Der Begriff wird häufig rein normativ und
verengt auf Fragen der Kultur verwendet und deshalb von einigen
abgelehnt. Münch (1997) hat in seiner Bestandsaufnahme ökonomischer,
politischer und soziologischer Integrationstheorien darauf hingewiesen,
dass bisher keine Theorie eine umfassende Erklärung für
alle Aspekte der Integration bieten kann und dass für spezifische
Fragestellungen nur ein Bezug auf „spezifische Theorieansätze“
(ebd., 103) in Frage kommt.
Für unsere Zwecke ist zunächst Lockwoods
(1969) Unterscheidung von Systemintegration und sozialer Integration
instruktiv, auch deshalb, weil sie verdeutlicht, dass Integration
sich auf alle Mitglieder einer Gesellschaft und nicht nur auf Zuwanderer
bezieht. Mit ersterer ist der Zusammenhalt und die konflikthafte
Beziehung der Teilsysteme Staat und Markt gemeint, die durch Recht
und Geld reguliert werden. Die soziale Integration bezieht sich
auf die konflikthafte Beziehung von Akteuren - Individuen und Gruppen
- zueinander sowie zu gesellschaftlichen Teilbereichen und zur Gesellschaft
insgesamt. Ein Scheitern der Systemintegration bezeichnen wir als
Desintegration (ebd., 131), ein Scheitern der sozialen Integration
als Ausgrenzung.
Mit Orientierung auf den Staat und dabei speziell
auf die Verfassung als oberster Rechtsordnung lässt sich über
die moderne Rechtsordnung folgendes sagen:
Sie basiert auf Grundrechten und einem prozeduralen
Konsens (parlamentarische Entscheidungsfindung), ist weltanschaulich
neutral, aber dennoch stets Ausdruck einer partikularen Lebensform
und eines historisch spezifischen kollektiven Selbstverständnisses.
Die Legitimation bezieht eine solche Rechtsordnung aus dem Selbstverständigungsdiskurs
bzw. aus den zivilgesellschaftlichen Dialogen unter Beteiligung
aller Mitglieder der Gesellschaft. Als Konsequenzen ergeben sich
hieraus:
• Die Anerkennung von Differenzen,
• Die Rechtsgleichheit und gleiche Zugangschancen
sowie
• Die allgemeine politische Partizipation.
Neben der Einbeziehung der neusten Studien zu einzelnen
Problemfeldern hinsichtlich der sozialen Integration (Stichwort:
PISA), muss meines Erachtens erfolgreiche Integration also insgesamt
mindestens folgende Sachverhalte besonders beachten:
1. Integration ist nicht allein auf die pädagogische
Dimension zu beschränken.
2. Integration ist eine gesamtgesellschaftliche, d.h.
eine Querschnittsaufgabe.
3. Das Zuwanderungsgesetz reduziert die Phänomene
Migration und Integration auf die kulturelle Dimension.
4. Identität ist dem Menschen nicht angeboren
oder kulturell vorgezeichnet, sondern sie entwickelt sich in einem
Prozess kommunikativer Interaktion.
5. Die These der Multikulturalisten, nach der die
gesellschaftliche Integration nur möglich sei, wenn die kulturelle
Identität der Neubürger nicht angetastet würde, führt
in die falsche Richtung.
6. Dem gemäß erfordert Integration die
Interaktion zwischen der Aufnahmegesellschaft und den Migranten.
Dementsprechend muss das Leben in den Moscheen aus den Hinterhöfen
sozusagen in die Mitte der gesellschaftlichen Diskussion gestellt
werden.
7. Eine ernst gemeinte, kohärente Integrationspolitik
muss die gesellschaftlichen Bedingungslagen in der deutschen Mehrheitsbevölkerung
einerseits und in der Migrantenbevölkerung andererseits berücksichtigen
und darauf aufbauend einen Prozess der gezielten Annäherung
einleiten. Beispielsweise muss der Tendenz entgegen gearbeitet werden,
dass deutsche Eltern bestimmte Stadtquartiere verlassen, sobald
deren Kinder schulpflichtig werden.
8. Ansonsten wird das Ergebnis eine Desintegrationsspirale
sein, aus der die Migranten gar nicht aus eigener Kraft entkommen
können.
9. Die politischen und gesellschaftlichen Ursachen
von Problemen bei der Integration werden bequem hinter ineffizienten
Bildungsinstitutionen und/oder nicht ausreichendem Integrationswillen
der Migranten versteckt.
10. Um sich gegen die drohende Instrumentalisierung
durch die Politik zu immunisieren, wird der Pädagogik nichts
anderes übrig bleiben, als sich zu politisieren und eindeutig
Stellung zu beziehen.
Die Ausgangslage für die Umsetzung dieser Thesen
stellt sich wie folgt dar:
Integration ist freiwillig und erfolgt hauptsächlich
im Alltag, also im Zusammenleben der Menschen. Sie kann nicht angeordnet
oder gar aufgezwungen werden - beiden Seiten nicht. Das heißt
allerdings nicht, dass der Staat und auch die politischen Parteien
diesen Prozess nicht durch aktive, gestaltende Integrationskonzepte
moderieren, anschieben und politisch-psychologisch legitimierend
unterstützen können. Staat und Parteien haben sogar die
Pflicht dazu, diesen Prozess aus dem mehr oder weniger unbewussten
Alltagshandeln ins öffentliche Bewusstsein zu tragen. Dabei
sollte die Alltagsnormalität, welche ja weit über die
existierenden Probleme hinausgeht, immer wieder aufgegriffen und
als Ansporn für den weiteren Gang des Prozesses genutzt werden.
