"Die Bekämpfung der Vogelgrippe wird uns
ganz unerwartet helfen, einige kulturelle Probleme unseres Landes
im Zusammenleben mit Mitbürgern islamischen Glaubens zu lösen,
insbesondere die Vielweiberei einzudämmen. Wir werden die nötigen
Kontrollen bei den türkischen Geflügelzüchtern massiv
verschärfen, nachdem uns dort bereits vor einiger Zeit das
Angebot gemacht wurde: 'Nehmt meine Frauen, lasst mir die Hühner!'"
Obige Zeilen kreuzen im Sprechakt des fidelen Polit-Poeten
Friedrich Merz auf, den er im Narrenkäfig des Aachener Karnevalsvereins
am 11. Februar 2006 als Ordensritteranwärter deklamierte –
life übertragen von der ARD. Der Leitkultur-Lenker deklarierte
da sein "11-Punkte-Programm", um "mit streng marktwirtschaftlichen
Lösungen aus der Krise" zu kommen. Daß sich seine
Aussagen in Teilen als geistiger Diebstahl herausstellte, wie in
manchen Medienseiten publik gemacht wurden, ist ein anderes Thema.
Was hat aber die Vogelgrippe mit der Wirtschaftskrise zu tun? Und
"einige kulturelle Probleme unseres Landes im Zusammenleben
mit Mitbürgern islamischen Glaubens"?
Es ist der tierische Ernst eines Apostels des neoliberalen
Ensembles, der mit einer Portion Herrenmenschen-Manier die Aussichtslosigkeit
der minderbemittelten Menschen verhohnepiepelt, um einen semantischen
Longseller bei neorassistischen Stammtischen zu erzielen. Bekanntlich
entstammt der Ausspruch „Nehmt meine Frauen, lasst mir die
Hühner!“ dem türkischen Boulevardblatt "Hürriyet"
während des Vogelgrippe-Ausbruchs in der ostanatolischen Hochebene.
Ob ausgedacht oder original, zitiert wird hier ein angeblich mit
zwei Frauen verheirateter Mann, als die Staatsdiener seine Hühner
beschlagnahmen wollten.
Was hat nun die Geflügelzucht mit den türkischen
Einwohnern Deutschlands zu tun? Und die Vielweiberei? Daß
sie im türkischen Gesetz seit achtzig Jahren verboten ist,
davon müßte ein Parlamentarier im Reichstag Kenntnis
haben.
Humor ist, die Widrigkeiten des realen Daseins mit
Heiterkeit zu verbildlichen. Friedrich Merz bedient sich hingegen
fingierte Fakten der Kulturkrieger à la Alemannia, tritt
damit erneut in den Wettbewerb mit den Naziskins, den er vor fünf
Jahren verlor – dieses Mal im Bereich der Türkenwitze.
"Der Spiegel" vom 23. Januar 2001 gab den "Wettbewerb
ums Unwort 2000" mit folgenden Worten bekannt: "Favorit
war Friedrich Merz' 'Leitkultur', doch dann ging der Unionsfraktionschef
im Wettbewerb um den wenig schmeichelnden Preis doch leer aus. Das
'Unwort des Jahres' lautet 'National befreite Zone'."
Den Auftritt als karnevalesker Ordensritter nutzte
Merz demonstrativ aus, den "Kampf der Kulturen" zwischen
Alteingesessenen und Spätankömmlingen des Groß-D-Landes
anzufeuern. Ökonomisch enthält sein islamophober Galgenhumor
das Patentrezept: "Türken raus!" Das meint er offensichtlich
ernst.
Nur: Wo bleiben die Tugendwächter der "political
correctness"? Die interkultur aktiven Advokaten des halb und
halb amtlich arrangierten antirassistischen Arsenals? Oder läßt
sich hinter der fashionablen Fassade der Spaß-Society der
faschistoid ordinäre Umgang mit dem Orientalen als Freiheit
des Ausdrucks einstufen, wenn es sich dabei um die Kasten-Eliten
des Zivilisierten-Kastells dreht – als Schlagwortgeber der
ethnophoben Attacken?
Necati Mert
Verantwortlicher und koordinierender Redakteur des
Quartal-Periodikums DIE BRÜCKE – Forum für antirassistische
Politik und Kultur
www.bruecke-saarbruecken.de
|