XXVI. Jahrgang, Heft 144
Apr - Mai - Jun 2007/2

 
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Letzte Änderung:
20.04.2007

 
 

 

 
 

 

 

Editorial

Knospenknall zum Blütentraum
Oder wie frisch gebackene Rächer der Entrechteten sich zur Schau stellen

   
 
 


DIE BRÜCKE ist grundsätzlich ein Themenheft, in dessen Schwerpunkt globale Migration, koloniale Manipulation, der Ethno- bzw. Eurozentrismus, Neorassismus, respektive Kulturalismus u.ä. liegen. Davon weichen mancherlei Beiträge in den Rubriken wie »Kultur-Atalier«, »Medien-Kultur-Schau« sowie Lyrik ab. Das widerspricht den Grundfesten des Blätterwerks keinesfalls, sondern bereichert sie.

Bei der Auswahl der literarischen Beiträge für ein Heft haben die Vereinsmitglieder und Abonnenten Vorrang. Wenn dann ausreichend Platz vorhanden ist, werden auch weitere zugeschickte Texte aufgenommen. Ihre Verfasser bekommen üblicherweise Belegexemplare mit einem Appell, unser Forum freiwillig engagierter Individualisten durch ein Abo oder Mitgliedschaft im herausgebenden Verein zu unterstützen.

Für jedes Heft müssen bis zu 5.000 Euro aufgebracht werden. Seit Beginn des laufenden Jahres kommen zusätzlich steigende Druck- und Versandkosten dazu. Daher mußte Auflage und Seitenzahl reduziert werden. Unverzagt hoffen wir deshalb auf weitere Förderer.

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Die Opposition der endkapitalistischen Kraken läßt sich entweder als eine beklagenswerte Jeremiaden-Gemeinde bezeichnen oder als Konglomerat aus meist isolierten und partikularen Zirkeln. Vor allem im Spektrum der Migration herrscht eine spekulative Spießer-Society der Katzbuckelei.

Die »Fünfte Kolonne« des Imperiums, also die machtkonforme »Vierte Gewalt« des marktfrommen Systems hilft einigen wenigen Konvertierten, gehorsamen Selbstorganisationen oder interimistischen Interessengemeinschaften im Umkreis der Integrationsindustrie, sich weltläufig feilzubieten.

Im Gesellschaftsgefilde widerhallt die generell als »nicht-gelungene Integration« ausgetrommelte Formel einer Form des Widerstandes, die Re-Aktion der allochthonen Population auf die ständestaatliche Strukturen, die unter dem Aktenzeichnen »abgehängtes Prekariat« abgeheftet werden. Die Tartüff-tüchtigen Tüftlergenies planieren den gängigen sozialen Prozeß als Holzweg der kulturellen Identität, und es geht um die breite Masse der muslimischen Minorität. Wahr ist, daß die Assoziationen der Gottgläubigerkreise nur einen Bruchteil dieser Einwohner zusammenlesen. Dagegen türmt sich die Strategie der Integration auf dem tremolierten Terrain auf, die Abweichler der Zunft zu züchtigen und sie als liederliche Leibeigene wohlgeraten umzuformen. Unter dem kulturalistisch kreierten Krakeel tarnen sich die Gewalthaber und führen die Loser im »ganz unten« aufs Glatteis.
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Wenngleich der Frontverlauf zwischen Masse und Marke, zwischen Pläsier-Parasiten und Planetär-Parias, zwischen Elementar-Elend und Elitär-Elan senti-mental über die Bühne geht, sind die aufklärerisch akklimatisierten linkslastigen Lebehoch-Legionen meistenteils darum bemüht, bei der Evaluation der sozialen Evolution mit den Blutsaugern der Natur-Ressourcen konform zu gehen.

Die koalitionären Kumpanen der imperialen Zentren überfallen überall das Leben, verdünnen wie Insektenlarven auffällig Fauna und Flora – wie das visionäre Planetoid den Plankton oder die invasionären Aliens halten sie mit ihrem stinkigen Schneckenhausgepäck jeglichem Appell stand.

Von allen Hunden gehetzt kreuzen die lückenlos entfesselten Marktkräfte die Klingen gegen jede freie Lebensart, lavieren lautlos mit Drohkulissen, tremolieren mit Trompeten und können die »Multitude« mühelos in den Schlaf singen. Sie lassen mit krummen Kampagnen und Camouflagen sich von den schwachen Charakteren den Staub von den Füßen lecken.
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Ein romantisch radikales, aber ramponiertes Rad rollt seit Mitte Februar 2007 durch die Randstätten-Reviere der bundesdeutschen Rentier-Republik – gedreht von einem Haufen provokativer Plagiatoren, die aus dem einstmals populären Transparent »Wir haben abgetrieben« die plakative Parole »Wir haben abgeschworen« zusammenzustückeln wußten – mit geschwellter Brust. Ein ziemlich lautes Echo fand die Neuigkeit in der modrig monotonen Palaver-Presse der metropolitan-moralisch modellierten Monopole. Etwas Karnevaleskes, etwas ernst Gemeintes, militant Manifestes, markig Manieriertes...

Ein »Zentralrat der Ex-Muslime« habe sich gegründet, lautet die massive Message allerorten. Fast dreihundert mal erscheint der Titel im Monitor des Elektronengehirns geradewegs, wenn man mit ihm als Kennwort im Google den Suchbefehl betätigt. Aus voller Brust feiern die Prediger der aufklärerischen Avantgarde fröhliche Urständ, nehmen die »Abgeschworenen« in ihren Schoß auf. Der »Humanistische Verband Deutschlands« sowie die »Giordana-Bruno-Stiftung« stehen pfeilgerade hinter der gebräuchlich gebotenen Geburt und geben viel darauf. Vom »Deutschen Freidenker-Verband« liegt noch keine Parteinahme vor. Nach eigenen Angaben hatte der »Rat« Anfang März 120 Mitläufer, dessen Rädelsführer ihrem Trachten wie folgt Ausdruck verleihen:

»Wir wehren uns in aller Entschiedenheit dagegen, dass muslimische Organisationen wie der Islamrat oder der Zentralrat der Muslime den Anspruch erheben, uns und unsere Interessen in Deutschland vertreten zu können!

