XXVI. Jahrgang, Heft 145
Jul - Aug - Sep 2007/3

 
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Letzte Änderung:
18.07.2007

 
 

 

 
 

 

 

LYRIK




   
 
 


heiligendamm – ein damm für die (schein)heiligen

bei diesem terror
soll niemand stürzen
alles hält sich die waage
das ist der sinn
des gleichgewichts
und nachher
kehrt wieder friede ein
mit kerzen und musik
die nachrichten
berichten von einer mauer
ausgeflogenen
die wir lieb gewonnen haben
mit unserem stimmzettel
verteilen wir sympathiewerte
im gleichgewicht des schreckens
den fehdehandschuh hingeworfen
zur demonstration der macht
ruhe kehrt ein
in die ruinösen seevillen
den wahnsinn
der hier abläuft ins meer
wieder ein tsunami
und hätte honecker
aus dem grab geschaut
er fände es wunderbar
in seinem gesperrten jagdrevier
einschüchterung und
auskehr zu üben

Manfred Pricha


***


Verständigung

Als Wähler entscheide ich klar
gegen den Konservativen, der
ungefügte Volksgruppen,
die ihre althergebrachte Not
nicht dulden, mit bewaffneter
Polizei und hinterhältigen
Geheimdiensten bekämpft,

gebe meine Stimme
sozialer Gerechtigkeit,
die wie eine Fahne flatternd
allen Unterdrückten
und Ausgesperrten verspricht,
sie empor zu heben
aus der Dunkelheit.

Als Bürger aber möchte ich,
dass beide Mächte täglich
Auge in Auge
miteinander sprechen,
damit kein Bruch sich ereignet,
kein Beben der Erde,
und wir alle stürzen.

Wilhelm Riedel


***


Das Verbot

Ein Kanonenrohr,
Maul wie ein Tunnel,
Zielt grölend
Auf eine schmale Kinderbrust.

Und das Kind
Hebt die Händchen,
Lässt fallen seine Waffe,
Ein kleines Lächeln.

Und das Maul
Der Kanone
Frisst das Kind
Als Kriegsvorspeise.

Und das Maul sagt,
Der Wanst hat
Mich tödlich bedroht
Mit seinem Lachen.

Da verbietet
Ein Mordmarschall
Allen Kindern
Ferner Waffen zu tragen.

Kurt May


***


Bavaria Blues

Ein Tycoon beginnt zu wanken,
stand er einst auch felsenfest –
erst sich beugen, dann abdanken,
kümmerlicher kleiner Rest.
Verteidigt er Bavaria,
in Berlin noch gegen Preußen –
doch die große Schickeria,
legte schon aus die Fangreusen.

Bayernführer Edmund Stoiber,
ihm war jeder Sieg gewiß –
fällt wie viele unter Räuber,
endet mit dem Natternbiß.
Er beruft die Krisensitzung,
wohl zum aller letzten Mal –
wie so oft bei Überhitzung,
wird aus Funken ein Fanal.

Hat den Mund zu voll genommen,
fühlt sich dadurch mißverstanden –
dabei ist sein Glück zerronnen,
und wird wie ein Walfisch stranden.
Weit geschwungen seine Netze,
und zu weit hinaus gelehnt –
durch die Spionagen-Hetze,
wird sein Abgang nicht verschönt.

Elisabeth Rosing


***


Tetovo

(für Kostadinka-Koca Gjorgjevska)

