XXV. Jahrgang, Heft 142
Okt - Nov - Dez 2006/4

 
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Letzte Änderung:
03.06.2006

 
 

 

 
 

 

 

Necati Mert´s Kolumne

Weiße Tauben der nordischen Paläste wachen auf dem Aufsichtsturm der Migranten-Sturmflut

   
 
 

Die migrantische Wellenbewegung auf der Südroute nach Westeuropa, die zwingend Formen der Illegalität annimmt, reagiert immer intensiver auf die Nachfrage nach Lohnsklaven und modernen Leibeigenen. Sie findet statt, weil man sie will, jedoch so, wie man sie haben will. Aber Alarmglocken läuten, wenn das Angebot die Nachfrage belastend übertrifft.

Der Kaukasier „Jim“, Historiker, Vater von drei Kindern und mit lebenslanger Eintrittssperre für den gesamtdeutschen Lebensraum versehen, erinnert sich an die Stationen seiner Begegnung mit dem goldenen Westen. Freundschaften mit Deutschen der Ostzone hatte er während seines Studiums an der Leningrader Universität geknüpft. Als im Sommer 1989 die Berliner Mauer zu wackeln begann, erreichte er Alices Wunderland und machte gleich mit türkischen Kaukasiern Bekanntschaft:

Sie besorgten mir meine erste Schwarzarbeit. Anfang November kletterte ich beladen mit ihren Geschenken in den Zug nach Leningrad. Zwei Tage später fiel die Mauer. Und ich verkaufte den PC, den ich von meinem Berliner Lohn gekauft hatte, in Russland für 20 000 Rubel, damals noch ein Vermögen.

Eine ostwestliche Doppelexistenz begann. Ich arbeitete drei, vier Monate schwarz auf Baustellen in Berlin, Hamburg, bei Rostock oder Köln, lernte auf Deutsch zu fluchen, es lief gut, ich verdiente bis zu 150 Mark am Tag. Ich hätte zwar lieber Zeitgeschichte betrieben als Fliesen zu legen. Aber leider gibt es keine russische Stiftung, die Feldforschung über die Sprachprobleme zwischen ost- und westdeutschen Bauarbeitern bezahlt. Also blieben mir nur Vorträge über die deutsche Geschichte, die ich den Kollegen hielt. Die Ostdeutschen hörten interessierter zu, dafür waren sie misstrauischer. Ihre Vorurteile verteidigten sie mit gesamtdeutschen Argumenten: "Wir haben nichts gegen Malocher wie dich. Aber hier gibt es zu viele Kanaken und Buschneger." ...

Der Schwarzarbeitsmarkt blühte, aber er wurde enger. Manchmal wartete ich drei, vier Wochen auf einen Job. Die Baupolizei wurde immer eifriger, schleuste V-Männer ein. Umgekehrt schmierten unsere Auftraggeber deutsche Beamte: Mehrmals schickte uns der Polier beim Bau der Berliner Börse nach Hause: "Morgen kommt die Bauaufsicht." Ich bin nie erwischt worden.

Aber viele Subunternehmer, die Schwarzarbeiter anheuerten, tauchten vor der Lohnauszahlung unter. Um mein Geld zu kriegen, musste ich einem drohen, sein Auto anzuzünden, einem anderen, ihn umzubringen. Aber ich habe niemanden in Deutschland bestohlen oder ihm Rauschgift verkauft. Ich habe gearbeitet, habe aufgebaut.

Ich hätte "legal" werden können. Doch nicht ohne Asyl zu beantragen und mir KGB-Schikanen auszudenken, die es nicht gab. Oder Ehe zu simulieren, wie mir eine deutsche Freundin vorschlug. Oder in meinen Sowjet-Pass die Nationalität "jüdisch" hineinzufälschen, wie es viele russische Bekannte getan haben. Dass die Deutschen russischen Juden Bleiberecht gewähren, mag von Reue zeugen. Aber es hat auch etwas Kommerzielles: Wir teilen unseren Reichtum mit dir, und du vergisst, dass deine Leute vergast wurden. Ich verstehe die Juden nicht, die so hier leben können. ...

Als ich 1997 zum letzten Mal einreiste, blieb ich einfach da, als mein Visum auslief. Die deutsche Polizei hielt mich nur einmal an. Ich hatte keinen Pass, die Beamten begnügten sich mit den Personalien eines türkischen Freundes, die ich auswendig gelernt hatte. ...

