Dem kritischen Blick aufs
Gestern liegt Kraft zugrunde, wenn ihm der Blütentraum vom
Morgen innewohnt. Wer das Gewesene schlecht benotet, muß sich
davon ein Bild machen, was für das Künftige gut ist.
Einzigartige Konturen kreuzen im Revier der Revuen
und Revolverblätter. Hinter der Larve der humanitären
Lesart lassen die Larifari-Legionen keine Differenz zu rassistischen
Radikalen erkennen, liefern dieselben Litaneien in die Tretmühle
und leisten behände den bellizistischen Blendern der Plutokraten-Pyramide
willfährigen Handlangerdienst, bürsten beharrlich libertäre
Weltbilder gegen den Strich, lobhudeln unterschwellig jene Zuchtstätten,
die seit der Renaissance der Kreuzzugskulte unter Star and Stripes
Hochblüte zeitigen.
Je toleranter sich das Aktionären-Varieté
der aufklärerischen Werte-Warte und ihre Kumpanen der Tugendtünche
dünken, desto totalitärer gestalten sich die gesellschaftlichen
Dominanzen. Solange außerhalb der Mauern des Parlamentarismus
kein Spielraum Licht ausstrahlt, alles im retrospektiven Schlagschatten
der bürgerlichen Borniertheit auf der Stelle tritt und die
sozial revolutionären Ideale durch die Graben-Garden des Marktes
zugemauert bleiben, fruchtet die Furcht.
Die postmoderne Revue der Reaktion hat nur eine Botschaft:
Es gibt keinen Morgen, alles muß ins Heute integriert werden.
Die sekulären Systeme und die Subsistenz-Existenzen werden
so selektiv suggeriert, daß daraus die Segmente eines absoluten
Gottvertrauens dem sakrosankten Syndikat der Grossisten subsumiert
sowie durch die Orwellsche Gedankengewalt stigmatisiert werden.
Im Tarnanstrich „Demokraten gegen Theokraten“
formiert sich eine renovierte Kriecher-Kompanie einer monetär
renommierten Reformatoren-Meute. Mit einem von EMMA-Patrona Alice
Schwarzer aufgemöbelten „Manifest der 12“ (Apostel)
propagiert sie einen ideologisch novellierten Gemeinplatz gegen
einen trotzigen „Totalitarismus“, brütet aus dem
Windhauch einen mysteriösen Zyklon aus, nämlich einen
zornroten „Islamismus“ und klassifiziert ihn als „eine
reaktionäre Ideologie, die Gleichheit, Freiheit und Sekularität
tötet.“ Zutage tritt im blauen Dunst des hohlen Werte-Universalismus
von Neuem der militante Missionarismus, der den Häuptern der
okzidental ökonomischen Tyrannei die Absolution erteilt. Zugleich
zeichnet sich die aufklärerisch artikulierte Attacke als das
Manöver für die Renaissance des Kolonialismus im höchsten
Stadium. Ihm geben nicht mehr die barfüßigen Bataillone
der Schwarzröcke Geleit, sondern die freiheitlich-demokratisch
fingierte Formation der endkapitalistischen Fundationen. Anders
läßt sich das System der Freibeuter- und Zinszyklonen
nicht instand halten, jedenfalls nicht allein mit lauter vervielfältigten
Effekten und Brokergebrüll.
Überwältigt vom Megären-Mythos fühlt
sich Alice Schwarzer als Feldherrin eines Dragoner-Korps in einem
islamophob gefächerten Geflecht. Zuletzt in der März-April-Ausgabe
ihres Blattes zieht sie über die beiden Autoren eines „Offenen
Briefs“ in „Die Zeit“ vom 1. Februar 2006, Yasemin
Karakasoglu und Mark Terkessidis, vom Leder, der - unterzeichnet
von 60 Migrationsforschern - unter dem Titel „Gerechtigkeit
für Muslime“ stand. Die Denkschrift hält der Publikation
„Die fremde Braut“ von Necla Kelek generalisierendes
Gehabe vor, was Schwarzer zum Gegenstoß anregt. Dabei nimmt
sie von jedweder inhaltlichen Kritik Abstand und nähert sich
der Logik der Denunziation, um die „Islamisten-Freunde“
ans Kreuz schlagen: „Yasemin Karakasoglu und Mark Terkessidis.
