XXVII. Jahrgang, Heft 149
Sep - Dez 2008/3
 
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Letzte Änderung:
10.10.2008

 
 

 

 
 

 

 

IN DEN KULISSEN DER TEUTOZENTRALE

Markige Meriten der Marketender auf dem Markt der humanitären Interventionen
Elendensturm auf Eldorado

   
 
 


Merkantil reklamatorische Menschenrechtsrenditen als markanter Meteor

Hochsommerliche Impressionen aus dem germanophilen Gettogether

Von Necati Mert

Von seinen Manipulatoren als ein hyperbolischer Meteor am Horizont der Hominiden bebildert, als evangelikane Metapher der ewigen Perfektion, kreist das monetär monumentale Abendland über dem mondialen Morgen. Im vermeintlichen Ende der Geschichte, das die markanten Mentoren des total wie totalitären Marktes manifestierten, löst sich der Blütentraum von Frieden und Emanzipation zwischen den Nachbarschaften dieser Erde auf. Das dritte Millennium, damit das letzte Abenteuer der Abendländer, begann mit dem Sturz der Twin Towers in New York, dem Zentrum der globalen Monekratie. In den Memen der von Marodeuren manövrierten Marionetten verwandelt sich das elende, empörende Monster in den emportauchenden Engel.

Solange das christlich-abendländisch kreierte Gesellschaftsgebäude mit seinen Gutsbesitzern und Krautjunkern als übergewichtige Gewalt auf dem himmlisch sanktionierten Fetisch des Rechts auf Privateigentum beruht, wird es schwerlich die bunten Weisen geben, die Kraft haben, dem verfaulten weißen Westen Mores zu lehren. Solange diese fabulante Autokratie über dem Blauen Planeten steht, wird der Morgen noch dichter von grauen Wolken verfinstert.

Im Sinne der antiken Agora agieren die präpotenten Protagonisten des spätzivilisatorischen Szenariums. Marktmentale Monopole verfahren gemäß der metropolitan moderierten Methode, die Hominiden als hybride Horden auf dem Schlachtfeld der Profiteure zu behandeln.

Damit die Verhältnisse zwischen den gegenüber gestellten Besitzständen, den Patronen und Parias gleich bleiben können, bewerkstelligen die Wertewärter der OneWorlOrder eine Menge Phantasien, die sie hinter der Maske der Humanität als Menschenrechte fabrizieren.

Längst in den Verdacht geraten die Wohltätigkeit, noch mehr Ungleichheit, nämlich die abgrundtiefe Kluft zwischen Prekäriat und Prosperität, zu verschleiern, als sie zu beseitigen. Offen bleibt, ob die „Multitude“ der Alternativ-Advokaten der Globalismus-Glöckner dies verhindern kann.

Wenn die Stabsriege, also der Kommando-Chor der Abendländer mit dem marktgängigen Mollenfriedhof den Hurrastil der Humanität verbalisiert und auf Touren kommt, malt er sich zeitgleich einen Malthusianismus aus. Murrköpfig sieht er zu viele Erdlinge und zu wenige Güter, die in der Tat dem Standard der Markenfabrikation nicht entsprechen. Er verballhornt coram publico das Streben der Menschenmengen danach zu überleben, verheißt verblümt sogar das Massensterben. Denn er verteufelt jegliche Idee des sozialen Ursprungs, die Natur und ihre Früchte unter Lebewesen verteilen zu lassen, sondern sie einzuverleiben, die enteigneten Zweibeiner zweckdienlich zu verwerten. Ihm steht der Herr der himmlischen Heerscharen zur Seite - mit unerschöpflichem Markt und Mammon.

Die Population der Pleitier-Nationen treten aus dem von den imperialen Zentren angetriebenen Loch der Lotterökonomie nicht heraus. Dort unten wächst die mannigfache Quelle der Tatarennachrichten, mit denen sich die Meute der „Vierten Gewalt“ befaßt, aus denen sie ihre Programme und Spalten füllt - als Angebot für feierabendliche Kurzweil.

Moderate Häuptlinge werden von globalen Hyänen und ihrer Journaillen-Junta als moderne Demokreaturen gedeutelt und als devote Wetterfahne-Fanfaren der imperiallen Domäne dokumentiert. Damit blasen sich die Hyperdemokraten der Nordiden-Noblesse wie ein Frosch auf und geben so an wie eine Lore nackter Affen.


Aufgebrochen aus dem Elend in Dschungel, Steppen, Savannen und Mega-Slums – Sturm auf Eldorado

Der Alte Kontinent, überhaupt die Nationen in den Breiten auf den beiden Seiten des nordischen Atlantik, kommt als Eldorado der gegenwärtigen Geschichte zum Vorschein. Etwa eine Milliarde des Menschengeschlechts befindet sich im Glückswurf der Prosperität. Und eine Milliarde im Unten der Hungersnot. Tägliche Berichte bestätigen das Elend, das bewegt: Migration! Reportagen werden fabriziert, Bücher publiziert, die belegen sollen, daß die Bastei der Hochbetuchten von den besitzlosen Horden bedroht wird. Nirgends wird in diesem Sturm auf Norden ein revolutionäres Geschehen gesehen. Nur noch Erdlinge, die kommen zu genießen, indem sie auf der faulen Haut liegen. Trotz des organisiert resultierten Massensterbens am Limes. Keine Antipathie, keine Apathie. Die florierende Schattenökonomie mit illegalisierten Migranten ist gewollt und geregelt. In keinem Forum taucht ein Wort über die Hungerlöhne der heimlichen Fremdlinge im Frondienst auf. Keine Elogen auf den Elan und Todesmut der migrantischen Rebellen in Sicht.

Gelingt den meist braungebrannten Gesichtern über das gefahrvolle Mauerwerk der Bleichfarbigen hinwegzukommen und an das Territorium der buntscheckigen Supermärkte zu gelangen, geraten sie in die Fänge der hochkorruptiven Lagerindustrie. Diesen Proleten und Parias der Jetztzeit-Zivilisation kommt jeglicher Akt der Freiheit abhanden. Sie werden als Horden der minderwertigen Fremdlinge zum Thema gehabt, im Hungerturm gehalten sowie mit dem dementsprechend Nötigsten versorgt, auch verwertet - als Malocher mit Hungerlöhnen, manchmal geduldet, aber zumeist heimlich.

Aufhören wollen daneben die wenigen, zum Teil besoldeten Moralapostel des Gutleuttums nicht, ihre pausenlosen Gebetsmühlen der Humanität zu drehen. Unter dem Zwang des Kampfes ums Überleben begeben sich die migrationsbewegten Mengen anfangs ohne Gewalt den Verhältnissen der zeitnahen Galeerenhäftlinge hin. Sie riskieren ihr Leben, um an die Orte des Broterwerbs zu gelangen. Das Wort Freiheit haben sie längst aus dem Gedächtnis gestrichen. Und dies in jenem Kontinent, der sich als Wiege der Emanzipation aufspielt. In www.monde-diplomatique.de vom Mai 2008 schildert Jean Ziegler:

„Die Nacht ist schwarz und mondlos, der Sturm peitscht fast in Orkanstärke übers Meer. Haushohe Wellen stürzen krachend auf das hölzerne Fischerboot herunter. Zehn Tage zuvor hat das Boot in einer kleinen Bucht in Mauretanien mit über hundert afrikanischen Hungerflüchtlingen abgelegt. Wunderbarerweise wird es am Ende auf ein Riff vor der kleinen kanarischen Insel El Medano geworfen. Im Boot findet die spanische Guardia Civil die Leichen von drei jungen Männern und einer Frau, die an Hunger und Durst gestorben sind.