Verhaftet wurde ich ausgerechnet bei der Rückreise, im Zug, bei der Ausreise nach Polen. Eigene Dummheit: Ein weißrussischer Kollege und ich hatten uns bei einer kaukasischen Botschaft Ausreisepapiere besorgt. Wir hätten unsere Pässe verloren und wollten nun das Land verlassen. Blöderweise reisten wir auch gemeinsam aus, die Zöllner schöpften sofort Verdacht und filzten uns. Und sie entdeckten unsere echten Pässe.

Wir saßen drei Monate in Cottbus in U-Haft, wurden auf Bewährung verurteilt und abgeschoben. Mit der Auflage, nie mehr zurückzukehren. Genauso ergeht es Autodieben, Zuhältern und Drogenhändlern. Nur dass die sich zu Hause neue Pässe verschaffen und wiederkommen. Das ist das Problem an eurem neuen eisernen Vorhang: Er stoppt die Kulis, die Arbeit suchen, die, die euer Volksmund die "kleinen Wichser" nennt. Die Kriminellen schlüpfen hindurch wie Wassertropfen durchs Sieb.

Jetzt bin ich wieder in St. Petersburg, renoviere Altbauten für neue Russen. Mein Kompagnon ist Heinz, den ich vom Bau in Rittersdorf kenne, der wohl erste deutsche Schwarzarbeiter in Russland. Wenn ich auf der Straße zufällig Touristen deutsch sprechen höre, fühle ich Sympathie. Deutschland war tolerant. Was die größte Beschimpfung war, die ich dort erlebt habe? Als ich am Halleschen Tor einmal fast mit einer Passantin zusammenstieß, knurrte die böse: "Rechts gehen, junger Mann!"

***

Gewidmet werden diese Abschnitte aus der Geschichte des Kaukasus-Russen „Jim“ in "Die Woche" vom 20. September 2000 jenen weißen Tauben der nordischen Paläste, den NGO-Initiatoren, die den Schattenmarkt beobachten. Eine Arbeit, die sie zu Maklern der Zivilität macht, vor allem wenn sie im Besitz eines akademischen Gütesiegels sind.

Eine schwierige Arbeit, der sie mit schlagendem moralischem Engagement nachgehen. Sie haben Konflikte zu inszenieren, weil gelöste Probleme keinen Mehrwert aufwerfen und keine Arbeitsplätze hervorbringen. Schlimmer noch: Auch geschaffene Stellen können verloren gehen.

Die Beständigkeit humanisierter Lösungen gebietet die Verschiebung der Ursachen. Daher betreiben sie auch Ursachen-Forschung, um sie zu manipulieren. Schlagendes Beispiel ist die Liebelei mit der Flüchtlingshilfe. Sie gibt es, seit sie einige Arbeitsplätze verspricht. Man bekommt sie jedenfalls, nachdem man die Ursachen der Fluchtfluten gemäß der häuslich nationalen Interessen politisiert hat. Dabei spielen die globalen Bevölkerungsbewegungen als Folge der Expansion von Markt und Macht aus dem Zentrum der Zivilisation keine Rolle.

Flüchtlingsheere gelten als Gegenstand der Sozialpädagogenzunft, die sich nicht zuständig fühlt für die Ruinen, die der kapitalistische Raubzug kaltblütig in den planetaren Menschenlandschaften hinterläßt.

NGO-Kompagnons lassen sich als humanitärer Arm der Expansionsheere neuartiger Marktkräfte wie die Gewerkschaften in den Börsenbüchern der New Economy registrieren, die Dienstleistungen anbieten. Im Hintergrund des Kunstwindes, mit dem sie ihre zivilisatorische Blase aufblähen, heult das Recht der Überlegenen auf Hegemonie, auf Verwertungsgewalt über das fremde Menschenmaterial.

Der Fremde ist der parasitäre Barbar und der bedürftige Schützling, Despot und Opfer zugleich. Er taucht immer in der Gestalt auf, wie man ihn braucht oder sehen will.

So zielt der von den NGO-Initiatoren improvisierte Antirassismus nicht auf die Überwindung des ethnozentrischen Ständerechts mit seinen administrativen, ideologischen, kulturellen und sozialen Strukturen, sondern auf die Legitimation merkantiler Selektions-Handlungen sowie auf die kulturalistische Vermarktungs-Dramaturgie der Menschenrechtsübermenschen.


