XXV. Jahrgang, Heft 142
Okt - Nov - Dez 2006/4

 
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Letzte Änderung:
03.06.2006

 
 

 

 
 

 

 

Necati Mert´s Kolumne

Öliges Oliv ist die Tarnfarbe der ethnozentrisch gedrillten Zivilgesellschaft

   
 
 

Die Sirene des weiß-blauen Mythos befindet sich vor der monströsen Brandung, die sie ausgelöst hat. Die kultur-kreischende Heuchelei produziert sich auf den Bühnenbildern der spätchristlichen Moralapostel - auf der Plattform der Übersattenpflicht, deren Erfüllungsgewalt allein aus dem Schutz des Überflusses vor dem Aufbäumen der Überflüssigen besteht. An ihrem Elend erfrischt sich die allmächtige Gedankenwelt mit erbärmlichem Mitleid.

Das Moralkonto der Gutmenschenmanager wird immer schwerer wie die Ohnmacht der Übermächtigen gegenüber dem Höllenhund, den sie gefüttert haben. Daher hört die Fixierung auf zeitlosen Wohlklang der Gegenwart auf, damit der Spaß mit dem Notstand. Also lebt die Geschichte fort unter dem schuldbeladenen Druck. ”Schluß mit lustig” übertönt jeden weiteren Lärm in den Feuilletons des diskursiven Ausnahmezustands, wo das Recycling der aufklärerischen Rassismen vorgeführt wird. Die Potentaten im Pentagon verkünden das Ende der Postmoderne eigenhändig und überwuchern den humanen Horizont mit weidmännischem Wortbestand.

Der Opportunismus okkupiert die letzten Rauminseln der kritisch verständigen Autonomie. Die vom Pentagon verhängte Zensur machte ihn längst zum tugendsamen Versandhaus des Wissens. Mit der Vokabel ”Terrorismus” erfrischt er die Agoraphobie täglich neu. Dessen Netzwerksystem wird nicht erkundet, sondern gemäß dem Zielbahnhof der Exekutionskampagne imitiert. Wer nicht ins Werteraster der weißen Zivilisationszirkel paßt, gehört zum Sympathisantenkreis des Horrorhorts. Das Verdikt, dem Gespenst einen ethnischen Hintergrund zu stricken, sprechen die honorigen Demokraten der Besitzkaste einstimmig. Und der monströse Anonym behält das Kennzeichen des Orientalen bei, und zwar auf der Proleten-Terasse der Weltkastenpyramide.

Wo der Spannbogen der internationalen Terror-Brigaden endet, bleibt hinter den Nebelkerzen der Aufklärungsorgane verborgen. Aber nicht völlig können sie vernebeln, daß die Spuren der Missetäter in jene Stabzentren führen, welche die heißen Fäden des Kalten Krieges gegen den Osten und den ihm unterschobenen Kommunismus gespannt haben. So zeigt ein Bild, das gegen Mitte Oktober im Wiener Tagesblatt ”Standards” erschien, den Initiativ-Investoren der entstaatlichten Gewalttätigkeit bin Laden mit dem Ex- Boschniaken-Emir Izzetbegovic. Daß hinter diesem Mann auch dicht das Auswärtige Amt stand und er als dem wieder erwachten Pangermanismus als Emissär diente, durfte hinlänglich bekannt sein.

Ohne die moralheizende Leistung der aufklärerischen Wortkunstwerker fehlt der Kriegskampagne mindestens ein Standbein. Jedes Schamempfinden gilt für sie als primitive Handlung, wenn es um den Mythos ”Abendland” geht. Jede Antinomie zwischen ihrem universalistischen Dogma und dem rassistischen bzw. kulturalistischen Dominanzanspruch können sie per Denunziation der Ethnofremden als Hominiden-Horden abrunden. Ihre zeitweilige Opposition gegen die Opferung der Freiheit zugunsten der Sicherheit entpuppt sich als so scheinheilig, daß sie sich bereitwillig als Vollstrecker der vom Pentagon verhängten Zensur instrumentalisieren lassen. Mit deren Hilfsmitteln ziehen sie den Rauchvorhang der ”Political Correctness” auf, hinter dem die Leitwerker des ökonomischen Terrors den Fehdehandschuh aufnehmen und die Zementierung der globalen Apartheidpyramide mit militärischer Gewalt fortsetzen.

In der Wort- und Bilderflut der Aufklärungsprediger soll jede Erkenntnis über die mordbereiten Haßtiraden untergehen, die gerade dort blühen und gedeihen, wo die Monster der Marktkräfte vagabundieren und die Leitschnur der Besitzvermehrung keinen Endpunkt erreicht. In ”Freitag” vom 12. Oktober 2001 schildert Leander Scholz den Beginn eines weiteren Zeitalters ”mit moralischem Rigorismus gegen die Postmoderne” am eingetretenen Ende vom ”Ende der Geschichte”:

Endlich hat das 21. Jahrhundert sein Ereignis. Es wollte aber auch gar nicht richtig beginnen. Alle katastrophische Lust zum Jahrhundertwechsel sah sich für länger ersatzlos getäuscht. Nichts geschah, kein größter digitaler Unfall. Fast zehn Jahre nach dem Ende der Geschichte sah es so aus, als würde es immer so weitergehen. Als würde der Spaß und der Ernst so unversöhnlich neben einander her existieren, dass die Antinomien der Weltgeschichte im Ungefähren verschwinden. Denn das Beruhigende an jenem Ende war nicht, dass nach der Ordnung der Weltmachtblöcke das Reich der Freiheit angebrochen war. Das glaubte doch eigentlich niemand. Das Beruhigende war, dass es im Nachhinein so schien, als hätte es bis dahin eine Geschichte und mit ihr auch eine Vernunft in dieser gegeben. Jetzt erscheint auf einmal die Sicherheitspolitik der atomaren Abschreckung als eine ganz ordentliche Angelegenheit, die einem im Verhältnis zu den Irrationalismen der mit dem 11. September verbundenen Konflikte fast wünschenswert überschaubar vorkam. Die These vom Ende der Geschichte war also nicht deshalb falsch, weil die Geschichte sich nun mit einem neuen Ereignis wieder zurückgemeldet hat, sondern weil sie nahe legte, dass es zumindest bis dahin eine Geschichte im singulären Sinne gab. ...

