XXVII. Jahrgang, Heft 149
Sep - Dez 2008/3
 
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Letzte Änderung:
10.10.2008

 
 

 

 
 

 

 

MEINUNGEN - KARAWANSEREI

Die Freiheit fordert ihre Opfer
Geführt werden will er. Nur so kann Michel sein, was er von Natur aus ist: treu und ergeben.

   
 
 


Einst galt es jedem Deutschen als lustvolle Pflicht, stolz auf den arischsten aller Führer zu sein, auf seine über jeden Irrtum erhabene Vorsehung und seine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit. Genau diese Volkspflicht drohte bei der Mehrzahl deutscher Volkskörper allmählich altmodisch zu werden.

Inzwischen sind zum Wohle des Volkes wieder wahre deutsche Führungspersönlichkeiten gefragt. Kraftvoll setzen sie sich zwischen den Wahlen gegen eigene Wahlversprechen und die niederen Interessen des gemeinen und unwissenden Volkes durch. Zu Recht bewundert Michel, Deutschlands einsichtiger Untertan, ihre Standfestigkeit und niemals könnte das kluge Hirn unter der wärmenden Zipfelmütze den unmittelbaren Anschluss an besser wissende deutsche Vordenker verweigern.

So hat Michel den notwendigen Respekt vor Basta-Kanzlern, Durchhalteministern und starken Frauen in Regierungsämtern, vor jenen Felsen in der Brandung, die sich durch fast nichts und schon gar nicht durch volkseigne (und damit gottlos kommunistische) Bedürfnisse umstimmen lassen? Volkseigentum ist out und daher zum Glück auf dem notwendigen Weg, privatisiert zu werden.

Erfahrene und äußerst umsichtige Führer sind in Wirtschaft und Politik gefragt. Nur sie können das Großunternehmen Deutschland nach den bewährten Gepflogenheiten eines Wirtschaftsunternehmens regieren. Politik ist nun einmal vor allem Wirtschaftspolitik. Denn, wenn nicht aus der Wirtschaft, woher soll sonst das notwendige Geld kommen?

Ein seriöser Politiker geht mit gutem Beispiel voran. Er käme nicht einmal auf die Idee, als Konjunkturbremser aufzutreten. Und selbst nach der politischen Karriere wird er daher nicht als arbeitsloser und Altersversorgung beziehender Sozialfall die Volkswirtschaft belasten.

Alle Spitzenpolitiker bemühen sich schon während, aber spätestens nach ihrer politischen Karriere um einen reibungslosen Übergang auf einen Arbeitsplatz in Großunternehmenschefetagen. Dort können sie ihren bisher überwiegend uneigennützigen Dienst an der Volkswirtschaft mit dem verdienten Eigennutz fortsetzen

Schließlich soll die Wirtschaft doch allen Bürgerinnen und Bürger nützen.

Dennoch treibt nicht etwa Vorteilsnahme den wahren Politprofi. Nein, die Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung des Vaterlandes ist sein vorrangiges Anliegen. Und der Aufschwung schwingt sich am besten ungehindert von Reibungsverlusten zu den stets notwendigen noch höheren Wachstumsprozenten hinauf.

Jeder arbeitende Mitbürger und selbstverständlich auch jede arbeitende Mitbürgerin sieht inzwischen ein: Unternehmen lassen sich nicht demokratisch führen. Einer muss das Sagen haben. Und selbst, wenn er das Falsche sagt, verdient er gerade dafür eine millionenschwere Abfindung. Denn gerade Falsches durchzusetzen, erfordert die Überzeugungskraft einer wahren Führungspersönlichkeit. Wer die Konjunktur ankurbeln und Produkte verkaufen will, muss werben, selbst wenn seine Produkte weder überragend noch gefragt sind. Zukünftige Konsumenten gilt es zu überzeugen. Und das umso mehr, je geringer deren Bedürfnis nach den Produkten ist.

