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Ein Sachbearbeiter bei der Ausländerbehörde ging eines
Morgens seinen Posteingang durch. In einer Mappe lag ein Haftbefehl.
Darin stand, dass der Beschuldigte, ein mazedonischer Staatsangehöriger,
in drei Fällen an eine Frau Heroin und Kokain veräußert
habe. Na ja, war zwar alles noch nicht erwiesen, aber den würde
der Richter schon vollends platt machen.
Der Sachbearbeiter rief auf seinem PC den Formulartext
„Anhörung“ auf, setzte den Namen des Mazedoniers
sowie das Datum des Haftbefehls ein und druckte das Schreiben aus.
„... am 11.03. wurden Sie festgenommen ... Deshalb
muss geprüft werden, ob die Voraussetzungen für eine Ausweisung
vorliegen ... Damit Ihre persönliche Situation bei dieser Entscheidung
berücksichtigt werden kann, möchten wir Ihnen nach §
28 LVwVfG Gelegenheit geben, sich zu einer möglichen Ausweisung
... im Zeitpunkt der Haftentlassung bis spätestens 20.04. zu
äußern ...“
Knapp zwei Wochen nach Beginn der Untersuchungshaft
erhielt der Mazedonier dieses Schreiben vom 23.3. im Gefängnis
Stammheim. Er gab es seinem Verteidiger. Der sagte, er kümmere
sich darum, legte es dann in der Akte seines Mandanten ab und vergaß
es.
Ungefähr drei Monate später sandte das Amtsgericht
Stuttgart der Ausländerbehörde das rechtskräftige
Strafurteil gegen den Mazedonier. Er hatte wegen Verstoßes
gegen das Betäubungsmittelgesetz eine Freiheitsstrafe von 2
Jahren bekommen.
Na also. Ein Ausländer, der wegen Drogen zu einer
Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde, flog nach
dem Aufenthaltsgesetz aus Deutschland raus. Allerdings hatte der
Typ eine Frau, die deutsche Staatsangehörige war. Man musste
noch bei ihr nachfragen, ob sie sich scheiden ließ. Falls
ja, war die Sache ganz einfach. Für diese Anfrage gab es einen
feinen Vorgang, der so formuliert war, dass das Weib nicht merkte,
was man vorhatte, falls sie sich von dem Ganoven nicht trennen wollte.
„... Für den besonderen Ausweisungsschutz
genügt es, wenn insoweit nach Haftentlassung eine vor Inhaftierung
bestandene eheliche Lebensgemeinschaft fortgesetzt wird. ...“
Die Frau des Mazedoniers antwortete sogar, war nicht
so nachlässig wie ihr Mann. Sie wollte an der Ehe festhalten,
um mit ihrem Mann die gemeinsame dreijährige Tochter zu betreuen.
Das half ihr nichts. Der Dealer würde auf den
Balkan zurückgeschickt werden. Der Sachbearbeiter suchte einen
Vorgang heraus, in dem es um Dealen mit harten Drogen und deutsche
Familienangehörige ging und begann zu diktieren. Hauptargument
war, dass der Mazedonier wegen der wirtschaftlichen Situation keine
Aussicht auf Arbeit habe und daher die konkrete Gefahr bestehe,
dass er wieder mit Drogen handle.
Kaum war die Ausweisungsverfügung zugestellt,
rief schon die Frau des Mazedoniers an. Sie wollte vom Sachbearbeiter
wissen, ob er ihr Schreiben denn nicht bekommen habe, es bestehe
doch Ausweisungsschutz. Dann sagte sie, ihr Mann habe einen Arbeitsvertrag.
Darauf der Sachbearbeiter: „Wenn ich das gewusst hätte
... aber jetzt ist es schon passiert.“
Eineinhalb Wochen nach diesem Gespräch hatte
der Sachbearbeiter das Schreiben eines Juristen vor sich, der mit
dem Mazedonier befreundet war und sich an den Leiter der Dienststelle
gewandt hatte, der nun um Rücksprache bat.
