XXIV. Jahrgang, Heft 139
Jan - Feb - Mär 2006/1

 
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  Letzte Änderung:
18.01.2006
 
 

 

 

In den Kulissen der Teutozentrale

Bambule der Blacks und Beurs
Hommage an den Ablauf der (Feuer-)Tage in Pariser Pläsier-Planeten
von Necati Mert

   
 
 


Unterwegs mit Ressourcen und Geschichten

Wissentlich, das Altbewährte nicht zu gefährden, lassen die kreativen Organisatoren der Elitären-Events karitative Krisen-Kampagnen auf dem ordinären Kriecher-Kurs rollen, um paneuropäische Patrouillen gegen Kosmopolitanen-Karawanen zu kommandieren. Der Kreuz-Stern der Katastrophen muß möglichst außerhalb der Zivilisationszentren kreisen, lautet ihr Leitspruch, z.B. in der Levante. Hier im Landstrich Kleinasien türmt sich eine Bastion als Vorposten des Imperium Okzidentums empor. Der dortigen Republik steht bevor, unter dem gemäßigt-islamistisch angekreuzten Regime vom Status eines panemerikanischen Panzerkreuzers zu einem morgenländischen Kreuzfahrtschiff modelliert zu werden, auf dem alle Akteure der globalen Kastenpyramide tummeln können. Zugleich werden die mit High-Tech-Waffen aufgerüsteten Sturmboote die Seewege überwachen und jene Seelenverkäufer senken, deren Fracht aus den autonomen Migrantenmengen besteht. Der Schrei der Ertrunkenen wird sich in den Fluten auslösen. Die Gewässer der Ägäis gelten längst als Gottesacker.

Doch der Tatort des Todes läßt sich nicht beliebig beschränken. So starben seit den Neunzigern des vorigen Jahrhunderts in der Küstengegend der Costa del Sol vier Mal so viel heimliche Menschen beim versuchten Grenzübertritt als in vierzig Jahren am “Eisernen Vorhang”. In “Freitag” vom 4. November 2005 erzählt Raul Zelik: "Im andalusischen El Ejido, wo für deutsche Nachfrager Obst und Gemüse produziert werden, hat es vor einigen Jahren Pogrome gegen afrikanische Arbeiter gegeben. Auch deshalb ist von der - farbigen - Arbeiterklasse Andalusiens nicht viel zu sehen. Sie versteckt sich.

Und trotzdem legt man natürlich Wert darauf, dass die Arbeiter kommen. Sie müssen kommen. Ohne sie wäre das Geschäft nicht profitabel. Damit sie nützlich sind, müssen sie allerdings zunächst ausgeschlossen werden. Als Legale wären sie „überbezahlt“.

Ist Globalisierung also das: Ein Einschließungsprozess, der auf Ausschließungen beruht und diese vorantreibt?"

Die Ereignisse an den Wallanlagen der Feste Europa in Maghreb sollen keinen millennaren Marasmus, keine mephistophelischen Malaisen manifestieren. Nur wollen die Zentren der Zivilisationsersten aufs Neue zementiert werden. Während sich in D-Land die Fraktionen der Kröten-Kaste in einer koalitionären Liaison re-formierte, frappierte in F-Reich die Furie.


Aufruhr der Ausgeschlossenen

Von der oberen Etage der Überfluß-Allianz übertrumpft und zu überflüssigen Ressourcen erklärt, in die Kaskaden der Kanaillen geraten und im Labyrinth integrationaler Intrigen eingeschlossen, schlossen sich vor dem Antritt der Herbstkälte die Periöken Pariser Peripherie den Flammen einer Revolte an. Der Planetoid der lammfrommen Laien begann zu lärmen und den Planeten der Formvollendeten zu brüskieren. Lichtvolle Nächte drangen in Bildröhre ein. Zensur-Zentren schlugen Alarm. Wieder ging ein Gespenst um im alten Weißen-Kontinent. Die Gegenbilder der Urbanen, die Barbaren, schwangen sich prangend empor, prangerten reaktivierte apartheidsparate Apparaturen an.