Zuwanderungsgrüne Zuchtruten

"Was heißt eigentlich Integration? Fragt ein Flyer des Düsseldorfer Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit.

Ein Postulat, das nicht im Kontext Für oder Wider der standortgerechten und marktbedingten Ausbeute des Humankapitals steht. Ein Symbol, unter dem sich die selektive Handhabung kolonisatorischen Humanismus türmt? In den gespaltenen Gespinsten (Gewebe) migrantischer Miseren?

Was liegt im Substrat der Prozedur? Welcher Prozeß? Nach welchem Weitblick halten die Ministerialer Ausschau? Die willfährigen Projektanten? Die Argumentationsfiguren?

Was steckt in ihrem Marschgepäck?

Wem stehen sie im Wege? Wer steht ihren Zielen im Wege?

Das Schlagwort kursierte in der Migrationsbörse immer schwergewichtiger, wenn die nationalen Regiments ihre Abwehrposten gegen die lästigen Migrationsheere mobilisieren. Es tauchte zum ersten Mal 1973 in der Kulisse des Gastarbeiterszenariums mit der Manifestation des Anwerbestopps. Ein Jahrzehnt später erfuhr es den weiteren Aufstieg mit dem Halbierungsprogramm der Population aus dem Nicht-Geltungsbereich des Grundgesetzes durch das Gesetz der Rückkehrförderung. Noch ein Jahrzehnt danach aufgrund der Beschränkung der Famalienzusammenführung durch die Reduzierung des Nachzugsalters. Und wiederum nach einem Jahrzehnt aufgrund des selektiven Regelwerks unter dem Titel "Zuwanderungsgesetz".

Wenn Migration und Integration im gleichen Katalog der nationalen Angebote nacheinander gestellt werden, so führt an repressiven Handlungen kein Weg vorbei, die nützlichen Objekten von den parasitären Elementen zu trennen.

Die Einrichtung von neuen Ämtern fungieren als zusätzliche Funktionsstellen der polizeilichen Abteilungen, solange diese nicht abgeschafft oder in die Migrationsbehörden umgewandelt werden. Ein solches Panorama würde die Integration überflüssig machen.

In humanitärer Hinsicht pisst das Groß-D immer noch ins Hemd.

Die metroplolitane Sichtweise sitzt fest, und das Augenmerk der Kolonisatoren richtet sich auf die Ausbeute der aus der Peripherie stammenden Parias - begleitet von einer Herabwürdigung menschlicher Schicksale auf einem merkantil mentalen Niveau. Es ist nicht ein Übrigens, sondern das Programm, daß die "Illegalen" gezwungen werden, sich als Leibeigenen zum Dahinvegetieren zu verdingen.

Der hoheitlicher Fokus bleibt auf der rettende Funktion der Selbständigen erstarrt. Das gute Regieren hat sie zu päppeln, damit sie mehr Nutzen aus de Parkett der Unselbständigen für sich schlagen und das Wachstum höher schnellen. Der Klassenkampf von oben zielt auf die Besitzstände der Windhunde

An den Fleischtöpfen der Macht Widerhall gefunden, schickt sich Politfigur an, Menschenrechte an Minderbemittelte zu verteilen. In der Tat rückt sie sich, vor allem unter einer grünen Tarnkappe und in einem zivilgesellschaftlichen Habitus, die Unterklassen auf den Rücken. Die Kolonien der Lebenswelten droht die endgültige Verwüstung, und kein grüner Hahn kräht ernstlich danach. Mit der Monographie der monekratisch sanktionierten Intelligenzbestie plustert er such bloß auf und klagt den Verzicht der Enteigneten auf ihre Besitzstände ein. Sie haben die Suppe einzulöffeln, die sich die Genußspechte beständig einbrocken - blindlings.

La-Fontäne - ein lokales Ereignis? Das sich dennoch ausbreitet?

Grüne Pöstchenschimmel wiehern, mausern sich überall zum Ersatz der ... für die besitzständische Sekte, gegen die der Menschengewimmel aus allen ... der Erde wettert

Neubourgeoiser Boß und Ruderboot-Bote aus Bockenheim in Mainhatten

Vogelperspektive von einem Airbus - der Blick auf die Erde, die unter dem Sitz der liegt

Die Mühle des Ausländerrechts wird weiter Menschen mahlen und ihre Existenzen zerschroten

   

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