XXVII. Jahrgang, Heft 149
Sep - Dez 2008/3
 
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Letzte Änderung:
10.10.2008

 
 

 

 
 

 

 

MEDIEN – KULTUR – SCHAU




   
 
 


Peyman Javaher-Haghighi:

Iran, Mythos und Realität

Staat und Gesellschaft jenseits von westlichen Sensationsberichten. Unrast-Verlag, Münster 2008. 172 Seiten, 14,40 Euro

Im westlichen, vor allem deutschen TV-Bilder- und Blätterwald überwiegt die einstimmige Atmosphäre bezüglich der Informationen über bestimmte Erdstriche. Das Dagegen- oder Dafürhalten im Weitblick auf die dortigen Herrschafts- und Gesellschaftsverhältnisse erscheint im medialen Komplex so verkürzt, glatt und widerspruchsfrei, daß es dem Memory der christlich-abendländischen werkgerechten Wertschrift entspricht. Während z.B. der tibetische Exil-Theokrat, die Gottheit der Leibeigenschaft, Dalai Lama mit seinen westweiten Events fast wie ein Demokrat gefeiert wird, kommen bestimmte Staaten wie Nordkorea, Kuba oder Simbabwe als Regime der drakonischen Despoten. Und die Islamische Republik Iran ordnet die massmediale Meute als Orkus der apokalyptischen Reiter ein.

Die Imperatoren und Mentoren unterm Hesperos markieren ihr muslimisches Bild des Orients und setzen es in den Rand des Scheitans ein. Als Reaktion darauf illustrieren die Machthaber und Mullahs in Teheran ihr christliches Abendland und installieren es im Rahmen des Satans.

Kein anderes peripheres Land produziert so viele Schlagzeilen in den westlichen Medien wie der Iran. Er als Thema bleibt bei keinen internationalen Konferenzen und Treffen ausgeklammert, gleichgültig ob sie G8-Gipfel, UN-Sicherheitsratssitzung oder EU-Gipfel heißen.

Im vorliegenden Band setzt sich Peyman Javaher-Haghighi mit gängigen Annahmen, Klischees und Vorurteilen über den Iran auseinander.

Kritisch überprüft der Autor im ersten Kapitel den allgemein anerkannten Terminus „Islamische Revolution“. Hier wird neben der Analyse der Gründe, des Verlaufs und der sozialen Träger der Revolution deutlich gemacht, warum der gängige Begriff irreführend ist, welche innenpolitische Legitimationsfunktion er besitzt und aus welchen Gründen er im Westen weit verbreitet ist. Ein politisch hochbrisantes Thema, das nach wie vor sehr aktuell ist.

Eine kurze Darstellung der Geschichte der IRI bis zum Wahlsieg Ahmadinedschads ist der Gegenstand des zweiten Kapitels. Dabei sind vor allem diejenigen politischen und sozioökonomischen Fragen von Interesse, ohne deren Beantwortung aktuelle Ereignisse nicht tiefgründig analysiert werden können. Inwieweit hat z.B. die kurze Phase der „Demokratie von unten“ (1979-1980) die Menschen im Iran beeinflusst? Wie stark prägt der achtjährige irakisch-iranische Krieg die iranische Gesellschaft? Wie ist die Politik der regimetreuen Reformer unter der Führung Khatamis zu bewerten und was war ihr „ungewollter Beitrag“ zum Sieg Ahmadinedschads?

Im dritten und vierten Kapitel werden die Wirtschafts-, Sozial-, Menschenrechts- und Außenpolitik der Ahmadinedschad-Administration in einem Gesamtkonzept behandelt. Dieser Ansatz regt an, manche Fragen aus einer anderen Sicht zu betrachten. Wie mobilisiert z.B. das iranische Regime seine Anhänger? Welche Rolle spielen seine Wirtschafts- und Sozialpolitik dabei? Welches Verhältnis besteht zwischen dem Atomkonflikt und den gegenwärtigen massiven Menschenrechtsverletzungen im Iran?

Die Frage des Atomstreits wird vom Autor im Zusammenhang mit innenpolitischen Ereignissen im Iran behandelt. Auch der bisher vernachlässigten Frage nach dem Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess in der iranischen Atompolitik wird gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. So wird es der Leserin oder dem Leser ermöglicht, die vollmundigen Ankündigungen und Drohungen Ahmadinedschads in einem anderen Licht zu sehen.

Die Beziehungen der USA und der EU zum iranischen Regime werden hierzulande viel zu oft mit Bezug auf nationale und außenpolitische Interessen der Bundesrepublik betrachtet. Dadurch bleiben verheerende Folgen der US- und der EU-Politik für die iranische Bevölkerung ausgeklammert. Deshalb werden im fünften und sechsten Kapitel die besagten Beziehungen unter die Lupe genommen, um anschließend Ansätze einer alternativen EU-Politik vorzuschlagen.