Die Manöver-Mentoren der Präventiv-Partie machten sich ans Werk, Mementos zu verteilen. Die Attacke der allochthonen Heloten wurde vorerst als Attrappe artikuliert, die es gilt zu selektieren und unter dem Assimilationsdruck zu naturalisieren. Zuvor etablierte sich ein Berufstand der züchtigen Zivilisationszöglinge, betrat das Neuland. „Integration“ lautet seine mentale Maxime. Sein humanitärer Habitus bestand aus den Utensilien des eurozentrisch zementierten Kosmos, wie sie sich in ihrer Variante made in Germany ins Auge fassen lassen. Heißblütig heischten die Kommissare der kommunitaristischen Kolonnen einen Heiland, dessen Apostel aus dem Patrioten-Port der Profiteur-Parteien Posten-Poeten rekrutierten. Das Spektrum der Selektionsseminare und Kolonisationskurse eskalierte exemplarisch, in deren Postszenerien die System-Softies als Souffleure sich eksatisch positionieren ließen. Prosperität erfuhren die Produktionsphasen der Prospekte und Poster, die eine Manege gemäß der melancholischen Melange aus Rhetorik und Reklame, Manipulation und Marketing manifestierten.

Insgeheim fußte das Lehrgebäude der angeheuerten Lehnsleute auf dem Wiederkehr-Versprechen des Messias, der gewöhnlich gerufen wird, den Höllenfürst übers Knie zu legen und das Paradies auf Erden zu errichten. Wer ihm aber den Weg bereiten will, muß das Leben zur Hölle machen. Sonst kommt er nicht, und der Mythos hat keine Kraft.

Es gespensterte nichtsdestoweniger im Geflecht der Gegenfeuer-Getreuer gewaltig. Die millennar militanten Statthalter der martialisch marmorierten Ständegesellschaft sahen lange darüber hinweg, daß die bevormundeten Banlieu-Burschen zum Platzen satt sind.

Von einem Flammenmeer frappiert, wandten sich Oberordner des Burg-Friedens an die Macht der Märe und verwendeten züchtigende Vokabulare, um die Rebellenreihen zu entmenscheln. Ganz und gar als „Gesindel“ benamst, traten diese zum Spießrutenlauf an, während die Avantgarde der medialen Meute souverän in den Schützengraben der Söldner Posten stand. Vom Beginn an gingen die Frontreporter ans Werk, beim Flammenschein den Fremden-Effekt zu veranschaulichen, und erdichteten aus den sozialen Elementen einer Rebellion den Krawall der ethnischen Unterschichten, richteten ihren Fingerzeig auf den „Zusammenprall der Kulturen“, auf die Gewaltgeneration der peripher Primitiven in Metropolen. Bevorzugt bewegten sie sich hinter dem „Hochdruckreiniger“ der sensiblen Schicksalsgemeinschaft der siegesgewiß schimmernden Schickeria.

Überdies trugen sich die Adressanten der anfänglich aufgebauschenten Tatarennachrichten aus Distrikten der Feuernächte in bankrotten Banlieus von Paris mit der Absicht, vor allem die widerspenstige Wiederkehr des Proletariats zu bewölken. Die hermetischen Rauchfahnen aus dem hermeneutisch hergestellten Brandherd sollten hektisch in den hintersinnigen Hort der zensierten Zyklen kanalisiert, rassisch-hypothetisch aufgeheizt werden.

Geläufig aus der Geschichte: Einzig kann die bourgeoise Gewalt der Lage Herr werden, wenn es ihr gelingt, die Aufständischen zu Außerhalbstehenden zu derangieren und in ihren Reihen ethno-kulturellen Zwist zu säen. Dabei lassen die raffiniert getarnten Zitadellen-Zentrurien aus den Zensurzentren keine Message kontradiktorischer Konterfeis durchsickern.


AM BOSPORUS DER VORPOSTEN DER BOURGEOISEN-BASTION

Episodische Epigonen der Epauletten-Partie

Während durchwärmte Gemeinplatz-Gendarmen mannigfaltig im ethnophoben Kernschatten patrouillierten, begannen die Fackelträger des Artefakts Liberté-égalité-Fraternité sich am ausgerufenen Notstand zu ergötzen. Das Empire schlug zurück. Die buntscheckigen Feuernächte versanken im kalten Dunkel, hinterließen keine spürbaren Spuren, über die man einen einigermaßen realiter revolutionären Spruch fällen könnte. Schwer übersehbar bleiben gleichwohl jene Fragmente, die erkennen lassen, daß die Jünglinge der kolonial enteigneten Erdlinge selbstsicher waren, dem frankophilen Fangboot der kosmischen Aristokraten-Armada Paroli zu bieten und den auf einer Serviette schwulstig skizzierten Bonus fürs bodenständiges Bravseins zu verwerfen.