Schon im Wahlkampf lernt der Politnachwuchs, Reformen anzupreisen, die vom Normalbürger Opfer verlangen und schwer kämpfenden Großunternehmen existenznotwendige Erleichterungen verschaffen, um ihre Gewinnen ungehindert zum Wohl der Volkswirtschaftler steigern zu können.

So ist zum Beispiel Bürokratieabbau und vor allem der Abbau von Bürokratenstellen in Bund, Ländern und Kommunen mehr als angesagt. Denn erstens können Bürokraten mit ihren hoheitlichen Steuereinnahmeverlangen und mit ihrem manischen Kontrollansinnen gewinnträchtiges Großunternehmer-Bemühen behindern. Zweitens braucht die Wirtschaft geübte gewinnorientierte Arbeitsstellenabbauer. An ihren Ministerien und Verwaltungen können Politiker schon einmal Stellenkürzungen üben, damit sie später in den Unternehmen beim Outsourcing nicht zu überflüssigen Skrupeln neigen.

Unter immer seltener werdenden Ausnahmebedingungen setzt sich glücklicher Weise der lästige Wählerwille kaum noch durch. Vernünftige Wählerinnen und Wähler wissen, dass sie starke Entscheider brauchen, die ihnen unverblümt zu sagen wagen, wo es wirtschaftlich lang zu gehen hat.

Die Demokratie, diese längst absolut unzeitgemäße Staatsform, bedeutete, als man sie sich noch leisten konnte, Teilhabe und Teilnahme. Inzwischen haben weder Bürger noch Bürgermeister, weder (Minister-)Präsidenten noch Kanzlerinnen ausreichend Zeit für derartigen Luxus. Regieren sollen sie und sich nicht vom Volk ablenken lassen.

Deutsch und einsichtig, wie die da unten sind, haben sie längst begriffen, dass jene da oben machen können, was sie machen wollen. Langatmiges Ausdiskutieren in veralteten volksherrschaftlichen Organen fordern nur noch fossile basisdemokratische Politromantiker. Die hatten ihre besten Zeiten in den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Noch heute leidet Deutschlands Elite an den Spätfolgen jener Revoluzzer.

Einsichtige Bürgerinnen und Bürger gehören längst der größten deutschen Partei an. Dennoch bemühen sich Politprofis gegen besseres Wissen immer noch demokratisch zu denken und verurteilen daher die Nichtwähler als unpolitisch und abständig. Doch weise, einsichtig und entgegen aller demokratischen Tugend verzichten die Nichtwähler auf ihr gutes Wahlrecht. Sie kennen ihre Pflicht auf Verzicht.

Sie ist bekanntlich Geld, unsere (moderne) Zeit. Alles, was nicht schnell entschieden und produziert wird, gibt auf dem freien Markt rasanter herstellenden und potenteren Konkurrenten die Möglichkeit, Produkte zu platzieren und volkswirtschaftlich notwendige Gewinne zu machen. Je mehr Gewinne in immer kürzeren Zeitabschnitten eingefahren werden, desto erfolgreicher läuft der Wirtschaftsapparat. Heiß laufen kann er sich nicht, denn unsere potenten Wirtschaftsbosse verfügen über genügend Schmiermittel. Geld, Rohstoffe, Waffen und Humankapital lassen den Apparat selbst auf Höchsttouren noch rund laufen.

Nur als Konsument könnte der deutsche Michel noch Einfluss auf die Wirtschaftspolitik ausüben. Durch die freie Wahl des jeweiligen Anbieters wäre er in der Lage, diesen zu wechseln und damit wirtschaftpolitisch Einfluss zu nehmen.

Doch welcher wirklich loyale deutsche Konsument ließe sich zu solcher Untreue hinreißen?

Kundentreue ist die erste Konsumentenpflicht.

Selbstverleugnend unterdrückten in letzter Zeit manche Kunden ihr wahres deutsches Wesen und wechselten unter massiven Schuldgefühlen zu einem billigeren Energieanbieter.

