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Zur Wiederkehr der Scharlatanen-Champions
im Gelehrten-Gewand
Während die endkapitalistische Restauration der
Besitzstandsverhältnisse vom Kollektiven zum Privaten mit dem
mattrot-plattgrünen Reform-Fiaker der Nachfolgerepublik des
Deutschen Reichs auf den global Gipfel ereilt, blühen die Urheber
der Gespensterjagd im Blätterwald von vorn auf. Mit einem frischgebackenen
Plädoyer „Nation-Building“ („Staaten bauen“)
erprobt Francis Fukuyama, der exotische Erbauer des Fiktion vom
„Ende der Geschichte“ (das heißt, der Kapitalismus
ist dem Kommunismus endlich los, damit dem Menschentum endgültig
und ewig das Los), sich abermals exponieren. Das Abendland soll
sich unter Stars and Stripes verbünden, den „Krieg gegen
den Terror“ beflügeln, wie am Hindikusch die Horten der
Unsicherheit auslöschen, den Sumpf der privaten Gegengewalt
austrocknen - gemäß dem Plan Pentagoniens. Staaten wird
er aber mit Stammenfürsten und lokalen Notabeln bauen müssen,
was „viel Kraft und einen langen Atem“ verlangt, bekundet
er jammervoll in einem „Die Welt“-Gespräch vom
11. September 2004. Vor allem aber müsse der „Terrorhafen
Irak“ beseitigt werden.
Signale von sich läßt ein anderer Theorie-Tüftlergenie
namens Samuel Huntington ausgehen, der auf einem übereilten
Niveau erneut mit dem Gespenst der Primitiven experimentiert, die
minderbemittelten Menschenmärsche auf den Migrationspfaden
von Süd nach Nord als ein Gefahrenpotential für das metropolitane
Identitätspathos zu stilisieren und abzuqualifizieren.
Bekanntlich markierte Uncle Sams Lehrgebäude
von „Clash of civilization“ vor etwa einem Jahrzehn
acht Kulturkreise: 1) Christliches Abendland, 2) Islam, 3) Slawisch-Orthodoxen,
4) Konfuzianismus, 5) Hindu, 6) Japan, 7) Lateinamerika und 8) Schwarz-Afrika.
Jetzt orakelt er in seinem aktuellen Opus „Who are We. The
Challenges to America’s National Identy“ mexikanische
Migration (Latinos insgesamt) als größte innere Gefahr
für den Stützbalken der nordamerikanischen anglo-protestantischen
Kernidentität. Nur: Der Schutzwall der Yankee-Yuppies gegen
die Invasion der Elenden steht längst, und Huntington liefert
theoretisches Mörtel dazu, mit dem sich auch die Architekten
des Feste-Europa emphatisch erwärmen.
Hier subsumieren die Propagandaprodukte jeglichen
Sachverhalt. In den Sicherheitsetagen des Kastell-Schlösser
erhöht sich die Temperatur der Migrationsdebatte. Dabei werden
die elementare Fragen des Globalismus hinter vorgehaltener Hand
angesprochen. Für erheblichen Wirbel sorgen die Boten von Botschaften
über die Ankunft der Schleuser-Boote an den Südstränden
der Trustburg. Daß sie universale Samen für Frieden,
Freiheit und Brot transferieren könnten, wird nicht vermutet.
Die Geschichten der Gestrandeten ruft an den Gesichtern der Patrouillen-Patrone
des mediterranen Limes keinen Schmerz hervor. Doch jeden Tag sieht
das Erdenrund noch beweglicher und komplizierter aus. Die Autonomie
der globalen Migration beschwört einen Dritten-Welt-“Krieg“
herauf.
Nach einer AFP-Notiz vom 13. August 2004 steuerten
drei Boote, die an den nordafrikanischen Küsten in See stachen,
die Strände der kanarischen Ferieninsel Fuerteventura an. Eines
von ihnen kenterte beim hohen Wellengang kurz vor dem Ufer. 32 Passagiere
wurden von der Guardia Civil als vermißt registriert, aber
nur eine Frauenleiche geborgen. Woher wußte die Küstenwache
nun die Zahl der Insassen im „Illegalen“-Boot?
