Der anhaltende Handstreich der hochbetuchten Bravour-Bourgeoisie
à la Alemania gilt der Demontage von Allmenden durch ein
neorassistisches Räderwerk, das in Gang setzt, daß die
sozialen Konflikte ethnisiert und zentrifugale Tendenzen verstärkt
werden. Die enteigneten Massen haben sich ihrer Zugehörigkeit
zu einem völkischen, meist mythischen Stamm zu rühmen
und zu bemühen, die Misere ihrer Existenz als gottgegeben gutzuheißen.
Längst überließ die gewalthabende Demokratur überall
das Elend dem Berufsstand des Menschen-Managements.
Unbesehen der verbalen Akzeptanz der Verdienste, welche
die eingewanderten Anachoreten seit fast einem halben Jahrhundert
im Groß-D-Land bewerkstelligten, rollt der bullige Akklimatisations-Bulldozer
der selektiven Assimilation in immer höherem Tempo durch die
imperatorisch imitierten „Parallelgesellschaften“. In
seinem offensiven Zielbahnhof liegt das Verbot des Türkischen
im schulischen Pausenhof oder bald in allen öffentlichen Orten.
Als Grund wird vorgeschoben, daß die Muttersprache der Allochthon-Kinder
die Integration erschwere. Diesem kulturalistisch diskriminierenden
Duktus schloß sich zuletzt der Berliner Bürgermeister
Klaus Wowereit an. Das kinderlose, in Charlottenburg wohnhafte Hauptstadtoberhaupt
outete sich Anfang Dezember 2006 vor Kameras: Hätte er Sprößlinge,
würde er sie nicht auf eine Kreuzberger Schule schicken. „Ich
kann auch jeden verstehen, der sagt, dass er da seine Kinder nicht
hinschickt.“
Derartige und analoge Allüren stacheln in den
als „Getto“ herabgesetzten Randstadt-Stätten den
Alarm an. Dieser tief verwurzelt kaltschnäuzigen Ethnophobie
des Deutschtums hielt sich DIE BRÜCKE über ein Viertel
Jahrhundert als Gegengewicht im Sattel.
Während die retrospektive Domänen-Diktatur
der Demokratie auf die unrühmliche Rückkehr der Ständestaatsstrukturen
starrt, kommen die Mainstream-Musketiere der „Vierten Gewalt“
still wie stilvoll anmarschiert, halten große Stücke
auf die (Selbst)Zensur, sehen die Sehnsüchte der Menschenmengen
nach Brot und Bruderschaft über die Schulter an, beäugen
die karnevalesken Kaskaden der Kulturkreis-Kompagnons sowie krawallesken
Bravourstücke der imperialen Bastei-Barone in großem
Bogen. Ebenfalls erwärmen sie sich für mediale Miseren
und hauen allemal auf die Pauke, wenn sie davon Wind bekommen, daß
gedruckte Sprachröhren des unfolgsamen Gedankengebäudes
wie DIE BRÜCKE in die Marginalien gedrückt werden.
Im Abseits des Mainstreams strengt sich dieses Blätterwerk
seit über einem Vierteljahrhundert an zu überleben, fußt
vorwiegend auf einem zum Nulltarif tätigen Herausgeber- und
Redaktionskreis, demonstriert nun mit dem aktuellen Heft abermals
seine publizistische Position als morgenbunt ausgefeilter Botengänger
einer kosmopolitanen Bürgerrepublik.
Nicht nur im Integrationssektor des krisenkapitalistischen
Syndikatensystems, eine Menge Blätter erscheinen dank der voll-
oder halbamtlichen Protektion – im strukturellen Segment der
Scheinselbständigkeit. An jedem Jahresende feiern ihre Fertiger
umstandslos das gesicherte nächste Jahr. Andere müssen
sich in den weihnachtlichen Bettelbetrieb der virtuellen Fußgängerzone
einreihen – in immer weiterer Ferne eines solidarischen Anbruchs.
Was tun hingegen die Kritikaster der alternativen
Allianzen? Die Meisten manipulieren den literarischen Wert der Exotik
und Erotik, reduzieren ihn auf das Niveau des Sexgeschäftes
– einer poppigen Portion der primitiven Pornographie. Doch
hier stellt sich nicht die Frage nach dem Fortbestand unseres Forums.
