XXV. Jahrgang, Heft 142
Okt - Nov - Dez 2006/4

 
  Inhalt  
  Editorial  
  Meinungen - Karawanserei  
  In den Kulissen der Teutozentrale  
  Gegenwart der Geschichte  
  Kosmopolitane Menschenwelten  
  Kultur-Atelier  
  Die Brücke an der Spree  
  Medien-Kultur-Schau  
  Lyrik  
     
  Wir über uns  
  Der Verein  
  Gästebuch  
  Archiv  
  Impressum  
     
 

Letzte Änderung:
03.06.2006

 
 

 

 
 

 

 

Necati Mert´s Kolumne

Mit dem Feigenblatt Prädikat »exzellent« ernten
die Kriegskumpanen Lorbeeren

   
 
 

Die letzte Irak-Resolution des Sicherheitsrates von Anfang Juni 2004 stellt den hochgerüsteten gewaltbereiten Besatzern und Usurpatoren, dem Theatercäsaren im Weißen Haus und den Seinen einen Freibrief aus – ein Armutszeugnis für die Parlamentäre am runden Tisch im UN-Hochhaus. Sie legitimiert die Piraterie und delegitimiert sich selbst. Die Marketender können jetzt ihren Feldzug fortsetzen und sich der National- und Naturreichtümer in den mesopotamischen Breiten bemächtigen. Zivilgesellschaftliche Halluzinationen harmonisieren auch die linksseitigen Libertianer und reichen ihnen zur Genüge, die Klassenfrage von Neuem zu verdrängen.

»Trotz mancher Änderung gegenüber früheren Entwürfen gesteht dieser Text jenen Staaten, die den Irak unter Bruch des Völkerrechtes angegriffen und besetzt haben, weitgehende Verfügungsgewalt über ihre Kriegsbeute zu.

Auch wenn es deutsche Regierungsvertreter anders darstellen, die USA haben mit der neuen Sicherheitsratsresolution ihre wichtigsten Ziele erreicht. Die Debatte der letzten Tage um die Frage, inwieweit die irakische Regierung bei Militäraktionen der Besatzer zu konsultierten wäre, wirkte dabei fast schon lächerlich. Was eigentlich soll passieren, wenn die Regierung eine bestimmte Aktion ablehnt? Dass die Amerikaner dann eben pokern gehen, ist kaum anzunehmen. Und: Allawi und Co. wurden nicht nur von den USA selbst eingesetzt, sie sind auch weitgehend abhängig von Washington. Regierungschef Allawi arbeitete schon früher eng mit dem britischen Geheimdienst MI6 und der CIA zusammen. Auf ihn geht die Kriegslüge zurück, Saddam hätte innerhalb von 45 Minuten Massenvernichtungswaffen einsetzen können.« (Roland Heine in “Berliner Zeitung” vom 9. Juni 2004)

Ein Kostprobe von der Anti-Terror-Torte, welche die Sauf- und Raufbrüder Uncle Sams dem Menschentum servieren, ist nicht nur die Tortur der wehrhaften Demokratie-Domäne, der Quarantäneaufseher, sondern auch das lukullische Lokum für den Bombenleger Allawi auf dem Marionetten-Ministerratsposten Mesopotamiens, der Anfang der 90er eine Terrorbande sowie einen Ring von Agenten anführte, wie “New York Times” vom 8. Juni 2004 berichtet. Außerdem: Ein weiterer Mentor des Martyriums, der in der Bundesrepublik per Haftbefehl gesuchte Drahtzieher der Geiselnahme in der irakischen Botschaft in Berlin von 2002, Mithat Al Alussi, hat einen hohen Posten in Bagdad inne.

Daß der UN-Sicherheitsrat die völkerrechtswidrig agierenden Okkupationsheere als “multinationale Streitkraft” anerkennt, weist übrigens auf etwas mehr als ein Armutszeugnis dieses gloriosen Gockel-Gremiums der “Völkergemeinschaft” hin.

