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Einer der „Rosarote Panther“-Filme von Blake Edwards
beginnt damit, dass der ehemalige Polizeichef Charles in der Irrenanstalt
sitzt. Inspektor Clouseau, der völlig dämliche und trottelige,
jedoch gleichzeitig absolut eingebildete, arrogante Polizeinspektor,
gespielt von Peter Seilers, hat seine Nachfolge angetreten, ist
also der neue Polizeichef. Dies brachte Charles, den alten Polizeichef
so auf die Palme, dass er restlos die Nerven verlor und tobsüchtig,
abgedreht in die Irrenanstalt eingeliefert wurde. Dort fristet er
nun seine Tage. Doch es gibt Hoffnung: sein Psychiater meint, bald
könne er als geheilt entlassen werden. - „und, bringt
Sie der Name ‘Clouseau’ noch auf die Palme?“,
testet der Psychiater ihn. „Nein“, sagt Charles, darüber
sei er nun hinweg.
„Das ist gut“, sagt der Psychiater: „Denn
heute Nachmittag wird die Ärztekomission darüber entscheiden,
ob sie entlassen werden können.“
Doch während Charles auf die Entscheidung der
Ärzte über seine baldige Entlassung wartet und durch den
Garten der Irrenanstalt spaziert und dort an einem See stehen bleibt,
taucht Inspektor Clouseau auf und stößt ihn durch eine
Ungeschicklichkeit ins Wasser. Und beim Versuch, ihn aus dem Wasser
herauszuziehen, fällt Charles - wie es sich bei einem ordentlichen
Splapstick gehört - erneut ein paar mal ins Wasser. Später,
als sie beide wieder beruhigt auf einer Bank sitzen, erklärt
ihm Clouseau, er sei hier, um bei der Ärztekommission ein gutes
Wort für seine Entlassung zu sprechen; er spricht ungeheuer
selbstverliebt und borniert und schwätzt großspurigen
Unsinn von Gewinner- und Verlierertypen, von Menschen, die von Geburt
an für Größeres bestimmt sind, und anderen, die
zum Verlieren geboren seien, und nimmt selbstverständlich und
blind für sich in Anspruch, zu ersterem zu zählen etc.
Clouseau ist kein sympathischer Trottel, sondern ein abstoßender
Affe, der nicht merkt, wie er von einer Idiotie in die nächste
taumelt - und solch ein Mann hat also Charles seinen Chefposten
gekostet und ihn in die Irrenanstalt gebracht! Man sieht ganz genau,
wie er innerlich kocht, sich aber zusammenreißt, Clouseau
nicht an die Gurgel zu gehen! Doch die Ereignisse nehmen ihren Lauf:
Clouseau schwätzt und suhlt sich in seiner Eitelkeit, und steht
von der Bank auf, so dass sein Ende wie bei einer Wippe in die Höhe
schnellt und Charles schon wieder in den See stürzt. Da platzt
ihm der Kragen: wild brüllend, um sich schlagend jagt er Clouseau
durch den Park der Irrenanstalt, brüllt dazu: „Ich erwürge
Sie! ich erwürge Sie!“, während der Oberpsychiater
die Brauen hebt. Kopfschüttelnd von seinem Fenster aus die
Szenerie beobachtet. Hallo Wärter! Her mit Zwangjacke, ergreift
ihn - und ab mit dem Mann in die Gummizelle. Hahaha. Und Essig mit
der vorzeitigen Entlassung.
Warum habe ich diese kleine Szene geschildert? - ich
meine, dass sie in mehrerlei Hinsicht verbildlicht ist. Zum einen
stellt sie ein Kabinettstückchen exzellenten, klassischen Slapstickkinos
dar, denn natürlich ahnt, bzw. weiß der Zuschauer immer
schon kurz vorher, was also nächstes geschieht: natürlich
wird Charles wieder wahnsinnig werden; natürlich wird er wieder
ins Wasser stürzen etc. Zuviele Vorzeichen weisen deutlich
daraufhin. Schon so wie er mit dem Psychiater spricht, wirkt er
nicht überzeugend. Dann die niedlich provokante Art und Weise,
wie ihn der Psychiater provoziert, indem er ihn den Namen: „Clouseau!“
wie ein Buu zu kleinen Kindern, die man erschrecken möchte,
entgegenruft - „Hahaha, nein, darauf falle ich nicht herein!“
- dann die Utensilien in der Nähe des Ufers, ein Golfschläger,
eine Harke, geradezu geeignet; in Gesichter zu schnellen, ins Wasser
zu stoßen ... Doch anders als heim Krimi, stört im Slapstickkino
die Vorhersagbarkeit der Gags nicht. Ganz im Gegenteil: gerade weil
der Zuschauer weiß, was gleich geschieht, kann er sich darauf
freuen und den absurden Katastrophen umso genauer folgen, beobachten
und sie genießen...
