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Die angeblich typisch deutsche Lust an der Angst
ist schon ein eigentümliches Phänomen. In immer neuen
Wellen werden tatsächlich bestehende Probleme so weit dramatisiert,
als ob wir kurz vor dem Weltuntergang stünden. Gestern noch
drohte die Apokalypse durch den Öko-Kollaps, einen bevorstehenden
Weltkrieg, BSE, SARS und Vogelgrippe, heute ist es der Islam. Wer
als Journalist zum richtigen Zeitpunkt die richtige Welle erwischt,
kann darauf ganz erfolgreich mitsurfen. Dabei richten sich in politisch
unruhigen Zeiten entsprechende Szenarie der Bedrohung häufig
gegen gesellschaftliche Minderheiten. Medienwissenschaftler sprechen
dann von „Moral Panics“. Henryk Broder spielt auf dieser
Klaviatur der Angst momentan mit besonderem Erfolg.
In „Hurra, wir kapitulieren!“ hat er so
einige in der Tat verstörende Einzelfälle zusammengestellt.
Dabei fällt auf, dass er sein Buch - entgegen der Ankündigung
im Vorwort - nicht gegen „den Terrorismus“, sondern
explizit gegen „den Islam“ richtet. So spricht Broder
von „1,5 Milliarden Moslems in aller Welt, die chronisch zum
Beleidigtsein und unvorhersehbaren Reaktionen neigen“. 1,5
Milliarden - das ist doch mal eine ordentliche Sippenhaft! Vor zehn
Jahren noch bezeichnete man Leute, die wegen eines türkischen
Messerstechers sämtliche Türken als Gewalttäter bezeichneten,
als „ausländerfeindlich“. Heute werden alle, die
anders denken, als „politisch korrekte Gutmenschen“
verunglimpft.
Geschickt montiert Broder ganz unterschiedliche Dinge
zusammen. So etwa wenn es um den Karikaturenstreit geht: „Bei
Jyllands-Posten treffen derweil die ersten Morddrohungen ein. Am
14. Oktober demonstrieren 3000 Moslems nach dem Freitagsgebet auf
dem Rathausplatz von Kopenhagen.“ Nun sind Morddrohungen ein
Verbrechen, und Demonstrationen ein gesetzlich geschützter
Ausdruck von Meinungsfreiheit. Broder aber scheint es wichtig zu
sein, einige wenige Durchgeknallte an das Bild einer furchteinflößenden
Masse zu koppeln.
Dieses Bild hat mit den Realitäten hierzulande
wenig bis gar nichts zu tun. Wie zuletzt der Präsident des
Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, betonte, sind die Muslime
hier mit 99,9 Prozent fast durchgehend friedlich und haben nicht
das geringste mit fanatischen Tendenzen zu schaffen, die einen Generalverdacht
rechtfertigen würden. Diese 99,9 Prozent kommen in Broders
Buch schlichtweg nicht vor. Er beschäftigt sich ausschließlich
mit dem einen Promille, das übrig bleibt. Der Kabarettist Jürgen
Becker gab in der Talkshow „Sabine Christiansen“ auf
solche Formen selektiver Wahrnehmung die passende Antwort: Wenn
sich in mir bereits das Vorurteil eingenistet hat, dass sämtliche
BMW- oder Mercedes-Fahrer unverantwortliche Raser und Drängler
sind, kann ich mir das auf der Autobahn Tag für Tag selbst
bestätigen. Mit der komplexen Wirklichkeit hat das aber nichts
zu tun.
Natürlich ist es für uns alle unerlässlich,
die Meinungsfreiheit beständig zu verteidigen. Aber man muss
sich dazu in keine Angstzustände hineinsteigern. Zur Veranschaulichung:
In meiner Krimi-Satire „Die Sklavenmädchen von Wiesbaden“
provoziert der Anti-Held eine Gang leicht erregbarer Islamisten
dazu, das Gebäude eines Widersachers zu stürmen, indem
er behauptet, dieser vertreibe Pornos, in denen es Mohammed mit
72 Jungfrauen und einer Ziege treibe. Kurze Zeit später wird
der Betreffende selbst von Fanatikern als „Anti-Mohammed“
(in der Satire die muslimische Variante zum „Antichrist“)
verfolgt. Sitze ich wegen solchen Spitzen nun schlotternd und bebend
hinter meinem Schreibtisch? Natürlich nicht. Genausowenig wie
Henryk Broder wegen seiner Attacken Angst vor muslimischen Rollkommandos
haben müsste. Oder die Verfasser der zahlreichen Weblogs, die
nichts anderes als Islamhass zum Thema haben. Oder Jörg Haiders
FPÖ, die flächendeckend „Daham statt Islam“
plakatierte. Dass es in Mitteleuropa tabu sei, den Islam zu kritisieren,
ist ein Popanz: Nichts anderes geschieht seit Jahren in etlichen
Büchern, Artikeln und Kommentaren. Verständlich ist, dass
manche Muslime über dieses Dauerfeuer irritiert sind - und
verletzt, wenn man ihre Religion gezielt durch den Schmutz zieht.