In der Skyline der panamerikanischen Siegespalme führt das Novum Romanum, gemeinhin EU genannt, im Schilde, auf seinen Anteil an den Friedensdividenden zu drängen. Seine Potentaten können also nicht umhin, sich der Usurpatoren- und Kriegerkoalition der Willigen anzuschließen und die Fortdauer der Okkupationsgefechte unter der Banderole UNO zu billigen. Das Appeasement im Hinblick auf die mesopotamischen Prämissen, wo marodierende Meuten und Marketender ihre Beute einfahren, wird ihnen vielleicht die imposante Ideenmanufaktur eines Paneuropanismus Mut einflößen.

Die Feuereiferer des Invasionsmanagements, die sich mit allerlei Zugeständnissen an urbane Eliten, lokale Stammesscheichs, ethnische und religiöse Kreise hermetische Luft zu verschaffen suchen, verweisen nicht nur in die altbewährte herkulische Teile-und-Herrsche-Abart, sondern legen auch Zeugnis als für das kulturalistisch manipulierte, martialisch moderierte Auseinanderdriften der sozial-humanen Nachbarschaften des Globus. Nicht nur verzapfen die im UN-Sicherheitsrat optierenden Heroen noch größeren Mist als die dem Herostrat verwandten Missetäter, sie halten auch die ganze Welt für dämlich und fiebern danach, daß diese ihr Gefasel vom wehr- und lebhaften Demokratie-Dogma abkauft.


Kollaborationskompanie für »Congregatio pro Gentium Evangelizatione«

Die anti-deutschen Hilfstrupps allemannischer Allüren wüten überall, wo die Kritiker des feigen israelitischen Frevels zusammenlaufen. Damit provozieren sie eine Judeophobie unter all jenen, welche die liebedienerische Kunstfertigkeit nicht verdauen können, den Gewaltstreich der zionistischen Soldateska zu rechtfertigen. Diejenigen Hilfssöldner, die sich als Zeilen- und Zitatenschinder bei manchen ehemals radikal-linken Zirkularen oder Flyerredaktionen der schmierigen NGO-Scharpies oder ähnlicher Kosmetikkooperationen der Zivilgesellschaft schelmisch durchs Leben schlagen, bedienen sich der Laienformel vom einzig relevanten Refugium für die vom monströsen Antisemitismus Drangsalierten, um ihre militanten Haßtiraden gegen die Sarazenen, das muslimische Weltgebäude, Gewicht zu verleihen.

Weder der gestrige noch der heutige Judenhaß entspricht der “Umma”, dem “Millet”-System, dem islamischen Gesellschaftsvertrag mit Andersgläubigen. Die Wurzeln der Mißgunst, die aus der Kolonisation Palästinas durch die zionistischen Feldzüge ersprießt, liegen vielmehr in der Reaktion auf die religiös reglementierte Ethnophobie des staatlichen Souveräns der Siedler.

Wenn die teutonischen Tumultanten der anti-deutschen Maskerade im Islam den zivilisatorischen Erzfeind erdichten und ihm sogar den schwärzenden Schwindel des Faschismus umhängen, so hat das Heidenspektakel nicht einmal mit dem moralischen Gewissenswurm wegen des Holocausts zu tun, den ihre Altvordern bewältigten. Vielmehr touren sie auf den mentalen Fährten der Kreuzritter, machen sich jedoch nicht mehr aufgrund messianischer Gelüste in den Morgen auf, Heiligtümer zu befreien, sondern die geheiligte Wüste, unter der die Rinnsale des Petroleums sickert. Die sonoren Solidaritätssonette der anti-antisemitischen Sirenen stimmen im Endeffekt mit dem Hochziel des Missionaren-Projekts “Congregatio pro Gentium Evangelizatione” überein, einer “der einflussreichsten und zugleich unbekanntesten Organisationen des Vatikans,” wie sie Andreas Englisch in “Welt am Sonntag” vom 30. Mai 2004 unter “Millionen gegen Mohammed” porträtiert. Hervorgegangen sei die “Kongregation für die Evangelisierung der Völker” aus der Kongregation "De Propaganda Fide" von Papst Pius V. zwischen 1566 und 1572.