Für ziemliches Herzklopfen sorgten am 12. September
2004 die Agentur-Angaben über „eine der bisher größten
Flüchtlingsströme“ (Spiegel.de). Drei Boote mit
insgesamt 800 Passagieren konnten das sizilianische Eiland Lampeduso
erreichen. Rom bestellte eilends den Botschafter Libyens ein, weil
dort die Gedrängten wie oft zuvor ihre Mordgeschichte antraten
- auf der Flucht vor dem Monster der Ökonomie und Ökologie.
Kein weiterer Nachklang im Blätterwald. Mehr hatte das breite
Publikum des Trustburg-Theaters nicht zu Ohren zu kommen. Denn es
lag kein Fingerzeig auf ein gescheit zurechtgelegten Spektakel vor,
kein Szenarium eines NGO-Handwerks, das ein Stück Sensation
bat oder den Schmerz der Schiffbrüchigen als Alienation zum
Thema hatte. Sogar die Nachricht über vier Leichen auf den
Ägäis-Felsen so „in kürze“ placiert,
was sie weniger Anschläge benötigte als eine Kleinanzeige.
Etwas mehr Respekt ernten die Odysseen der OneWorld-Überflüssigen
hingegen in jenen Stabsstuben der Zitadellen-Security, wo die Jagdpartys
auf hoher See geplant werden.
In diesem Geplänkel der grundtief ungleichen
Gegenparte ähnelt das Kismet der migrationsbewegten Parias
dem Befinden des Teufels, der in der Not Fliegen frißt. Entweder
müssen sie von den global wuchernden der Piraten der Fronarbeit
(Schlepper- bzw. Schleuserbande) wie Hammelherde treiben lassen
oder sich auf die Akteure jenes Husarenstücks verlassen, welche
sich hinter der humanitär zurechtgemachten NGO-Maske Meriten
erwerben. Diese spielen sich - fest verankert im zivilisatorisch
montierten Trabanten des Privatier-Planeten - bewußt als Tacherons
bzw. mondiale Reklame-Filialen des Menschenrechts- und Elendmanagements
auf.
Ob sie Welthungerhilfe, Caritas, Care, Misereor, Ärzte
ohne Grenzen, medico international oder analog anderweitig heißen,
sie sind alle auf PR-Coups angewiesen, um fette Spenden-Mäuse
einzuwerben. Daß sie dabei Episoden der Katastrophen erdichten
oder deren Habitus selektiv verdrehen, wird kaum zur Kenntnis genommen,
jedenfalls nicht mehr mit Staunen und Unbehagen.
Das allerletzte „Cap-Anamur“-Spektakel
im Juli 2004 z.B., aufgefischte „illegale Einwanderer“
an die Stiefel-Küste zu schiffen, diente nicht einmal in Marginalien
dazu, ins Licht zu bringen, was sich am dampfigen Kimm des Mittelmeeres
abspielt. Vielmehr warf es noch mehr Staub darauf. Das dumpfe Ziel
der Maskerade setzte sich daraus zusammen, neben dem Erwerb von
extravaganten Spendengeldern die Gewissensbedürfnisse ihrer
Wohltäter sowie der heimischen Media-Konsumenten zu befriedigen.
Vom Dilettantismus war im breiten Blätterwald
die Rede, oder von der „Sizilianischen Farce“, wie Jürgen
Elsässer in „Freitag“ vom 23. Juli 2004 seinen
Kommentar überschrieb. Als ein Höhepunkt der Performance
gilt, wie zwei Gentilhommes des Gutmenschen-Zirkus (Elias Bierdel
und Rupert Neudeck) sich gegenseitig mit Dreck bewarfen. Jeder von
ihnen wird noch versuchen, den Eindruck zu erwecken, daß ihr
Einsatz im Rahmen der „humanitären Nothilfe“ von
Zu-kurz-Gekommenen und Brotneidern sabotiert wird.