Das ginge Nicht-Muslimen kaum anders, aber nur bei Muslimen werden
diese verletzten Gefühle durch Broder und Co. zusätzlich
als „schon wieder beleidigt“ abgefertigt. Offenbar dürfen
Muslime beleidigt werden, aber auf keinen Fall beleidigt sein.
Vor einiger Zeit habe ich in einem Interview mit einem
in Broders Ecke als „islamistisch“ verschrieenen Internetportal
geäußert, dass ich auch eine provokative Islamkritik
für berechtigt halte, und ich habe die Lektüre der lesbischen
feministischen Islamkritikerin Irshad Manji empfohlen. Das blieb
von den muslimischen Betreibern des Portals unwidersprochen, wurde
veröffentlicht, und ich habe danach niemals Anfeindungen von
auch nur einem einzigen Muslim erlebt - wohl aber heftige Anfeindungen
mit gewaltigem Furor von Henryk Broder und Co., weil ich „mit
solchen Leuten“ überhaupt einen Dialog geführt und
dabei auch noch das Handeln der israelischen Regierung kritisiert
habe. So etwas betrachten Broders Kreise nun selbst als „politisch
nicht korrekt“. Vergleichbare Reaktionen von Muslimen wären
sofort in das Raster „dauerempört“ eingeordnet
worden. In seinem Buch rückt Broder sogar renommierte Kritiker
der israelischen Politik wie Noam Chomsky und Uri Avnery in die
Nähe von Antisemitismus. Gilt Meinungsfreiheit nur, solange
es gegen Muslime geht? Diese Doppelzüngigkeit ist unseriös.
Wer sich heutzutage mit überzeugten Muslimen
auch nur unterhält, gilt für Broder und seine Anhänger
bereits als „Dhimmi“: das tagesaktuelle Gegenstück
zum „Judenfreund“ der zwanziger Jahre. Eines ist klar:
Wenn jemand Broders eigene Religion so angreifen würde wie
er den Islam, dann würde derjenige damit nicht fröhlich
durch sämtliche deutschen Talkshows tingeln können. Aber
solange es gegen die muslimische Minderheit geht, kann man sich
dem Applaus der Mehrheitsgesellschaft sicher sein. Wenn verschiedene
jüdische Organisationen ausdrücklich auf die Gemeinsamkeiten
zwischen Antisemitismus und Antiislamismus hinweisen, verdienen
sie damit volle Unterstützung.
Leider hat Broders doppelte Moral Methode. Das tritt
besonders schmerzhaft zutage, wenn er selbst die US-amerikanischen
Folterlager immer wieder mit Nachdruck verteidigt. Für ihn
„übersteigt die Idee, man könne dem Terror nur mit
rechtsstaatlichen Mitteln beikommen, die Grenze zum Irrealen.“
Auch hier spielt Broder wieder das alte Spiel: Menschenrechtsverletzungen
sind nur von Übel, wenn sie in islamischen Ländern geschehen.
Zu den Werten des Westens, die verteidigt gehören, zählen
sie für ihn offenbar nicht.
Sobald Broder schließlich auf die Weltpolitik
zu sprechen kommt, ist die Katastrophe perfekt. Vor wenigen Jahren
plädierte er noch dringend für einen Angriff auf den Irak.
Heute hat sich daraus ein für jeden sichtbares Fiasko entwickelt.
Die Behauptungen über Saddam Husseins angebliche Massenvernichtungswaffen
oder eine Unterstützung der Al Qaida konnten hingegen nicht
bestätigt werden. Ist Broder wenigstens in der Lage dazuzulernen?
Pustekuchen: Heute macht er ebenso tüchtig Front gegen den
Iran. Wie genau hier eine Lösung aussehen soll, verschweigt
er uns allerdings. Dafür hämt er neidvoll gegen ausgewiesene
Experten wie Bahman Nirumand, die solche Konzepte liefern.
Generell ist ein Ärgernis an Broders Buch, dass
es lediglich eine allgemeine Verunsicherung aufgreift und auf einer
recht banalen, provokativen Ebene thematisiert, aber keine brauchbaren
Lösungen anbietet. Kompromisse sind in Broders Welt „Einknicken“,
Dialog ist „Appeasement“, - was bleibt da übrig?
Eifrig weiter Muslime drangsalieren, um sich selbst zu beweisen,
wie tapfer man doch ist? Was intelligente Ideen betrifft, die über
eine Wir-gegen-die-Logik hinausgehen, herrscht bei Broder Totalausfall.
In seinem erklärten Vorbild, den USA unter George Bush, ist
die Zahl der Fälle, in denen Muslime Gewalt ausgesetzt oder
benachteiligt worden sind, 2006 um knapp dreißig Prozent im
Vergleich zum Vorjahr gestiegen. 39 Prozent der Amerikaner geben
Vorurteile gegenüber Muslimen zu und fordern, dass diese einen
speziellen Personalausweis tragen sollten. Mehr als einer von fünf
möchte keinen Muslim als Nachbarn haben, obwohl beinahe 60
Prozent noch nie einen getroffen haben. Das sind Zustände,
die ich in Deutschland nicht haben möchte. Leider bereitet
Henryk Broder mit seiner aufstachelnden Polemik den Weg dazu.
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