Manchmal hat man den Eindruck, dass der Spaß in der mitteleuropäischen Spaßgesellschaft der neunziger Jahre des Zwanzigsten Jahrhunderts, der nicht nur die Unterhaltungsprogramme sondern auch viele seriöse Meinungs- und Kulturproduzenten durchdrungen hat, gar kein Humor war, der etwa den schuldbetriebenen Druck der Geschichte verarbeitet hätte, sondern eine grundsätzliche Abspaltung von historischen Korrespondenzen zugunsten einer Fixierung auf die Gegenwart, die auf Dauer in frustrierte Langeweile umzuschlagen drohte. ...

Noch nie gab es so viele klare Worte wie in den zwei Wochen des politischen und diskursiven Ausnahmezustands nach den Terroranschlägen vom 11. September. Noch nie wurde dem Herrschaftswissen des Pentagons und einer ganzen politischen Klasse soviel zugetraut. Noch nie war es so wichtig, über deren Handlungsfähigkeit eine eindeutige Meinung zu haben. Seit langem nicht mehr konnte man so ordentlich Position beziehen. Ob es für die einen die Gelegenheit war, die endgültige Bündnisfähigkeit Deutschlands unter Beweis zu stellen oder für die anderen ihre linkstraditionelle Amerikakritik hervorzukramen, um letztlich den schlichten Satz sagen zu können, man habe es immer schon gewusst, dass es mit dem Patienten ein schlechtes Ende nehmen würde. Nur in einem waren sich alle Meinungsproduzenten sicher: mit dem "anything goes" der Postmoderne ist es jetzt endgültig vorbei. Als könne Solidarität ihren Ort nicht jenseits eines Für oder Wider die USA haben. Das komplette Vergessen, dass der politische Einsatz des postmodernen Wissens in einem Bemühen bestand, einer zunehmend komplexeren Welt auch ein komplexeres Denken anheim zu geben, vielleicht sogar zu lernen von künstlerischen Weltwahrnehmungen, hat den Raum für die Rhetorik eines moralischen und handlungsermächtigenden Rigorismus geöffnet, der sich selbst zwar als neu beschreibt, aber oft nur das getarnte Recycling von alten Positionen vorführt, die in postideologischen Zeiten keine Chance mehr hatten. Im Nachhinein wird man viele Probleme dem Terroranschlag zurechnen, die schon lange vor diesem Ereignis da waren, und sie infolgedessen an der falschen Stelle bekämpfen. Man wird dieses Ereignis ganz linear erzählen. Es wird dazu dienen, dass man später wieder eine Geschichte und eine Vernunft behaupten kann, zumindest rückblickend, die dann wie der vermeintliche Erfolg der atomaren Abschreckung in die nächste unsichere Zukunft hochgerechnet werden können. Und wieder wird man darauf pochen müssen, dass bei einer solchen Geschichte ein großer Teil der Menschen auf der Welt nicht narrationsfähig sein wird. Erst spät wird man dann feststellen, dass die fixierte Bekämpfung des Fundamentalismus meist zu einer Fundamentalisierung der Bekämpfenden führt. Vor fünfzehn Jahren noch dachte ich, mit spätestens dreißig Jahren in einer atomaren, biologischen oder ökologischen Katastrophe zu sterben. In den neunziger Jahren kam mir das kindisch vor, und ich glaubte, erwachsen geworden zu sein, so wie die westliche Welt sich an die ständigen Katastrophen des letzten Jahrzehnts gewöhnt hat. Jetzt, da alle an einem grausamen Ereignis erwachsen werden, ist es vielleicht angebracht, den phantasielosen Ernst dieses Erwachsenseins wieder in Frage zu stellen.

Das Geratter im Wettlauf schlägt mächtige Kapriolen. Die Aufklärungsveteranen melden sich aus dem Ruhestand zurück. In ihrem Kummer, nicht auf der richten Kirmes zu sein, verläßt die postmoderne Intelligentsia ihren liederlichen Kometen und sucht den schnellebigen Anschluß zum Kreuzritterheer vor den Mauern der Börsentempel. Aus dem Schlagwortarsenal im Weißen Haus werden sie ihre Reklameslogans entnehmen, um ihr zivilisatorisches Korrektiv weiter entwickeln zu können. Alles ist plötzlich anderes, aber kein einziger Vers im Theoriegeflecht für das Zirkusrund der Marktkräfte darf angetastet werden. Allein auf deren weiß-blauer Achse darf sich das Karussell der emanzipatorischen Evolution und der zum letzten Sturm aufbäumenden Zivilgesellschaft fort drehen. Sie trägt die Uniform der Tarnfarbe Oliv. Also rüstet sich das letzte Imperium gegen seine Barbaren auf. Wird es ihm gelingen, sie, die aus ihren peripheren Slums aufbrechen und sich in die Zentren bewegen, zu Galeerenhäftlingen seiner Hochkultur zu machen, ohne die Geschichte zu notzüchtigen und den eigenen Bretterboden zugrunde zu richten?


Das Verdikt des Weißen Haus-Oberhaupts: Ermittlungsverfahren beim Einsatz der Luftschlag-Armada mit Cruise Missiles und Streubomben

Nicht vor der Landung der Aliens schlug die geldene Freiheit Alarm, sondern vor der Invasion der Armen. Darauf will die Demokratie der hohen Wertewarte vorbereitet sein, indem sie den Schalthebel der fraktionellen Schellen betätigt. Einstimmig sind sie, widerspruchslos. Einfarbig im Herzen: Weiß. Man liest so in der Zeitung: Der Staatssekretär grüner Hülle im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer, habe die Friedensdelegierten an der Pforte abwimmeln lassen, während sein Boss als Parlamentär des militärindustriellen Nordatlantikbündnises in den Hauptstädten des Mittleren Orients gastierte – auf der Suche nach Weisen-Vasallen. Der Verdacht, daß ein westlicher Geheimdienst hinter der ”privatisierten” Gewalt-Attacke stecken könnte, wurde vom Gewimmer-Gewitter ausgeräumt. August Pradetto, Professor an der Bundeswehrhochschule in Hamburg, äußerte am 17. September 2001 in einem NTV-Interview seine Zweifel an der Täterschaft Bin Ladens, denn dieser sei "ein seit Jahren Gejagter" und hätte aufgrund dieses Drucks keine Möglichkeit gehabt zur logistischen Planung eines solch kaltblütigen Anschlags. Statt dessen vermutet er dahinter einen professionellen staatlichen Geheimdienst. In ”Kalaschnikow Online” vom 15. Oktober 2001 wagt Emmanuel Goldstein einen ”Katalog offener Fragen” aufzustellen, welche unter moralischem Druck weggedrängt werden oder verschwimmen:

• Warum wurden die Geheimdienstchefs nicht abgesetzt, nachdem sie doch ihre totale Unfähigkeit unter Beweis gestellt haben? Oder haben sie ihre Arbeit etwa doch gut gemacht?

