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Demos und Populus –
Über Spannungen und Entspannungen des Populismus
Zweifellos, wer vom Populismus spricht, darf von der
Demokratie nicht schweigen. Das kann man den Autoren des Sammelbandes
auch nicht vorwerfen, problematisch ist allerdings, dass sie den
Zusammenhang fast ausschließlich als Differenz gelten lassen.
Diskutiert wird das Spannungsverhältnis, nicht jedoch das gemeinsame
Bezugsfeld. Der Populismus erscheint weniger als konsequente Äußerungsform
der Demokratie, sondern als tendenziell gegen sie gerichtet.
Nicht nur weil Demos und Populus das Gleiche bezeichnen,
ist die mehrfach vorgetragene Grundthese, dass Demokratie und Populismus
sich widersprechen, äußerst fragwürdig. Die Mobilisierung
von Stimmungen und ihre Verwandlung in Stimmen ist doch die der
Marktwirtschaft analoge Aufgabe der Politik. Im Populismus wird
jene beständig an die Werbeindustrie und deren Praktiken angepasst.
Und die Populisten präsentieren sich als mediale Helden. Der
Erfolg des Populismus in der Politik läuft parallel zur Systematisierung
der Public relations. Seriosität und Diskretion sind in der
Arena einer rücksichtslos reklamierenden politischen Auseinandersetzung
auf jeden Fall weniger geschäftstüchtig, das heißt
Stimmen akkumulierend, als Anmache und Aufdringlichkeit. Es ist
davon auszugehen, dass die populistische Zurichtung von Politik
sich inzwischen verallgemeinert hat. Nicht nur Populisten agieren
populistisch.
Die Herausgeber schreiben selbst: „Der Politikstil
nationalpopulistischer Akteure ist entsprechend personalisierend
und auf Selbstinszenierung des charismatischen Parteiführers
im Spiel mit der Mediendemokratie sowie auf populäre Agendasetting
ausgerichtet.“ Aber kann damit nicht jede Politik beschrieben
werden? Nach dieser Einschätzung müsste man Politik schlichtweg
als populistisch charakterisieren, und vielleicht ist das - auch
wenn es die Autoren kaum intendiert haben - gar nicht so falsch.
Personalisierung, Inszenierung, Mediatisierung sind das Um und Auf
politischer Kommunikation geworden.
Was unterscheidet, ist der Grad der Auffälligkeit
und die Selektion der Zugeordneten, aber doch nicht die Form. Wird
der populistische Zug lediglich an seinen schärfsten Exponenten
demonstriert, fällt die Politik als Ganzes in den Schatten
der Unauffälligkeit. Man wird den Verdacht nicht los, dass
der Populismus als Folie der Abgrenzung herhalten muss, um das Gegebene
besser erscheinen zu lassen und es vor allem als unhinterfragbar
anzuerkennen.
Stutzig macht auch die Rede von „liberal-demokratischen
Systemen“. Worin besteht der Sinn, das Wort „liberal“
vorne anzukleben? Niemand käme auf den Gedanken, die Demokratie
„sozialdemokratisch“ oder „christdemokratisch“
zu benennen. Liberal ist aber eines dieser Flexiwörter, es
kann stehen für vieles: für marktwirtschaftlich, offen,
tolerant; einmal bezeichnet es eine bestimmte politische Richtung,
dann wiederum gleich das politische System der repräsentativen
Demokratie. Aber immer schwingt eine positive Assoziation mit. Mit
solcher Begrifflichkeit ist der Beliebigkeit freilich Tür und
Tor geöffnet, theoretisch ist sie jedenfalls nicht ausgewiesen.
Dass sowohl der Liberalismus als auch der Populismus den Markt beschwören
(ganz exzessiv z.B. Berlusconi), wird hier nicht als gemeinsame
Basis identifiziert. Doch gerade das verbindet sie: pro Arbeit,
pro Leistung, pro Konkurrenz, pro Standort, pro Markt, pro Werbung,
pro Kulturindustrie.
Es stellt sich wirklich die Frage, ob die Populismus-Forschung
nicht falsch läuft, ja sogar zu einer Art Legitimationswissenschaft
wird. Dass sie nicht bloß die demagogischen Inhalte kritisiert,
sondern sämtliche Motive des Populismus als Ressentiments disqualifiziert.