Wenn Du von Skopje gen Polog fährst
vorbei an Zeden, Jegunovce
am Vardar entlang
entblöst sich vor Dir
im Becken unter der Sar Planina
die Stadt Deiner Jugend
Deine Heimat-
Du erblickst Tetovo.
Die Pena erleuchtet
in ihren herrlichsten Farben
In Dir keimen auf die Erinnerungen-
Taufen und Hochzeiten,
Rituale und Feste,
das Melos Deiner Heimat
beglückt Deine Seele.
Letzten Sommer sah auch ich
das erste Mal Tetovo-
ich bewunderte
das Geburtshaus Deines Vaters
das Haus der Jovanovci-
die Aladzha Moschee
versank in Ihren Schlaf
umspielt von den Klängen
der unruhigen Pena.
Man berichtete mir
vom Kloster Lesok,
Slatina und Tearce,
in Jedoarce tranken wir
Schnaps mit den Alten
unter der Sonne,
die nur in Tetovo so stark brannte.
Ich fragte nach Semsevo,
Deinem Heimatdorf,
der Alte zeigte mir die Richtung:
In Tetovo suchte ich nach Deinen Spuren,
unsere Vergangenheit wurde zur Gegenwart
und letzten Sommer wurde auch Tetovo
zu meiner Heimat.

Goce Peroski


***

Alles muß raus

Alles muß raus,
50 Prozent auf alle Prozente,
Sonderrabatt für Wahrheiten aller Art,
Supersparpreise auf Teuros,
Alles muß raus,
Wir halten nichts hinter dem Berg,
Wir kehren nichts unter den Teppich,
Billige Lügen auf 1-Cent-Ramschtischen
Laden bei Freigier auf schnell
Entschlossene Käufer und Käuferinnen,
Alles muß raus,
Worte auf der Goldwaage fast geschenkt,
Worte, die im Hals stecken bleiben, umsonst,
Worte, die nichts als Worte sind, für garnichts,
Alles muß raus,
Blow-up-Filme als Schnäppchen für die
Erstbesten 1000 Kunden,
Enthüllungsfotos als Gutschein für jeden
Ersatzlos gestrichenen Schlußverkauf,
Bonustracks für all die, deren Ohren und
Augen schlackern, wenn sie unsere Angebote
Lesen,
Macht also zu,
Kommet in Massen,
Demonstriert das Recht auf freie Auswahl
Wählt Shopping zur Miß Trauen des Jahrhunderts,
Alles muß raus,
Beim Einkauf von mehr als genug Geld zurück,
Jede Ware ist wahr,
Jede Ware ist unmöglich preisbewußt,
Zufriedene Käufer sind unser Kapital,
Wir brauchen Sie mehr als alles Gute und Schöne,
Wer sich nicht mit Plastiktüten beschwert,
Ist den Lohn der Angst nicht wert,
Tragen Sie zu unserem Ruin bei,
Indem sie uns ausnehmen wie eine Gans,
Wir sind ganz Kauf,
Wir sind nichts als Kauf,
Wir sind das Kaufhaus Alles-muß-raus.

Hadayatullah Hübsch


***


Verstummt

(für Hrant Dink)

Die letzten Tage gingen wir
barfuß nebeneinander
an der Nacht vorbei
am Geflüster der Gärten
den rituellen Gesängen der Türme
schweigend und voller Inbrunst
spürten keine Trauer hinter der Stirn
des Windes
Wir setzten unsere Schritte
in das offene Haar der Wellen
unter dem Wasser trank ein Mund
die Konturen der Schatten
und koste das kostbare Leben
in den Straßen der Stadt
die dich über die Zweifel trug
hingebungsvoll...
Zweiundzwanzig Jahre
  war die Unendlichkeit
    die man dir zufügte
      der sie dir einschenkte
        wie Wein aus einem Pokal des Altars
          als Laienpriester seiner Verblendung
Dann lag die Monotonie
der Monatsmiete
vor deinen gefalteten Füßen
als man gnädig das Leintuch der Leere
über dich breitete
Spuren der Wunde der Menge verschloß
du einziger Sprecher der Verleumdeten
warum hat man dich so erniedrigt
Ist es das Unvermögen
der Uneinsichtigkeit ihrer Prediger...
Das fragen die Fassungslosen
im Angesicht ihres Glaubens
und der Gefängnisse

Krikor Arakel Melikyan


***


Skalp

Den Skalp, den früher Indianer,
die Rothäute, wie man sie nannte,
so wild für ihre Sammlung jagten,
den haben wir, die weißen Brüder,
für sie drakonisch ausgedacht,
obwohl wir es ganz anders sagten,
wir hatten ja dazu die Macht.
Das besagt heut’ die Geschichte
in des Wissens grellem Lichte.

