XXV. Jahrgang, Heft 140
Apr - Mai - Jun 2006/2

 
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Letzte Änderung:
12.04.2006

 
 

 

 
 

 

 

MEINUNGEN–KARAWANSEREI

Deutsch als Pflichtsprache?


         
 
 

„Die Schulsprache unserer Schule ist Deutsch, die Amtssprache der Bundesrepublik Deutschland. Jeder Schüler ist verpflichtet, sich im Geltungsbereich der Hausordnung nur in dieser Sprache zu verständigen.“

Diese Passage ist aus der Hausordnung der Herbert-Hoover-Realschule im Berliner Bezirk Wedding und zeigt, dass die Auseinandersetzung um die vermeintliche deutsche Leitkultur offenbar auch die Schulhöfe erreicht hat. Eine Schulordnung - selbst wenn sie einstimmig beschlossen wurde - darf sich nicht über die Menschenrechte hinwegsetzen und einem jungen Menschen das Sprechen seiner Herkunftssprache verbieten. („Niemand darf wegen seiner ... Sprache benachteiligt oder bevorzugt werden“ - Artikel 3, Abs. 3 GG).

Alle einwanderer Kinder und Jugendliche müssen auch- neben dem Erlernen der deutschen Sprache- das Recht haben, ihre Muttersprache auf der Schule weiterzupflegen. Es geht nicht darum, ausländische Kinder gegen ihren oder Eltern Willen in der Herkunftssprache zu belassen oder zu bestärken, sondern es geht darum, dass einwanderer Kinder und die Jugendliche psychischen und geistigen Entwicklungsmöglichkeiten brauchen, wie sie jedes Kind deutscher Nationalität hat. Die Muttersprache ist die Basis für die psychische und geistige Entwicklung eines Menschen. Wer über sie nicht vollkommen verfügt, wer sie also in seinem Leben nicht altersadäquat hat entwickeln können, der hat nicht nur Schwierigkeiten in der Kommunikation mit Eltern, Verwandten und Freunden derselben Herkunftskultur, sondern der hat Probleme, und zwar sein Leben lang, in der Entwicklung des Denkens wie im Erwerb der Zweitsprache.

Daraus ergibt sich, dass der Muttersprachliche Unterricht durch seine gesamte Stellung in der Schule, im Curriculum, bei Versetzung und Zeugnissen eine attraktive Position haben muss.

Es gibt sicher Kinder und Jugendliche mit türkischem Migrationshintergrund, die im Milieu der eigenen Sprache aufwachsen und deren Deutschkenntnisse daher unzureichend sind oder sogar keine Deutschkenntnisse verfügen. Zur Integration gehört auch, dass die deutsche Gesellschaft die Verpflichtung übernimmt, jedem Einwanderer das Lernen der deutschen Sprache möglich zu machen. Sie müssen also schulisch so versorgt werden, dass sie die Beherrschung der deutschen Sprache erlernen können.

Zweitsprachigkeit soll als Chance verstanden werden, als Chance, die eigene sprachliche und kulturelle Welt durch eine andere zu ergänzen, zu relativieren, zu bereichern und damit einen wesentlichen Schritt hin zu einer internationalen Gesellschaft zu machen, die von den Prinzipien der Humanität, der Toleranz und des Friedens bestimmt ist.

Zweisprachige Schulen, in denen die Zweitsprache nicht nur intensiv erlernt wird, sondern in denen auch ein Teil des gesamten Unterrichtes in der Zweitsprache erteilt wird, ist ein pädagogisches Programm der Zukunft. Das nationale Schulverständnis muss abgelöst werden durch ein multiperspektivisches. Zumindest eine andere Sprache, eine andere Kultur muss möglichst vielen Kindern und jugendlichen selbstverständlicher Lebensraum werden.

Bilinguale Gymnasien mit Englisch und Französisch bereiten sich aus. Der Ansatz ist richtig, er darf sich allerdings nicht auf einen Teil der Schülerschaft, die besonders Leistungsfähigen, beschränken, und dieser Ansatz darf Sprachen, die nicht zu den dominierenden gehören (wie Türkisch), nicht ausschließen.

Die Probleme ausländischer Kinder und Jugendlicher in den Schulen müssen also unter einem sehr komplexen Ansatz angegangen werden. Soziale, sprachliche, kulturelle und weitere Aspekte müssen bedacht werden.

Es kann nicht von jeder Lehrerin und jedem Lehrer verlangt werden, wenigstens die Sprache eines Herkunftslandes zu kennen, selbst wenn dies wünschenswert wäre. Was aber verlangt werden muss, wofür Schulaufsicht und Fortbildung ebenso zu sorgen haben wie Lehrerinnen und Lehrer, ist dies: Pädagoginnen und Pädagogen müssen die spezifischen Schwierigkeiten ausländischer Kinder und Jugendlichen kennen und sich mit allen Kräften bemühen, diesen Schülerinnen und Schülern soweit wie irgend möglich gleiche Lernbedingungen wie deutschen Kindern zu verschaffen. Mit anderen Worten: interkulturelles Erziehen und Unterrichten ist die Verpflichtung. Dies ist eine Frage der Ausbildung, der Fortbildung, aber auch der Einstellung.