Die Kongregation ist die einzige Institution der Welt, die den Konflikt zwischen der christlichen und der muslimischen »Religion aktiv austrägt. Sie untersucht nicht wie ein Kultur- oder Forschungsinstitut das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen, sondern arbeitet ganz praktisch mit einem Heer von mehr als einer Million Mitarbeitern daran, die Ausbreitung des Islam und die Verehrung für den Kriegsherren Mohammed einzudämmen. Sie will Menschen in aller Welt zum friedlichen Christentum bekehren, dessen Religionsstifter niemals eine Waffe in die Hand nahm und darüber hinaus den Menschen sogar befahl, ihre Feinde zu lieben.

Die Auseinandersetzung wird allerdings durchaus mit militärischer Präzision ausgetragen. Kardinal Crescenzio Sepe, Chef dieser aktiven Missionare, nennt seine Mitarbeiter nicht zufällig "meine Truppen". Denn die Zahlen in diesem Kampf um die Seelen auf der ganzen Welt sind beeindruckend. Die Kongregation für die Evangelisierung der Völker ist allein zuständig für 40 Prozent der christlichen Welt. Der Kongregation sind 1081 Diözesen direkt anvertraut, darunter alle so genannten "Zonen des Schweigens" - gemeint sind damit alle Teile der Welt, in denen die katholische Kirche de facto verboten ist wie in China, Saudi-Arabien, Vietnam, im Jemen oder in Kambodscha.

Der Kongregation untersteht ein Heer von 85 000 Priestern und 450 000 Ordensleuten. Als Nachwuchs bildet sie in 280 Seminaren weltweit 65 000 Priester aus. Die Hauptarbeit erledigen die mehr als eine Million Katecheten, die den "kämpfenden Teil" der Kongregation ausmachen. Sie klappern überall auf der Welt Dorf für Dorf, Stadt für Stadt ab, um Unentschlossene vom christlichen Glauben zu überzeugen. Der größte Teil der Katecheten ist verheiratet, es sind Christen, die zum Broterwerb versuchen, Menschen von der Richtigkeit des katholischen Glaubens zu überzeugen. Durchschnittslohn: 30 Dollar. Im Monat, wohlgemerkt.«


Die EU-Autokratie orakelt über die »Illegalen«-Korona der »Schlangenköpfe«

26. Mai 2004. Eine niederländische Maschine aus Amsterdam mit abgelehnten Schwarzafrikanern am Bord landet auf dem Flughafen Hamburg. Verschlossen im betriebseigenen Hafthaus sitzen “Passagiere”, die gewaltsam aus Berlin, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt sowie der Justizvollzugsanstalt der Hansestadt hierher transportiert wurden. Nachdem alle von den befehlsbefähigten BGS-Beamten verfrachtet worden waren, rollte die gebrauchsfertige Deportationsmaschine zu Departure. Ins Rollen kam damit eine frischgebackene EU-Attraktion, deren Auftakt im großen Stil noch viele folgen werden. Denn 30 Millionen Euro stellt Brüssel dafür bereit, für die nächsten zwei Jahre.

6. Juni 2004. Im Meer vor der kretischen Hafenstadt Siteia fischen die Patrouillen der Küstenwache neun Leichen auf, insgesamt dreizehn seit 30. April 2004, dem Tag, an dem wieder ein Boot voll mit migrantischem Menschenmaterial südlich von Kreta kenterte. Hier verläuft eine Wanderer-Schleuser-Route.

“Illegale Einwanderer”? Vorläufer einer schleichenden, aber anschwellenden Völkerwanderer-Welle oder ihre Nachzügler? Galeerensklaven eines Imperium Europanum der grenzenlosen Freiheit, wo die Globalismusglocke ohrenbetäubend schlägt? Je lauter sie schlägt, desto lausiger steigt die Konjunktur der weidmännischen Get-together-Party, die Jauchzer der Jägerlatein-Jünger.

