Einst galt es jedem Deutschen als lustvolle Pflicht, stolz auf den
arischsten aller Führer zu sein, auf seine über jeden
Irrtum erhabene Vorsehung und seine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit.
Genau diese Volkspflicht drohte bei der Mehrzahl deutscher Volkskörper
allmählich altmodisch zu werden.
Inzwischen sind zum Wohle des Volkes wieder wahre
deutsche Führungspersönlichkeiten gefragt. Kraftvoll setzen
sie sich zwischen den Wahlen gegen eigene Wahlversprechen und die
niederen Interessen des gemeinen und unwissenden Volkes durch. Zu
Recht bewundert Michel, Deutschlands einsichtiger Untertan, ihre
Standfestigkeit und niemals könnte das kluge Hirn unter der
wärmenden Zipfelmütze den unmittelbaren Anschluss an besser
wissende deutsche Vordenker verweigern.
So hat Michel den notwendigen Respekt vor Basta-Kanzlern,
Durchhalteministern und starken Frauen in Regierungsämtern,
vor jenen Felsen in der Brandung, die sich durch fast nichts und
schon gar nicht durch volkseigne (und damit gottlos kommunistische)
Bedürfnisse umstimmen lassen? Volkseigentum ist out und daher
zum Glück auf dem notwendigen Weg, privatisiert zu werden.
Erfahrene und äußerst umsichtige Führer
sind in Wirtschaft und Politik gefragt. Nur sie können das
Großunternehmen Deutschland nach den bewährten Gepflogenheiten
eines Wirtschaftsunternehmens regieren. Politik ist nun einmal vor
allem Wirtschaftspolitik. Denn, wenn nicht aus der Wirtschaft, woher
soll sonst das notwendige Geld kommen?
Ein seriöser Politiker geht mit gutem Beispiel
voran. Er käme nicht einmal auf die Idee, als Konjunkturbremser
aufzutreten. Und selbst nach der politischen Karriere wird er daher
nicht als arbeitsloser und Altersversorgung beziehender Sozialfall
die Volkswirtschaft belasten.
Alle Spitzenpolitiker bemühen sich schon während,
aber spätestens nach ihrer politischen Karriere um einen reibungslosen
Übergang auf einen Arbeitsplatz in Großunternehmenschefetagen.
Dort können sie ihren bisher überwiegend uneigennützigen
Dienst an der Volkswirtschaft mit dem verdienten Eigennutz fortsetzen
Schließlich soll die Wirtschaft doch allen Bürgerinnen
und Bürger nützen.
Dennoch treibt nicht etwa Vorteilsnahme den wahren
Politprofi. Nein, die Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung des
Vaterlandes ist sein vorrangiges Anliegen. Und der Aufschwung schwingt
sich am besten ungehindert von Reibungsverlusten zu den stets notwendigen
noch höheren Wachstumsprozenten hinauf.
Jeder arbeitende Mitbürger und selbstverständlich
auch jede arbeitende Mitbürgerin sieht inzwischen ein: Unternehmen
lassen sich nicht demokratisch führen. Einer muss das Sagen
haben. Und selbst, wenn er das Falsche sagt, verdient er gerade
dafür eine millionenschwere Abfindung. Denn gerade Falsches
durchzusetzen, erfordert die Überzeugungskraft einer wahren
Führungspersönlichkeit. Wer die Konjunktur ankurbeln und
Produkte verkaufen will, muss werben, selbst wenn seine Produkte
weder überragend noch gefragt sind. Zukünftige Konsumenten
gilt es zu überzeugen. Und das umso mehr, je geringer deren
Bedürfnis nach den Produkten ist.
Schon im Wahlkampf lernt der Politnachwuchs, Reformen
anzupreisen, die vom Normalbürger Opfer verlangen und schwer
kämpfenden Großunternehmen existenznotwendige Erleichterungen
verschaffen, um ihre Gewinnen ungehindert zum Wohl der Volkswirtschaftler
steigern zu können.