Vielmehr geht es bei dieser Episode Zweitausendsieben darum, auf
die planetär sachliche Schwäche des Antipoden-Pols hinzuweisen
und auf die eigene Position bezug zu nehmen.
Der Abonnenten-Stand blieb im vergangenen Jahr weitgehend
gleich. Die Produktionskosten stiegen hingegen in die Höhe.
Appelle an die autonomen Autoren der Zivilisations-
und Zeitgeistkritik, der Prosa und Poesie, blieben meist ohne Widerhall.
Manche lesen das Editorial kaum. Andere haben den
Text „Fels vor dem Wogenprall“ in der Ausgabe 142 irrig
interpretiert. Er enthielt den Appell, diesem Forum unter die Arme
zu greifen, damit es sein Erscheinen fortsetzen kann – und
gar der Unkenruf, daß ein finanzieller Betrag den Abdruck
eines Beitrags garantieren könnte. Gewiß postulieren
allemal bekannte Platzprobleme, daß die Texte der Abonnenten
und Vereinsmitglieder bei der Auswahl Vorrang haben. Hinzu kommt,
daß die literarischen Arbeiten im Mindestmaß einen Bezug
zur Utopie der Kosmopolitania haben müssen.
In diesem Zusammenhang werden die Rezensenten erneut
daran erinnert, zu ihren Beiträgen unbedingt die Angaben hinzufügen
wie: Name des Autors oder Herausgebers, Titel und Untertitel, Verlag
oder Verband, Ort und Jahr, Seitenzahl und Ladenpreis der Publikation.
Das Frühlingsmeeting 2007 wird in der zweiten
Maihälfte stattfinden – in einer festlichen Atmosphäre
mit literarischen und zivilisationskritischen Beiträgen. Alle
sind zur aktiven Teilnahme eingeladen.
Bekanntlich fiel das Herbsttreffen 2006 der Redaktionskonferenz
aus. Denn mein Herz kam aus dem Rhythmus, genannt auch Infarkt,
das heißt plötzliche Stagnation der Blutzufuhr in den
Herzkranzgefäßen.
Es begann im hochsommerlichen Istanbul. Der Schmerz
kreiste auf der Brust. Oft kam er aus dem Magen, flatterte aufwärts,
dann zum linken Arm und flog raus. An jenem 12. Oktober nicht mehr.
Es krakeelte, ähnelte dem Krach von Heeresfliegern im Landeanflug.
Es gab kein Land, das ein Gewicht hatte, kaum ein Ideal, das den
Drang nach dem Leben zu ersetzen imstande war.
Die ersten Worte dieses Textes flogen am 13. Oktober
2006 in der Intensivstation des Völklinger Herzzentrums. Nach
zwei Tagen wurde ich verlegt in ein Zwei-Betten-Zimmer, teilte es
mit einem Ex-Sizilianer – in der Atmosphäre der mediterranen
Wärme. Aber nur zwei Tage. Dann wurde ein drittes Bett dazwischen
geschoben, so daß es kaum möglich war, sich im engen
Raum zu bewegen. Wir verbrachten die meiste Zeit unten im Foyer
oder vor dem herzbrechenden Eingang der Heilanstalt und zogen kräftig
am Glimmstängel.
Noch schlimmer spielte es sich nach einer Woche in
einer Reha-Klinik abb, wo der Patient so definiert wird, daß
er ins vorhandene Programm paßt. Man erzielt Extraprofite
z.B. durch überteuertes Telefonieren oder durch die Tagesmiete
eines kleinen, Jahrzehnte alten Glotzophons von 1,50 Euro. 3,00
Euro kostete ein halbstündiger Internet-Eintritt über
einen alten Computer mit Antiquitäten-Qualität. Kurzum:
Der Gesundheitsprozeß im metropolitanen Kasten-Kastell scheint
restlos der „unsichtbaren Hand“ des Marktes überlassen
zu sein.
Am Rande nivellieren die Mammon-Mentoren die urbanen
Unebenheiten der demographischen Detonation, formatieren mathematische
Formel, um sich an der Methusalem-Metapher vorbeizumogeln. Doch
die Senioren-Residenzen pflanzen sich unaufhörlich fort, wobei
die Regenten der Rentier-Republik nur noch auf den Pfleger-Import
im Heloten-Status blicken.
Zuallerletzt wünscht der Herausgeber- und Redaktionskreis
allen Abonnenten, Autoren und anderen ein wohl bewährt bewegtes
Jahr 2007.
Necati Mert
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