jenes völlig unbefriedigenden
Zustandes „Zivilisation“ unter Vermeidung der Vokabeln
Lebensstandard und westliche Werte. Gleichwohl ist Plan B 2.0 als
Plan eben nur dürftig auf dreiundzwanzig Seiten ausgebreitete
B-Ware, taugt mit der Finanzierungsvariante Schwerter zu Pflugscharen
nicht als Masterplan. Er ist nicht Alpha-Plan, sondern nur zweitbeste
der schlechten Lösungen im Stile genereller Mobilmachung, ein
Plan von Alphatieren für Alphatiere, elitäres Gedankenspiel,
von wissenschaftlicher Akribie bewältigte Wahrscheinlichkeitsrechnung
abseits realer Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, außerhalb
des Feldes ideologischer Auseinandersetzungen und weltanschaulicher
Überzeugungen und der in ihnen geborgenen und verborgenen Dogmata.
Verblüffend ist dennoch, all die aufgezeigten
Wege zur Umsetzung längst verfügbarer Technologien in
größerem Stile wären binnen kürzester Frist
geeignet, den der Existenz der Menschheit geschuldeten beschleunigenden
Anteil am Klimawandel auf ein Minimum, wenn nicht gar auf Null zurückzufahren.
Dem stehen die mit der Industrialisierung und Fortschrittsglauben
im zwanzigsten Jahrhundert erworbenen Gewohnheiten des westlichen
Wirtschaftsfaschismus ebenso entgegen, wie der mit dem einundzwanzigsten
Jahrhundert etablierte Finanzfaschismus. So wenig, wie solche Systeme
verzichtsbereit sind, sowenig wird Allgemeinheit auf Mobilität,
Wissenschaft auf Machbarkeit auch nur einer ihrer prinzipiell unseligen
Utopien des Schöpfergedankens verzichten wollen.
Dem hinzugerechnet, Klimawandel ist grundsätzliches
und grundsätzlich erwiesen natürliches Schicksal der Erde,
wenn jede einzelne Sonneneruption binnen Stunden mehr von einer
labilen Ozonschicht zu zerstören vermag als technisierte Menschheit
in Jahrhunderten, wird Plan B 2.0 zum Sandkasten für blauäugige
Elite und bleibt doch alternative Richtschnur, deren Erfolgsaussicht
allenfalls auf Zeitgewinn, keineswegs auf Eliminierung der natürlichen
Abläufe hinauslaufen könnte.
Nach dem Generalschlüssel zur Rettung der Welt
suchen nicht erst seit Jonathan Schell, Zbigniew Brzezinski, Al
Gore, Ernst von Weizsäcker, Franz Alt all diejenigen, die sich
ihrer absoluten Gefährdung absolut bewußt sind. Dompteure
demokratischer Entscheidungsprozesse haben jedoch bereits im September
1995 im „The Fairmont“ in San Francisco auf Gorbatschows
Lockruf hin als neuer globaler Braintrust den unumkehrbaren Weg
ihrer monetären Absichten und ihres Zivilisationsmodells unterwegs
zu einer neuen Zivilisation festgeschrieben. Plan B 2.0 kommt also
ohnehin nicht nur zu spät, sondern gar nicht erst zum Zuge.
Wo gewissenhaft Fakten und Daten zusammengetragen
werden, bleiben statistische Zahlen stets von einer Qualität,
der jede andere beliebige Zahl widerspricht. Wahrscheinlichkeitsrechnungen
und Annahme von möglichen und zu erwartenden Entwicklungen
machen jedoch deutlich, wie unvollständig Wissen und Sichtweise
grundsätzlich sind. Die einschneidenden klimatischen Veränderungen
unter Berufung auf Eisbohrungen auf den Beginn des Industriezeitalters
zu datieren und eine in der gleichen Bohrung nachgewiesene „natürliche(!)“
Zerstörung der Ozonschicht durch die Sonnenexplosion von 1859
zu verschweigen, trifft auf die nicht industriell bedingte Abfolge
von Eiszeiten. Die Sorgen der Versicherungsindustrie(!) bezüglich
künftiger Sturmschäden trifft auf Luftverdrängung
beschleunigter Fortbewegung, geht doch letztlich keinerlei physikalische
Energie verloren, kumulieren selbst Fahrtwinde leicht zu Orkanen.
