XXV. Jahrgang, Heft 141
Jul - Aug - Sep 2006/3

 
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Letzte Änderung:
03.06.2006

 
 

 

 
 

 

 

Gegenwart der Geschichte
Wem gehört Baklava?
Hurra, Griechenland und die Türkei haben ein neues Problem, Baklava!
Ist er griechisch oder türkisch?

Von Emmanuel Sarides

   
 
 

Griechenland und die Türkei haben mit einer Menge Probleme zu kämpfen, die aus ihrem noch andauernden nation- und state-building-Prozess herrühren. Die Krise in Permanenz hat die beiden NATO- und EU-Partner oft an den Rand einer militärischen Auseinandersetzung gebracht, jüngstes Beispiel ist der Zusammenstoß eines griechischen mit einem türkischen Kampfjet über der Ägäisinsel Karpathos am 22. Mai 2006, bei dem der griechische Pilot den Tod fand.

Beide Länder sind aus der Konkursmasse des multiethnisch-, multireligiös- und multikulturellen Osmanischen Reichs hervorgegangen und sind seit ihrer Staatsgründung mit Fragen des ihnen zugebilligten bzw. des von ihnen beanspruchten Territoriums beschäftigt. Große Schwierigkeiten bereitet ihnen auch die ethnische Sortierung der auf diesen Territorien lebenden Menschen, deren Nationalität, egal ob sie auf dem Balkan oder in Zentralasien leben, nach deren Religionszugehörigkeit beurteilt wird: es genügt schon, dass jemand Muslim ist und schon wird er als Türke de- und reklamiert, orthodoxe Christen sind Griechen. Das alles ging - und geht heute noch - nicht ohne Schwierigkeiten und Gewalttätigkeiten zu.

Bereits bei der Staatsgründung Griechenlands 1830 und der Türkei 1922 hatte es brutale Massaker und ethnische Säuberungen gegeben, denen mehr als drei Millionen Menschen zum Opfer fielen: Etwa eine Million Muslime wurden zwischen 1821 und 1830 aus Griechenland vertrieben, anderthalb Millionen orthodoxer Christen 1922/23 aus dem Osmanischen Reich/aus der sich gründenden Türkei, letztere im Austausch gegen einer knappen Million Muslime aus Nordgriechenland. Hinzu kommen das Genozid an den Armeniern, die Vertreibung der Istanbuler Griechen Mitte der 50er Jahre und die noch andauernde Verfolgung von Kurden, nicht-sunnitischen Aleviten und anderen ethnisch-religiösen Minderheiten in der Türkei. Außerdem die Gräzisierung der Slawen, Albaner und Wlachen in Griechenland.

Die Prozesse des nation und state building dauern in beiden Ländern nicht nur an, sondern beschwören die Gefahr einer bewaffneten Auseinandersetzung herauf. Denn weitere, gravierende Probleme sind dazu gekommen, wie das Mitte der 50er Jahre entstande und noch ungelöste Zypern-Problem, die Spannungen über die Kontrolle des Luftraums über der Ägäis, ausgelöst durch die türkischen Ansprüche auf Mitkontrolle und der Nichtanerkennung des Athener Fluginformationsgebiets FIR (engl. Flight Information Region), die täglichen Verletzungen des griechischen Luftraums durch bewaffnete Geschwader der türkischen Luftwaffe, die Behinderung des Flugverkehrs und der Schifffahrt in der Ägäis, das Verbot der Erweiterung der Territorialgewässer der griechischen Ägäis-Inseln von heute 6 auf 12 Meilen (obwohl die Türkei selbst ihre Territorialgewässer auf diese international anerkannte Norm der 12 Meilen erweitert hat, Zuwiderhandlungen, wird immer wieder betont, würden als ein Casus Belli betrachtet!). Dazu zählen schließlich die Spannungen zwischen beiden Ländern über den Status der in Griechisch-Thrakien lebenden Muslime, die die Türkei als Kardesler, Brüder, also als Türken reklamiert und zum Anlass nimmt, sich in die inneren Angelegenheiten Griechenlands einzumischen.

Eine Lösung dieser Probleme ist nicht in Sicht, der Krisen-Katalog wird immer länger, rien ne va plus, die Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei sind entegen des von Politikern und Intellektuelen verbreiteten Optimismus bis auf weiteres blockiert. Die Probleme verursachen aber nicht nur Streß, sondern zwingen beide Länder zu horrenden Ausgaben für militärische Rüstung. Die entstandene Rüstungsspirale verschlingt enorme Summen Geld, das Ihnen dann für Infrastrukturmaßnahmen und soziale Aufgaben fehlt, umso mehr aber die Aufsichtsmächte erfreut, die sich da wahlweise als Richter aufspielen oder die beiden Kontrahenten diplomatisch manipulieren, sie so unter Kontrolle halten und ihnen gleichzeitig teure Waffen verkaufen.

