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Peyman Javaher-Haghighi:
Iran, Mythos und Realität
Staat und Gesellschaft jenseits von westlichen Sensationsberichten.
Unrast-Verlag, Münster 2008. 172 Seiten, 14,40 Euro
Im westlichen, vor allem deutschen TV-Bilder- und
Blätterwald überwiegt die einstimmige Atmosphäre
bezüglich der Informationen über bestimmte Erdstriche.
Das Dagegen- oder Dafürhalten im Weitblick auf die dortigen
Herrschafts- und Gesellschaftsverhältnisse erscheint im medialen
Komplex so verkürzt, glatt und widerspruchsfrei, daß
es dem Memory der christlich-abendländischen werkgerechten
Wertschrift entspricht. Während z.B. der tibetische Exil-Theokrat,
die Gottheit der Leibeigenschaft, Dalai Lama mit seinen westweiten
Events fast wie ein Demokrat gefeiert wird, kommen bestimmte Staaten
wie Nordkorea, Kuba oder Simbabwe als Regime der drakonischen Despoten.
Und die Islamische Republik Iran ordnet die massmediale Meute als
Orkus der apokalyptischen Reiter ein.
Die Imperatoren und Mentoren unterm Hesperos markieren
ihr muslimisches Bild des Orients und setzen es in den Rand des
Scheitans ein. Als Reaktion darauf illustrieren die Machthaber und
Mullahs in Teheran ihr christliches Abendland und installieren es
im Rahmen des Satans.
Kein anderes peripheres Land produziert so viele Schlagzeilen
in den westlichen Medien wie der Iran. Er als Thema bleibt bei keinen
internationalen Konferenzen und Treffen ausgeklammert, gleichgültig
ob sie G8-Gipfel, UN-Sicherheitsratssitzung oder EU-Gipfel heißen.
Im vorliegenden Band setzt sich Peyman Javaher-Haghighi
mit gängigen Annahmen, Klischees und Vorurteilen über
den Iran auseinander.
Kritisch überprüft der Autor im ersten Kapitel
den allgemein anerkannten Terminus „Islamische Revolution“.
Hier wird neben der Analyse der Gründe, des Verlaufs und der
sozialen Träger der Revolution deutlich gemacht, warum der
gängige Begriff irreführend ist, welche innenpolitische
Legitimationsfunktion er besitzt und aus welchen Gründen er
im Westen weit verbreitet ist. Ein politisch hochbrisantes Thema,
das nach wie vor sehr aktuell ist.
Eine kurze Darstellung der Geschichte der IRI bis
zum Wahlsieg Ahmadinedschads ist der Gegenstand des zweiten Kapitels.
Dabei sind vor allem diejenigen politischen und sozioökonomischen
Fragen von Interesse, ohne deren Beantwortung aktuelle Ereignisse
nicht tiefgründig analysiert werden können. Inwieweit
hat z.B. die kurze Phase der „Demokratie von unten“
(1979-1980) die Menschen im Iran beeinflusst? Wie stark prägt
der achtjährige irakisch-iranische Krieg die iranische Gesellschaft?
Wie ist die Politik der regimetreuen Reformer unter der Führung
Khatamis zu bewerten und was war ihr „ungewollter Beitrag“
zum Sieg Ahmadinedschads?
Im dritten und vierten Kapitel werden die Wirtschafts-,
Sozial-, Menschenrechts- und Außenpolitik der Ahmadinedschad-Administration
in einem Gesamtkonzept behandelt. Dieser Ansatz regt an, manche
Fragen aus einer anderen Sicht zu betrachten. Wie mobilisiert z.B.
das iranische Regime seine Anhänger? Welche Rolle spielen seine
Wirtschafts- und Sozialpolitik dabei? Welches Verhältnis besteht
zwischen dem Atomkonflikt und den gegenwärtigen massiven Menschenrechtsverletzungen
im Iran?
Die Frage des Atomstreits wird vom Autor im Zusammenhang
mit innenpolitischen Ereignissen im Iran behandelt. Auch der bisher
vernachlässigten Frage nach dem Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess
in der iranischen Atompolitik wird gebührende Aufmerksamkeit
geschenkt. So wird es der Leserin oder dem Leser ermöglicht,
die vollmundigen Ankündigungen und Drohungen Ahmadinedschads
in einem anderen Licht zu sehen.
Die Beziehungen der USA und der EU zum iranischen
Regime werden hierzulande viel zu oft mit Bezug auf nationale und
außenpolitische Interessen der Bundesrepublik betrachtet.
Dadurch bleiben verheerende Folgen der US- und der EU-Politik für
die iranische Bevölkerung ausgeklammert. Deshalb werden im
fünften und sechsten Kapitel die besagten Beziehungen unter
die Lupe genommen, um anschließend Ansätze einer alternativen
EU-Politik vorzuschlagen.