Die Schicksale werden nicht unbedingt produziert,
sie werden vielmehr manipuliert und vermarktet. Als z.B. das deutsche
Flüchtlingsschiff den Hafen von Malta verließ und in
italienische Hoheitsgewässer lief, begannen die sturzbetroffenen
Repräsentanten des Deutschen Reichs Berliner Republik, allen
voran der grüne Jo-Jo Fischer und die rote Heidemarie Wieczorek-Zeul,
den UN-Sicherheitsrat dazu zu animieren, Sanktionen bzw. Strafaktionen
gegen Sudan zu resolvieren. Und der graue Groß-D-Sheriff Otto
Schily verhieß sein ger-manisches Manifest, im Brachland Maghreps
„Camps“ - umzäunt mit pappelhohem Maschendraht
hinter Mauern wie Abschiebe-, Aufenthalts-, Identifikations- und
Ausreise-Zentren zuhause - für jene „illegalen“
Globetrotter aus den globalen Horror-Slums einzurichten. Von einem
höchst elterlich funkenden Gesichtskreis leitet er auch seine
„humanitäre“ Banderole ab: Die Migrantenheere müßten,
lautet seine Lehre, zu ihrem eigenen Schutz interniert werden, damit
sie nicht mit ihren Booten und Flößen in den mediterranen
Gewässern kentern.
Hinter diesem Horizont liegt der Humus des auch inländisch
gemeisterten kolonialen Humanismus, der die Wilden nicht ihrem Los
überlassen will - gerade wenn sie aus ihren angestammten Reservaten
aufbrechen und dem Anschluß am als grenzenlos lancierten Dolche
Vita unter dem Hesperus nachjagen.
Es wird schwierig bleiben, die Dritte-Welt-Dramen
am Limes der Feste Okzidentale, die Tragödien der „illegalen
Einwanderer“ vor Lampedusa, im Gibraltar, aber auch in der
Adria und Ägäis ins Zentrum der globalen Themen zu rücken.
Das verlangt eine Menge Intentionskraft und einen langen Atem, vor
allem aber die Einsicht, sich aus dem Kopf zu schlagen, daß
das Klinkeputzen unter der Devise „Fluchtursachen bekämpfen!“
vor dem Moralschloß der imperialen Zentren gerechte Früchte
für die Enteigneten abwerfen kann. Denn der Killer-Koloß
des weltsozialen Übels haftet am Lehrgebäude des Privateigentums,
dessen autorisierten Souffleusen hinter der Tribüne der Urbanität
und Humanität den Ton angeben. Folglich gelten die Schlagwort-Initiativen
„für Bleiberecht“ vor den „Ausreisezentren“
bzw. Arrestlokalen des Deportationsbetriebes als ein brav imitiertes
Bravourstück der gutmenschentümlichen bourgeoisen Dramaturgie
- neben dem missionarischen Eventtourismus der NGO-Eliten, als dessen
Nonplusultra sich die ethnisch-kriegerisch orakelten Miseren der
trikontinentalen Lebenswelten aufschichten.
Der migrantionistische Randsturm aufs Zentrum der
aufgetürmten Reichtümer und die Dritte-Welt-Dramen am
Limes der Feste Okzidentale werden sich nicht unter Kontrolle bringen
können: In Nostop-Flucht vor Hunger-Horror und Troupier-Terror
der planetaren Privatier-Partie. Unterwegs aus den Tiefen und Breiten
der brandschatzten Kontinente und im rauchgeschwängerten Gemenge,
das Wallwerk der martialischen Massas und mentalen Marketender atmend
zu durchqueren sowie in das Dorado im nordischen Terrain des mediterranen
Teichs zu gelangen.
In verwaisten Meerbusen Maghreps stechen ihre betagte
Seelenverkäufer in See und fordern die Jagd-Kreuzer der hohen
glockenreinen Feste-Zitadellen-Society heraus. Sie schreiben den
Epos des Morgens. Aufs Dauerdrama sind hingegen die Journal-Jüger
(mediale Kuttenträger) des urozentrischen Mäuse-Tempels
ausgerichtet, die das Weltganze auf den Arm nehmen, indem sie die
Kommunikationswege kontrollieren, die Botschaften der aufständischen
Dritte-Welt-Fluten „in kürze“ stellen und sabotieren.
Der mediterrane Teich als Gottesacker - verlieblicht,
wenn nicht übergangen oder im Busen verschlossen werden die
totdrückenden Tragödien der migrantischen Mitwelten am
Limes der Zivilisationsbastei durch journalistisch geschulte Künstelei.
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