Da mutet der Etat für Plan B 2.0, jene oberflächliche
Finanzbedarfrechnung, die den weltweiten Wehretats gerade einmal
25 Prozent nimmt, wie das Stochern im Nebel an. Mit einem jährlichen
Weltbudget von 161 Milliarden Dollar die Rettung der Welt finanzieren,
kaufen zu wollen, läßt das Pendel heftig zwischen amüsant,
arrogant bis lächerlich ausschlagen. Hier kann der Autor trotz
aller akademischen Bildung und Ehren seine Wurzeln als Farmer im
Tomatenanbau nicht verleugnen, trifft das hierzulande geläufige
Bild von Tomaten auf den Augen zu.
Dennoch ist Plan B 2.0 keineswegs leichte Unterhaltung.
So trefflich sich über die aus der Faktenfülle getroffenen
Schlußfolgerungen und einen eher bescheidenen, wenn nicht
gar dürftigen Plan selbst streiten läßt, die reale
Bedrohung des Blauen Planeten läßt sich nicht wegdiskutieren.
Eine schier unendliche Vielzahl an Quellenhinweisen in Fußnoten
ist weitgehend unergiebig, weil nicht zugänglich. Das strikte
Bemühen um Wissenschaftlichkeit im Verein mit einer streckenweise
aus gleichem Grunde hölzernen Übersetzung strengen an.
Und doch lohnt sich die Lektüre, vermittelt sie doch neben
dem Bedrohungsszenarium eine Vorstellung davon, mit welch simplen
Maßnahmen wirksames Gegensteuern möglich wäre. Es
wäre möglich, wenn diese Welt nicht so wäre wie sie
ist, wären nicht wir mit und in ihr.
Plan B 2.0, ein in mancherlei Hinsicht ungeschicktes
Werk, ist dessen ungeachtet ein wichtiger, ein ernstzunehmender
Beitrag zur Diskussion, Pflichtlektüre für all jene, denen
am Fortbestand des wunderbaren Planten namens Erde gelegen ist.
Solche Lektüre zugänglich gemacht zu haben, verdient Anerkennung.
Teja Bernardy
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Egon Becker / Thomas John (Hrsg.):
Soziale Ökologie
Campus Verlag, Frankfurt/Main 2006
Ein gewichtiges Buch über die ‘Grundzüge
einer Wissenschaft von den gesellschaftlichen Naturverhältnissen’
(Untertitel) liegt hier vor als kollektive Leistung der Forschungsgruppe
im ‘Institut für sozial-ökologische Forschung’
(ISOE) in Frankfurt/Main. Geboten wird erstmals ein umfassender
Überblick über die Soziale Ökologie als Wissenschaft,
ihre Entstehung aus einer Vielzahl von Disziplinen und ihre Entwicklung
zu einer integrierten Umweltforschung. Mittlerweile gefördert
durch das ‘Bundesministerium für Bildung und Forschung’
(BMBF) wurden eine Vielzahl von Forschungsergebnissen vorgelegt
auf den „gesellschaftlichen Handlungsfeldern“ Mobilität,
Ernährung, Wasserversorgung, Raumentwicklung und Ressourcennutzung.
Das Buch erläutert, wie die Soziale Ökologie entstanden
ist und warum eine derartige Wissenschaft von den gesellschaftlichen
Naturverhältnissen unverzichtbar ist.
In die krisenhafte Beziehung zwischen Gesellschaft
und Natur sollen also Sensibilität und Pragmatismus Eingang
finden, damit der alte Fortschrittsglaube und die neuere technische
Rationalität nicht in pure Naturzerstörung ausarten. Gerade
weil Wisenschaft ethisch ambivalent ist, muß der Mensch sein
Verhältnis zur Natur neu überdenken: „Das wissenschaftliche
Wissen soll in praktische Lebens- und Handlungszusammenhänge
eingebunden, in materielle Bedingungen und lokale Praktiken eingebunden
sein“ (vgl. Einleitung). Diese neue Wissenschaft entstand
aus einem politisch-intellektuellem Krisendiskurs und versteht sich
nun als dynamischer Innovationsprozeß, in dem eine neue transdisziplinäre
Forschungsmentalität dominiert. Dabei werden philosophische
Fragen in wissenschaftliche Probleme übersetzt. Im Grunde geht
es darum, die Trias Gesellschaft - Individuum - Natur in ein überlebensfähiges
Verhältnis zu bringen.
Die Natur wurde zu einer politischen Kategorie - die
Belastung der Umwelt soll durch technische, administrative, ökonomische
und pädagogische Maßnahmen eingeschränkt werden.