Anders als andere antirassistisch animierte Allegorien drehte sich ihre Resistenz um die allgemein akzeptierte Gleichwertigkeit der andersartigen Lebenswelten und zielte auf den kulturalistischen Trennzaun zwischen Alteingesessenen und Spätankömmlingen. Naturgemäß ist dabei der retrospektive Haß dieser Aufsässigen gegen die Konsorten der kolonialen Konvention, die sich auch gegenwärtig brüsten, die Wilden in die Zivilisation angeleitet zu haben.

Zurück kehrte die Ruhe im Flug. Mit rauchgeschwängerten Nachwehen unter dem Hesperus. Demungeachtet wandten sich die Gewalthaber der endkapitalistischen Kapitalen an die Gesellen des Feuilletons, hinter Noël-Novellen her den Pegasus zu satteln, das Steckenpferd der Schildbürger zu pflegen, Affenspektakel zu schlagen und vor Klimbim-Kameras Grimassen zu schneiden.

Solcherlei prunkende Parties der Platitüden regen erneutes Zurück zum Ausgang der Flammensäule an: Längst verwandelte sich die Bambule der Blacks und Beurs in den Marginalien der archivierten Annalen in Dampf, und die Soldjäger des Mediendschungels müssen um neue aufrüttelnde Geschichten ringen, die kernige Konfliktstoffe enthalten und so als Politikum ins Gewicht fallen. Je augenfälliger sie sich fremdeln und je abseitiger sich die Gefahrenzonen den Sichtweiten des mittelprächtigen Konsumentenkosmos medialer Modeartikel entfernen, desto tragbarer fallen sie auf.

Vom jeglichen Potential vital verbürgter Verbündeter verraten, sich selbst überlassen, hielten die Getto-Guerillas länger als vier Wochen, die als Wüterichs diffamiert wurden. Als solche dämonisiert verschwanden sie auch von der Bildfläche. Das Pariser Sternenzelt kühlte sich wieder ab. Vorläufig. Denn die fortgezogenen Rauchfahnen lassen sich primär ins Gedächtnis rufen: Die Banlieu-Barbaren waren auch die Stürmer der Bastille und des Königspalasts Tuillerien, somit die Bahnbrecher der bürgerlichen Revolution, als deren epochales Erbe allgemein das republikanische Konstrukt der Konstitutionsgewalt in die Annalen der Geschichte einging. Hinzu gehört auch das Postulat der Menschenrechte, das anfangs ebenfalls als universales Gemeingut ans Licht kam, sich jedoch nach und nach zu einer platten Postille der parlamentarisch politierten Potentaten entwickelte.

Die Feuernacht-Flegel vom heiteren Herbst 2005 gaben Signal, die Revolution der Parias von vorn anzupacken - epochalen Ansturm auf die Privatier-Paläste. Das gegenwartsgewandte Genre dieser Errungenschaften prägt sich als Gegengestern aus, wenn man ein kritisches Auge auf die Zukunftsaussichten der Geschichten richtet, die die Gevattergenerationen der Zivilisationswärter erzählen. Besonders pervertiert werden die Begriffe wie Humanismus und Universalismus, die im christlich-abendländisch markierten Humus immer wieder als magische Marke der Manöver-Maschinerie aufkreuzen.

Einst als Bahnbrecher der Humanität salutiert, gehen die Spätlinge der Sansculotten blank mit westlich wegweisenden Lebensbildern hausieren. Mit dem Pantalone-Porträt des spätbürgerlichen Patronats stammverwandt und genußgewandt lassen sie sich als sakrosankte Hurra-Honoratioren der vom Konsum-Kobald kolonisierten Menschenscharen separieren, als sentimentale Sympathisanten, proletarische Fußtrupps oder patriotische Pelotons im Grauschatten von plutokratischen Allianzen sanktionieren. Den linken Ballast ihrer Altvordern abgeworfen und als Stammhalter der klerikal kommandierten karitativen Missionaren-Heere stilisiert, lassen sie sich als Reklame-Legion für den Feldzug der Privatier-Bastei gegen den Ansturm der Hunnen aus dem Süden rekrutieren.

