XXV. Jahrgang, Heft 140
Apr - Mai - Jun 2006/2

 
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Letzte Änderung:
12.04.2006

 
 

 

 
 

 

 

LYRIK




         
 
 

Hunger

Den Hunger zu stillen war das größte Verlangen
in meiner Kindheit

Einmal, den Mann im Auge, der den Mühlstein schärfte
       mit dem Zweispitz
griff ich in den Doppelzentnersack, spürte das Gemahlene
als weiße Sanftheit zwischen den Fingern

Oftmals kam ich mit Fliederbeeren, Brennesseln
in die Muna*-Baracke; der Hunger ging lang durch mich hindurch
ich lebte von alten Vorräten im Körper, vom Geruch
angebrannter Mehlsuppe

Dann sagten wir Lebewohl
Aber ich vergesse nicht die Worte aus Stein im Magen
die ihn höhlten

Der Hunger hat glühende Augen
aber kalte Glieder

Sein Hirn mahlt
Tag und Nacht

Reinhard Bernhof

* Munitionslager bei Lübben (Spreewald), diente nach 1945 als Flüchtlingslager. Danach Nationale Volksarmee. Heute Bundeswehr.

***

Die deutschen Tugenden

"Der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens
wir trinken und trinken"
(Paul Celan, Todesfuge)

WIR sind
die Meister aus Deutschland
Das Tor macht
den Meister aus Deutschland
Die Taktik bringt
den Meister aus Deutschland
Die Kraft gebiert
den Meister aus Deutschland
Die Tugend erschafft
den Meister aus Deutschland

WIR sind
die Meister heute in Deutschland
WIR sind
die Meister morgen der ganzen Welt

WIR müssen siegen
denn Meistersein heißt
Held sein
und
Geld haben
WIR sind
die Geldmeister
aus Deutschland für die Welt

Der Meister ist
ein Tor aus Deutschland
Deutschland ist Meister
im Torsein
Im Tor ist der
Meister ein Deutscher
Dichthalten hinten
Dichthalten
in Deutschland
für Deutschland
Macht dicht die Tor
Das Türchen macht weit
Aber Deutschland ist doch
kein Adventskalender
Also Tor dicht
Meister deutsch
Der Tor aus Deutschland
hält dicht
Und wir trinken

Karl-Heinz Schreiber

***

WOHIN?

Du fällst.
Suchst dich festzuhalten
An einem Regentropfen.
Einem silbernen Lachen.
Dem Duft einer Rose.
Du fällst.
Fällst und fragst:
Wohin?

Gerhard List

***

Das Gute
dir zu wünschen
ist mein Glaube,

um dankbar
erfahren zu können
die Welt,

welche erst
als Licht zu sich
nur zu einer Welt des Lichts werde
im Lichte der ewigen Taghelle.

So atme ein
und hauche aus
die noch unbewanderten Äther
und Düfte wenig beschrittener Gärten,

zu denen du niemals wirklich gelangst,
ihre Nähe jedoch du träumend erfühlst.
Entfliehen willst du
dem Schnittwerk einer auch verwundeten Welt,

zählt bereits der Kriege ein schon unbekanntes Maß
und geschunden zeigt sich der Mensch in seinem Bilde.
Erhöre jetzt die vielfachen Klagen aus dunkler Tiefe
und weise mutig nun den Schritt nach vorn
ins Licht, der Tage.

Erich Czernoch

***

Willkommen und Abschied

Es sprach mein Herz: Geschwind zum Pärde!
Es war getan fast eh’ gedacht;
Die Tische trug die Kaufhauserde
Mit ihrer edlen Waren Pracht.
Stramm stand, ein jeder eine Eiche,
Verkäufer um Verkäufer da,
Und auf das Angebot, das reiche,
Mein Augpaar voll Erstaunen sah.

Das Licht beschien die Güterhügel,
Und hinter einem kam hervor
Rasch einer so, als hätt’ er Flügel,
Und auf mich zu - was hat er vor?!
Mir war die Sache nicht geheuer,
Doch frisch und fröhlich war mein Mut,
Denn in den Augen hatt’ er Feuer
Und drin in seinem Herzen Glut!

Ich sah ihn an und Einkaufsfreude
Floß von dem Flammenblick auf mich.
Ganz war er nun an meiner Seite
Und seinen Atem spürte ich.
Ein marketing-verklärtes Wetter
Umgab sein strahlendes Gesicht,
Und zärtlich bot er mir – ihr Götter!
An Waren, die verdient’ ich nicht!