Im siebten Kapitel wird der Atomstreit mit dem Iran
als Anlass genommen, um einige Thesen zur Perspektive der globalen
Friedensbewegung aufzustellen. Dieser Fall liefert ein beachtliches
Beispiel dafür, wie selektiv die Frage der Abrüstung wahrgenommen
wird, wie das Denken in bilateralen Kategorien das enorme Demokratiepotential
in einem Lande ignoriert, wie Menschenrechte und demokratische Forderungen
einer Gesellschaft der imperialistischen Politik ebenso zum Opfer
fallen wie der Machtpolitik einer brutalen Theokratie.
Im letzten Kapitel plädiert Peyman Javaher-Haghighi
für die weltweite Solidarität mit dem Widerstand im Iran.
Es wird anhand diverser Informationsquellen nachgezeichnet, wie
die Menschen bisher in einem langsamen aber ständigen Prozess
die iranische Gesellschaft geändert haben, eine Geschichte
der endlosen Anstrengungen...
Das vorliegende Buch läßt sich als einen
wertvollen Beitrag zur Iran-Studien betrachten. Zu hoffen bleibt,
daß die westlichen Kommentatoren einen Blick darin werfen.
NM
***
Jürgen Ploog:
Simulatives Schreiben
Ein Essay. Verlag Peter Engstler, Ostheim/Rhön
2008, 52 Seiten, 11,– Euro
Der verborgene Sinn
Schon früher hat Jürgen Ploog auch Essays
veröffentlicht: zur zeitgenössischen Literatur und Philosophie
(am bekanntesten ist wohl Strassen des Zufalls - Über William
S. Burroughs & für eine Literatur der 80er Jahre, 1988,
überarbeitete Fassung 1998, doch erschienen in den Neunzigern
auch Facts of Fiction - Essays zur Gegenwartsliteratur, 1991, und
Black Maria oder Das Echtzeit-Endspiel - Notizen zu Virilio, 1992),
aber auch selbstreflexive und theoretische (oder semitheoretische)
Schriften zum eigenen Werk und der eigenen Schreibweise (siehe Cut-up
Revisited in Rückkehr ins Coca & Cola Hinterland, 1995,
und etliche Abschnitte in Die letzte Dimension, 2002). Zu den letzteren
gehört nun Simulatives Schreiben. Zwar schreibt Ploog dort
einleitend, es liege ihm nicht, sein eigenes Schreiben unter die
Lupe zu nehmen, und es liege ihm fern, eine Theorie zu liefern.
Was als ‘Theorie’ gelten kann und was nicht, ist aber
ohnehin nicht exakt ab- & eingrenzbar. Jedenfalls ist der Text
stark philosophisch getönt und wirft nicht nur Licht auf Ploogs
nichtlineare Prosa, sondern ist auch zeitdiagnostisch von Interesse.
Ploog diagnostiziert eine „gegenwärtige
Krise der Wahrnehmung“ (17), eine „Krise der Werte“
(19) und eine „Krisis des Wortes“ (22); diese drei Formen
der Krise bilden für ihn einen engen Zusammenhang. Die Krise
der Wahrnehmung meint die Wahrnehmung und Verarbeitung von Realität,
gerade auch in Form ihrer wertegeleiteten Darstellung und Inszenierung
durch das Wort: „Die gegenwärtige Krise der Wirklichkeit
ist eine Krise ihrer Darstellung“ (30). Das gemeinhin vermittelte
Bild der Realität ist ein selektiv verkürzendes, funktionell-schematisches,
wobei die konditionierende & kontrollierende Tätigkeit
von Medien und anderen Machtapparaten zusammenwirkt, zum Beispiel
bei der Erziehung von Menschen zu angeblich mündigen und kritikbefähigten,
dabei schmalspurig-effizient ‘funktionierenden’ Gesellschaftsmitgliedern.
Der „Verfolger (...), der selbst verfolgt wird“ (13),
ist das menschliche Ich, der wortbepackte Lebensläufer, der
seinen Imagines & Besessenheiten hinterherhechelt. Demgegenüber
möchte Ploog in den „Raum hinter den Ereignissen“
vordringen, „der nichts anderes als der Raum der Wirklichkeit“
sei (17). Es gelte die gängigen, verordneten ‘semantischen
Reaktionen’ zu durchbrechen, um sich der „objektive(n)
Welt“ anzunähern. Dazu soll die Cut-up-Methode, die für
Ploogs Schreiben nach wie vor wesentlich ist, verhelfen können.
Dieser Optimismus wird durch einen nicht weniger ausgeprägten
Pessimismus konterkariert, bei dem meines Erachtens ebenfalls Vorsicht
geboten ist: „Die Auflösung der Realität zeigt sich
auch daran, dass heute Modelle zu ihrer Veränderung (die meist
mit dem Vorzeichen einer ‘Verbesserung’ betrieben wird)
kaum noch entworfen werden & wenn, dann mit Aussichtslosigkeit
geschlagen sind“ (ebd.). Da möchte ich zu bedenken geben,
dass resignativer Defaitismus nur den bekämpften und zu bekämpfenden
konservativen Kräften nützen würde. Mag zwar die
Zeit der großen Utopien zu Ende sein - zu einer sachlichen,
nicht mystifizierenden Vorgehensweise der kleinen Schritte (egal,
inwieweit diese ‘nützen’!) gibt es keine Alternative.