Und jetzt auch noch das. Der Streit um den Baklava, diese herzhafte, vorzüglich schmeckende Süssigkeit aus Blätterteig, wahlweise Pistazien oder Nüssen, mit oder ohne Sirup, die in jeder Konditorei in Griechenland, Türkei, in den meisten Balkanländern und im gesamten arabischen Raum die süsse Spezialität par excellance ist. Wem gehört aber Baklava? Darüber ist in den letzten Wochen zwischen Griechen und Türken ein erbitterter Kavga (türkisch und griechisch für Streit) entstanden. Der zu eskalieren droht.

Ausgelöst wurde dieser Kavga durch einen Flyer, der in der Republik Zypern für Touristen produziert und in Umlauf gesetzt wurde und in dem Baklava als eine zypriotische Süssigkeit bezeichnet wird. Was aber die türkischen Baklavacis, die Baklava-Konditoren, in Rage brachte, denn sie betrachten Baklava als türkisch. Der Unmut der Öffentlichkeit, angeheizt durch die türkische Presse, steigerte sich, die Politik wurde eingeschaltet und kündigte einen Gang zum europäischen Parlament, Aufruhr beim Komsu (Nachbarland). Bei einer Demonstration in Istanbul bekundete der Vorsitzender des Amtes für türkische Süssspeisen, natürlich ein Baklavaci, klar und deutlich, Baklava sei eine türkische Spezialität, basta. Und dass sich die Türken es nicht mehr gefallen lassen werden, dass die Griechen in solchen Sachen die europäische Öffentlichkeit wieder hinters Licht zu führen. Der Oberbaklavaci rief alle Türken zum quasi gastronomischen Dschihad auf und ermahnte sie, die Spezialitäten der Türkei besser zu verteidigen.

Die Reaktion der Türken blieb wiederum nicht ohne Echo beim Nachbarn in Griechenland. Auch da Entrüstung in Presse und TV, wo man sich in Erklärungen wetteiferte, Baklava habe, wie könnte es anders sein, seinen Ursprung in der griechischen Antike. Intellektuelle, die sich in den Streit einschalteten, meinten, die Süssigkeiten des antiken Griechenland sind es, die in den Zeiten des Hellenismus ihre Verbreitung im Orient fanden und sogar den gastronomischen Geschmackt im Römischen Reich beeinflussten. Die antiken Süssspeisen bildeten auch die Grundlage der Konditoren-Kunst im Byzanz, wurden nach dessen Zusammenbruch von den Osmanen übernommen und gelangten so nach Westeuropa. Autoren wurden zitiert, so beispielsweise Simoni Kafiri, die in ihrer „Anthologie griechischer Süssigkeiten“ den Baklava im antiken Griechenland beheimatet sieht, wo er als „Gastrin“, später im Byzanz als „Koptis“ (Rhombus) benannt wurde. Nach dem Historiker und Byzantinisten Spyros Bryonis war Baklava, unter dem Namen „Kopi“, „Kopton“ oder „Koptoplakus“, die lieblings Süssspeise der Byzantiner. Über den Lärm von „Fachleuten“ und Laien in den sogenannten Fenstern griechischer TV-Sender wollen wir hier lieber schweigen.

Etwas „wissenschaftlicher“ gehen an die Sache zwei Kompetenzen auf dem Gebiet: Die Griechin Myrsini Lambraki und ihre türkische Kollegin Engin Akin, beide bekannt durch ihr Buch „Griechenland und die Türkei am selben Tisch“ (Greece-Turkey at the Same Table, A Gourmets guide to both countries, Edition Ellinika Grammata, Bd. 17., Griechenland). Ein Buch, das als „Best Mediterranean Cuisine Cookbook in the World“ bezeichnet wird. Baklava wird darin als eine Süssigkeit arabischen Ursprungs bezeichnet, das Wort wird auf die rhombisch, rautenförmige Form der einzelnen Schnitte zurückgeführt. Gaziantep in der Osttürkei wird heute als das Baklava-Zentrum betrachtet, die Stadt, an der Grenze zu Syrien/Irak, hat die längste Tradition in seiner Zubereitung und war in der Vergangenheit der Durchzugsort von Karawanen, die aus dem arabischen Raum in Richtung Westen zogen.

Zum entstandenen Baklava-Streit haben sie in einem Interview, abgedruckt am 13.05.2006 in der Tageszeitung „Angelioforos“ aus dem nordgriechischen Thessaloniki, folgendermaßen Stellung genommen. Lambraki: „Manche griechische Autoren verweisen zwar auf altgriechische Schriften, in denen ähnliche Süssigkeiten erwähnt werden, doch diese sind eher den heutigen Skaltsunia ähnlich“ (einer anderen Süssigkeit in Griechenand). „Der griechische Baklava hat zwar Ähnlichkeiten mit dem orientalischen Baklava, doch die Zubereitungsart ist eine andere. Ansonsten haben die griechische und die türkische Kultur erstaunliche Ähnlichkeiten, Griechen und Türken haben ja immer zusammen gelebt, manchmal als Freunde, oft als Konkurrenten. Jedenfalls haben sie fast die gleiche Küche“. „Ich halte den entstandenen Streit für unbegründet. Die Türken haben das Recht, Baklava als ein nationales Produkt durchzusetzen, wie die Griechen es mit Ouzo oder Feta getan haben. Sie können aber nicht anderen Ländern wie Zypern oder Bulgarien verbieten, Baklava zuzubereiten und für Touristen auf einen Flyer zu setzen“.