Das war im Mai letzten Jahres (2007). ... Und weiter westlich im Mittelmeer, 150 Kilometer südlich von Malta, entdeckte ein Beobachtungsflugzeug der EU-Grenzagentur Frontex ein überfülltes Schlauchboot mit 53 Passagieren, darunter Frauen und kleine Kinder, das manövrierunfähig auf der unruhigen See dahintrieb. Nach seiner Rückkehr auf die Militärbasis in La Valletta informierte der Pilot die maltesischen Behörden. Die verweigerten jegliche Hilfe unter dem Vorwand, das Boot treibe in der „libyschen Forschungs- und Sicherheitszone“. Dass Laura Boldini, die Sprecherin des UNO-Flüchtlingshilfswerks, Malta aufforderte, ein Rettungsboot zu entsenden, bewirkte nichts. Und Europa schaute weg. Von dem Flüchtlingsboot wurde nie wieder etwas gesehen.“

Der EU-Grenzkörper Frontex führt seine Flüchtlingsjagd vor der libyschen Küste fort. Wie Agenturen berichten, startete er im Mai 2008 die „Operation Nautilus III“, in deren Rahmen EU-Schiffe auch libysche Gewässer kontrollieren. Dort aufgegriffene Migranten werden an Tripolis überstellt, den Repressalien der Vasall-Gendarmerie Libyens ausgesetzt. Das Sterben auf offener See geht weiter. Allein im April 2008 zählten Beobachter im Mittelmeer und im Atlantik 101 Opfer der deutsch-europäischen Grenzwacht. Aufgrund der Sachlage - niemand kann die Seelenverkäufer der migrantischen Abenteurer zählen, die clandestin von den afrikanischen Küsten ablegen und zum Teil im Meer versinken - ist zusätzlich mit einer erheblichen Dunkelziffer zu rechnen.

Kommen farbige Clandestinis in ihrer Mordgeschichte mit dem Leben davon, werden sie vor der Scheidewand der Feste-Europe aufgegriffen. Die mit High-Tech-Geräten hochgerüstete Frontex-Flotte kontrolliert rechtswidrig den Atlantik bis zu 200 Seemeilen vor der Küste Senegals. „Pirogen“ (Fischerboote), welche die Sturmboote der Feste Europa antreffen, versenken sie an Ort und Stelle. Die überlebenden Insassen werden, selbst in internationalen Gewässern, oft gewaltsam nach Hause zurückgebracht.

Militärisch-strategische Attacken auf migrantische Menschenmengen erweitern sich bis zum östlichen Schwarzen Meer. Anfang Juni 2008 hatte eine Berliner Konferenz u.a. die Abwehr der „illegalen Migration“ im südlichen Kaukasus zum Thema. Das dortige Gebiet sei „nicht nur ein strategisch wichtiger Transitkorridor für Wirtschaftsgüter und Energie“, der von mehreren Pipelines gekreuzt wird und Zentralasien an Westeuropa anschließen soll. Wie es an der Spree heißt, verkehren dort „auch das organisierte Verbrechen und illegale Migrantenströme“.

Mit einer erneuten Frontex-Operation beteiligt sich Berlin an Maßnahmen, die heimliche Migranten auf dem Weg nach EUropa auf noch gefährlichere Routen drängen und das Massensterben an den EU-Außengrenzen eskalieren lassen. Davon betroffen sind auch zahlreiche Frauen. Das deutsch dominierte europäische Grenzwachtregime lässt ihnen keinerlei Aussicht regulärer Einreise und treibt sie so in wachsendem Maße in die Hände von Mädchenhirten, die das euro-kontinentale horizontale Gewerbe mit ziemlich zivilen Zwangsprostituierten beliefern.

Frauen werden auf dem Weg zur nordafrikanischen Küste nicht nur in clandestine Wüstenverstecke gezwängt, wo sie in äußerster Armut dahinvegetieren, sondern sind gleich dort den Zubringern der Prostitution ausgeliefert. Die qualvolle Reise zieht sich gewöhnlich über mehrere Wochen oder Monate, zum Teil über Jahre hin und schließt, wenn sie nicht bereits mit dem Tod in der Sahara endet, mit einer gefahrvollen Bootsfahrt über das Mittelmeer ab. Sofern die migrationsbewegten Frauen auf dem Schiff nicht von deutsch-europäischen Grenzgarnisonen ergriffen und etwa an libysche Menschenjäger überstellt werden, laufen sie Gefahr, im alten Kontinent der Prosperität erneut zur Prostitution gezwungen zu werden. Die Berliner Republik ist mit ihrem Migrationsregime de facto „ein Komplize“ des Frauen- bzw. Menschenhandels (www.german-foreign-policy.com/de vom 22. Mai 2008).

Diese triviale Tortur beruht auf dem teutoman mentalen Ursprung als Leitlenker der Europiden-Wagenburg. In „Berliner Republik“, einem monatlichen SPD-Zirkular, vom Mai 2008 rückt Georg Blume in seinem Essay über die Volksrepublik China eine noch nie dagewesene Migrationsflut ins Blickfeld: „Gerade wenn die westlichen Medien immer wieder zu Recht jedes Opfer politischer Unterdrückung in China herausstellen, muss man sich der Dimension der sozialen Umwälzungen im Land gewahr sein: 250 Millionen chinesische Wanderarbeiter haben im letzten Jahrzehnt ihre Dörfer verlassen und sind als Heimatlose über Tausende von Kilometern zu den Fabriken und Baustellen an der Küste gezogen. Das war und ist die größte Völkerwanderung aller Zeiten. Doch nirgendwo in der Volksrepublik herrscht Krieg, auch nicht in der autonomen Region Tibet! Nirgendwo werden Grenzzäune errichtet wie zwischen den USA und Mexiko, nirgendwo ist es zu Pogromen und längeren gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gekommen.“


Das Martyrium der Menschenrechtsmelancholiker am Limes der Feste Okzidentale

Das Szenario ist komplex, das Spezialspiel komplett. Von nordisch imperialen Zentren ausgeplündert, in profunde Not gestürzt, als überflüssig abgesondert, pochen die Bewohner der südlichen Halbkugel auf das Kapitel der sozialen Menschenrechte, entfliehen dem eliminierenden Elend, schließen sich den Migrantenmeuten an, um die Himmelsstriche des Überflusses zu erreichen. Die hiesigen auf loyale Untertanen gestützten Gewalthaber begegnen ihnen mit hochgerüsteten See-Flotten und manövrieren, um sie zur Rückkehr zu bewegen, verursachen das Kentern ihrer Seelenverkäufer, damit das Ertrinken im Salzwasser von Mittelmeer oder Atlantik. Es ist ein Spiel mit dem Feuer, wenn die Fluchtmigranten auf andere Routen ausweichen.

Wenn die Menschenrechtsersten der Oase der Freiheit und Demokratie nicht direkt in das Martyrium eingreifen wollen, übergeben sie es zu treuen Händen, den Maghreb-Staaten mit einem Brocken Bakschisch.