Dabei muss, bei allem zu verteidigenden Individualismus und relativer
Ungebundenheit, der Schulterschluss mit anderen progressiven Kräften
gesucht werden, die sich ebenfalls dem globalen Verwertungswahn
entgegenstemmen.
Ploog erinnert an Brion Gysins und William Burroughs’
(von Burroughs dem legendären ‘Alten vom Berg’
Hassan i(bn) Sabbah zugeschriebenes) Bonmot ‘Nichts ist wahr,
alles ist erlaubt’ (ein Diktum, das mir eine Dostojewskij-Ausbeutung
zu sein scheint, vgl. Raskolnikow in Schuld und Sühne und einige
Hauptcharaktere in Die Dämonen) und meint: „Sein erster
Teil dürfte heute kaum noch auf Widerspruch stossen.“
(19). Hier denkt Ploog offenbar an metaphysische Wahrheit (wie sie
vormodern durch Gott gesichert sein sollte), nicht an lebensweltliche
Wahrheit. Denn er will doch wohl nicht sagen, dass er Sätze
wie ‘Mein bürgerlicher Name ist Jürgen Ploog’,
‘Nach der heute in den meisten Kulturen gültigen Zeitrechnung
schreiben wir das Jahr 2008’, ‘Die Rente für diesen
Monat ist auf meinem Konto’, ‘Ich wohne in Frankfurt
und in Florida’, ‘Frankfurt am Main liegt in Deutschland’,
‘William S. Burroughs war ein Schriftsteller’ und tausenderlei
andere Sätze nicht für wahr hält, ebenso analytische
Sätze wie ‘Ein Junggeselle ist ein unverheirateter Mann’
oder ‘Zwei mit sich selbst multipliziert ist gleich Vier’.
Aus dieser Sicht ist also der Satz ‘Nichts ist wahr’
absurd und geradezu idiotisch, einfach eine unhaltbare pseudosensationalistische
Dramatisierung. Zudem kann er anscheinend nur selbstwidersprüchlich
behauptet werden, denn wenn nichts wahr ist, ist ja auch der Satz
‘Nichts ist wahr’ nicht wahr. Und drittens kann man
nicht wie Ploog hoffen, auf einen verborgenen Sinn zu stoßen
- dem doch ‘Objektivität’, insofern also offenbar
ein Wahrheitsgehalt zugesprochen werden soll - und zugleich den
Satz ‘Nichts ist wahr’ unterschreiben. Denn das bedeutet
doch, dass Ploog auch etwas, das noch an ‘metaphysischer’
Wahrheit orientiert ist, akzeptiert bzw. stillschweigend in Anspruch
nimmt und nicht nur lebensweltliche und analytische Wahrheit. Kurzum,
Jürgen Ploog hätte sich kritischer und selbstkritischer
zu diesem Satz stellen müssen.
Fragwürdig auch die Aussage, „mit Einschränkungen
ließe sich sagen“, dass die Ansprüche des „Projekt(es)
der Moderne“ „erfüllt“ seien (11). Wenn dieser
Satz einen Sinn haben soll, müsste Ploog zunächst einmal
sagen, welches seiner Ansicht nach die ‘Ansprüche’
dieses Projektes sind und an welche ‘Einschränkungen’
er denkt. Nicht nur Naturbeherrschung (dieser Anspruch ist übrigens
nicht erfüllt, insofern die Natur ja sichtlich zurückschlägt),
sondern vor allem auch die Ideale Freiheit und Selbstbestimmtheit,
vernünftige (rationale) und gerechte soziale Ordnung stehen
für das Aufklärungsprojekt der Moderne. Will Jürgen
Ploog wirklich sagen, dass diese Ansprüche erfüllt, „umgesetzt,
Allgemeinheit, entropisch dissimiliert, absorbiert“ sind (ebd.)?
Das will er ganz sicherlich nicht sagen. Was dann? Mir scheint,
Ploog hat von Moderne (außer was die analytisch-sezierende
Rationalität betrifft) hier wohl nur in künstlerischer,
ästhetischer Hinsicht gesprochen oder zu sprechen versucht.
Das reicht aber nicht aus, man muss den historischen Gesamtzusammenhang
beachten. Und da finde ich es auch nicht richtig, von „Vorgänge(n)
der aus den materiellen Gegebenheiten ausgebrochenen Lebenswelt“
zu sprechen (17). Aus diesen kann sie wohl nie ausbrechen! Die Kunst,
welche von der Lebenswelt abstrakt zu trennen z.B. die Surrealisten
oder die Beat Poets mit Recht abgelehnt haben, übrigens auch
nicht.
Was den von Ploog zugrunde gelegten Begriff von ‘Simulation’
angeht, kommt der Leser nicht umhin, sich bei Jean Baudrillard zu
informieren, nämlich dessen Buch Agonie des Realen (und vielleicht
auch noch Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen) hinzuzuziehen.
