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Griechenland und die Türkei
haben mit einer Menge Probleme zu kämpfen, die aus ihrem noch
andauernden nation- und state-building-Prozess herrühren. Die
Krise in Permanenz hat die beiden NATO- und EU-Partner oft an den
Rand einer militärischen Auseinandersetzung gebracht, jüngstes
Beispiel ist der Zusammenstoß eines griechischen mit einem
türkischen Kampfjet über der Ägäisinsel Karpathos
am 22. Mai 2006, bei dem der griechische Pilot den Tod fand.
Beide Länder sind aus der Konkursmasse des multiethnisch-,
multireligiös- und multikulturellen Osmanischen Reichs hervorgegangen
und sind seit ihrer Staatsgründung mit Fragen des ihnen zugebilligten
bzw. des von ihnen beanspruchten Territoriums beschäftigt.
Große Schwierigkeiten bereitet ihnen auch die ethnische Sortierung
der auf diesen Territorien lebenden Menschen, deren Nationalität,
egal ob sie auf dem Balkan oder in Zentralasien leben, nach deren
Religionszugehörigkeit beurteilt wird: es genügt schon,
dass jemand Muslim ist und schon wird er als Türke de- und
reklamiert, orthodoxe Christen sind Griechen. Das alles ging - und
geht heute noch - nicht ohne Schwierigkeiten und Gewalttätigkeiten
zu.
Bereits bei der Staatsgründung Griechenlands
1830 und der Türkei 1922 hatte es brutale Massaker und ethnische
Säuberungen gegeben, denen mehr als drei Millionen Menschen
zum Opfer fielen: Etwa eine Million Muslime wurden zwischen 1821
und 1830 aus Griechenland vertrieben, anderthalb Millionen orthodoxer
Christen 1922/23 aus dem Osmanischen Reich/aus der sich gründenden
Türkei, letztere im Austausch gegen einer knappen Million Muslime
aus Nordgriechenland. Hinzu kommen das Genozid an den Armeniern,
die Vertreibung der Istanbuler Griechen Mitte der 50er Jahre und
die noch andauernde Verfolgung von Kurden, nicht-sunnitischen Aleviten
und anderen ethnisch-religiösen Minderheiten in der Türkei.
Außerdem die Gräzisierung der Slawen, Albaner und Wlachen
in Griechenland.
Die Prozesse des nation und state building dauern
in beiden Ländern nicht nur an, sondern beschwören die
Gefahr einer bewaffneten Auseinandersetzung herauf. Denn weitere,
gravierende Probleme sind dazu gekommen, wie das Mitte der 50er
Jahre entstande und noch ungelöste Zypern-Problem, die Spannungen
über die Kontrolle des Luftraums über der Ägäis,
ausgelöst durch die türkischen Ansprüche auf Mitkontrolle
und der Nichtanerkennung des Athener Fluginformationsgebiets FIR
(engl. Flight Information Region), die täglichen Verletzungen
des griechischen Luftraums durch bewaffnete Geschwader der türkischen
Luftwaffe, die Behinderung des Flugverkehrs und der Schifffahrt
in der Ägäis, das Verbot der Erweiterung der Territorialgewässer
der griechischen Ägäis-Inseln von heute 6 auf 12 Meilen
(obwohl die Türkei selbst ihre Territorialgewässer auf
diese international anerkannte Norm der 12 Meilen erweitert hat,
Zuwiderhandlungen, wird immer wieder betont, würden als ein
Casus Belli betrachtet!). Dazu zählen schließlich die
Spannungen zwischen beiden Ländern über den Status der
in Griechisch-Thrakien lebenden Muslime, die die Türkei als
Kardesler, Brüder, also als Türken reklamiert und zum
Anlass nimmt, sich in die inneren Angelegenheiten Griechenlands
einzumischen.
Eine Lösung dieser Probleme ist nicht in Sicht,
der Krisen-Katalog wird immer länger, rien ne va plus, die
Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei sind entegen
des von Politikern und Intellektuelen verbreiteten Optimismus bis
auf weiteres blockiert. Die Probleme verursachen aber nicht nur
Streß, sondern zwingen beide Länder zu horrenden Ausgaben
für militärische Rüstung. Die entstandene Rüstungsspirale
verschlingt enorme Summen Geld, das Ihnen dann für Infrastrukturmaßnahmen
und soziale Aufgaben fehlt, umso mehr aber die Aufsichtsmächte
erfreut, die sich da wahlweise als Richter aufspielen oder die beiden
Kontrahenten diplomatisch manipulieren, sie so unter Kontrolle halten
und ihnen gleichzeitig teure Waffen verkaufen.
Und jetzt auch noch das. Der Streit um den Baklava,
diese herzhafte, vorzüglich schmeckende Süssigkeit aus
Blätterteig, wahlweise Pistazien oder Nüssen, mit oder
ohne Sirup, die in jeder Konditorei in Griechenland, Türkei,
in den meisten Balkanländern und im gesamten arabischen Raum
die süsse Spezialität par excellance ist. Wem gehört
aber Baklava? Darüber ist in den letzten Wochen zwischen Griechen
und Türken ein erbitterter Kavga (türkisch und griechisch
für Streit) entstanden. Der zu eskalieren droht.