Im siebten Kapitel wird der Atomstreit mit dem Iran als Anlass genommen, um einige Thesen zur Perspektive der globalen Friedensbewegung aufzustellen. Dieser Fall liefert ein beachtliches Beispiel dafür, wie selektiv die Frage der Abrüstung wahrgenommen wird, wie das Denken in bilateralen Kategorien das enorme Demokratiepotential in einem Lande ignoriert, wie Menschenrechte und demokratische Forderungen einer Gesellschaft der imperialistischen Politik ebenso zum Opfer fallen wie der Machtpolitik einer brutalen Theokratie.

Im letzten Kapitel plädiert Peyman Javaher-Haghighi für die weltweite Solidarität mit dem Widerstand im Iran. Es wird anhand diverser Informationsquellen nachgezeichnet, wie die Menschen bisher in einem langsamen aber ständigen Prozess die iranische Gesellschaft geändert haben, eine Geschichte der endlosen Anstrengungen...

Das vorliegende Buch läßt sich als einen wertvollen Beitrag zur Iran-Studien betrachten. Zu hoffen bleibt, daß die westlichen Kommentatoren einen Blick darin werfen.

NM


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Jürgen Ploog:

Simulatives Schreiben

Ein Essay. Verlag Peter Engstler, Ostheim/Rhön 2008, 52 Seiten, 11,– Euro

Der verborgene Sinn

Schon früher hat Jürgen Ploog auch Essays veröffentlicht: zur zeitgenössischen Literatur und Philosophie (am bekanntesten ist wohl Strassen des Zufalls - Über William S. Burroughs & für eine Literatur der 80er Jahre, 1988, überarbeitete Fassung 1998, doch erschienen in den Neunzigern auch Facts of Fiction - Essays zur Gegenwartsliteratur, 1991, und Black Maria oder Das Echtzeit-Endspiel - Notizen zu Virilio, 1992), aber auch selbstreflexive und theoretische (oder semitheoretische) Schriften zum eigenen Werk und der eigenen Schreibweise (siehe Cut-up Revisited in Rückkehr ins Coca & Cola Hinterland, 1995, und etliche Abschnitte in Die letzte Dimension, 2002). Zu den letzteren gehört nun Simulatives Schreiben. Zwar schreibt Ploog dort einleitend, es liege ihm nicht, sein eigenes Schreiben unter die Lupe zu nehmen, und es liege ihm fern, eine Theorie zu liefern. Was als ‘Theorie’ gelten kann und was nicht, ist aber ohnehin nicht exakt ab- & eingrenzbar. Jedenfalls ist der Text stark philosophisch getönt und wirft nicht nur Licht auf Ploogs nichtlineare Prosa, sondern ist auch zeitdiagnostisch von Interesse.

Ploog diagnostiziert eine „gegenwärtige Krise der Wahrnehmung“ (17), eine „Krise der Werte“ (19) und eine „Krisis des Wortes“ (22); diese drei Formen der Krise bilden für ihn einen engen Zusammenhang. Die Krise der Wahrnehmung meint die Wahrnehmung und Verarbeitung von Realität, gerade auch in Form ihrer wertegeleiteten Darstellung und Inszenierung durch das Wort: „Die gegenwärtige Krise der Wirklichkeit ist eine Krise ihrer Darstellung“ (30). Das gemeinhin vermittelte Bild der Realität ist ein selektiv verkürzendes, funktionell-schematisches, wobei die konditionierende & kontrollierende Tätigkeit von Medien und anderen Machtapparaten zusammenwirkt, zum Beispiel bei der Erziehung von Menschen zu angeblich mündigen und kritikbefähigten, dabei schmalspurig-effizient ‘funktionierenden’ Gesellschaftsmitgliedern. Der „Verfolger (...), der selbst verfolgt wird“ (13), ist das menschliche Ich, der wortbepackte Lebensläufer, der seinen Imagines & Besessenheiten hinterherhechelt. Demgegenüber möchte Ploog in den „Raum hinter den Ereignissen“ vordringen, „der nichts anderes als der Raum der Wirklichkeit“ sei (17). Es gelte die gängigen, verordneten ‘semantischen Reaktionen’ zu durchbrechen, um sich der „objektive(n) Welt“ anzunähern. Dazu soll die Cut-up-Methode, die für Ploogs Schreiben nach wie vor wesentlich ist, verhelfen können. Dieser Optimismus wird durch einen nicht weniger ausgeprägten Pessimismus konterkariert, bei dem meines Erachtens ebenfalls Vorsicht geboten ist: „Die Auflösung der Realität zeigt sich auch daran, dass heute Modelle zu ihrer Veränderung (die meist mit dem Vorzeichen einer ‘Verbesserung’ betrieben wird) kaum noch entworfen werden & wenn, dann mit Aussichtslosigkeit geschlagen sind“ (ebd.). Da möchte ich zu bedenken geben, dass resignativer Defaitismus nur den bekämpften und zu bekämpfenden konservativen Kräften nützen würde. Mag zwar die Zeit der großen Utopien zu Ende sein - zu einer sachlichen, nicht mystifizierenden Vorgehensweise der kleinen Schritte (egal, inwieweit diese ‘nützen’!) gibt es keine Alternative. Dabei muss, bei allem zu verteidigenden Individualismus und relativer Ungebundenheit, der Schulterschluss mit anderen progressiven Kräften gesucht werden, die sich ebenfalls dem globalen Verwertungswahn entgegenstemmen.