Der Jurist sagte: „Das Grundproblem des Bescheids
ist, dass kein rechtliches Gehör gewährt wurde. Der Verfasser
des Bescheids beruft sich auf ein Schreiben vom 23.3., das mir nicht
bekannt ist. ... Am 23.3. ging man jedoch davon aus, dass eine Strafaussetzung
zur Bewährung ausgesprochen wird, sodass die Frage einer Ausweisung
nicht relevant war. Erst als das Strafurteil am 1.6. ergangen war
bzw. nach dessen Rechtskraft am 20.6. hätte die Ausländerbehörde
rechtliches Gehör gewähren dürfen; da erst war die
gesamte Tragweite des Strafverfahrens erkennbar. Weil dieses rechtliche
Gehör bzw. nähere Ermittlungen nicht stattgefunden haben,
geht der Verfasser des Bescheids von einer unzutreffenden Tatsachengrundlage
aus...“
Typisch juristische Haarspalterei. Sie forderten die
Ausländer immer schon während der Untersuchungshaft zur
Stellungnahme auf. Auf die weiteren Argumente des Juristen brauchte
man nicht einzugehen, da bei Ausweisung der Sachstand im Moment
der Behördenentscheidung maßgeblich war; sowieso blödes
Geschwätz wie nur e i n e bereits drogenabhängige Abnehmerin,
die den Mazedonier angestiftet und ihm einen Job in ihrer Firma
versprochen hat, Ersttäter, Kontakt zur Abnehmerin abgebrochen,
weil sie gegen den Typ ausgesagt hat, außerdem Arbeitsvertrag,
daher keine Wiederholungsgefahr, schwerwiegende Folgen für
die dreijährige Tochter. Der Sachbearbeiter entwarf also ein
knappes ablehnendes Schreiben für seinen Vorgesetzten.
Diese Antwort leuchtete dem seltsamen Juristen nicht
ein. Er erhob Klage für den Mazedonier, dessen Frau und dessen
Tochter und machte z.B. geltend, die Verfügung sei ein Verwaltungsakt
mit Drittwirkung und auch der Ehefrau hätte unter Mitteilung
der Ausweisungsabsicht rechtliches Gehör gewährt werden
müssen.
Wochen später ging ein weiterer Schriftsatz des
penetranten Juristen ein.
„Der Kläger hatte nach der Strafprozessordnung
sowohl gegenüber den Ermittlungsbehörden als auch gegenüber
dem Gericht das Recht zu schweigen. In dieses Recht darf aber nicht
durch eine sogenannte Anhörung in einem Ausweisungsverfahren
eingegriffen werden. ... Selbst wenn der Kläger zu der Auffassung
gelangt wäre, er sollte zu seiner ‚persönlichen
Situation‘ Angaben machen, hätte er damit konkludent
eingeräumt, dass ein Ausweisungstatbestand vorliegt und dass
er somit eine schwerwiegende Straftat begangen hat. Und genau das
konnte man von ihm gemäß der Strafprozessordnung während
der Dauer eines Strafverfahrens nicht verlangen. Aus all dem erkennt
man, wie absurd, sinnlos und rechtswidrig es war, vor einem Strafurteil
eine sogenannte Anhörung anzugehen. ...“
Und dann wies der Jurist noch auf die fortgeltende
Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz hin. Danach hatte
die Behörde im Ausweisungsverfahren die schutzwürdigen
persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des
Ausländers und die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen
... von Amts wegen zu berücksichtigen. Und im Rahmen der Anhörung
waren ihm sowohl die Ausweisungsabsicht als auch die dafür
maßgeblichen Gründe wie Wiederholungsgefahr mitzuteilen.
Der Jurist beanstandete, dass das Schreiben vom 23.3.
diese Anforderungen in keiner Weise erfülle. Und dann kam:
„Dass die Verantwortlichen der Ausländerbehörde
bei einem Ausweisungsverfahren, das existentielle Bedeutung hat,
sogar die einschlägige Verwaltungsvorschrift nicht beachtet
haben, lässt erkennen, welche Haltung sie Ausländern gegenüber
einnehmen.“
Damit wollte er natürlich beim Richter Stimmung
machen. Dass der Jurist diese Verwaltungsvorschrift entdeckt hatte,
war schon ein Tiefschlag. Wenn ein Deutscher Kläger wäre,
wäre das wohl das Aus für die Staatsseite. Aber es ging
ja nur um so einen Untermenschen vom Balkan.
***
Verdammte Don Quixots dieser Erde vereint
Euch, der Wind wird zum Sturm
Von Ali San
Kleiner Junge, ein Exemplar der Sorte, die sich den
aktuellen Lebensstil ausgesucht hat, mit zerschnittenen Jeans, Turnschuhe
Marke nicht zugeschnürt, T-Shirt Powerrangers und einer legeren
Jacke, was weiß ich welche Marke, friert ein bisschen neben
der holländischen Windmühle, wartet wahrscheinlich auf
seine Freunde, mit denen er sich auf einen nahe gelegenen Abenteuerspielplatz
begeben wird.