Am Limes des Novum Romanum herrscht kein Krieg. Auf dem Spiel steht trotzdem das Leben von Tausenden. Der Tod dort ist alltäglich, es ist der Mord, dem diejenigen die letzte Hand anlegen, die sich - wie der Hahn im Misthaufen - als Warner und Wahrer der universalen Menschenrechte brüsten. Was dabei das breite Publikum, die Untertanen der per Kreuzchenmalen legitimierten demokratischen Partei-Despoten angeht, niemand kann hier seine Hände in Unschuld waschen, selbst die engagierten Anhänger der humanitären Hilfe nicht.

Sekundäre Sektionen der Zivilgesellschaft prahlen huldvoll, sich der prekären Praxis der hegemonial organisierten Organen entgegen zu stellen, und halten sich mit ihrem humanitären Hymnus oben im Sattel. Allen Ernstes dreht es sich dabei um die Metastase einer metropolitan manierierten Maskerade - damit um das wetterwendische Wettspiel der militanten Missionare. Fürwahr: Mehr kann diese Meute des Gutleutetums auch nicht tun, als für die Presse einen bündigen Bericht zu bewerkstelligen und hoffen, ihr persönliches Prestige mit ein paar Punkten zu veredeln. Um die Mittäter der tragischen Todesfälle am Limes ihres Imperiums an den Pranger zu stellen, da gibt es keine federführende Instanz. Und der aufrechte Einsatz für die Hungerleider der einen Welt kann das Einbunkern im Hungerturm heißen - als Schlepper oder Schleuser gestempelt. Was bleibt, ist der Helfershelfer-Tourismus, dessen Feierabendsprecher hier und da ein Mini-Meeting abhalten, um an das Mitleid der mildtätigen, sanftmütigen Mitbürger zu apellieren. Was versteht aber die Öffentlichkeit, die täglich den Bauch voll haut, von dem Zustand derer, die am Hungertuch nagen?

Verdacht erweckende Erkenntnisse gibt es zuhauf, daß das trügerisch sicherheitsstrategische Truppentraining am Limes viel mehr ins Rollen bringt als das Vorgehen gegen die Menschenrechtsroutine, mit der die Wächter der okzidentalen Fortschrittsforts große Reden schwingen. Das fortgeführte militärische Manöver läßt sich zuwenigst als fahrlässige Meuchelei wahrnehmen. Es gibt genug Musterfälle, die besagen, daß die Reaktionen darauf Bagatellen sind. Raubritter spielen sich also als Retter auf. Und es gibt zur Genüge Verdachtsgründe, die derzeit institutionellen, industriell verwalteten Asylantenlager mit den Konzentrationslagern im Dritten Reich zu vergleichen.

Gabriele del Grande läßt in seinem Buch „Mamadous Fahrt in den Tod. Die Tragödie der irregulären Migranten im Mittelmeer“ (von Loeper Literaturverlag, Karlsruhe 2008) einen Clandestino erzählen: „Wir wissen nicht mehr, an wie vielen Konferenzen wir schon teilgenommen haben, wie viele Zeugenaussagen wir geleistet, wie viele Journalisten wir in Marokko, in Algerien und jetzt in Mali getroffen haben. Es gibt Leute, die leben von unserem Unglück und erlangen Geld und Berühmtheit, wenn sie von unseren Leiden erzählen.“

Und die mediale Meute widerspiegelt nur, was das breite Publikum in den Breiten der Dolce-Vita-Domäne erachtet. Es ist der alte Rassismus des weißen Missionars, der in den Farbigen den fauligen Menschenschlag im Kindeszustand beäugelte, das nicht fähig sei, sich selbst zu führen und hüten. Es will daher Gottes Wille sein, daß der weiße Mann über ihn die Hand hält.

Mit dem einheittsparteiischen Pathos der humanitären Hilfe geben die Nomenklaturen der nordischen Nobilität ihren Annexions-Attacken ein sentimentales Antlitz. Wenn die Sektions-Scharlatane in diesem ministerial mißbrauchten Sektor, die Solidaritätszirkel der Fluchtmigranten, mit der Parole „Die Ursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge!“ palavern, so fordern sie ihre Obrigkeit auf zu intervenieren. Denn das super-imperialistische Regime fühlt sich nicht zuständig für das Überleben derer, deren Miseren es direkt verantwortet. Ohne die große Not dort unten gibt es hier den üblichen Überfluß nicht. Wie übrigens aus den Zeiten des Kolonialismus setzt die humanitäre Hilfe die Translation des militanten Missionarismus voraus - erfreuliche Ausnahmen bestätigen die trostlose Regel -, daß die Habenichtse, Opfer der Notstände und Katastrophen vor den weißen Weisen zu Kreuze kriechen und dünne Bretter bohren. Auch das Mitleid kostet was, vielleicht vielmehr als das, was der Wohltäter leistet.

Das gleiche System des Kapitalismus lebt in seinem Postament fort, nur im Überbau gibt es ein paar kosmetische Retuschen. Der mitleidige Moralapostel oder Philanthrop, der die phänomenale Phantasie des Untermenschen, eine minderwertige Spezies erdichtete, perfektivierte ein Mysterium, das immer noch nicht als pervers, als perfide angeprangert wurde, sondern bleibt perfekt politierter Akt der zivilisatorischen Propaganda eines tüchtigen Tartüffs.

Überhaupt: Nicht der Mensch steht im Mittelpunkt des Mitleids, sondern das omnipotente Ordo des Ökonomismus, die Okkupation der natürlichen und humanen Früchte. Und hier weitet sich der Schauplatz des Neodarwinismus, aus der die Gewinner des Marktes als die fundamental Fähigen hoher Werte legitimiert. Ähnlich wie vorgestern, zweihundert Jahre zuvor, haben die Pioniere und Popikonen der mondänen Modernitätshymne ein Brett vor dem Kopf, wenn es sich mondial um die Gleichwertigkeit unterschiedlicher Zweibeiner dreht.

Die komplette Kokotterie mit dem Kulturalismus und die Demokreatur

Gewiß, im Äußeren halbwegs verändert oder gegenwartsnah retuschiert, lebt das Weltbild des homo europeanus von hoch- und minderwertigen Arten wohlbehalten fort. Generell werden die Lebenswelten der südlichen, orientalen Breiten als halb- oder geringwertig dargestellt - fortwährend zum verbalisierten Themenstoff der Missionaren-Meute, der Zunft der humanitären Hilfe von heute erhoben.

Das nordisch arische Rassen-Revier bleibt Schöpfer und Wächter der Zivilisation. Und die Arten beäugelt seine Intelligenzbestie im Stillen bzw. instinktiv als eine biologistische, nicht soziale Kategorie. Hoch- und minderwertig ist aber nichts anderes als die historischen Etappen einer Gemeinschaft.

Nach wie vor verwechseln die Idealisten des christlichen Abendlandes die Arten mit Rassen, sehen in menschlichen Geschlechtern ausschließlich ein naturhaftes Phänomen, negieren ihren wandelbaren Wesensgehalt als Akteure der Gesellschaftssysteme.

Die Nichtweißen, die vom Messias nichts wußten, wurden einst als faule Geschöpfe der Natur deklassifiziert. Sie ihrem Schicksal zu überlassen, sei eine der größten Sünden, plädierten die Missionare schon von fünfhundert Jahren. Sie sollten der Gewalt derer untergestellt werden, die sich als die besten Diener des himmlischen Weltenlenkers erwiesen hätten. Diese den Extraertrag erdichtenden Eroberer stützen ihr Lehrgebäude auf die natürliche Evolution selektiver Systematik, den Untergang oder Sklavenexistenz der unterwürfigen Rassen.

