XXV. Jahrgang, Heft 140
Apr - Mai - Jun 2006/2

 
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Letzte Änderung:
26.04.2006

 
 

 

 
 

 

 

Frühlingsmeeting 2006

Samstag • 13. Mai 2006 • 14.00 Uhr • Galerie im Filmhaus •
Mainzer Straße 8 • 66111 Saarbrücken


   
 
 

MV & Redaktionskonferenz. Diskussion und Entschluß, endlich einen Förderkreis für die Nazim-Hikmet-Fundation ins Leben zu rufen.

Rezitationen in Form eines freien Forums für engagierte Verseschmiede.

Präsentation der Preisträger im Rahmen der Literatouren »Kosmopolitania SaarLorLux«.


Ein Komet namens »Clash of Cultures« kreist über dem Erdenrund, kommuniziert mit der Korona »Kultur«, deren Gewicht fast vollständig aus den ethnisch identitären Zugehörigkeitszyklen resultiert und jene archaisch rassistische Lehrformel ersetzt, wonach die Geschichte als die Gladiatoren-Arena der völkischen Sippschaften auf den Plan tritt.

Der Terminus »Kultur« wurde von postmodernen Mode-Nomaden längst zum puren Bindewort verdeutscht und mit ihm Suffixketten gebildet: Hoch- und Trivialkultur, Trauer- und Theaterkultur, Fraß- und Spaßkultur, Haus- und Mauerkultur, Migranten- und Minoritätenkultur, Unter- und Interkultur...

Neoliberale Kreischer, die mit dem Konfliktkomet kokettieren, reduzieren die Kultur – aus ihrem Urstand als ästhetischer Ausdruck des gesellschaftlichen Lebens entrissen – auf eine krakeelende symbolische Größe als Inbegriff von allem, was instrumentalisierbar erscheint. Mal als Synonym für Rasse, mal als Anonym für Klasse.

Gegen den schwer konfliktbeladenen Auswuchs der mit Kultur bemäntelten neorassistischen Kolportagen geht DIE BRÜCKE anderweitig aus der Reserve und plädiert für eine metropolitane Bürgerrepublik kosmopolitaner Lebenswelten jenseits jeglicher kultureller Identitätszwänge bzw. ethnisierter Lehrgebäude.

Die freiwilligen Brücken-Brigadiers pflegen neben der Routine der Heftproduktion weltläufig auch die sprachliche Illustration der Utopia. Demzufolge brachten sie im vergangenen Frühsommer die Don Quixoten-Karawane »Kosmopolitania SaarLorLux« (den Literatur-Wettbewerb) auf Touren. Sie landet nun im Frühlingsmeeting 2006, bildet dessen Schwerpunkt, bleibt auch künftig auf Achse. (Weitere Informationen: http://bruecke-saarbruecken.de/saarlorlux1.htm)

Auf der anschließenden Route der Literatouren hält das wohlüberlegt stilvolle Sinnen stand, das Fundament einer Nazim-Hikmet-Fundation zu legen, das demonstrieren soll, daß die eingewanderten Quartiere einiges mehr im Koffer hatten als die Pläne von Döner-Buden und Hinterhof-Moscheen oder Randstadt-Minaretten. Daher versteht sich das Frühlingsmeeting 2006 als Appell an alle Nachbarschaften, diesem Vorhaben unter die Arme zu greifen. (Weitere Informationen: http://bruecke-saarbruecken.de/hikmet1.htm

Auch wenn das Gedankengut der Utopia von Geistesfürsten des konservativen Werte-Kosmos stets über die Achsel gesehen wurde, ihm wohnt die Kraft inne, einem zukunftsträchtigen Gesellschaftsgerüst Wege zu pflastern sowie dem apokalyptischen Reiter im gegenwärtigen Gespenstergewand der »Kultur« die Stirn zu bieten – wider die Rivalitäten zwischen zombi-cesarischen Zentren als Realrepubliken!

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Kosmopolitische Kommunen versus kulturalistisch kreierte Kolonien

Seit Beginn des laufenden Jahres avanciert das krakeelende Gespenst des Kulturalismus mächtig zum Politikum im urbanen Milieu des Abendlandes, in Feuilletons und Sendefolgen des Glotzophons. Ein Untergebenen-Chor von blasierten Boulevardliteraten über Libertinage-Liebhaber und selbstvermarktete Spartiaden bis hin zu Patronage-Patrioten trägt chronisch korpulente Verse vor, brüskiert eine Eingewanderten-Unterschicht in Chaos und Gettos, arrangiert argloses Affenspektakel, um sich Ärger vom Leib zu halten.