• Warum wurden die Protokolle der Kommunikation zwischen den entführten Maschinen und den Towern bisher nicht veröffentlicht?

• Wie konnten die Terroristen während des Fluges die Transponder deaktivieren? Wieso konnten die Flugsicherungseinrichtungen die Flugzeuge daraufhin nicht mehr orten? Radar funktioniert doch trotzdem noch? Wurden die Fluglotsen und das Personal der Flugsicherungseinrichtungen im nachhinein dazu interviewt? Warum wurden die Radarprotokolle bzw. die Verhöre mit den Fluglotsen bisher nicht veröffentlicht?

• Wieso konnten vier Terroristenteams mit insgesamt neunzehn Terroristen unbehelligt durch die Kontrollen gelangen? ... ”Und das in einem Land, das nach den Erfahrungen der letzten Jahre besonders sensibilisiert war gegenüber den Gefahren durch Terrorattacken!" (Klaus Kinkel, ehemals BND-Chef, in der ARD-Talksendung Sabine Christiansens am 23. September 2001) ...

• Warum führten bisher keine der verdächtigen Geldgeschäfte im Zusammenhang mit den Anschlägen zu den Hintermännern der Attentäter? Will man die Konten gar nicht finden?

• Warum haben die Attentäter so offensichtliche Spuren hinterlassen (Mietauto, nicht abgeholter Koffer) mit verdächtigen Papieren, die sie gar nicht mehr gebraucht haben für die Tatausführung, weil sie deren Inhalte längst im Kopf hatten, die aber bei jeder Kontrolle für sie hätten gefährlich werden können? Ein so perfekter Anschlag und dann so dilettantische Fehler?

• Warum gibt es bisher kein klares Bekennerschreiben zu den Anschlägen? ...

• Warum wurden die angeblichen Beweise für die Täterschaft Bin Ladens nur den Regierungschefs der NATO-Länder vorgelegt und nicht dem internationalen Gerichtshof in Den Haag oder der Öffentlichkeit? Reichen die Beweise etwa nicht, um Bin Laden als Massenmörder anzuklagen? Bei Milosevic haben die Beweise doch gereicht? Warum nicht bei Bin Laden?

• Die Anschläge geschahen live, d.h. ein Millionenpublikum konnte das Leiden der Opfer und die Fortentwicklung der Katastrophe live am Fernsehschirm verfolgen. Nun gibt es eine Reihe von Anschlägen mit ANTHRAX-Briefen auf Medieneinrichtungen, so daß eine breite Medienwirkung gesichert erscheint. Wer will hier Verunsicherung und Panik verbreiten? Von wem werden derartige Methoden der psychologischen Kriegführung typischerweise angewendet?

Fragen hinter dem Trauerflor, die noch lange nicht in den öffentlichen Blick rücken werden, auch wenn sie durch die Medienglocke der blutverschmierten Flutwelle von Beistandsstatements dringen. Denn es geht nicht um die Solidarität mit der gedemütigten Allmacht allein, sondern um die Herstellung eines dröhnenden Bühnenbildes, das die Pyromanen-Attacke auf die ”Zivilisation” darstellt. Ein Fazit bezüglich dieser Legende voller Pathos zieht die Redaktion der ”Gruppe Kommunistische Arbeiterzeitung” in einer Stellungnahme:

Eine Zivilisation, die den 1. Weltkrieg hervorgebracht hat, der als der ”Krieg der weißen Männer” christlich-abendländischer Herkunft für Kaiser, Gott und Vaterland geführt wurde! Eine Zivilisation, die den deutschen Faschismus hervorgebracht hat, der von den Spitzen des Staates, der Industrie und der Hochfinanz - allesamt lautere Vertreter des christlichen Abendlandes - an die Macht gebracht wurde. Eine Zivilisation, die die Verfolgung von und den Mord an Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftern, also den Vertretern der Arbeiterklasse und damit der Zukunft und des sozialen Fortschritts, zur Grundlage ihres gesellschaftlichen Konsens gemacht hat. Eine Zivilisation, die Auschwitz ermöglicht hat, die industrielle Vernichtung von Millionen Männern, Frauen und Kindern, die man als Juden, Sinti und Roma, als "Untermenschen" schlechthin gebrandmarkt hatte. Eine Zivilisation, die den 2. Weltkrieg hervorgebracht hat, mit der barbarischen deutschen Kriegführung im Osten und ihrem Terror gegen alle überfallenen Völker. Eine Zivilisation, die von der kolonialen Ausbeutung von Milliarden Arbeitskräften lebt, die kaltblütig über Vietnam hergefallen ist, in Chile und in der Türkei die Faschisten putschen ließ und die gestern noch Belgrad bombardierte – Kollateralschäden hießen schon damals die Opfer – kein Entsetzen, keine Betroffenheit, und keiner Trauer wert.

Die Apologeten des abendländischen Wertepathos können sich kaum eine Version der Zivilisation vorstellen, die von ihren Maßstäben abweicht. Daher orientiert sich der Aufruf des mehrstimmigen Chores zu Jagdorgien nicht an die Vorlage von Beweisen, sondern an das Recht der Überlegenen, erst das Urteil zu vollstrecken, dann das Verbrechen zu verkünden – auch ein Trick, die Gerechtigkeit auszulegen.

Häscher in der Pilotenkabine, geschliffen fliegt die Flotte der Rambos ”Infinite Justice”. Die Hausierer der medialen Zunft, die Verkäufer von Wort und Bild, lauern im Hintergrund. Keine von ihnen weiß, ob man im Job falsch ist oder im falschen Job.

Gespieltes Gerangel im Reichstag: Moderatoren der ethnozentrischen Fraktionskompanien rätseln über die Balance zwischen Freiheit und Freiheitskürzung. Vom ”interkulturellen Dialog” spricht der Oberleiter des Auswärtigen Amtes, der dort unter dem Bombenteppich stattfinden muß, wo die kulturalistischen Konflikte aus der Kontrolle ihrer Förderer geraten.

