XXVI. Jahrgang, Heft 145
Jul - Aug - Sep 2007/3

 
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Letzte Änderung:
18.07.2007

 
 

 

 
 

 

 

In den Kulissen der Teutozentrale

Türken-Los unterm Hesperos
Die Hetären gegen Heroen und Herolde
Von Necati Mert

   
 
 


Die silberhelle Heiterkeit von Helsinki: Der Rand bietet dem Zentrum die Stirn

Aus dem Event des European Song Contest 2007 ging die Serbin Marija Serifovic als Primas hervor. Während unter den ersten Sechszehn mit Ausnahme der Türkei und Griechenland nur noch ehemalige staatssozialistische Länder zu finden waren, fanden sich alle alten Weststaaten ab Platz Siebzehn. Die meisten dieser Nationen, in erster Linie die drei Großen des altkontinentalen Imperium Romanum wie D-Land, F-Reich und G-Britannien, sind nächstes Jahr wieder dabei - natürlich ohne einen Qualifikationszwang. Im Sponsoring-Ring des schlangenhaften Spektakels. In Belgrad! Lichterloh!

Von Bravour-"Balkanisierung des Song Contest" war in dem von der Monekratie durchwalteten Kosmos der Kommentatoren die Rede. Die Moderatoren der Mainstream-Media stellten die Ohren nachträglich auf Empfang und beklagten sich über eine gezielte Manipulation der Punktvergabe, wenn nicht über die arrangierte Arglist, suchen darin eine Ost-West-Konfrontation.

Überall gleiches Ärgernis. Wie undankbar diese Ostler sind. Wie schnell haben sie vergessen, daß sie von häuslichen Diktaturen befreit wurden dank den West-Kameras, dem propagandistischen und geldgelenkten Beistand, sogar mit militärisch "humanitärem Interventionismus" und dem ethnisch parzellierten Erledigen Jugoslawiens sowie merkantil demokratischen Befrieden Balkaniens.

Gleich nach dem Debakel für die Westler im Halbfinale formierte sich der Chor der Verschwörungstheoretiker.

Kein einziges westeuropäisches Land hatte zuvor beim ESC-Halbfinale am 10. Mai den Sprung ins Finale geschafft. "Ist zwischen West- und Osteuropa tatsächlich ein 'Kampf der Kulturen' entbrannt?" fragt das Internet-Portal "eurovision.de" den Kulturwissenschaftler und Grand-Prix-Experten Dr. Irving Wolther. Er antwortet: "Für viele östliche Länder ist die Teilnahme am Eurovison Song Contest von sehr großer Wichtigkeit für die nationale und kulturelle Selbstdarstellung, denn sie sehen in ihrer Kultur die Quelle ihrers künftigen Aufstiegs. Im Gegenzug begegnen sie Ländern, die ihre Kultur verleugnen und sich in ihren Augen mehr oder weniger ‚dekadent’ präsentieren mit einer gewissen Verachtung."

Recht haben die empörten Kritiker damit, daß die Punktvergabe nicht buchstäblich der musikalischen Ästhetik folgte, sondern der ethnizistischen Sympathie. Also entschied die vom Westen zum erstklassigen Menschenrecht erhobene Zugehörigkeit zu einem ethno-kulturell kompletierten Demokreaturen-Kreis.

Dieses epochale Hirngespinst der Ethnizitäts- und Kulturkreis-Theorien arrondieren und arrivieren real auch inmitten der superimperialen Metropolen.

Während die enttäuschten Kritiker der aktuellen ESC-Ergebnisse die Ambitionen nach vergangenen Hoch-Zeiten ohne den Osten ins Gedächtnis riefen, zeigten die vernunftbegabten Beobachter des Szenariums Verständnis dafür, daß die Nähe zum Kulturkreis bei der Punktvergabe nicht unbedingt aus der Rolle fällt.

Verlieblichen wollen die Urheber der Hegemonial-Allüren keineswegs, daß der Rand dem Zentrum seinen Trotzkopf auf setzt. Die Truppen der Troubleshooter begegnen ihm letztendlich mit "Kampf der Kulturen".

In der Tat läßt sich darin eine Art abfällige Artikulation, eine rege reklamehafte Reaktion der Peripherie auf den arroganten Archetyp der eurozentrischen Aristokratie beobachten, also des Zentrums als neokolonialistisches Kollektiv des globalen Weltalters. Die These mag voreilig aufgestellt werden. Aber anders läßt sich nicht erklären und arrondieren, wie die mit etwas orientalem Bauchtanz und okzidentaler Kopie-Substanz subsumierte banale türkische Band den vierten Platz erringen konnte.

Die Türkei erhielt neben achtzehn 0 die meisten Punkte (fünf Mal 12 aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Niederlande sowie zwei Mal 10 von Österreich und der Schweiz) aus Ländern mit Migrantencommunities islamischer bzw. türkischer Herkunft. Dabei ging es nicht um die musikalisch ästhetische Qualität, sondern um die ethnische Zugehörigkeit der Künstler. Und das bedeutet die spontane Rebellion des Randes gegen das Zentrum. Auch direkt im Zentrum selbst. Ein Nein zum Integrationsdruck bzw. zur selektiven Assimilation? In "junge Welt" vom 19. Mai 2007 schreibt Werner Pirker:

Der Sieg der Serbin Marija Serifovic beim diesjährigen Eurovision Song Contest kommt einem politischen Erdrutsch gleich. Nichts ist mehr wie es war vor dem 12. Mai 2007. Die westliche Musikproduktion, die die Regime im Osten zu Fall brachte und deren Vormarsch unaufhaltsam schien, ist in Helsinki von östlichen Horden jäh gestoppt worden. Die Osteuropäer würden sich nun als die "Sieger der Geschichte" fühlen, kommentierte die spanische Zeitung El Mondo den Abgesang des abendländischen Teil des Abendlandes in Helsinki. Denn die freche Serbin führte gleich auch noch ein komplett osteuropäisches Spitzenfeld an. Die Wertegemeinschaft fühlt sich zutiefst erniedrigt. Am schlimmsten aber wiegt, daß der Aufstand der Kolonien am Rande des Kontinents unter serbischer Führung stattfand. (...)
Die Seher haben sich diese Wettbewerbsbedingungen nicht zu eigen gemacht: "Osteuropa schlug den Westen vernichtend", meldete Spiegel Online. Was bisher unter kultureller Wettstreit lief, ist zum vernichtenden Kulturkampf geworden. Womit sich gleich auch noch die Frage nach der Zweckmäßigkeit der Demokratie stellt. Sind Osteuropäer mit ihrem antiwestlichen Ressentiment zu demokratischen Prozeduren überhaupt befähigt? Die stärkste Irritation aber löste das Votum der Balkan-Nationen für die Sängerin aus Serbien aus. Als hätte der "serbische Expansionismus" doch noch einen späten Sieg erzielt. Würden die Balkan-Gestalter ihr Gerede über die Herstellung eines multiethnischen Bosnien, in der Muslime, Serben und Kroaten zu einer neuen Einheit fänden, ernst nehmen, müßten sie die in Helsinki geäußerte Balkan-Solidarität als Erfolg ihres Projekts feiern. Doch was sie aus den Liebesklängen der serbischen Interpretin heraushörten, war das "wilde Lied des Balkan", das dem Westen nichts Gutes verheißt.

Da liegt auch des Pudels Kern. Höchste Zeit also, auf den Puddig zu hauen: Die fünf größten Geldgeber der EU sind Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien, die vier größten des ESC nur Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien, weil Italien längst nicht mehr daran teilnimmt und sich ausstechen läßt. Seit 1996 sind diese Länder in der Endrunde gesetzt, um die Repetition eines ehrenrührigen Debakels - damals schaffte es der deutsche Beitrag nicht einmal durch die Vorauswahl - in Zukunft zu verhindern. Noch mehr Vorteile kann man niemandem einräumen.


Im vollen Ruß verdichtet sich der Demokratieverdruss als Fata Morgana

Immer mehr Anwärter eines parlamentarischen Postens gehen an den Start im Jagdrennen um Stimmen, oft wie ambulante Händler, respektive humorige Hausierer oder am Hungertuch nagende Husaren. Immer prekärer wird die Spielwiese der wahl-wandernden Spezies mit ihrem hundeelenden Handwerk.

Noch haben die Hochverräter des Stimmviehseins ein Gemüt wie ein Schaukelpferd, bleiben wohlig am Tag der Urnengangs-Gaukelei zu Hause, lassen ihren Stolz nicht mehr so leicht brechen. Lange genug wendeten sie sich mit Fragen an Parteien-Patrone, mußten auf Granit beißen.

Zum Beispiel beteiligten sich in Wiesbaden im März 2007 33,7% der Stimmberechtigten am Wahlakt, und aus der Urne stieg gefühlig ein Oberbürgermeister heraus.

Den Rächer der Entrechteten, den Spartakus, gibt es im Demokratismus nicht mehr, und die Gerechtigkeit ist längst zur Farce verkommen - als Sarkasmus der sakrosankten Phantasten.

Bürger tauchen im endlosen Gesabbel der Mandatsträger als komplexe Kostenfaktor auf, als ohnmächtige Objekte der Ökonomie. Der Abklatsch des Sozialen ist das humanitäre Restgewissen des Imperium Okzidentale hinter der Hymne des Homo oeconomicus.

Die Journaillen-Junta leidet temporär unter dem Verlust ihrer Einflußnahme. Stattdessen etabliert sich ein Medium, das sich von marktfrommen Medien situativ unterscheidet, das heißt, darauf keinen Wert legt, vom Mainstreaming akklimatisiert oder akklamiert zu werden. Seine Handwerker entwickeln per Internetportale einen eigenen Informations- und Kommunikationsstil, der vom konformistischen Kosmos der Mäuse-miauenden Mediakratie völlig abweicht und sich darum bemüht, die einförmigen Mauern der fromm frisierten Informationsfront zu sprengen.

Der Globus leidet unter einem aufklärerischen Universalismus abendländisch diktierter Lesart. Während das Elend über alle Erdstriche hinweg schrankenlos expandiert, wird der christliche Klerus Bundesdeutschlands großmütig gepäppelt. So gehen über 20 Milliarden Euro staatliche Subventionen an die beiden Kirchen. Wie läßt sich das Postament einer solchen Republik dann nennen, wenn ihre muslimischen Einwohnerteile - drei bis vier Millionen vermutlich - von derlei Deutelei als Dreckfleck an die Wand gedrängt wird. Sekurität? Sekularismus? Gar Laizismus? Grob grotesk Halbvolks-, Halbgottesstaat?

Frühlicht der emanzipatorischen Utopien erreicht die Metropolitan-Meteorologie nicht. Die im Sold stehenden Demagogen der Demokratur, die Fraktions-Freier von Rang und Namen, nehmen vor jedem Kleinkrach die Beine in die Hand und lassen alle Rufe in der Wüste verhallen.

Zugleich wird an den zähen Stammtischrunden in Altherrenhinterzimmern gerätselt und gewettet. Die Nestoren machen geröstet miesepetrige Gesichter, werden getröstet von belanglosen Rambo-Geschichten im Glotzophon - oder von offiziös oder offiziellen Honoratioren in Rhetorik-Runden.