Der wahre Deutsche lässt sich eben von Politikern, Werbefachleuten, Wirtschaftsexperten und Wissenschaftlern, also von Leuten, die es nun einmal besser wissen, sogar wider sein Gewissen überzeugen. Er bemüht sich Wohlbefinden im Wirtschaftskapitalismus selbst dann zu verwirklichen, wenn er dabei subjektiv nicht jenes Glück empfindet, das ihm die Werbebranche vor allem mit nackten Tatsachen, mit spärlich bekleideten jungen Körpern und überzeugenden Bildern von Freiheit und Abenteuer garantiert. Sogar Geiz lässt der eher großzügige Deutsche sich als geil verkaufen.

Klaglos sieht andererseits der an sich bescheidene Deutsche ein, dass er nicht alles haben kann. Doch heroisch und unter Selbstverleugnung seines loyalen und weitherzigen spätgermanischen Wesens verteidigt er als Kunde seinen freien Markt und kommt damit seiner patriotischen Pflicht nach. Immerhin ist der freie europäische und damit auch deutsche Markt von Schurkenstaaten, fundamentalistischen Islamisten und ausgehungerten Afrikanern extrem bedroht.

Die Freiheit des Marktes lassen Deutsche als Nachfolger freiheitsliebender Germanen sich und ihren Großunternehmern nicht nehmen.

In ihrem sozialen Gemeinwesen, dem auch ihre hart arbeitenden Großunternehmer so lange angehören, bis sie wirklich nicht mehr können, herrscht Gemeinsinn. Und auch die deutsche Unternehmerpersönlichkeit zeichnet sich durch absolute Loyalität aus. Nur unter unerträglichen Qualen massiver Schuldgefühle würde ein deutscher Großunternehmer allenfalls aus Steuerersparnisgründen oder wegen gewinnträchtigerer Produktionsbedingungen mit seinem Werk die Heimat verlassen. Die Freiheit des Marktes verlangt eben gelegentlich von jedem Opfer.

Karl Feldkamp


***


Die Brücke ist zu breit

Necati Merts Rundmail mit der Bitte um Unterstützung der von Pleite bedrohten BRÜCKE hat mich erreicht. Dummerweise bin ich ein armer Schlucker, der zu Scharfzüngigkeit neigt. Zunächst verkünde ich meine Bereitschaft, die Hälfte des Honorars für meinen jüngsten Artikel im Wochenblatt FREITAG an die BRÜCKE weiter zu leiten - vorausgesetzt, die 99,84 Euro treffen irgendwann bei mir ein. Nachdem sich Jacob Augstein den FREITAG unter den Nagel gerissen hat, um ein noch harmloseres Feigenblatt vorm SPIEGEL aus ihm zu machen, zweifle ich daran. Mein bislang unbezahlter Artikel erschien am 21.September 07. Eine nachhakende e-mail wurde ignoriert. Jetzt müßte ich telefonieren - vielleicht im Werte von bereits 0,5 Prozent meines ausstehenden Honorars?

Mert beklagt, Einnahmeverluste und Einsparungen hielten nicht mit der Textflut und dem deshalb erforderlichen Umfang der BRÜCKE Schritt. Für meine Einfalt wäre es da allerdings naheliegend, Mert legte das kürzende Hackebeilchen zunächst einmal an seine eigenen, stets gewaltig ausufernden BRÜCKE-Beiträge an. Eine Sache ist ja, wenn Mert sich offenbar rastlos für die Zeitschrift ins Zeug legt und dabei sogar seine Gesundheit aufs Spiel setzt, eine andere jedoch, daß er ihr derart anstrengende Fracht wie seine Aufsätze und selbst Editorials aufdrückt. Streckenweise sind sie schlicht unverständlich. Die Ergründung ihres roten Fadens und übrigen Sinngehalts gestaltet sich wegen Merts befremdlicher Wollust an blumigen Worten und Wagners Stabreimen leider nicht einfacher. Ich wage diese möglicherweise harten Urteile, weil ich selber schon genug davon einzustecken hatte. Niemand zwingt uns, öffentlich zu schreiben. Stanislaw Lem bemerkte einmal in einem Interview, in der Literatur gebe es keine mildernden Umstände. Niemand könne sagen, er habe geschrieben, um Frau und Kinder zu ernähren. DIE BRÜCKE zahlt ja sowieso nichts.