Die Menschen deutscher und ausländische Nationalität müssen lernen, miteinander zu leben und diesen Staat und seine Gesellschaft, die BRD, als gemeinsame Aufgabe zu begreifen, an deren Entwicklung alle Bürger, auch die eingewanderten, beteiligt sind. Das Grundgesetz, seine Ausdeutung, seine Weiterentwicklung sind nicht Angelegenheit von 90 Prozent Menschen, sondern Angelegenheit aller Menschen in Deutschland. Toleranz gegenüber abweichenden Auffassungen, insbesondere in Kultur und Religion, muss ebenso gelernt werden wie die Besinnung auf das Gemeinsame und Verbindende.

Mevlüt Asar
Duisburg

***

Wird es im Erdgeschoss der Humanität kalt...

Anekdoten von Kurt May


Die Philosophie des kleinen Mannes soll sein:
Hast du und bist du nichts, dann schweige nicht.

Wird in einer gemeinde gemeckert,
treibe man die Ziegen sofort zu den Böcken.

Politische Bücher sind meist Köter und Kläffer.
Sie eignen sich nicht als Hütehunde.

Die Vollbeschäftigung von Berufsverbrechern wird
nach dem Geldgesetz vollauf gewährt.

In den Hoheitsgewässern meiner Tränen
verbiete ich den Fang von Seufzerfischen.

Es geht eine böse Gesellschaftskrankheit um, lateinisch ab nego,
zu deutsch, mir scheißegal.

Ich habe Geldhunger, leide an Gebührenschmerzen,
doch mein Staatshausarzt behandelt keine Kassenpatienten.

Die Todesstrafe ist bei uns nur scheinbar abgeschafft.
So mancher Bürger wird heute hingerichtet durch sein Gehalt.

Ich habe meinen Verstand verloren. Im Fundbüro
behauptet plötzlich ein Aufsichtsbeamter, es wäre seiner.

Der ständige Hausbesuch der Sorge wird mir lästig,
obwohl ich anerkannter Pflegefall bin.

Anno Nero brannten die Häuser billiger.
Heute muss ein Brandstifter teures Benzin dafür einkaufen.

Mein Arzt stellte fest, ich habe Gesäßerweiterung.
Um Himmels willen! Ich werde das Arbeitsamt verklagen.

Meine Gramhaare sind zu lang. Mein Chef hat mich
wegen mangelnder Körperpflege entlassen.

Mancher leitet hier einen Deutschmeisterbetrieb
und ist durch die Deutschgesellenprüfung gefallen.

Neunundneunzig Prozent der Volksverdummer sind strahlungsunfähig.

Sei nicht gleich arschbereit, wenn du
Einen lackierten Stiefel des Schicksals hinter dir weißt.

Ich bin Kellerkind im Wohlstandsstaat.
Doch am Wahltag darf ich den Vordereingang benutzen.

Mancher bringt aus dem siebten Himmel nichts mit
als ein paar teuflische Gedanken und Wünsche.

Ich lasse mein Bewusstsein privatisieren. Mein Staat
kann die Unterhaltungskosten nicht mehr zahlen.

Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Schwachköpfen
bleibt immer noch der Biertisch.

Mode ist keine Körperpflege.
Sie pflegt allein das Konto des Geschäftemachers.

Wo sich niemand um andere Menschen sorgt,
kann man die zehn Gebote abschaffen.

Wie stark ist mancher Mann beim Öffnen einer Flasche
und wie schwach beim Prügeln seiner Frau.

Manche Erzieher und Eltern sind wahrlich prächtige Menschen.
Man muss sie nur fernhalten vom Kind.

Obdachlose schmecken uns nicht,
weil sie zu viel Bitterstoffe im Blut haben.

Mein Fein ist nicht jemand, der anders denkt,
mein Feind ist, wer Andersdenkende verfolgt.

Jedes Geben ist eine Fragestunde an das Herz.

Es kommt in einem Staat niemals zu einem Hassausgleich,
solange Leute am Hasswettbewerb verdienen.

Ich kenne einen, der wahrhaftig behauptet,
er habe einen Nichtblitz gesehen.

Ein Krieg ist immer ein Sack voller Ausreden,
nur eine fehlt, die eigene Schuld.

Ein Streit zwischen Hammeln kann interessant sein.
Der Zank von Schafen ist nicht auszuhalten.

Wenn ein Veilchen den letzten Frost besiegt hat,
macht es vor Freude einen kleinen Duftsprung.

Das letzte Zwischenglied zwischen Affe und Mensch ist
endlich gefunden. Der Sensationsreporter.

Ich fürchte keinen Tiger. Mein Kater sagt,
sein Onkel sei nicht böse.

Wird es im Erdgeschoss der Humanität kalt,
dann ziehen wir eben in den Keller der Gewalt.

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Stiftung Zentrum für Türkeistudien:

Kulturtage 2006


„Die Stiftung Zentrum für Türkeistudien (ZfT), die im Oktober 2005 ihr 20-jähriges Bestehen gefeiert hatte, hat es sich zur Aufgabe gemacht, einen Beitrag zur Erhöhung des Wissens- und Informationsstandes über die Türkei und die türkischen Migranten in der deutschen Öffentlichkeit zu leisten.

