„Die Schulsprache unserer Schule ist Deutsch,
die Amtssprache der Bundesrepublik Deutschland. Jeder Schüler
ist verpflichtet, sich im Geltungsbereich der Hausordnung nur in
dieser Sprache zu verständigen.“
Diese Passage ist aus der Hausordnung der Herbert-Hoover-Realschule
im Berliner Bezirk Wedding und zeigt, dass die Auseinandersetzung
um die vermeintliche deutsche Leitkultur offenbar auch die Schulhöfe
erreicht hat. Eine Schulordnung - selbst wenn sie einstimmig beschlossen
wurde - darf sich nicht über die Menschenrechte hinwegsetzen
und einem jungen Menschen das Sprechen seiner Herkunftssprache verbieten.
(„Niemand darf wegen seiner ... Sprache benachteiligt oder
bevorzugt werden“ - Artikel 3, Abs. 3 GG).
Alle einwanderer Kinder und Jugendliche müssen
auch- neben dem Erlernen der deutschen Sprache- das Recht haben,
ihre Muttersprache auf der Schule weiterzupflegen. Es geht nicht
darum, ausländische Kinder gegen ihren oder Eltern Willen in
der Herkunftssprache zu belassen oder zu bestärken, sondern
es geht darum, dass einwanderer Kinder und die Jugendliche psychischen
und geistigen Entwicklungsmöglichkeiten brauchen, wie sie jedes
Kind deutscher Nationalität hat. Die Muttersprache ist die
Basis für die psychische und geistige Entwicklung eines Menschen.
Wer über sie nicht vollkommen verfügt, wer sie also in
seinem Leben nicht altersadäquat hat entwickeln können,
der hat nicht nur Schwierigkeiten in der Kommunikation mit Eltern,
Verwandten und Freunden derselben Herkunftskultur, sondern der hat
Probleme, und zwar sein Leben lang, in der Entwicklung des Denkens
wie im Erwerb der Zweitsprache.
Daraus ergibt sich, dass der Muttersprachliche Unterricht
durch seine gesamte Stellung in der Schule, im Curriculum, bei Versetzung
und Zeugnissen eine attraktive Position haben muss.
Es gibt sicher Kinder und Jugendliche mit türkischem
Migrationshintergrund, die im Milieu der eigenen Sprache aufwachsen
und deren Deutschkenntnisse daher unzureichend sind oder sogar keine
Deutschkenntnisse verfügen. Zur Integration gehört auch,
dass die deutsche Gesellschaft die Verpflichtung übernimmt,
jedem Einwanderer das Lernen der deutschen Sprache möglich
zu machen. Sie müssen also schulisch so versorgt werden, dass
sie die Beherrschung der deutschen Sprache erlernen können.
Zweitsprachigkeit soll als Chance verstanden werden,
als Chance, die eigene sprachliche und kulturelle Welt durch eine
andere zu ergänzen, zu relativieren, zu bereichern und damit
einen wesentlichen Schritt hin zu einer internationalen Gesellschaft
zu machen, die von den Prinzipien der Humanität, der Toleranz
und des Friedens bestimmt ist.
Zweisprachige Schulen, in denen die Zweitsprache nicht
nur intensiv erlernt wird, sondern in denen auch ein Teil des gesamten
Unterrichtes in der Zweitsprache erteilt wird, ist ein pädagogisches
Programm der Zukunft. Das nationale Schulverständnis muss abgelöst
werden durch ein multiperspektivisches. Zumindest eine andere Sprache,
eine andere Kultur muss möglichst vielen Kindern und jugendlichen
selbstverständlicher Lebensraum werden.
Bilinguale Gymnasien mit Englisch und Französisch
bereiten sich aus. Der Ansatz ist richtig, er darf sich allerdings
nicht auf einen Teil der Schülerschaft, die besonders Leistungsfähigen,
beschränken, und dieser Ansatz darf Sprachen, die nicht zu
den dominierenden gehören (wie Türkisch), nicht ausschließen.
Die Probleme ausländischer Kinder und Jugendlicher
in den Schulen müssen also unter einem sehr komplexen Ansatz
angegangen werden. Soziale, sprachliche, kulturelle und weitere
Aspekte müssen bedacht werden.
Es kann nicht von jeder Lehrerin und jedem Lehrer
verlangt werden, wenigstens die Sprache eines Herkunftslandes zu
kennen, selbst wenn dies wünschenswert wäre. Was aber
verlangt werden muss, wofür Schulaufsicht und Fortbildung ebenso
zu sorgen haben wie Lehrerinnen und Lehrer, ist dies: Pädagoginnen
und Pädagogen müssen die spezifischen Schwierigkeiten
ausländischer Kinder und Jugendlichen kennen und sich mit allen
Kräften bemühen, diesen Schülerinnen und Schülern
soweit wie irgend möglich gleiche Lernbedingungen wie deutschen
Kindern zu verschaffen. Mit anderen Worten: interkulturelles Erziehen
und Unterrichten ist die Verpflichtung. Dies ist eine Frage der
Ausbildung, der Fortbildung, aber auch der Einstellung.