Exemplarisch genannt sei die in den Beiträgen weitgehend affirmative
Sicht der Globalisierungsprozesses oder der europäischen Einigung.
Doch nur weil es da Vorurteile gibt, ist nicht jeder Einwand und
jede Regung einfach darunter zu subsumieren. Diesen Eindruck jedoch
vermittelt die Lektüre. Populist dient als Pfui-Wort einer
Globalisierungsgemeinde. Für die Modernisierung habe man zu
sein. Aber weswegen?
Natürlich ist es richtig, die populistische Angstmache
anzuklagen, bloß: Sollen die Leute vielleicht keine Angst
haben? Gibt es vor der Angstmache nicht auch bereits eine Angsthabe,
die von ersterer in berechnender Absicht instrumentalisiert wird?
Angst ist doch nicht einfach als individuelles oder kollektives
Manko abzutun, dem man durch positives Denken und flexibles Handeln
entgehen kann. Populisten erzeugen nicht die Angst, aber sie schüren
sie, benennen Schuldige und versprechen Abhilfe. Die Verängstigungen
der Leute werden zumindest angesprochen, wenn auch pervertiert.
Aber im Gegensatz zum etablierten Diskurs fühlen sich die Leute
wahrgenommen und nicht bloß verachtet. Erzielt werden mentale
Erleichterungen, die oft auf blanker Schadenfreude basieren: „Der
hat es ihnen aber gezeigt“, „Der hat es ihnen aber reingesagt“.
Der Demokrat bietet Verdrängung, der Populist Entladung.
Gerade hier liegen aber auch die aktuellen Schranken
des Populismus. An die Regierung gekommen erweist er sich stets
als unfähig und hilflos. Durchstarten kann er nicht, also muss
er lavieren. Seine Präpotenz erscheint als lächerlich.
Das fällt selbst den eigenen Wählern auf und daher auf
jenen zurück. Und doch überlebt der Populismus stets den
Absturz der Populisten. Auch wenn sich die Typen laufend blamieren,
tut dies dem Typus keinen Abbruch. Es kann sogar sein, dass ein
und derselbe sein zeitweiliges Ende übersteht und zu einem
Comeback ansetzt. Berlusconi ist das gelungen, und Haider gleich
mehrmals.
Zweifellos gibt es ein populistisches Bedürfnis,
Populismus ist auch mehr als ein politischer Stil. Der Modus der
Kulturindustrie ist vielmehr zum Formzwang von Demokratie und Politik
geworden. Seine Programmatik lässt sich eher an Fernsehprogrammen
ablesen als in politischen Erklärungen nachlesen. Serienhelden
dienen als Matrizen für die Parteiführer. Sie sind die
zur Nachahmung empfohlenen Vorlagen. Aufgrund seiner Verankerung
in den kulturellen Reproduktionen des Alltags darf die Analyse des
Populismus nicht auf die Politik verengt, ja nicht einmal auf sie
zentriert werden.
„Vorstöße rechtspopulistischer Parteien
werden in der Regel allenfalls von Boulevardzeitungen unterstützt“,
heißt es in einer Fußnote. Aber das ist so nicht richtig.
Es übersieht Wesentliches, weil es lediglich offensichtliche
Unterstützung als Förderung gelten lässt. Diese Kulisse
muss deutlicher hinterfragt werden. Die faszinierte Berichterstattung
über die sogenannten bösen Buben gleicht medialen Events
sondergleichen. Da geht es um die Quote. Gerade die Verfolgung,
also das Hinterherlaufen erhöht die allseitige Beachtung immens.
Sie steigert die Reichweite des Mediums wie die Stimmen des Gejagten.
Dieses Verhältnis sollte zumindest als Synkretismus begriffen
werden.
Ein impliziter Zusammenhang ist gegeben, auch wenn
alle auf Abgrenzung aus sind. Medium und Populismus agieren auf
gleicher Basis. Ein investigativer, skandalisierender und eben nicht
analytischer Journalismus treibt den Populisten Wähler in Scharen
zu. Vor allem die Rolle des Fernsehens oder diverser Zeitgeistmagazine,
aber auch der Volks- und Popmusik müsste in diesem Zusammenhang
näher beleuchtet werden. Entscheidend ist die Synchronität
der Anliegen. Da spielt zusammen, was nur scheinbar nicht zusammengehört.