Die Neodarwinisten vertraten zudem die These, daß, wenn ein Mensch zu unteren Klassen gehört, dazu verurteilt sei, im Kampf ums Überleben unterzugehen. Wenn er hingegen über höheres genetisches Plasma verfügt, wird er auf der sozialen Trittleiter mühelos hochklettern und den Anstieg vollbringen - als Leitstern. Dieses Lehrgebäude steht auch heute, nur etwas ins Erhabene gesteigert.

Gestern waren es die edlen reinen Rassen, die in der Hierarchie des Menschlichen ihr Übergewicht behaupteten, aber als Folge der antikolonialen Kriege in Mißkredit fielen. Heute sind es die Hochkulturen. Bereits während der Hitler-Zeit wurden die seelischen Charakterzüge der Gemeinschaften als wichtiger angenommen als die physischen Eigenschaften. Die pan-germanisch prahlenden Architekten des Dritten Deutschen (tausendjährigen) Reichs bauten ihr Gesellschaftsgebäude auf der mutmaßlich hohen, werthaltigen Grundfeste des paradiesischen Deutschtums und dem hegemonialen Hochmut gegenüber den als parasitär bzw. primitiv platzierten Völkerschaften im Osten und Süden des Erdenrunds auf.

1945 fand wahrlich kein „Zusammenbruch“ statt, es zieht sich eine Kontinuitätslinie bis heute - welche die Pressure Groups der Zivilgesellschaft in den Zitadellen der Zivilisation verdrängen wollen - durch die gut gepäppelte Studiokratie, deren Werktätigkeit aus nichts anderem besteht als aus einem Sammelsurium an Zitaten - nichts mehr als plagiatorisches auf human Kollektiven übertragenes Phantasma der Kulturflüchter. Da heute die merkwürdige Gentheorie als Merkmal der Rassen-Hierarchie aus den Studien der Anthropologen verschwindet, haben die Sachwalter der Hochkulturen über das Areal des Elends zu urteilen, es zu hüten, mit den Mittel der Mildtätigkeit minimal zu versorgen oder auch nötigenfalls zu eliminieren.

Die aus den rassistischen Weltbildern der weißen, heißhungrigen Kolonisatoren hervortretenden gestrigen Risse hinterließen tiefe Spuren im gegenwärtigen Blickfeld der okzidentalen Gewalt-Glöckner, auch wenn der Schleier taufrisch gewebt wird.

Gemäß der neurechten Theorie der neorassistisch aktiven Akteure gilt es, die kulturelle Differenz anzuerkennen, jedoch nicht die Gleichwertigkeit der Differierenden. Als die abstufend differenzierende Maxime des Neorassismus kommt die Kultur zum Vorschein, die der Fiktion der systemimmanenten Studiokratie nach in den Memen unterschiedliche Völkerschaften ungleich vorkommen - wertvermindert elend oder aufgeklärt edel. Was ihre staffelnden Merkmale sind, bestimmen die Kulturanthropologen der imperialen Nationen. So versperren sie das EU-Tor z.B. zur Türkei nicht wegen ihrer kulturellen Andersartigkeit, sondern ihrer fiktiven Minderwertigkeit. Damit geben sie zu glauben, die Invasion der Zivilisationszentren durch die vorder-orientalischen Horden lahmlegen zu müssen.

In den Memen der weißen Übermenschen verwurzelt, kreuzt der Neorassismus als ein Gemisch aus Antipathie, Mißachten und Mitleid auf. Die hegemonial staatlich gepäppelten Nischen der imperialen CivilSociety, die Hausierer der humanitären Hilfe wuchsen inzwischen zu einer lukrativen Industrie, die mit ihren Produkten, dem Gnadengeschenk, auf Katastrophen aller Art angewiesen ist - oder auf kriegerische Miseren, die zum größten Teil durch die „unsichtbare Hand“ der neokolonialen Marketender oder durch den „nackten Faust“ der superimperialistischen Invasoren herbeigeführt werden.

Als solidarisch gilt hier vielmehr, sich als Antreiber militärisch diktierter Menschenrechts-Interventionen in Szene zu setzen - eine wagemutige Wegelagerei der okzidentalen Nationen, die sich wie ein blitzblankes Glamourgirl zu präsentieren wissen, auch wenn ihre Häßlichkeit kaum verschleierbar ist und stets wächst. Zum Vorschein kam dies zum Beispiel auch während der kulturalistisch gekünstelten Gipfel-Frage der heilsgewissen Tibeter, allen voran der Kreaturen wie der klerikalen Mönche in Klöstern, die sich nach der Rückkehr der streng ständegesellschaftlichen Verhältnisse und ihrer göttlichen Güter sehnen.

Doch diese Randale-Tibeter hätten ihre Neidkampagne gegen begüterte Han-Chinesen vielleicht nicht begonnen, wenn nicht wieder eine „friedliche Revolution“ à la Dalai Lama als Leithammel auf der Agenda der Weltgeschichte gestanden hätte. Seit 1989 weiß man, wie man sie inszeniert und aufführt, nämlich wie bei den schwarz-rot-goldenen Spaziergängen in Leipzig oder später der orangenen Resistenz in Kiew: Das Rotlicht westlicher Kameras bewegt revolutionäre Herzen und setzt sie in Brand.


Kasten-Demokratie als Metapher der Nordiden-Nomenklatur

Anläßlich der antiautoritären Episode auf dem „Dach der Welt“, die den Olympiaden in Peking zuvorkam, demonstrierten der westliche Blätterwald und TV-Dschungel großspurig, wie religiöser Fundamentalismus und gewalttätiger Separatismus auf einmal recht und billig aufkreuzen - als Episode der Freiheit und Emanzipation.

Wie war das aber im eigenen Gefilde, als sich die Meute der „Vierten Gewalt“ über unaufgeklärten religiösen Fanatismus aufregte? Als sie es kaum aushielt, daß hier eine „Parallelgesellschaft“ heranreift, die - zumindest theoretisch - den Keim der Ehrenmorde und Zwangsehen in sich trägt? Als eine turbulente Debatte über den Bau von Moscheen in Metropolen des Groß-D-Landes ins Rollen kam? Und als alle froh jubelten, daß der Staat „islamistische Hassprediger“ überwacht und ihre rechtgläubigen Jünger in die Anstalten der Zwangsintegration einweist?

Das alles gilt ja einer Religion, dem Islam, der sich vorgeblich auf den Fährten einer gefährlichen Geschichte befindet. Wenn da Gläubige mitten in der „modernen Welt“ mit Kopftüchern herumlaufen, heißt es, daß sie sich ihren rückwärtsgewandten Tatbestand manifestieren, die ganze unaufgeklärte Art dieser Religion. Vor allem gegen den denkbaren und daher ständig in der Luft liegenden Übergang zum gottergebenen Fanatismus erscheint für die staatliche Aufsicht so gut wie jedes Mittel recht.

Dagegen Tibet. Unschuldige und einfach super-religiöse Leute, die sich bloß dafür einsetzen, ihren Glauben frei zu leben. Bewundernswert, wie sie seit Jahrhunderten an archaischen Fundamenten ihrer Ritualen festhalten und ihrem Allvater ihr ganzes Leben unterordnen. Fabelhaft, wie viele von ihnen schon im Kindesalter zu Mönchen und Nonnen werden, die ihre Tage damit verbringen, „om mani padme hum“ („om mani peme hung“) zu murmeln. Wie sie von den Opfern einer bettelarmen Bewohnerschaft leben und sich verköstigen lassen, ihre Heimat voll Klöster stellen und unbeirrt die Rückkehr ihres reinkarnierten Buddha (Dalai Lama) verlangen.