‘Simulation’ bedeutet ‘Vortäuschung, Verstellung’
(darauf geht Ploog gar nicht ein), ein ‘simulatives Schreiben’
wäre also ein Schreiben, das den Leser bewusst irreführt,
etwas vorspiegelt, das nicht der Fall ist, den Leser sozusagen anschmiert.
Baudrillard schreibt: „Simulieren heißt fingieren, etwas
zu haben, was man nicht hat“, und Ploog: „Simulation
bedeutet auf Zeichen bezogen, die sich zwar untereinander, aber
keineswegs gegen ‘Reales’ austauschen lassen“
(34). Beide charakterisieren mit der ‘Logik der Simulation’
eine Zeiterscheinung in Politik und Kultur. Simulation, so Baudrillard,
stelle die Differenz zwischen ‘Wahrem’ und ‘Falschem’,
‘Realem’ und ‘Imaginärem’ immer wieder
grundlegend in Frage. Andere Formulierungen sind noch schärfer:
„In diesem Übergang zu einem Raum, dessen Krümmung
nicht mehr dem Realen oder der Wahrheit folgt, öffnet sich
die Ära der Simulation durch Liquidierung aller Referentiale
- schlimmer noch: durch deren künstliche Wiederauferstehung
in verschiedenen Zeichensystemen, die ein viel geschmeidigeres Material
abgeben als der Sinn.“ ‘Liquidierung aller Referentiale’,
das bedeutet: Keine Referenz, kein Bezug, die Simulation bezieht
sich also auf nichts, auf eine Absenz. Referenzlose Bilder treten
an die Stelle der Realität, konstituieren eine, wie Baudrillard
mit einem nicht unproblematischen Begriff sagt, ‘Hyperrealität’.
„Alle Interpretationen sind wahr“, heißt es bei
Baudrillard, anscheinend affirmativ, und: „Da keine Realität
mehr möglich ist, sind auch keine Illusionen mehr möglich.“
Damit wäre freilich das ersatzlose Abdanken aller Kritik festgeschrieben
- halten Baudrillard und Ploog das wirklich für einen wünschenswerten
Zustand? Bei beiden findet eine Art Identifikation mit dem Angreifer
statt. Sicherlich nicht ohne jene Hoffnung, die Burroughs ausdrückte:
„Techniken, die jetzt noch der Gedankenkontrolle dienen, könnten
statt dessen zur Befreiung eingesetzt werden“, sagt dieser
in Der Job. Will man die Künste der Simulation mit ihren eigenen
Waffen schlagen, eine Art ‘Wer die Wunde schlug, wird sie
auch heilen’ praktizieren? Simulation scheint irgendwie ungreifbar
zu machen, aber das ist eine Illusion. De facto ist nämlich
das Reale keineswegs ausgehebelt, wie Baudrillards Beispiel eines
‘simulierten’ Bankraubs mit aller wünschenswerten
Deutlichkeit zeigt und auch sagt: „irgendein Polizist wird
sofort schießen, ein Bankkunde wird an einer Herzattacke sterben
und wir werden auf die simulierte Geldforderung hin echte Scheine
erhalten (...). Kurz, wir finden uns, ohne es zu wollen, sehr schnell
in der Realität wieder.“ Ploog interessiert die imaginäre
Ungreifbarkeit dessen, der die symbolische Ordnung mit ihren eigenen
Mitteln unterwandert. Doch mit einer abstrakten Negation des Sinns,
wie sie bei Baudrillard angedeutet wird, wäre Ploog, dem es
gerade um die Freilegung von verborgenem Sinn geht, gar nicht gedient.
Insofern muss er sich fragen lassen, wie reflektiert seine Baudrillard-Gefolgschaft
wirklich ist. Die Beschwörung einer Implosion des Realen selbst
scheint mir ein fragwürdiger Selbstschutzmechanismus zu sein,
der sich dem eigenen Sichderealisiert- & Nichtigfühlen
entgegenzustemmen versucht und sich selber wenigstens noch die zwar
machtlose, aber potenziell genießerische (auf morbide Weise
genießerisch-selbstbefriedigende) Perspektive des Durchschauers
erhalten will. Ich meine, dass es keinen Ausweg aus dem wechselweisen
Durcheinandervermitteltsein der drei Ebenen des Symbolischen, des
Imaginären und des Realen gibt (keine von ihnen ist auf eine
der anderen oder auf die beiden anderen zusammen reduzibel; keine
der drei Ebenen kann durch eine der beiden anderen oder durch beide
zusammen ausgeschaltet werden; diesbezüglich folge ich Lacan,
nicht Baudrillard). In seinem Buch Die letzte Dimension, das thematisch
gesehen als der Vorgänger von Simulatives Schreiben rezipiert
werden muss, hat Ploog bereits ein auffälliges Schwanken gezeigt,
was den Begriff der Realität angeht. „Die Welt oder das
Bild ihrer wahrnehmbaren Projektion (die sogenannte Realität)
erweist sich als ein gigantisches Simulationsmodell“, heißt
es dort, und: „Das Reale ist dabei, sich in verschwindende
Fragmente aufzulösen, die dem Sog einer Implosion folgen, einer
unaufhaltsamen Sinnliquidation.“ Findet auch in der Philosophie,
in kritischen Theorien nur noch eine ‘simulierte Suche’
nach einer sowieso ungreifbaren Wahrheit statt? Dann ziehen sich
Sätze, wie Ploog sie hier schreibt, freilich den Sinn unter
dem eigenen Hintern weg! Es gehe nicht mehr um Inhalte, schreibt
Ploog, und Sinn sei zur verführerischen Chimäre geworden,
zur manifesten Illusion. Wie soll dann Kritik überhaupt noch
möglich sein? Ich glaube, Jürgen Ploog müsste nicht
nur seinen Realitätsbegriff, sondern auch seinen Sinnbegriff
klären.