Das Bankrottmodell der ”internationalen Staatengemeinschaft” begünstigt die Ambitionen des millennaren Imperatoren George W. Bush. Die Kunst des Erschwindelns, die er für seinen persönlichen Aufstieg bewerkstelligte, braucht er nicht anzuwenden. Seine Verbündeten züchtigt er. Aus Angst vor dem Verlust ihrer Privilegien ließen sich die meisten Statthalter der Staatsräson mit Kolonialgehirn von ihm die Heimtücke aufdiktieren. Die Desperados des Killerkapitalismus beugen sich seiner Ehrsucht. Auch die wohlbestallten Clans, die auf der Oberfläche des Ölvorkommens urtümlich leben. Schließlich regiert der Potentat im Weißen Haus das Reich der Freiheit, das die höchste Zahl von Häftlingen in aller Welt hat und die Hälfte der Waffen für alle Kriege verkauft. Er repräsentiert eine so gesunde Gesellschaft, die die Hälfte aller Psychopharmaka schluckt, was der Planet produziert. Er moderiert die obersten Gesprächskreise des Freihandelns, während an der ”offenen” Grenze zu Mexiko täglich mehr als ein Tagelöhner beim Versuch stirbt, sie zu überschreiten. Kurzum: Er steht einer Zivilisation vor, dessen Werte außerhalb des Verständnisvermögens ihrer Träger bleiben.

Versagt hier die Vernunft der Aufklärung? Oder kommt sich einer selbst abartig vor, der bei Licht betrachtet die Tragsäulen dieser Zivilisationsmaschinerie in Frage stellt?

Der partizipierte Monarch befiehlt seinen Gesandten den Marschmarsch, erhebt die alten Ansprüche in geballter Form. Wer ihnen nicht Folge leistet, muß widrigenfalls damit rechnen, mit Bombenregen überzogen zu werden. Vor ihm trudelt das Humanitäre in den Notstand. Ein Häuflein der Menschenrechtspoeten beginnt, um den Frieden zu winseln.

Ein langgestreckter Kreuzzug unter dem beweihräucherten Leitvers ”Infinite Justice” – auch wenn sie kurz nach der Dichtung zurückgenommen wurde – zwingt die Apostel des aufklärerischen Universalismus zur Erklärungsnot. Sie schweigen oder reihen sich noch dröhnender ein in die militante Propagandafront der militärischen High-Tech-Maschinerie gegen die Massenmörder. Und sie soll erst das Urteil exekutieren, um Beweismaterial für einen nachträglichen ausfindig zu machen. Dieser Logik der ”grenzenlosen Gerechtigkeit”, die es nur nach dem Tod geben kann, kommt zuletzt das Dokument gelegen, mit dem der britische Premier Blair in seiner Rolle als Kriegsparlamentär kurz vor dem Start der Bomberflotte sich publizierte. Das Blair-Dossier, mit dem sich die ”World Socialist Web Site” (www.wsws.org) ausführlich auseinandersetzt, beginnt mit folgendem Vorbehalt: ”Dieses Dokument erhebt nicht den Anspruch, Anklagen gegen Osama bin Laden zu begründen, die für einen Gerichtsprozeß ausreichen würden.” Dieses Eingeständnis wird damit gerechtfertigt, daß ”geheimdienstliche Erkenntnisse aufgrund strenger Zulässigkeitsregeln und des notwendigen Schutzes der Quellen oft nicht als Beweismaterialien verwendet werden können”.

In der Tat steckt hinter diesem Eingeständnis die ethnozentrische Ideologie, die besagt, daß für die Legitimation der Kriegshandlung gegen die Angehörigen einer minderwertigen Menschengattung das Beweismaterial niederer Qualität ausreicht, als es für einen Gerichtsprozeß notwendig sein sollte. Dazu die ”World Socialist”-Autoren:

Blairs Dokument ist keine seriöse Darlegung von Beweisen, die lediglich den strengen Normen juristischer Anklageschriften nicht entsprechen würde. Sie enthält keine von unabhängiger Seite verifizierbaren Tatsachen, aus denen eine Schuld bin Ladens, der Al Qaida oder der Taliban im Zusammenhang mit den Terroranschlägen vom 11. September hervorgehen würde. Die meisten in dem Dokument enthaltenen Aussagen waren bereits zuvor in den Medien berichtet worden. Für keine einzige Anschuldigung wird ein Beweis angeführt. Dem Leser wird zugemutet, alle Behauptungen auf Treu und Glauben zu übernehmen.


In der Tretmühle der Krisendemokratie strampeln sich national-koalitionär die Dialog-Dilettanten der abrahamitischen Stammhalter und Apartheids-Militanten ab

Das Redegeschwulst von der ”internationalen Allianz” hat ihre Qualität im Irrlicht. Denn sie besteht aus jener Staatencompany der Hersteller von Waffen, mit denen die heißhungrigen Desperados der entfesselten Marktkräfte überall wüten und auf ihre Anteile an der Beute pochen. Hinter der Nebelwand der öffentlichen Irreführung, die sich als Millennarwerk der Mainstream-Mediakratie preisen läßt, wittern Börsenfüchse wie völkische Strauchdiebe Morgenluft.

Der Kult der Brachialgewalt genießt trotz aller Tränenströme die Ehrfurcht des Wert- und Kulturgötzen. Er läßt das Monster los und facht die Wut an, die der Verband der Bombenstürmer angeblich dämpfen will. Eine andere Tür steht der nordischen Schutzmacht der globalen Ständegesellschaft auch nicht offen.

”Selbstverteidigung” lautet das Bombast, hinter dem die nordamerikanische Hybris raucht. Das diktiert das Humanitäre des nordischen Menschentums, und das von ihm imponierte Protestpublikum kann nichts aus dem Nebel der Bilderglut und Worteflut herausfiltern, was auf das Monster hinweisen kann. Beschossen wird der Tanker seiner Friedenstränen von den Sicherheitspatrouillen der High-Society. Mit ihm versinkt auch die Illusion von der gewaltfreien Aktion, welche die Schönwetterschwärmer im linkslastigen Regenmantel lange Zeit gehegt haben.

Die Darbietung des Ruinenrauchs gehört zum gängigen Ritual des berlinischen Ständestaates. Seine Advokaten aus der medialen Zunft warnen vehement vor dem Emporkommen einer ethnischen Unterschicht. Zugleich vermehrt sich das Obdachlosenheer weit und breit, so daß es die Genußsucht der Nobilität zu verderben droht. Probleme hat das Personal der Staatsgewalt aber mit 1,5 Millionen leerstehenden Wohnungen, zum größten Teil im Osten der Republik, und ruft die Abrißbirnen sowie Sprengmeister in Aktion. Fast 300 Millionen Mark kostet der Spaß. Und das jährlich.


