XXVI. Jahrgang, Heft 144
Apr - Mai - Jun 2007/2

 
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Letzte Änderung:
20.04.2007

 
 

 

 
 

 

 

Meinungen–Karawanserei

Unmut im Attrappenkapitalismus


   
 
 


Die Einverleibung des gewesenen DDR-Territoriums hat sich für die alte Bundesrepublik insgesamt zu einem Verlustgeschäft entwickelt – trotz oder gerade wegen der gigantischen kriminellen Bereicherungssucht von Einheitsgewinnern aus Ost und West. Hellsichtige Autoren haben dies schon zu Beginn der neunziger Jahre prognostiziert. Der weitgehende Zusammenbruch des osteuropäischen Wirtschaftsverbundes und das entschlossene Agieren westdeutscher Großunternehmen, ihre ostdeutsche Konkurrenz für immer auszuschalten, ließen ein wirtschaftlich hochentwickeltes Territorium binnen kurzer Zeit zur Industriebrache verkommen. Die Versuche der damaligen Bundesregierung, mittels eines anhaltenden milliardenträchtigen Finanztransfer den angekündigten ”Aufschwung Ost” herbei zu zaubern, charakterisierte Robert Kurz damals schon als ”Attrappenkapitalismus” und ”Potjemkins Rückkehr”. Die seitdem von West nach Ost fließenden Steuermilliarden reichten nicht einmal aus, die staatliche Infrastruktur in den neuen Bundesländern auf Dauer aufrechtzuerhalten – von Jahr zu Jahr wird diese weiter ausgedünnt. Millionen von Menschen flüchteten seitdem aus der Trostlosigkeit einer Sozialhilfeexistenz in Richtung Westen und versuchten, dort einen der begehrten Arbeitsplätze zu ergattern. Besonders junge Leute wandern sofort nach Schule oder Ausbildung ab. Die bleiben, sind hauptsächlich Leute, die wissen, daß sie auf dem westdeutschen Arbeitsmarkt chancenlos sind.

Von der DDR-Regierung in den siebziger und achtziger Jahren mit Brachialgewalt hochgezogene Plattenbauviertel, mit denen der damals gravierenden Wohnungsnot Einhalt geboten werden sollte, werden mittlerweile wegen Leerstand wieder abgerissen. Trotzdem veröden Städte und Dörfer immer mehr – ganze Straßenzüge der einstmals florierenden Industriestädte Leipzig und Chemnitz gleichen gespenstischen Ruinenlandschaften. Der Osten ist das Armutsgebiet der größer gewordenen Bundesrepublik – und wird es wohl auf Dauer auch bleiben.

Die jeweiligen Bundesregierungen haben es schon seit geraumer Zeit aufgegeben, ein angebliches ”Ende der Talfahrt” zu prognostizieren. Die Schuld an der ostdeutschen Misere wird aber unverdrossen weiter den ”Hinterlassenschaften der sozialistischen Mißwirtschaft” und der angeblichen ”Leistungsunwilligkeit breiter Bevölkerungsteile” in die Schuhe geschoben. Geht es den Leuten schlecht, müssen sie natürlich selbst daran Schuld sein.

Es gibt nur wenige Studien, die unvoreingenommen über die Situation in den neuen Bundesländern berichten. Der im Auftrag der ”Volkssolidarität” vom ”Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrum Berlin-Brandenburg e.V.” erstellte ”Sozialreport 2006” stellt fest, daß ”die Stimmung im Osten weiter gekippt ist”, und spricht von einem ”ganzen Bündel von Ursachen, von denen die wenigsten in der Vergangenheit der neuen Bundesländer liegen”.