Feuer fangen sie beim Anblick auf den supranational nivellierten Hegemon der nordischen Upperclass. Heuer haut dieser Gewaltapparat in den Sack, verordnet den Waffengang gegen das Ungeheuer der enteigneten Weltuntertanen, nämlich gegen die autonom agierenden heimlichen Migranten-Haufen dunkler Haut und fordert die Freiwilligen-Formation auf, ihnen bis zum Brenner mit patriotischem Heroismus entgegenzugehen.


À-la-Turca-Tournee im à-la-Franca-Fiaker

Im Hinblick auf die Zukunft birgt der Limes des zeitnahen Imperium Romanum das schicksalhafte Gewicht, das schikanös geschliffene Gebot, die Wallanlagen entlang den Küstenstreifen des mediterranen Teichs unpassierbar abzudichten. Was die Sicherheitsarchitekten in Maghreb zuwege bringen, um die Fontäne der Fluchtfluten trockenzulegen, sie wenigstens im Wildnis einzudämmen, erweist sich in der Levante genauso eindringlich.

Im Turnus ihrer Triumphe hänseln die emphatischen Emissäre des suprarnationalen Superstaates unter dem Zwölf-Sternen-Banner ein Evolutionsevent, spielen den staubigen Türkei-Trumpf in ihrem neoständisch tutenden Orient-Express, stoßen auf der expansiven Beute-Partie um extrafeine Trophäen kräftig in die Trompete. Die Republik Türkei beäugen sie als eine geographische Größe, zugleich ein kleinliches Kleinod in der Souvenir-Schatulle der Jägerlatein-Lyriker sowie als einen Truthahn wie im angelsächsischen Vokabular „turkey“, mit dem die John Bulls das Osmanen-Reich in seinen letzten Dekaden zum Spottbild ihrer imperialen Ambitionen machten.

Im Space Shuttle der aufklärerischen Episode-Exponenten überwiegt der Export-Katalog mit einem pompösen Papierpaket für die emanzipatorische Erzählkunst, auf dessen Banderole exemplarisch die mimosenhaft montierten Menschenrechtsmythen flimmern, darunter die markig firmierten Marktmysterien. Es sind eindimensional dominante Dokumente kleingläubig klebriger Kalküle, deren Kapitel gänzlich daraus bestehen, in Kleinasien die absolute Demokratie des Kapitals zu diktieren. Der taktische Leitfaden dieses Traktats enthält den Machtdrang der klerikalen Kamarilla im Stil der Kabale und kreiert darunter eine spartanische Legion aus Lakaien und lokalen Kanaillen. Der solcherart paraphrasierte Wegweiser artikuliert die monotheistisch mobilisierte Attacke auf die virtuell fingierte Kapitale jener Gespenster, die sich augenscheinlich dem Geschick der Firmenfilialen plutokratischer Get-together-Party quer legen, damit dem Wertekosmos der Kostgänger im Konsumtempel.

Das imaginäre Kumpanen-Konstrukt der euro-imperialen Kommissare fußt auf der Ideenmanufaktur, einen Vorposten der selbststilisierten Zivilisierten-Bastei zu managen, der sich für den perfekten Gang der Makler-Wellen in die Weltmärkte asiatischer Extras verbürgt und den Fluß der Naturressourcen, vor allem den des Petroleums, in die Zitadellen überwacht. Zugleich hat er die Wallanlagen vor der jeglicher Migrantenflut zu warten und die Odysseen orientalischer Fakire zurückwerfen.

Summa summarum: Das kunstvoll komplettierte Projekt „Provinzia Anatolia“ der Profit-Poeten typisiert die dortige Republik als einen billigen Baustein für das Auftürmen der global sozialen Apartheidspyramide.