Das Krakeeln der Grottenkraken vermischt sich immer geistreicher mit den moralischen Reimsprüchen der melancholischen Moritatensänger: Der Horst des Terrors sei das Horror-Moor des Elends, in dem der lebensechte Leviathan mit dem Kopfputz irrlichtere. Auf diesen Sumpf mit all seinen verelendeten Biotypen soll daher die Kriegskampagne zielen.

Zum Vorrang der medialen Lehrgangs-Multiplikatoren und Fahnenschwenker des angesagten Weltbefreiungskrieges gehört, alles auf den einen Tag der Apokalypse zu verkürzen und Osama bin Laden, dem Terror-Kraken im Prokrustesbett und Mythos im Souvenirladen, die gesamte Schuldenlast der Unternehmung aufzuhalsen. Denn er habe nicht nur den Krieg privatisiert, sondern auch den Terror globalisiert. Auf diesen gottserbärmlichen Progreß der Aufklärungspropheten reagiert Werner Pirker mit einem Essay in ”junge Welt” vom 20. Oktober 2001:

Vielleicht hat Osama bin Laden die Logik der Privatisierung tatsächlich besser begriffen als die liberalen Denker in ihrer Verteidigung der offenen Gesellschaft und des Gewaltmonopols des Staates. Die Kausalität von Krieg und Privatisierung erschloß sich in der privaten Enteignung der staatssozialistischen Gesellschaften als ein Akt des Kriegskapitalismus. Daß dieser Krieg weitgehend ein kalter Krieg geblieben ist, hängt mit der schockartigen Enteignung bzw. Entwaffnung potentiellen Widerstandes zusammen. ...

Osama bin Laden, der wie eine islamische Ausgabe von Jesus Christus aussieht, sanft wie der Gottessohn, nur nicht so abendländisch, wie sich Christenmenschen fälschlicherweise ihren Erlöser vorstellen, ist ein Kind seiner Zeit. Nicht der Spätgeborene einer Zeit, in der die Propheten der Weltreligionen einer nach dem anderen durch das Morgenland wandelten. Kein Prämoderner, sondern ein Postmoderner. ...

Unter den 100 größten Wirtschaftseinheiten der Welt befinden sich 51 privatkapitalistische Imperien und nur 49 Nationalstaaten. Osama bin Laden mag den Krieg privatisiert haben. Doch was ist ein privatisierter Krieg gegen den Krieg der Privatisierer? 5000 Milliarden Dollar werden nach IWF-Schätzungen in den »Steueroasen« geparkt und so der globalen Entwicklung der menschlichen Gesellschaft entzogen. Der Besitz von 358 Dollarmilliardären übersteigt das Gesamteinkommen jener 45 Prozent der Länder, die in der unteren Hälfte der Reichtumsskala angesiedelt sind. Die ganzheitliche Welt, von den Globalisierungs-Ideologen beschworen, als deren erster Stichwortgeber sich übrigens der letzte Generalsekretär der KPdSU hervortat, ist so ganzheitlich wie die bürgerliche Gesellschaft eine klassenlose. Osama bin Laden mag den Terror globalisiert haben, doch was ist globalisierter Terror gegen den Terror der Globalisierer? Was ist Al Qaida im Vergleich zu IWF und Weltbank?

Am 11. September 2001 ist der katastrophische Zustand der Welt auch den Verursachern der Katastrophe bewußt geworden. In ihrer Selbstbezogenheit konstatierten sie eine historische Zäsur. Nichts sei mehr, wie es davor war. Mag schon sein, daß es eine Jahrhundertzäsur war, was bei einem Jahrhundert im Alter eines Kleinkindes wenig aussagt. Wie seicht muß postmodernes Geschichtsbewußtsein sein, daß selbst der Untergang der Sowjetunion als geschichtliche Zäsur inzwischen weniger dramatisch wahrgenommen wird als der Einsturz der Ikonen des amerikanischen Kapitalismus. Denn es ist die von ihnen beherrschte Welt, mit deren Widersprüchen sie der Sozialismus nach seinem Abtreten allein gelassen hat, die nun außer Kontrolle gerät. Der Mythos vom Ende der Geschichte liegt unter den Trümmern der Zwillingstürme endgültig begraben. Eine vorgeblich aufgeklärte Gesellschaft folgte den mittelalterlich-mystischen Verheißungen auf die Endzeit in Gestalt eines tausendjährigen Reiches. Wurde diese Hoffnung früher auf einen Messias projiziert, später auf einen Führer, so nun auf die unsichtbare Hand des Marktes.

Es war eine friedliche Posthistorie, die Francis Fukuyama entwarf, basierend auf der liberalen Demokratie als globaler Staatsform. Den Auftakt zum ewigen Völkerfrühling bildete der Krieg gegen den Irak. In Jugoslawien folgten die Völker der unsichtbaren Hand und fielen übereinander her. Der jugoslawische Bürgerkrieg wurde zum Sittengemälde der neuen Weltordnung. Das westliche Wertesystem dünkt sich auf eine Weise erhaben, daß es den Krieg als Instrument zur Durchsetzung des Wahren, Guten und Schönen als selbstverständliche Denkoption rehabilitiert, wie man das nach 1945 nicht mehr für möglich gehalten hätte.

Spalte die Opfer, und du machst dir den Globus untertan

Allein die Kriegspropaganda ist eine völlig andere geworden. Stellte sie früher einen offenen Appell an niedrige Instinkte und atavistische Triebe dar, so artikuliert sie sich nun übernational und menschenrechtlich. Der Krieg mit menschlichem Antlitz. Imperialistische Kriege erscheinen als Befreiungskriege. Als wollte nach dem vorläufigen Ende des Kommunismus der Globalkapitalismus die Rolle eines ideologisch begründeten, auf einer Befreiungsidee beruhenden Weltsystems einnehmen. Die Internationale erkämpft des Menschen Recht. Daß es das letzte Gefecht ist, will indes niemand versprechen. Militarisiertes Denken hat den Krieg aus seinem Status als Ausnahmezustand befreit und in die Normalität geholt. Eine Epoche des permanenten Krieges kündigt sich an. ...

Die mediale Begleitung des NATO-Krieges in Jugoslawien war Meutejournalismus der übelsten Art. Es war, als wäre die Erwachsenenwelt auf Kindergartenniveau zurückgefallen, andächtig den Märchen lauschend, die Jamie Shea oder Onkel Rudolf erzählten. Vom albanischen Rotkäppchen, das Milosevic fressen wollte oder vom albanischen Schneewittchen, das der NATO-Prinz mit einem Kuß erlöst hat. Dissens zu dieser manichäischen Weltsicht war kaum vernehmbar. Der mediale Stammtisch formierte sich zum fröhlichen Jagen. Belgrad war eingekesselt.