Doch ach, schon mit der Mittagssonne
Verengte Abschied mir das Herz:
Vorüber war die Einkaufswonne,
Und der Verkäufer litt viel Schmerz.
Ich ging, er stand und sah zur Erden,
Verbarg den umsatzfrohen Blick:

Und doch, welch Glück, bedient zu werden!
Und kaufen, Götter, welch ein Glück!

Gottfried Weger

Aus: »Hau’n wir der BRD... –
High-made-Gedichte« 1994

***

Aloys, der Pausen-Schreck

Macht der Bonifatius
mit den KeltenGöttern Schluss
lässt alle Sachsen daran glauben
mit Kreuz und Schwert und Daumenschrauben
was kriegt bei uns ein Kreuzugsführer?
die Totenmesse Opfer-schrein
und obendrein den Heilgenschein
ein Massenmörder wird Märthyrer
und Vorbild für die nächsten Führer

(die Sachsen aber rächten sich
heut nehm' sie ihn als Brotaufstrich
zum Abendmahle wird er mitten
zum Verzehre durchgeschnitten,
wenn dann zur Rechten, wie zur Linken
die Bonfaz-Hälften niedersinken
sollt man dazu nen Roten trinken)

doch zündt uns Mal ein Taliban
eine BaptistenKirche an
schießt erst auf Stalin, dann auf Bhuddah
auf Karsai-Boss-Armani-Puppen
auf UnoKreuzSternpanzerschuppen
auf Benedikt und Ratzifix
auf Patriarch und Martin Luther
dann kriegt der nix?
Kein Jubeljahr, kein Heilgenschein ?
Wir heizen ihm die Höhlen ein
und singen wieder
KreuzzugsLeader
hinter unserm Rattenfüher
War Horst Wessel ein Märthyrer?

Jetzt zünden wir dem Taliban
seine letzte Höhle an
Afghanistan, Irak, Iran,
ganz im Ernst, des iss kein Jux
wir wecken mit den Mini-Nukes
die letzten Schläfer aus dem Schlaf
Hellau, Deffdäh, Kölle Allaaf

Hartmut Barth-Engelbart

***

Ankomme vorgestern.
Fort nach Vancouver
sind mit dir die Geister,
die alle Winkel des Hauses füllten.
Seitdem starren die Wände mich an.
Selbst die Bilder vermögen nicht
die Starre zu brechen.
Noch der Tropfen vom beschädigten Hahn
mit seiner Monotonie
den anderen den Einton zu rauben.
Weil du weg bist.
Ganz einfach deshalb.

Die rechten Winkel der Räume
leben sich aus.
Wo ist die Schwarzdrossel
am Nußbaum,
wo der Maulwurf?
Wenn der Rasenmäher nicht wäre,
vermißte ich noch mehr
deinen inständigen Ratschlag.
Elftes, zwölftes Gebot.

Dennoch bleibt mir die Weisung,
Richtschnur wie der Koran,
dessen Suren
zieren die Zettel auf den Decken
der verlassenen Betten,
in den Fluren des verödeten Hauses.

Golden ein Lichtblick die Sichel
des Mondes hinter der dunkelnden
Birke des Nachbarn.
Zeichen, wann holt er dich ein?
Tröstlich. Weil die Wege stets
rund sind,
kehrt man meist heim,
wenn die Betten noch warm sind.

Jaime Salas

***

Pappnasen

Und sie ziehen sich
rote Pappnasen auf
damit sie einmal im Jahr sind
wer sie nie sein werden

Und sie benehmen sich
wie die Wilden
so wie sie dies das übrige Jahr
ohne Pappnasen nie tun würden

Und sie trinken
diese Tage
noch viel mehr als sonst im Jahr
da keiner sie mit ihren Pappnasen erkennt

Und wenn diese Tage vorüber sind
nehmen sie die roten Pappnasen ab
damit der Spiegel am folgenden Morgen
den Niemand von vorher wiedererkennt

Georg Walz

***

Unter diesem Sternenhimmel

Ganz jung und unverdorben
Kam sie von weitem her,
offenen Herzens
mit reiner Seele,
nichts war für sie so schwer.
Sie scheute nicht sich einzusetzen
Für Menschen aller Rassen
In weiter Feme verblieb ihre Heimat,
sie hat es längst verlassen.
Nun, unter diesem Sternenhimmel
Kann ihr vieles gelingen,
sie hat sich damals vorgenommen
hier ein kleines Licht zu bringen.