Gemäß den Ergebnissen dieser statistischen Erhebung hat die ”allgemeine Lebenszufriedenheit” in den fünf neuen Bundesländern den größten Tiefstand seit 1991 erreicht und liegt derzeit bei 41 %. Die Unzufriedenheit konzentriert sich hauptsächlich in den Jahrgängen der Vierzig– bis Sechzigjährigen, also bei denen, die die DDR noch bewußt erlebt haben und von denen viele inzwischen in ein bodenloses Loch gefallen sind – die Arbeitslosenrate beträgt in dieser Generation 19 %.

Die Hoffnungen und Erwartungen auf eine positive Zukunft haben einen absoluten Tiefstand, die Befürchtungen einen Höchststand erreicht. 62 % der Befragten rechnen beispielsweise mit einer weiteren Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation, nur 6 % mit deren Verbesserung. Nur noch 25 % der Befragten schätzten die eigene wirtschaftliche Situation als gut ein, gerade 23 % meinten, ihr Monatseinkommen erlaube eine Befriedigung ihrer Bedürfnisse. Kaum jemand glaubt noch an eine Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West in absehbarer Zeit. 11 % der Befragten ordneten sich selbst der ”Unterschicht” zu.

Die Ergebnisse der ”demokratischen Revolution” von 1989 werden mittlerweile skeptisch betrachtet. Aktuell haben 58 % der Befragten kein Vertrauen zur Bundesregierung, 62 % kein Vertrauen in den Bundestag. Immer mehr Leute verweigern sich dem Wahlrecht oder geben ihre Stimme grundsätzlich keinen Parteien, sondern kommunalen Interessengemeinschaften. 15 % der Befragten gaben an, sie wollten am liebsten die DDR wiederhaben – hauptsächlich Arbeitslose und Jugendliche unter 25 Jahren.

Die immer mehr anwachsende Unzufriedenheit hat sich nicht in Sympathien für die Linkspartei.PDS niedergeschlagen. Diese erhielt die verdiente Quittung dafür, daß sie in den neuen Bundesländern zunehmend zur Hilfstruppe der etablierten Parteien bei der Durchsetzung neoliberaler Sparprogramme verkam. Im Osten stagniert der Anteil potentieller PDS-Wähler seit dem Jahr 2000; im Jahr 2006 ist er sogar geringfügig zurückgegangen.

Derzeit äußern nur 5 % der Befragten in den neuen Bundesländern offen Sympathien für rechtsradikale Parteien, 57 % stehen diesen grundsätzlich ablehnend gegenüber. Erschreckend hoch ist allerdings die Verbreitung von Elementen rechten Gedankengutes in politisch indifferenten Teilen der Bevölkerung.

Gerd Bedszent
Berlin

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(K)-ein Kompliment

Cool sein ist nicht alles, doch ein im Grunde seines Herzens Uncooler kann kaum verhindern, dessen verdächtigt zu werden, was er gar nicht sein will: cool. Andererseits, (s)eine Meinung zu Markte zu tragen über ein Medium, in dem man selbst publiziert, ist kein so kühles Unterfangen, dem nicht doch Coolness gut zu Gesicht stehen sollte.

DIE BRÜCKE ist ein merkwürdiges Medium. Natürlich sollte man sie sich merken! Besonders ihr Erscheinungsdatum! Obwohl, es läßt sich wegen seiner schönen Unregelmäßigkeit von Quartalsband zu Drei-Monats-Heft regelmäßig nicht merken und man merkt erst, das neue Heft ist da, wenn man in selbstergebener Resignation sich damit abgefunden hat, es sei der vorherige Band wohl auch der letzte gewesen. Genau dann: Surprise! Phönix aus der Asche! Oder war es für Nr. 1/XXVI Jahrgang, 2007, Band 143 doch wieder ganz anders?

DIE BRÜCKE einzuäschern scheint letztlich ein eher schwieriges Unterfangen, findet sich doch in diesem leicht aufzuwirbelnden Verbrennungsrückstand Zündendes und Treibstoff so reichlich, zögern selbst professionelle Brandstifter für einen Moment ob der Fülle der Möglichkeiten.