Marodeuren-Mond über Morgenland

Damit das Pilot-Projekt eines vorderasiatischen Protektorats sich auch bewahrheitet, muß der nationale Starrsinn am Bosporus zerkrümelt bzw. an die Kandare genommen werden, dessen Weltbild offensichtlich mit kemalistischen Konturen korrespondiert und mit der byzantinischen Lesart der Eurokatie nicht konform geht. Hier kommt die lokale Offensive der „anatolischen Tiger“ an die Oberfläche als günstiger Moment, denen es gilt, als fromme Verfechter der privilegierten Klassen das Rückgrat zu stärken, urteilen die okzidentalen Oberhäupter, die das Universum der Urbanen längst in ein „globales Dorf“ verwandelten und zu okkupieren freihalten.

Wenn wundert, daß diese Häuptlinge einer aus den Fugen geratenen Eine-Welt-Gemeinde ihren Vasallen eine glücklichen Hand wünschen bei ihrem Wetteifer, mit den kemalistischen Widerstandsnestern der nationalen Souveränität und sozialen Sockel sowie mit dem Stallgeruch der laizistischen Legende aufzuräumen - im Vertrauen auf den Rückhalt aus dem Westen. Für den Triumph dieser Papiertiger entflammt sich die linientreue Singakademie der schreibenden Zunft besonders beseelt wie Boris Kalnoky in „Die Welt“ vom 23. November 2005: "Der türkische Gewaltmarsch in Richtung EU verwirrt und verwundert viele Europäer. Noch vor zwei Jahren schien ein EU-Mitglied Türkei so undenkbar, daß kaum jemand auch nur darüber nachdachte. Diese Illusion beruhte auf der Meinung, daß es in der Türkei weder eine politische Kraft noch eine gesellschaftliche Klasse zu geben schien, die willens und fähig wären, eine einschneidende Beitrittsstrategie durchzusetzen.

Beides war falsch. Die gesellschaftliche Kraft, die das Land mit aller Macht in die EU zu lotsen versucht, ist die neue anatolische Bourgeoisie, und die einst für unberechenbar und „islamistisch“ gehaltene Partei AKP hat sich unter Führung von Ministerpräsident Erdogan und Außenminister Gül in einen effizienten Machtapparat verwandelt, der die Ambitionen seiner anatolischen Klientel kraftvoll vorantreibt. Der Gegner ist dabei das alteingesessene kemalistische Establishment in Ankara und Istanbul."


In Sichtweite vom Teuto-Turm gelegen: Terra Turchia

Ob die neokonservativ konvertierten Kräfte des Marktes am Bosporus die Palme des Sieger jemals erringen werden, bleibt dahingestellt. Augenscheinlich ist jedenfalls, wie die Neuheiten um sich greifen: Die Republik Türkei unter der gemäßigt islamistisch grünen Glühbirnen-Gewalt begeht mit Bravour Einlaß in den christlich kreierten supranationalen Staatenbund. Da rühmt sich der flotte Tausendsassa Tayyip Erdogan, sich den Flaggschiff-Kapitän der florierenden Flotte aus Krauter- und Krämerkähnen in stattlichen Kabinen und der Pressure Groups am Backbord bescheinigen zu lassen.

Indem er gelobt, klares Schiff zu machen und obendrein den verwesten Teufelskreis ein für allemal aus dem Tempel des Marktgötzen zu entfernen, klopft er ungesättigt wie ein Habicht und kollaborationsbereit an die Türen seiner westlichen Mäzen. Läuten hören muß er unverdrossen, daß so was nicht übers Knie brechen kann. Beim nackten Luftschloß, im präpotent polierten Hochhaus paneuropäischer Partnerschaften doch eine Stube - gleichwohl im untersten Stock - zu erwerben, hämmert sein Herz immer heftiger gegen die Brust.

Nach außen byzantinisch, nach innen cäsarisch spielt er sich den barschen Prahlhans auf, geißelt die Abtrünnigen der markt-bestimmten Marschroute, geigt im Endspurt-Ensemble des neofeudalen Umkehrprozesses. Als honoriger Gebieter begeistert er die Turbanträger auf dem Tummelplatz der Tugendreichen, mahnt als hartgesottener Staatsdiener die Untertanen bärbeißig, sich noch regsamer zu rackern, um den Schuldenberg abzutragen, den zuvor von ebenbürtigen Regentschaften angehäuft wurde.