Ploog erinnert an Brion Gysins und William Burroughs’ (von Burroughs dem legendären ‘Alten vom Berg’ Hassan i(bn) Sabbah zugeschriebenes) Bonmot ‘Nichts ist wahr, alles ist erlaubt’ (ein Diktum, das mir eine Dostojewskij-Ausbeutung zu sein scheint, vgl. Raskolnikow in Schuld und Sühne und einige Hauptcharaktere in Die Dämonen) und meint: „Sein erster Teil dürfte heute kaum noch auf Widerspruch stossen.“ (19). Hier denkt Ploog offenbar an metaphysische Wahrheit (wie sie vormodern durch Gott gesichert sein sollte), nicht an lebensweltliche Wahrheit. Denn er will doch wohl nicht sagen, dass er Sätze wie ‘Mein bürgerlicher Name ist Jürgen Ploog’, ‘Nach der heute in den meisten Kulturen gültigen Zeitrechnung schreiben wir das Jahr 2008’, ‘Die Rente für diesen Monat ist auf meinem Konto’, ‘Ich wohne in Frankfurt und in Florida’, ‘Frankfurt am Main liegt in Deutschland’, ‘William S. Burroughs war ein Schriftsteller’ und tausenderlei andere Sätze nicht für wahr hält, ebenso analytische Sätze wie ‘Ein Junggeselle ist ein unverheirateter Mann’ oder ‘Zwei mit sich selbst multipliziert ist gleich Vier’. Aus dieser Sicht ist also der Satz ‘Nichts ist wahr’ absurd und geradezu idiotisch, einfach eine unhaltbare pseudosensationalistische Dramatisierung. Zudem kann er anscheinend nur selbstwidersprüchlich behauptet werden, denn wenn nichts wahr ist, ist ja auch der Satz ‘Nichts ist wahr’ nicht wahr. Und drittens kann man nicht wie Ploog hoffen, auf einen verborgenen Sinn zu stoßen - dem doch ‘Objektivität’, insofern also offenbar ein Wahrheitsgehalt zugesprochen werden soll - und zugleich den Satz ‘Nichts ist wahr’ unterschreiben. Denn das bedeutet doch, dass Ploog auch etwas, das noch an ‘metaphysischer’ Wahrheit orientiert ist, akzeptiert bzw. stillschweigend in Anspruch nimmt und nicht nur lebensweltliche und analytische Wahrheit. Kurzum, Jürgen Ploog hätte sich kritischer und selbstkritischer zu diesem Satz stellen müssen.

Fragwürdig auch die Aussage, „mit Einschränkungen ließe sich sagen“, dass die Ansprüche des „Projekt(es) der Moderne“ „erfüllt“ seien (11). Wenn dieser Satz einen Sinn haben soll, müsste Ploog zunächst einmal sagen, welches seiner Ansicht nach die ‘Ansprüche’ dieses Projektes sind und an welche ‘Einschränkungen’ er denkt. Nicht nur Naturbeherrschung (dieser Anspruch ist übrigens nicht erfüllt, insofern die Natur ja sichtlich zurückschlägt), sondern vor allem auch die Ideale Freiheit und Selbstbestimmtheit, vernünftige (rationale) und gerechte soziale Ordnung stehen für das Aufklärungsprojekt der Moderne. Will Jürgen Ploog wirklich sagen, dass diese Ansprüche erfüllt, „umgesetzt, Allgemeinheit, entropisch dissimiliert, absorbiert“ sind (ebd.)? Das will er ganz sicherlich nicht sagen. Was dann? Mir scheint, Ploog hat von Moderne (außer was die analytisch-sezierende Rationalität betrifft) hier wohl nur in künstlerischer, ästhetischer Hinsicht gesprochen oder zu sprechen versucht. Das reicht aber nicht aus, man muss den historischen Gesamtzusammenhang beachten. Und da finde ich es auch nicht richtig, von „Vorgänge(n) der aus den materiellen Gegebenheiten ausgebrochenen Lebenswelt“ zu sprechen (17). Aus diesen kann sie wohl nie ausbrechen! Die Kunst, welche von der Lebenswelt abstrakt zu trennen z.B. die Surrealisten oder die Beat Poets mit Recht abgelehnt haben, übrigens auch nicht.