‘Simulatives Schreiben’ betreibt Ploog
in der Tat, wenn man bedenkt, dass er sich der Genres des Agentenromans,
Kriminalromans, Drogenromans, auch einer reichen sexuellen Metaphorik
bedient hat, um im Wesentlichen völlig andere subtextuelle
Inhalte zu transportieren. So meine ich, dass Die tote Zone (1998)
unterschwellig die heutige Situation von Underground- bzw. (wie
ich sie nenne:) Postundergroundliteratur zum Thema hat (diese These
habe ich in dem von Florian Vetsch im Rohstoff Verlag herausgegebenen
Ploog Tanker vertreten), und dass Undercover (2005) die Situation
des menschlichen Ich angesichts neuerer Ergebnisse der Neurophysiologie
oder Hirnforschung behandelt. Ploog scheint mit diesen Deutungen
nicht unzufrieden zu sein, sie scheinen also zumindest einige wichtige
Facetten seiner Prosawerke relativ angemessen zu beleuchten. Jürgen
Ploog ist ein Autor, der mit Masken auftritt und es damit seinen
Leserinnen & Lesern nicht leicht macht, es auch dem Literaturbetrieb
nicht leicht macht. Auch bei seiner Verwendung der Cut-up-Methode
scheint mir ein gewisses ‘Larvatus prodeo’ vorzuherrschen,
und darum kann er wohl nicht umhin, sie bis zu einem gewissen Grade
zu mystifizieren (die Frage ist eben, wo man da eine Grenze zieht).
Er hofft, durch sie eine Zone zu erreichen, die vom „semantischen
Schatten“ der Konditionierungen und gewohnheitsmäßigen
Reflexe befreit sei. Warum aber soll jenes von einer ‘anderen
Seite’ Gefügte (vergleiche Jim Morrisons Motto Break
On Through To The Other Side!), jenes in überraschenden Schnitten,
Aussetzern & Einsätzen Aufleuchtende eigentlich das Wahrhafte,
Pure, quasi Gereinigte sein? Ist es vielleicht ganz einfach nur
ein ‘Anderes’? Hier zeigt sich das, was ich bei Ploog
eine metaphysische Verankerung des Sinns nennen möchte. In
seinem neuen Essay schreibt er: „Der ursprüngliche Sinn
der Texte wird sich fragmentarisch mitteilen, aber er wird durch
die angelegte andere Seite relativiert. Eine Textzuordnung funktioniert,
eine andere vielleicht nicht. Was zufällig ist, bleibt es nicht.
Der Schnittvorgang ist eine Versuchsanordnung, die dem Zufall größtmöglichen
Spielraum gibt. Zwischen Schicksal & Zufall liegt die Freiheit
(& sei es nur die schöpferische)“ (38). Nun kann
man kreativ sein, ohne doch an einer Art Ziel (Telos) ‘anzukommen’.
Hier setzt eine Hoffnung nicht auf den bloßen Zufall, sondern
auf den glücklichen Zufall ein (vergleiche den Doppelsinn von
engl. ‘chance’), auf den man in der gegenwärtigen
kulturellen Situation angewiesen ist: „Nur im Unwahrscheinlichen
kann es ein Weiterleben geben“ (38). Dafür müssen
Risiken eingegangen werden: „Es gibt keinen Ausweg, ohne sich
vorher ins Labyrinth verirrt zu haben“ (40). Das ist sicher
richtig. Vermag Cut-up eine Art Ariadnefaden an die Hand zu geben?
Im zufällig Entstehenden, überraschend Aufleuchtenden
liegt nach Ploog die Realmöglichkeit eines Neuanschlusses,
so wie bei dissipativen Strukturen das System an Verzweigungspunkten
(Bifurkationen) einen Moment auf der Stelle oszilliert und dann,
wie Herakles am Scheideweg, eine der beiden Möglichkeiten ‘wählt’
und realisiert, dabei Komplexität aufnimmt und verarbeitet.
„Phänomene, die vormals als ‘zufällig’,
das heißt unerklärlich, abgetan wurden, sind ins Blickfeld
ernsthafter Betrachtung gerückt“ (12). Ploog ist darin
zuzustimmen, dass man nicht nur von der Teilchenphysik, der Chaosforschung
und der Theorie dissipativer Strukturen, sondern auch von Cut-up-Experimenten
diesbezüglich lernen kann.