Die Zivilisation abendländischer Art hat längst den Gipfelpunkt erreicht und verwandelt sich in die Gestalt von Vorposten der Apokalypse.

Ein neu erfundener Wettergott dirigiert den Klimawandel-Chor aus Scharlatanen und Schaitanen. Seine sondergleichen besoldeten Weichlinge tragen Zornesröte im Gesicht - innerlich kastriert aus Angst vor der Kassation der Impressionen von einem heiteren Sonnenmorgen.

Die Spatzen pfeifen es von allen Dächern: Auf dem Globus verhungern täglich 24.000 Menschen und seit dem 11. September 2001 fielen 12.000 mal so viele Erdenbürger dem Hunger zum Opfer wie alle, die an jenem Tag umkamen.

In den Zwergzimmerforen der Bravour-Barden überwiegt schwer die Atmosphäre des Handels, Zinsgewinne zu erraffen statt Händel anzufangen. Die Ökonomie als einzig ewiger Weg zum Glück wurde von der Ideologie der Demagogie soweit pervertiert, daß niemand mehr unbeirrt nach einem Freudenbecher zu greifen fähig ist.

Über den Terminus Demokratie werden stets spekulative Sympathien zur Sprache gebracht. Deren Funktionalität liegt die Philosophie zugrunde, die Gedanken, über die Konsens erreicht wurde, stets von Neuem zu überdenken.

Die moderne Demokratie ist ein modriges Modell, durch das das Übereinstimmen des neoliberalen Globalismus mit der moderaten Moralpredigt gesucht wird. Die demokreativen Kommandos verbreiten dies mit ständig steigender Brachialgewalt - im Geleit der zivilgesellschaftlichen Zunftgesellen.

Diese doktrinäre Demokratie ist eine Spielwiese der arithmetisch gekünstelten Mehrheiten, die mehr oder weniger einer Theatralik der Pressure Groups in dunkeln Hinterzimmern ähnelt und realiter eine trügerische, tragisch herrische Tragweite trübseligen Trubels innehat. Sie garantiert, daß die komprimiert vermehrten Besitztümer als von dem Herren der himmlischen Heerscharen angebracht Rechte allgegenwärtig und ewig anerkannt werden.


MORGENRÖTE IN KLEINASIEN –
Die Rebellion der Laizisten gegen die liebedienerischen Laien und Lakaien der globalen Hyänen-Horde und expansionshungrigen »Hunnen«

Von Mitte April bis Anfang Mai verweilte ich am Bosporus, an der Ägäis und in Ankara - war Zeuge einer Rebellion gegen den Ethnizismus und neoliberal globalen Kapitalismus. Verkündet wurde das Ende der eurozentrisch in Szene gesetzten "orangenen Revolutionen" in der Anrainer-Peripherie und zugleich der Start der "roten Rebellion".

Am 14. April 2007 demonstrierten in Ankara über eine Million Menschen für die Unanfechtbarkeit der republikanischen Lebensregel. Es folgten in anderen Orten Massenaufmärsche. Und am Sonntag, dem 29. April versammelte sich dieses Mal in Istanbul eine Riesenmenge, die weite Stadtviertel in einen Ozean der rot-weißen Fahnen verwandelte. Waren es eine Million, zwei oder sogar drei Millionen? Sie nannten sich Wächter der Republik, des Laizismus und der nationalstaatlichen Souveränität. Die Zufahrtsstraßen waren überfüllt - mehrere Kilometer. Auch hier waren die Frauen in der Mehrheit, die meisten mit rot-weißen Stirnbändern und manch andere mit bunten Kopftüchern, dann Jünglinge, Erwachsene, Kinder, Greise...

Der Platz des Meetings und alle Alleen und Straßen, die zu ihm führten, verwandelten sich in einen Ozean der roten Flagge mit Sichel und Stern. Keine Spur von gewaltbereiten bzw. haßerfüllten Ambitionen. Festlich und fröhlich.

Konkreter Anlaß war die Wahl des Staatspräsidenten. Die regierende Glühbirnen-Partei, die mit 25% der wahlberechtigten Stimmen im Parlament eine fast Zweidrittel-Mehrheit hatte, stellte den Außenminister, den einst offenen, danach katzenfreundlichen Islamisten, Abdullah Gül als Kandidaten auf - strebte nach einer Triarchie mit dem Parlamentspräsidenten, Premier und Staatsoberhaupt an.

Nach dem Parlamentspräsidenten und Premier-Posten sah sich das Triumvirat Erdogan-Arinç-Gül der Ampullen-Partei (Glühbirnen) ihres Triumphes sicher, auch das höchste Amt, das des Staatsoberhaupts, zu erbeuten.

Am 27. April 2007 beobachtete ich dieses Spiel. Nach dem Wahlrecht verfügte die Gerechtigkeits- und Aufschwungpartei (AKP), deren Emblem eine Ampulle (Glühbirne) ist, mit 25% der Stimmen der Wahlberechtigten fast über zwei Drittel der Mandatare.

Es ging um die Wahl des Staatspräsidenten. Wenn der Kandidat in der ersten und zweiten Runde die Mehrheit von Zweidrittel nicht erreicht, genügt in der dritten Runde die absolute Mehrheit, damit die Wahl der AKP-Kandidaten als sicher erschien. Und die Partei der einst begierigen Islamisten hätte die letzte Spitzenposition im Staate erobert.

Nur ging die Konstellation nicht auf. Für einen Wahlgang benötigten die Ultra-West und Markt orientierten Muselmanen etwa zehn zusätzliche Parlamentarier im Planersaal. Also mußten auch für den obligatorischen Wahlgang 367 Abgeordnete anwesend sein. Es fehlten sieben Köpfe. Ohne auf diese vorgeschriebene Formel Obacht geben zu wollen, eröffnete der Parlamentspräsident das Plenum, begann gleichwohl mit dem Wahlakt. Die erste Runde lief, der Kandidat erhielt fast alle Stimmen der im Plenarsaal präsenten Parlamentarier, aber natürlich keine Zweidrittelmehrheit. Die zweite Runde wurde angekündigt. Innerhalb von fünf Tagen. Die oppositionelle Republikanische Volkspartei ging zum Verfassungsgericht und beantragte, den unrechtmäßig inszenierten Wahlgang für nichtig zu erklären.

Spätabends am gleichen Tag meldeten sich auf ihrer Internet-Seite nun die Militärs zu Wort und verkündeten, über die Grundprinzipien der Republik, vor allem über den Laizismus die Hand zu halten.

Ein Ultimatum an die Adresse jener parlamentarisch zusammengestückelten Majorität, die alle konkreten Kontexte ausklammerte und damit experimentierte, die Bürger der Republik zum Hahnrei zu Machen? Ein Hahnenschrei ging über Mitternacht los. Es drehte sich dabei nicht um einen Gemeinplatz oder eine Räuberpistole der kemalistischen Generäle, die den trübseligen Regenten des Staatsapparats die Hammelbeine langziehen wollten. Die Ampullen-Apparatschiks der Macht empfanden das Manifest des Epauletten-Stabs als eine Kugel in das Herz der Demokratie. Manche linksläufigen Kollaborateure des Globalismus-Trubel kommentierten es sogar als einen erneuten Putsch.

Höchst inflationär in aller Munde war das regulativ paraphrasische Wortkunstwerk Demokratie, mit dem die Regenten der provinziell "anatolischen Tiger" und großstädtischen Grosisten vor den Toren der Europiden-Bastei, der EU, eine hohle Hand machen wollen. Munter wie immer nahmen sie kein Blatt vor dem Mund, wenn es sich um das mutwillige Musentempel-Mysterium der repräsentativen Demokratie drehte, wobei das gesamte Parlament in Ankara nur noch vierzig Prozent der stimmberechtigten Bürger vertritt (Siehe folgende Passagen im Kasten, entnommen aus "In den Kulissen der Teutozentrale" in DIE BRÜCKE 127, Januar-Februar-März 2003/1).

Mit solcher Art arithmetischer Artikulation bezweckten die Potentaten des "fashionablen Islamismus" eine parlamentarisch postulierte potentiale Timokratie zu erreichten, auf jeden kollektiven Reichtum die Hand zu legen und auf dem schnellsten Wege die grünen Holdings in das urbane Umfeld des Christen-Clubs zu führen. Das bedeutet sang- und klanglos eine Ära des ungehemmten Ausbeute-Trubels und der sozialen Erosion für die werktätigen Schichten in schwer kalkulierbarer Spannweite. Das bedeutet die explosive Angst davor, in den Strudel des eisigen Elends zu stürzen.

Die recht fragliche Prosperität, die die gewalthabende Kaste und ihre westlichen Kompagnons guten Mutes propagieren, stützt sich auf keine realiter prospektive Faktura, sondern auf die faktische Zirkulation des "heißen Geldes", nämlich auf den episodischen Sockel der monetär momentanen Monumente der globalen Hyänen.


Demokratie als Ellbogen-Modell für das Elendsmenschen-Management

Die Demokratie der kleinasiatischen Monekratie sollte funktionieren - notfalls mit allen heiligen und allheilenden Mittel der Demagogie. Denn das ist ein westliches Projekt, somit ein zivilisatorischer Prozeß. Und nur eine dem Westen untertänige Gewalt bietet die Sicherheit, seine kolonialistischen Ambitionen zu bewahrheiten.

Es sind vor allem die pangermanischen Patronagen, die ihren Druck auf die islamische Masse im eigenen Lande verstärken, den Islam öffentlich als gefährliche Gewalttour inmitten der Zitadellen-Zivilisation präsentieren, zugleich aber den islamisch konservativen bzw. kontrarevolutionären Gläubigern in Province Anatolia alle Macht wünschen.

Daß dort Millionen in allerlei Orten en masse auf die Straße gingen, um die gottgefälligen Attacken auf den Laizismus abzuwehren, interessiert die Primadonna-Demokraten des selbstgefälligen Zivilisierten-Zentren nicht im geringsten.

Diese Menschenrechts- und Weltersten sowie unverhohlene Universalisten, Tüftlergenies und Tugendwächter des imperialen Leuchtturms können nicht für wahr halten, daß die Militärs mit ihrem "Putsch" tatsächlich einen Kröten-konservativen und konterreaktionären Staatsstreich der treuen Diener des neoliberalen Globalismus zu vereiteln geholfen haben.

Sie können nicht auf den Trichter kommen, daß die Zeit der orangenen Revolutionen endgültig zur Neige gegangen ist. Ihre Protagonisten weilen bald nicht mehr unter Lebenden. Das Demokraten-Dogma im Verbund mit der Krieg kreischenden Kamarilla wackelt. Seine Gralshüter und Kapriolen-Korps spielen nur noch das Spiel des Kamel-Vogels (zu Deutsch: Vogel-Strauß-Politik).

Die Regenten des "gemäßigten Islam" setzten ihr Vertrauen auf das in aller Welt einmaliges Wahlverfahren. Mit 25% der Wahlberechtigten hatten sie 2002 fast Zweidrittel der Mehrheit im Parlament erreicht.