Um den profitbedingten Mangel zu managen, setzt der geläutert muslimische Renommist und prophetisch prahlende Reformist auf die Eskalation der raubtier-artig entfesselte Marktkräfte. Um weiter aus dem Vollen zu schöpfen und weite Bögen zu schlagen, muß er dabei den direkten Draht warm halten, den er dicht zu den EU-Zentren hat. Wer wagt, ihm den Spiegel vorzuhalten, vor dem fortschreitenden Untergang des Wir-Gefühls zu warnen und dem brutal um sich greifenden Pauperismus ein Gesicht zu geben, wird als Nestbeschmutzer gebrandmarkt. Die Promenaden müssen, schlägt er den Takt, von Hausierern bereinigt und für den Besuch der westlichen Prominenz bereit gehalten werden.

Während ihrer Visiten im Haus des schwierigen Aspiranten vermeiden die EU-Kommissare und ihre zivilgesellschaftlichen Kumpanen bewußt jeden mißfälligen Blick auf das irreguläre Terrain, wo sich Hunderttausende verpflegen. Liberalisiert wird weiter, lautet ihr Transparent im Orient-Expreß, der durch die Schutthaufen der privatisierten Plattformen tutet. Dampf setzen sie nichtsdestoweniger hinter der Lokomotive der Menschenrechtsmaskerade, um dem Statthalter des Weltkapitals unter die Arme zu greifen, damit er sich noch mehr und merkbarer ermannen kann, vor allem florierende Staatsbetriebe im Fluge zu privatisieren und den Global Players zu vermachen. Die lokalen Manager dieser Mäuse-Magnaten befleißigen sich zunehmender Reserve, ihre okzidental-oliv ornamentierten Werkanlagen und Office mit oriental menschlichem Inventar zu bestücken. Darin sollte eine einigermaßen anständige Aussicht auf das Massenglück Wurzel haben. Weit verfehlt.

Vielmehr haben sie destruktive Folgen. Das Aufkommen der Räuberbanden, die in öffentlichen Orten ans Leben gehen, gewinnt an Boden und legt alle Augenblicke einen Zahn zu. Neuheiten darüber lassen sich täglich der Presse entnehmen. Recep Tayyip Erdogan, der honorige Mann der imperialistischen Bastion, hält Maulaffen feil, prahlt dann produktiv wie der Scharlatan gegen den Bauernfänger, gießt Wasser in den Wein und spielt am Ende seiner Schleichwege auf die Wiederkehr der Scharia an. Verlassen kann er sich auf ein breites Spektrum alliierter Adlaten, das sich aus offiziösen Ordnern und oliv gezierten Söldnern der Zivilgesellschaft, Menschenrechtsmanagern, ethnophilen Anthroposophen, NGO-Noblesse, eurozentrisch genormten Nonkonformisten, No Globals u.a. zusammensetzt.


Das markige Mirakel der Krisenkanzlerin Merkel

Zu Ohren kommt umseitig, daß sich der kulturalistische Kordon der Berliner Republik aufs Neue auftürmt. Frisch gekürt für das Amt des Bundestagspräsidenten ergriff z.B. der Union-Funktionär Norbert Lammert im Diskursrund der „Leitkultur“ das Wort und sprach sich in „Rheinischer Merkur“ vom 26. November 2005 für ein Kopftuchverbot in Schulen aus. „Wenn das in einem islamisch geprägten Land zulässig ist, kann es doch in einem christlich geprägten nicht von vornherein abwegig sein“, lamentiert er und spielt auf die Türkei an, wo in öffentlichen Anstalt ein rigides Kopftuchverbot gelte. Zugleich akzentuiert er das altbewährte Urteil: „Der Einfluss christlicher Religionsgemeinschaften und Glaubensüberzeugungen auf unsere Gesellschaft bleibt fundamental.“

Kanzlerin Angela Merkel, die Supernova am Himmelsdach überm prunkenden Punkthaus Europa, die einen Husarenritt gegen den fünften apokalyptischen Reiter in Erwerbslosen-Gestalt orakelte, tat in ihrer Pflichtrede am 30. November 2005 im Reichstag den Gegengehalt des vaterländischen Gedankengebäudes unter der Hauptschrift des schwarz-roten Koalitionsvertrags „Gemeinsam für Deutschland“ kund: „Parallelgesellschaften, in denen die grundlegenden Werte des Zusammenlebens in unserem Land nicht geachtet werden, passen nicht in dieses Denken. Deshalb ist Integration eine Schlüsselaufgabe unserer Zeit.“