Zu diesem Komplex findet sich im Band allerdings nichts.
So hätte man sich Genese, Entwicklung und Umwidmung
bekannter Schlagwörter genauer anschauen können. Der mehrfach
inkriminierte Begriff der „Anti-Parteien-Partei“ stammt
etwa aus den Anfangstagen der Ökopartei, und zwar von Petra
Kelly, der ersten Sprecherin der Grünen. Den basisdemokratischen
Versuchen mag man einiges nachsagen, nicht jedoch, dass sie populistisch
gewesen wären, in gewisser Hinsicht waren sie antipopulistisch
bis zur Selbstbeschädigung. Trotzdem wurden einige Reizwörter
dem alternativen Vokabular entwendet und gehören seitdem zum
populistischen Arsenal.
Das Buch dürfte auch etwas zu schnell in Druck
gegangen zu sein, was sich vor allem an zahlreichen formalen und
inhaltlichen Mängeln ausdrückt. Etwa wenn die Herausgeber
behaupten, dass die ÖVP 2001 ihre Anhänger aufforderte
gegen das FPÖ-Volksbegehren betreffend das tschechische AKW
in Temelin zu stimmen. Solcherlei ist unmöglich, hier gibt
es nur Unterstützungserklärungen resp. -unterschriften.
Da wird offensichtlich ein Volksbegehren mit einer Volksabstimmung
verwechselt. Derlei Fehler sind wohl auch Folge eines unter extremen
ökonomischen Belastungen stehenden Verlagswesens, dem es schlicht
unmöglich ist, sich ein ordentliches Lektorat zu leisten.
Franz Schandl
***
Harri Czepuck
Die längste Nacht
Wahrheiten über Halbe.
SPOTLESS-Verlag, Berlin 2006. 96 Seiten, 5,10 Euro
In diesem Band beschreibt ein fast 80-jähriger,
was er als 18-jähriger erlebt hat: Die furchtbare Schlacht
von Halbe. Als das faschistische Deutschland 1945 schon verloren
war, die Berliner in den Kellern das Ende zu überleben hofften,
entstand der Wahnplan im Süden der Stadt, in Halbe, den Krieg
wenden zu wollen.
„So steht dieser Ort heute als Beispiel dafür,
dass mit dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik Deutschland
die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts neu geschrieben werden
soll. Großdeutschland, das man wieder anstrebte, sollte von
seinen unangenehmen Altlasten entsorgt werden.
Nach einem unseligen und verbrecherischen Krieg und
seinem sinnlosen Morden wurde in den fünfziger Jahren, also
zu DDR-Zeiten, hier ein Mahnmal für den Frieden errichtet.
Wenn es allerdings nach jenen Kräften geht, deren Väter
und Großväter zum Teil Mitschuld an jenem Krieg tragen
oder dessen Opfer wurden, dann soll hier ein paar Mal im Jahr Deutschland,
Heilig Vaterland gefeiert und ein Friedensmahnmal zu einer Walhalla
für deutschen Mut und deutsches Heldentum umgebaut werden.
So, wie vieles in Deutschland umgebaut - reformiert - wird, um die
Neuordnung Europas, wie Goebbels in seiner letzten Schrift 1945
forderte, nicht nur in Berlin, sondern, wie es ein sozialdemokratischer
Verteidigungsminister 60 Jahre später, im Jahre 2005, formulierte,
am Hindukusch zu verteidigen.“
Harri Czepuck sollte im Vorfeld der mörderischen
Kesselschlacht Kabel knüpfen und war am Ende froh, sein Leben
zu retten. Jahrzehnte später muss er erleben, wie die Gräber
derjenigen, die an seiner Seite starben, in dem „vereinigten“
Deutschland missbraucht werden sollen, um „Helden“ zu
feiern und zu ehren.
„Mit einer Zielstellung, dem Expansionsdrang
der deutschen Wirtschaft zu dienen und die Gegend für ihre
Interessen zu stabilisieren, zogen schon zweimal deutsche Soldaten
in Weltkriege. Sie endeten zweimal für viele einfache deutsche
Soldaten auf Gräberfeldern in ganz Europa.“
Als Tat- und Zeitzeuge räumt Harri Czepuck mit
den Legenden um Halbe gründlich auf und präsentiert jene
Wahrheit, die auch Wahrheiten über die Gegenwart enthüllt.
NM
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