Verglichen mit damals wirken die Erzeugnisse der Meinungsproduzenten im Angesicht des »Krieges gegen den Terror« seltsam gequält und von des Gedanken Blässe angekränkelt. Gestern noch hemmunglos, heute ängstlich zurückgezogen. Auch daran erkennt man die Meute. Jugoslawien war ein hilfloses Opfer, das seine Existenz als souveräner Staat zwar verzweifelt verteidigte, aber letztendlich chancenlos war. Der Balkanstaat hatte keine Verbündeten, jedenfalls keine, die ihre Existenz mit der Jugoslawiens verbunden hätten. Vor allem aber war der Balkan kein Terrain, auf dem der vielzitierte »Clash of civilisations« hätte stattfinden können. Die islamische (Ausnahme: Libyen) und protestantisch-katholische Welt waren in ihrem Kampf gegen das orthodoxe Serbien ein abendländisches Herz und eine morgenländische Seele. Das restsozialistische Restjugoslawien wurde, obwohl es sich aus diesem immer rausgehalten hatte, zum letzten Opfer des Ost-West-Konfliktes. Ein nicht unwesentliches Kalkül der Balkan-Politik des Westens dürfte darin gelegen haben, über ihr »proislamisches Engagement« den islamischen Nationalismus als eine Erscheinungsform des Nord-Süd-Konfliktes zu entschärfen. Spalte die Globalisierungsopfer und du machst dir den Globus untertan.

Daß das Kalkül nicht aufging, hat wesentlich mit der israelischen Politik der andauernden Unterdrückung und Demütigung der Palästinenser zu tun. Auch dürfte es den Islamisten klar geworden sein, daß sie in Bosnien und im Kosovo der Sache des Westens zum Sieg verholfen haben und nicht umgekehrt. Von einer islamischen Republik auf dem Balkan ist nichts zu sehen. Vor allem aber reflektiert der Islamismus auf seine verzerrte, religiös verklärte und reaktionäre Weise die Krise der Globalisierung. So wie im europäischen Mittelalter die Bewegung der Ketzer und Geißler, angeführt von Reichen mit schlechtem Gewissen und getragen von den Marginalisierten, eine unbewußte Form sozialen Protestes äußerte. Wenn auch sozial und intellektuell rückständig, weil nicht Zukunfts-, sondern Vergangenheitshoffnungen zum Ausdruck bringend, waren sie doch Vorboten der Neuzeit. ...

Der Islamismus ist bei allem religiösen Wahn von dieser Welt, in der die Dritte zur Zweiten Welt wurde, dabei aber nicht aufstieg, sondern in die Viertklassigkeit abstieg. Bin Laden ist der personifizierte Globalisierungs-Widerspruch, der Prophet der Apokalypse, der Verkünder der pessimistischen Variante des Endes der Geschichte.

Das Bombardement Jugoslawiens war das verspätete heiße Finale des Kalten Krieges, einfach freiwillig, ganz ohne letztes Gefecht durfte der Sozialismus nicht aus der Geschichte abtreten. Nun beginnt der neue Krieg. Ein nie dagewesener. Als US-Präsident Bush ihn ankündigte, dürfte er sich der vollen Tragweite seiner Aussage nicht bewußt gewesen sein. In der öffentlichen Wahrnehmung existiert wenigstens eine Ahnung davon. Deshalb verhalten sich die Meinungs-Multiplikatoren diesmal nicht wie verrückte Fußballfans – allen Serben die rote Karte! –, sondern eher wie Zuschauer einer klassischen Tragödie. Denn dieser nie dagewesene Krieg, der in Afghanistan begann, könnte zum internationalen Bürgerkrieg werden. Zum Krieg Reich gegen Arm, in dem die Reichen und die Armen entweder gemeinsam untergehen oder die Reichen früher oder später verlieren werden. ...

Nun aber ist der Nord-Süd-Charakter der globalen Auseinandersetzung evident. Der Schwachsinn von den Schurkenstaaten, die sich gegen die »globale Zivilgesellschaft« verschworen haben sollen, wird zunehmend unglaubwürdig. Das bürgerliche Feuilleton vermerkt mit Entsetzen, daß der Einsturz der Twin-Towers die innere Brüchigkeit des Globalisierungsregimes zum Ausdruck brachte. ...

Wofür der linksliberale Mainstream eintritt, ist die Globalisierung der Sozialpartnerschaft bzw. die Versozialpartnerschaftlichung der Globalisierung. Doch ist die Globalisierung nun einmal das Gegenmodell zur Sozialpartnerschaft im nationalstaatlichen Rahmen. Nun soll sie international sozialpartnerschaftlich agieren? Die Zurückdrängung der nationalstaatlichen Komponente betrifft ja nicht den staatlichen Repressionsapparat, sondern die Sozialstaatlichkeit. Der an sich wertneutrale Begriff »Globalisierung«, der die brachiale Unterwerfung der Welt unter das Profitprinzip als objektiven Prozeß suggeriert, der ein Für oder Wider sinnlos macht, ist das semantische Gegenteil seiner selbst: Die Welt erfährt eine nie dagewesene soziale Spaltung.

Ebensowenig wie es einen Imperialismus mit menschlichem Antlitz gibt, gibt es eine andere Globalisierung unter den Bedingungen des Imperialismus. Der imperialistische Krieg hat diverse Spekulationen ohnedies gegenstandslos gemacht. Deshalb eröffnet der Kampf gegen den Krieg auch die Chance einer inhaltlichen Radikalisierung der Anti-Globalisierungsbewegung. Berlusconi hatte seine Anti-Terror-Einheiten auf sie bereits losgelassen, noch bevor die Flugzeuge in die Türme von New York krachten.


Unter Stars and Stripes

Mitten im Kriegsgetümmel des gutmütigen Wertzentrums gegen die bösartige Randgeschwulst am Korpus des anthropogenen Planeten wurde das Weltturnier der fußballernden Gladiatoren austragen. Aus dem virtuellen Zusammenschluß der Kontinente bestand ihre Arena, in der wie in den römischen Zeiten die sozial zerrüttete, moralische verrottete Menschenmengen angehäuft, in den jauchzenden Pöbel unter unterschiedlichen Standarten verwandelt und Spektakel gefüttert.