Weiter bekenne ich, viele andere BRÜCKE-Beiträge oft für zu schwach, unbeholfen, umständlich oder belanglos zu halten. Das hängt natürlich mit dem BRÜCKE-Konzept zusammen, soweit ich es kenne (und nicht mißverstehe). Man will literarische Füchse und literarische Greenhorns, daneben auch möglichst viele gesellschafts- oder Rassismus-kritische Strömungen unter einem BRÜCKENbogen vereinen. Alle Unterstützer der BRÜCKE sollen auch ihre schreibenden Nutzer sein dürfen. Eine Zensur findet nicht oder kaum statt. Sogar eine Schmährede gegen einen gewissen Reitmeier ging neulich (in Nr.141) durch.

Ich fürchte jedoch, dergleichen pluralistische und basisdemokratische Konzepte sind auf Dauer nur um den Preis zu halten, daß niemandem so recht damit gedient ist. Das sage ich auch als ehemaliges Mitglied verschiedener anarchistischer Kommunen. Die Unbedarften werden nicht genötigt sich zu schärfen; die Aktivisten werden gelähmt. Das Unentschiedene des Konzepts führt zu Zähflüssigkeit und Unförmigkeit. Ich persönlich plädiere stattdessen für ein Profil. Wobei es meines Erachtens auch nicht möglich ist, eine Mitte zwischen Literatur und Nichtliteratur zu halten. Die „Mitte“ eignet sich für Politiker, die es allen recht machen wollen. Literatur dagegen hat der Wahrheit zu dienen - und sei es nur einer persönlichen. Deshalb muß sie genau, klar, mustergültig geschrieben sein. Das braucht langwierige Anstrengungen. SchreiberInnen, die sich diese ersparen möchten, sollten um Verständnis gebeten und abgewiesen werden. Im Glücksfall ist Spielraum genug da, um ihnen Fingerzeige zu geben. Aber das Lektorat stirbt ja heutzutage auch schon auf der Ebene von SCHEIDEWEGE und HANSER-VERLAG aus.

Mit anderen Worten: „meine“ Redaktion wäre befugt, über die Einhaltung eines bestimmten Statuts zu wachen, in der die Aufgaben und das Niveau der Zeitschrift genau umrissen sind. In diesem Rahmen hätte sie Ermessensspielraum. Mißfallen ihre Entscheidungen zu vielen Vereinsmitgliedern, wird sie halt bei nächster Gelegenheit abgewählt. Allen übrigen bürokratischen Apparat - etwa die aufgeblähten Beiräte -würde ich abschaffen. Ich würde aber auch mit „Transparenz“ etwas ernster machen als die jetzige Redaktion. Die Entwicklung von Texteinreichungen, Auflage, Abos, Finanzen muß regelmäßig in der BRÜCKE selber offengelegt werden. Dabei geht es um konkrete Zahlen, nicht um allgemeine Seufzer.

Die beinahe klammheimliche Umwandlung in eine Viermonatsschrift würde ich rückgängig machen. Die vorgeschlagene Ablehnung zahlreicher Texte und das erträumte Profil lassen sicherlich eine schmale Vierteljahresschrift zu. Viel Land würde die BRÜCKE bereits durch die Eindämmung der Lyrikflut gewinnen. Wäre ich Kapitän, flögen nahezu sämtliche Gedichte heraus. Sollte jemand an einer kritischen Betrachtung der Lyrik-Frage interessiert sein: ich habe darüber schon zwei Essays verfaßt, die ich auf Wunsch gern versende. Geschieht das Wunder und meine 50 Euro treffen ein, schafft zumindest sofort das glänzende Papier ab, denn es ist eine Qual für die Augen. Ein generelles Korrekturlesen der BRÜCKE-Beiträge wäre auch nicht schlecht.

Henner Reitmeier

   

Netzbrücke:

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