Ausgelöst wurde dieser Kavga durch einen Flyer,
der in der Republik Zypern für Touristen produziert und in
Umlauf gesetzt wurde und in dem Baklava als eine zypriotische Süssigkeit
bezeichnet wird. Was aber die türkischen Baklavacis, die Baklava-Konditoren,
in Rage brachte, denn sie betrachten Baklava als türkisch.
Der Unmut der Öffentlichkeit, angeheizt durch die türkische
Presse, steigerte sich, die Politik wurde eingeschaltet und kündigte
einen Gang zum europäischen Parlament, Aufruhr beim Komsu (Nachbarland).
Bei einer Demonstration in Istanbul bekundete der Vorsitzender des
Amtes für türkische Süssspeisen, natürlich ein
Baklavaci, klar und deutlich, Baklava sei eine türkische Spezialität,
basta. Und dass sich die Türken es nicht mehr gefallen lassen
werden, dass die Griechen in solchen Sachen die europäische
Öffentlichkeit wieder hinters Licht zu führen. Der Oberbaklavaci
rief alle Türken zum quasi gastronomischen Dschihad auf und
ermahnte sie, die Spezialitäten der Türkei besser zu verteidigen.
Die Reaktion der Türken blieb wiederum nicht
ohne Echo beim Nachbarn in Griechenland. Auch da Entrüstung
in Presse und TV, wo man sich in Erklärungen wetteiferte, Baklava
habe, wie könnte es anders sein, seinen Ursprung in der griechischen
Antike. Intellektuelle, die sich in den Streit einschalteten, meinten,
die Süssigkeiten des antiken Griechenland sind es, die in den
Zeiten des Hellenismus ihre Verbreitung im Orient fanden und sogar
den gastronomischen Geschmackt im Römischen Reich beeinflussten.
Die antiken Süssspeisen bildeten auch die Grundlage der Konditoren-Kunst
im Byzanz, wurden nach dessen Zusammenbruch von den Osmanen übernommen
und gelangten so nach Westeuropa. Autoren wurden zitiert, so beispielsweise
Simoni Kafiri, die in ihrer „Anthologie griechischer Süssigkeiten“
den Baklava im antiken Griechenland beheimatet sieht, wo er als
„Gastrin“, später im Byzanz als „Koptis“
(Rhombus) benannt wurde. Nach dem Historiker und Byzantinisten Spyros
Bryonis war Baklava, unter dem Namen „Kopi“, „Kopton“
oder „Koptoplakus“, die lieblings Süssspeise der
Byzantiner. Über den Lärm von „Fachleuten“
und Laien in den sogenannten Fenstern griechischer TV-Sender wollen
wir hier lieber schweigen.
Etwas „wissenschaftlicher“ gehen an die
Sache zwei Kompetenzen auf dem Gebiet: Die Griechin Myrsini Lambraki
und ihre türkische Kollegin Engin Akin, beide bekannt durch
ihr Buch „Griechenland und die Türkei am selben Tisch“
(Greece-Turkey at the Same Table, A Gourmets guide to both countries,
Edition Ellinika Grammata, Bd. 17., Griechenland). Ein Buch, das
als „Best Mediterranean Cuisine Cookbook in the World“
bezeichnet wird. Baklava wird darin als eine Süssigkeit arabischen
Ursprungs bezeichnet, das Wort wird auf die rhombisch, rautenförmige
Form der einzelnen Schnitte zurückgeführt. Gaziantep in
der Osttürkei wird heute als das Baklava-Zentrum betrachtet,
die Stadt, an der Grenze zu Syrien/Irak, hat die längste Tradition
in seiner Zubereitung und war in der Vergangenheit der Durchzugsort
von Karawanen, die aus dem arabischen Raum in Richtung Westen zogen.
Zum entstandenen Baklava-Streit haben sie in einem
Interview, abgedruckt am 13.05.2006 in der Tageszeitung „Angelioforos“
aus dem nordgriechischen Thessaloniki, folgendermaßen Stellung
genommen. Lambraki: „Manche griechische Autoren verweisen
zwar auf altgriechische Schriften, in denen ähnliche Süssigkeiten
erwähnt werden, doch diese sind eher den heutigen Skaltsunia
ähnlich“ (einer anderen Süssigkeit in Griechenand).
„Der griechische Baklava hat zwar Ähnlichkeiten mit dem
orientalischen Baklava, doch die Zubereitungsart ist eine andere.
Ansonsten haben die griechische und die türkische Kultur erstaunliche
Ähnlichkeiten, Griechen und Türken haben ja immer zusammen
gelebt, manchmal als Freunde, oft als Konkurrenten. Jedenfalls haben
sie fast die gleiche Küche“. „Ich halte den entstandenen
Streit für unbegründet. Die Türken haben das Recht,
Baklava als ein nationales Produkt durchzusetzen, wie die Griechen
es mit Ouzo oder Feta getan haben. Sie können aber nicht anderen
Ländern wie Zypern oder Bulgarien verbieten, Baklava zuzubereiten
und für Touristen auf einen Flyer zu setzen“.