Die Menschen deutscher und ausländische Nationalität
müssen lernen, miteinander zu leben und diesen Staat und seine
Gesellschaft, die BRD, als gemeinsame Aufgabe zu begreifen, an deren
Entwicklung alle Bürger, auch die eingewanderten, beteiligt
sind. Das Grundgesetz, seine Ausdeutung, seine Weiterentwicklung
sind nicht Angelegenheit von 90 Prozent Menschen, sondern Angelegenheit
aller Menschen in Deutschland. Toleranz gegenüber abweichenden
Auffassungen, insbesondere in Kultur und Religion, muss ebenso gelernt
werden wie die Besinnung auf das Gemeinsame und Verbindende.
Mevlüt Asar
Duisburg
***
Wird es im Erdgeschoss der Humanität
kalt...
Anekdoten von Kurt May
Die Philosophie des kleinen Mannes soll sein:
Hast du und bist du nichts, dann schweige nicht.
Wird in einer gemeinde gemeckert,
treibe man die Ziegen sofort zu den Böcken.
Politische Bücher sind meist Köter und Kläffer.
Sie eignen sich nicht als Hütehunde.
Die Vollbeschäftigung von Berufsverbrechern wird
nach dem Geldgesetz vollauf gewährt.
In den Hoheitsgewässern meiner Tränen
verbiete ich den Fang von Seufzerfischen.
Es geht eine böse Gesellschaftskrankheit um,
lateinisch ab nego,
zu deutsch, mir scheißegal.
Ich habe Geldhunger, leide an Gebührenschmerzen,
doch mein Staatshausarzt behandelt keine Kassenpatienten.
Die Todesstrafe ist bei uns nur scheinbar abgeschafft.
So mancher Bürger wird heute hingerichtet durch sein Gehalt.
Ich habe meinen Verstand verloren. Im Fundbüro
behauptet plötzlich ein Aufsichtsbeamter, es wäre seiner.
Der ständige Hausbesuch der Sorge wird mir lästig,
obwohl ich anerkannter Pflegefall bin.
Anno Nero brannten die Häuser billiger.
Heute muss ein Brandstifter teures Benzin dafür einkaufen.
Mein Arzt stellte fest, ich habe Gesäßerweiterung.
Um Himmels willen! Ich werde das Arbeitsamt verklagen.
Meine Gramhaare sind zu lang. Mein Chef hat mich
wegen mangelnder Körperpflege entlassen.
Mancher leitet hier einen Deutschmeisterbetrieb
und ist durch die Deutschgesellenprüfung gefallen.
Neunundneunzig Prozent der Volksverdummer sind strahlungsunfähig.
Sei nicht gleich arschbereit, wenn du
Einen lackierten Stiefel des Schicksals hinter dir weißt.
Ich bin Kellerkind im Wohlstandsstaat.
Doch am Wahltag darf ich den Vordereingang benutzen.
Mancher bringt aus dem siebten Himmel nichts mit
als ein paar teuflische Gedanken und Wünsche.
Ich lasse mein Bewusstsein privatisieren. Mein Staat
kann die Unterhaltungskosten nicht mehr zahlen.
Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Schwachköpfen
bleibt immer noch der Biertisch.
Mode ist keine Körperpflege.
Sie pflegt allein das Konto des Geschäftemachers.
Wo sich niemand um andere Menschen sorgt,
kann man die zehn Gebote abschaffen.
Wie stark ist mancher Mann beim Öffnen einer
Flasche
und wie schwach beim Prügeln seiner Frau.
Manche Erzieher und Eltern sind wahrlich prächtige
Menschen.
Man muss sie nur fernhalten vom Kind.
Obdachlose schmecken uns nicht,
weil sie zu viel Bitterstoffe im Blut haben.
Mein Fein ist nicht jemand, der anders denkt,
mein Feind ist, wer Andersdenkende verfolgt.
Jedes Geben ist eine Fragestunde an das Herz.
Es kommt in einem Staat niemals zu einem Hassausgleich,
solange Leute am Hasswettbewerb verdienen.
Ich kenne einen, der wahrhaftig behauptet,
er habe einen Nichtblitz gesehen.
Ein Krieg ist immer ein Sack voller Ausreden,
nur eine fehlt, die eigene Schuld.
Ein Streit zwischen Hammeln kann interessant sein.
Der Zank von Schafen ist nicht auszuhalten.
Wenn ein Veilchen den letzten Frost besiegt hat,
macht es vor Freude einen kleinen Duftsprung.
Das letzte Zwischenglied zwischen Affe und Mensch
ist
endlich gefunden. Der Sensationsreporter.
Ich fürchte keinen Tiger. Mein Kater sagt,
sein Onkel sei nicht böse.
Wird es im Erdgeschoss der Humanität kalt,
dann ziehen wir eben in den Keller der Gewalt.
***
Stiftung Zentrum für Türkeistudien:
Kulturtage 2006
„Die Stiftung Zentrum für Türkeistudien (ZfT), die
im Oktober 2005 ihr 20-jähriges Bestehen gefeiert hatte, hat
es sich zur Aufgabe gemacht, einen Beitrag zur Erhöhung des
Wissens- und Informationsstandes über die Türkei und die
türkischen Migranten in der deutschen Öffentlichkeit zu
leisten.