Die Sonne neigt sich gen Abend, rostrote Strahlen
können gerade noch die schweigsame Erde etwas erwärmen.
Der Wind gibt sich Mühe, langsam aber sicher zum Sturm zu werden,
die Windmühle, die nur noch Attraktionscharakter hat, dreht
sich im Rhythmus des stärker werdenden nahrhaften Luftzugs
immer schneller Richtung nirgendwo. Ein Wiehern hört man vom
weitem…
Hunde bellen aus dem entfernten Bauernhof, die Kühe
sammeln sich allmächlich an der Melkplattform. Der Bauer eilt
mit seiner Frau Richtung Plattform. Es gibt viel zu tun, sagt er
mit rauer Stimme und spricht weiter in Richtung seines ergrauten
Barts. Seine Frau hört ihn nicht. Sie ist versunken in Gedanken,
hält zwei große Milchbehälter in den Händen,
die sie gerade noch mit Mühe schleppen kann. Die Hühner
trippeln freudlos hinter ihr her. Idyllisch könnte man meinen,
Friede Freude Eierkuchen. Oder doch nicht.
Ein Schreiberling hinter seiner Schreibmaschine klimpert
heftig auf ein Blatt Papier, sicher und mit bemerkenswertem Elan.
Sein Schreibtisch ist überhäuft mit vollen Dossiers, Büchern,
Schnellheftern und allerlei buntem Papier, ein süßes
Chaos sondergleichen durchzieht nicht nur seine Gedanken. Je länger
das geschriebene Blatt wird, umso mehr löst sicht das Chaos
in seinen Gedanken. Etwas wird zu Etwas. Das ist klar. Aber was..
Nicht alltäglich ist der sich zum Sturm steigernde
Wind in dieser Gegend, häufiger regnet es schon, aber zur Zeit
ist es eigentlich eher trocken. Der Boden hat sich in durcheinander
verlaufende Spalten zersplittert, durstet zusehends nach Wasser.
Die letzten Grashalme haben ihre Hälse gen Himmel gedreht und
bitten nach Feuchtigkeit. So wie ein nicht erhörtes Gebet,
das alle Hoffnungen in der Leere verschallen lässt, so hört
man auch das Knattern des Schreiberlings auf seinem Daktylo.
Etwas muss anders werden, sich verändern, die
Luft ist schwanger und schwer wie ein Blei. Die Kraft, die dieses
Bleierne in der Luft zu bewegen vermag, scheint unter den Fingern
über der Tastatur zu stecken. Nun, es ist noch nicht entschieden,
in welche Richtung es bewegt werden soll, diese Bleierne in seinen
Gedanken, auch in der Luft. Etwas muss sich verändern.
Plötzlich erscheint aus der Ferne ein Krieger,
einen Trichter auf dem Kopf, dunkle Jacke, groß gewachsen,
ein riesiges Schwert in der Hand, sitzt aufrecht auf seinem Maultier,
sein Gesicht sehr entschlossen, hat ein bestimmtes Ziel, geht gerade
auf die Windmühle zu. In diesem Augenblick hört man von
Weitem ein Stöhnen des Bauern, die ersten Milchstrahlen füllen
die Behälter, der Schreiberling tackert seine letzte Zeile,
der Freund des Abenteuererjünglings erscheint am Horizont,
die Frau des Bauern hält einige Eier in ihrer Hand. Der Ritter
holt aus und das Schwert zeichnet ein Z in die Luft. Die Sonne erscheint
zum letzten Mal hinter der grauen Wolke. Die Luft wird nun ersichtlich
leichter, bringt den Duft einer Sonnenblume. Ein Käfer traut
sich aus seinem Versteck. Sogar eine Horde von Ameisen wagt sich
hervor. Hoffnung liegt nun in der Luft. Das Herz des Schreiberlings
schlägt laut. Etwas tut sich. Veränderung liegt in der
Luft. Es wird still. Frieden wird es geben. Bald, sehr bald. Die
Sonne verliert sich in der Dunkelheit, aber ein Bündel Licht
kommt aus dem Finsternis. Etwas Ermutigendes, Hoffnungtragendes,
Schriftbewußtes, Leicht - Begreifliches, etwas Phantastisches,
doch Begreifliches findet seinen Weg im leicht gewordenen Luftzug
Richtung Mühle, Richtung Jünglinge, Richtung Sonnenblume,
Hand in Hand mit den Ameisen, und Hoffnung erfüllt das Leere
zusehends.
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