„Baklava ist ein islamisches Produkt“,
meint ihrerseits Frau Engin Akin. „Der entstandene Lärm
ist überflüssig und es ist nicht gut, wenn aus solchen
Sachen Probleme entstehen. Sicherlich müssen die Leute wissen,
woher die einzelnen Produkte kommen, doch man kann anderen Ländern
nicht verbieten, Werbung für ein Produkt zu machen oder es
in ihre Küche aufzunehmen“. „Baklava müsste
als ein türkisches Produkt anerkannt werden“, meint Frau
Akin, „er hat jedoch seinen Ursprung im Islam, da in dieser
Religion das Süsse eine sehr wichtige Rolle spielt“.
„Rezepte, Geschmäcker und Gerichte sollten uns vereinen
und nicht trennen. Rezepte erfahren in jeder ihrer Reise einen Wandel
und sind nicht mehr wie ursprünglich.“
Auch bekannte griechische Konditoren haben dazu Stellung
bezogen. Haris Hadzis, Konditor aus Thessaloniki: „Der Kavga
ist absolut grundlos“. Denn „Baklava wird im gesamten
Mittemeerraum als eine orientalische Süssigkeit betrachtet.
So wie sich die Türken aufregen, können auch die Araber
auf die Barrikaden gehen. Wenn du einen Griechen fragst, wird dir
sagen, Baklava ist griechisch, wenn du einen Türken fragst,
wird dir sagen, er ist türkisch und wenn du einen Araber fragst,
wird dir sagen, Baklava ist arabisch. Was wir mit Bestimmtheit sagen
können, ist, Baklava schmeckt vorzüglich, egal, wo er
her kommt.“
Und sein Kollege, Georgios Hadzifotiu, ebenfalls ein
Konditor aus Thessaloniki, meint, dass die Unterschiede wohl in
der Zubereitung liegen. „Es gibt unterschiedliche Rezepturen.
In der Türkei und in den arabischen Ländern wird Baklava
mit grünen Pistazien zubereitet, während wir hier in Griechenland
dafür Walnüsse, in machen Regionen sogar Mandeln nehmen.
Auch wird hier Baklava traditionell mit Sirup zubereitet, in der
Türkei dagegen wird Sirup nur auf Bestellung hinzu gegeben“.
Wir haben uns auch in Deutschland herumgehorcht. Der
Grieche Takis Latsos, von der „Takis-Taverne“ in Berlin-Moabit,
ist der Meinung, dass Baklava aus Griechenland kommt. Alekos Pappas,
Grieche, ehemaliger Koch (Kant Strasse 14) sieht seine Ursprünge
in der Antike, meint aber, dass er im Laufe der Zeit anders wurde.
Der Chef der türkischen Konditorei „Pasam Baklava“
(ausgesprochen: Pascham Baklava, Inhaber Hikmet und Mehmet Bulut)
in der Schöneberger Goebenstr. 12a ist der Meinung, dass Baklava
aus dem Orient kommt. Die Heimat von Baklava ist aber heute Gaziantep,
er habe dort selbst das Konditor-Handwerk gelernt (sein Baklava
schmeckt mir am Besten, d. Verf.). Der heutige Streit ist „aus
Langeweile“ entstanden, bringt keinem was, meint er zum Schluss.
Baklava ist arabisch, meinen die Leute von „El Salam“
in der Wildenbruch Strasse 68. Erst arabisch und dann türkisch.
Baklava und kein Ende. Auch in den Internetportalen,
beispielsweise beim türkischen vaybe.de. Aus einem Brief im
dortigen Diskussionsforum: „Näher an den Tatsachen ist,
dass der Baklava aus dem Orient stammt. Das er nicht Türkei
spezifisch ist, ist nachvollziehbar, da es zu jeder Zeit Austausch
zwischen Menschen und Ihren Kulturen gegeben hat. Auch und gerade
im Orient. Wenn jeder jetzt anfängt auch noch das Orientalische
in „das ist meins/ unser“ etc. aufzuspalten, dann gute
Nacht. Samfistigi heisst deswegen so, da es aus „Sam“
in Syrien stammt, dass schliesst nicht aus dass es auch z.B. an
der Schwarzmeerküste angebaut wurde. Dass in Halep in Syrien
auch Baklava in vielen Varianten und mit Rafinesse hergestellt wird,
lässt die Syrer auch sagen „Baklava ist syrisch. Also
lassen wir es mit der Kleinstreiterei: Die haben von uns gelernt,
das ist unser, bla bla“.
Übrigens: Für Baklava gibt es im Arabischen
ein Wort, das übersetzt heisst "Wonne des Schlundes".
Na denn: Kali Orexi und Afiyet olsun!
Der Beitrag erschien Mitte Mai in: www.multikulti1.de
– ein Projekt des Vereins Community Channel Europe e.V., Mainzer
Straße 42, 12053 Berlin.
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