Was den von Ploog zugrunde gelegten Begriff von ‘Simulation’ angeht, kommt der Leser nicht umhin, sich bei Jean Baudrillard zu informieren, nämlich dessen Buch Agonie des Realen (und vielleicht auch noch Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen) hinzuzuziehen. ‘Simulation’ bedeutet ‘Vortäuschung, Verstellung’ (darauf geht Ploog gar nicht ein), ein ‘simulatives Schreiben’ wäre also ein Schreiben, das den Leser bewusst irreführt, etwas vorspiegelt, das nicht der Fall ist, den Leser sozusagen anschmiert. Baudrillard schreibt: „Simulieren heißt fingieren, etwas zu haben, was man nicht hat“, und Ploog: „Simulation bedeutet auf Zeichen bezogen, die sich zwar untereinander, aber keineswegs gegen ‘Reales’ austauschen lassen“ (34). Beide charakterisieren mit der ‘Logik der Simulation’ eine Zeiterscheinung in Politik und Kultur. Simulation, so Baudrillard, stelle die Differenz zwischen ‘Wahrem’ und ‘Falschem’, ‘Realem’ und ‘Imaginärem’ immer wieder grundlegend in Frage. Andere Formulierungen sind noch schärfer: „In diesem Übergang zu einem Raum, dessen Krümmung nicht mehr dem Realen oder der Wahrheit folgt, öffnet sich die Ära der Simulation durch Liquidierung aller Referentiale - schlimmer noch: durch deren künstliche Wiederauferstehung in verschiedenen Zeichensystemen, die ein viel geschmeidigeres Material abgeben als der Sinn.“ ‘Liquidierung aller Referentiale’, das bedeutet: Keine Referenz, kein Bezug, die Simulation bezieht sich also auf nichts, auf eine Absenz. Referenzlose Bilder treten an die Stelle der Realität, konstituieren eine, wie Baudrillard mit einem nicht unproblematischen Begriff sagt, ‘Hyperrealität’. „Alle Interpretationen sind wahr“, heißt es bei Baudrillard, anscheinend affirmativ, und: „Da keine Realität mehr möglich ist, sind auch keine Illusionen mehr möglich.“ Damit wäre freilich das ersatzlose Abdanken aller Kritik festgeschrieben - halten Baudrillard und Ploog das wirklich für einen wünschenswerten Zustand? Bei beiden findet eine Art Identifikation mit dem Angreifer statt. Sicherlich nicht ohne jene Hoffnung, die Burroughs ausdrückte: „Techniken, die jetzt noch der Gedankenkontrolle dienen, könnten statt dessen zur Befreiung eingesetzt werden“, sagt dieser in Der Job. Will man die Künste der Simulation mit ihren eigenen Waffen schlagen, eine Art ‘Wer die Wunde schlug, wird sie auch heilen’ praktizieren? Simulation scheint irgendwie ungreifbar zu machen, aber das ist eine Illusion. De facto ist nämlich das Reale keineswegs ausgehebelt, wie Baudrillards Beispiel eines ‘simulierten’ Bankraubs mit aller wünschenswerten Deutlichkeit zeigt und auch sagt: „irgendein Polizist wird sofort schießen, ein Bankkunde wird an einer Herzattacke sterben und wir werden auf die simulierte Geldforderung hin echte Scheine erhalten (...). Kurz, wir finden uns, ohne es zu wollen, sehr schnell in der Realität wieder.“ Ploog interessiert die imaginäre Ungreifbarkeit dessen, der die symbolische Ordnung mit ihren eigenen Mitteln unterwandert. Doch mit einer abstrakten Negation des Sinns, wie sie bei Baudrillard angedeutet wird, wäre Ploog, dem es gerade um die Freilegung von verborgenem Sinn geht, gar nicht gedient. Insofern muss er sich fragen lassen, wie reflektiert seine Baudrillard-Gefolgschaft wirklich ist. Die Beschwörung einer Implosion des Realen selbst scheint mir ein fragwürdiger Selbstschutzmechanismus zu sein, der sich dem eigenen Sichderealisiert- & Nichtigfühlen entgegenzustemmen versucht und sich selber wenigstens noch die zwar machtlose, aber potenziell genießerische (auf morbide Weise genießerisch-selbstbefriedigende) Perspektive des Durchschauers erhalten will. Ich meine, dass es keinen Ausweg aus dem wechselweisen Durcheinandervermitteltsein der drei Ebenen des Symbolischen, des Imaginären und des Realen gibt (keine von ihnen ist auf eine der anderen oder auf die beiden anderen zusammen reduzibel; keine der drei Ebenen kann durch eine der beiden anderen oder durch beide zusammen ausgeschaltet werden; diesbezüglich folge ich Lacan, nicht Baudrillard). In seinem Buch Die letzte Dimension, das thematisch gesehen als der Vorgänger von Simulatives Schreiben rezipiert werden muss, hat Ploog bereits ein auffälliges Schwanken gezeigt, was den Begriff der Realität angeht. „Die Welt oder das Bild ihrer wahrnehmbaren Projektion (die sogenannte Realität) erweist sich als ein gigantisches Simulationsmodell“, heißt es dort, und: „Das Reale ist dabei, sich in verschwindende Fragmente aufzulösen, die dem Sog einer Implosion folgen, einer unaufhaltsamen Sinnliquidation.“ Findet auch in der Philosophie, in kritischen Theorien nur noch eine ‘simulierte Suche’ nach einer sowieso ungreifbaren Wahrheit statt? Dann ziehen sich Sätze, wie Ploog sie hier schreibt, freilich den Sinn unter dem eigenen Hintern weg! Es gehe nicht mehr um Inhalte, schreibt Ploog, und Sinn sei zur verführerischen Chimäre geworden, zur manifesten Illusion. Wie soll dann Kritik überhaupt noch möglich sein? Ich glaube, Jürgen Ploog müsste nicht nur seinen Realitätsbegriff, sondern auch seinen Sinnbegriff klären.