So ist zum Beispiel Bürokratieabbau und vor allem
der Abbau von Bürokratenstellen in Bund, Ländern und Kommunen
mehr als angesagt. Denn erstens können Bürokraten mit
ihren hoheitlichen Steuereinnahmeverlangen und mit ihrem manischen
Kontrollansinnen gewinnträchtiges Großunternehmer-Bemühen
behindern. Zweitens braucht die Wirtschaft geübte gewinnorientierte
Arbeitsstellenabbauer. An ihren Ministerien und Verwaltungen können
Politiker schon einmal Stellenkürzungen üben, damit sie
später in den Unternehmen beim Outsourcing nicht zu überflüssigen
Skrupeln neigen.
Unter immer seltener werdenden Ausnahmebedingungen
setzt sich glücklicher Weise der lästige Wählerwille
kaum noch durch. Vernünftige Wählerinnen und Wähler
wissen, dass sie starke Entscheider brauchen, die ihnen unverblümt
zu sagen wagen, wo es wirtschaftlich lang zu gehen hat.
Die Demokratie, diese längst absolut unzeitgemäße
Staatsform, bedeutete, als man sie sich noch leisten konnte, Teilhabe
und Teilnahme. Inzwischen haben weder Bürger noch Bürgermeister,
weder (Minister-)Präsidenten noch Kanzlerinnen ausreichend
Zeit für derartigen Luxus. Regieren sollen sie und sich nicht
vom Volk ablenken lassen.
Deutsch und einsichtig, wie die da unten sind, haben
sie längst begriffen, dass jene da oben machen können,
was sie machen wollen. Langatmiges Ausdiskutieren in veralteten
volksherrschaftlichen Organen fordern nur noch fossile basisdemokratische
Politromantiker. Die hatten ihre besten Zeiten in den sechziger
und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Noch heute leidet
Deutschlands Elite an den Spätfolgen jener Revoluzzer.
Einsichtige Bürgerinnen und Bürger gehören
längst der größten deutschen Partei an. Dennoch
bemühen sich Politprofis gegen besseres Wissen immer noch demokratisch
zu denken und verurteilen daher die Nichtwähler als unpolitisch
und abständig. Doch weise, einsichtig und entgegen aller demokratischen
Tugend verzichten die Nichtwähler auf ihr gutes Wahlrecht.
Sie kennen ihre Pflicht auf Verzicht.
Sie ist bekanntlich Geld, unsere (moderne) Zeit. Alles,
was nicht schnell entschieden und produziert wird, gibt auf dem
freien Markt rasanter herstellenden und potenteren Konkurrenten
die Möglichkeit, Produkte zu platzieren und volkswirtschaftlich
notwendige Gewinne zu machen. Je mehr Gewinne in immer kürzeren
Zeitabschnitten eingefahren werden, desto erfolgreicher läuft
der Wirtschaftsapparat. Heiß laufen kann er sich nicht, denn
unsere potenten Wirtschaftsbosse verfügen über genügend
Schmiermittel. Geld, Rohstoffe, Waffen und Humankapital lassen den
Apparat selbst auf Höchsttouren noch rund laufen.
Nur als Konsument könnte der deutsche Michel
noch Einfluss auf die Wirtschaftspolitik ausüben. Durch die
freie Wahl des jeweiligen Anbieters wäre er in der Lage, diesen
zu wechseln und damit wirtschaftpolitisch Einfluss zu nehmen.
Doch welcher wirklich loyale deutsche Konsument ließe
sich zu solcher Untreue hinreißen?
Kundentreue ist die erste Konsumentenpflicht.
Selbstverleugnend unterdrückten in letzter Zeit
manche Kunden ihr wahres deutsches Wesen und wechselten unter massiven
Schuldgefühlen zu einem billigeren Energieanbieter.
Der wahre Deutsche lässt sich eben von Politikern,
Werbefachleuten, Wirtschaftsexperten und Wissenschaftlern, also
von Leuten, die es nun einmal besser wissen, sogar wider sein Gewissen
überzeugen. Er bemüht sich Wohlbefinden im Wirtschaftskapitalismus
selbst dann zu verwirklichen, wenn er dabei subjektiv nicht jenes
Glück empfindet, das ihm die Werbebranche vor allem mit nackten
Tatsachen, mit spärlich bekleideten jungen Körpern und
überzeugenden Bildern von Freiheit und Abenteuer garantiert.