Das ist noch nichts besonderes. Zweitens handelt es
sich bei dieser kleinen Episode außerdem um eine sehr feine,
zwar durchaus satirisch gemeinte, aber dennoch zutreffende Definition
des umgangssprachlichen Begriffs von „Wahnsinn“. Wie
in dem verzweifelten Ausruf: „Ich werde Wahnsinnig! Ich werde
Wahnsinnig!“, wird Charles nämlich in genau der Situation
wahnsinnig, in der er die Ungerechtigkeit, Ignoranz und Fatalität
der vorliegenden Situation nicht mehr verkraften kann. Nicht nur,
dass Clouseau ein Volltrottel ist, er ist außerdem ein Arschloch,
das sich selbst jedoch für auserwählt hält, und er
hat ihm, dem weitaus fähigeren Mann den Job gekostet und das
Leben ruiniert. Kann man da nicht, ja muss man da nicht buchstäblich
wahnsinnig werden? Auf die Formel gebracht: wahnsinnig wird man,
wenn die Verhältnisse so sind, dass man sie mit nüchternem
Blick nicht mehr erträgt.
Der dritte Punkt ist am wichtigsten. Ich meine, dass
die beiden genannten Aspekte ein ziemlich zugespitztes Beispiel
des Spruchs: „Humor ist, wenn man trotzdem lacht.“ Wie
genau verhält es damit? - tatsächlich gehören die
Slapstick-Elemente dieser Szene, wie oben bereits angedeutet, zweifellos
zur alten Schule; doch sind sie längst nicht so akrobatisch
und spektakulär wie bei Buster Keaton oder Laurel und Hardy.
Genau genommen sind sie bloß formal, vielleicht um als Stilelemente
auf das Genre zu verweisen, das zelebriert werden soll. Als einzige
oder aueh nur wichtigste Zutat des ganzen Films wären sie indes
schlapp. Sie funktionieren freilich bloß im Kontrast zur Tragik
des Themas, das veralbert werden soll: der unerträglichen Schmerz,
der zur Verzweifelung treibt. Schließlich handelt es sich
um alles andere als eine unwichtige Angelegenheit. Das Faszinierende
an dieser kurzen Szene ist, dass Schmerz und Wahnsinn auf ein kompaktes
Maß heruntergebrochen werden:
An manchen Orten kann man fast täglich beobachten,
wie Menschen aus Unverständnis über die bornierteste Ungerechtigkeit
den Verstand verlieren. Als Sozialarbeiter bin ich zum Beispiel
häufiger im Jobcenter unterwegs und erlebe es fast jedesmal,
dass jemand in den Warteräumen oder Fluren rumbrüllt:
früher mussten die Menschen in den Ämtern wenigstens noch
Lesen und Schreiben können, das war eine Bedingung bei der
Einstellung, wenn man in einem Amt arbeiten wollte!“ Man spürt
förmlich, wie die Person kocht und um möglichst harte
Worte ringt, ihrem Zorn Luft zu machen. Manche singen fast: „Juchuuu!
Jetzt ist meine Akte auf dem Weg in Abteilung zwei. Juchuuu! Drei
Wochen weiter auf dem Dienstweg, bis die wieder zurück ist,
ist Weihnachten, Juchuuu! Noch ein Vierteljahr ohne Geld“
Oder es werden finstere Rachepläne geschmiedet, die natürlich
unrealistisch sind: „Ich schalte einen Anwalt ein, und dann
wird der ganze Laden dichtgemacht! Oohhh, da werden so einigen Persön’chen
ihren Hut nehmen müssen, gnade euch Gott!“ Aber wie auch
immer, der springende Punkt ist einfach, dass die Jobcenter tatsächlich
ein Ort sind, an dem regelmäßig einige Besucher buchstäblich
durchdrehen, weil sie das, was passiert, nicht mehr fassen können;
dazu kommt natürlich die Schwierigkeit, überhaupt mit
350 Büro im Monat über die Runden zu kommen, sowie der
Verlust an Wert und Würde; den jeder Mensch in einer solchen
Situation erfährt. Natürlich wissen wir nicht, was tatsächlich
dahinter steckt, warum genau z. B. die Akte auf dem Weg in Abteilung
zwei ist und was das exakt für den armen Mann bedeutet. Aber
eins steht fest: seine Verzweifelung, sein Irre-werden ist nicht
gespielt! Für ihn ist das, was geschieht, buchstäblich
zum Verrückt-werden. Der reine Wahnsinn.