In Der Job, seinen Gesprächen mit Daniel Odier,
hat William S. Burroughs erläutert, dass er in seinen Büchern
die zunächst bloß äußerlich, mechanisch-technisch
anmutenden Cut-up-Experimente keineswegs ungefiltert, sondern sehr
kontrolliert einsetzt: „Ich würde sagen, ich folge den
Kanälen, die sich durch die Umordnung des Textes öffnen.
Das ist die wichtigste Funktion des cut-up. Ich nehme etwa eine
Seite, zerschneide sie und bekomme daraus eine ganz neue Idee für
eine geradlinige Erzählung, für die ich das Material des
cut-up überhaupt nicht benutze, oder ich verwende vom tatsächlichen
cut-up vielleicht nur einen oder zwei Sätze.“ Cut-up
spielt also mehr die Rolle einer Heuristik und eines Stifters von
Anregungen bei durchaus herkömmlichen Assoziations- und Montagetechniken.
Cut-up sehr kontrolliert zu betreiben ist nur scheinbar ein Widerspruch.
Die strikt auf Zufall basierenden, mehr mechanisch-technisch entstandenen
Elemente werden durch Prozesse sehr bewusster Selektion, Montage
und Bearbeitung ergänzt und sozusagen überwölbt,
als gültige Textelemente damit allererst konstituiert, also
dialektisch ‘aufgehoben’ (im bekannten dreifachen Sinn
dieses Wortes: negiert, dabei aber aufbewahrt und auf eine höhere
Ebene transportiert). Wem Cut-up, wie William Burroughs und Jürgen
Ploog, sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen ist, der
braucht nicht einmal mehr zur Schere zu greifen und produziert dennoch
cut-up-artige Sätze. Sein Verfahren ist, mit einem Ausdruck
Sartres gesprochen, aktive Passivität. Das Verfahren ist explorativ,
eine Art Blind Date mit sich selbst, das hochkontrolliert eingefädelt
& gehandhabt wird: „Er weiss nicht, wohin die Reise geht,
möglich auch, dass sie ihn mit seinen Illusionen & Obsessionen
konfrontiert. Denn aus dem offenen Feld der Worte wird sich nur
das zu bildhaften Sequenzen verbinden, was er zu sehen imstande
ist. Auf dieser Ebene wird sein Fundus an Erfahrung, Sehnsucht &
Erinnerung in immer neuen Variationen aktiviert. Indem er schreibt,
beschreibt er das, was er ist. Nicht er schreibt, sondern er wird
ge-schrieben“ (43). Cut-up kann uns, so Ploog, dabei helfen,
herauszufinden, wer und was wir sind, gleichsam unseren verlorenen
magischen Namen wiederzufinden.
„Die Wirklichkeit ist die Krise. Das
liesse sich dahin erweitern, dass die Wirklichkeit sich kritisch
auflöst“ (46). Wohinein? „Das griechische Wort
‘krinein’ sei mit ‘teilen’, ‘scheiden’
oder ‘brechen’ wiederzugeben, lese ich. Das wirft ein
neues Licht darauf, wie die gemeinte Krise zu verstehen ist: als
ein Auseinanderfallen des gewohnten Bilds, als Vorgang, der anders
als bisher zu sehen ist. Diese Krise ist dann kein Unfall, der zu
bereinigen wäre, sondern ein Prozess, in dessen Verlauf die
im Lauf der Zeit selektiv entstandenen Hirnkarten umgeschrieben
werden. Diese Karten, nach denen das Gehirn navigiert, entscheiden
über den Ablauf der Krise“ (46ff.). Also Cut-up als dekonstruktive
Kartographie! „Jetzt, da die technologische Ideologie nicht
mehr trägt, ist die Moderne zu einer ästhetischen Zufallsbox
geworden. Jeder greife hinein & bediene sich“ (49). Damit
scheint die Affirmation eines ‘Supermarktes der Ideen’
(Paul K. Feyerabends ‘Anything Goes!’ wurde oft so verstanden)
festgeschrieben. Der Mutige könnte sich, so Ploog, veranlasst
sehen, „sich in eine mythische Bildhaftigkeit ohne Dogmen
& Systeme vorzuwagen“ (ebd.). Ist das Topologisieren ein
Mythologisieren, das Kartographieren ein Mythographieren? Angesichts
dieses Essays mag man das so empfinden. Wenn auch etliche Fragen
offen bleiben, so trägt er doch zum besseren Verständnis
eines Autors bei, der in der gegenwärtigen Literaturlandschaft
notorisch unterschätzt wird.