Als galt der Spruch der noblen Weißen,
dass nur ein toter Indianer
ein guter Indianer wär’,
bekam man Geld für solche Tote,
und außen, um die Zehn Gebote,
den Nachweis bringen war nicht schwer,
Finger, Ohr – sehr ungeeignet,
weil jeder hat davon ja mehr;
doch Skalp – nur einen pro Person.

Der blutig Skalp des Roten Mannes,
das war ein starkes Argument,
damit war der Beweis gestellt;
der weiße Killer kriegt das Geld.

Als später auch die Indianer
von uns die Rohheit übernahmen
– denn lernen musste sie ja etwas
vom weißen Mann, der viel humaner -
fand man den öffentlichen Rahmen
und schob das Skalpen immerhin
den Indianern in die Schuhe,
genauer: In den Mokassin…
Zu wenig Weiße wurde rot,
doch die meisten Indianer
sind heute schon seit langem tot.

Johannes Bettisch


***


Und wenn sie nicht gestorben
sind die letzten brauchbaren Sätze so
oft nicht gesprochen
so oft als grausame Zwiesprache
abkommandiert in letzte persönliche Höllen
auch sie werden nicht mehr gebraucht
und fehlen am Ende
kein Frieden
ist möglich zwischen den
Märchen der Menschen solange
sie niemand erzählt

Frank Milautzcki


***


Karfreitag

Oft leide ich an einem besondern Wahn:
  Befällt er mich, dann bild' ich mir ein, es war'
Karfreitag jeden Tag in diesen
  Glücklichen deutschen Gefilden; aber

Es kann ja gar nichts anderes sein als nur
  Ein Wahn, denn keine Seele hab' ich gesehn,
Die Unglückseligkeit je litt, die
  Schreiend vor Nöten und innerm Schmerz war.

Noch einmal sag' ich es, und ich schwöre drauf,
  Daß nie ein Herz gekreuzigt, denn täglich, Stund'
Um Stunde, täglich. Stund' um Stunde
  Schau' ich gesunder Gesichter Masken.

Doch lasse mir das herrliche Volk, das wir
  Gewiß noch werden, meinen gelinden Wahn,
Damit ich eines habe, eines
  Wenigstens noch, dem ich Glauben schenke.

Gottfried Weger


***


mehrstimmiges schweigen

und wieder ein tag aus winden und gischt,
aus gerüchen und geräusch, stimmt die
kälte ein in ein mehrstimmiges schweigen /

ein gewitter kündigt sich an, ein alter blick
auf frisches fleisch, frischfleisch, - später
(danach) sind die wolken zugezogen, ein

blickdichter vorhang über steinigem grund;
das fasten der ohren und der münder

Stefan Heuer


***


GÖÖGLMÖÖSCH & = 8

36
Von ihrem großkomm erzählt sie noch heut
  Das war der tote grauwal
am strand von werweißwo sie fand ihn früh
  bevor sein Ständer blau war
Sie war unsere wissenschaftliche kraft
  Auch heute fuhr sie im bett mit
im doppelbett dreifach verstärkt und verstängt
  und sang ihren stunk wie die Begbick

37
Posi Slug war nämlich dermaßen fett
  und dermaßen stank sie daß sie
die zehen nur zuckte zur winterdiät
  aß sie sacke zichorie und kassie
Sie war ein menhir so greenstreetlike
  ihre pisse verlief sich trotz schlaue
Ihre hauptteile hatten mehr lebendgewicht
  als tausend gemästete säue

38
Nur wer die sonne im schlaf sieht erwacht
  neben New Grange dem totenverpachtgut
Nur wer hunde und pferde versöhnt
  schläft im ganggrab der nacht gut
Sang ‘s und wies ihren rotohrschnauz
  zur feendämonendomäne
Da fiel von der mauer ja? – sitzenden bild
  An die arbeit stakten die kräne