Nun kann ich aus meiner eigenen Anschauung sagen,
dass einige der Vorgänge in den Jobcentern auch objektiv die
Leute zum Wahnsinn treiben können. Da werden tatsächlich
Akten verlegt, Anträge verschleppt, verschwinden Briefe auf
unerklärliche Weise, und wenn man fragt, geben die Sachbearbeiter
sogar offen zu, überfordert zu sein: ich habe Büros gesehen,
da stapelten sich die Akten zu einem Berg wie in einem Altpapiercontainer,
d.h. sie waren überhaupt nicht sortiert, und in einem solchen
Haufen sollte man dann den Vorgang von Herrn oder Frau so-und-so
finden? Aber selbst wenn alles .ordnungsgemäß’
läuft, ist es häutig zum Haare raufen: da wird mit einer
an Spitzfindigkeit grenzenden Akribie die Antragsunterlagen durchkämmt,
um den Ansprüche auf das absolute Minimum herunterzurechnen;
z.B. werden aus den Nebenkostenabrechnungen zu den Mieten sämtliche
Posten abgezogen, die nicht zu den unmittelbaren Grundbedürfhissen
zählen, da wird jede Verwaltungsvorschrift so eng wie möglich
ausgelegt und kontrolliert.
Damit man mich nicht falsch versteht: natürlich
meine ich damit nicht, man solle das Amt beschummeln, bzw. der Staat
solle die Steuergelder für die Sozialen Hilfen unkritisch verschleudern;
Sparsamkeit muss schon sein. Aber man sollte auch nicht vergessen,
dass man es hier mit Hilfeempfängern zu tun bat, die wirklich
jeden Cent umdrehen müssen, und das schon seit Jahren, und
denen gegenüber es schlichtweg unverschämt ist, die Bezüge
noch haarspalterisch auf das absolute Minimum zu kalkulieren. Hinzu
kommen, wie gesagt, die Intransparenz der Vorgänge in den Ämtern,
die sogar beabsichtigt erscheint, wenn sich die Ämter systematisch
abschotten wie eine Burg; sowie der dringliche Eindruck; dass die
Sachbearbeiter häufig ihre eigenen Gesetze nicht kennen, ja
oft noch nichtmal durchblicken, wer überhaupt zuständig
ist und wo sich ein Vorgang gerade befindet. Auch hier also wieder
die drei Faktoren; Fatalität, Ignoranz und Brutalität,
die drei wesentliche Auslöser für: „Ich werde waaaahnsinnig!“
Kein Wunder, wenn die Besucher schreiend die Gänge hinauf und
hinab rennen und mit Papieren um sich werfen.
Ich meine, es müssen tatsächlich diese drei
Faktoren gemeinsam auftreten, damit Menschen so reagieren. Brutalität
allein macht zwar wütend, aber nicht verrückt. Man weiß
ja, wem genau man sein Elend zu verdanken hat, und man weiß
auch, dass die betreffende Person sich ihrer eigenen Schuld bewußt
ist, entweder Gewissensbisse erlebt oder sogar die Rache ihres Opfers
fürchtet; es sind zumindest Ansätze für Genugtuung
vorhanden, die dem Betroffenen eine Perspektive für Wiedergutmachung
lassen, und sei diese Chance noch so gering. Aber auch Fatalität
allein macht nicht verrückt, sondern bestenfalls traurig, depressiv.
Man kann großes Pech erleiden, durch eine Naturkatastrophe
die Familie verlieren oder durch einen Unfall verstümmelt werden
und dadurch den Lebensmut verlieren. Das Unglück kann einen
total fertig machen - selbstverständlich! -, es muss aber letztlich
doch unter Schicksal oder Pech verbucht werden; wenn man keinen
Ansprechpartner findet; den man zur Rechenschaft ziehen möchte.
Man muss ein Gegenüber identifizieren, dem man die eigene Wut
zeigen und den verursachten Schmerz heimzahlen möchte. Der
Wahnsinn ist dann sozusagen der gescheiterte Versuch, diese Wut
auszudrücken, den Schmerz zu vermitteln. Darum hat Medea ihre
beiden Kinder getötet: weil in dieser Wahnsinnstat die einzige
Möglichkeit lag, Wut und unbändigen Schmerz adäquat
rüberzubringen. Rache als Kommunikationsproblem.
Wir kommen damit zum dritten Faktor: der Ignoranz.
- die Ignoranz auf Seiten des Empfängers, der - wie indirekt
auch immer - einerseits zwar das Leid verursacht hat, dies aber
andrerseits gar nicht registriert. Selbst wenn er der leidenden
Person von Angesicht zu Angesicht gegenüber steht und ihr Elend
mit eigenen Augen fixiert, hält er sich selbst doch für
unschuldig und unbeteiligt, wie Papst Ratzinger, der die Morde und
Folterungen an den lateinamerikanischen Priester der Befreiungstheologie
zwar bedauert, sich selbst aber für unverantwortlich hält,
obwohl er ihnen bewußt den Schutz der Kirche entzogen hat,
weil er es auf Gottes Willen und Gottes Wahrheit schiebt.