Auf diese Art und Weise können sowohl die Herzen (Gefühle)
als auch die Köpfe (Verstand) der Menschen zu einer Einheit
(Vernunft) verschmelzen, die eine Abkehr von Ausgrenzung und Ghettoisierung
in Richtung Weltoffenheit in Gang setzen würde. Diese Integrationskultur
steht erst am Anfang und muss laufend weiter entwickelt werden.
Ein Beispiel für eine mögliche Signalwirkung
wäre die verstärkte Öffnung der politischen Parteien
für Kandidaten mit Migrationshintergrund. Ansonsten könnte
es nämlich passieren, dass sich politische Parteien entwickeln,
die zu Wahlen antreten und die sich über eine bestimmte nichtdeutsche
Nationalität definieren oder allgemein über den Migrationshintergrund
und dann mit eigenen politischen Weltbildern operieren. Um dies
zu vermeiden ist die baldmöglichste politische und rechtliche
Gleichstellung umzusetzen.
Wahrscheinlich würde dies den Integrationsprozess
erschweren, als Parallelgesellschaft jedoch ließe sich ein
solcher Zustand nicht bezeichnen, da ja gerade die Teilnahme an
den Wahlen eine bewusste Einmischung in die Gesamtgesellschaft darstellt.
Ebenso wenig lässt sich eine Parallelgesellschaft aus der Tatsache
herleiten, dass die Etablierung ethnischer Unternehmen inzwischen
die Möglichkeit bietet viele Alltagsdinge innerhalb des eigenen
Milieus abzuwickeln.
Wenn die Mehrheitsgesellschaft den Öffnungsgrad
solcher Milieus erhöhen will, muss sie sich erst einmal fragen
(lassen), aus welchen Gründen sich solche Milieus entwickelt
haben. Diese Heterogenität ist auch als kollektive Verwirklichung
von Autonomie zu verstehen, die ihren Schutz unter anderem auch
im Grundgesetz findet. Der durch die Verfassung garantierte Pluralismus
befördert geradezu Milieus oder Subkulturen, wie die ‘Parallelgesellschaften’
früher bezeichnet wurden. Dabei wird man auf folgende Umfeldbedingungen
stoßen:
• Psychologisch-kulturell bedingte Affinität
zum einem Milieu wegen der zwischenmenschlichen Sicherheit (Wohlfühlfaktor),
• Informelle Hilfsangebote und -netzwerke (politisch-rechtlich
bedingt oder auch sozioökonomisch),
• Spezifische Bedürfnisse, die von der
Mehrheitsgesellschaft nicht angeboten werden,
• Stabilisierung der Identität in einem
Land, in dem Ausgrenzung und/oder räumliche Ghettoisierung
herrscht.
Die fehlende gesellschaftliche Anerkennung wirkt hier
als entscheidender Katalysator und verbietet es, von „Unfähigkeit
zur Integration“ zu reden. Gleiches gilt für die Defizitorientierung
von Seiten der Aufnahmegesellschaft gegenüber den Migranten.
Der Vorwurf der Abkapselung muslimischer Bevölkerungen in Parallelgesellschaften
spiegelt eher den Wunsch nach Einkapselung des Fremden. Eine seriöse
Auseinandersetzung mit dem Projekt der Integration als einem ständigen
Selbsterneuerungsprozess der Gesellschaft darf nicht dem Ziel der
Bildung einer oberflächlichen sozialen Einheit geopfert werden,
welche in differenzierten Gesellschaften sowieso eine Fiktion ist.
Gleichzeitig ist die Eingliederung einzelner Elemente in ein größeres
Ganzes immer ein Prozess von Integration. Gefragt werden muss allerdings
hierbei nach dem (differenzierten) Inhalt dieses Ganzen, worauf
die zu Integrierenden festgelegt werden sollen und mit welchen Steuerungsmitteln
dies zu erreichen ist.
Literatur:
Auernheimer, Georg: Einführung in die Interkulturelle
Pädagogik; 2003, Darmstadt
Häußermann, Hartmut/Kronauer, Martin/Siebel,
Walter (Hrsg.): An den Rändern der Städte; 2004, Frankfurt/Main;
Verlag Suhrkamp
Lockwood, David: Systemintegration und Sozialintegration,
in: „Theorien des sozialen Wandels“ (Hrsg.): Zapf, Wolfgang;
1969, Köln
Münch, Richard: Elemente einer Theorie der Integration
moderner Gesellschaften. Eine Bestandsaufnahme, in: „Was hält
die Gesellschaft zusammen?“ (Hrsg.): Heitmeyer, Wilhelm; 1997,
Frankfurt am Main
Sprachverband Deutsch e.V. (Hrsg.): Deutsch als Zweitsprache;
Heft 2/2003; Main
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