‘Simulatives Schreiben’ betreibt Ploog in der Tat, wenn man bedenkt, dass er sich der Genres des Agentenromans, Kriminalromans, Drogenromans, auch einer reichen sexuellen Metaphorik bedient hat, um im Wesentlichen völlig andere subtextuelle Inhalte zu transportieren. So meine ich, dass Die tote Zone (1998) unterschwellig die heutige Situation von Underground- bzw. (wie ich sie nenne:) Postundergroundliteratur zum Thema hat (diese These habe ich in dem von Florian Vetsch im Rohstoff Verlag herausgegebenen Ploog Tanker vertreten), und dass Undercover (2005) die Situation des menschlichen Ich angesichts neuerer Ergebnisse der Neurophysiologie oder Hirnforschung behandelt. Ploog scheint mit diesen Deutungen nicht unzufrieden zu sein, sie scheinen also zumindest einige wichtige Facetten seiner Prosawerke relativ angemessen zu beleuchten. Jürgen Ploog ist ein Autor, der mit Masken auftritt und es damit seinen Leserinnen & Lesern nicht leicht macht, es auch dem Literaturbetrieb nicht leicht macht. Auch bei seiner Verwendung der Cut-up-Methode scheint mir ein gewisses ‘Larvatus prodeo’ vorzuherrschen, und darum kann er wohl nicht umhin, sie bis zu einem gewissen Grade zu mystifizieren (die Frage ist eben, wo man da eine Grenze zieht). Er hofft, durch sie eine Zone zu erreichen, die vom „semantischen Schatten“ der Konditionierungen und gewohnheitsmäßigen Reflexe befreit sei. Warum aber soll jenes von einer ‘anderen Seite’ Gefügte (vergleiche Jim Morrisons Motto Break On Through To The Other Side!), jenes in überraschenden Schnitten, Aussetzern & Einsätzen Aufleuchtende eigentlich das Wahrhafte, Pure, quasi Gereinigte sein? Ist es vielleicht ganz einfach nur ein ‘Anderes’? Hier zeigt sich das, was ich bei Ploog eine metaphysische Verankerung des Sinns nennen möchte. In seinem neuen Essay schreibt er: „Der ursprüngliche Sinn der Texte wird sich fragmentarisch mitteilen, aber er wird durch die angelegte andere Seite relativiert. Eine Textzuordnung funktioniert, eine andere vielleicht nicht. Was zufällig ist, bleibt es nicht. Der Schnittvorgang ist eine Versuchsanordnung, die dem Zufall größtmöglichen Spielraum gibt. Zwischen Schicksal & Zufall liegt die Freiheit (& sei es nur die schöpferische)“ (38). Nun kann man kreativ sein, ohne doch an einer Art Ziel (Telos) ‘anzukommen’. Hier setzt eine Hoffnung nicht auf den bloßen Zufall, sondern auf den glücklichen Zufall ein (vergleiche den Doppelsinn von engl. ‘chance’), auf den man in der gegenwärtigen kulturellen Situation angewiesen ist: „Nur im Unwahrscheinlichen kann es ein Weiterleben geben“ (38). Dafür müssen Risiken eingegangen werden: „Es gibt keinen Ausweg, ohne sich vorher ins Labyrinth verirrt zu haben“ (40). Das ist sicher richtig. Vermag Cut-up eine Art Ariadnefaden an die Hand zu geben? Im zufällig Entstehenden, überraschend Aufleuchtenden liegt nach Ploog die Realmöglichkeit eines Neuanschlusses, so wie bei dissipativen Strukturen das System an Verzweigungspunkten (Bifurkationen) einen Moment auf der Stelle oszilliert und dann, wie Herakles am Scheideweg, eine der beiden Möglichkeiten ‘wählt’ und realisiert, dabei Komplexität aufnimmt und verarbeitet. „Phänomene, die vormals als ‘zufällig’, das heißt unerklärlich, abgetan wurden, sind ins Blickfeld ernsthafter Betrachtung gerückt“ (12). Ploog ist darin zuzustimmen, dass man nicht nur von der Teilchenphysik, der Chaosforschung und der Theorie dissipativer Strukturen, sondern auch von Cut-up-Experimenten diesbezüglich lernen kann.