Gegenüber solchen vordergründigen Unschuldslämmern,
aber praktisch doch verantwortlichen Personen wie Ratzinger kann
man buchstäblich wahnsinnig werden, wie auch gegenüber
einigen Politikern, z.B. der SPD. die ja ohne Not und äußeren
Druck den größten Sozialabbau der Nachkriegszeit eingeläutet
hat und offenkundig gar nicht verstehen will, dass ihre Stammwähler
sie darum für Verräter halten. So gesehen, wenn man Politik
ernst nimmt, ist es erstaunlich, dass diese Partei überhaupt
noch Mitglieder hat, und der einzige wirkliche Grund dürfte
wohl darin liegen, dass manche Menschen selbst dann die Hoffnung
nicht aufgeben, wenn sie schon hundertmal enttäuscht wurden.
Die SPD ist nur ein Beispiel, wir könnten genausogut über
.die CDU, die Grünen oder die Linke sprechen: ja, die politischen
Verhältnisse allgemein können einen buchstäblich
wahnsinnig machen.
Natürlich sind die Faktoren Brutalität,
Fatalität und Ignoranz vielschichtig und dicht miteinander
verwoben. Das Beispiel Politik machts deutlich: natürlich wissen
die meisten Politiker, dass ihre praktische Möglichkeiten,
gesellschaftspolitischen Einfluss auszuüben, von lauter Sach-
und Systemzwängen begrenzt sind, und natürlich hüten
sich die meisten, den Wählern das Blaue vom Himmel zu versprechen.
Darüber hinaus hat man allerdings das Gefühl, dass sie
noch nicht einmal ihre geringen Spielräume zu nutzen verstehen
und sich gegenüber den Lobbyisten im vorauseilenden Gehorsam
üben.
Gesellschaftspolitischer Gestaltungswille? - von wegen!
Der Politiker, der sagt: „Ich würde ja gerne die Atomkraft
verbieten, aber ich kann das nicht!“ wirkt im Grunde genauso
unglaubwürdig und heuchlerisch wie derjenige, der sagt: „Ich
will die Atomkraft gar nicht verbieten, denn sie ist eine umweltfreundliche
Energiequelle!“ Denn bekanntlich existiert etwas Zerstörerischeres
als die Atomkraft ja gar nicht. Wie dem auch sei: jedenfalls kann
sich kein Politiker ernstlich auf die Fatalität seines Amtes
herausreden - wie er allerdings auch umgekehrt kaum behaupten kann,
all seine Handlungen entspringen seinem eigenen Gewissen und seinen
ureigenen tiefen gesellschaftspolitischen Überzeugungen, während
Einflüsse von dritten, wirtschaftliche Interessen und Lobbyismus
keine maßgeblichen Einflüsse auf ihn hätten. So
tief und komplex sind Fatalität Brutalität und Ignoranz
miteinander vermittelt. Als Soziologe bin ich versucht, das Phänomen
zu verallgemeinern und als ein Grundprinzip, besser gesagt: als
eine grundlegende Pathologie moderner Gesellschaft zu beschreiben.
Nicht nur in einer Risikogesellschaft, Wissensgesellschaft oder
Spaßgesellschaft leben wir, sondern vor allem auch in einer
Wahnsinnsgesellsehaft. Ich meine das so, dass es zu den alltäglichen
Grunderfahrungen der Menschen gehört, immer wieder Ungerechtigkeiten
und Nackenschläge einzustecken, für die man zwar einzelne
Personen als Verursacher ausfindig machen kann, die sich selbst
aber für unverantwortlich erklären, indem sie auf Sach-
und Systemzwänge verweisen, die ihnen angeblich die Hände
binden - und stattdessen den Lauf der Dinge zur schicksalhaften
Notwendigkeit erklären; oder umgekehrt: sich als Helden aufspielen,
während ihnen doch nur das Schicksal gut gesonnen war, indem
sie etwa gerade zufällig im Amt waren, als dieses oder jenes
erfreuliche Ereignis eintrat. Das alles ließe sich auch schön
über Adorno, Habermas und Luhmann herleiten. In jedem Fall
ist es zum Wahnsinnig-Werden, und man möchte am liebsten Amok
laufen oder sich öffentlich selbst verbrennen, nur um endlich
ein Zeichen zu setzen, das niemand überhören oder übersehen
und das niemand missverstehen, keine Partei instrumentalisieren
kann.
Thomas Nöske
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