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Niki Eideneier (Hrsg.)
Die Sonnenblumen der Juden
Die Juden in der neugriechischen Literatur.
Eine Anthologie. Romiosini Verlag, Köln 2006. 397 Seiten, 24,80
Euro
Damit das Vergangene nicht zum Vergessen werde
Dass durch die Ansiedelung von Vertriebenen das eigene
Gemeinwesen voran zu bringen war, das stellte sich nicht erst heraus,
nachdem beispielsweise 1685 Brandenburgs Großer Kurfürst
Friedrich Wilhelm 15.000 Hugenotten aufgenommen hatte. Im Jahre
1492 war ihm Sultan Bayazid II. darin vorausgegangen, indem er der
gleichen Zahl aus Spanien ausgewiesener Juden in Thessaloniki ein
Bleiberecht gewährte. Konfliktfrei war deren Existenz allerdings
zu keiner Zeit. Als jüdische Buchdrucker 1515 heimlich in Thessaloniki
das erste Buch druckten, riskierten sie die Todesstrafe, die dafür
dort noch bis 1727 gegolten hat. Dennoch erblühten in der Stadt
am Nordostzipfel des Thermaïkos Kolpos Handel und Gewerbe,
es entstand eine Großstadt, Kosmopolitismus war ihr Gütesiegel.
Es blieb dann Eichmanns Mannen - in Saloniki hießen sie Dieter
Wisliceny und Alois Brunner –vorbehalten, im Verein mit dem
Kriegsverwaltungsrat Max Merten von 50.000 Juden, die um 1940 in
der Stadt lebten (20% der Einwohnerschaft), nach dem 15. März
1943 innerhalb von drei Monaten 46.000 nach Auschwitz zu verbringen.
Mit Erinnerungen, Reflexionen, Erzählungen, Gedichten
wird in dieser Anthologie aus griechischer Sicht jüdische Lebenserfahrung
in einer Weise übermittelt, die durch ihre Wahrhaftigkeit beeindruckt.
“Dort wird kein Schmerz mehr sein”, betitelt Nina Kokkalidou-Nachmia
ihre Geschichte über eine deutsche Jüdin, die mit ihrem
griechischen Mann auf dem Peloponnes in der Resistance kämpfte
und fiel, und wo es am Schluss heißt, “dass dort weder
Schmerz noch Klagegeschrei sein wird.” Und dass man dort trotz
unendlicher Trostlosigkeit und Ausweglosigkeit dennoch nichts von
Resignation erfährt, das zeichnet diese Texte insgesamt aus.
Kimon Tzallas schildert, wie zwei Geschwister, Eliezer und Esther,
die ihrem Schicksal in Polen entronnen sind, er als Erblindeter,
in die ersehnte Heimatstadt zurückkommen und ihr elterliches
Haus von Fremden, von den Kriegswirren Versprengten, besetzt vorfinden.
An ihrer gleichmütigen Reaktion auf diesen Schock ist abzulesen,
dass sie durchlitten haben, wie anderen ganz anderes widerfahren
ist. Diese ganz anderen Dimensionen von Leiden derer, denen die
Heimkehr versagt blieb, machen das Unaussprechliche und das in diesem
Buch Unausgesprochene aus, das sich letztlich dem Vorstellungsvermögen
entzieht. Von einer beängstigenden Form von Traumatisierung
spricht Mimika Cranaki am Beispiel einer am Pariser Konservatorium
Studierenden: “Ich litt schon immer an einer Überfunktion
des Gedächtnisses, und das war mir zwar bei den sechsstimmigen
Fugen sehr hilfreich, aber im Leben wurde es zu einer Tyrannei;
über ganze Stunden hinweg nahmen unbedeutende Dinge übernatürliche
Ausmaße an, es setzten sich bei mir alle möglichen verrückten,
fixen Ideen im Kopf fest…” Und so wird es sehr begreifbar,
dass diese Traumata fortwirkend Ängste auslösen. “Du
hast ja sogar Angst vor deinem eigenen Schatten”, heißt
es bei Nestoras Matsas. Wer bemüht ist, sich in diese Lebenserfahrung
hinein zu denken, wird heutige Nöte sehr rasch auf ihre wirkliche
Dimension herunter transponieren.