Die Solidarität der freien Öffentlichkeit ist also wie immer super drauf. Ihre Hirne sind so gut sortiert, daß „Bild“ ohne jedes Problem die serbischen Aufstände in Mitrovica und die tibetischen in Lhasa zusammen in einen dicken schwarzen Kasten setzt. Wobei es sich auf dem einen Bild um „gute Rebellen“ und „böse Peiniger“ und auf dem anderen um „böse Randalierer“ und „gute Panzer“ dreht.

Die olympischen Wettkämpfe fanden trotz aller Drohworte des Boykotts statt. Allerdings haben die Westmächte dies von vornherein mit der offen ausgesprochenen Absicht verknüpft, der Kommunistischen Partei Chinas in Sachen Pressefreiheit und Menschenrechte gehörig in die Suppe zu spucken. In der Analyse des GegenStandpunkt-Verlags in Radio Lora München vom 14. April 2008, auf die sich die obigen Sätze stützen, heißt es dazu:

„Die westliche Presse kriegt sich jedenfalls fürs erste nicht mehr ein, den chinesischen ‘Machthabern’ eine ganze Latte interner Auseinandersetzungen an den Hals zu wünschen. Als Mittel einer machtpolitischen Auseinandersetzung mit der kommenden Weltmacht China ist unseren aufgeklärten Journalisten in ihren Fantasien dabei einfach alles recht - wie reaktionär, religiös borniert oder brutal auch immer.“

Die linken Lichtpunkte verschwinden in den Fluten des Kröten-Regens oder im Sumpf des Systems. Daß Klassen- und antiimperialistische Kämpfe aus „emanzipatorischer Sicht“ inzwischen als die individuellen Freiheiten bedrohende Urgewalten des Kollektivismus wahrgenommen werden, beweist, wie tief der neo- oder ordoliberale Rassismus in den linken Lebenskreis eingedrungen ist und ihm die Liturgie der Marktmoral heimgeigt.

Inzwischen dreht es sich bei allen sozialen Slogans um die solcherlei restlose Verwertbarkeit des Humanen, so daß Emanzipation nur noch Marktkonformität bedeutet, die beiläufig behutsam bis zivilisatorisch bedingt-terroristisch durchgesetzt wird. Hier husten die Flöhen, und die Flöte der Leitkultur schallt lauter und lauter.

Menschenmengen werden allein nach ihrer ökonomischen Verwertbarkeit zur Kenntnis genommen. Sozialdarwinismus triumphiert und steigert sich zur weltgesellschaftlich kulturalistischen Norm des Kasten-Normativs, zugleich zur Sehnsucht der selbs stilisierten Hochkulturen nach der „Volksgemeinschaft“.


Der kräftig kultivierte Kurs des Kulturalismus

Die krude Kurtisanen-Kulisse unter der Kasten-Kuppel der konkurrenz-kreischenden Kybernetik weitet sich vollblütig aus, trumpft triumphierend auf. Selbst im Binnenbereich der Imperien floriert die Industrie der arisch Aufgeklärten, zum Beispiel agiert die integrationale Zunft entsprechend der Abscheu gegenüber den wertverminderten Fremden im ethno-sozialen Unten, hat den autoritären Auftrag, die Getto-Generationen dieser neu beheimateten Population als verwertbare Produktionsfaktoren zu modellieren.

Die integrationale Zunft verarbeitet die vor allem hier niedergelassenen Türken als umzuerziehende Menge. Erst durch die verbal gelungene Integration, respektive selektive Assimilation, können diese als primitiv positionierte Elemente ihren herkömmlichen kulturellen Schleier ablegen und sie die vollfertige Kultur aneignen. Sowie prominente Täuflinge wie Cem Özdemir oder Necla Kelek... Daher erweist sich die Integration als langwieriger Prozeß, der selektiert, die willfährig Nutzbaren honoriert, die Überflüssigen deportiert - irgendwann exakt als Gesamtmasse.

Wasser-Gebet spricht der Vasall des Wahlsystems als Tribun. Was herauskommt, ist frömmelnde Farce, die aus all seinen Poren strömt. Ein Quälgeist ist er, der hin und wieder einen Krümel zugeworfen bekommt, um vom Glück der mächtigen Majorität was abzubekommen.

Die volksfrontartige relativ rigorose Reaktion auf den Prahlhans Erdogan aus Ankara, der es ziemlich zerstreut wagte, die Assimilation als ein Vergehen gegen Menschlichkeit zu charakterisieren, ist ein Beweis dafür, daß die integrationale Intentionen des Groß-D-Landes auf die regelrechte Taufe der türkischen Gemeinschaft abzielt.

Der neorassistische Gehalt der majoritär beschworenen Integration besteht darin, daß sie seit über drei Dutzend Jahren noch keinen Inhalt besitzt und als Schlagwort fungiert. Noch mehr: Sie erwies sich längst als ein demagogisches Dogma, welches die Demographen im Dienste der Obrigkeit eifrig deuten und Demokraten, nämlich die Partei-Potentaten instrumentalisieren.

Eine vollzogene Migration findet niemals statt, und selbst die hier im Deutschen Lande Geborenen und Aufgewachsenen zählen als fremde Elemente und nicht als ansässige Untertanen mit elementaren Bürgerrechten. So wurde 2000 auch die Novelle des Staatsangehörigkeitsrecht zusammenstückelt.

In aller Munde ist von Deutsch-Türken oder türkischstämmigen Bürgern die Rede, was die kulturelle Differenz betont. Doch diese andere Kultur gilt es, nach germanischem Genre der Majorität zu eliminieren und nicht aufgrund der Menschenrechte als Subjekte der kulturellen Autonomie anerkannt zu werden.

Die Tugendwächter der germanisch geprägten Stände- bzw. Stammesgesellschaft propagieren realitätstüchtigeres Glaubensoriginal. Um den eigenen Machtanspruch zu untermauern, werden aus der hergebrachten Eigenart der Neulinge die beliebig Negativen ausgewählt und zu einem Gruppenstigma geformt. Diese abwertende Artikulation dient vor allem dazu, die eigene Überlegenheit zu legitimieren, sie sogar zu mystifizieren. Die Spätankömmlinge neigen daher dazu, das ihnen angehängte Kollektiv zu verinnerlichen und sich als Selbstbild anzueignen.

Der innere Rückzug aus dem geltenden Gesellschaftsgebäude ist als Folge der Segregation und Seperation vorprogrammiert, und die Harmonie unter den Prämissen der ethnischen Homogenität der alteingesessenen Einwohner droht, aus dem Ruder zu laufen. Derzeit agieren die Vollzugshelfer der demokratischen Volksgemeinschaft als ostzonale Banden, bald im gesamten Terrain der Berliner Republik, wo die Ethnophobie über feste Wurzeln verfügt.


Möchtegerngermanen migrantischer Memoiren

Und die Maskerade der Security-Sektion schwarz-roter Kameraden hält an. Mit der frisch formulierten Form namens „Einbürgerungstest“ leitet die demokratische Dompteure in die Wege, was die rot-grüne Koalition Anfangs des 21. Jahrhunderts kreierte. Das Jetzige kommt dem § 10 Abs. 7 des Staatsangerügkeitsgesetzes nach. Der Testkatalog mit 300 Fragen fußt auf den Themenbereichen „Leben in der Demokratie“, „Geschichte und Verantwortung“ sowie „Mensch und Gesellschaft“.