In Der Job, seinen Gesprächen mit Daniel Odier, hat William S. Burroughs erläutert, dass er in seinen Büchern die zunächst bloß äußerlich, mechanisch-technisch anmutenden Cut-up-Experimente keineswegs ungefiltert, sondern sehr kontrolliert einsetzt: „Ich würde sagen, ich folge den Kanälen, die sich durch die Umordnung des Textes öffnen. Das ist die wichtigste Funktion des cut-up. Ich nehme etwa eine Seite, zerschneide sie und bekomme daraus eine ganz neue Idee für eine geradlinige Erzählung, für die ich das Material des cut-up überhaupt nicht benutze, oder ich verwende vom tatsächlichen cut-up vielleicht nur einen oder zwei Sätze.“ Cut-up spielt also mehr die Rolle einer Heuristik und eines Stifters von Anregungen bei durchaus herkömmlichen Assoziations- und Montagetechniken. Cut-up sehr kontrolliert zu betreiben ist nur scheinbar ein Widerspruch. Die strikt auf Zufall basierenden, mehr mechanisch-technisch entstandenen Elemente werden durch Prozesse sehr bewusster Selektion, Montage und Bearbeitung ergänzt und sozusagen überwölbt, als gültige Textelemente damit allererst konstituiert, also dialektisch ‘aufgehoben’ (im bekannten dreifachen Sinn dieses Wortes: negiert, dabei aber aufbewahrt und auf eine höhere Ebene transportiert). Wem Cut-up, wie William Burroughs und Jürgen Ploog, sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen ist, der braucht nicht einmal mehr zur Schere zu greifen und produziert dennoch cut-up-artige Sätze. Sein Verfahren ist, mit einem Ausdruck Sartres gesprochen, aktive Passivität. Das Verfahren ist explorativ, eine Art Blind Date mit sich selbst, das hochkontrolliert eingefädelt & gehandhabt wird: „Er weiss nicht, wohin die Reise geht, möglich auch, dass sie ihn mit seinen Illusionen & Obsessionen konfrontiert. Denn aus dem offenen Feld der Worte wird sich nur das zu bildhaften Sequenzen verbinden, was er zu sehen imstande ist. Auf dieser Ebene wird sein Fundus an Erfahrung, Sehnsucht & Erinnerung in immer neuen Variationen aktiviert. Indem er schreibt, beschreibt er das, was er ist. Nicht er schreibt, sondern er wird ge-schrieben“ (43). Cut-up kann uns, so Ploog, dabei helfen, herauszufinden, wer und was wir sind, gleichsam unseren verlorenen magischen Namen wiederzufinden.

„Die Wirklichkeit ist die Krise. Das liesse sich dahin erweitern, dass die Wirklichkeit sich kritisch auflöst“ (46). Wohinein? „Das griechische Wort ‘krinein’ sei mit ‘teilen’, ‘scheiden’ oder ‘brechen’ wiederzugeben, lese ich. Das wirft ein neues Licht darauf, wie die gemeinte Krise zu verstehen ist: als ein Auseinanderfallen des gewohnten Bilds, als Vorgang, der anders als bisher zu sehen ist. Diese Krise ist dann kein Unfall, der zu bereinigen wäre, sondern ein Prozess, in dessen Verlauf die im Lauf der Zeit selektiv entstandenen Hirnkarten umgeschrieben werden. Diese Karten, nach denen das Gehirn navigiert, entscheiden über den Ablauf der Krise“ (46ff.). Also Cut-up als dekonstruktive Kartographie! „Jetzt, da die technologische Ideologie nicht mehr trägt, ist die Moderne zu einer ästhetischen Zufallsbox geworden. Jeder greife hinein & bediene sich“ (49). Damit scheint die Affirmation eines ‘Supermarktes der Ideen’ (Paul K. Feyerabends ‘Anything Goes!’ wurde oft so verstanden) festgeschrieben. Der Mutige könnte sich, so Ploog, veranlasst sehen, „sich in eine mythische Bildhaftigkeit ohne Dogmen & Systeme vorzuwagen“ (ebd.). Ist das Topologisieren ein Mythologisieren, das Kartographieren ein Mythographieren? Angesichts dieses Essays mag man das so empfinden. Wenn auch etliche Fragen offen bleiben, so trägt er doch zum besseren Verständnis eines Autors bei, der in der gegenwärtigen Literaturlandschaft notorisch unterschätzt wird.

