XXIV. Jahrgang, Heft 139
Jan - Feb - Mär 2006/1

 
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18.01.2006
 
 

 

 

Lyrik




         
 
 


das buffet ist eröffnet

die kalten krieger werden ganz heiß
werden fündig wonach sie gebohrt haben
sprudelnde quellen sind wichtig für missionare
sie beten ihre ordnung herunter in die tiefe

krater reißen umstürzende häuser hoch hinaus
wie die flüge hängen im wirrwarr des radars
ihr leben verheißt töten für einen guten zweck
den sie täglich ans tageslicht fördern

weitab der heimat eingedenk der sterbehilfe
navigieren sie erfolgereich mit dem shareholder value
offshore oder im landesinneren spielt keine rolle
sie füllen sie gut auf die taschen mit tricks

unterhalten damit gerne im fernsehen die gläubigen
mit geistiger nahrung von armseligen fischerbooten
die ihnen scharenweise übers meer zuflüchten
beobachtet aus den schießscharten selektiver aufnahme

den kreislauf schließt die glitzerwelt der reporter
vereint tiefflieger und höhenflügler auf einen schlag
bombenstimmung kommt auf wenn es wieder heißt
the show must go on und das buffet ist eröffnet

Manfred Pricha

Und wenn das Volk schreit

Lohnarbeit?
dann geht das
mit halbierter Arbeitszeit
und wenns ein Platz zum Leben sein soll
nur mit vollem Lohnausgleich
und Dauerarbeitsplätze
hier!
im Nahverkehrsbereich
über die Wupper nicht
und auch nicht übern Jordan
und schon gar nicht
übern großen Teich.
nur so gehts
nicht erst übermorgen
irgendwann im Himmel
sondern
hier auf Erden
und jetzt gleich

Hartmut Barth-Engelbart

Meuterei

Schon Caesar fiel es schwer,
Soldaten bei der Stange zu halten.
Warum auch sollten sie sterben,
damit er herrscht, der Imperator!

Und erst Napoleon!
Ohne Zweifel fesselte er
zerfasertes Gesindel
an seine Armee!

Was aber geschieht,
wenn der Kaiser stirbt,
und keiner bleibt,
dem ich mich opfre?

Und heute? Angloamerikaner,
Menschenrechtspropheten aus Europa,
Schlachttiere des wahren Glaubens,
Friedenspioniere!

Dient euer Opfer, das Leben immerhin,
dem Frieden auf Erden?
Erhebt euch, Männer,
sagt nein!

Wilhelm Riedel

Kindodyssee

Seltsam viereckige Kästen: Güterwaggons, Kloloch
mit Schotterblick, spaltauf die Schiebetür, Stroh
auf dem ich mit offener Ferse saß
Waldfeuer der Ferne: verfärbt, graublau
Die verlassene Egge, der Grubber, rostrot
(Nichts Toteres als Maschinen
die der Mensch aufgab)

Der Alte neben mir, das Rascheln im Silberpapier
Sein Gesichtsausdruck das eines Geistes
von Heiterkeit beherrscht, gleichzeitig leuchtend
Ich wunderte mich über die winzigen Kochbläschen
auf dem Schokoladenriegel, den er mir gab
und wie er zwischen Zunge und Gaumen verging

Einmal
der Strahl einer Dynamo-Lampe in der Pfütze
– der einer Patrouille –
                     im Dunkel

Bilder Jahrzehnte in mir

Meine Mutter – Fuß vor Fuß in Gegenwind und Leere
durch ihre Stirn – trug den Krieg auf dem Rücken:
in der hohlen Hand, in den Eingeweiden

Manchmal
die Sonne im leuchtenden Korn aus Feuer
sah sie das weiß geflochtene Samstagsbrot in ihrer
unschlüssigen Netzhaut

Wo sie auch anklopfte, ließ man sie verharren
fühlte sie das Warten in sich stehen

Reinhard Bernhof

Visite einer untergegangenen Welt

Augenblicklicher Kampf
Zwischen Gut und Böse
Leerer Illusionen
Mit verlorener Hoffnung
Für die Zukunft
In Prosa
Wo Gras wächst
Und wilde Pferde genießen
Als der Stern aufging
Alles ist schon lange her
Atem auf edlem Metall
Verstärkt den Puls
Geschieht im Kopf das Leben
Welches fast nicht mehr ist
Neues bahnbrechendes Verunglücken
Ist nicht mehr fallen vor dem Start
Keine Spekulation ohne Risiko
Kein Parkplatz, Abstellplatz für die Ewigkeit
Für die Zukunft brauchen wir Mut

Jasmina Segrt


    Der Mensch verlässt sein Heim, und alles
    beginnt ihm fremd und aggressiv zu werden.