Dragica Schröder

***

Der alte Affe

   I believe I‘ve found
   the Missing Link between
   animals and civilized men.
   It ist us. (Konrad Lorenz)

Nachmachen nachmachen – der Fels
rollt vom Berg splittert den Ast
nachmachen nachmachen –
doch es bleibt der Affe inhaltslos
formal gebunden an sein Rudel,
es kaut der eine da dem andern vor –
die Banane, eh der sie schlingt,
schlägt auf die Brust sich, ach –
macht sich breit in dieser Sach:
I believe I‘ve found

Der Affe, er hält sich für genial
und bläst sich auf, stolziert daher
als wär er irgendwer, doch stets
hinkt er dem Geschehen hinterher.
Es äfft die Äffin Männchen nach
jagt nun selber linkisch Weibchen,
wenig nützt da der Lehrgang für
Ausdruck und Aufrechten Gang
zur Präsentation der Führernatur:
the Missing Link between

Es denkt das Missing Link als
Mensch sich über die Natur, doch
bleibt im Kopieren ein Untier nur.
Neid frisst Löcher ihm ins Gebein
und zwingt ihn an die Krücken,
der Mensch bleibt eine Utopie.
Es geht nur mit Vernunft; dies
Missverständnis die Missmen gebar.
Experiment geglückt. Affe tot?
Animal men and civilized

Es ändern sich die Waffengattung
und das Begattungsritual – nun
Mann gegen Mann zu Bette geht,
so wie er um sich selbst sich dreht.
Nachaffe – mit schwerem Gerät,
mit wahnen Gedanken, er kennt kein
Halten, er kennt kein Wanken,
Ungenehm hinwegfegt von Erden;
möge so Frieden werden.
It ist us.

C. M. Meier

***

GÖÖGLMÖÖSCH & = III

11
Der alte jauchenamor ging mit
  der wollte zu Hüllermeinern
Der hüpfte sich um den hydranten rum warm
  quarrend und warzenbeinern
Ab und zu schnellt’ ihm die zunge heraus:
  Was du getan hast ist schrecklich
und fragte ihn Don nach der Lethemission
  dann spielte er Feiglingversteckdich

12
Lütt Muddn de snieder schlug ne taz
  7 schmeißfliegen übers genacke
die gab er dann MI die zu spät merkte die
  war tomseits voll hundekacke
Don Otto wurde es dermaßen schlecht
  er reiherte über die selten
Die Ähricha stopfte sich alles inn sack
  Ach scheißelos schreckliche zeiten!

13
Dat MI riß dem Ährzchen die handtasche weg
  Mann ottes die leckt dir den speichel !
Der Pullermatt dazu: Wenn eineR dir
  den Speichel leckt lock mit der eichel !
So schlurfte die Ärga hinter uns her
  dann fiel sie aus pud’ und perücke
verschwand mit 2 bluthunden Oberum fand
  ihre kate: Delzedocs tücke

14
Umpf jaulte Ich haute ihm übern deez
  ne Wernesgrüner pulle
Im winkel fraß Ham Old den pilz von der wand
  krakeelte und flog wie ‘n bulle
Pull wieder: Als St Oltus starb
  verbannt’ er mich 3 x gen Bayern
Ich bin gebrettert! und schickt mich nicht mehr
  in die Schweiz zum Thespisleiern

15
A sagte: Denen war sie zu scheen
  B fügte hinzu; zu deenbar
Um die ecke - da wollten wir aber nicht hin –
  lag Cs cousin seine Jan Steen bar
Da kam auf einmal die kleine raus
  dem alten Tussäng sein Thresken
Er schmiß sie sie spuckt’ ihm aufs cabrio
  Ich hau dir dein lecker meesken

ToussainT

***

träume der haardt

in den weinbehangenen hügeln die hohen frequenzen im mittag
ein flötenton d auf dem stein mit der echse
und einmal vielleicht die beeren singen die sinne in berauschendem dur.
ach träume.
die schwarzen die schwärenden träume der angst vor den worten am tag.
gestern gesäuberte wand.
ausländer raus.
krähen picken staccato die beeren zerrissen ein herz in erinnern.
***
ihr schwarzen augen grabt euren glanz und eure würde
in die eigene erde
unter der eigenen sonne
es duften über uns die linden
ihr schwarzen augen weint nach innen