Dem Essential der Merkelschen „Schlüsselaufgabe“ dürfte der Pflicht-Katalog für jene Werteverräter innewohnen, die ihr Dasein in den Buden der Döneria fristen und über keine Konditionen verfügen, die Mehrheitssprache zu erlernen. Kontrastpunkte im Kontext „Deutsch“ werden sicherlich noch konsolidiert und dem kultur-kolonisatorisch genormten Kommandostab in Verwahr gegeben. Und er wird sich keine Aufsässigen-Aura gegenüber dem schützenswerten Schrebergarten der Alteingesessenen bieten lassen. Folglich maßt sich die frischgebackene Integrationsministerin Maria Böhmer in „Die Welt“ vom 1. Dezember 2005 an, den längst fälligen Prozeß der Staatsbürgernation dem Primat des „Unseren“ unterzuordnen, nämlich der Volksgemeinschaft: "Die Schlüsselfrage, auf die wir eine Antwort finden müssen, heißt doch: Wie gelingt es uns, die Menschen, die zu uns gekommen sind, in unserer Gesellschaft zu verankern. Sie müssen unsere Sprache sprechen, unsere Geschichte kennen, unsere Wertvorstellungen und unser Recht anerkennen. Und sie müssen sich auf die Spielregeln unserer Gesellschaft einlassen, wie sie das Grundgesetz vorgibt. Beim Thema Integration müssen wir alle gesellschaftlichen Gruppen in den Blick nehmen."

Ins Gewicht fällt bei dieser Spielart des Fundamentalismus im Nachdruck „unser“ nicht allein, das Aufkeimen eines aus verzweigten Lebenswelten geprägten Flickwerks auf deutschem Boden zu vereiteln. Es dreht sich dem Anschein nach vielmehr darum, aus den Marginalien der Diaspora die infamen Faustregeln der Diapohra abzuleiten, um die Gleichwertigkeit der unterschiedlichen anderen zu negieren. Wer sich dem Wertekosmos der mächtigen Majorität nicht akklimatisiert, hat in der kulturellen, damit sozialen Kälte zu vegetieren.

Je hemdsärmeliger der volksstaatlich fokussierte Hegemon im Blickfang der Berolina-Barden den Wenigheiten seinen Willen aufzwingen kann, desto beleibter läßt er sein Wertepathos als kosmisches Kollektivgut zugute halten. Folglich offeriert sich die blutvolle Bravour-Barke der „Leitkultur“ als ein diktatorales Kommando der rassistischen Ideenmanufaktur, zu der sich das Groß-D-Land auf Abwegen wieder öffnet und eine Apartheidsapparatur hochpäppelt. Besonderes Augenmerk zieht in diesem Kontext das altbacken waltende Allerlei der selektiven Assimilation auf sich.

Haßtiraden haben an den Stammtischen Hochkonjunktur, die als subalternes Parlament nationaler Hochheiten fungieren. Die Pedanten der Pappmache-Poesie benötigen ihr Pendant pompöser Hohlheit, um ihm die Häßlichkeiten der Tretmühle in die Schuhe zu schieben.

Der kreativ geläuterte Westherr ärgert sich sehr, daß etliche Evas muslimischen Glaubens ihre Haare unter Tuch bedeckt halten. Als auffälliger Atheist aufklärerischer Attitüden stellt er den orientalischen Opponenten des Patriarchats sogar Ansinnen, sich vom Allah besonnen abzuwenden. Erstaunt starrt er gleichzeitig die evangelikan avisierte Attacke, das Erdenrund vollends zu christianisieren und die weltumspannende Dominanz des christlichen Abendlandes krönen, woran auch im Groß-D-Land breitschultrig gearbeitet wird.