Die eine ist Erziehungswissenschaftlerin an der Uni Bremen und der
andere ist freier Autor in Köln. Beide haben interessanter
Weise binationale Eltern, sie einen türkischen Vater, er einen
griechischen. Sie kommt aus der militanten Pro-Kopftuchszene, deren
hervorragende Stimme sie ist; er kommt aus der radikalen Linken.“
Die Patrona der Dragoner-Patrouille bewölkt den
zentralen Horizont der geschlechtlichen Knechtschaft, deren Wurzeln
wesentlich in der imperialistischen Inbesitznahme des Orients liegen.
Ohne die willfährige Kollaboration der dortigen Stammessysteme
haben die imperialen Invasionen keine Stütze, die sich wiederum
den feudalen Überresten den Fortbestand. Folglich sympathisieren
die Freiwilligen-Formationen des Europiden-Forts nicht mit den Protagonisten
der gesellschaftlichen Emanzipation, den national-revolutionären
Kräften, in der Peripherie, sondern lassen sich dem metropolitan
hegemonialen Augenmerk missionarischen Maschenwerks unterordnen.
Auch hier. Sie schwärzen jegliche Parteinahme für die
Autonomie-Tendenzen innerhalb der eingewanderten Quartiere und tun
sie als spartanische Schwärmerei, separatistisch strukturiertes
Lehrgebäude ab oder gar als Kanaken-Krakeel und versuchen gleichzeitig,
unterwürfig integrative Initiativen anzuhimmeln.
Als gegenstandslos gelten Endprodukte jener bürokratisch
partizipierten Publizisten, die nicht über den Marktwert verfügen,
dem kulturell konzipierten Neorassismus Argumente sowie instinktive
Munitionen zuzuspielen. Gesprungen mit Hang zum Dramatisieren auf
den Zug der Loyalitätsliteratur kommen immer mehr Autorinnen
von emphatischen Pamphleten zum Vorschein. Honoriert werden sie
nicht wegen ihres emanzipatorischen Gewichts für eine libertäre
Bürgerrepublik, sondern wegen der Verwertbarkeit ihrer Textmaterials,
die Angeprangerten an den Pranger zu stellen.
Das ethnozentrische Augenmerk der Intelligentsia wendet
sich dem schwachen Geschlecht in den Türken-Gettos zu. In den
Regalen der Bücherstuben türmt sich der Stapel der Biografie-Produkte
immer höher, die den Leidensweg der anatolischen Mütter
und Töchter in den trübsten Tönen nachzeichnen.
Fulminant auf der Suche nach Supergermanen
Es kriselt allerwärts. Die Fragelust der Regentschaft
reift heran im fragilen Menschenpark zwischen Standpauke und Staatssatire.
Zum Beispiel der Hessen-Test zum Kreuzverhör der Staatsbürgerschafts-Aspiranten,
durch den sich der laut verbürgte rechtmäßige Anspruch
auf Autochthonen-Status erneut als Farce entpuppt.
Auf hundert Fragen haben die allochthonen Einwohner
zu antworten, sie enthalten alle Episoden der deutschen Geschichte
und Gegenwart. Irgend etwas nicht parat, gehen die Examinanden leer
aus. Wird er auf den Bereich der bereits den staatlichen Status
besitzenden Normalbürger erweitert, droht selbst der Bundeskanzlerin,
ausgebürgert zu werden - vielleicht muß sie dann ihre
Karriere als Ziegenmelkerin auf den Alpenpässen fortsetzen.
Und die laut gefeierte Freiheitskämpferin der „fremden
Bräute“ und Hintermännin des leidlichen „Gesprächsleitfadens“
in Baden-Württemberg, Necla Kelek? Auch sie läuft Gefahr,
wieder in das peripheres Parkett der orientalischen Patriarchen
evakuiert zu werden.
Vielleicht schwante ihr ein solches Schicksal, und
sie erstellte daher die Streitschrift „Die verlorenen Söhne“,
die sie Mitte März 2006 auf den publizistischen Markt brachte.
Darin plädiert sie für die „Befreiung des deutsch-türkischen
Mannes“ und womöglich für einen Gesetzerlaß,
der die Muselmanen-Jünglinge festnagelt, gegen ihre in „archaischen
Stammestraditionen“ festgefahrenen Väter zu revoltieren.