Zum Vorschein kam als ein Reizthema bereits Ende 2005 der Glaubens-TÜV in Deutschen Landen, bei dem der Islam in Kreuzverhör genommen wird. Mit dem vorerst in Baden-Württemberg eingefädelten »Gesprächsleitfaden« werden die Anwärter der bundesrepublikanischen Staatsbürgerschaft einem verbissenen, dem zentralen Gehalt nach rassistischen Test unterzogen. Sie werden inquisitorisch auf ihr weltanschauliches Dafürhalten hin befragt und müssen sich als dahergelaufene Zöglinge der emanzipatorischen Events deklarieren.

Der fingerfertig fabrizierte Leitfaden-Text systematisiert insgesamt die kulturalistisch populistischen Emotionen, stigmatisiert einen Teil der bodenständigen Population wegen ihres Glaubens, stiftet schnöden Streit. Die gezielt generalisierenden Fragen lassen sich als Satire stilisieren, enthalten zugleich kulturkriegerische Drohgebärden und obrigkeitsgläubige Schnüffelei. Sie stellen nicht den Wissensstand der Prüflinge, sondern ihr sittsames Gewissen auf die Probe, somit alle unter den Generalverdacht des »islamistischen Totalitarismus« bzw. »Terrorismus«.

Es kriselt allerwärts. Die Fragelust der Regentschaft reift heran im fragilen Menschenpark zwischen Standpauke und Staatssatire. Als ein amtlich ambitioniertes Paradebeispiel läßt sich der hessische Loyalitätskontroll-Test für die Aspiranten eines Ausweises mit dem Adler-Deckel bezeichnen. Der ambivalente Textkomplex, der in hundert Fragen alle Episoden der deutschen Gegenwartsgeschichte enthält, bewegt sich zwischen strapaziöser Sanktion und skandalöser Satire, kann auch als lausekalter Kalauer am Fachgesprächskamin an Fahrt gewinnen. Für die Spaßsöldner und Leitkultur-Legionen der »Vierten Gewalt« stellt er jedenfalls ein spezielles Spektakel dar. Nichtsdestotrotz bleibt dieses Katalogwerk ein spitzfindiger, kulturalistisch befangener und kränkender Wertetest. Ob in verteilten Rollen oder Personalunion, die Advokaten der imperialen Inspirationen und die Inspektoren der integrationalen Intention schließen sich jenem stets startklaren Statement für die Spätankömmlinge an, welches das gleiche Gewicht auf die Waage bringen soll wie das Schaumschlagwort der Chancengleichheit.

Gettos wohnen die Fragmente der kosmopolitischen Utopie inne

Beim pro forma Diskurs über das Schicksal der Parias probieren die Protagonisten der professionell positionierten Politika, die Parabel der Parallelgesellschaften in einen kontrollierten »Kampf der Kulturen« umzufunktionieren. Das ethnozentristische Konzept der selbst stilisierten Zivilisierten, die Integration, war von Beginn an der Wegweiser der Differenz. Entwickelt bzw. erfunden wurde sie im Herbst 1973 als Retourkutsche auf die Rebellion der Gastarbeiter und enthielt die Formel »Anwerbe-Stopp, Rückkehr, Integration«. Im ersten Jahrzehnt blieb der Erfolg aus. Es folgten »schöpferische Einfälle« wie der Erhalt der kulturellen Identität im Rahmen der kirchlich konzipierten, grün-alternativ artikulierten »Multikulturellen Gesellschaft« als exotisch bereichernde Barkasse. Betriebsamen Beistand leisteten dazu die christlich-abendländischen Kulturkreispatrioten der Schwarzen-Union wie Barbara John oder Heiner Geißler sowie die neurechten Bramarbasse des Ethnopluralismus.

Außenstehenden der republikanischen Bürgerrechte wurde die Zugehörigkeit zu ethnischen Kollektiven zugeschrieben, damit ethno-kulturell kreierten Eigenheiten. Leiter und Laien der Integrationsgilde definierten ethnische Differenzen nicht mehr aufgrund der biologischen Merkmale, sondern erfanden »kulturelle Identitäten«, hielten daran fest, daß Kultur homogen ist und herkunftsbedingt. Aus unterschiedlichen Lebensweisen entwickelten sie unterschiedliche Kulturkreise, in denen Individuen aufgingen.

Transparent ist im Treatment der Integration tatsächlich die Tragikomödie. Man rührt alles – Sprache, Schule, Islam, Zwangsehe, Heiratsmarkt, Ehrenmord – zusammen, um das kulturell kokettierte Konstrukt zu buchstabieren. Kultur soll nach wie vor für Marginalisierte Identität erzeugen, die das andere herabsetzt, um die eigene Ethnizität, deren Hauptmerkmale neben der Hautfarbe, Religion und Sprache sind, auf den Höhenrücken zu erheben. Ästhetische Exponate berücksichtigt die Eselsbrücke nicht.