5. Februar 2004. Auf den Warton Sands, einer eisig kalten Muschelbank an der Bucht von Morecambe im Nordwesten Englands sind im Nachtdunkel Fronknechte (Erntesammler von Herzmuscheln, münzengroßen Schalentieren, einer begehrten Delikatesse) von Springfluten eingeschlossen, vermutlich vierzig in der Zahl. Sechszehn Überlebende und zehn Ertrunkene ziehen die Rettungsboote aus der See. Zehn Leichen schwemmen am Ufer an. Alle aus dem fernen Osten. Chinesen. Unter der Balkenüberschrift “Sklaverei” schildert Reiner Luyken in “Die Zeit” vom 1. April 2004 einige Details des Betriebsunfalls, legt jedoch – wie jeder andere Schmierfink der Printimperien – das Schwergewicht seiner Novelle auf die “Schlangenköpfe” und “Gangmaster”, in deren Fängen sich bis zu 100 000 papierlose Parias Englands befänden. “Gangmaster sind, so eine bis heute gesetzlich gültige Definition von 1867, Leute, die saisonale Kräfte an Farmer vermieten. Zeitarbeitsvermittler also. Um die tausend von ihnen, lautet eine Schätzung des britischen Innenministeriums, operieren in den dunkelsten Winkeln des Arbeitsmarktes.”

Der Zeilenschinder der “Zeit” läßt in seiner Libertinagen-Elegie zwar die Profitgeier nicht außer Acht, widmet dem Großmogul der Deregulationsfabrik im (nicht nur) Insulaner-Reich, dem byzantinischen Barden des Imperium Amerikanum, Antony Blaier, jedoch keine Zeile, verliert auch keine Silbe über das betriebsfertig beschriftete Bravourstück der christlich-kapitalistischen Bastei, das Erdmenschentum zu Leibeigenen der inbrünstige Landzunge namens Europa zu deklarieren.

Hierzu noch folgende Episode: Zeus, der zornmütige Herr über Himmel und Erde, befindet sich vor der Hybris der Herostraten auf der Flucht. Auf der Suche nach einer Zuflucht überquert er den Großteich, stürzt kopfüber im US-Bundesstaat Pennsylvania in den Fluß Potomac, wird von dessen Schlamm-Massen nach Washington geschwemmt, rettet sich hier direkt ins Weiße Haus, wird von einem dunkelhäutigen Dragoner empfangen und geradewegs ins Oval Office begleitet. Dort grübelt im oliven Overall eines Olympiers der höchst messianisch motivierte, präsidial-präsente Imperator mit einem Rohrstock in der Hand darüber nach, den letztgültigen apokalyptischen Reiter Osama bin Laden in den Hindukusch-Gipfeln zu überlisten, während er in der anderen Hand fortwährend eine Pistole hält, die seine konventionellen Kombattanten und frommen Folterfront-Kompanien dem letzten Nebukadnezaren namens Saddam Husein in einem Erdloch am Tigris entnahmen und ihm als Triumphatoren-Trophäe zum Geschenk machten.

Leid tat er selbst dem gejagten Göttergott, der wie von der Tarantel gestochen dem rauchigen Refugium der rudimentären Räuberpistole entfloh und sich dem Tartarus ergab.

Nicht deswegen weint aber Athene, die jungfräuliche Göttin der Weisheit, der Künste, des Handwerks, auf dem Olymp zum Steinerweichen, sondern um die schwarzarbeitenden Lohnsklaven auf den Olympia-Baustellen. Das Athener Tagesblatt “Kathimerini” vom 3. März 2004 gibt die Gesamtzahl der dort Beschäftigten kund: Rund 11.000, davon 50 bis 70 Prozent irreguläre Ranklotzer aus Osteuropa und dem Trikont. Da bekundet der Generalsekretär der Bauarbeiter-Gewerkschaft, Georgios Theodorou: “Wir hatten Todesfälle im Athener Olympiadorf zu beklagen, wo es nur zwei- oder dreistöckige Gebäude gibt. Wer von morgens bis abends arbeitet, verliert seine Reaktionsfähigkeit. Die unqualifizierten und billigen Arbeitskräfte aus dem Ausland werden ohne Green Card von den Arbeitgebern ausgebeutet. Sie protestieren nicht dagegen, dass sie nicht bezahlt und versichert werden." Schaudervoll. Ein Handwerker fügt hinzu: "Im Mediendorf Selete nahe dem Athener Olympiastadion hatte ich als Helfer einen Universitätsprofessor aus Georgien. Er bekam 15 Euro für sieben Stunden und 3 Euro für Überstunden. Er hat den ganzen Tag geschuftet. Die Griechen werden verjagt. Die Ausländer bleiben und arbeiten. Nachdem die Albaner aufmüpfig geworden sind, bedienen sich die Baufirmen einfach bei anderen Nationalitäten."

