XXV. Jahrgang, Heft 140
Apr - Mai - Jun 2006/2

 
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Letzte Änderung:
12.04.2006

 
 

 

 
 

 

 

IN DEN KULISSEN DER TEUTOZENTRALE

Der Kulturen-Komet auf Konfrontationskurs
Patronaten-Drang der Dragoner-Patrouille
Vorfrühlingsnotate von Necati Mert

   
 
 

Dem kritischen Blick aufs Gestern liegt Kraft zugrunde, wenn ihm der Blütentraum vom Morgen innewohnt. Wer das Gewesene schlecht benotet, muß sich davon ein Bild machen, was für das Künftige gut ist.

Einzigartige Konturen kreuzen im Revier der Revuen und Revolverblätter. Hinter der Larve der humanitären Lesart lassen die Larifari-Legionen keine Differenz zu rassistischen Radikalen erkennen, liefern dieselben Litaneien in die Tretmühle und leisten behände den bellizistischen Blendern der Plutokraten-Pyramide willfährigen Handlangerdienst, bürsten beharrlich libertäre Weltbilder gegen den Strich, lobhudeln unterschwellig jene Zuchtstätten, die seit der Renaissance der Kreuzzugskulte unter Star and Stripes Hochblüte zeitigen.

Je toleranter sich das Aktionären-Varieté der aufklärerischen Werte-Warte und ihre Kumpanen der Tugendtünche dünken, desto totalitärer gestalten sich die gesellschaftlichen Dominanzen. Solange außerhalb der Mauern des Parlamentarismus kein Spielraum Licht ausstrahlt, alles im retrospektiven Schlagschatten der bürgerlichen Borniertheit auf der Stelle tritt und die sozial revolutionären Ideale durch die Graben-Garden des Marktes zugemauert bleiben, fruchtet die Furcht.

Die postmoderne Revue der Reaktion hat nur eine Botschaft: Es gibt keinen Morgen, alles muß ins Heute integriert werden. Die sekulären Systeme und die Subsistenz-Existenzen werden so selektiv suggeriert, daß daraus die Segmente eines absoluten Gottvertrauens dem sakrosankten Syndikat der Grossisten subsumiert sowie durch die Orwellsche Gedankengewalt stigmatisiert werden.

Im Tarnanstrich „Demokraten gegen Theokraten“ formiert sich eine renovierte Kriecher-Kompanie einer monetär renommierten Reformatoren-Meute. Mit einem von EMMA-Patrona Alice Schwarzer aufgemöbelten „Manifest der 12“ (Apostel) propagiert sie einen ideologisch novellierten Gemeinplatz gegen einen trotzigen „Totalitarismus“, brütet aus dem Windhauch einen mysteriösen Zyklon aus, nämlich einen zornroten „Islamismus“ und klassifiziert ihn als „eine reaktionäre Ideologie, die Gleichheit, Freiheit und Sekularität tötet.“ Zutage tritt im blauen Dunst des hohlen Werte-Universalismus von Neuem der militante Missionarismus, der den Häuptern der okzidental ökonomischen Tyrannei die Absolution erteilt. Zugleich zeichnet sich die aufklärerisch artikulierte Attacke als das Manöver für die Renaissance des Kolonialismus im höchsten Stadium. Ihm geben nicht mehr die barfüßigen Bataillone der Schwarzröcke Geleit, sondern die freiheitlich-demokratisch fingierte Formation der endkapitalistischen Fundationen. Anders läßt sich das System der Freibeuter- und Zinszyklonen nicht instand halten, jedenfalls nicht allein mit lauter vervielfältigten Effekten und Brokergebrüll.