„Baklava ist ein islamisches Produkt“, meint ihrerseits Frau Engin Akin. „Der entstandene Lärm ist überflüssig und es ist nicht gut, wenn aus solchen Sachen Probleme entstehen. Sicherlich müssen die Leute wissen, woher die einzelnen Produkte kommen, doch man kann anderen Ländern nicht verbieten, Werbung für ein Produkt zu machen oder es in ihre Küche aufzunehmen“. „Baklava müsste als ein türkisches Produkt anerkannt werden“, meint Frau Akin, „er hat jedoch seinen Ursprung im Islam, da in dieser Religion das Süsse eine sehr wichtige Rolle spielt“. „Rezepte, Geschmäcker und Gerichte sollten uns vereinen und nicht trennen. Rezepte erfahren in jeder ihrer Reise einen Wandel und sind nicht mehr wie ursprünglich.“

Auch bekannte griechische Konditoren haben dazu Stellung bezogen. Haris Hadzis, Konditor aus Thessaloniki: „Der Kavga ist absolut grundlos“. Denn „Baklava wird im gesamten Mittemeerraum als eine orientalische Süssigkeit betrachtet. So wie sich die Türken aufregen, können auch die Araber auf die Barrikaden gehen. Wenn du einen Griechen fragst, wird dir sagen, Baklava ist griechisch, wenn du einen Türken fragst, wird dir sagen, er ist türkisch und wenn du einen Araber fragst, wird dir sagen, Baklava ist arabisch. Was wir mit Bestimmtheit sagen können, ist, Baklava schmeckt vorzüglich, egal, wo er her kommt.“

Und sein Kollege, Georgios Hadzifotiu, ebenfalls ein Konditor aus Thessaloniki, meint, dass die Unterschiede wohl in der Zubereitung liegen. „Es gibt unterschiedliche Rezepturen. In der Türkei und in den arabischen Ländern wird Baklava mit grünen Pistazien zubereitet, während wir hier in Griechenland dafür Walnüsse, in machen Regionen sogar Mandeln nehmen. Auch wird hier Baklava traditionell mit Sirup zubereitet, in der Türkei dagegen wird Sirup nur auf Bestellung hinzu gegeben“.

Wir haben uns auch in Deutschland herumgehorcht. Der Grieche Takis Latsos, von der „Takis-Taverne“ in Berlin-Moabit, ist der Meinung, dass Baklava aus Griechenland kommt. Alekos Pappas, Grieche, ehemaliger Koch (Kant Strasse 14) sieht seine Ursprünge in der Antike, meint aber, dass er im Laufe der Zeit anders wurde. Der Chef der türkischen Konditorei „Pasam Baklava“ (ausgesprochen: Pascham Baklava, Inhaber Hikmet und Mehmet Bulut) in der Schöneberger Goebenstr. 12a ist der Meinung, dass Baklava aus dem Orient kommt. Die Heimat von Baklava ist aber heute Gaziantep, er habe dort selbst das Konditor-Handwerk gelernt (sein Baklava schmeckt mir am Besten, d. Verf.). Der heutige Streit ist „aus Langeweile“ entstanden, bringt keinem was, meint er zum Schluss. Baklava ist arabisch, meinen die Leute von „El Salam“ in der Wildenbruch Strasse 68. Erst arabisch und dann türkisch.

Baklava und kein Ende. Auch in den Internetportalen, beispielsweise beim türkischen vaybe.de. Aus einem Brief im dortigen Diskussionsforum: „Näher an den Tatsachen ist, dass der Baklava aus dem Orient stammt. Das er nicht Türkei spezifisch ist, ist nachvollziehbar, da es zu jeder Zeit Austausch zwischen Menschen und Ihren Kulturen gegeben hat. Auch und gerade im Orient. Wenn jeder jetzt anfängt auch noch das Orientalische in „das ist meins/ unser“ etc. aufzuspalten, dann gute Nacht. Samfistigi heisst deswegen so, da es aus „Sam“ in Syrien stammt, dass schliesst nicht aus dass es auch z.B. an der Schwarzmeerküste angebaut wurde. Dass in Halep in Syrien auch Baklava in vielen Varianten und mit Rafinesse hergestellt wird, lässt die Syrer auch sagen „Baklava ist syrisch. Also lassen wir es mit der Kleinstreiterei: Die haben von uns gelernt, das ist unser, bla bla“.

Übrigens: Für Baklava gibt es im Arabischen ein Wort, das übersetzt heisst "Wonne des Schlundes".

Na denn: Kali Orexi und Afiyet olsun!

Der Beitrag erschien Mitte Mai in: www.multikulti1.de – ein Projekt des Vereins Community Channel Europe e.V., Mainzer Straße 42, 12053 Berlin.

   

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