XXV. Jahrgang, Heft 142
Okt - Nov - Dez 2006/4

 
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Letzte Änderung:
03.06.2006

 
 

 

 
 

 

 

Necati Mert´s Kolumne

Karnevaleske Kaskaden mit Herrenmenschen-Manier


   
 
 

 

"Die Bekämpfung der Vogelgrippe wird uns ganz unerwartet helfen, einige kulturelle Probleme unseres Landes im Zusammenleben mit Mitbürgern islamischen Glaubens zu lösen, insbesondere die Vielweiberei einzudämmen. Wir werden die nötigen Kontrollen bei den türkischen Geflügelzüchtern massiv verschärfen, nachdem uns dort bereits vor einiger Zeit das Angebot gemacht wurde: 'Nehmt meine Frauen, lasst mir die Hühner!'"

Obige Zeilen kreuzen im Sprechakt des fidelen Polit-Poeten Friedrich Merz auf, den er im Narrenkäfig des Aachener Karnevalsvereins am 11. Februar 2006 als Ordensritteranwärter deklamierte – life übertragen von der ARD. Der Leitkultur-Lenker deklarierte da sein "11-Punkte-Programm", um "mit streng marktwirtschaftlichen Lösungen aus der Krise" zu kommen. Daß sich seine Aussagen in Teilen als geistiger Diebstahl herausstellte, wie in manchen Medienseiten publik gemacht wurden, ist ein anderes Thema. Was hat aber die Vogelgrippe mit der Wirtschaftskrise zu tun? Und "einige kulturelle Probleme unseres Landes im Zusammenleben mit Mitbürgern islamischen Glaubens"?

Es ist der tierische Ernst eines Apostels des neoliberalen Ensembles, der mit einer Portion Herrenmenschen-Manier die Aussichtslosigkeit der minderbemittelten Menschen verhohnepiepelt, um einen semantischen Longseller bei neorassistischen Stammtischen zu erzielen. Bekanntlich entstammt der Ausspruch „Nehmt meine Frauen, lasst mir die Hühner!“ dem türkischen Boulevardblatt "Hürriyet" während des Vogelgrippe-Ausbruchs in der ostanatolischen Hochebene. Ob ausgedacht oder original, zitiert wird hier ein angeblich mit zwei Frauen verheirateter Mann, als die Staatsdiener seine Hühner beschlagnahmen wollten.

Was hat nun die Geflügelzucht mit den türkischen Einwohnern Deutschlands zu tun? Und die Vielweiberei? Daß sie im türkischen Gesetz seit achtzig Jahren verboten ist, davon müßte ein Parlamentarier im Reichstag Kenntnis haben.

Humor ist, die Widrigkeiten des realen Daseins mit Heiterkeit zu verbildlichen. Friedrich Merz bedient sich hingegen fingierte Fakten der Kulturkrieger à la Alemannia, tritt damit erneut in den Wettbewerb mit den Naziskins, den er vor fünf Jahren verlor – dieses Mal im Bereich der Türkenwitze. "Der Spiegel" vom 23. Januar 2001 gab den "Wettbewerb ums Unwort 2000" mit folgenden Worten bekannt: "Favorit war Friedrich Merz' 'Leitkultur', doch dann ging der Unionsfraktionschef im Wettbewerb um den wenig schmeichelnden Preis doch leer aus. Das 'Unwort des Jahres' lautet 'National befreite Zone'."

Den Auftritt als karnevalesker Ordensritter nutzte Merz demonstrativ aus, den "Kampf der Kulturen" zwischen Alteingesessenen und Spätankömmlingen des Groß-D-Landes anzufeuern. Ökonomisch enthält sein islamophober Galgenhumor das Patentrezept: "Türken raus!" Das meint er offensichtlich ernst.

Nur: Wo bleiben die Tugendwächter der "political correctness"? Die interkultur aktiven Advokaten des halb und halb amtlich arrangierten antirassistischen Arsenals? Oder läßt sich hinter der fashionablen Fassade der Spaß-Society der faschistoid ordinäre Umgang mit dem Orientalen als Freiheit des Ausdrucks einstufen, wenn es sich dabei um die Kasten-Eliten des Zivilisierten-Kastells dreht – als Schlagwortgeber der ethnophoben Attacken?

Necati Mert

Verantwortlicher und koordinierender Redakteur des Quartal-Periodikums DIE BRÜCKE – Forum für antirassistische Politik und Kultur

www.bruecke-saarbruecken.de

   

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