Selbst diesen Prozentsatz verdanken sie der Philanthropie, die sie praktizieren mit Spenden jener grünen Holdings, die allein in Deutschland über dreißig Milliarden Euro von naiven Gläubigen mit dem Versprechen sammelten, ihnen in der Türkei hohe Gewinn-Anteile zu beschaffen.

Den Beutel füllen die Unternehmen des grünen Kapitals durch die Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Diese versprechen im Gegenzug den kommunalen Verbänden Geschenke, Güter zum Verteilen in den Varoschs der Metropolen, in denen die sozio-ökonomischen Gegensätze zwischen Zentrum und Rand als Folge des Reformeifers enorm wachsen.

Menschenmengen werden im Geschäft zwischen religiösen Anstalten und den staatlichen Substrukturen als obligate Objekte der systemkonform originellen Manöver behandelt, die sich von beiden Seiten über den Tisch ziehen lassen und den tiefen Stich ins Herz erdulden müssen.

Rechts und links vereint traten die schriftstellernden Gesellen der medialen Ideenmanufaktur gegen die Mega-Meetings in der Türkei auf. Mit verschiedenen Beiträgen (die meisten Autoren tragen türkische Namen) versuchte beispielsweise das neolinke Wochenblatt "Jungle World", dem Massenaufmarsch einen "pantürkischen und militaristischen" Charakter anzuhängen und ließ ihre Sympathie für das Kopftuch der Kandidaten-Gattin bekunden.

Die postmodern positionierte türkische Linke im medialen Pompposten zeigte Verständnis für die Potentaten-Kaste mit dem Ampullen-Emblem. Manche linslastigen Gazetten-Garden testeten sogar, Türme zu erklimmern, um sich an die Großkopferten des Neokolonialismus zu wenden, damit diese für die Tacherons der Global Players am Bosporus etwas unüberhörbarer werden. Ihnen gefror das Blut in den Adern, da die "Wächter der Republik" sich nicht niederhauen ließen, auf die imperialen Zentren nicht blind vertrauen wollten und am Ende ins kalte Wasser springen mußten.

Der Schickeria gelang es nicht, das Millionen-Heer in Zivil in den April zu schicken oder mit grob globalem Gockeltanz über den Äther. Und in Rage ließ sie sich auch nicht bringen.

Die Millionen gaben sich spontan ein Stelldichein und versammelten sich allerorten unter der Maxime des Antiimperialismus - gegen den billigen Verkauf der Republik an das internationale Kapital. Ihre klaren Worte und sorgfältigen Slogans richten sich auch künftig generell gegen die klerikale Scharia, aber auch gegen die putschistischen Ambitionen der griesgrämigen Generäle.

Der Militarismus ist der eigentliche Kanon des Westens mit Kanonen oder Raketen, wenn es darum geht, das Flickwerk Demokratie so teuer wie möglich zu exportieren.

Mit dem Hochhalten der kemalistischen Fahne riefen die Millionen das Symbol der türkischen Revolution in den Zwanzigern des vorigen Jahrhunderts ins Gedächtnis. Es ist die Formel der "sechs Pfeile", die heißen: Republikanismus, Nationalismus, Volksverbundenheit, Etatismus, Laizismus und Umbruch (Revolution).

Das sechste Prinzip besagt, daß die davor gesetzten Grundsätze permanent bewacht und erneuert werden müssen. Die Grundcharakteristik dieser Revolution ist, daß keiner der sechs Pfeile von den anderen getrennt gesehen werden kann. Jeder ergänzt den anderen.

Der Nationalismus kemalistischer Eigenart, dem der Laizismus als unabweisbares Fundament innewohnt, besagt, daß unter dem einheitlich türkischen Symbol alle die gleichen Staatsbürgerrechte haben.


Die »Tarnkappenfundamentalisten« im Parterre des pan-europäischen Prunkpunkthaus und die Manufaktur der Pappenstiel-Demokratur

Die Mega-Meetings für die prowestliche Türkei zu reklamieren, auf diese Idee kommen die Kemalismus-Kritiker erst gar nicht. In Rage schreiben sich nicht nur die nationalistischen turanistischen pantürkischen Fahnen-Schwenker, sondern auch die antiautoritären Befürworter einer EU-Mitgliedschaft.

Wo die westlichen Medien mit einstimmen, sind die Reklamefeldzüge der Scharlatane und Spekulanten oder Lobhudeleien der Pressure Groupies.

Die Broterwerber der abendländischen Journaillen-Junta stellten sich fast einheitsfrontmäßig auf die Seite der Kopftuch-Demokratur und attackierten den Kemalismus als eine "irrationale Staatsreligion" (Sabine Küper-Büsch in "Jungle World" vom 9. Mai 2007)

Die westlichen Reporter vertrauten auf jene postmoderne Intelligenzia, die auf der Seite der eurozentrischen Nomenklatur in ein Geschrei der Heuchelei ausbrachen. So palavert Deniz Yücel im gleichen "Jungle World"-Heft über das national Türkische am Beispiel der "vermeintlich linken Faschisten von der Zeitschrift Türk Solu". Doch diese "Türkische Linke" hat substanziell die imperialistischen Plünder-Paraden zum Thema, verneint jede Position, die sich vor den ruhmvollen Beutelschneider und Hyänen verneigt. In "Zeit-Online" vom 1. Mai 2007 wittert Günter Seufert, daß "national-linke Phrasen auf einen fruchtbaren Boden fallen.":

Oder sind die Massenaufmärsche, bei denen fast jeder eine türkische Fahne trägt und deren Sprechchöre jedem vom Glück, Türke zu sein, künden, ein Zeichen dafür, wie ungestüm sich heute in der Türkei das Nationalgefühl entfaltet? Zeigen die Begeisterung der Redner für das etwas anachronistische Begehren nach einer "vollkommen unabhängigen Türkei" und ihre Verdammung der USA und der "neo-imperialistischen" EU, dass in der Türkei national-linke Phrasen auf einen fruchtbaren Boden fallen?
Was ist davon zu halten, dass sich nur zwei Tage vor der Ankaraner Demo der Generalstabchef in einer Rede erneut für deren Hauptziel – den Schutz des Laizismus – eingesetzt hat und dass der Istanbuler Aufmarsch nur einen Tag nach einem Memorandum des Militärs erfolgte, in dem die Generäle ganz offen mit ihrem erneuten Einschreiten drohen? Sind die Demonstrationsteilnehmer die Soft-Power des Militärs, das die Panzer in der Kaserne lassen kann, weil sich in der Gesellschaft genügend Leute finden, die seine autoritären Positionen teilen? (...)
All dies zeigt deutlich: Die säkulare Mittelklasse der Türkei fühlt sich heute nicht nur herausgefordert, sondern politisch zunehmend machtlos. Sie war seit Gründung der Republik in Staat und Wirtschaft tonangebend, und auch in Kultur und Politik besetzte sie die Schlüsselpositionen. Die wirtschaftliche Öffnung der Türkei aber hat ein neues, konservatives Bürgertum produziert, und die EU-Reformen verschafften bislang kulturell marginalen Gruppen Gehör, den frommen Muslimen und den Kurden.
Gegen all das wird jetzt die türkische Fahne hochgehalten, die für die Ideologie der frühen Republikzeit steht: für die Leugnung kurdischer Existenz und für den militanten Laizismus. Und die Gefahr, welche der Grund für all die Demonstrationen sein soll? Es gibt sie nicht. Die AKP ist eine konservative und keine islamische Partei, und ihre Wähler argumentieren stärker für Demokratie und Europa als alle anderen Gruppen.

Im probaten Prahlhans Recep Tayyip Erdogan vermuten einzelne westliche Kundschafter zwischenzeitlich einen "Tarnkappenfundamentalisten", der sich zeremoniell als prächtiger Protektor des zivilgesellschaftlichen Zirkus aufspielt. Mit etwas Nepotismus und dem Netzwerk der frommen Nomenklatura gelang es ihm bisher die Geschicke des Landes zu bestimmen. Und solange er dem globalisierten Neoliberalismus und dem Kröten-Konservatismus treu dient, die Eigen- und Reichtümer der Republik verschleudert, wird er der gepflegte Gevatter der expansionshungrigen "Hunnen" von der superimperialen Bastei bleiben, deren Stabskommissare dann alles im rosigen Licht sehen - gestützt auf die drollige doppelzüngige Demagogie über "eine wirtschaftlich starke Türkei". Doch diese "Stärke" basiert auf hohen Zinssätzen, die das transnationale Spekulationskapital anreizt - mit saftreichem Surplus. Die "unsichtbare Hand", die die Wachstumsraten befruchtet, bestellt kräftig den Boden des Konsums, des Warenimports, stets steil steigenden Schuldenberge im Ausland - und schließlich die Gladiatoren-Arena der erdweiten Finanz-Desperados.

In den Großstadtzentren grassiert die Kriminalität. Die aus der Steppe immigrierten Gestalten der Grassroot-Robinsonaden sind nicht auf Rosen gebettet, verwildert und desorientiert.

Auf der eingeschlagenen Route zur Bravour-Bastei der Europäischen Union entfaltete sich ein blühendes Terrain der Kapitalanlage, auf dem sich die Hasardspieler tummeln.

Auch unter der Regentschaft der frommen Formation triumphieren temporäre Gewinninteressen über existenzielle Belange der Menschenmenge.

Die Riecher der Cosa Nostra schnuppern weite Horizonte, das Corpus delicti endete bisher in dunklen Hinterzimmern der Seelenhirten, der Tarikats (Derwischorden).

Die EU-Aristokratie und ihre militante Autokratie bezog Position für die Partei des "moderaten Islam". Nicht nur wurden über die vordere Front, die Ziele und Form der Massenrebellion grundverkehrte Nachrichten verbreitet, sie würde sogar zu heißblütigen Groupies der vom Putsch besessenen Streitkräften degradiert. Doch es ging nicht nur um die Sekurität der Republik gegen die Tarnkappendemokraten der Scharia, sondern viel lauter um das Nein zum Imperialismus - ob im Habitus der USA oder der EU.

Den Islamisten Abdullah Gül, der stets den Mund verziehen und die Richtschnur der "Takkiya" (taktische Lüge erlaubt, wenn sie dem gottesfürchtig gesetzten Ziel dient) perfekt meistern kann, hätten Frank-Walter Steinmeier und Janvier Solana, selbst die Grünen-Gladiatorin Claudia Roth gern als Staatsoberhaupt gesehen.


Integration als intrikate Intension oder die miefige Ideenmanufaktur der kulturellen Identität und die selektive Assimilation

Ein Gespenst auf dem neuesten Stand geht um in den Zitadellen der abendländischen Methusalem-Mentoren: Der Kampf der Kulturen, der letal sein kann, auf jedem Falle mental ist. Mit dem szenarischen Dialog der Kulturen schieben die Gutmenschen-Mentoren der Zivilisierten-Zentren den Gegenpart in die Wüste ab, jubeln den unbedarften Menschenscharen einen islamischen Alp unter.

Allein auf weiterer Flur stehen die Spätlinge aus Muselmanien und hören, wie die Salon-Söldner der integrationalen Irrlichter salbadern, und wie die extremistischen Exekutoren des Volksstaates goebbeln.