Überwältigt vom Megären-Mythos fühlt sich Alice Schwarzer als Feldherrin eines Dragoner-Korps in einem islamophob gefächerten Geflecht. Zuletzt in der März-April-Ausgabe ihres Blattes zieht sie über die beiden Autoren eines „Offenen Briefs“ in „Die Zeit“ vom 1. Februar 2006, Yasemin Karakasoglu und Mark Terkessidis, vom Leder, der - unterzeichnet von 60 Migrationsforschern - unter dem Titel „Gerechtigkeit für Muslime“ stand. Die Denkschrift hält der Publikation „Die fremde Braut“ von Necla Kelek generalisierendes Gehabe vor, was Schwarzer zum Gegenstoß anregt. Dabei nimmt sie von jedweder inhaltlichen Kritik Abstand und nähert sich der Logik der Denunziation, um die „Islamisten-Freunde“ ans Kreuz schlagen: „Yasemin Karakasoglu und Mark Terkessidis. Die eine ist Erziehungswissenschaftlerin an der Uni Bremen und der andere ist freier Autor in Köln. Beide haben interessanter Weise binationale Eltern, sie einen türkischen Vater, er einen griechischen. Sie kommt aus der militanten Pro-Kopftuchszene, deren hervorragende Stimme sie ist; er kommt aus der radikalen Linken.“

Die Patrona der Dragoner-Patrouille bewölkt den zentralen Horizont der geschlechtlichen Knechtschaft, deren Wurzeln wesentlich in der imperialistischen Inbesitznahme des Orients liegen. Ohne die willfährige Kollaboration der dortigen Stammessysteme haben die imperialen Invasionen keine Stütze, die sich wiederum den feudalen Überresten den Fortbestand. Folglich sympathisieren die Freiwilligen-Formationen des Europiden-Forts nicht mit den Protagonisten der gesellschaftlichen Emanzipation, den national-revolutionären Kräften, in der Peripherie, sondern lassen sich dem metropolitan hegemonialen Augenmerk missionarischen Maschenwerks unterordnen. Auch hier. Sie schwärzen jegliche Parteinahme für die Autonomie-Tendenzen innerhalb der eingewanderten Quartiere und tun sie als spartanische Schwärmerei, separatistisch strukturiertes Lehrgebäude ab oder gar als Kanaken-Krakeel und versuchen gleichzeitig, unterwürfig integrative Initiativen anzuhimmeln.

Als gegenstandslos gelten Endprodukte jener bürokratisch partizipierten Publizisten, die nicht über den Marktwert verfügen, dem kulturell konzipierten Neorassismus Argumente sowie instinktive Munitionen zuzuspielen. Gesprungen mit Hang zum Dramatisieren auf den Zug der Loyalitätsliteratur kommen immer mehr Autorinnen von emphatischen Pamphleten zum Vorschein. Honoriert werden sie nicht wegen ihres emanzipatorischen Gewichts für eine libertäre Bürgerrepublik, sondern wegen der Verwertbarkeit ihrer Textmaterials, die Angeprangerten an den Pranger zu stellen.

Das ethnozentrische Augenmerk der Intelligentsia wendet sich dem schwachen Geschlecht in den Türken-Gettos zu. In den Regalen der Bücherstuben türmt sich der Stapel der Biografie-Produkte immer höher, die den Leidensweg der anatolischen Mütter und Töchter in den trübsten Tönen nachzeichnen.


Fulminant auf der Suche nach Supergermanen

Es kriselt allerwärts. Die Fragelust der Regentschaft reift heran im fragilen Menschenpark zwischen Standpauke und Staatssatire. Zum Beispiel der Hessen-Test zum Kreuzverhör der Staatsbürgerschafts-Aspiranten, durch den sich der laut verbürgte rechtmäßige Anspruch auf Autochthonen-Status erneut als Farce entpuppt.

Auf hundert Fragen haben die allochthonen Einwohner zu antworten, sie enthalten alle Episoden der deutschen Geschichte und Gegenwart. Irgend etwas nicht parat, gehen die Examinanden leer aus. Wird er auf den Bereich der bereits den staatlichen Status besitzenden Normalbürger erweitert, droht selbst der Bundeskanzlerin, ausgebürgert zu werden - vielleicht muß sie dann ihre Karriere als Ziegenmelkerin auf den Alpenpässen fortsetzen. Und die laut gefeierte Freiheitskämpferin der „fremden Bräute“ und Hintermännin des leidlichen „Gesprächsleitfadens“ in Baden-Württemberg, Necla Kelek? Auch sie läuft Gefahr, wieder in das peripheres Parkett der orientalischen Patriarchen evakuiert zu werden.

Vielleicht schwante ihr ein solches Schicksal, und sie erstellte daher die Streitschrift „Die verlorenen Söhne“, die sie Mitte März 2006 auf den publizistischen Markt brachte. Darin plädiert sie für die „Befreiung des deutsch-türkischen Mannes“ und womöglich für einen Gesetzerlaß, der die Muselmanen-Jünglinge festnagelt, gegen ihre in „archaischen Stammestraditionen“ festgefahrenen Väter zu revoltieren.