Sogar Geiz lässt der eher großzügige Deutsche sich
als geil verkaufen.
Klaglos sieht andererseits der an sich bescheidene
Deutsche ein, dass er nicht alles haben kann. Doch heroisch und
unter Selbstverleugnung seines loyalen und weitherzigen spätgermanischen
Wesens verteidigt er als Kunde seinen freien Markt und kommt damit
seiner patriotischen Pflicht nach. Immerhin ist der freie europäische
und damit auch deutsche Markt von Schurkenstaaten, fundamentalistischen
Islamisten und ausgehungerten Afrikanern extrem bedroht.
Die Freiheit des Marktes lassen Deutsche als Nachfolger
freiheitsliebender Germanen sich und ihren Großunternehmern
nicht nehmen.
In ihrem sozialen Gemeinwesen, dem auch ihre hart
arbeitenden Großunternehmer so lange angehören, bis sie
wirklich nicht mehr können, herrscht Gemeinsinn. Und auch die
deutsche Unternehmerpersönlichkeit zeichnet sich durch absolute
Loyalität aus. Nur unter unerträglichen Qualen massiver
Schuldgefühle würde ein deutscher Großunternehmer
allenfalls aus Steuerersparnisgründen oder wegen gewinnträchtigerer
Produktionsbedingungen mit seinem Werk die Heimat verlassen. Die
Freiheit des Marktes verlangt eben gelegentlich von jedem Opfer.
Karl Feldkamp
***
Die Brücke ist zu breit
Necati Merts Rundmail mit der Bitte um Unterstützung
der von Pleite bedrohten BRÜCKE hat mich erreicht. Dummerweise
bin ich ein armer Schlucker, der zu Scharfzüngigkeit neigt.
Zunächst verkünde ich meine Bereitschaft, die Hälfte
des Honorars für meinen jüngsten Artikel im Wochenblatt
FREITAG an die BRÜCKE weiter zu leiten - vorausgesetzt, die
99,84 Euro treffen irgendwann bei mir ein. Nachdem sich Jacob Augstein
den FREITAG unter den Nagel gerissen hat, um ein noch harmloseres
Feigenblatt vorm SPIEGEL aus ihm zu machen, zweifle ich daran. Mein
bislang unbezahlter Artikel erschien am 21.September 07. Eine nachhakende
e-mail wurde ignoriert. Jetzt müßte ich telefonieren
- vielleicht im Werte von bereits 0,5 Prozent meines ausstehenden
Honorars?
Mert beklagt, Einnahmeverluste und Einsparungen hielten
nicht mit der Textflut und dem deshalb erforderlichen Umfang der
BRÜCKE Schritt. Für meine Einfalt wäre es da allerdings
naheliegend, Mert legte das kürzende Hackebeilchen zunächst
einmal an seine eigenen, stets gewaltig ausufernden BRÜCKE-Beiträge
an. Eine Sache ist ja, wenn Mert sich offenbar rastlos für
die Zeitschrift ins Zeug legt und dabei sogar seine Gesundheit aufs
Spiel setzt, eine andere jedoch, daß er ihr derart anstrengende
Fracht wie seine Aufsätze und selbst Editorials aufdrückt.
Streckenweise sind sie schlicht unverständlich. Die Ergründung
ihres roten Fadens und übrigen Sinngehalts gestaltet sich wegen
Merts befremdlicher Wollust an blumigen Worten und Wagners Stabreimen
leider nicht einfacher. Ich wage diese möglicherweise harten
Urteile, weil ich selber schon genug davon einzustecken hatte. Niemand
zwingt uns, öffentlich zu schreiben. Stanislaw Lem bemerkte
einmal in einem Interview, in der Literatur gebe es keine mildernden
Umstände. Niemand könne sagen, er habe geschrieben, um
Frau und Kinder zu ernähren. DIE BRÜCKE zahlt ja sowieso
nichts.