Die Rezitatoren der grauen Neugermanen müssen
auf das Handlanger-Hallo nicht mehr warten. Als medial geadelte
Patrona bestätigt Kelek lautstark und am laufenden Band, was
sie schon immer über die ungebändigten Untertanen orientalischer
Despotismen im Oberstübchen zu denken pflegte.
Gerühmt wird sie vornehmlich als eine der Vorreiterinnen
eines kulturellen Dammbruchs in „Spiegel Online“ vom
16. März 2006 von Henryk M. Broder, dem Impresario der Berufsjuden,
der sein Augenmerk letztens dem schwer assimilierbaren Bereich der
Almancis widmet. Für ihn dreht es sich da um mehr als um „die
verlorenen Söhne“, nämlich „muslimische Frauen“,
die „derzeit die heftigsten Debatten auslösen, weil sie
einen klaren Blick für die Situation und keine Angst haben,
ausgegrenzt zu werden, da sie es schon sind. Frauen wie die Niederländerin
Ayaan Hirsi Ali, die Kanadierin Irshad Manji, die Amerikanerin Wafa
Sultan und die Deutsche Necla Kelek, eine Hand voll Dissidentinnen
und Ketzerinnen, die sich nicht nur gegen ihre Familien behaupten
mussten, sondern auch gegen eine große Koalition aus Ignoranten
und Gutmenschen, die den Diskurs bestimmen wollen. Freilich: Jeder
soziale und kulturelle Dammbruch fängt mit winzigen Haarrissen
an. Es geht nicht anders.“
Necla Kelek scheint familiäres Asyl im Autoritäten-Aufenthalt
des obrigkeitlich volksstaatlichen Konstrukts gefunden zu haben,
nachdem sie vorgeblich von ihrer Familie verstoßen wurde.
Sie glaubt hierbei Heldenmut zeigen zu müssen im intellektuellen
Hilfsdienst für die Philanthropen auf den Machtsesseln. Kontrafaktisch
bleiben ihre Parabeln nun erst recht - orientiert an den Bedarf
des majoritären Manierens mit germanophilen Codes aufklärerischer
Provenienz. Hauptsache, die Heimleuchte sitzt, und sie feiert fröhliche
Urständ - angelehnt an den Wachtturm der Journaillen-Junta.
Gewöhnlich filtern die Musketiere der medialen
Meute für die Mehrheit beliebte Informationen. Sie funktionieren
als Motoren und Multiplikatoren des Mechanismus, der soziale Lebenswelten
ethnisch definierten und den Ethnizismus notfalls erdichten. Sie
jagen nach Themen, die sich eignen, beim breiten Publikum hohe Wellen
zu schlagen. Sie zementieren die im Inneren der Autochthonen ausgebildete
Hierarchien gemäß der Zugehörigkeitskonstellation
völkischer Formation. Allochthone Einwohner, die den künftigen
Loyalitätsnachweis nicht erbringen können, werden zu potentiellen
Proleten erklärt in Gefahrenzonen unter dem Label Gettos -
dem Spott des Abgeschotteten sowie dem Angriff der ethnisch anständig
Angepaßten anheimgestellt.
Der Text des hessischen Loyalitätskontroll-Testes
für mögliche Inhaber eines Ausweises mit dem Adler-Deckel
als amtlich ambitioniertes Emblem bewegt sich zwischen strapaziöser
Sanktion und skandalöser Satire, kann auch als lausekalter
Kalauer am Fachgesprächskamin an Fahrt gewinnen. Für die
Spaßsöldner und Leitkultur-Legionen der „Vierten
Gewalt“ stellt er jedenfalls ein spezielles Spektakel dar.
Sie jagen einer eingängigen Leidenschaft nach, nämlich
die metropolitan heimatliche Erwerbsgesellschaft des Welt-Kapitalismus
vor der heimlichen Invasionsgefahr durch orientale Spezies in Gewahr
zu nehmen. Ob in verteilten Rollen oder Personalunion, die Advokaten
der imperialen Inspirationen und die Inspektoren der integrationalen
Intention schließen sich an jenem stets startklaren Statement
für die Spätankömmlinge, welches das gleiche Gewicht
auf die Waage bringen soll wie das Schaumschlagwort der Chancengleichheit.