Thomas Collmer
***
Jürgen Elsässer:
Kriegslügen
Der NATO-Angriff auf Jugoslawien. Vollständig
aktualisierte Fassung. Kai Homilius Verlag, Edition Zeitgeschichte
Band 11, Berlin 2008. 195 Seiten, 12,80 Euro
Vergewaltigung mit Zustimmung des Mißbrauchsopfers
oder: Öffentliches Bekenntnis zum Verrat am Auftrag
Der NATO-Angriff auf Jugoslawien ist mittlerweile
Geschichte. Peter Handke widerfahren wegen der Geschichten, die
er darüber erzählt, immer noch allerhand Geschichten,
weil Zensur immer recht hat. Unterdessen bemüht sich der Internationale
Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag,
ein neues Kapitel im Buch der Geschichte zu schreiben, Schuldsprüche
gegen diejenigen zu erwirken, die gewagt hatten, einer Weltmacht
und ihrem vorgeschobenen Militärapparat zu trotzen. Oder glaubt
jemand ernsthaft die Geschichte, an jenem Gerichtshof, dessen Zuständigkeit
für amerikanische Militäreinsätze ausdrücklich
von Amerika abgelehnt, ausgeschlossen wird, werde Wahrheit tatsächlich
bedient, Rechtsgeschichte geschrieben?
Beschäftigt sich ein Berichterstatter mit dem
Jugoslawien-Konflikt, wird er behandelt, wie ein ganz normaler Schriftsteller,
zum Beispiel wie Peter Handke. Also gilt die erste Frage seiner
Gesinnung. Auf solche Fragen weiß Feuilleton grundsätzlich
eine Antwort. Somit rechnet die Frankfurter Allgemeine Zeitung Jürgen
Elsässer zu den klugen Köpfen im Linksmilieu. Schublade
zu. Scheinbar steht der Autor vor der besonders schwierigen Aufgabe,
hinsichtlich bundesdeutscher Verantwortlichkeiten für den NATO-Angriff
auf Jugoslawien im März 1999 ausgerechnet im Linksmilieu, im
Umfeld einer politischen Koalition von Sozialdemokraten und Grünen
Spuren zu suchen. Es zeichnet Jürgen Elsässer aus, nicht
verschwiegen zu haben, welche Spuren er in seinem Milieu gefunden
hat.
Angriffskriege zeichnen sich dadurch aus, daß
sie zu ihrer Initiierung einen Grund benötigen. Politik, die
Angriffskriege vorbereitet, benötigt vorab Gründe, die
zugleich im nachhinein Rechtfertigung bilden, dann noch einen plausiblen
Anlaß zur Eröffnung der Feindseligkeiten. Moderne Politik
in den Demokratien und demokratieähnlich verfaßten Staaten,
eingebettet in eine Vielzahl von bi- und multilateralen Verträgen,
eingeengt vom Völkerrecht, auf Rechtsstaatlichkeit verpflichtet,
hat, außer im Fall, sie wird selbst Opfer eines Angriffs,
im Prinzip keine Rechtfertigung, auch keine Berechtigung zu einem
Krieg, sehr wohl das Recht zur Verteidigung. Demokratie hat nie
einen berechtigten Grund zu einem Angriffskrieg, außer ...
Lügen!
Das Völkerrecht erlaubt folgerichtig niemandem
einen Angriffskrieg. Geschichtsschreibung heute gestattet und vereinfacht,
beschleunigt Überwindung eines kognitiven permanenten Dissenses
der Wahrnehmung, indem Quellen, Aufzeichnungen, Zeitzeugen, nicht
zuletzt deren Eitelkeit und Selbstdarstellung, einen umfassenderen
Wissensstand, ein eindeutigeres Bild liefern. Politik ist sich dessen
durchaus bewußt, versucht sich dem gelegentlich und immer
öfter durch Geheimhaltung zu entziehen, verrät sich damit,
verrät zugleich grundsätzlich das demokratische Prinzip
der Öffentlichkeit. Die zuvor angesprochene Eitelkeit wiederum
übt an der Geheimhaltung Verrat, vor allem, wenn beteiligte
Protagonisten ein- und desselben Sachverhaltes unabhängig voneinander
über denselben berichten. Dem hinzugerechnet, daß die
an einem Angriffskrieg beteiligten Nationen ihrer jeweiligen Bevölkerung
letztlich in irgend einer Form doch zur Berichterstattung und Rechtfertigung
verpflichtet sind, wird ein vielstimmiger Chor vernehmbar, wegen
der vielschichtigen Interessen der Beteiligten zuletzt nur noch
kakophone Dissonanz. Dem spüren Nichtregierungsorganisationen,
Parlamente, besonders Oppositionspolitiker nach, Untersuchungsausschüsse,
Kommissionen und ein Heer von Journalisten und Berichterstattern.
Jürgen Elsässer kann also aus einem reichen
Fundus schöpfen, auch aus dem, was in den Parlamenten öffentlich
debattiert wurde und nicht zuletzt aus den von Rudolph Scharping
und Joschka Fischer publizierten Darstellungen.
Auch wenn George W. Bush noch nicht Präsident
war, noch nicht 999 Kriegslügen für ihn offiziell (!)
als nachgewiesen galten, sein Reißverschlußvorgänger
war nicht nur für denselben nicht weniger unaufrichtig. Es
gehört seit dem amerikanisch-spanischen Krieg über Pearl
Harbor, Korea, Vietnam bis Grenada zum Repertoire der US-Politik,
einen Kriegsanlaß nicht nur herbeizulügen, sondern ihn
gelegentlich auch regelrecht zu konstruieren. Welche Chance haben
„Verbündete“, einem solchen Szenario zu entkommen?