Wir fordern die deutsche Politik und Öffentlichkeit dazu auf, die Augen dafür zu öffnen:

• dass die Menschenrechte unteilbar sind und somit auch für all jene Menschen gelten müssen, die in einer sog. 'muslimischen Kultur' aufgewachsen sind
• dass es auch in den sog. 'muslimischen Ländern' zahlreiche Menschen gibt, die sich zu keinem religiösen Glauben, sondern zu den säkularen Werten von Humanismus und Aufklärung bekennen.

Auf der Basis solcher aufklärerisch-humanistischer Grundüberzeugungen setzt sich der Zentralrat der Ex-Muslime für folgende Ziele ein:

• die Durchsetzung der allgemeinen Menschenrechte als unveräußerliche individuelle Rechte des einzelnen Menschen
• die Durchsetzung der Weltanschauungsfreiheit als Freiheit, sich öffentlich wie nichtöffentlich zu religiösen oder nichtreligiösen Anschauungen zu bekennen oder dies zu unterlassen
• die Durchsetzung einer konsequenten Trennung von Staat und Kirche/Religion/Weltanschauung
• die Förderung der Völkerverständigung auf der Grundlage der allgemeinen Menschenrechte
• die Förderung des vernunftgeleiteten Denkens und der Erziehung zur Toleranz.«
(Kontakt: Zentralrat der Ex-Muslime e.V., Postfach 250346, 50519 Köln, www.ex-muslime.de)

Das sind allgemein akzeptable Postulate, auch wenn sie unverblümt aus der Mottenkiste stammen. Ihre Poseure sind aber wohl auf dem falschen Dampfer, was den Adressaten angeht: »Die deutsche Politik«. Nach Adam Riese setzt sie gerade in Sachen der inneren Sicherheit auf die Ist-Stärke der »Islamophobie« und auf den Fortbestand der Improvisation »Islamismus«, um ein brauchbares Feindbild zu rekonstruieren. Und sie setzt auf das ethnizistische Zersplittern der peripheren Gesellschaftsgefilde auf dem Wege zu einem Paneuropa unter germanophilem Gutdünken.

Doch die Spätankömmlings-Zöglinge des Zivilisierten-Zentrums stellen die Ohren auf Durchzug, praktizieren mit ihrem rudimentären Räderwerk eine Art populistischen Parteigang. Ihr schatten- wie silhouettenhafter Scheuklappen-Blick auf den Gottglauben blendet ihnen das Panorama aus, hinter dem sich die schrullige Show der pangermanischen Plattitüde-Partisanen abspielt. Während diese hier zu Hause das Augenmerk der Allgemeinheit auf die Eingewanderten-Sparte orientalischen Habitus als Brutstätte des Terrorismus lenken – wobei die Vokabel mit »islamistisch« perfektioniert und mit den Statussymbolen »Kopftuch«, »Ehrenmord« und »Zwangsehe« popularisiert wird –, helfen sie dort z.B. in der Türkei der gentilgesellschaftlichen Gegen-Gilde des laizistischen Gedankengebäudes auf die Sprünge – wegen derer angeblich vagen freiheitlich-demokratisch-freimarktwirtschaftlich reformfreudigen Formation.

Der Stifter- und Gründerkreis einer Sekte namens »Zentralrat Ex-Muslime e.V.« und ihre Sekundanten zeigen symbolisch wie spiritual Parallelitäten mit ihrer systemisch sanktionierten Gegenseite und paralysieren eine ganze Mitwelt migrantischer Memoiren. Das ganze Postulaten-Paket des Neugeborenen läßt sich eigentlich auf einen einzigen Punkt reduzieren: Daß das Groß-D-Land einstweilen ernsthaft die Maxime des Laizismus vergesellschaftet und die bestehenden Vorrechte der Religionsgemeinschaften abschafft. Andernfalls machen sich die Initiatoren des Kontra gebenden »Zentralrats« zu Handlangern des germanophilen geheimen Generalissimus mit seinen hegemonialen Ambitionen.

Ferner laufen sie auch Gefahr, als Donnerwetter-Veteranen der Konversion wie Nichtraucher-Revoluzzer im riesenhaft ritterlichen Reservoir des aufklärerisch kreischenden, Menschenrechtsmetier heischenden neoständischen Napoleonismus zu fungieren, mit sich als triviale Reklame-Troupiers, Troubadoure und Troubleshooter Schindluder treiben zu lassen, indem sie sich mit dem antiquierten Hymnus der Humanitas tarnen.

Oder sie lassen sich als Zeloten der »Aufklärung« und Zenturien des Novum Romanum – des imaginären »Römischen Reichs Deutscher Nation« – betiteln, die auf ihren fiktiven Fiakern durch die metropolitanen Magistralen paradieren, in einsamen Sackgassen betteln und unter den Mauern der Zitadellen Zelte der Selbst-Zensur aufschlagen.

Weiteres Kopfzerbrechen über die selbst erklärten Advokaten-Adlaten der Menschenrechtsmeriten und adligen Adler-Adepten erübrigt sich, wenn man folgende Verse von Nazim Hikmet (im Kasten) zu Ende liest. Er reimte sie 1921, also mit einundzwanzig Jahren.

Necati Mert

   

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