XXV. Jahrgang, Heft 140
Apr - Mai - Jun 2006/2

 
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Letzte Änderung:
12.04.2006

 
 

 

 
 

 

 

DIE BRÜCKE AN DER SPREE

Neuköllner Phänomenologie - Eine Kolumne von Ni Gudix
Hausaffentango II: Zur Gattungsspezifizierung.
Von Prenzlauer Berg nach Neukölln

   
 
 

Der Hausaffe (lat. semiolus domesticus) kommt in den besten Familien vor. Er ist in seiner Urform ein Bergtier. Die ersten Exemplare der Spezies wurden um 1990 herum in diversen mehr oder weniger maroden Altbaukolchosen in Prenzlauer Berg gesichtet. Der Hausaffe stammt einerseits vom Homo sapiens bzw. von dessen Großonkel, dem Schimpansen, andererseits von der Hauszecke (lat. ricinus domesticus) ab; je nach Genotyp, d.h. je nach Dominanz des rizinären oder homoiden Erbguts, werden daher Haupt- und Nebenaffen unterschieden (semiolus domesticus maximus bzw. semiolus domesticus minimus); der Nebenaffe wird oft auch als Halbaffe (semi-semiolus domesticus) bezeichnet. Phänotypisch unterscheiden sich Haupt- und Halbaffen kaum voneinander; vom Homo sapiens und von der Hauszecke sind sie phänotypisch allerdings jeweils gleich weit entfernt.

Der natürliche Lebensraum des Hausaffen ist die urbane Kolchose. Hier leben oftmals drei oder mehr Hausaffen zusammen in einer Kolchose; wer dann Haupt- und wer Nebenaffe ist, ist in solchen Fällen kaum mehr auszumachen, es sei denn, ein Homo sapiens kommt dazu - dann erkennt man die Hauptaffen daran, daß sie den Nebenaffen etwas von Verantwortung zu erzählen versuchen, um so ihren geringeren Abstand zum Homo sapiens zu verdeutlichen. Was Verantwortung bedeutet, wissen die Hauptaffen dabei selbstverständlich auch nicht; sie kennen nur das Wort, und das zementiert sie in ihrem dem Nebenaffen überlegenen Status.

Hausaffen leben in Rissen und Nischen. Dies ist der Grund, warum um 1990 herum die diversen Altbauwohnungen in Ost-Berlin zu urbanen Kolchosen umfunktioniert wurden: die DDR war zusammengebrochen und hatte vor allem Risse hinterlassen. Hier begannen sich die Hausaffen anzusiedeln, und hier lebten sie bis etwa 1995 herum fast ausschließlich. Dann, nachdem viele Ex-DDR-Risse von der BRD gekittet und damit der natürliche Lebensraum der Hausaffen teilweise zerstört worden war, begannen sie sich über die restliche Stadt zu verteilen. Dabei wurden Pankow, Friedrichshain und vor allem Neukölln zu den Zonen mit der höchsten Hausaffendichte.

Zu beachten ist dabei, daß sich der Hausaffe nicht auf natürliche Weise vermehrt, sondern per Telefon: er ruft einen Artgenossen an, der bisher in der Forschung noch nicht registriert wurde und sich bisher außerhalb Berlins aufgehalten hatte, und bittet ihn, herzukommen. Dies zeigt, daß sich die Hausaffenforschung noch in den Kinderschuhen befindet; da außerhalb Berlins das Phänomen des Hausaffen nur sehr selten aufgetaucht war, sah man es nicht als nötig an, ihn gesondert zu beobachten - er wurde als „Untermieter“ spezifiziert und fristete so unter seinen Teilverwandten, den Homines sapientes, ein Minderheiten- bzw. Mutantendasein. Man kam früher einfach noch nicht darauf, das Erbgut des Hausaffen zu untersuchen; seine genotypische Verwandtschaft mit der Hauszecke und seine phänotypische Absonderlichkeit, die ihn von normalen Homines sapientes wesentlich unterscheidet, machte ihn dort zu einer Art Außenseiter. Erst wenn er nach Berlin kommt, blüht er auf.

Was die natürliche Vermehrung betrifft, so zeigt sich auch hier der Unterschied zwischen Semiolus domesticus und Homo sapiens: der Hausaffe ist asexuell. Er kennt keinerlei Zärtlichkeiten, er kennt weder die Praxis des Küssens noch die des Vögelns, und der klassische Händedruck erscheint ihm überflüssig und lästig. Die Geschlechtsteile des männlichen Homo sapiens sind bei ihm zwar vorhanden, aber verkümmert und rückläufig und daher nicht mehr zu gebrauchen. (Es gibt einige Ausnahmefälle in Prenzlauer Berg, wo sich eine Frau in einen Hausaffen verliebte und somit seine nutzlosen Teile wieder funktionsfähig machte; dies erklärt teilweise auch den Babyboom in Prenzlauer Berg zur Zeit, denn wenn sich ein Hausaffe auf natürliche Weise vermehrt, dann legt er gleich richtig los. Die Hausaffen, die diesen Sprung ins Lager des Homo sapiens machten, waren aber ohnehin vorher schon mit einer größeren Menge homoiden Erbguts ausgestattet; die rizinär dominanteren Affen leben und vermehren sich nach wie vor nach Hausaffenart.)

***

Die Kolumne wird fortgesetzt. Nächstes Mal: Hausaffentango III: Die Affen rasen durch den Wald oder: Haupt- und Nebenaffen in Neukölln.

   

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