Inzwischen hat man erkannt, daß Wissenschaft und Technik sowohl
als Krisenursache als Krisenprävention als auch als Krisenbewältigung
betrachtet werden müssen. Und so befindet sich die Soziale
Ökologie in dem Spannungsfeld, sich als Wissenschaft Anerkennung
verschaffen zu müssen, eine erkennbare Theorie zu entwickeln,
die als praxisrelevant zu rechtfertigen ist - und sich v.a. als
lösungsorientiert darzustellen. Daraus ergibt sich folgende
offizielle Definition: „Soziale Ökologie ist die Wissenschaft
von den Beziehungen der Menschen zu ihrer jeweiligen natürlichen
und gesellschaftlichen Umwelt. In der sozial-ökologischen Forschung
werden die Formen und die Gestaltungsmöglichkeiten dieser Beziehungen
in einer disziplinübergreifenden Perspektive untersucht. Ziel
der Forschung ist es, Wissen für gesellschaftliche Handlungskonzepte
zu generieren, um die zukünftige Reproduktions- und Entwicklungsfähigkeit
der Gesellschaft und ihrer natürlichen Lebensgrundlagen sichern
zu können“ (BMBF)! Es wird eingeräumt, daß
diese Definition ergänzungsbedürftig ist - aber das liegt
in der Natur einer dynamischen Wissenschaft, die man auch als Suchbewegung
verstehen kann.
Die Soziale Ökologie bewegt sich als Wissenschaft
in einem Übergangsbereich zwischen Natur- und Sozialwissenschaften
- verwandt mit ihr sind die Nachhaltigkeits- und Technikforschung,
die Energie- und Klimaforschung, die Global-Change-Forschung und
die Humanökologie. Für den Laien klingen manche Differnezierungen
oder gar Abgrenzungen eher befremdlich bis kontraproduktiv - denn
es kann kein isoliertes Forschen mehr geben auf allen Gebieten,
die mit Mensch und Umwelt zu tun haben! Wissen funktioniert heutzutage
sozusagen fachübergreifend und muß integrationsfähig
sein. Denn wir Menschen sind sowohl Natur- als auch Kulturwesen
- in beide Richtungen müssen die analytischen Methoden greifen.
Die hier vorstelligen Sozialökologen machen es
sich nicht leicht, sich in allen Varianten als Wissenschaft zu erklären
bzw. sich gegen aller möglichen Einwände zu verwehren,
wenn sie die ‘Landkarte eines neuen Feldes der Wissenschaft’
erläutern. Man spricht von drei fundamentalen Kritikperspektiven
bei der Entwicklung der Sozialen Ökologie: der gesellschaftskritischen,
der feministischen und der ökologischen. Zwischen recht weitschweifigen
Rechtfertigungsexkursen gelangt man mitten im Buch zu der Erkenntnis:
„Erfolgreiche sozial-ökologische Problemlösungen
müssen alltagstauglich sein und sich in Tag für Tag ausgeübten
Praktiken bewähren. Die Kategorie Alltag besitzt somit eine
Schlüsselbedeutung für die Soziale Ökologie.“
Da hat man die Kurve aber gerade mal noch so bekommen
- denn es stellt sich die Frage, für wen dieses Buch geschrieben
wurde: als selbstreferentielle Gewissenserforschung, als Suada gegen
lästernde wissenschaftliche Konkurrenten, für aufgeschlossene
Politiker - der naive Laie wird hier jedenfalls durch die Fülle
des Materials und die Übertriebenheit der Artikulation überfordert.
Immerhin können wir uns die schöne Formel
vom „Denken und Handeln in Möglichkeiten“ merken.
Positiv klingt auch die Absicht, „die Kluft zwischen getrennten
Wissenskulturen und -praktiken“ zu überbrücken.
Allein so kann der „besondere gesellschaftliche Mehrwert transdisziplinärer
Forschung“ zugunsten der Praxis entstehen.
Im letzten Kapitel ‘Forschungszugänge’
widmet sich das Buch konkreten Problemfeldern: Wasser, Konsum, Ernährung,
Mobilität, Bauen und Wohnen, Bevölkerungsentwicklung,
Versorgungssysteme, Gender& Environment. Dies sind die Gebiete,
zu denen am ISOE (Ffm) geforscht wurde und wird. In anderen Forschungseinriochtungen
wird geforscht zu Energieversorgung, Biodiversität, Landnutzung,
Wald- und Forstwirtschaft sowie Küstenmanagement.
Alles in allem freilich ein spannendes Buch, welches
nur allzusehr mit Fachjargon übertreibt, als ob es darum ginge,
jemanden beeindrucken zu müssen. Liebe Forscher - letztendlich
müßt ihr uns Bürger, Steuerzahler und Menschen davon
überzeugen, daß unsere Steuergelder nur für Forschungsprojekte
vergeben werden, die unser tägliches Leben erträglicher
zu gestalten helfen. Und wenn da Buhlen um Anerkennung der Wissenschaftlichkeit
bedeuten soll, ob hier mit Seriosität gehandelt wird - dann
vermittelt uns das bitte im nächsten Zustandsbericht im leserfreundlichen
Ton - damit wir „normalen“ Leser auch kapieren, warum
ihr und wofür wir „da“ sind.