Olympiade heißt das monumentale Sportspektakel, der Freudensturm der Friedensfortuna. Aber er hat mit dem Glück offenbar so viel Ähnlichkeit wie der Kahle Asten mit dem Kilimandscharo. Kein Urbehagen für die besitzlosen Nachbarschaften dieser Erde. Vielleicht ein Comeback der Edelmetall- und Medaillenjäger, die sich dem Irrgarten der nach Rivalität dürstenden Ichsucht hingeben, aber wissen, woher der Wind weht – von der Idiotrie der kollektiven Identität. Demgemäß haben sie sich früh genug in den Kopf gesetzt, sich im Museum der Ikonen Meriten zu erwerben. Sie rechnen in vollem Maße damit, daß sich ihr Volksstamm himmelhoch im Jubelgeschrei wieder einmal auf sie zubewegt und die Lunge aus dem Leib bläst, wenn sie erstgereiht die Siegespalme erreichen und über ihnen die Nationalflagge von einem strahlend stählernen Mastbaum baumelt, den zuvor die Fronknechte beim Einsatz ihres Lebens aufrichteten.


Das postproletarische, pop-polemische Protektorat der Sprachschwierigkeiten

Dank des Philanthropismus des altersgrau, exzellent, altruistischen Ex-Straf- und Jetzt-Staatsverteidigers Otto Schily, der sich im Hohlraum zwischen einem schemenhaften Sheriff und dem separationsfähigen Syndikus in der Sieger-Silhouette der zivilisationszentrischen Eurovisionen porträtieren läßt, stieg der “islamische Terrorismus” allerorten auf den Allgemeinplatz des Kommunikationskompasses, damit auf den “Altar” der geläuterten Friedensprediger im Glotzophon. Längst haben die Vokabulars wie “Islamismus” oder “Fundamentalismus”, die ein aufklärerisches Attribut zum Inhalt hatten, Abstriche hinnehmen müssen. Mit dem “Islam” allein können die Untertanen des vom Krisenkometen kollidierten nationalstaatlichen Trabanten, die sich wegen der Preisexplosion des schwarzen Goldes schwer kollabiert fühlen, endlich ihr Gegen-Götzenbild malen.

Dem “Terrorismus”-Tropus ein “christliches” Adjektiv anzuhängen, würde die lingualen Lehrmeister unter dem Leitstern des Abendlandes sündhaft strapazieren. Das Kruzifix glänzt hier als das oberste Kürzel des absolut Guten, geschützt vor jeglicher fremdländischer Schmierage. An ihm stolzieren selbst die Aufklärungs-Adlaten scharenweise vorbei und erwecken so den Anschein, als wären es der Sensemond oder der Davidstern gewesen, die die Kreuzheere des Kolonialismus begleiteten, während die legendären Legionäre der besitz-besessenen Heiligkeit gegen den Leviathan der Subsistenz-Existenzen das Schwert schwenkten und den Kanonenschlag betätigten, die südliche Halbkugel ins bis heute anwachsende Elend stürzten und ihr Menschenmaterial in die Sklaverei trieben. Selbst die zornroten Soldateska und Södlinge im überfallenen Zweistromland, die Foltermägde und -knechte wollen nicht mit dem Adjektiv “christlich” inkriminiert werden, obwohl der Generalissimus des Imperium Okzidentum den Text seiner ordinären Order auf den brodelnden Wortbrocken “Kreuzzug” verkürzte.

Wie lassen sich nun die Tortur-Touren der selbstherrlichen Zivilisationsersten bezeichnen? Als Kolonialismus oder Imperialismus? Nun: Sie kursieren selbst in den kritelnden linken Kreisen als notgedrungen geführte Aktionen, deren Attraktivität im Kontext mit den Menschenrechtsmeriten akklamiert und hämisch mit den hegemonialen Ambitionen unter dem Label “humanitäre Interventionen” harmonisiert wird.

Wie läßt sich der “christlich-abendländische Kulturkreis” bezeichnen? Als Empire oder Imperium? Das sind nun längst die gutartigen Tumore, die zwar kontaminierend wachsen, ihre Folgen jedoch höchstens als kleineres Übel in einem aus den Fugen geratenen Erdenrund gelten.