In erfrischender Unverblümtheit blüht neben literarischem Schrott verblüffend Literarisches in voller Pracht, wuchern im selbstverständlichen Wetteifer neben Hausfrauenlyrik Perlen poetischer Schönheit, wachsen neben soziologischer und philosophischer Binse Gedankengebirge schwindelnder Höhe, und doch stürzt aus solcher Höhe psychoanalytisch Stroh abgrundtiefer Sonderlichkeit, unterliegt umgehend fundierter Psychologie hoffnungslos. All das und mehr wird buchstabiert auf rund 130 bis 150 Seiten je Ausgabe.

Freilich darf Antirassismus nicht zu kurz kommen, auch wenn er manchmal nur als Beschimpfung teutonischer Wirklichkeit daherkommt. Versucht könnte man sein, das Blatt als politisch links einzustufen, was manchmal zutreffen mag. Wenn “links“ Eintreten für Frieden, Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit bedeutet, nun gut, dann ist DIE BRÜCKE ganz und gar links, auch wenn noch so rechte Autoren sich ihrer bedienen, gar für sie schreiben.

War’s das schon? Nein! DIE BRÜCKE unterhält dann noch eine Medien-Kultur-Schau, die abseits des Mainstream der Vielfalt des Buchmarktes und ganz unterschiedlichen Printmedien nachspürt, unprätentiös, unsubventioniert, ohne kommerzielle eigene oder fremde Interessen. Subjektive Lesermeinung wird unkommentiert, unredigiert, offen an das Publikum herangetragen als Angebot, sich bei Interesse hier und da selbst eine subjektive Meinung zu erarbeiten.

Ein solches Medium wie DIE BRÜCKE reizt selbstverständlich zum Widerspruch, fordert Diskussion, drängt zur Stellungnahme, ja, zugegeben, zwingt manchmal zur Replik. Nicht immer gehen dann die Kontrahenten freundlich oder gar pfleglich miteinander um. Schließlich sucht dieses Land nach Streitkultur, kann sich zu einer Kultur der Verständigung einfach nicht durchringen. Autoren machen da keine Ausnahme.

Vorwerfen könnte man dem Medium, neben der oben erwähnten Teutonenschelte sei DIE BRÜCKE türkenlastig. Zugegeben, der EU-Beitritt der Türkei ist hierzulande eine Last, die aus Politikermäulern wächst. Der Eindruck, Politiker seien unabhängig von ihren schauspielerischen Talenten die bestgebildeten Ungebildeten weltweit, nimmt keinen der nationalen, besonders keinen der christlichen Berufspolitiker aus. Unkenntnis eigener Geschichte, verfolgt von ebensolchen Bildungslücken in europäischer Geschichte, Unwissenheit über Religionen, Kulturen, Gesellschaften in diesem uneinig vereinten Europa kumulieren gerne im Herrschaftsinstrument Angst, dienen populistischem Stimmenfang. Der Blick in DIE BRÜCKE, auf die Karikaturen, ins Autorenregister und dann noch auf den Herausgeber und Chefredakteur, das ist natürlich nach Politikergusto Opium fürs Volk, Gift, wie man auch im Bundesland des Stammsitzes des Trägervereins von DIE BRÜCKE bereitwillig unterstellt. Warum auch sollen Christdemokraten im Saarland ihre Nächsten lieben, wenn die nicht einmal Christen sind, auch wenn solche vom Christsein wiederum nichts verstehen?

Unabhängig von alle dem, DIE BRÜCKE ist unabhängig. Doch auch sie lebt und überlebt abhängig vom Geld, von den Beiträgen der Mitglieder des Trägervereins in Euro, von kostenlosen Autorenbeiträgen, dann noch von Abonnenten und dem Ameisenhandel, den Mitglieder und Abonnenten betreiben – sollten, könnten, möchten, müßten.

Die BRÜCKE, der Stoff, aus dem ganz andere Träume sind! Echt cool!

Teja Bernardy
Friedberg

   

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