Was an diesem Buch noch auffällt: So unterschiedlich
die Sichten seien mögen, in denen über die Lebensschicksale
Verfolgter berichtet wird, es wird nirgendwo Hass geäußert.
Dieser Affekt spielt in ganz anderem Zusammenhang eine Rolle bei
Nikos Kazantzakis in einem Auszug aus seinem autobiographisch-poetischen
Roman Rechenschaft vor el Greco. “Hass, Hass, Hass –
das ist die erste Pflicht”, bricht es da aus einer Jüdin
hervor, auf die der Erzähler im Berlin der Jahre nach dem 1.
Weltkrieg trifft. Und weiter liest man da: “Itka führte
mich in proletarische Viertel, schlüpfte in Keller; alle kannten
sie. Sie zeigte mir hungernde Kinder, weinende Mütter, arbeitslose
Männer…Ich wusste nicht, wie viel Schmerz es auf der
Welt gibt, wie viel Hunger, wie viel Ungerechtigkeit. Noch nie hatte
ich aus der Nähe das grauenhafte Antlitz der Not erblickt.
Hier herrschen andere Gesetze. Der Hass dominiert. Die zehn Gebote
sind verändert; Liebe Hass, Krieg, Ethik haben einen anderen
Sinn.” Er erlebt Itka als den Dornbusch, der brennt, aber
nicht verbrennt, er erlebt sie als eine Frau, die sich nicht um
Schönheit kümmert und deren höchste Sehnsucht nicht
der Freiheit gilt, sondern der Gerechtigkeit. Und er bekommt von
ihr zu hören: “Schämst du dich nicht in deinem Wohlleben?
Du hungerst nicht, frierst nicht im Winter, besitzt keine durchlöcherten
Schuhe! Schämst du dich nicht, spazieren zu gehen und zu sagen:
Schön ist die Welt, sie gefällt mir?”
In diesem Buch wird ein weiter Kreis ausgeschritten.
Es handelt sich zum Glück hier nicht um ein abgeschlossenes
Kapitel der griechischen Literatur.
Horst Möller
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Stefan Luft
Abschied von Multikulti
Wege aus der Integrationskrise. Resch-Verlag, Gräfelfing 2006.
480 Seiten, 19,90 Euro
Wenn der Autor eines dicken Buches den "Abschied
von Multikulti" kundtut und gleich auf die "Wege aus der
Integrationskrise" hinweist, dann entfalten sich daraus die
mentalen Mentoren-Momente: Die Republik hat mit seinen Fremden,
also Spätankömmlingen reichhaltige Schwierigkeiten, die
sie nicht überwinden kann. Von "ethnischen Kolonien"
ist in diesem umfangreichen Buch immerfort die Rede als Invasoren
und mancherorts von "Vorbildern für eine gelungene Integration."
Wie ist dieses Gelaber des Gelungenen festzuhalten? Das fragen die
vielen anderswo in den Seminaren. Doch der Autor illustriert ein
Negativbild vom migratorischen Milieu mit allen Details und versteht
unter dem "Abschied von Multikulti" den geraden Weg zum
Assimilationsareal. Seine Fakten sind stark selektiv. Einen Ausweg
aus der "Krise" ohne majoritär autoritären Zwang
zeigt er nicht. Vielmehr verschiebt er die verantwortlichen Grundfragen
auf die Objekte der Misere und verschreibt das Rezept: Bringschuld,
die die eingewanderten Einwohner der Parallelgesellschaften zu leisten
haben.
Der Klappentext gibt einen Hinweis darauf, daß
der Band sich auf den Fährten des auf die selektive Assimilation
gezielten Amtsschimmels befindet: "In vielen deutschen Städten
haben sich seit Beginn der 1970er Jahre 'ethnische Kolonien' gebildet.
Sie erwiesen sich zunehmend nicht als Durchgangsstation, sondern
als Sackgasse. Was kann gegen die schulische und berufliche Perspektiviosigkeit
großer Teile der Nachkommen der 'Gastarbeiter' unternommen
werden? Was muss die deutsche Politik tun, damit nicht ganze Generationen
an den Rand gedrängt werden, damit nicht die Gefahr von Gewaltexzessen
wie in Frankreich droht? Wie kann die Entwicklung von 'ethnischen
Kolonien' zu “Parallelgesellschaften" rückgängig
gemacht oder verhindert werden? (...)