Karlyce Schrybyr
***
Greg Rucka: Dschihad
Thriller. Aus dem Englischen von Philipp Stern. dtv, München
2007
Mit den Worten „ein schrecklich aktueller Roman
über den erbarmungslosen Krieg gegen den Terror“ rührt
der Verlag die Reklametrommel für den Triller von Greg Rucka,
der einen nicht nur an der Kehle packe, sondern auch zerdrücke.
Der Titel „Dschihad“ und das Bild einer
Frau auf dem Umschlag bestätigt das Ranken einer Phantasie.
Warum verdeckt die Schönheit ihr Gesicht so wie ein vermummter
Störenfried oder Schupo im Einsatz? Und was hält sie versteckt
in ihrer Hand unterm Lederhandschuh? Auf wen richten sich ihre Blicke?
Was hat eine Frau mit dem Dschihad zu tun, dem Krieg der Muslimannen?
Ist sie Opfer oder Täter? Beides zugleich sicher nicht? Der
Verlag gibt Auskunft darüber:
„Nach einem tödlichen Brandanschlag auf
die Londoner U-Bahn mit zahllosen Opfern beschließt die englische
Regierung einen Vergeltungsschlag gegen den Dschihad. Einer der
Hintermänner des Attentats soll liquidiert werden. Eine Aufgabe
für die operative Abteilung von MI6. Aber wer soll den Job
übernehmen? Die Wahl fällt auf Tara Chace, eine ehrgeizige
und begabte Agentin, deren Disziplin allerdings manchmal zu wünschen
übrig lässt, besonders wenn es um Männer geht. Denn
in der Liebe wie im Krieg spielt Tara nach ihren eigenen Regeln.“
Wer Dschihad sagt, meint den Islam als Religion der
Gewalt, der unter den Drillingen Abrahams nicht brutaler zum Vorschein
kommt als die beiden anderen, in vielerlei Hinsicht historisch sogar
humaner. Doch hier geht es um den archaisch patriarchalischen Muslim-Mann,
den der Autor gleich im ersten Kapitel wie folgt beschreibt:
„Er hatte es überall in Europa gesehen:
Frauen, die nicht von ihren Vätern und Brüdern bewacht
und beschützt wurden. Die ein ‘freies’ Leben führen
mussten. Sie arbeiteten in Büros und Schulen, sie belehrten
und unterrichteten Männer. Ihre Körper und Stimmen waren
hergerichtet, um zu unterhalten und zu verführen. Auch jetzt,
wo er auf der langen Rolltreppe zum Bahnsteig hinunterfuhr, während
die jungen Leute ein paar Meter weiter unten herumalberten, war
er davon umgeben. Plakate und Anzeigen, die Reklame machten für
Uhren, Kleider, Parfüm, Cognac und Filme. Alle benutzten sie
Frauen als Köder, das Versprechen von Schönheit, Hingabe,
Sex. Eine ständige Verlockung, eine Versuchung, die sowohl
die Frauen als auch den Betrachter erniedrigte.
Warum begriffen sie die Gefahr nicht? Wie konnten
sie Frauen nur so behandeln? Sie entehren und herzeigen, und sie
damit zu Geschöpfen machen, die wieder andere entehrten?
Es machte ihn wütend, es stellte seine Kraft
wieder her, er spürte wieder, dass er die gerechte Sache vertrat.
Dieses Mädchen da brachte es auf den Punkt. Sie war eine Pakistani,
vielleicht stammten ihre Eltern sogar aus seiner eigenen Heimat
in Kaschmir, und jetzt stand sie da auf dem Bahnsteig. Ihre Lippen
pressten sich auf die eines Londoner Jungen, und ihr Rock wurde
vom Luftstoß des einfahrenden Zuges an ihre Schenkel geweht.“
Insoweit läßt sich dieser „Dschihad“
als „einen komplexen Thriller“ bezeichnen, „der
tief in die Welt der internationalen Beziehungen nach dem 11. September
eindringt.“ Aber völlig voreingenommen. Der Autor bringt
dementsprechend nichts Neues in Sicht, bestätigt Vorurteile
und verstärkt die Ängste - jedoch geschickt inszeniert
gemäß dem islamophoben Gemeinplatz der westlichen Werte-Warte.
Nicht Bond oder Rambo, sondern eine weiße Frau rettet dieses
Mal die Welt der zivilisierten Weißen.
M. Kurtulus
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