Sehen nicht die allermeisten links oder alternativ artikulierten Parteien in ihrer alt-kontinentalen Landzunge ein Eldorado der abenteuer- und spaßdurstigen Zivilgesellschaft, die Bahamas unter dem Leitstern eines zur Reinkarnation gereiften Christoph Kolumbus, ein himmlisches Flugfeld des Space Shuttles, das Fraternisation, Schutthalden-Krieg, Friedensfortuna, Fremdenfreundesdienste, Frauenrechte, Emanzipationseifer u.a. akkumuliert? Ein Konglomerat der Menschenrechts- und Zivilisationsersten?

Konterkarieren läßt es sich aber nicht als Novum Romanum, dessen Fernziel darin besteht, ein Kastell neoständischer Architektur aufzubauen, ein Koloß der Tüchtigen-Kollektive, ein supranationales Gewaltkartell, das die Peripherie und den Trikont auf das Terrain der Galeerensklaven und Leibeigenen, auf das Reservat der Überflüssigen, auf die Quarantäne der Verseuchten reduziert? Eine auf kulturalistisch bewölkte Sumpfsäulen getürmte Apartheidpyramide in einem “globalen Dorf”, deren enges Oben die Kaste der Patrizier bevölkert, deren breites Unten die Klasse der enteigneten Parias?

Die gegenwartsnahen Gegenpart-Partisanen der sprachlichen Umweltsünder stehen auf Wacht in einer zählebigen Zensur-Zone zwischen “Political Correctness” und dem neuesten Duden-Druck, patrouillieren wie eine Geisteskraft- und Zeitgeist-Gendarmerie vor den zeilenzüchtenden Zirkeln, die zweckwidrig aus dem Rahmen des Normativen fallen.

Daß es Blattleser gibt, die sich bei der Lektüre eines zivilisationskritischen Schrifttums durch Sprachschwierigkeiten konfrontiert fühlen, läßt sich nicht weg leugnen. Gleiches Dilemma dämmert jedoch herauf, wenn technologische wie ökonomische Neudruckbogen-Brocken als Folge der mikroelektronischen Revolution sogar den Makrokosmos der Feuilletons überfluten.

Welches kritische, dem kapitalismuskonformen Konvoi widerstreitende Gewicht kann ein sprachlicher Versuch dann vorweisen, wenn der Autor mit dem alteingewurzelten Wortbestand das Ungetragene, Unbekannte, Ungewohnte akribisch artikulieren und illustrieren will? Natürlich fordert er seine Leserschaft, wenn er für den Inhalt, den er in seinem Kopf komplettiert, Synonyme, das gängige Gedankengebäude überschreitende Symbole sucht, notfalls neues Sprachgut schöpft. Er muß Mut fassen zu alterieren, statt das Altersblanke zu alternieren. Ansonsten versteht man den Inhalt, ohne davon eine einzige Silbe mitzunehmen.

Solange die linksgängigen Literaten nicht über das Potential verfügen, sich eine libertäre Licht- und Sprachflut anzueignen, werden sie weiter das antiquierte Agitprop-Steckenpferd kutschieren, im nachhinein die katastrophalen Kraftquellen kritikastern, sich stets in die Geiselhaft des repräsentativen Lehrgebäudes begeben, hier ein Gemüt wie ein Schaukelpferd haben und sich die erhoffte Reaktion aus dem Kreuz leiern müssen. Je launiger sie im Blickwinkel gemeingültig verständlicher Texte formulieren, ihre Feder schwingen oder auf die Tastatur ihres Elektronenhirns hämmern, desto lauter und lausiger wird ihnen der Klagegesang zu Ohren kommen: Ich verstehe die Welt nicht mehr!

Wer kleinkariert mit dem herrisch transferierten Kompost-Kompaß der transparent altväterischen Profession experimentiert, das Begriffsinventar der Nonkonformisten ins Abseits des Minderwertigen transportiert und dadurch edle Eigenschaften für sich reklamiert, landet selbst im potentiellen Zeughaus der lichtlosen Parodien oder paradiert im popmodernen Port des Populismus, in dem nur eine Krähe der anderen kein Auge aushackt. Wer in einem solchen Tafelland den Raben zum Wegweiser beruft, kann seinen Riecher schwer aus dem Mist herausziehen.