Die globalisierte Maschinerie sehen die buckligen Globalismus-Glöckner des Groß-D-Landes als Schicksal, die transnationalen Tumulte als unvermeidliche Folge. Die Nationalstaaten werden zurückgedrängt. Doch zugleich konzentrieren sie den Fokus auf den Erhalt der ethnisch homogenen Nation, des Volksstaates.

In ihren Debatten lobhudeln sie ethnischen Existenzen, negieren dieselben aber im eigenen Areal. Ihre Attacken auf den türkischen Nationalismus verschnörkeln sie mit der eigenen hegemonialen Nationalität als natur- oder gottgegeben. Höchstens akzeptieren sie eine Supranationalität im eigenen Kulturkreis und unter pangermanisch paniertem Diktum.

Der blanke Hohn: Man fördert den "moderaten Islam" dort, grenzt die muslimische Multitude hier aus. Dennoch geht es dabei nicht um eine gedachtermaßen gedrehte Heuchelei, sondern um den Erhalt der systemischen Route zur aufwendigen Ausbeute - im imperialen Spaceshuttle unterwegs zur Kapital-Galaxis.

Jede aufkeimende Debatte über die autonom ebenbürtige Existenz der ethnisch Abqualifizierten wird abgewürgt. Jedem, der aus der Reihe tanzt, gilt der kränkend krakeelende Paukenschlag.


Der Methusalem Ralph Giordano mit seinem Molekül im Metrum der islamophoben Kölner Tretmühle

Der antimuslimische Krakeeler-Kreis dehnt sich auffällig und elitär aus. Nach dem judeophilen Journaille-Yuppie Henryk M. Broder redet sich nun auch Ralph Giardano, der einst von den Nazi-Schergen verfolgte Alt-Kommunist und renommierte Buchautor, mit der Tretmühlen-These, die Integration der Muslime sei gescheitert, um Kopf und Kragen und sprach sich gegen den geplanten Bau einer Moschee in Köln aus, beklagt zugleich die "Parallelgesellschaften", nämlich die heranreifende Urbanität der Allochthonen-Quartiere in den Trabantenstädten. Als Corpus delicti für seine Verbotsattitüden und kulturalistisch abwertenden Attacken führt er "Burkas", "Ehrenmorde", "Turbans", "Zwangsheirat" u.a. an.

Während dem 84-jährigen deutsch-jüdischen Publizisten und Holocaust-Überlenden eine inhaltliche Nähe zur ethnophoben rechtspopulistischen Ecke unterstellt wurde, brachten andere auf den Punkt, was die Glaubensfreiheit im Grundgesetz angeht. Da läßt sich nichts gegen den Bauplan einer Moschee in der Dom-Stadt wittern. Andere wiederum, die auf muslimisches Kreuz-Malen schielen, spielen sich als Islam-Apologeten auf.

Gegen die beiden Positionen steht der Vorwurf im Raum, sich dem Karikatur- und Kamarilla-Krawall der Kulturen angeschlossen zu haben. Wahrlich: Wer seinen aufklärerischen Blick auf das ethnizistische Areal richtet, läßt sich über kurz oder lang als Kreuzritter rekrutieren.

Bald wird es keine Diskussion oder demokratisch definierte Aktion mehr geben, ohne die Frage des Antisemitismus in die Vordergrund zu stellen. Der islamophob judeophile Populismus nährt die Eskalation der Polaritäten zu gewalttätigen Gegenschlägen.

Wer vorsätzlich mit der Worte-Waffe der gescheiterten Integration pauschal gegen die aus dem Vorderen Orient eingewanderten Einwohner auf die Pauke haut, braucht sich von Neonazis oder neu-rechten Möchtegern-Germanenschergen nicht zu distanzieren.

In einer über eine Rundmail der "Theo van Gogh Gesellschaft" vom 2. Juni 2007 verbreiteten Streitschrift beteuert Ralph Giordano, sein Nein zum "Bau einer zentralen Großmoschee in Köln-Ehrenfeld" hätte ihm "schwere Morddrohungen eingebracht, unmißverständlich und in türkischer Sprache".

Ob der Philanthropode à la Germania der türkischen Sprache so mächtig ist, sei dahingestellt. Daß er solches Jägerlatein zum Anlaß nimmt, seinem Blickpunkt Gehör zu verschaffen, macht ihn zum dilettantischen Demagogen. Es ist sein gutes Recht, auf einer Lebensform zu beharren, die seine ist und "auf deutschen Straßen weder Burka-Trägerinnen noch Tschador-Verhüllten begegnen will, so wenig wie Muezzin-Rufe von haushohen Minaretten hören. (...) Ich wehre mich gegen ein Erpresserpotential, das uns unter islamischer Beobachtung halten will und seine Tentakel von Zentral- und Vorderasien bis in die Mitte Europas ausgeworfen hat: Wer nicht kuscht, der lebt gefährlich! Soll ich nun schweigen und alle meine erkämpften und erlittenen Kriterien verraten, weil auch mir mit Mord gedroht wurde? Was, Germania, ist hier falsch gelaufen, dass heute so gefragt werden muß?"

Was wohl? Wenn nun jemand meint, daß es eine "friedliche Alternative zur Integration" nicht gebe, muß anfangen, das Artefakt "Integration" zu definieren und die Alternative zur "friedlichen Alternative" zu charakterisieren.

Der Methusalem Ralph Giordano, der gemäß der Maskerade des Opfer- Opportunismus operiert, erwärmt sich dafür, die muslimischen Minoritäten in geschlossene Räume zu verweisen, die in der deutschtümelnden Tretmühle auch als Gettos firmieren.

Gettos entstehen nicht durch selbst verschuldeten Rückzug der ethnisch homogenen Kollektive in bestimmten Hinterhöfen oder Vorstädten. Im Gegenteil. Sie werden kulturalistisch deklassifiziert und in die für sie bestimmten Räume eingeschlossen. Nach Worten des französischen Soziologen Loïc Wacquant in "Jungle World" vom 30. Mai 2007 wird in diesem Raum "im Laufe der Zeit ein Parallelnetz von eigenen Organisationen hervorgebracht, die das alltägliche Leben dort in diesem eingeschränkten Rahmen prägen und definieren und den Raum vor externen Herrschaftsansprüchen schützen: Und zwar so, dass das Ghetto überall die Gestalt einer Miniaturstadt innerhalb der Stadt annimmt, mit einer erweiterten Arbeitsteilung und einem Komplex an Institutionen, der sich der ansehnlichen Reihe an Institutionen der umgebenden Gesellschaft, aus der die ghettoisierte Gruppierung offiziell ausgeschlossen ist, entgegenstellt – eine Art schwarze Stadt im Herzen der weißen, wie es die schwarzen US-amerikanischen Soziologen St. Clair Drake und Horace Cayton in ihrem großartigen Buch 'Black Metropolis' nennen, in dem sie das schwarze Ghetto Chicagos auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung in den vierziger Jahren analysieren."

Ob die Gettos, deren Strukturen die Heterogenität nicht ertragen, emanzipatorische Elelemnte in sich bergen. Jedenfalls legitimieren sie die Negation des inhaltsleeren Jägerlateins Integration mit all ihren Trust- und Trost-Troupiers, Troubador-Truppen, Triumphatoren-Trünken und Trophäe-Trümpfen, stellt sie als Türken-Phänomen der Trivialität der infertilen Individualität ohne Sinngehalt und Souveränität bloß.

Als eine ebenfalls ineffektive Intension erwiesen sich seit Jahren die interkulturellen Feste und Festivals der Kulturen im Geleit der Palaver-Partys und Rhetorik-Runden, wo die Spätankömmlinge der endkapitalistischen Republik plump als Phänomen der Problem-Popanze porträtiert, als lumpige Laien, künstlich-lustige Lakaien oder exotische Hofzwerge vom pompösen Podium der Majorität herab beobachtet wurden - von prunkvollen Gutleut-Guerillaros und mitleidigen Missionaren, mißmutigen und mißgünstigen Moralaposteln.


Die integrationale Intelligenzia hinter der Turmuhr der desperaten Tyrannei

Broder, Giardano und allerhand Rädelsführer der schreibenden Zunft verstehen unter dem inflationären Leitwort "Integration" allem Anschein nach die glatte Hingabe zu Teutonen-Tugenden, können nur noch Sympathien für Keleks, Ateschs, Zaimoglus pflegen und nicht für jene jungen Individuen mit Hochschulabschluß, die sich beispielsweise weder türkisch noch deutsch fühlen, sondern ein eigenes Selbstbild sowie einen eigenständigen Kommunikationsstil entwickeln. Diese kosmopolitisch kombinierte Lebensart besteht aus einem derb-drastischen Umgangston, dem schnellen Wechsel in den Sprachen und rhetorisch äußerst effektiven doppel-sprachlichen Gemisch.

Nestoren, Mentoren, Autoren, Rezitatoren sowie integrationalen Missionaren gegenüber weigern sich die Wilden einen germanennahen Gefallen zu tun, also sich ein Teilstück integriert zu zeigen. Nur mühsam müssen die Methusalem-Musketiere in der Arena der Mulatten-Meute ein Zeugnis für eine einigermaßen gelungene Integration ihrer Klientel präsentieren. Solange dieses Gewerbe Bestand hat, werden die eingewanderten Gettos als Objekte oder Opfer ihren Platz im muffigen Keller des volksstaatlichen Gesellschaftsgebäudes behalten müssen.

Mit ihrem Standpunkt gegenüber den Migranten-Meuten zeigen die Zitadellen-Zöglinge und Zivilisationsersten ihr wahres Gesicht als Zombies des Kolonialismus.

Während Hunderttausende unter dem migrantischen Schicksal des Hin- und Hergeworfenseins leiden, werden sie z.B. in den USA als Green-Card-Soldiers gebraucht - ein bemerkenswertes Phänomen: 32 000 solche soldatischen Schergen sind in Mesopotamien oder am Hindukusch im Einsatz. Posthum erhalten sie die Staatsbürgerschaft, wenn sie dort für den Nachruhm der Pax americana ihr Leben lassen.

Nach der Ideenmanufaktur, die in den Stabsstellen-Stuben der selektiven Assimilation das Feld überragt, werden bestimmte Menschenmengen mit einem banalen Bann belegt, indem man sie in nützliche und parasitäre Parias einteilt, belohnt oder belügt bzw. betrügt. In einem sieggekrönten System, in dem der großspurige Grundsatz der humanen Existenz lautet: Man ist, was man tut. Man unterwirft sich demgemäß der desperaten Tyrannei der Turmuhr vor den Produktionsstätten und der deregulierenden Despotie der Profit-Progressionen.

Integrations-Intelligenzia und Partei-Potentaten stimmen darin überein, daß die eingewanderten Einwohner ihr Leben fürs Überleben zu verkaufen haben, wobei hauptsächlich über ihren Preis verhandelt wird.

Aus diesem Grund memorieren Adam Smiths zeitnahe Apigonen, die krakeelenden Demokreaturen, bieder den "Reichtum der Nationen" wie die prahlsüchtigen Priester bigott die Bibel - auf dem Feld, wo Linke und Neoliberale um den gleichen Kuchen streiten.