Wie er auch immer angewandt wird, ein bestandener „Einbürgerungstest“ gilt nicht einmal als Nachweis ausreichender Deutschkenntnisse. Auch die Sprachfähigkeit muß noch geprüft werden. So lautet es im BMI-Portal vom 7. Juli 2008. Was die Kandidaten in ihren Gehirnrinden zu speichern haben, sind zahllose Nahmen und Zahlen. Sie sollen außerdem nicht erwerbslos sowie nicht vorbestraft sein.

Was der Regent des bundesrepublikanisch nationalen Ressorts „Innere Sicherheit“ meistert und als Maestro maßregelnd dirigiert, ist eine kulturalistisch komponierte Tragikomödie, zugleich die germanisch manische Manipulation der migrantischen Mitwelt.

Die im (Be)Reich der Teutonen niedergelassenen Fremdlinge haben die Prämissen der ethnisch homogenen Volksstates einzulösen, wenn sie den Status der vollwertigen Citoyens erlangen wollen. Da schweigen die sonst überlaut geschlagenen Globalismus-Glocken, und der kosmopolitische Kompas erweist sich als makabre Malaise. Für die observierende Obrigkeit sind die eingewanderten Erdlinge offenbar die ordinären Obdachlosen eines zu okkupierenden Ortes mit dem ertüftelten Getto-Getöse.

Die seit über drei Dutzend Jahren starrköpfig dominierten Debatten um die Denksäule der Integration nehmen den Islam als Angelpunkt in toto ins Blickfeld, ohne die Interaktion zwischen andersartigen Lebenswelten zu internalisieren.

In praxi gleicht das Groß-D-Land einem nationalstaatlichen Terrain von Schrebergärten, den umzäunten Parzellen - einer mehrseitigen Melange aus Früchten und Fäulnis. Registrieren will man das natürlich nicht.

Man beabsichtigt, die zu neutralisierenden Türken bzw. Muselmanen nicht unbedingt im homogenen Volksstaat aufgehen zu lassen, sie zu humanisieren, zivilisieren, respektive assimilieren, sondern unter Artenschutz zu stellen - in Reservaten, die gegenwärtig „Prallelgesellschaften“ oder auch Gettos genannt werden.

Während die Musketiere im Gedankengebäude der christlich-abendländischen Werte-Varia gemäß dem expansiv agierenden imperialistischen Szenario handeln und die eingewanderten Muselmanen-Population in die Selektionsmühle der Asimilation drängen, nehmen sie die islamisch konservative Regimenter am Bosporus in Schutz. Denn diese haben den germanischen Naturalisationstest („Einbürgerungstest“) bereits bestanden, indem sie sich der Jagdparty der Global Players nach dem Extraprofit als obersten Wert und dem uneingeschränkten Recht auf Eigentum als Manna bekannten - schließlich dem spartanischen Adressaten der universalen Humanität.

Wie sich dieses okzidental mental ornamentierte Pathos auch immer dreht und wendet, dem himmlisch sanktionierten wie Kürbisblume entfesselten Markt unterstellt bleibt es allemal. Während die dilettantischen Tamtam-Tartüffe der Moschee-Bauten hierzulande als starrsinnige Staturen des systematischen Störmanövers an den Pranger gestellt werden und die Islamophobie im Memory der ethnisch homogenen Majorität Wurzeln faßt, reichen die Federhelden der medialen Gilde den islam-grünen Interessenvertretern des Weltkapitalismus am Bosporus die Hand, hantieren mit hegemonistischen Fetischen. Sie attackieren bei jeder Gelegenheit die kemalistischen Foren als Komplottsschmiede, stellen im Hinblick auf Freiheit, Fortschritt und Fortuna alles von den Füßen auf den Kopf, setzen die imperialismus-kritischen Opposition mit Despoten und Rackets gleich.

Damit die Türkei in eine von byzantinisch muslimischen Population bewohnten „Provinza Anatolia“ des christlichen Abendlandes unter pangermanischen Präsentation verwandelt werden kann, muß den „kemalistischen Hardlinern“ dort der Prozeß gemacht werden. Denn diese Widersacher des globalen Neodarwinismus repräsentieren ein Weltbild, welches sich aus Grundlementen zusammensetzt wie: Kollektiveigentum, Republikanismus, Nationalismus, Volkstümlichkeit, Laizismus, Revolutionstreu.

Trotz aller Skepsis, daß der charismatische Kabinettskapitän in Ankara bei weiteren Kreisen als Muselmanen-Wolf im Schafspelz der Demokratie gilt. Vorfälle häufen sich, die seine Bekenntnisse zum Laizismus und Pluralismus ins Zwielicht rücken.

Der Klassenkampf in der Türkei hat seine eigene Qualität. Er findet statt zwischen moderat muslimisch gefärbten Führer-Figuren auf dem Gewaltsattel der neoliberalen, nämlich global tobenden neofeudalen Kaste auf der einen und den Verfechtern der national republikanischen Revolution mit sozialen Standbeinen auf der anderen Seite. Hier geht es um die Dichotomie zwischen Barbarei und Zivilisation.

Hinter dem Balkan die naseweisen Islamisten

haben ein Netz der Meritokratie aufgeschlagen

sich im Dogmen-Buch der Moneten

und der Domäne eingetragen

verdient als Tascherons der Profit-Profeten

sonnen sie sich im Glanze des Mäuse-Mekkas

haben digital direkten Spaß

mit demagogischen Partei-Piraten

im geflickten Habitus der tüchtigen Demokraten

veräußern Humanität in Raten


Marginalien zum Wertekanon des Abendlandes

Zurück zur Besitzstandsbastei. Hier wächst permanent die Pro-Power-Partei der Privatier-Tour, subsumiert aus subtilen Schwadronaden ihren allheiligen Chor der aufklärerischen Allüren sowie seine subalterne Singakademie der feudalen Marktschreier.

Die Gerechtigkeit wird dem Allvater überlassen als sein attraktives Attribut. Es geht dabei nicht um die Koordination der Kommandanten, die das Pathos verteilen, um die Subordination der Unterlegenen. Medien und Hysterien der europoid überlegenen Kaste kreischen Krieg, wenn die Redlichkeit der Kolonisierten nicht im Sinne der Kolonisierten zum Vorschein tritt.

Im Gedächtnis schwer zu löschen: Das Jahrhundert des aufklärerischen Aufkommens, dessen Träger gegen Königtum, Absolutismus und Klerus aufbegehrten, glänzte zugleich als das Weltalter des weitverbreiteten Sklavenhandels.

Die zivilisatorische Kanone und der aufklärerische Kanon wurden als imaginärer Wartesaal der Geschichte betrachtet, und zwar als Maßstab für die kulturelle Differenz zwischen hier dem Okzident und dort dem Orient. Aus derselben Quelle wie die geringgeachteten Besitzlosen speist sich auch der Rassismus. Es komme dabei vor allem darauf an, manifestierten die herkömmlichen Aufklärer, sie, die Proleten der industriellen Blüte, in Arbeit zu bringen - notfalls als Sklaven in Ketten. Frische Spuren dieser Sinnesart leben in den Nischen der gegenwärtigen Ökonomie fort. Während der Berliner Hegemon mit seinen Hartz-Gesetzen die Not der Besitz- und Erwerbslosen instrumentalisiert und sie zu Leibeigenen degradiert, fristen Hunderttausende von heimlichen Migranten ihr Leben als Galeerenhäftlinge in der Schattenwirtschaft. Dennoch brüstet sich das nordische Imperium als Zentrum aller errungenen Werte und universalen Menschenrechte.