Das Delirium durch die demokrakende Demontage der kosmopolitanen Lebenswelten

Die Frage nach der universalen oder partikularen Gültigkeit vom heiteren Menschenrechtsmemorandum fußt auf einem heiklen Bodensatz. Was universal ist, bestimmen die selbstpartizipierten Patrizier des Universums. Partikular heißt dann, was mit ihrem Flair vom Verständnis nicht übereinstimmt. Der Patrizier heischt daher immer nach interkulturellen Zusammenkünften und Kontakten, nach Appellen, aus seinem Herzen keine Mördergrube zu machen. Im Prinzip stecken die rivalisierenden Raff- und Raufbrüder der Freimütigkeit im aufklärerischen Sumpf fest, kapseln sich ab und drücken sich um Mißverständnisse herum, statt sie so zu riskieren, daß sie letztlich an den Lichtpunkt gelangen, für das Zustandekommen einer kollektiven Kommunikation einen Beitrag zu leisten.

Das transnationale Trara, mit dem die von der Eurokratie besoldeten Projektpatrone und populistischen Affektheischer ihre poppig geplanten Panels praktizieren, birgt in sich nur Gehabe, spielt somit jene supranationale Affenkomödie, um die superimperialistischen Gelüste stattlich zu mehren. Die Diskurswerkstätten des studiokratisch strukturierten Tugendwachtturms mit Toleranz-Trommel und tantenhaftem Tändelmarkt-Tamtam bringen die diskriminierende Tünche angeblich ins rechte Licht, doch überwiegt die Konstitution von Geld und Eigentum, die das breite Publikum in Flüssige und Überflüssige teilt.

Hinter der seit Mai 2004 ausgedehnten Schengen-Linie der tüchtigen Tütendreher stiefeln die Leibdiener und Lehnsessel-Laien der Paläste. Während das macht-maschinell ferngesteuerte Betriebsystem der geldlich grellen Zivilisation und der Polyarchie der Mammon-Monaden die Keimzellen des Daseins vernichtet, setzen sich die lokalen Lakaien der lukrativen globalen Lobbys in Szene, indem sie die anderen im Außerhalb ent- oder verwerten. Licht am Ende des Tunnels erblicken sie nur, wenn es ihnen gelingt, die Erdkugel so zu arrangieren, daß sie mit allen imaginablen Facetten ins eingeengte Gesichtsfeld der imperialen Improvisationen paßt.

Die öko-sozial okulierte Demagogie vom nachhaltigen Fortschritt, dessen Mittelwert darin besteht, die unmittelbare Mitwelt mithilfe der Demokratie-Droge abzuwiegeln, hebt die neoliberal nivellierten ständestaatlichen Allianzen des kulturalistisch komplementierten Totalitarismus in den Sattel. Unter dem Donnerwetter der Toleranz, die geschlossene, miteinander konkurrierende Gesellschaften voraussetzt, negieren die öko-patrizischen Marktschreier des ethnozentrisch entfesselten Establishments jegliche Übergangs- und Zwischenzonen sowie Quartiere gemischter Populationen. Als Tugendwächter der Aufklärungsaura lassen sie nicht zu, Unterschiede auf der Grundfeste der Gleichwertigkeit als selbstverständliche Impressionen einzukalkulieren. Wer Metaphern aus der Fontäne der Utopien schöpft, dem wird mit dem Prügelstock des Spottes die Fresse poliert.

Die Föderierten der Freiheitsformel hinken hinter der Formation der Tartüffe-Trommler her, haben selbst kein Format mehr. Selbst am Dateienfenster zum Datennetzwerk spiegelt sich das Sonnenbraun des Kapitalismus, über dessen ruinöse Ruhmsucht man nicht hinauskommen kann, ohne seine altväterisch verräterischen Fundamente zertrümmern zu wollen – samt seiner Avantgarde in seinem universitär und medial partizipierten Port, seiner Kader in patriarchal positionierten Palästen der Oligarchien und seines parlamentarisch postulierten Politikums.