Die Rezitatoren der grauen Neugermanen müssen auf das Handlanger-Hallo nicht mehr warten. Als medial geadelte Patrona bestätigt Kelek lautstark und am laufenden Band, was sie schon immer über die ungebändigten Untertanen orientalischer Despotismen im Oberstübchen zu denken pflegte.

Gerühmt wird sie vornehmlich als eine der Vorreiterinnen eines kulturellen Dammbruchs in „Spiegel Online“ vom 16. März 2006 von Henryk M. Broder, dem Impresario der Berufsjuden, der sein Augenmerk letztens dem schwer assimilierbaren Bereich der Almancis widmet. Für ihn dreht es sich da um mehr als um „die verlorenen Söhne“, nämlich „muslimische Frauen“, die „derzeit die heftigsten Debatten auslösen, weil sie einen klaren Blick für die Situation und keine Angst haben, ausgegrenzt zu werden, da sie es schon sind. Frauen wie die Niederländerin Ayaan Hirsi Ali, die Kanadierin Irshad Manji, die Amerikanerin Wafa Sultan und die Deutsche Necla Kelek, eine Hand voll Dissidentinnen und Ketzerinnen, die sich nicht nur gegen ihre Familien behaupten mussten, sondern auch gegen eine große Koalition aus Ignoranten und Gutmenschen, die den Diskurs bestimmen wollen. Freilich: Jeder soziale und kulturelle Dammbruch fängt mit winzigen Haarrissen an. Es geht nicht anders.“

Necla Kelek scheint familiäres Asyl im Autoritäten-Aufenthalt des obrigkeitlich volksstaatlichen Konstrukts gefunden zu haben, nachdem sie vorgeblich von ihrer Familie verstoßen wurde. Sie glaubt hierbei Heldenmut zeigen zu müssen im intellektuellen Hilfsdienst für die Philanthropen auf den Machtsesseln. Kontrafaktisch bleiben ihre Parabeln nun erst recht - orientiert an den Bedarf des majoritären Manierens mit germanophilen Codes aufklärerischer Provenienz. Hauptsache, die Heimleuchte sitzt, und sie feiert fröhliche Urständ - angelehnt an den Wachtturm der Journaillen-Junta.

Gewöhnlich filtern die Musketiere der medialen Meute für die Mehrheit beliebte Informationen. Sie funktionieren als Motoren und Multiplikatoren des Mechanismus, der soziale Lebenswelten ethnisch definierten und den Ethnizismus notfalls erdichten. Sie jagen nach Themen, die sich eignen, beim breiten Publikum hohe Wellen zu schlagen. Sie zementieren die im Inneren der Autochthonen ausgebildete Hierarchien gemäß der Zugehörigkeitskonstellation völkischer Formation. Allochthone Einwohner, die den künftigen Loyalitätsnachweis nicht erbringen können, werden zu potentiellen Proleten erklärt in Gefahrenzonen unter dem Label Gettos - dem Spott des Abgeschotteten sowie dem Angriff der ethnisch anständig Angepaßten anheimgestellt.

Der Text des hessischen Loyalitätskontroll-Testes für mögliche Inhaber eines Ausweises mit dem Adler-Deckel als amtlich ambitioniertes Emblem bewegt sich zwischen strapaziöser Sanktion und skandalöser Satire, kann auch als lausekalter Kalauer am Fachgesprächskamin an Fahrt gewinnen. Für die Spaßsöldner und Leitkultur-Legionen der „Vierten Gewalt“ stellt er jedenfalls ein spezielles Spektakel dar. Sie jagen einer eingängigen Leidenschaft nach, nämlich die metropolitan heimatliche Erwerbsgesellschaft des Welt-Kapitalismus vor der heimlichen Invasionsgefahr durch orientale Spezies in Gewahr zu nehmen. Ob in verteilten Rollen oder Personalunion, die Advokaten der imperialen Inspirationen und die Inspektoren der integrationalen Intention schließen sich an jenem stets startklaren Statement für die Spätankömmlinge, welches das gleiche Gewicht auf die Waage bringen soll wie das Schaumschlagwort der Chancengleichheit.