Die 100 Gebote im Treue-Kontroll-Katalog enthalten
ziemlich zweideutige Fragen, die selbst der Literaturpapst Marcel
Reich-Ranicki nicht mühelos bestehen könnte. Sicher sei
er sich jedenfalls nicht. Offen ethnophobe Aversionen wohnen ihnen
nicht bei, und sie sind jedenfalls pfiffiger formuliert als ihr
baden-württembergisches Pendant „Gesprächsleitfaden“,
der nicht den Wissensstand der Prüflinge, sondern ihr sittsames
Gewissen auf die Probe, somit alle unter den Generalverdacht des
„islamistischen Totalitarismus“ bzw. „Terrorismus“
stellt. Nichtsdestotrotz bleibt das hessische Katalogwerk ein spitzfindiger,
kulturalistisch befangener und kränkender Wertetest des germanophilen
Volksstaates.
Der demographisch dominierte philanthropische
Rassismus
Das starke Geschlecht orientalischen Schlags scheint
längst den konventionellen Wert für die spätkapitalistische
Erwerbsgesellschaft verloren zu haben, seit die Werkhallen, die
auf Fronarbeit der rüstigen Fremdenlegionen angewiesen sind,
ihre Toren schlossen. Der anatolische Hinterwäldler, der sich
in das alternierte Rentier-Regime der Altennation nicht wohlfeil
adaptieren läßt, gilt nur noch als Störfaktor im
Reservoir der Überflüssigen. Hingegen benötigt die
ramponierte Rentnerrepublik fragile fertile Evas. Als hellhörige
Angehörigen der systemkonform freiheitlichen Fraternitätsfront
werden diejenigen Heldinnen wertachtet, denen es gelang, in ihren
Biographien die feudalen Überreste aus dem Weg zu räumen.
Doch ihre provisorische Rolle für die gesellschaftliche Emanzipation
bleibt auf der Bühne des Marionettentheaters. Und das begünstigt
die gebieterischen Stabsakteure des Hegemons, ihre kreuzzugsmentalen
Gebote im Hinblick auf kolonisatorische Expansion in den Kardinalpunkt
zu rücken.
In den retrospektiv repressiven Verhältnissen
innerhalb der familiären Verbünde sehen sie einzig fremdverschuldete
Antriebe und keine sozio-ökonomischen Zwänge. Zu klagen
haben unter kulturalistisch kumulierten Maßgaben die Frauen
migrantischen Hintergrunds vor allem als Reservoir des Frondienstes
- ob in Putzkolonnen, Dönerbuden oder Bordellen. Sie sind in
ihrem Daseinskampf entfremdet und untermenschelt zugleich.
Wenn das Lehrgebäude der Rassen auf biologisch
äußere Differenzen hindeutet, dann haust es auf naivem
Niveau. Es gibt schließlich unterschiedliche Hautfarben: Bleiche,
Schwarze, Brünette... Daraus entsteht das rassistische Weltbild
erst, wenn diesen diffusen Wesensarten soziale Attribute zugeschrieben
werden.
Das Grundelement des Rassismus ist sozial und gründet
sich hierarchisch auf Besitzstände. Wer sich den Reichtum bereits
bemächtigt hat, verfügt über Definitionsgewalt, die
enteigneten Kollektive als Rassen minderwertigen Reservoirs einzustufen.
An Fahrt gewinnt der Rassismus im Groß-D-Land
in erster Linie wegen des notwendiges Übels, dem unaufhaltsamen
Populationsschwund mit den Mitteln des Untertanenimports entgegenzuwirken.
Allein der alarmierende Kerngedanke vom Aussterben der Nation ist
so abartig, daß sie die human-sozialen Systeme den biologischen
Symptomen subsumiert. Demnach tritt das Volkstum als ein unveränderliches
Naturell auf den Plan. Solange aber die demographische Talfahrt
anhält, kann man Fremde als Ersatzbürger importieren,
vorausgesetzt, daß sie sich restlos naturalisieren, zuvor
aber rastlos assimilieren bzw. germanisieren lassen. Auf diesem
fixen Fundament türmt sich die gegenwärtige Intention
der Integration, für die sich eine feste Fraktion im vaterländischen
Feuilleton erwärmten.
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