Solange die demokratisch sanktionierten Imperatoren und Oligarchen nun den aufklärerischen Narratoren spielen, bleibt das Los des mondialen Menschentums monochrom zwischen kritischer Chronologie und emotionaler Ambivalenz. Der vorsintflutliche Demos erlaubt den Despoten der Eigentumsagenda, einen Makrokosmos ihrer Beständigkeit zu komplementieren, somit den kollektiv enteigneten Ethnos mit Hilfe eines Götzen zum willfährigen Komplizen zu kommandieren.

Da wohnt der Demokratie so viel Wert inne wie der Makulatur. Als Pathos. Der kleine Krakeel der Kraken. Aber auch die Kraft der bürokratisch kapitalistischen Berserker, der Besitzstandsbestie.

Das doktrinäre Dogma des Demokratismus ist ein Spiel zwischen Mandataren samt ihrer Domestiken. Die zweibeinige Population des Blauen Planeten vermeidet mehrheitlich den Urnengang und damit die Ehrfurcht gegenüber dem Dominium - wider jegliche Drohkulissen, die von Tausendsassas der Tugend-Tüfftler dokumentiert werden. Die metropolitanen Nationalstaaten etablierten sich aufgrund des Ethnozentrismus, dessen Folge der Ethnozid war und bleibt.

Ethozentrismus ist elementares Weltbild der kollektiven Identität, durch die die Leitlinien der imperialen Nationen über die Bühne gehen. Ihnen gelang es seit dem kolonisatorischen Auflodern, die Minoritäten durch den integrativen oder auch gewaltsamen Ethnozid (Nordamerika) aussterben zu lassen.

Meuterei und Meuchelei wetteifern

überlaut der Blaue Planet

und plakative Palaver auf dem Parteien-Parkett

übergreift die Palette der Plattitüden

fürchten alle die Wiederkehr der Frühsommerblüten

auch im nächsten schweren Winter


Vor der Klasse des Clandestinos haben die Klatschgeschichten-Geschwister weiche Knie

Daß das beabsichtigte Gesellschaftsgebäude der bürokratisch-bourgeoisen Bastion aus musterhaft Mutwilligen und mürrischen Mündel zusammenscharrt, als unteilbare Schar gebündelt werden, somit Statur gewinnen soll, ist keine zu lüftende Kopfnuß. Nur mit dem Angstpeter vor jener trügerischen Terror-Tortur, welche die demokratisch bucklig dekorierte Regentschaft im breiten Publikum ihrer byzantinischen Untertanen einjagt, gelingt es ihr, ein buschig präventives Menschenmanagement zu meistern.

Für den Budenzauber, den die Grossisten der loyalen Volksgemeinschaft in Aussicht stellen, kommen sie mit der Beute aus den Raubzügen im trikontinentalen Terrain auf. Somit geht der globalen Konstruktion der Blutsauger-Barbarei ohne das lückenlos bunt gefleckte Geschäft der metropolitanen Nationen nicht vonstatten. Kein Memoire der Moral kann bestreiten, daß das erdweit elegisch wuchernde Elend allein ein Produkt der Profiteure ist.

Prosperität produziert Prekariat. Die arglos artikulierte Armuts-Debatte, eine mediale Montage des abendländischen krakenkapitalistischen Gedankengebäudes, erweist sich als eine animierende Klassenkarikatur. Dabei dreht es sich nicht darum, die Kastenpyramide der Aneigner zu attackieren, sondern die vermehrte Beute noch etwas gerechter zu verteilen, die Daseinsweise so zu nutzen, daß sie die eleganten Eliten elementar nützen, statt Kopf zu stehen. Eine elfenhafte populäre Vision, die in Kauf nimmt, daß sich der überflüssigen Population in weiten Breiten der Erde zur ökonomisch optierten Elimination freien Lauf läßt.

Ein Geschick der Kolonisatoren ist auch, ihre Maske gemäß der Härte des Windes wechseln zu können. Völlig von der Rolle scheinen z.B. die „antideutschen“ Teutomanen-Zirkel auf dem linkslastigen Parkett zu sein. Gestützt auf einen arischen wie aufklärerischen Antrieb kanzeln diese Pioniere der Islamophobie vehement den Antiimperialismus innerhalb der imperialen Nationen ab, der „heute seinen authentischen Ausdruck bei der NPD“ finde, wie Sebastian Voigt in „Jungle World“ vom 4. Juni 2008 erdichtet. Nicht differente Positionen sollen in marginal medialen Meetings der judeophilen Jünger kollidieren, sondern die israel-solidarische Essentials in Details, die sich wie eine Planierraupe fortbewegen. Sie fahren den Kritikern des globalen Kasten-Regimes und ethno-sozialen Apartheidsapparats an den Kragen, überschütten sie als Akteure des „regressiven Antikapitalismus“ oder als Schwärmer der „Stallwärme des Kollektivs“ (Jan Gerber, „Jungle World“ vom 4. Juni 2008) mit Zerrbildern und übertünchen sie mit Müll.

Auch die „Multitude“-Mulatten brummen meist in den Bart, machen sich mausig, während die Hyänen rund um den Globus tingeln und den Schwachen den Schweiß auf die Stirn treiben. Nach einem Jahrzehnt ihres Entstehens befindet sich die supranationale Assoziation namens Atack mit all ihren Sektionen immer noch auf der Suche nach jenem Sandsack, den sie der globalen Monstermaschinerie ins Getriebe streuen will.

Auf der anderen Seite: Selbst in den Glaspalästen der Globalismus-Glöckner geht die Hasenherzigkeit um, daß die Milliardenmassen, für die es bald nichts mehr zu beißen gibt, das Eldorado des Überflusses zu überfluten droht. Die Maxime, daß die Kräfte des Marktes imstande sind, sich selbst zu regulieren bzw. zu heilen, schlägt in Zähneklappern und Panik um - auch bei den bislang so sehr selbstgerechten Eliten des marktradikalen Mangelmanagements allemal, vor allem bei der Clique der krisenkapitalistischen Mandataren bzw. Demokreaturen.

Es ist die fühlbare Furcht vor der Sintflut aus den gebrandschatzten Breiten der südlichen Erdkugel. Einen auf die Barbarei des Endkapitalismus abgezielten Gegenwind hier im atlantischen Norden gibt es nicht. Oder er bläst so schwach, daß er sich nur schwerlich spüren läßt.


Das GRÜNEN-Greenhorn Cem Özde-Obama und die Claudiatorin Roth

Das Fußballern auf der grünen Wiese rüttelte im Juni 2008 wieder Millionen aus dem Schlaf, denen das Herz im Leibe lachte. „Patriotismus“ und „Partyotismus“ brauten sich zusammen. Der Kommerz gab kräftigen Kursanstieg kund. Fahnenfabriken fabulierten Kassenschlager. Junioren jonglierten mit ihrem Sackgeld. Für den Kollektivglanz der Nation. Kolumnisten kollidierten mit ihren Kollegen der Konkurrenz. Kommentatoren und andere Kumpanen komplettierten ihre Nationalbesten mit dem Identitätsimpetus ihrer Volksgemeinschaft, flößten Mut ein, sich für den Triumph ihrer Elf unterzuordnen. Das Mißverhältnis zwischen dem Spiel auf den Rasen und dem Ernst in den einsamen Privatbuden wurde in Schuß gebracht. Immer mehr Wimpelwichte flogen über Alleen und Allgemeinplätze. Die Mandatare, ministeriale Ressortslenker, Premieres, sogar Oberhäupter wohnten in Tribünen oben dem Spektakel unten gefühlvoll bei. War auch der Schwaben-Türke dabei? Der Cem Özde-Obama?