Die 100 Gebote im Treue-Kontroll-Katalog enthalten ziemlich zweideutige Fragen, die selbst der Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki nicht mühelos bestehen könnte. Sicher sei er sich jedenfalls nicht. Offen ethnophobe Aversionen wohnen ihnen nicht bei, und sie sind jedenfalls pfiffiger formuliert als ihr baden-württembergisches Pendant „Gesprächsleitfaden“, der nicht den Wissensstand der Prüflinge, sondern ihr sittsames Gewissen auf die Probe, somit alle unter den Generalverdacht des „islamistischen Totalitarismus“ bzw. „Terrorismus“ stellt. Nichtsdestotrotz bleibt das hessische Katalogwerk ein spitzfindiger, kulturalistisch befangener und kränkender Wertetest des germanophilen Volksstaates.


Der demographisch dominierte philanthropische Rassismus

Das starke Geschlecht orientalischen Schlags scheint längst den konventionellen Wert für die spätkapitalistische Erwerbsgesellschaft verloren zu haben, seit die Werkhallen, die auf Fronarbeit der rüstigen Fremdenlegionen angewiesen sind, ihre Toren schlossen. Der anatolische Hinterwäldler, der sich in das alternierte Rentier-Regime der Altennation nicht wohlfeil adaptieren läßt, gilt nur noch als Störfaktor im Reservoir der Überflüssigen. Hingegen benötigt die ramponierte Rentnerrepublik fragile fertile Evas. Als hellhörige Angehörigen der systemkonform freiheitlichen Fraternitätsfront werden diejenigen Heldinnen wertachtet, denen es gelang, in ihren Biographien die feudalen Überreste aus dem Weg zu räumen. Doch ihre provisorische Rolle für die gesellschaftliche Emanzipation bleibt auf der Bühne des Marionettentheaters. Und das begünstigt die gebieterischen Stabsakteure des Hegemons, ihre kreuzzugsmentalen Gebote im Hinblick auf kolonisatorische Expansion in den Kardinalpunkt zu rücken.

In den retrospektiv repressiven Verhältnissen innerhalb der familiären Verbünde sehen sie einzig fremdverschuldete Antriebe und keine sozio-ökonomischen Zwänge. Zu klagen haben unter kulturalistisch kumulierten Maßgaben die Frauen migrantischen Hintergrunds vor allem als Reservoir des Frondienstes - ob in Putzkolonnen, Dönerbuden oder Bordellen. Sie sind in ihrem Daseinskampf entfremdet und untermenschelt zugleich.

Wenn das Lehrgebäude der Rassen auf biologisch äußere Differenzen hindeutet, dann haust es auf naivem Niveau. Es gibt schließlich unterschiedliche Hautfarben: Bleiche, Schwarze, Brünette... Daraus entsteht das rassistische Weltbild erst, wenn diesen diffusen Wesensarten soziale Attribute zugeschrieben werden.

Das Grundelement des Rassismus ist sozial und gründet sich hierarchisch auf Besitzstände. Wer sich den Reichtum bereits bemächtigt hat, verfügt über Definitionsgewalt, die enteigneten Kollektive als Rassen minderwertigen Reservoirs einzustufen.

An Fahrt gewinnt der Rassismus im Groß-D-Land in erster Linie wegen des notwendiges Übels, dem unaufhaltsamen Populationsschwund mit den Mitteln des Untertanenimports entgegenzuwirken. Allein der alarmierende Kerngedanke vom Aussterben der Nation ist so abartig, daß sie die human-sozialen Systeme den biologischen Symptomen subsumiert. Demnach tritt das Volkstum als ein unveränderliches Naturell auf den Plan. Solange aber die demographische Talfahrt anhält, kann man Fremde als Ersatzbürger importieren, vorausgesetzt, daß sie sich restlos naturalisieren, zuvor aber rastlos assimilieren bzw. germanisieren lassen. Auf diesem fixen Fundament türmt sich die gegenwärtige Intention der Integration, für die sich eine feste Fraktion im vaterländischen Feuilleton erwärmten.

   

Netzbrücke:

• Necati Merts Kolumne

• Mehr lesenswertes Textmaterial

• Wider den Schwarzen Winter

• Porträt des Periodikums