Das ZfT hat 2006 mit einer neuen Abteilung 'Kultur'
ihre Arbeitsbereiche erweitert. Damit möchte das ZfT seine
bisherigen kulturellen Aktivitäten ausweiten und darüber
hinaus mit Unterstützung vieler namhafter Persönlichkeiten
deutscher und türkischer Herkunft aus Kunst und Kultur auch
einen deutsch-türkischen Kulturrat gründen. Das ZfT als
Träger möchte damit den kulturellen Austausch zwischen
der Türkei und Deutschland koordinieren und den deutsch-türkischen
Dialog im kulturellen Bereich vertiefen.“ (Prof. Dr. Faruk
Sen, ZfT-Direktor, im Programmheft)
Am 6. März 2006 begannen die Kulturtage des ZfT,
und vielgestaltige Aktivitäten wurden bereits durchgeführt.
Weitere Veranstaltungen stehen auf dem Mai-Programm: Lesung mit
Yasar Kemal, Träger vielfacher internationaler Preise und des
Friedenspreises des Deutschen Buchhandels (1997); Internationales
Symposium „Türkische Kultur in Europa“; Lesung
mit Elif Safak, einer der gewichtigsten literarischen Stimmen der
Türkei; Karikaturausstellung von Turhan Selcuk. Im September
gibt es schließlich die Ausstellung „Pasabahce-Osmanische
Glasmanufakturen“ sowie die ZfT-P3(Persönlichkeiten,
Presse, Politik)-Gespräche.
Die Kulturtage 2006 der Stiftung Zentrum für
Türkeistudien werden dem Themenschwerpunkt des Sommerheftes
(Ausgabe 141, Juli-August-September 2006/3) der Vierteljahresschrift
DIE BRÜCKE Gestalt geben. Hierzu noch ein Zwischenbericht:
Dr. Dirk Halm, Mitarbeiter des ZfT, über
die Intention des Deutsch-Türkischen Kulturrates:
Es ist wichtig, auch die weichen Faktoren von Integration
im Blick zu haben. Politische, wirtschaftliche und Bildungspartizipation
von Migranten sollen in einem Klima stattfinden, in dem die Annäherung
und das gegenseitige Verständnis von Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft
gefördert wird. Hier ist der Kulturaustausch ein wichtiges
Instrument. Daher veranstaltet das ZfT eine Reihe kultureller Aktivitäten
im März, April und Mai 2006, teilweise in Kooperation mit anderen
Institutionen sowie während der Reise- und Campingmesse Essen,
bei der dieses Jahr die Türkei das Partnerland ist.
Alle Aktivitäten stehen im Kontext der Bewerbung
Essens als Europäische Kulturhauptstadt 2010. Sie sollen die
Entfaltung der türkischen Kultur in Essen deutlich machen und
zugleich als Brücke zur Bewerbung Istanbuls als Kulturhauptstadt
außerhalb der EU im Jahr 2010 fungieren. Mit den türkischen
Filmtagen, die im Rahmen der Veranstaltungsreihe stattfinden, legen
wir einen besonderen Schwerpunkt. Längst vor der Diskussion
um den Film „Tal der Wölfe“ hatten sich die Veranstalter
hierzu entschieden. Durch die Diskussionen der letzten Wochen bekommt
die Filmtage nun aber besondere Aktualität. Auch im interkulturellen
Zusammenleben wird damit Film als neues Leitmedium klar kenntlich.
Als wichtiges Element der Populärkultur erschafft er Bilder
des „Anderer“ und ist für den Zusammenhalt von
Gesellschaft von außerordentlicher Bedeutung.
Die Türkische Kulturtage haben nicht nur Eventcharakter,
sondern schließen mit der am 8. März 2006 erfolgten Gründung
des deutsch-türkischen Kulturrates auch konzeptionelle Ansätze
mit ein. Die Gründung des neuen Gremiums geht zurück auf
eine Initiative der Stiftung Zentrum für Türkeistudien.
Sie erwartet sich davon Synergien im deutsch türkischen Kulturaustausch:
Dadurch, dass die Akteure von ihren Erfahrungen profitieren, kann
der Kulturaustausch zwischen Deutschland und der Türkei maßgeblich
befördert werden - indem Problemlösungskompetenzen steigen,
Ideen transportiert und Kooperationen geschlossen werden. Im Kulturrat
sind zehn deutsche und sieben türkeistämmige Mitglieder
organisiert. Neben der förmlichen Gründung wurde auf der
gestrigen ersten Sitzung eine Unterarbeitsgruppe gebildet, die eine
Satzung und die Arbeitgrundlagen entwerfen soll. Diese Gruppe besteht
aus Gülay Kizilocak (ZfT), Tayfun Demir (Stadtbibliothek Duisburg)
und Jörg Stüdemann (Beigeordneter für Kultur der
Stadt Dortmund).
Stiftung Zentrum für Türkeistudien, Altendorfer
Straße 3 45127 Essen • www.zft-online.de
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