Ingrid van Biesen

***


der wasserhahn

wecker tickt

draußen wird es
allmählich hell und
die nacht weicht einem
undurchdringlichen grau
in die stille tönt
das monotone ticken
des weckers
zeit verrinnt
unwiderruflich

der wasserhahn
beginnt
unregelmäßig
zu tropfen

Artur Nickel

***


olympiade

wort
los
ausrufezeichen
drei, zwei, null.
ein start
piep
fällt nicht auf
fehlstart
das rennen beginnt trotzdem
plan
los!
auf planiertem
hauptsache schneller
hauptsache erster
die stoppuhr steht
wir sehen´s nicht:
schweiß in den augen
brennt.

schnurrend säuselt
der colaautomat

Anna Panek

***


Getto-gerechtes Manifest

I
Bleischwere belagert die Nacht
Wenn in Alleen der Allemannen-Kapitale
das Rostbraun im Brand erwacht
durchs Blond und Blau kein Durchgang
      für Knospenknalls Vorboten
         im Klassenklang
Keine Morgenflucht aus dem Moor der Toten
kein heller Sproß unterm Hesperos
seit dem Tribunal-Tod Slobos
   der Exekution ohne Urteil
      im Heller
Kein kühner Kämpfer mehr
      auf rosarotem Roß
Er gehörte vielleicht nicht
      zu den Hünen des Kosmos
auch nicht zum mondgelben Heroen-Heer
         im Morgenschein
aber auch nimmer zu den feilen Flüchtigen
Wird sicher nicht der höchste Fang der Furie sein
und das letzte Opfer der Rittertortur
hinterm Inquisitionswall der Mordsüchtigen
         in Richter-Montur
Hielt ungebrochen stand
vor dem schäbigen Cäsaren-Pakt
der den Bombenhagel über Leben und Land
   als probates Politikum hinstellt
         und humanitärer Akt


II
Von Hyänen und Hurien-Hymnen
   belagert der Poeten-Port
      im Proleten-Fort
Brandbitter getreten der Tag
felsenhart die Fanfaren-Finale
Es dämmert über den Dächern von Vororten
Dämme halten noch dank der Femme fatale
und der expansiven Experten-Ekstase
   hinter den Exekutionseskorten
Auch im Bantustan des Apartheidsapostel
   umgeben von Urbanen-Uhus
      umgemodelt in Gettos
Gestade der Kannibalen-Quarantäne
   Wanderparia-Moos
      Barbaren-Fontäne
         Tartaros der Desperados

Es hagelt durchs Blau der Nacht
Wenn in Getto-Gassen und dem Klassen-Humus
die Horde der Humanitas erwacht
bringen die Herolde barfuß
   Gedächtnisse auf Touren
      zum Sturm
aufs Ellbogen-Eldorado der Graben-Gladiatoren
         auf den Hungerturm
            und die Garbengarden

Globulen-Deich durchquerend
eilen Getto-Trotter herbei
gehen den Heimlichen stolzierend zur Hand
als Bannbrecher durch Steppenbrand
den Absatzstaub der Get-together-Gendarmerie
das Abtrünnigen-Nest im Querulanten-Quartier
      und Refugium der Peripherie
Geben Grenzsturm-Guerilleros Geleit
sinkt der Morgen steil im Tränental der Getretenen
         und im Getreuenleid

Marschieren Musketiere der Mäuse-Monarchie
Getto-Gesänge in Getöse zu stürzen
   in gebräuchlich gebotene Anarchie
Memorieren Hausnarren den Husarenritt
hinterher das Laien-Los
      und den Magnaten-Mythos
Avanciert der Anonym des Souveräns
      zum Synonym der Sich-Erhebenden
hält den Faden der Kabale in den Händen
zwischen Höllenlärm der Berufsbastarden
   und dem Boomtown der Bravo-Barden

Mit geselligem Gewieher und Gestichel
ans Gegenufer der Morgensichel
liefern Larifari-Legionen
Ellbogen-Elogen auf Feigenblatt-Falter
   und Hurra-Huren-Verwalter

Es wird bergschwere Beschwerden geben
und Heimleuchte und Argumenten-Armut
und die Exposition mit ausgebuchtem Anmut
         auf der Flöhen-Flotte

Es wird Weiten geben
in den Geschichten der Gegenwart
und das Getto-Leben
   im Kosmopolitanen-Epos
      und Sonnensturm-Slobos
         entfachen in Empörer-Echos
Trotztulpen werden blühen
   im Tränental
      auch Hochebenen-Holder
         im Polder
am Denkmal der Ungebrochenen

M. Kurtulus

   

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