"Democratic circus" mit dem akrobatischen Wahlakt glänzt als asymmetrische Adresse, wo die Mehrheit erschöpft durch den Einsatz der Schöpferkraft der Arbeit fürs Patronat und Privatier auf Eiern sitzt und Besitz-Barone sich Honig um den Bart schmieren lassen.

Immigranten wird es immerwährend geben, auch die Intriganten, die Inklusion sagen, en detail Exklusion meinen. Wer glaubt, nach seiner Naturalisation in den Genuß der Menschenwürde à la Grundgesetz kommen zu können, wird auf der Strecke vor dem Gelände des Menschenmanagements bleiben müssen. Die Integration läßt sich als ein institutionell ironisches, irrationales, iritiertes Lehrgebäude interpretieren, dessen Leitfaden aus leeren Phrasen besteht. Die integrationale Imitation der Egalität zielt nicht auf das Ei des Kolumbus, sondern wird eifrig zum Einsatz gebracht, um die Konflikte zu verschieben, zum Beispiel vom sozialen Sockel zum kulturalistischen Souterrain. Dabei verdienen sich Zunft-Zöglinge die Sporen.

Der Aufstieg der Integrationszunft, deren Aktionsareal darin besteht, dem allochthonen Anteil der Population als Aliens darzustellen und ihnen allenthalben den Hosenboden strammzuziehen, vollzog sich nicht abrupt - als humanitär getarntes mediokres Missionarenmetier der selektiven Assimilation. Seit dem Überhandnehmen der Kulturkreis-Karrieren kriselt es in der Tretmühle gewaltig zwischen den Kriegern der Islamophobie als Erbfeind und den Kriechern einer merkantil mediativen, friedsam muslimischen Multitude. Die germanophilen Gesellen der medialen Gilde tragen dazu Beträchtliches bei. Alternative zur integrationalen Allmachts-Allüren ist der aufrechte Gang, daß heißt die Assimilation in eine ebenbürtig libertäre Bürgerrepublik - vorausgesetzt, daß das Postament des Volksstaates ersetzt wird durch die Grundfeste einer Staatsbürgernation.


PANGERMANISMUS AUFS NEUE IM AUFWIND
Die Unbill der Global-Urbanen im Urbild und die Wächter der Wanderwachtel in Form der Peripherie-Periöken

Unheilvolles Szenarium spielte sich Anfang Juni 2007 an der Ostsee ab. Ein Stück Theatrum mundi, Thalia der totalitären Demokratur und Theatraliker, Tournee der globalen Großkopferten mit der Kleinkunstbühne im Troß.

Das Nest Heiligendamm, das in den Marginalien der Historie sicher erwähnt werden wird, müßte den Eldorado-Dynasten der Demokratie-Tribunen und Timokratie-Domänen die Schamröte ins Gesicht treiben. All jene aufklärerischen Apostel, welche die Errungenschaften der marktparaten Patronage und Heiligtümer huldigen, hätten in den Boden versinken mögen, wenn sie nur einen Blick für die Verhältnisse auf von Potentaten annektierten Planeten übrig hätten.

In Heiligendamm wurde klammheimlich das Spektakel der herrischen Gewalt rekapituliert, wiedergekäut und mehr heikel als heiter in Szene gesetzt. Im inneren Raum des Geländes eines provisorischen Bollwerks - kilometerlanger Absperrzaun und Stacheldraht, Bannmeilen und weiträumige Aufmarschverbote, mobile und martialische Polizeikessel - brüskierten acht Gipfelgiganten den Blauen Planeten, hatten im Falle einer sich heran nähernden Klimakatastrophe und des heillos und raketenartig in die Höhe schnellenden Elends im Schwarzen-Kontinent nichts weiteres rundheraus zu sagen als lautes Stammtischpalaver. Heimgeigen wollten sie dergestalt die Protestposten der alternativen Gipfelstürmer, die No Globals, die wiederum nichts weiteres wußten, als sich über die allezeit heißhungrigen Geier und Falken in einer allgewaltigen Allianz zu beklagen - angegeben wie ein Lore nackter Affen.

Während die apodiktischen Apologeten der Kraken-Kaste im Drehpunkt des G8-Zirkus weiter die sozialen Konflikte und xenophoben Schlachten zu speisen hatten, die rund um die Erde starken Staub aufwirbeln, konfrontieren sich die Nebenbuhler der Gipfel-Geißler in Global Meetings mit der Aussicht auf die Freiräume im endkapitalistischen Totalitarismus.

Wenn in den geläufigen Gipfelrunden der habgierigen Giganten über den von nordischen Raubrittern gebrandschatzten, daher ausgebleichten Schwarzen-Kontinent Afrika leeres Stroh gedroschen wird, erwägen die Patronate des mental manierierten Menschenrechtsmetiers post festum das Postulat von einem mächtigen Management der Migrationsfluten, das heißt, ihrer Abwehr durch Prävention.

Das Groß-D-Land wollte keine häßliche Bilder in die weite Welt funken. Das gelang ihm. Die Rollkragenpädagogen und Pauker mit NGO-Bonus standen den sieben Herren und einer Dame als Gastgeberin bei, die ein Forum Romanum präsentierte, das durch Polizeiketten, Sicherheitszonen aus Stacheldraht, Armeekommandos, Helikopter, Düsenjäger, Boden-Luft-Raketen abgeschirmt stattfand.

Die Geschichte des zeitgenössischen humanen Geschlechts tritt mit abgrundtiefen Wunden in den Gesichtskreis der wundersamen Urbanen. Die Folgen ihrer feigen Taumel-Taten braucht nicht in Details aufgezählt werden, sie sind allemal bekannt wie ein bunter Hund und bringen die einigermaßen einsichtigen Erdlinge nicht mehr aus dem Text.

Die Realität erschreckt, wirft man ein Auge auf den Winkel Heiligendamm: Zehn Tage lang aus Angst vor dem Störenfried ihrer ungehorsamen Untertanen hinter Natodraht versteckt, von Zitadellen-Zenturien und Heerscharen in Form der Prätorianer bewacht, damit sich die Theater-Cäsaren über das Los des stark strapazierten Erdenrunds samt seinen Satelliten in aller Ruhe verlustieren konnten.

Wird der Aufschrei der "No Globals" in der Trutzburg der nationalstaatlichen Gedankenbrei landen? Sicher nicht. Das geläuterte Gegen-Geläute der Globalismus-Glocken begleiten beileibe keine andere Strategie der spekulativen Spektren als die der Gutleute der Gloriole.

Manche Zirkel stellen die Eigentumsfrage, stellen sich auf die Seite der unhaltbar anschwellenden Migrationsströme, fordern offene Grenzen und Gastrecht, nämlich die modernen Metöken mit dem Recht des Andersseins zu registrieren. Besonderes Leid fügt ihnen die ausgeraubte Meute der Arbeitsmigration, der Peripherie-Periöken zu.

Gewiß repräsentieren die Gipfel-Protestposten das Weltgewissen, demonstrieren jedoch ihre Machtlosigkeit gegenüber den vom Neodarwinismus aufgepulverten Marktgesetzen, der Raubrittermaschinerie.

Die ökologische Nachhaltigkeit des ökonomischen Wachstums unter den von der "unsichtbaren Hand" diktierten Prämissen der endkapitalistischen Marktkräfte ist in der Tat die Expansion des alternative-industriell erneuerten Besitztums der nordischen Nomenklatur auf der südlichen Halbkugel.

Die Damen und Herren, die sich ein Stelldichein in Heiligendamm gaben und alle ihre Absichten hinter der Gewaltwolke versteckten, lassen sich von guten Argumenten und gewaltlosen Protesten dazu bewegen, für etwas Gutes zu sorgen? Nein. Nicht. Denn sie treffen sich als Fürsorger der herkulischen Marktkräfte, die sie zum absolut Heiligen erheben. Daher muß am Zaun noch kräftiger und steifnackiger gewackelt, kombiniert mit allerlei Sozialposten und Konfliktfeldern konfrontiert werden.

Wer sich heute außerhalb der Grenzen des mächtig umzäunten Systems einige Milimeter in der Gesellschaft bewegt, hat schon eine Menge geholfen, daß aus der gegenwärtigen furchtbaren Nacht ein ganz anderer, fruchtbarer Morgen hervorgeht.

Rauschhafte Events wie Heiligendamm folgt eventuell die Resignation, vielleicht auch die globale Revolte unter den Rauchfahnen. Viele werden sich einer Parlamentspartei zuwenden, weil da Positionen und Posten zu vergeben sind. Oder andere werden die Zwänge des Systems verinnerlichen als Hofnarren im Rahmen eines von selektiv repressiver Toleranz geprägten Gesellschaftsgefüges.

Die idyllische Ortschaft Heiligendamm wird in der Geschichte irgendwann nur noch als jener heilige (unheimliche) Damm erwähnt werden, wo über die Gefahren, die das Erdenleben bedrohen, etwas lauter als zuvor gesprochen wurde, ohne sie jedoch beiseite räumen zu wollen.


Pan-germanische Geplänkel im transnationalen Terrain, Groß-D-Land und Menschenrechte

In Sachen der Menschenrechtsverstösse entpuppt sich das Groß-D-Land als mäusestiller Musterfall unter den meisten Altmeisterstaaten des Spätkapitalismus. Die Berliner Republik ist, lautet in "www.german-foreign-policy.com.de" vom 25. Mai 2007, "Drehscheibe des organisierten Missbrauchs von Minderjährigen und europäisches Zielland Nr. 1 beim Frauenhandel. Den deutschen Repressionsbehörden, die bei der Kontrolle von Migranten und Asylbewerbern führend sind, gelingt es nicht, die organisierte Kriminalität mit Kindern und Jugendlichen aus den Armutsstaaten zu unterbinden oder auch nur einzudämmen. (...) Auf dem Gebiet der Zwangsprostitution und des sexuellen Menschenhandels mit Angeboten jeder Art ist Deutschland führend. (...) Geschätzt wird, dass 10.000 bis 20.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland als Prostituierte tätig sind. Die Zahl dieser Minderjährigen nimmt Jahr für Jahr zu und der Anteil der Jüngeren steigt. So war jede elfte Prostituierte, die 2002 Kontakt mit der Hilfsorganisation "Mitternachtsmission Dortmund" hatte, unter 18 Jahre alt. Besonders in den deutschen Grenzgebieten zur Tschechischen Republik und Polen floriert das Geschäft mit den Kindern, die in den Nachbarländern billig eingekauft und auf kurzen Wegen in die entsprechenden Bordelle verschleppt werden. Für die informelle Durchlöcherung des Grenzsaums sorgen die aus Deutschland gesteuerten "Euroregionen". Während die deutschen Grenzbehörden mit ausgefeilter Technik Jagd auf Migranten und Asylbewerber machen, gelingt es ihnen nicht, schwerwiegende Verstöße gegen elementare Menschenrechte zu unterbinden und die Organisatoren der Kinderprostitution, ihre Profiteure sowie die politischen Paten dingfest zu machen."