Ohne diesen Wagemut haben sich alle alten Grübel-Knaben der peripheren Podien und Publikationen der kapitalkritischen Foren in Geiselhaft der Demograzien im Krisenkosmos zu begeben – hinter der ihnen aufgezwungenen Charaktermaske der hämisch gekünstelten Humanität und hermetisch verriegelten Universalität.


Frech wie Oskar – die Episode einer Ohrfeigen-Opposition

Angetreten als rivalitätsvitaler Balkanfeldzugsritter, Reformmotor, Arbeitsplatzzauberer, als probater Genosse der Bosse und Kommissionär des Krösus kolorierte er die Green-Card-Kapriole, die fremdländischen Qualifikationseliten den Einlaß ins “Neue Mitte”-Reich der Berliner Republik zu erleichtern, restaurierte das Lehrgebäude des selektiven Staatsbürgerrechts, schickte sich an, den Friedensfiaker zu steuern und zwischen Paragraphen-Duellanten des Labels “Zuwanderungsgesetz" zu beschwichtigen, das ein monströses Verbotsregister verkörpert und manifestiert, daß die innere Sicherheit keinen Aufschub duldet. Für all diese kühnen Mannestaten bekam er, auch als Kaschmir-Kanzler mit der Original-Havanna im Mund bekannt, in kühlen Maitagen eine Ohrfeige eines Landeskindes, das wahrscheinlich wegen überspitzter Palaverparaden durch den Wolf drehte. Die ärmliche Episode barg für die sensationssüchtigen Prosaproduzenten kein pomphaftes Politikum in sich, aber einen Themenstoff für das “Vorwärts”-Editorial vom Juni 2004, das sozialdemokratische Promotionsblatt. Dabei gehe es “um mehr als die Ohrfeige eines arbeitslosen Lehrers,” pointiert die Editorin Susanne Pohrn und legt damit an den Tag, wie die “innere Sicherheit” des Groß-D-Landes von Innen heraus gefährdet wird: “Immer mehr Menschen schicken wüste Beschimpfungen auf den Weg, drohen mit Gewalt, bis zum Mord, wenn ihnen an der Politik etwas nicht passt. ... Es kommt noch schlimmer: In einigen Medien wird der Schläger zum mutigen David stilisiert, der es wagt, sich mit der großen Politik anzulegen. Letzter Höhepunkt der Perfidie: Er darf im Fernsehen seine Ohrfeige nachspielen. Der Täter wird zum Helden, der Nachahmer animiert. Ein Schlag ins Gesicht, für all diejenigen, die versuchen, das Faustrecht auf Schulhöfen und Straßen einzudämmen.” Wer meine, meint die Genossin am Schluß, “Politiker als Fußabtreter benutzen zu müssen, tritt auch die Demokratie mit Füßen.” Ein Schmerzensruf gegen den Schelmenstreich mit schwieriger Schattenseite. Hinzu Mathias Wedel in “junge Welt” vom 28. Mai 2004:

»Halbwüchsige, die sich in der Öffentlichkeit aus Schabernack gegenseitig “schrödern”, werden von ehrenamtlichen Schöffen ermahnt. In einem Gymnasium am Prenzlauer Berg mußten Schüler, die “klammheimliche Freude” durch freches Grinsen ausdrückten, von den bevorstehenden Abi-Prüfungen ausgeschlossen werden.

Auch unsere Kultur- und Kunstschaffenden treten dem geschlagenen Kanzler zur Seite. Der Ostberliner Schriftstellerverband unter Führung von Hellmuth Karasek rief zu einem Literaturwettbewerb “Kanzler schlägt man nicht” auf. Ein ABM-Projekt wurde bei der Bundesregierung eingereicht, in dem sich Hunderte erwerbslose Historiker, Philosophen, Pädagogen und Journalisten der Kulturgeschichte der Ohrfeige zuwenden und somit ihre Einkünfte bis in den Sommer 2005 sichern. Sorbische Trachtengruppen üben den Volkstanz “Volle Kanne eine Klatsche” für die nächste Kanzlervisite im Osten.«

   

Netzbrücke:

• Necati Merts Kolumne

• Mehr lesenswertes Textmaterial

• Wider den Schwarzen Winter

• Porträt des Periodikums