Mitten im Kriegsrummel des Pentagon-Generalissimus spielte im deutschen Glotzkasten der „Planet der Affen“ – eine televisionäre Auflage des Szenariums vom "Untergang des Abendlands". Halluziniert wird darin das Verschwinden der durch die Explosion im Makrokosmos per Knopfdruck. Zuvor aber gelang der Affenfamilie die Machtergreifung und die Befehlsgewalt über die Biosphäre. Der Weltenlenker oben schaute nur zu und brach in homerisches Gelächter aus.

Doch das breite Publikum unten rührt sich nicht, irritiert durch das Überhandnehmen des Außerirdischen. Eine Spukgestalt macht sich am Horizont breit. Ein Irrlicht, das bewirkt, zu deregulieren, privatisieren, freihandeln, fremdeln, markieren, multiplizieren, marginaliesieren. Das Deckwort „Globalisierung“ faßt alles zusammen, was noch kommen wird. Unter ihm verbirgt sich eine Mutante, spekulieren die meisten Ordensbrüder der Intelligentsia. Darin sind sich jedenfalls die Tüftler der "Multitude" einig, die das Zirkusrund der "Attac"-Akrobatik mit notwendigen Hintergrundsmaterial versorgen. Demnach ist das Empire eine Mutante. Das allein erklärt, warum hochkapitalistische Gesellschaften im wachsenden Maße vom kurzweiligen Tamtam ihre Regel diktiert bekommen. Das stimmt: Fernsehen und Filme als Imageproduktionen unterhalten und locken nicht nur, sie sind auch Formen der Macht. Wahr ist auch, daß im Spektakel ein zentraler Mechanismus der Macht innewohnt.

Also spricht die postmoderne Intelligenzbestie, was man von ihr erwartet: Die Industriestaaten sind dem Freihandel unterworfen. Sie verantworten daher nicht, welche Ramschware der Markt aufschaufelt, welches Untier er mästet. Man sollte ihm die Ehrfurcht nicht entziehen, sondern seinen Stars zu Ehren Spalier stehen und Konfetti streuen.

Epochal bleibt der Marasmus des Humanitären. Er weitet sich schwer kontrollierbar aus. Doch ihm will – welch eine Kaskaden-Maskerade – die okzidentale Verbrüderung den ideologischen Ballermann der Prävention entgegenhalten. Begonnen hat das imperiale Kartellamt damit zum wiederholten Mal, zuletzt mit der UNO-Konferenz "Entwicklungsfinanzierung" in Monterrey/Mexiko. Theo Wentzke informiert in der Analyse des GEGENSTANDPUNKT-Verlags in „Radio Lora“ vom 13. Mai 2002:

Die "erste" Welt beschenkt die Staaten der "dritten" mit einer Perspektive: schuldenfreie Armutsverwalter.

"Die Idee, zu Ende gedacht, würde den reicheren Ländern ermöglichen, bestimmte Hilfsprogramme für Entwicklungsländer an Suborganisationen zu vergeben, unter Verzicht auf die Regierungen der besagten Länder. Als Beispiel wurde ein hypothetischer Fall vorgetragen, in dem eine Geldsumme einer Organisation wie Ärzte ohne Grenzen übertragen wird, damit eine bestimmte Zahl von Kindern in Afrika geimpft wird." (El País, 22.3.)

Ob dann geimpft wird oder nicht, den Regierungen der "besagten Länder" ist damit ihr Stellenwert zugewiesen: An der Seite von mildtätigen Vereinen, die das Vertrauen imperialistischer Geldgeber genießen, dürfen sie noch die Funktion einer Armenhausverwaltung erfüllen. Sonst haben sie ja nichts weiter zu tun. Nachdem die 1. Welt ihnen mangels Erfolg den Kredit streicht, steht definitiv fest, dass aus ihren Ländern nie mehr etwas anderes wird als eine Aufbewahrungsanstalt mit angeschlossenem Lazarett für die kapitalistisch nutzlosen Landesbewohner. Die wiederum bekommen vom großen UNO-"Wir" eine neue Aufsicht spendiert, die im Zeichen "guter Regierung" aus ihrem Land ein sauber geführtes Armenhaus machen will, in dem Ärzte sauber ihren Impfstoff an den Mann bringen können.

Almosen aus dem "Millenniumsfonds" für redliche Armutsverwaltung sind nämlich nicht bloß eine milde Gabe; auch das arbeitet die Konferenz von Monterrey erfreulich deutlich heraus. Das Schlagwort von der "guten Regierungsführung" steht für das Kontrollregime, das weniger die Insassen dieser Länder als vielmehr die "entwickelten" Weltmächte brauchen. Der Oberbefehlshaber der Freien Welt und ihres Feldzugs gegen das terroristisch Böse, George Bush, hält die UNO-Konferenz zur "Entwicklungsfinanzierung" für genau das geeignete Forum, um die Gleichung zwischen Armutsbekämpfung und antiterroristischem Säuberungskrieg in der imperialistisch einzig korrekten Reihenfolge vorzulesen: "Bush unterstrich, dass der Kampf gegen den Terrorismus ‚Millionen von Menschen, die Gefangene der Armut sind, befreien wird‘" – wovon auch immer. (El País, 23.3.)

Die deutsch-christliche Friedensbewegung hätte das Gleiche lieber süß und nicht bloß militärisch: "Die Institutionen, die Entwicklung erst möglich machen, müssen aufgebaut oder gestärkt werden: Polizei, Justiz, Verwaltung." – und das geht "in manchen Ländern vermutlich nur, indem eine – möglicherweise kleine – Interventionstruppe der Vereinten Nationen den Kern der neuen Staatlichkeit schützt." (Erhard Eppler im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, 8.3.)

Gewalt muss sein, damit die "Entwicklung" der verkommensten Staaten der "3. Welt" zu ordentlichen Elendsanstalten "möglich" wird. Wer wollte da widersprechen!