Während derartige Transaktionen im Lande der sattelfesten Gutmenschen und humanitären Heerscharen floriert, wird in seinen Stabsstuben eine ganze Philosophie der probaten Protektion protegiert, um den Migrationsfluten aus dem Trikont in die Feste Europa querzutreiben, den angeblichen Menschenhändlern das Handwerk zu legen sowie den Schleuser-Schurken in die Suppe zu spucken. Das oben zitierte Internet-Portal vom 16. Mai 2007 setzt sich im folgenden leicht gekürzten Text mit dieserlei in allen Sätteln gerechten Aktivitäten bzw. pan-germanischen Geplänkeln im transnationalen Terrain auseinander:

Wie die EU-Fluchtabwehrbehörde „Frontex“ nicht ohne Genugtuung vermeldet, ist es unter Mitwirkung deutscher Beamter gelungen, tausende Einreisewillige in ihren Booten an die afrikanische Armutsküste zurückzudrängen. Aufgrund einer deutschen Initiative sollen in Kürze sogenannte Soforteinsatzteams für den Zugriff auf Migranten bereitstehen. Die fast 500 Polizisten werden in mehr als 100 Schiffen und Flugzeugen über High-Tech-Geräte aus Militärproduktion verfügen und die Bootsflüchtlinge auch bei Nacht verfolgen können. (...)

Dass trotz der anhaltenden Fluchtbewegungen die Zahl der unerwünschten EU-Einwanderer deutlich zurückgeht, ist Ergebnis konsequenter Anstrengungen des deutschen Innenministeriums. Berlin arbeitet seit Jahren an einer Abwehrstrategie, hat bereits 2004 die Internierung Einreisewilliger in Nordafrika vorgeschlagen und bemüht sich seit dem vergangenen Sommer um den Aufbau spezieller „Frontex“-Eingreiftrupps. Die EU-Innenminister und das Europaparlament haben die Verordnung über den Aufbau von „Soforteinsatzteams“ inzwischen abgesegnet; rund 450 Beamte sollen im Falle einer „besonderen Bedrohung“ (Bundesinnenministerium) unmittelbar abrufbar sein - gemeint ist der bedrohliche Anstieg von Flüchtlingszahlen. Eine „Toolbox“, die den „Soforteinsatzteams“ zur Verfügung steht, ist im Aufbau und umfasst gegenwärtig mehr als 100 Schiffe, über 20 Flugzeuge und fast 30 Hubschrauber - Tendenz steigend. Mehrere Helikopter kommen aus Beständen der deutschen Bundespolizei. (...)

Überwachungsschiffe sollen die Fluchtrouten systematisch observieren und die Verfolgung noch schneller aufnehmen können - zusätzlich zu den jeweiligen nationalen Küstenwachen, deren Tätigkeit fortgeführt wird. Spanien etwa setzt bereits acht Schiffe, drei Flugzeuge und zwei Hubschrauber gegen die Bootsflüchtlinge ein. Beabsichtigt ist daneben der Aufbau eines umfassenden Europäischen Überwachungssystems, „zunächst an den Seeaußengrenzen“, heißt es im Bundesinnenministerium. (...)

Den Aufbau eines sämtliche Facetten moderner Technologie einbeziehenden Spionage- und Abwehrsystems ergänzt die systematische Ausforschung angelandeter Flüchtlinge. Exemplarisch wurde sie im Verlauf der „Frontex“-Operation „Hera III“ erprobt, die am 12. Februar begann. Binnen zweier Monate mussten sich mehrere Hundert Asylbewerber der Befragung durch Experten unterziehen. Ziel war es, Fluchtrouten und Fluchttechniken zu identifizieren, um künftige Einwanderer bereits auf See abfangen zu können. Zudem bemühten sich die Experten, darunter auch Deutsche, die Staatszugehörigkeit der „Sans Papiers“ herauszufinden, um sie sofort abschieben zu können. (...)

„Frontex“-Operationen stehen ebenso im Südosten der EU bevor. In den Grenzgebieten zwischen Griechenland und der Türkei soll in Kürze ein weiterer Einsatz der Greiftrupps beginnen.

Kürzlich stießen die EU-Kommandos auf aktive Gegenwehr, als sie sich einem Flüchtlingsboot näherten. Der Vorfall ereignete sich in internationalen Gewässern vor der afrikanischen Westküste. Den Versuch der EU-Einheiten, die Barkasse abzudrängen, obwohl sie nach Seerecht nicht behindert werden durfte, nahmen die Flüchtlinge für einen Akt der Piraterie. Sie bewarfen die Greiftrupps mit Molotow-Cocktails. Nach gewalttätigen Zwischenfällen vor der griechischen Küste, bei denen es zur Ertränkung unerwünschter Einwanderer gekommen sein soll, offenbart der Einsatz von Brandsätzen eine zunehmende Entschlossenheit und Verzweiflung.


PRO MEMORIA

DIE BRÜCKE 127, Januar-Februar-März 2003/1

IN DEN KULISSEN DER TEUTOZENTRALE

Unterwegs nach Provincia Anatolia –
Der Journalismus am Leitwerk des Kreuzfahrt-Korps


Das Gedankengebäude dialektischer Plattform verschmilzt mit den katzenfreundlich zusammenstoppelten Lebensgeistern des Spektakels. Im Labyrinth der Latrinenparolen sacken die Peripherie-Laien der imperialen Theatralik ausgiebig Sold und Spaß ein. Das inflationäre Gepräge der auf den Markt gebrachten Informationen läßt über das Gepränge der Aufklärungsposse urteilen. Das Freiheitspathos der Journalismus-Junta spielt sich im schmalen Flur des langen Schmeichelns ab. Aus der Kameraderie entfaltet sich die Kamarilla, aus dem kolonisatorischen Mentor der Kreditor, aus dem Parlamentär der Parlamentarier. Wo er auch immer eine gerade Linie bildet, der Tag des Wahlganges gibt den Ort des Demos-Gratias ab.

Daraus bastardisiert die Journal-Jonglerie als Ausschreier des westlichen Westend-Komforts eine Anatolia-Arabeske. Sie hält anfangs für wahr, der Kopfnuß der Nach-Wahl-Varianten dem Anlaß entsprechend enträtselt zu haben, wer die Zügel in der Hand hat - also die präpotenten Paschas im Postszenium -, weiht im Anschluß daran in den Kursus der Blindpackung ein: Im Orient brandet die Tretmühle der Demokratie eben mysteriös. Tretradtrügerisch, mannbar-manisch, magisch, kontra-germanisch, prokuratorisch!

Den frisch gebackenen Premierminister der Angaria-Agora in Ankara entwerteten die Brotjobber der Jubilar-Journaille auf ein solches Ministranten-Niveau, daß es in dessen Gestirne als verzeichnet erscheint, wie der Gänserich am Gängelband zu führen ist. Daß die Gattin des Kabinettsoberen den Kopf mit dem Turban bedeckt, sticht in den normierten Neuigkeiten besonders hervor. Extraordinär müssen daher seine Leistungen sein - vor allem im Schweifwedeln vor den Sektionen der EU-Kommissare, die sich längst keine Gelegenheit entgehen lassen, auf den Busch zu klopfen, wenn das Muslimanen-Land weiterhin an das Tor des Abendlandes klopft.

Dahingestellt bleibt lange noch die Frage, wer auf wessen Scherflein angewiesen ist.

Dabei richtet sich der Weitblick der Europa-Architektur über das Schwarze Meer und den Kaukasus bis auf Zentralasien. Hier erwachsen die Hafenstädte wie Trabzon zu jener Drehscheibe, die weit ins Hinterland hineinstrahlt. Bevorsteht die Wiederaufnahme der alten Strecke, die bis Indien und China führt, die Seidenstraße. Geräumiges Getümmel rollt auf. Das Politikum der Grenzübertretungen prädominiert den öffentlichen Schauplatz, drückt die alte Leier an die Wand. Nicht einmal in Minima erfährt das breite Publikum gleichwohl, was östlich seiner Grenzscheide allen Ernstes los ist.

Trotz aller Aussichten, daß das Novum Romanum ohne den Brückenschlag am Bosporus unter dem in der Luft liegenden Aderlaß eines elementaren Körperteils schwer zu leiden hat, können die neunmalklugen Gewalthaber der eurozentrischen Zitadelle den Spieß immer wieder umdrehen und die Türkei als ewig unfähigen Bittsteller vor den Füßen der oberen Zehntausend klassifizieren. Der Drang der eurokratischen Kommissare, im Eifer des Gefechtes einen örtlichen Menschenrechtsstandard durchzufechten, ist instrumental. Real ist ihr Kalkül, in Drangsal eine hörige Regionalmacht im Frondienst oder als Tacheron zum Durchbruch zu verhelfen oder zu erkaufen, deren Tätigkeitsfeld darin liegt, die Ausbrüche sozialer Wirbelstürme zu Boden zu schlagen.

Diesem Luftschloß der Westfeste paßt gerade das gegenwärtige Getue: Scharwenzeln statt anzuschwärzen. Dafür erdichteten die Dirigenten der öffentlichen Nachrichtenträger auch den „gemäßigten“, nämlich kapitalismusfreudigen „Islamismus“, der den schrankenlosen Erwerb des privaten Eigentums hochachtet und das Scharia-Gebot, welches das Recht auf den Grundbesitz verschmäht, außer Kraft setzt.

Voll Genüge getan haben den Beobachterkreisen in dieser Hinsicht die Äußerungen des Parteibosses Tayyip Erdogan am Tage, als sein Stellvertreter Abdullah Gül den präsidialen Auftrag erhielt, amtshalber das Regiment zu führen: „Wir bilden eine neue Welt, und diese Welt wird Ost und West in der Türkei vereinigen“. Was noch auf dem Programm der Regierung für die nächsten zwölf Monate steht, weicht seinen Grundtönen nach von dem allgemeinen Diktum des „Washington Konsens“ (alias „Neoliberalismus“) nicht ab: Kürzung der Ausgaben im öffentlichen Dienst, Schlußverkauf der Staatsbetriebe, Übergabe aller Energie-Lizenzen an den Privatsektor, strukturelle Anfertigung eingängiger eigentumsrechtlichen Gegebenheiten u.a.

Außerdem setzte das Oberhaupt des Revoluzzer-Kabinetts den Frohmut in Umlauf, nicht mit der Arithmetik der Mehrheit zu regieren, sondern im Dialog mit der parlamentarischen und außerparlamentarischen Opposition sowie der Zivilgesellschaft. Für den öffentlichen Gebrauch von freier Meinung und kurdischer Sprache verbürgt sich der mit westlichen Bravo-Bonbons prämierte Türkenpremier der prägnanten Demokratie und pflegt keine Ambitionen für eine Theokratie nach iranischem Muster - aber für eine Heilsarmee nach der christlichen Soziallehre, um sich die Rebellionsrisiken aus den Mega-Slums zu ersparen und den gangbaren Marsch der Hungerheere auf die Arrivierten-Westends.

Journaillen-Wettlauf um einen Bild-Extrakt à la Orientale

Auf einen prototypischen Heros hat das mediale Vagantentum die Wahlnachrichten zugeschnitten und aus dem armen Tayyip einen Anatolia-Typus aus der Familie Chamäleons gemalt: baumbewohnende Echsen mit unabhängig voneinander beweglichen Augen, ausgeprägtem Farbwechsel und langer Zunge, mit der sie ihre Beute „schießen“.