Offensichtlich scheuen sich die Ordner der derzeit arrangierten „Leitkultur“-Orgie vor keinem Behelf, sich ins Mittel zu setzen und ihren Willen Ausdruck zu verleihen. In diesem Zusammenhang steht die televisionäre Offensive unter dem Werbe-Spruch „Du bist Deutschland“, der einen historischen Rückhall offeriert. Die Volksgemeinschaft-Kampagne basiert mutmaßlich auf dem Plagiat eines Plakats anno 1935 bei einem Nazi-Aufmarsch auf dem Ludwigsplatz in Ludwigshafen wie der untenstehende Bild-Beitrag offenlegt - abgedruckt in einem 1999 erschienen Band „Ludwigshafen - ein Jahrhundert in Bildern“.

Die von den Mäuse-Magnaten gesponserte kümmerliche Kampagne nimmt ein Türke gefaßt in einem Rundmail des elektronischen Informationsforums „Bilgi“ (www.bilisim.de) unter die Lupe:

"Wahrscheinlich sind es die gleichen Medien, die in den letzten Jahren für Fremdenhass und Kriegstreiberei in Deutschland eingetreten sind. Bild, Spiegel und Konsorten. Jetzt machen wir einfach paar hübsche Spots mit sogar Ausländern drin und spielen die bunte heile deutsche Welt. Und morgen kommst du trotzdem nicht in ihre Diskotheken und in ihre Cafes und siehst an der Tankstelle schon von weitem die Schlagzeile der Bild, dass Du Türke Schuld an der Neuwahl bist, an der Wirtschaftsmisere, an der Pisa-Studie, an Hartz 1-4, an ALG 1-5 und an der Verfettung der Deutschen durch Döner.

Dann zerren die Deutschen wieder paar Moslems (Terrorverdächtige) aus ihren Moscheen (Terrorzellen), zeigen dir vor der Sommersaison täglich Fernseh-Reportagen, wie deutsche Urlauber für ihren Türkei-Urlaub, den sie für 3,50 EUR gebucht haben, entsetzt nur 4 Sterne-Hotels bekommen haben. ...

Mousse T. ist Hannoveraner, Erol Sander Münchner, Cem Özdemir Schwabe, aber der U-Bahn-Schubser, der ist ein Türke. Die deutschen Medien haben mitunterschwelligen Berichten dafür gesorgt, dass über den Türken nur negativ berichtet wird. Ganz Europa kann brennen, es kann gemordet, vergewaltigt und gehetzt werden, aber im Spiegel-Online kann man großformatig lesen, wie ein Schaf in der Türkei vom Dach gefallen ist. (Kein Scherz)

Wir Deutschen verdrehen alles, wie es uns passt. Wir erfinden Lügen, manipulieren, lassen Wahrheiten weg. Wir Deutsche wissen nicht wo Armenien liegt, haben eigentlich noch nie von ihnen gehört, wissen nicht welche Sprache sie sprechen, was sie essen und was sie an Kultur zu bieten haben, aber für den Völkermord an ihnen könnt doch nur ihr Türken in Frage kommen.

Da sagen wir auch nicht, dass es die Osmanen waren sondern ihr Türken. Wir sagen schließlich auch nie, dass die Deutschen an der ganzen Scheiße im zweiten Weltkrieg Schuld sind. Das waren die Nazis. Ein oder zwei Wörter vertauschen und alles klingt ein wenig anders.

Wir schicken Reporter durchs ganze Land und lassen Dönerbuden nach Reinheit untersuchen, die fünfzig sauberen zeigen wir dir nicht, den einundfünfzigsten, den wir dreckig vorfinden hauen wir dir um die Ohren. Wir zeigen dir auch nicht die Millionen Touristen, die zufrieden aus ihrem Türkei-Urlaub zurückkommen, wir zeigen dir die zwei Touristen, die unzufrieden waren. Wir werfen Euch vor, dass in der Türkei seit zwanzig Jahren keine einzige Kirche gebaut wurde, dass es über 970 Kirchen für die paar Christen in der Türkei gibt, verschweigen wir.

Wir werfen euch vor, dass ihr den griechischen Teil von Zypern nicht anerkennt, aber dass der türkische Teil von Griechenland auch nicht anerkannt wird, lassen wir weg.

So verdrehen die Medien alles und setzen unseren Konsumenten ein vorgefertigtes Bild des Türken vor.

Und da glaubt ihr immer noch, dass IHR Deutschland seid?"

   

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