Thomas Collmer


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Jürgen Elsässer:

Kriegslügen

Der NATO-Angriff auf Jugoslawien. Vollständig aktualisierte Fassung. Kai Homilius Verlag, Edition Zeitgeschichte Band 11, Berlin 2008. 195 Seiten, 12,80 Euro

Vergewaltigung mit Zustimmung des Mißbrauchsopfers oder: Öffentliches Bekenntnis zum Verrat am Auftrag

Der NATO-Angriff auf Jugoslawien ist mittlerweile Geschichte. Peter Handke widerfahren wegen der Geschichten, die er darüber erzählt, immer noch allerhand Geschichten, weil Zensur immer recht hat. Unterdessen bemüht sich der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, ein neues Kapitel im Buch der Geschichte zu schreiben, Schuldsprüche gegen diejenigen zu erwirken, die gewagt hatten, einer Weltmacht und ihrem vorgeschobenen Militärapparat zu trotzen. Oder glaubt jemand ernsthaft die Geschichte, an jenem Gerichtshof, dessen Zuständigkeit für amerikanische Militäreinsätze ausdrücklich von Amerika abgelehnt, ausgeschlossen wird, werde Wahrheit tatsächlich bedient, Rechtsgeschichte geschrieben?

Beschäftigt sich ein Berichterstatter mit dem Jugoslawien-Konflikt, wird er behandelt, wie ein ganz normaler Schriftsteller, zum Beispiel wie Peter Handke. Also gilt die erste Frage seiner Gesinnung. Auf solche Fragen weiß Feuilleton grundsätzlich eine Antwort. Somit rechnet die Frankfurter Allgemeine Zeitung Jürgen Elsässer zu den klugen Köpfen im Linksmilieu. Schublade zu. Scheinbar steht der Autor vor der besonders schwierigen Aufgabe, hinsichtlich bundesdeutscher Verantwortlichkeiten für den NATO-Angriff auf Jugoslawien im März 1999 ausgerechnet im Linksmilieu, im Umfeld einer politischen Koalition von Sozialdemokraten und Grünen Spuren zu suchen. Es zeichnet Jürgen Elsässer aus, nicht verschwiegen zu haben, welche Spuren er in seinem Milieu gefunden hat.

Angriffskriege zeichnen sich dadurch aus, daß sie zu ihrer Initiierung einen Grund benötigen. Politik, die Angriffskriege vorbereitet, benötigt vorab Gründe, die zugleich im nachhinein Rechtfertigung bilden, dann noch einen plausiblen Anlaß zur Eröffnung der Feindseligkeiten. Moderne Politik in den Demokratien und demokratieähnlich verfaßten Staaten, eingebettet in eine Vielzahl von bi- und multilateralen Verträgen, eingeengt vom Völkerrecht, auf Rechtsstaatlichkeit verpflichtet, hat, außer im Fall, sie wird selbst Opfer eines Angriffs, im Prinzip keine Rechtfertigung, auch keine Berechtigung zu einem Krieg, sehr wohl das Recht zur Verteidigung. Demokratie hat nie einen berechtigten Grund zu einem Angriffskrieg, außer ... Lügen!

Das Völkerrecht erlaubt folgerichtig niemandem einen Angriffskrieg. Geschichtsschreibung heute gestattet und vereinfacht, beschleunigt Überwindung eines kognitiven permanenten Dissenses der Wahrnehmung, indem Quellen, Aufzeichnungen, Zeitzeugen, nicht zuletzt deren Eitelkeit und Selbstdarstellung, einen umfassenderen Wissensstand, ein eindeutigeres Bild liefern. Politik ist sich dessen durchaus bewußt, versucht sich dem gelegentlich und immer öfter durch Geheimhaltung zu entziehen, verrät sich damit, verrät zugleich grundsätzlich das demokratische Prinzip der Öffentlichkeit. Die zuvor angesprochene Eitelkeit wiederum übt an der Geheimhaltung Verrat, vor allem, wenn beteiligte Protagonisten ein- und desselben Sachverhaltes unabhängig voneinander über denselben berichten. Dem hinzugerechnet, daß die an einem Angriffskrieg beteiligten Nationen ihrer jeweiligen Bevölkerung letztlich in irgend einer Form doch zur Berichterstattung und Rechtfertigung verpflichtet sind, wird ein vielstimmiger Chor vernehmbar, wegen der vielschichtigen Interessen der Beteiligten zuletzt nur noch kakophone Dissonanz. Dem spüren Nichtregierungsorganisationen, Parlamente, besonders Oppositionspolitiker nach, Untersuchungsausschüsse, Kommissionen und ein Heer von Journalisten und Berichterstattern.

Jürgen Elsässer kann also aus einem reichen Fundus schöpfen, auch aus dem, was in den Parlamenten öffentlich debattiert wurde und nicht zuletzt aus den von Rudolph Scharping und Joschka Fischer publizierten Darstellungen.