Für den Präpotenten à la Anatolia-Analogie präsentieren die Presse-Poseure etwa - natürlich verblümt - die Charaktere wie: Scharia-Scharlatan, Schacher-Schaitan, Schickeria-Schäker, Charmeur-Chansonnier...

Vom unifarbenen Kommentieren aller Gedankentüftler im Blätterwald kam einstimmig das Zeitgeist-Splitter heraus: Türkische Islamisten gemäßigten Gepräges präparieren sich für den Drang nach dem Westen. Die meisten Lohnschreiber des Gazetten-Kartells waren heimlich darum bemüht, jenes heimische Publikum zu beschwichtigen, dessen Gegeifer schon lange unterm getürkten Druck des ethnozentrischen Tretrads in Gärung übergeht.

Besonders beschwerlich erschien das Bild von weiblichen Wahl-Wallungen auf Stimmjagd und zermürbten Vorortsgestalten, die dieses Mal nicht für eine der Patronaten-Parteien votieren wollten, sondern gegen Dauerskandalen der blasierten Demograzien-Kaste, wofür sie auch die Quittung bekam.

Erfunden haben die Media-Touristen an den Chausseen ostwärts vom Bosporus den alten Unrat neu und die Odysseen in den Buchten der Ägäis. Mitgenommen wurden sie von den Freiheiten neoliberaler Noblesse, hatten aber spektakuläre Spezies herauszugreifen und Jägerlatein aufzuputschen mit Gebetsritual, Menschenrechtsmangel, Tingeltangel, Ethno-Exotik und ähnlicher Oriental-Ästhetik.

Trotz aller Bedenken über die Rückständigkeit der kleinasiatischen Population erblickt die Gehilfenschar der medialen Innung jene geläuterte Wählerschaft, welche den Stern verglühen ließe, der zuvor so rasant gestiegen sei. Sie habe zugleich eine frische Truppe an die Spitze der Staatsgewalt aufrücken lassen; jung seien ihre Mitglieder meist und gebildet, viele von ihnen hätten ein Studium an Universitäten der USA und Westeuropas abgeschlossen.

Und als besonders beflissen gilt ihr oberster Event-Effendi, der gleich nach dem Triumph seiner „Gerechtigkeits- und Wachstumspartei“ gemäß seines Kanon-Katalogs loslegte, vor allem um das Vertrauen der Wirtschaft und der ausländischen Gläubiger zu werben. Am „Stabilitätsprogramm“, das die vorherige Kompradoren-Koalition mit dem Internationalen Währungsfonds vereinbarte, wolle er, heißt es in den Neuigkeiten der Agenturen, festhalten, den Kurs in Richtung auf die Euroburg fortsetzen und den gestarteten Eklat der kleinasiatischen Landzunge für die globale Monekratie intensivieren.

Von einem überstürzten Bravourstück will er jedoch Abstand nehmen. Da er vom derben Mißtrauen der Militärs wisse, sei er vom ersten Tag seines Sieges an peinlich bemüht, kleine Brötchen zu backen und nur nicht anzuecken. Staatstragend habe er in ersten öffentlichen Erklärungen einige Atatürk-Zitate eingestreut, der die strikte Trennung von Staat und Religion zu einem unumstößlichen Dogma erhoben hatte.

Gegen dieses importierte Überbleibsel des revolutionären Bürgertums eben erheben sich die Standpauken-Spezialisten des Abendlandes, indem sie die Geschichte eines Rezitationsabends im Jahre 1998 aufwärmen, an dem der Ex-Oberbürgermeister von Istanbul und Hodscha-Erbakan-Zögling folgende Versbrocken aus einem gottseligen Wortkunstwerk vortrug, welche der Justiz reichten, um ihn wegen Volksverhetzung zu verurteilen: „Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“ Daß die triumphale Tayyip-Truppe im politischen Islam wurzele und der Prinzipal sich selbst als strenggläubigen Moslem bezeichne, was aber seine Privatsache sei und kein Politikum, beäugeln die Beobachter der orientalischen Abartigkeiten plötzlich als landläufigen Fortgang. Darin erblicken sie sogar eine muslimisch-türkische CDU-Version. Eine Variante, welche den EU-Emissären erlauben sollte, dem Türken-Habitat den Torweg zum Angelpunkt ein wenig weiter aufzuschlagen.

Vielleicht wird die okzidentale Lesart der monoteistischen Establishments irgendeinmal mit ihrer orientalischen Version fusionieren. Und mit der AK-Partei, malen sich manche Kolumnen-Kumpane aus, könnte erstmals glaubwürdig eine Synthese zwischen dem islamischen „Millet“-Milieu und der christlich-abendländischen Volkstum-Furore gelingen. Dann bedürfe sie nicht mehr der Leitplanke des Militärs, die Partitenmacher der Partikuliers zu züchtigen. (...)

Das Parlament als Agora der Freibeute-Fraktionen

Unter dem Fanal der repräsentativen Regentschaft fraternisiert das repressive Reservoir der Besitzbewahrung mit dem Fanatismus der Gewaltlegitimation. Ihr transformatives Können liegt im Häuschen der dominanten Mehrheit ohne Demos. Mehr als ein Symbol verkörpert der Terminus Demokratie nicht. Ihr Potential fundiert auf versumpften Graswurzeln. Virtuell wie virulent. Absolut wie Kruzifix. Überall dort im Futurum exactum, wo das perfekte Präsens der Privatiers-Privilegien verwalten. Das letzte türkische Bild der Demokreatur entwickelt sich aus folgendem Negativ der mathematischen Zauberformel:

Rund 79% der stimmberechtigten Bürger (32 733 420 von 41 436 538 bei einer Gesamtpopulation von fast siebzig Millionen) gebrauchen ihr aktives Wahlrecht - nicht gerade Ideal in einem episodisch provinziellen Areal, wo das Kreuzmalen in der provisorischen Kabine als Bürgerpflicht gilt. Die Trägheit nämlich, nicht zur Wahlstube zu gehen, zieht eine (Geld)Strafe nach sich. Während 8 703 118 Personen eine solche Strafe im Vorfeld in Kauf nahmen - lieber ein paar Banknoten an die Staatskasse als ein Votum für die bankrotten Demokrauter -, machten sich 1 284 992 Personen (4% der abgegebenen Kuverts) die Mühe, lustwandelten zum Urnenlokal, stimmten ungültig und sparten eine Barschaft für ein paar Mahlzeiten. Somit verweigerte ein Viertel der Wahlherde dem Hirtenhorn des Parlamentarismus die triebhafte Gefolgschaft.

Die beiden Parteien, die die Hürdenlatte von Zehnprozent übersprangen, erzielten gemeinsam 41% der zur Wahl verpflichteten Staatsbürger (AKP 26% + CHP 15%). Auf die neun unabhängig gewählten Kandidaten verfielen insgesamt 77 000 Kreuzzeichen (0,3%). Post factum: Die „Große Nationalversammlung der Republik Türkei“ vertritt 69% der stimmberechtigten Bevölkerung nicht. Dieser Zahlenhügel wäre halb so hühnenhaft, wenn der Hürdenzaun nur halb so hoch gewesen wäre, nämlich fünf statt zehn Prozent. Damit gäbe es im Repräsentantenpalast der demokratischen Nomenklatur sechs Filial-Fraktionen der globalen Monekratie und eine Sektion des (kurdischen) Volkstums.

Weder empirisch noch metaphorisch, sondern mathematisch ist der Scharfsinn. Die Mehrheitstruppe vertritt etwa 17% der Gesamtbevölkerung und verfügt über 66% der Mandate. Ein Mitbringsel des Gottvertrauens? Möglich ist dem aus der Urne entsprungenen neuen Korps der Staatsgewalt die Verfassungsmehrheit durch den Ankauf von zwei oder mehreren Parteilosen, die überwiegend aus Gebieten mit schwerfällig feudalem Überbleibsel kommen.

Etabliert hat sich die parlamentarische Formation „Tayyip“-Typus als Lärmzentrum aus der Provincia-Anatolia-Bourgeoisie, die ihren bescheidenen Besitztum dem Händlerfleiß verdankt, und der Varosch-Population. Gemeinsam für diese beiden de facto unvereinbaren Klassenkategorien ist die Mißgunst gegenüber der im Kernistanbul eingebürgerten High-Society, die mit kräftigem Naserümpfen begegnet, was ihr im Gewande des Provinziellen in die Parade fährt. Alles Anatolische empfindet sie als anomal - mindestens seit der Maienzeit des Osmanen-Sultans Mehmet der Eroberer. Daher lassen die Tayyip-Trupps die Balkenüberschrift ihres Jubels in fetten Lettern drucken: „Anatolische Revolution“.

Aufs Neue dazwischengeschoben: Der Islam wird für die Leitlektüre dieser „Revolte“ Hahn im Korb sein - als Beiwerk in turbulenten Demograzien des tumultuarischen Marktwirtschaftens. Antasten werden die abrahamitischen Desperados der kommerziellen Progression den Laizismus nicht in seinem Hauptgehalt. Experimentieren werden sie mit seiner Reparatur gemäß den Leitlinien des bundesdeutschen Säkularismus, der den Klerus ermächtigt, mit einer staatlich salarierten Heilsarmee die administrative Aufsicht der sozial Entrechteten zu bewältigen.

Nebenbei bemerkt: Im deutschen Grundgesetz verfügt die Religion über eigenes Kapitel. Ein Ausnahmefall. Denn in zeitnahen Hauptgesetzen kommt Himmelsvater höchstens in der Präambel vor.

Das Philanthropien-Pendant des Anthroposophen-Planeten parodiert die christliche Soziallehre, plädiert für eine Melange melancholischer Momente und merkantiler Metiers. Sein adoptierter Konservatismus trägt wie das Original die Schwärze der Nacht im Gegenüber der Morgenröte, hält Rückschau auf die Allmacht der Strafenden, positioniert im Tempelturm des privaten Eigentums. Den Habenichtsen verspricht er den Zugang zu Armenküchen, nimmt den Schmerbäuchen die Furcht vor der Rebellion. Die Scharia reduziert er auf die Tesettür-Mode, bereinigt sie von dem Fleck des Gemeineigentums, erwirbt das Zeugnis, europafähig geworden zu sein. Mit dem Verdacht, daß hinter jedem glänzenden Vermögen der Schatten der Korruption lauert, macht er reinen Tisch.

Es wird nicht lange dauern, daß sich im Höhenflug der kommerziellen Kameraderie die nach Amber und Essenz riechenden Reichen die Klinke in die Hand geben. Nicht mehr lange werden die Revoluzzer der Provinzial-Parvenüs und Megadorf-Slums das christlich-abendländische Augenmerk auf die Turban-Turbulenzen ihrer weiblichen Szenarien erstarren lassen. Nicht mehr lange wollen sie sich an den Fleck der Kurpfuscher im Zirkusrund der ungezähmt kapitalistischen Wettläufe stellen lassen - als Brüllaffen eines Ganglandes.