Integration muss als Aufgabe aller gesellschaftlichen
Schichten verstanden werden. Wir dürfen sie nicht den sozial
Schwächsten in den ethnischen Kolonien überlassen. Andererseits
haben Zuwanderer und ihre Nachkommen die Pflicht, eigene Integrationsleistungen
zu erbringen. Zuwanderung muss darüber hinaus wirkungsvoll
gesteuert und begrenzt werden. Nicht zuletzt aufgrund der absehbaren
demografischen Entwicklung gehört eine neue Integrationspolitik
zu den unverzichtbaren Voraussetzungen für die Erhaltung des
inneren Friedens in Deutschland.
Auch Stefan Luft, Jahrgang 1961, seit 2004 Politikwissenschaftler
an der Universität Bremen, glaubt, erkannt zu haben, wo der
Grundfehler der gegenwärtig kristallisierten "Krise"
liegt:
"Die Anwerbung der 'Gastarbeiter' in großem
Stil seit den 60er Jahren war eine folgenschwere Entscheidung, die
- wie im Falle der Türkei - auch auf Druck der Entsendeländer
zustande kam. (...)
Menschen, die sich dauerhaft in einem anderen Land
niederlassen, suchen die Gemeinschaft mit Landsleuten. Das war und
ist in Deutschland nicht anders als in Großbritannien, den
USA oder den Niederlanden. Sind die daraus entstehenden ethnischen
Kolonien lediglich Durchgangsstationen, sind sie ein durchlässiges
System, besteht wenig Gefahr, dass sie sich im Laufe der Zeit verfestigen
und zu einer Integrationsbarriere werden. (...)
In den ethnischen Kolonien in Deutschland vollziehen
sich seit Jahrzehnten sozial selektive Wanderungen, die eine zunehmende
Ballung sozial schwacher und ethnischer Gruppen zur Folge haben.
Wer es sich leisten kann, verlässt den Stadtteil. Die sozial
schwachen Einheimischen, die nicht in “bessere" Wohngegenden
ziehen können, sehen sich mit einer zunehmenden Dominanz fremder
Lebensweisen und kultureller Ausdruckformen konfrontiert, die das
Gefühl des 'Fremdseins in der eigenen Heimat' entstehen lassen.
(...)
Die deutsche Ausländerpolitik setzte lange Jahre
auf die Bewahrung der “kulturellen Identität" der
Zuwanderer. Sie stellte sich gegen eine Angleichung der Gastarbeiter
und ihrer Nachkommen, die als Eindeutschung abgelehnt wurde. Lag
bei den einen eine romantisierende Vorstellung der jeweiligen Herkunftsidentitäten
vor (die die Kulturwissenschaft als Exotismus kennt), hatten die
anderen die Rückkehrfähigkeit als Motiv, die sie erhalten
sehen wollten."
Natürlich enthält auch diese Publikation
ein paar fachgemäße Fakten, und die berufstüchtigen
Tüftlergenies der Integrationszunft präsentieren ein paar
frisch gebackene nützliche Erkenntnisse.
Doch die Analysen sind anachronistisch, bewegen sich
zum Teil zwischen staats- bzw. strukturkonfromen Kontinuitäten
und gutmenschelnden Grundstufenstudiengängen.
"Der demokratische Rechtsstaat muss sich nicht
aufgeben, wenn er wirkungsvoll gegen die Parallelgesellschaften,
die damit verbundenen Verletzungen der Menschenwürde, die kriminellen
Strukturen und die hohen sozialen Kosten vorgehen will. Es gibt
keinen Grund zu Resignation oder gar zur Kapitulation. Der Auseinandersetzung
um die Regeln des Zusammenlebens kann allerdings nicht ausgewichen
werden."
Wirft man einen Blick auf die lange Literaturliste
im Anhang, gewinnt man den Eindruck, daß es sich beim vorliegenden
Buch um eine mentale Melange aus bereits berufsmäßig
Berichtetem dreht. Kritische Beobachter des Migrations- und Integrationsgeschehens
lassen sich schmerzlich vermissen.
Necati Mert
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