Die Ökopaxen und Globetrotter des "Homo touristicus" im "Weltsozialforum" vielleicht? Von dort weiß man bis jetzt, wie die sozialistische Idee aus dem Zirkusrund der Foren zweimal erfolgreich ausgeschlossen wurde. Etabliert hat sich das Etablissement der Nongovernment-Prostitution durch den Quantensprung der digitalen Revolution. Hochklettert auf das Establishment der Eine-Welt-Gemeinde sind die Marketender und Makler des Appellationshumanismus. So appelliert seit Porto Alegre 2002 der Karriere-Zyklus "GreenPeace" mit erhobener Stimme an die imperiale Leitzentrale, "Weichen für eine nachhaltige, ökologische und friedliche Weltordnung" zu stellen. Postalische Adresse ist das "Weiße Haus" in Washington, wo sich die Falken einnisten und ihren Horst ausbauen. Die drei großen Imperative ihrer Geostrategie bestehen darin, Händel zwischen den Vasallen zu verhindern, die Tributpflichtigen fügsam und geschützt zu halten und die Barbaren so zu versorgen, daß sie aneinander an die Kehle fahren. Hinter den Taliban-Halunken, denen sie jetzt den Garaus gemacht haben, standen sie, als diese einst die Teufelsmeute der Bolschewiki zurück ins Reich der Finsternis ballerten. Auf der Weltkarte markieren sie weitere Schurkennester und lösen Spannungen mit der Handkante. Sie wirken als Promoter des Den Haag-Spektakels, das irreführend "Internationale Strafjustiz" genannt wird.

Jedes Erdstück, das ihnen widerspenstig erscheint, schwärzen sie an, nachdem sie das Ende eines Booms verkündet hatten, auf das immer die Bomben folgten. Unter ihrem Handgriff wird die Mehrzahl des Menschengeschlechts außer Kurs gesetzt, eine Geographie nach der anderen in die Quarantäne der minderwertigen Überflüssigen verwandelt. Aus dem Schatten des Globalisierungsbetriebs erwächst die ökonomische Piraterie. Auch der Terminus Terror ist ein elementarer Bestandteil des marktbestimmten Zivilisationspathos. Damit befaßt sich Jean Ziegler im Vorwort zum James H. Hatfields Bestseller "Das Bush-Imperium", abgedruckt in "junge Welt" vom 21. Mai 2002:

Thomas Friedman, früherer Assistent von Außenministerin Madeleine Albright, schreibt: »Damit die Globalisierung funktioniert, dürfen die Vereinigten Staaten nicht zögern, als die unbesiegbare Weltsupermacht zu agieren, die sie sind. Die unsichtbare Hand des Marktes funktioniert nicht ohne die sichtbare Faust. McDonalds kann nicht prosperieren ohne McDonnel-Douglas, dem Fabrikanten der Kampfflieger F-15. Die sichtbare Faust sichert auf der ganzen Welt den Sieg der Technologieprodukte aus dem Silicon Valley. Diese Faust sind die Landstreitkräfte, die Marine, die Luftwaffe und das Marine-Corps der Vereinigten Staaten.« (Thomas Friedman, New York Times Magazin, 28.3.1999) ...

Globalisierung ist täglicher Terror. Alle sieben Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren. Alle vier Minuten verliert ein Mensch das Augenlicht wegen Mangel an Vitamin A. Über 100000 Menschen sterben jeden Tag am Hunger oder seinen unmittelbaren Folgen. 828 Millionen Kinder, Männer und Frauen waren letztes Jahr permanent schwerstens unterernährt. Die FAO errechnet: Die Weltlandwirtschaft könnte heute ohne Probleme zwölf Milliarden Menschen ernähren. Ohne Probleme heißt, jedem Menschen jeden Tag 2700 Kalorien Nahrung geben. (World Food Report, Rome, 2001) Die gegenwärtige Erdbevölkerung beträgt 6,2 Milliarden.

Es gibt keine Fatalität, nur imperiale Vernichtung und Arroganz. Wer heute am Hunger stirbt, wird ermordet. Wer Geld hat, ißt und lebt; wer keines hat, hungert, wird invalid und/oder stirbt.

Vor über 2000 Jahren schon schrieb Marc Aurel: Imperium superat regnum. Das Imperium unterwirft sich alle anderen Mächte. Die Oligarchie des amerikanischen Finanzkapitals beherzigt diese Lektion aufs Trefflichste.

Dieses Imperium unter Stars and Stripes schwingt die Peitsche auch über die Verbündeten, damit diese nicht mehr eigene Lebenswelten konstituieren, sondern sich ineinander verschlingen. Darunter leidet das Groß-D am schwersten. Auch wenn dieser Kumpan der nordamerikanischen Eine-Welt-Kompanie im Gegensatz des Mustersatelliten GB seine Interessen auf dem ganzen Erdenrund tangiert sieht, kann er gegenwärtige nichts weiter, als er ins Grübeln kommt. Also spricht George W. Bush im Berliner Reichstag:

Unsere Generation steht vor neuen und ernsten Drohungen gegen die Freiheit, gegen die Sicherheit unserer Menschen und gegen die Zivilisation insgesamt. Wir stehen vor einer aggressiven Kraft, die Tod verherrlicht, die auf Unschuldige zielt, Mittel für ihre Zwecke sucht, Mord in großem Maßstab zu betreiben. Wir haben massive Bedrohungen durch Armut und durch Tod bringende Krankheiten. Man kann aber das nicht so stehen lassen, man muss sich mit diesen neuen Herausforderungen auseinander setzen und zwar gemeinsam auseinander setzen. Die, die gegen die menschliche Freiheit sind, die diese Freiheit angreifen, werden sie auf jedem Kontinent angreifen. Die, die Raketen in ihren Besitz bekommen wollen, kennen auch die Karte Europas. ...

Während wir das Haus der Freiheit bauen, müssen wir uns den Herausforderungen einer größeren Welt stellen. Und das gemeinsam. ...

Die Terroristen sind durch ihren Hass definiert. Sie hassen Demokratien, Toleranz und die freie Meinungsäußerung. Sie hassen Frauen, sie hassen Juden, sie hassen die Christen und sie hassen alle Islame, die sich gegen sie richten. Andere töteten im Namen rassischer Reinheit oder eines Klassenkampfes. Diese Feinde töten im Namen einer falschen religiösen Reinheit, und sie verdrehen den Glauben in dessen Namen sie vorgeben zu sprechen. In diesem Krieg verteidigen wir nicht nur Amerika und Europa, wir verteidigen die Zivilisation selbst. ...

Gefahren, die weit von Europa entstehen, können nun Europas Herz treffen. Deswegen muss die Nato in der Lage und willens sein, zu handeln, wann immer Bedrohungen auftauchen. Das erfordert alle Mittel der modernen Verteidigung. ...

Wir wissen nicht, wo die nächste Bedrohung herkommt. Und wir werden auch nicht wissen, in welcher Form sie gegen uns auftritt. Aber wir müssen bereit sein als militärische Partner, uns gegen diese Bedrohungen gegen unsere gemeinsame Sicherheit zu wenden.


   

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