Sicher. Er spielte mit, aber nicht im Rahmen der fußballernden Euphorie. Dieser neue alte Özde-Obama begann bescheiden, kokettierte schnell vor allen, die sich nach einem frischen Wind auf dem Parkett des Parlaments sehnten. Während die Claudiatorin Roth gemäß des Jägerlateins des planetär populären Poeten Karl May weit hinter dem wilden Kurdistan, bis auf dem „Gipfel der Erde“, wo die Mönche Gebete murmelnd die Rückkehr ihres Dalai Lama und Ständestrukturen verlangten, auf die Suche nach ihren Groupies für den Erwerb von noch mehr Menschenrechtsmeriten ging, gelang es Özde-Obama, die Ex- und Lex-Muselmanen miteinander zu versöhnen und mit turbulenten Teutomanen Frieden zu stiften.

Dieser Özde-Obama, der sich nicht gern als Osama karikieren läßt, träumt sicher von der Nomination für die Regentschaft der gesamten Nation, des Novum Romanum. Natürlich im Cäsaren-Akt. Überzeugen müßte er die ganze Herde der Wählerschaft samt der Ochsen und Schafe, müßte die Animositäten zwischen den ost- und westzonalen Zoon politikons überwinden, kann aber nicht. Vielleicht irgendwann. Er sieht allen Anti-Ängie-Agitationen über die Schulter, nimmt die wetterwendische Veteranin der Ex-SED-Junioren in Ägide, bleibt jedoch lüstern auf den Chancellor-Sessel. Wie er war, bleibt er und erwirbt Meriten, anberaumt als Chamäleon und Fahnenträger der europoid Konvertierten.


***


Die einsamen Monaden

Der Spätkapitalismus hat die Massen gezähmt und das Individuum in die anonyme und ichbezogene Enge seiner nackten, blanken Subjektivität verwiesen. Nicht durch Zufall ist das geschehen, sondern als Teil der Entmachtung des einzelnen als gesellschaftliches Wesen, als handelndes Mitglied des Kollektivs. Das heißt: die Vereinsamung des Menschen als Voraussetzung seiner Manipulation als Bürger, als Wähler, als Konsument, als soziale Kategorie. Man ist allein, man lebt allein, man versucht, allein mit den eigenen Problemen und Sorgen fertig zu werden. »Wissen Sie, daß in den großen Städten die einsame Kreatur umherirrt?« fragte Albert Camus. Wir wissen es, und nicht erst seit heute. Schon Engels wußte es, und es lohnt sich, seine Stimme zu hören: »Die brutale Gleichgültigkeit, die gefühllose Isolierung jedes einzelnen auf seine Privatinteressen tritt um so widerwärtiger und verletzender hervor, je mehr diese einzelnen auf den kleinen Raum zusammengedrängt sind, und wenn wir auch wissen, daß diese Isolierung des einzelnen, diese bornierte Selbstsucht überall das Grundprinzip unserer heutigen Gesellschaft ist, so tritt sie doch nirgends so schamlos unverhüllt, so selbstbewußt auf als gerade hier in dem Gewühl der großen Stadt. Die Auflösung der Menschheit in Monaden, deren jede ein apartes Lebensprinzip und einen aparten Lebenszweck hat, die Welt der Atome ist hier auf ihre höchste Spitze getrieben.«

Diese Monaden sprechen immer weniger miteinander, die »vox humana« ist kaum vernehmbar, eine Entwicklung, die zu einer immer tiefer werdenden Absolutierung der Einsamkeit führen mußte, wie schon von Thomas Mann mahnend angekündigt: »Das Wort, selbst das widersprechendste, ist so verbindend... Aber die Wortlosigkeit vereinsamt.« Und wenn die Menschen in Verbindung treten, ist ihre Sprache zunehmend von den durch die Werbung, die politischen Parteien und die Massenmedien unentwegt verbreiteten Schlagworten und Gemeinplätzen geprägt. Die einzelnen begegnen sich nicht mehr als Personen, sondern nur als Konsumenten und Produzenten, als Träger äußerer und unpersönlicher Symbole und Funktionen.

Dabei ist der Mensch keineswegs verdammt, allein zu sein, er ist vielmehr von Natur aus ein geselliges und gesellschaftliches Wesen. Warum es so ist, sagt uns Kant: »Der Mensch hat eine Neigung, sich zu vergesellschaften; weil er in einem solchen Zustand sich mehr als Mensch, d.i. die Entwicklung seiner Naturanlagen, fühlt.« Die Einsamkeit des heutigen Menschen ist das Produkt unserer Zivilisation, eine sozialgeschichtlich bedingte Erscheinung, genauso wie die Zerstörung der Natur, die Ausbeutung der Dritten Welt oder die Mechanisierung des Lebens. Die Weltlenker versuchen mit allen Mitteln, die Menschen voneinander zu trennen; sie handeln so, weil sie wissen, daß diese gegenseitige Entfremdung die Voraussetzung für die Fortsetzung ihrer Herrschaft bildet. Die Beziehungslosigkeit der Monaden liefert die beste Gewähr gegen Emanzipation und Aufruhr. Dort, wo es keine zwischenmenschlichen Bindungen mehr gibt, kann es auch keine Revolte geben, keine gemeinsame Aktion gegen die organisierte Macht. Denn ohne Kommunikation ist auch keine »communitas« oder »communio« möglich.

Die herrschende Lehre beschreibt diesen Zustand mit solch pompösen und verlogenen Begriffen wie Freiheit, Selbstbestimmung oder »privacy«. Aber die bürgerlichen Leitwerte – Individualismus, Konkurrenzkampf, Pluralismus –, die als Nonplusultra des Fortschritts und der Zivilisation gefeiert werden, erweisen sich bei genauerem Hinsehen als Abfallprodukte eines Zeitalters, das – unfähig, eine auf Kooperation und gegenseitiger Hilfe beruhende Ordnung zu stiften das Gesetz des Dschungels zur Richtschnur des Zusammenlebens bestimmt hat.

Um den anderen auszubeuten, muß der postmoderne Mensch sich selbst ausbeuten, seine edelsten Anlagen tilgen, Raubtier werden, sich selbst erniedrigen. Er kann sich in der kapitalistischen Wildnis nur behaupten, indem er seine niedrigsten Triebe trainiert und einsetzt und seine höheren unterdrückt. Aber nicht nur der einzelne, die spätkapitalistische Gesellschaft als Ganzes kann nur in dieser allgemeinen Verwilderung bestehen und sich reproduzieren, denn das Ende des Hobbesschen Kriegs aller gegen alle würde das Ende des Systems bedeuten. Deshalb die Notwendigkeit, die unsolidarischen Triebe zu pflegen und die Aggressionsbereitschaft immer wieder zu mobilisieren.

Heleno Saña

Aus: »DAS ENDE DER GEMÜTLICHKEIT. Eine Bilanz der Krise unserer Zeit«. Rasch und Röhring Verlag, Hamburg 1992

   

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