Die geringste Aussicht verschont zu bleiben, hat nach den Ereignissen
von Weltkrieg I - II und kaltem Krieg jede Regierung der Bundesrepublik
Deutschland. Entsprechend beinahe spielerisch gelingt es Jürgen
Elsässer, die Zeitdokumente, Parlamentsdebatten, öffentliche
Berichterstattung, schriftliche „Erinnerungen“ von Politikern
und Militärs sowie die Erkenntnisse politischer und nichtpolitischer
Organisationen zu einem beeindruckenden Bild zusammenzufügen.
Freilich ist auch hier zu selektieren, die Schlechten ins Kröpfchen,
die guten ins Töpfchen. Geschickt meidet Elsässer spekulative
Tendenzen, meidet konsequent das Minenfeld der Verschwörungstheorie.
Der Autor gestaltet den Sortiervorgang für sein
Puzzle transparent, vermeidet Parteilichkeit, auch wenn er durchaus
Partei ergreift, was angesichts des erschreckenden militärischen
und politischen Ergebnisses nicht verwundern kann. Und er bemüht
sch akribisch um Genauigkeit bis hin in die Verifizierung von Statistiken
und Zahlen. Dies gerät ihm zur entscheidenden Schwäche
seines geduldig, aus sich widersprechenden Quellen zusammengetragenen
Mosaiks, bleibt er doch für jede Zahl auf Angaben aus zweiter
Hand angewiesen, ist Relativierung des Schreckens durch Hochrechnen
oder Mindern verfügbaren Zahlenmaterials stets angreifbar,
erfährt postwendend Gesinnungscharakter durch deutelnde Besserwisser
einer uniformen Meinungshoheit. Gleichwohl gelingt Elsässer
der Nachweis, alle(!) politisch Verantwortlichen der Bundesrepublik
Deutschland des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts, die der Regierung
Kohl und diejenigen der Regierung Schröder, waren und sind
involviert in das Lügengeflecht, unabhängig von ihrer
Parteizugehörigkeit. Und es wird etwas von dem verständlich,
was Oskar Maria Graf mit seiner Lederhose in den Häuserschluchten
New Yorks und mit seiner Nichtrückkehr in das Deutschland nach
1945 zum Ausdruck gebracht hat: Die Zeiten mögen sich wandeln,
die Menschen sind dieselben, hüben und drüben.
Jürgen Elsässers Chronologie, die jetzt
vorgelegte Erweiterung unter Bezug auf den skandalösen militärischen
Einsatz von DU-Munition (DU = Depleted Uranium) verortet die jeweilige
propagandistische Lüge, identifiziert Rudolf Scharping, Joseph
„Joschka“ Fischer und Gerhard Schröder und ihre
Teilhabe an den Kriegslügen. Ungeklärt bleibt die Frage
nach dem Warum, verkneift sich der Autor ein Cui bono ebenso, wie
jede juristische Ausleuchtung. Freilich, Jürgen Elsässer
ist nicht Jurist. Muß erst examinierter Völkerrechtler
sein, wer feststellt, die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland,
die UN-Charta, der NATO-Vertrag, das Völkerrecht und das Kriegsvölkerrecht
sind in eklatanter Weise verletzt worden?!
Ein weiterer Aspekt der Arbeit Elsässers ist
die Berichterstattung der Medien zum Jugoslawienkrieg. Auch hier
trifft der Autor keine wertende Aussage, auch und obwohl deutlich
erkennbar wird, was 1933 Gleichschaltung hieß, funktioniert
in Zeiten nach dem Kalten Krieg unter Bewahrung ideologischer Scheuklappen
auf freiwilliger Basis wesentlich effektiver, radikaler. Womöglich
erweist sich der Tod des Slobodan Milosevic im Gewahrsam des Internationalen
Staatsgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag
als Glücksfall, bleibt doch Politik und Medien juristische
Aufarbeitung ihres Kriegsbeitrages so erspart. Den Menschen in den
westlichen Demokratien bleibt hingegen die Erkenntnis nicht erspart,
wonach selbst demokratisch legitimierte Herrschaftssysteme sich
in ihren Handlungen in nichts von den x-beliebigen Diktaturen, Gewalt-
und Willkürherrschern unterscheiden, außer daß
sie Berichterstattung darüber nicht dauerhaft unterdrücken
können. Fast weise zitiert Jürgen Elsässer Abraham
Lincoln: „Man kann alle Leute einige Zeit und einige Leute
alle Zeit, aber nicht alle Leute alle Zeit zum Narren halten.“
Abraham Lincoln wurde am 15. April 1865 in Washington, D.C. ermordet.
Ein Narr, wer glaubt, dies sei beispielgebende Demokratie! Noch
einmal Narr, wer glaubt, die Nichtakademiker Rudolf Scharping und
Joschka Fischer verdankten nach dem Abschied von der Macht ihre
Lehraufträge an amerikanischen Universitäten ihrer Ausbildung
oder gar intellektueller Brillanz!
Teja Bernardy
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