Das ZfT hat 2006 mit einer neuen Abteilung 'Kultur' ihre Arbeitsbereiche erweitert. Damit möchte das ZfT seine bisherigen kulturellen Aktivitäten ausweiten und darüber hinaus mit Unterstützung vieler namhafter Persönlichkeiten deutscher und türkischer Herkunft aus Kunst und Kultur auch einen deutsch-türkischen Kulturrat gründen. Das ZfT als Träger möchte damit den kulturellen Austausch zwischen der Türkei und Deutschland koordinieren und den deutsch-türkischen Dialog im kulturellen Bereich vertiefen.“ (Prof. Dr. Faruk Sen, ZfT-Direktor, im Programmheft)

Am 6. März 2006 begannen die Kulturtage des ZfT, und vielgestaltige Aktivitäten wurden bereits durchgeführt. Weitere Veranstaltungen stehen auf dem Mai-Programm: Lesung mit Yasar Kemal, Träger vielfacher internationaler Preise und des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels (1997); Internationales Symposium „Türkische Kultur in Europa“; Lesung mit Elif Safak, einer der gewichtigsten literarischen Stimmen der Türkei; Karikaturausstellung von Turhan Selcuk. Im September gibt es schließlich die Ausstellung „Pasabahce-Osmanische Glasmanufakturen“ sowie die ZfT-P3(Persönlichkeiten, Presse, Politik)-Gespräche.

Die Kulturtage 2006 der Stiftung Zentrum für Türkeistudien werden dem Themenschwerpunkt des Sommerheftes (Ausgabe 141, Juli-August-September 2006/3) der Vierteljahresschrift DIE BRÜCKE Gestalt geben. Hierzu noch ein Zwischenbericht:

Dr. Dirk Halm, Mitarbeiter des ZfT, über die Intention des Deutsch-Türkischen Kulturrates:

Es ist wichtig, auch die weichen Faktoren von Integration im Blick zu haben. Politische, wirtschaftliche und Bildungspartizipation von Migranten sollen in einem Klima stattfinden, in dem die Annäherung und das gegenseitige Verständnis von Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft gefördert wird. Hier ist der Kulturaustausch ein wichtiges Instrument. Daher veranstaltet das ZfT eine Reihe kultureller Aktivitäten im März, April und Mai 2006, teilweise in Kooperation mit anderen Institutionen sowie während der Reise- und Campingmesse Essen, bei der dieses Jahr die Türkei das Partnerland ist.

Alle Aktivitäten stehen im Kontext der Bewerbung Essens als Europäische Kulturhauptstadt 2010. Sie sollen die Entfaltung der türkischen Kultur in Essen deutlich machen und zugleich als Brücke zur Bewerbung Istanbuls als Kulturhauptstadt außerhalb der EU im Jahr 2010 fungieren. Mit den türkischen Filmtagen, die im Rahmen der Veranstaltungsreihe stattfinden, legen wir einen besonderen Schwerpunkt. Längst vor der Diskussion um den Film „Tal der Wölfe“ hatten sich die Veranstalter hierzu entschieden. Durch die Diskussionen der letzten Wochen bekommt die Filmtage nun aber besondere Aktualität. Auch im interkulturellen Zusammenleben wird damit Film als neues Leitmedium klar kenntlich. Als wichtiges Element der Populärkultur erschafft er Bilder des „Anderer“ und ist für den Zusammenhalt von Gesellschaft von außerordentlicher Bedeutung.

Die Türkische Kulturtage haben nicht nur Eventcharakter, sondern schließen mit der am 8. März 2006 erfolgten Gründung des deutsch-türkischen Kulturrates auch konzeptionelle Ansätze mit ein. Die Gründung des neuen Gremiums geht zurück auf eine Initiative der Stiftung Zentrum für Türkeistudien. Sie erwartet sich davon Synergien im deutsch türkischen Kulturaustausch: Dadurch, dass die Akteure von ihren Erfahrungen profitieren, kann der Kulturaustausch zwischen Deutschland und der Türkei maßgeblich befördert werden - indem Problemlösungskompetenzen steigen, Ideen transportiert und Kooperationen geschlossen werden. Im Kulturrat sind zehn deutsche und sieben türkeistämmige Mitglieder organisiert. Neben der förmlichen Gründung wurde auf der gestrigen ersten Sitzung eine Unterarbeitsgruppe gebildet, die eine Satzung und die Arbeitgrundlagen entwerfen soll. Diese Gruppe besteht aus Gülay Kizilocak (ZfT), Tayfun Demir (Stadtbibliothek Duisburg) und Jörg Stüdemann (Beigeordneter für Kultur der Stadt Dortmund).

Stiftung Zentrum für Türkeistudien, Altendorfer Straße 3 45127 Essen • www.zft-online.de

   

Netzbrücke:

• Necati Merts Kolumne

• Mehr lesenswertes Textmaterial

• Wider den Schwarzen Winter

• Porträt des Periodikums