39
Ich bin der speckmacher seenkreis
  ich wachse nach stadtssucht inn wald rein
dörfer um kähne und siedigeheck
  doch muß es herunten so kalt sein?
Überm Reichsluftfahrtgebirge der föhn
  Du taigaverlorenes windhaus!
Da wurd ‘s uns zu kullkühl wir ließen sie stehn
  Sie kippte vor wut ihren spind aus

40
Ist das leben zu kurz für ein einzelnes Mich
  brauchste mehrere gleichzeitigdaé
Slug hat nicht nachgezählt doch es wa-
  ren 9 dank ihrem papae
Submichs underkaffs eines wacht’
  in der erde nach art der kosaken
Das andere ichzeug schlief als leib-
  geeignete rülpspastinaken

ToussainT


***


schattenwürfe

sonne brennt mir
röte ins gesicht
lässt schatten hinter
mich werfen
genau zwischen
zuversicht & zweifel
kaufhof & commerzbank
beharrt schweigend
die frage nach
an sich & all
dem übrigen vor
dem ce&a-schaufenster
tigert eine irre
blonde frau
her & hin & brüllt
ihr seid alle
arschlöcher ihr
& die
sonne brennt mir
röte ins
gesicht & lässt
meinen schatten
hinter mir

Karl Feldkamp


***


Politik

Die Oberen
verändern den Staat
dass er gesunde
und wieder erblühe.

Ihr Augenmerk
wendet sich
dem kleinen Volk zu,
jene mit kargem Leben
sie brechen
in ihr Existenzminimum.

Selbst schützen sie ihr Gut
und halten die Hände
über die Gehobenen.

Sie rechnen und zählen
mit rigorosen Ideen
verschieben und schieben
und säen Gewalt.

Sie leben
und lassen leben –
nicht die Armut.

Betti Fichtl


***


In dieser Stunde

Heute redet einer,
er sah zu,
wie sie einen Menschen
mordeten.

Er spricht
wie gestern.
Niemand,
der Einhalt gebietet.

In diesem Moment
werden Würfel gezählt.
Niemand
erfährt den Ausgang
des Spiels.

Horst Bingel


***

Auch ne Alternative

Willi hat Mundgeruch, Cellulite und eine Schlupfbrust.
Aber sonst fehlt ihm nichts.

Oskar hat einen Buckel, krumme Beine und eine Pollenallergie.
Aber sonst fehlt ihm nichts.

Jens hat Asthma, Hühneraugen und ist verliebt.
Aber sonst fehlt ihm nichts.

Karlheinz hat Rückenschmerzen, Schuhgröße 65 und Schnupfen.
Aber sonst fehlt ihm nichts.

Max hat Pickel, Hornhaut auf den Knien und Übergewicht.
Aber sonst fehlt ihm nichts.

Hotte hat ein Alkoholproblem, eine Narbe am Finger und eine Brille.
Aber sonst fehlt ihm nichts.

Klaus hat Läuse, Fußpilz und Haarausfall.
Aber sonst fehlt ihm nichts.

Georg ist Pastorensohn, hat Schuppen und schwitzt.
Aber sonst fehlt ihm nichts.

Peter hat eine Katzenallergie, Untergewicht und Erektionsprobleme.
Aber sonst fehlt ihm nichts.

Richard hat Diarrhöe, ein Glasauge und Haare auf der Brust.
Aber sonst fehlt ihm nichts.

Hector singt im Schlaf, hat Tubenkatarrh und raucht.
Aber sonst fehlt ihm nichts.

Thomas hat Gicht, eingewachsene Zehennägel und schnarcht.
Aber sonst fehlt ihm nichts.

Was haben sie gemeinsam?
Alle sind sie Stützis.

Lametta sitzt im Rollstuhl
und arbeitet als Freiberuflerin

und muß sich anhören:
was weißt DU denn schon vom Leben?!

Ní Gudix

   

Netzbrücke:

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