    ... weil meine Augen viel Trauer, ängstliche
    Gesichter, grundlos erniedrigte ehrenwerte
    Menschen allenthalben gesehen haben ...
                   F. Sánchez Bautista

Das ist einerlei,
ob ich bleibe oder nicht bleibe.
Das ist einerlei,
ob nur mein Lächeln verging an jenem Tage,
ach, ohne Aufwiedersehen noch Veilchen,
ob mein Stern nicht mehr strahlt an jenem Himmel.

Frankreich heißt dieses Land,
das ich Schritt für Schritt gewählt habe,
von wo aus ich voranschreite und
mit einem Hinsterben der Tage,
die in meinen Händen erkalten.
Dieses Land heißt Frankreich.

In diesen Flüssen habe ich weder
Sterne noch Möwen gesehen.
Nur den Wind,
einen Wind, der mir an jedem Tage Kraft gibt.

Ich habe meine Brüder angetroffen,
die traurigen, die ins Exil gegangen,
die der letzten Schlacht,
die den Tod zwischen den Lippen mitschleppen.

Immer am Rande der Erwartung
diese Menschen, wo der Hass
wie eine dürstende Bestie einschläft...
Sie heben die Stimme, sie senken sie,
fallen, steigern ihre Worte
und verlieren sich, ertrinken
wie der Klang in einem wasserlosen Brunnen.

Dort liegen ... León, Asturien, Salamanca,
der Tajo, der Ebro, die Hochebene Kastiliens,
Andalusien,
trostlose Wege der Mancha:
Jene Ländereien von Dichtern und Adeligen
und außerdem
das Meer Kantabriens, der Atlantik, das Mittelmeer...
Ländereien und Gewässer gleichen Fiebers,
beharrend auf ihren vierzig Grad.

... Und plötzlich sagen wir nichts mehr.
Meine Brüder.
Diese Menschen, die ich antraf,
schon in der Geschichte verloren.
Immer am Rande der Hoffnung,
diese Menschen ohne Rückkehr.

María Teresa Cervantes

Schulzeit

Schulzeit – Kennenlernen von Disziplin.
Freiheitseinschränkungen nehmen hin.
Begegnungen mit der Kultur.
Erste Schreibübungen nur
die Hände zu dressieren auf eine Norm,
Hiernach kommt die Zahlenform.
Und nicht nur Zahlen schreiben,
sondern das Gehirn auch anzutreiben.
zu addieren, abzunehmen.
Prozentualitäten vorzunehmen.
Man lernt zunächst deutsche Gebiete kennen,
dann das Wissen auszudehnen
auf Europäische Regionen,
bzw. wie die Eskimos leben und wohnen.
Alsbald wird auch im Geschichtsunterricht
gelehrt wie ein Königreich geformt, zerbricht.
Über Kriege werden die Kinder informiert,
mit welchen Waffen sie geführt.
Als wenn dies für ein Eigenleben wichtig wäre.
Technische Neuheiten geben jedem Land mehr Ehre!
Am Ende der Schulzeit muß jeder Schüler sich entscheiden,
auf welchen Beruf will er sich vorbereiten.
Dann wird allen offenbar,
war der Schulabgänger gelehrig oder ein Narr!

Annemarie Jacobs

verlorenes land

fettaugen
taugen zur schweinchen-mast.
mast-schweinchen, güllen-morast,
morast. aus den angeln gehoben
zerstoben der himmel.
himmel aus güllewind.
‚güllewind’ pfeift das land.
das land schwindsüchtig
süchtig im verratenen traum

Jutta Dornheim

Der Hausaffe

    Eine Neubearbeitung von Kurt Tucholskys
    Gedicht „Der Mitesser“

Er lebt am Rand der klugen Leute,
verkehrt mit Dichtern und heißt Schmidt.
Die Wurscht von morgen frißt er heute
und zieht an fremden Fluppen mit.
Er schwätzt in einem ihm fremden Stile –
    Fauler Kopp!
    Fauler Snob!
Aber davon gibt’s viele.

Er selbst hat nur ein kleines Zimmer
als Untermieter bei Frau Hecht.
Doch was er schwätzt, stinkt immer schlimmer
nach faulem Freud und falschem Brecht.
    Von der Mütze
    über die Grütze
    bis zum trendcoolen Sprech –
    es ist alles nur Fake! Es ist alles nicht echt!

Er wedelt Schwanz1 wie Herr von Stenz.2
Er zeckt sich quer durch die Kolchose.
Er weiß, die Hose trägt man lose.
Er grüßt im Schlie3 die Konsulenz.
    Er schlurpst4 sich wendig und gerissen
    durch fremde Kulissen.