Weiter bekenne ich, viele andere BRÜCKE-Beiträge
oft für zu schwach, unbeholfen, umständlich oder belanglos
zu halten. Das hängt natürlich mit dem BRÜCKE-Konzept
zusammen, soweit ich es kenne (und nicht mißverstehe). Man
will literarische Füchse und literarische Greenhorns, daneben
auch möglichst viele gesellschafts- oder Rassismus-kritische
Strömungen unter einem BRÜCKENbogen vereinen. Alle Unterstützer
der BRÜCKE sollen auch ihre schreibenden Nutzer sein dürfen.
Eine Zensur findet nicht oder kaum statt. Sogar eine Schmährede
gegen einen gewissen Reitmeier ging neulich (in Nr.141) durch.
Ich fürchte jedoch, dergleichen pluralistische
und basisdemokratische Konzepte sind auf Dauer nur um den Preis
zu halten, daß niemandem so recht damit gedient ist. Das sage
ich auch als ehemaliges Mitglied verschiedener anarchistischer Kommunen.
Die Unbedarften werden nicht genötigt sich zu schärfen;
die Aktivisten werden gelähmt. Das Unentschiedene des Konzepts
führt zu Zähflüssigkeit und Unförmigkeit. Ich
persönlich plädiere stattdessen für ein Profil. Wobei
es meines Erachtens auch nicht möglich ist, eine Mitte zwischen
Literatur und Nichtliteratur zu halten. Die „Mitte“
eignet sich für Politiker, die es allen recht machen wollen.
Literatur dagegen hat der Wahrheit zu dienen - und sei es nur einer
persönlichen. Deshalb muß sie genau, klar, mustergültig
geschrieben sein. Das braucht langwierige Anstrengungen. SchreiberInnen,
die sich diese ersparen möchten, sollten um Verständnis
gebeten und abgewiesen werden. Im Glücksfall ist Spielraum
genug da, um ihnen Fingerzeige zu geben. Aber das Lektorat stirbt
ja heutzutage auch schon auf der Ebene von SCHEIDEWEGE und HANSER-VERLAG
aus.
Mit anderen Worten: „meine“ Redaktion
wäre befugt, über die Einhaltung eines bestimmten Statuts
zu wachen, in der die Aufgaben und das Niveau der Zeitschrift genau
umrissen sind. In diesem Rahmen hätte sie Ermessensspielraum.
Mißfallen ihre Entscheidungen zu vielen Vereinsmitgliedern,
wird sie halt bei nächster Gelegenheit abgewählt. Allen
übrigen bürokratischen Apparat - etwa die aufgeblähten
Beiräte -würde ich abschaffen. Ich würde aber auch
mit „Transparenz“ etwas ernster machen als die jetzige
Redaktion. Die Entwicklung von Texteinreichungen, Auflage, Abos,
Finanzen muß regelmäßig in der BRÜCKE selber
offengelegt werden. Dabei geht es um konkrete Zahlen, nicht um allgemeine
Seufzer.
Die beinahe klammheimliche Umwandlung in eine Viermonatsschrift
würde ich rückgängig machen. Die vorgeschlagene Ablehnung
zahlreicher Texte und das erträumte Profil lassen sicherlich
eine schmale Vierteljahresschrift zu. Viel Land würde die BRÜCKE
bereits durch die Eindämmung der Lyrikflut gewinnen. Wäre
ich Kapitän, flögen nahezu sämtliche Gedichte heraus.
Sollte jemand an einer kritischen Betrachtung der Lyrik-Frage interessiert
sein: ich habe darüber schon zwei Essays verfaßt, die
ich auf Wunsch gern versende. Geschieht das Wunder und meine 50
Euro treffen ein, schafft zumindest sofort das glänzende Papier
ab, denn es ist eine Qual für die Augen. Ein generelles Korrekturlesen
der BRÜCKE-Beiträge wäre auch nicht schlecht.
Henner Reitmeier
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