Das Pantheon ihrer Macht werden sie ertüchtigen und das Pantalone-Operette der globalen High-Society einstimmen. Begonnen haben sie an diesen Graswurzeln, bevor sie ihr Kabinett kundgetan hatten. Zum Troß des Parteibosses, der am 20. November 2002 nach Rom reiste, gehörte - für das internationale Parkett auserkoren - die junge Abgeordnete Zeynep Karahan Uslu ohne Kopftuch. Mit seiner bedeckten Gattin zu Hause wirbt ein Modemacher „Tekbir“ für seine Kollektion „Emine“. Das moosgrüne Establishment islamischen Usus etabliert sich - genau dort, wo die Überlegenen der weißen Zivilisation ihre Etablissements ausgestattet haben.

Besonders konformistisch ließ sich in den Rapports und Reportagen ins Auge fassen, daß kein Silbenstecher über das linksbündige Umland Platz in den nivellierten Bulletin fand - auch in den linkslastigen Blättern nicht.

Konform mit der mathematischen Demokratie ging beispielsweise nicht, daß eine Grünen-Truppe auf dem Wahlzettel-Wisch aufkreuzte. Andererseits: Zum ersten Mal seit der Gründung der Republik Türkei hatte die TKP (Kommunistische Partei der Türkei) beim Wahlgang die Hand im Spiel und erhielt 59 951 Stimmen (0,02 %). 161 443 (0,05) Wahltagsnomaden optierten für die neolinke auf Spaßkultur pochend poppige ÖDP (Partei für Freiheit und Demokratie). Und 161 443 (0,05) Wahllokal-Ausflügler malten ihr Kreuz auf die maoistisch untermauerte IP (Arbeiter-Partei).

Vom Ultra zum Ultimo ratio
Porträt des gemäßigten Islamismus

Recep Tayyip Erdogan, der Mitte-Mann zwischen giererfüllten Yuppies und gewerblichen Handlangern, der von ganz unten himmelwärts kam, bot seinem Parkett keine andere Aussicht als Kismet und das mentale Memento, den zeremoniellen Treugesang vor dem IWF und der Eurokratie niederkniend anzustimmen. Über die klaren Verhältnisse für den Fortbestand merkantiler Interventionen freuten sich die präpotenten Patrone des internationalen Kapitals.

Tayyip Erdogan, der Miles gloriosus vom Bosporus und Migrantenbengel aus dem Gefilde am östlichen Schwarzen Meer, der seine Hochtour zur Betuchtenkaste dem „grünen“ Magnaten „Erbakan-Hodscha“ verdankt und sich innerhalb von acht Jahren (seit seiner Wahl als Oberbürgermeister des Megadorfes Istanbul) ein stämmiges Vermögen aneignete, spielt sich als Imitator nordamerikanischer Abenteuerer auf - zugleich als „Baba“ der hortenden Husaren und waghalsigen Vagabunden, als kleinbürgerliche Seele zwischen Hasardspiel und Nischen-Dasein.

Erdogans marktläufige Elogen für Hausse und Hausierer stützen sich auf die Routine westlicher Vorbilder der Elendsverwaltung. Hier mauserte sich zunächst die peripher soziale Montage zum Abgott der Kastenpyramide unter dem Wachtturm des Zentrums. Im systemischen Ballungspunkt der nachgeäfften Werte-Variante drängte sich dann das Individuum als Urbild der überspannt symbolischen Funktion des Konsums in den Vordergrund. Es geht dabei nicht um den Besitz eines Gegenstands, der einem Freude bereitet, sondern um den Nachweis des persönlichen Könnens. Voller Vertrauen auf die Allmacht dieses Naturells rückt der Souverän von der sozialen Pflicht gegenüber seinen Untertanen ab, stockt die Hierarchien der Macht effizienter und repressiver auf - beim Anwurzeln der konformistischen Konstruktionen.

Der Liberalismus des gegenwärtigen New Deal verschmäht jegliches Denkgebäude der öffentlichen Wohlfahrt, nimmt allein die Marktkräfte an die Brust und überantwortet die soziale Reparatur dem Regime der „Community“, an deren Schmerbäuchen die Taugenichtse und Aschenbrödel des ökonomischen Schlachtfeldes um Gnade winseln. Das soziale Päckchen aus dem mit voller Lautstärke gerühmten Menschenrechtspack wird in der Bataillon-Barke eingeschifft und versinkt in den Wogen der ständestaatlichen Demontagen.

Dieses Räderwerk des Kommunitarismus mit extrem konformistischen und voluntaristischen Zügen ist für die neugebackenen Regimenter des „Kleinamerika“ im Vorderen Orient kein Erzeugnis nicht geläufiger Banderole. Die Philanthropie gehört zu den Elementar-Elogen im islamischen Sozial-Gefüge: „Imaret“ (Armenküche).

Nicht die „Community“, braucht der eloquente Elendsverwalter einzuschleusen, auch nicht den aggressiven Businessman als kulturellen Stereotyp für die Dynamik des ungebändigten individuellen Triumphs. Aber ein funktionierendes Blendwerk für die innere Leere des Pleitiers - den überaus gemeinen Hang zum Selbstbeweihräuchern.

Die ersten Tage seiner Karenzzeit verbrachte der Heros bedachtsam. Über die Personalie für den Lehnsessel des Premiers ließ er die Lohnschreiber der Nachrichtenmagazine rätseln. Ein Wunder konnte ihm persönlich den Weg zum Ministerialen-Haupt zeigen. Sonst kann sein Parteipaktum in den Chaos stürzen. Denn es deckt sich mit einem Tummelplatz der Mammon-Manager.

Der Herold des Hochgefühls taktierte beharrlich mit den Kontakten, die dem Austausch von Artigkeiten dienten. Das Justizverfahren, das mit dem Verbotspostulat seiner heilsgewiß geprägten Partei vor dem Urnengang eingeleitet wurde, sollte im Sande verlaufen. Auf den Dunstkreis der Hesperiden und die Reaktion der zivilen Kräfte von Hesperien ist er angewiesen, um das alte Raumboot des kemalistischen Zentrums endlich zum Kentern zu bringen.

Zum gesegneten Busch am Bosporus erblüht, wird er mit aller Kraft versuchen müssen, den Dschungel zu entwässern, in dem das Kopftuch weggespült wurde. Denn Pulloverprall brüsten sich die frommen Töchter der Konjunkturritter damit, den Potentaten dorthin begleitet zu haben, wo er jetzt das Zepter schwingen, das Leiden der Gläubiger schmälern und die Brutstätte der sozialistischen Giaurs brüskieren kann.

Über High-Tech-Wunder verfügt er nicht, die Ballungspunkte auf der Zeitachse der Erde zu markieren und den Wohlstand herbei zu bomben, aber über Entertaiment-Qualitäten, die Hungrigen zu unterhalten. Das mental gleichgeschaltete Medium der Erregungsreklame wird ihn nicht dem Schicksal überlassen.

Die Steppe rebelliert, läßt sich vom Krückstock der Selfmademen scharwenzeln. Handel und Händel sind ihre Marksteine beim Unterwegs zum all-markt-mächtigen Schlamassel. Es gibt die Basis, der man etwas unterbreiten kann, meinen die Manier-Mentoren des Mammons und fügen hinzu: Aber das Alternativ-Korrektiv der Balsam-Bandagen muß noch verfertigt werden. Allein das enthemmte Schüren von Angst-Allüren nützt nichts.

Übergroße Teile seiner Gefolgschaft werden im Quadrat springen. Er selbst wird sich im geschlossenen Trigon der Tribunen zum Rächer aller Gerechten aufspielen. Unbeachtet vom linksbündigen Kontingent der medialen Meinungsmakler, dessen enthnisch-kulturalistisch geschärftem Blickfeld kein umgefallener Klagesack im kleinasiatischen Südosten entgeht, kann er auf das Lobsingen des Meutejournalismus vertrauen. Zur tragenden Figur des fortwährenden Diskurses werden sie ihn erheben, den sie zuvor mit ein paar Speechfetzen eines etablierten Postenpatrons begannen. Bleibt er dort, wo man ihn haben will, wird es keinen Fingerzeig auf ein gottergeben grünes Kabinett des Horrors geben - als schrilles Beispiel für die Abweichung von der Generallinie der super-imperialistischen Menschenrechts-Allianz.

Nichts Neues am Westufer vom Bosporus: Kiebig wurden die geläuterten Laute in den urwestlich urbanen Milieus. Die Röcke etwas zu kürzen und eine Neue-Raki-Flasche zu öffnen, empfiehlt sich mancher Gazetten-Kolumne der Grazien-Community.

Islam – ein Phänomen?

Was sich darunter auch immer verstehen läßt, die Fragestellung verfügt über einen Marktwert, teils de luxe, teils gepfeffert. Jedenfalls befähigt sie die subalterne Globalisten-Gilde zur Missionars-Tätigkeit. Es geht dabei nicht um Christianisierung, sondern um die Verbrüderung der Mittelschichten unter dem Digitaldach der Abrahamiden. Die Frau erhält ihren konventionellen Rang aufrecht als Co-Regentin des Mannes oder Zentralfigur der Boutique-Bourgeoisie. Man kann sie auch anderweitig vermuten, bedeckt bleibt ihr Hauptfeld mit dem Gesprächsstoff des Äußeren - das Thema, auf welcher Stufe der zivilisatorischen Trittleiter eine Gesellschaft stehen kann. Als primitiv denunzierten zum Beispiel die Kolonialisten, weil ihnen die schwarzen Afrikanerinnen zu nackt erschienen. Als rückständig gelten den immer noch weißen Zivilisationsersten die brünetten Muselmaninnen, weil sie ihnen nicht nackt genug begegnen. Der Blickwechsel spiegelt das Verhältnis zwischen Herrin und Magd - welch ein Wunder - im gleichen abrahamitischen Hof.

Ausnahmen gehen zum Gemeingültigen über, und die gefällten Urteile lösen sich dort flott auf, wo die Gesetzmäßigkeiten des Handels Überhand gewinnen und die Runde machen. Stellt ein Warenhausmanager in einem etwa westdeutschen Ortskern fest, daß seine Mitarbeiterinnen mit blondierter Drei-Wetter-Taft-Frisur an eine vom Gewöhnlichen mancherlei abweichende Klientel nicht herankommen können, stellt er eine kopfbetuchte Verkäuferin ein. Da sind nämlich die Muslima, die zwar Kopftuch tragen, aber sich ja nicht deshalb auf Kernseife beschränken wollen und in der Parfümerie einkaufen.

Aufgeweckt hätten die Moneymaker längst ihren Zusammenhalt mit der muslimischen Parallelwelt demonstriert, wenn es oben nicht immer wieder ein Stück mehr nach dem Linoleum von Teutonen und Aufklärungspatriarchen riecht, wenn sie sich weitere Einmischung der Theologen und Hierarchen in die Welthändel verböten.

Dann gibt es keine zwei Gott-Typen, die sich so sehr ähneln wie der Vater von Jesus Christus und der allmächtige Allah. Beide beschwören den Anklang mit Jehova und bestreiten ihre urwüchsigen Obliegenheit nicht, die Freibeuter-Brut zu konservieren.

   

Netzbrücke:

• Necati Merts Kolumne

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