Was er auch hat, das hat er gratis.
Er läuft im Trend, „so irgendwie“.
Er kennt die coolsten Kifferparties.
Nur seine Lage kennt er nie.
    Mal Fiedelrusse, mal Fernstudent,
    mal Zen-Dozent –
    so sehn wir ihn gestern, morgen und heute.
    Ein Affe.
          Ein Hausaffe der klugen Leute.

Ní Gudix

Dieses Gedicht ist Teil der empirischen Hausaffenstudie Der Hausaffenreport, die von Ní Gudix und HEL Toussaint zur Zeit erarbeitet wird. Ein Auszug aus der Gattungsspezifizierung des Hausaffen, lat. simiolus domesticus, im Volksmund auch Untermieter genannt, findet sich in Hausaffentango von Ní Gudix in DIE BRÜCKE 137.

1 Schwanzwedler (kolchosmosisch): einer, der mit falschen Komplimenten andere für sich arbeiten läßt.
2 Stenz: Geck
3 Schlie: Café Schliemann
4 schlurpsen (kolchosmosisch): in fremden Metiers herumdilettieren, herumstümpern. Ein Schlurps ist ein Möchtegern, ein Pseudo.

Georg der Geklonte

Ich frage dich:
Ob du als das Böse aus dem Leib eines Weibchens ausgeschüttet bist,
oder als Klon aus den Zähnen des Drachens - Kadamo entstanden bist,
die in der Erde vergraben wurden?
Ernährst du dich auch mit etwas anderem außer mit menschlichem Unglück und
den Kindern die durch Napalm - Bomben gebraten wurden!?
Hörst du wenigstens manchmal das Heulen der Millionen irakischer Mütter,
dessen Kinder du sogar die Medikamente verboten hast? Du Bastard!
Hast du die Erde mit Uran verseucht
damit in diesem Jahrhundert nur solche Ungeheuer wie du einer bist,
geboren werden?
Ob dich in den ruhelosen Nächten,
der Junge aus dem Irak ohne beide Armen besucht?
Warum hast du aus „Versprochenem Land“
ein Land geschaffen, das von der ganzen Welt verdammt wird und
zu einer Quelle des Todes und jeglichen Übels wurde?
Warum?

Autor anonym – Deutsch von Dragica Schröder

Deutscher Totenmarsch

Wir ruh’n auf fremdem Boden,
gefällt von fremder Hand,
und träumen nun, wir Toten,
vom fernen Vaterland.

Wir träumen und wir schweigen
in dunklen Grabes Ruh’,
doch unsre Geister steigen
der teuren Heimat zu.

Dort stehn wir auf und rühren
an aller Menschen Herz
mit unserm Leid und schüren
den Haß aus Qual und Schmerz.

Und lodern einst die Flammen,
von unsrer Glut entfacht,
und steht das Volk zusammen,
und hellt ein Licht die Nacht,

dann rasen wir, wir Toten,
durchs ganze deutsche Land
und stürzen den Despoten,
wir, die er gleich Heloten
zum Tod auf fremdem Boden
von fremder Hand gesandt!

Frederic W. Nielsen

DEIN NAME SENGT

Dein Name brennt sich in meine Nacht
Des Schmerzes Peitsche knallt mit Feuerschrift
Vokale und Konsonanten hin
Mit ihren Pranken brandmarkt die Einsamkeit
Mit Adlerschnabel mit Falkenkrallen
Abgewetzt und verbannt
Peitscht mich die Nacht zu Boden

Dein Name verschnürt mir die Silbe
Mit Bedreddins Fieber mal in Aydin mal in Edirne
In deutschen Städten eingekerkert in der Festung von Iznik
Sommerniesel draußen, vor mir liegt Serez, unwiderstehlich
Endlos der Kampf, du unverzichtbar
Deines Namens Bann
Peitscht mich Silbe für Silbe zu Boden

Dein Name beweint meine Königin
Ist es ein unlösbares Rätsel
Eitergeschwür oder Skrofel
Ist es die Burg von Cordoba mit Todesblick
Nicht mal ein Pferd ob Schimmel Fuchs Rappe
Um zu dir zu eilen wie der Wind
Peitscht mich meine Königin zu Boden

Yüksel Pazarkaya

Aus: »Du Gegenden. Deutsch-türkische Gedichte«. Sardes Verlag, Hofmannstraße 47, 91052 Erlangen, Tel. 09131/30 12 51, mail@sardes.de

TeleVISION

Befahl Terminator
(Im Traum)
alle Fernsehanstalten
zu zerstören
mit einem Schlag
so viel Frieden
am Montag am Dienstag
wuchsen die Schlangen
vor den Seelsorgezentren
Psychiater
fielen aus Fenstern
in unbekannte Höhen
stiegen die Aktien
der Bierindustrie
überall lagen Rentner
auf den Gleisen

Maximilian Zander

   

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