Die systemisch semantisch seminaristisch gehandhabte selektive Assimilation – Integration – zwingt die Neuankömmlinge zum Abkapseln, zur Reaktion auf den bangen Blick der Alteingesessenen. Die Neuen der Gettos leben gedanklich nicht in der alten Heimat, sondern befinden sich auf der Suche nach selbstbestimmten Alternativen. Dagegen ziehen die Repräsentanten der Republik zu Felde.

Die Route der germanophilen Civil-Society liegt auf der gleichen Wellenlänge wie die Gedanken-Garden der Menschenrechtsmentoren beim mentalen Feldzug gegen aufsässige Gespenster. Rivalität ist das Urbild der Marktmagister. Wenn nicht vorhanden, so müssen die Geistesfürsten das öffentliche Getöse heraufbeschwören. Erst bestaunen sie ihr Werk als Marionettentanz, dann als Monster, vor dem ihnen selbst der Kamm schwillt.

Je lauter das Genörgel gegen die angeblich Abgeneigten der integrationalen Allüren kursiert, um die Differenz zwischen den Zünftigen und zügellosen Anderen zu zementieren, desto enger werden diese unter sich bleiben, als sich allzeit vor der züchtigenden Oberhoheit rechtfertigen zu müssen.

In Frage kommt als Alternative zur integrationalen Illusion die kosmopolitische Utopie, die repräsentative Akzeptanz der Gettos als eigenständige autonome Lebenswelten. Denn sie sind die Antwort auf die züchtigenden Zyklen der endkapitalistischen Gesellschaft, die vereinzelt, vereinsamt und entfremdet.

Im Vertrauen auf baldiges Widersehen in »Kosmopolitania« verbleibe ich mit frühlingsfrohen und morgenbunten Grüßen.


Necati Mert

Verantwortlicher und koordinierender Redakteur der Zeitschrift DIE BRÜCKE


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In DIE BRÜCKE, diesem Quartal-Periodikum im deutschsprachigen Blätterwald begegnen sich seit einem Vierteljahrhundert die Verfechter einer kosmopolitanen Bürgerrepublik mit der Entschlossenheit, der neoständischen Apartheidspyramide des metropolitanen Besitz- und Kröten-Götzen in die Quere zu kommen.

Auch mit dem aktuellen Heft 140 (April-Mai-Juni 2006/2) demonstriert dieses Forum, gewiß kein Lifestile-Magazin, abermals seinen Bestand als publizistischer Bote eines morgenbunten Weltalters und als fundamentaler Brückenschlag des freihändigen Gedankenaustausches. Darin werden neben dem konträren Kurs gegen den erdweit agierenden endkapitalistischen Zyklopen auch die humanitären Miseren in der Feste Europa artikuliert.

Einen Überblick über das Themenspektrum Quartal-Periodikums verschafft auch die Homepage

Sie enthält neben einer Auswahl der kritischen und literarischen Texte in der vorrätigen Printausgabe ebenfalls Informationen über DIE BRÜCKE (»Porträt des Periodikums«), ein Archiv, ein Portal »Mehr lesenswertes Textmaterial«, ein »Projekt Nazim-Hikmet-Fundation« sowie eine Kommentaren-Kolumne von Necati Mert zum Themenkomplex »selektive Assimilation« (respektive »Integration«) der eingewanderten Quartiere unter der Aufsicht der selbststilisierten Menschenrechtsersten.

Ohne den beständigen Beistand der Verfechter des freien wie ästhetischen Wortes kann dieses Forum jedoch den dornigen Daseinskampf im medialen Blätterdschungel nicht überdauern. Daher wendet sich hier die Redaktion wiederholt an die engagierten Akteure der entethnisierten Emanzipation sowie Antagonisten des neoliberal strafenden Ständestaates, diesem Blätterwerk durch eine (Förder-)Mitgliedschaft im herausgebenden Verein DIE BRÜCKE e.V. oder ein (Geschenk-)Abonnement unter die Arme zu greifen.

DIE BRÜCKE, ca. 148 Seiten stark, kostet im Jahresabonnement 34,– ¤ (Ausland: 38,– ¤). Einzelheft: 9,– ¤. Mitgliedschaft im Förderverein: 65,– ¤ und mehr im Jahr.

Redaktioneller Kontakt und Bezug:
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Netzbrücke:

• Necati Merts Kolumne

• Mehr lesenswertes Textmaterial

• Wider den Schwarzen Winter

• Porträt des Periodikums