Auch wenn George W. Bush noch nicht Präsident war, noch nicht 999 Kriegslügen für ihn offiziell (!) als nachgewiesen galten, sein Reißverschlußvorgänger war nicht nur für denselben nicht weniger unaufrichtig. Es gehört seit dem amerikanisch-spanischen Krieg über Pearl Harbor, Korea, Vietnam bis Grenada zum Repertoire der US-Politik, einen Kriegsanlaß nicht nur herbeizulügen, sondern ihn gelegentlich auch regelrecht zu konstruieren. Welche Chance haben „Verbündete“, einem solchen Szenario zu entkommen? Die geringste Aussicht verschont zu bleiben, hat nach den Ereignissen von Weltkrieg I - II und kaltem Krieg jede Regierung der Bundesrepublik Deutschland. Entsprechend beinahe spielerisch gelingt es Jürgen Elsässer, die Zeitdokumente, Parlamentsdebatten, öffentliche Berichterstattung, schriftliche „Erinnerungen“ von Politikern und Militärs sowie die Erkenntnisse politischer und nichtpolitischer Organisationen zu einem beeindruckenden Bild zusammenzufügen. Freilich ist auch hier zu selektieren, die Schlechten ins Kröpfchen, die guten ins Töpfchen. Geschickt meidet Elsässer spekulative Tendenzen, meidet konsequent das Minenfeld der Verschwörungstheorie.

Der Autor gestaltet den Sortiervorgang für sein Puzzle transparent, vermeidet Parteilichkeit, auch wenn er durchaus Partei ergreift, was angesichts des erschreckenden militärischen und politischen Ergebnisses nicht verwundern kann. Und er bemüht sch akribisch um Genauigkeit bis hin in die Verifizierung von Statistiken und Zahlen. Dies gerät ihm zur entscheidenden Schwäche seines geduldig, aus sich widersprechenden Quellen zusammengetragenen Mosaiks, bleibt er doch für jede Zahl auf Angaben aus zweiter Hand angewiesen, ist Relativierung des Schreckens durch Hochrechnen oder Mindern verfügbaren Zahlenmaterials stets angreifbar, erfährt postwendend Gesinnungscharakter durch deutelnde Besserwisser einer uniformen Meinungshoheit. Gleichwohl gelingt Elsässer der Nachweis, alle(!) politisch Verantwortlichen der Bundesrepublik Deutschland des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts, die der Regierung Kohl und diejenigen der Regierung Schröder, waren und sind involviert in das Lügengeflecht, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit. Und es wird etwas von dem verständlich, was Oskar Maria Graf mit seiner Lederhose in den Häuserschluchten New Yorks und mit seiner Nichtrückkehr in das Deutschland nach 1945 zum Ausdruck gebracht hat: Die Zeiten mögen sich wandeln, die Menschen sind dieselben, hüben und drüben.

Jürgen Elsässers Chronologie, die jetzt vorgelegte Erweiterung unter Bezug auf den skandalösen militärischen Einsatz von DU-Munition (DU = Depleted Uranium) verortet die jeweilige propagandistische Lüge, identifiziert Rudolf Scharping, Joseph „Joschka“ Fischer und Gerhard Schröder und ihre Teilhabe an den Kriegslügen. Ungeklärt bleibt die Frage nach dem Warum, verkneift sich der Autor ein Cui bono ebenso, wie jede juristische Ausleuchtung. Freilich, Jürgen Elsässer ist nicht Jurist. Muß erst examinierter Völkerrechtler sein, wer feststellt, die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, die UN-Charta, der NATO-Vertrag, das Völkerrecht und das Kriegsvölkerrecht sind in eklatanter Weise verletzt worden?!

Ein weiterer Aspekt der Arbeit Elsässers ist die Berichterstattung der Medien zum Jugoslawienkrieg. Auch hier trifft der Autor keine wertende Aussage, auch und obwohl deutlich erkennbar wird, was 1933 Gleichschaltung hieß, funktioniert in Zeiten nach dem Kalten Krieg unter Bewahrung ideologischer Scheuklappen auf freiwilliger Basis wesentlich effektiver, radikaler. Womöglich erweist sich der Tod des Slobodan Milosevic im Gewahrsam des Internationalen Staatsgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag als Glücksfall, bleibt doch Politik und Medien juristische Aufarbeitung ihres Kriegsbeitrages so erspart. Den Menschen in den westlichen Demokratien bleibt hingegen die Erkenntnis nicht erspart, wonach selbst demokratisch legitimierte Herrschaftssysteme sich in ihren Handlungen in nichts von den x-beliebigen Diktaturen, Gewalt- und Willkürherrschern unterscheiden, außer daß sie Berichterstattung darüber nicht dauerhaft unterdrücken können. Fast weise zitiert Jürgen Elsässer Abraham Lincoln: „Man kann alle Leute einige Zeit und einige Leute alle Zeit, aber nicht alle Leute alle Zeit zum Narren halten.“ Abraham Lincoln wurde am 15. April 1865 in Washington, D.C. ermordet. Ein Narr, wer glaubt, dies sei beispielgebende Demokratie! Noch einmal Narr, wer glaubt, die Nichtakademiker Rudolf Scharping und Joschka Fischer verdankten nach dem Abschied von der Macht ihre Lehraufträge an amerikanischen Universitäten ihrer Ausbildung oder gar intellektueller Brillanz!

Teja Bernardy

   

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