XXV. Jahrgang, Heft 142
Okt - Nov - Dez 2006/4

 
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Letzte Änderung:
24.10.2006

 
 

 

 
 

 

 

Editorial

Der Fels vor dem Wogenprall
Wider die heroisch abgesagte Saison der hermetischen Hegemonial-Moral

   
 
 

Oliver Kahn, teurer Torwart von Bayern München, typisierte kürzlich die Fußballer als neuzeitliche Gladiatoren im Tunnel der Arenen, die nicht imstande sind, etwas zu Gesicht zu bekommen außer den stämmigen Siegespalmen.

Tatsächlich befindet sich die ruhmsüchtige Raummaschine der Menschheit in einem Stadium von Stadien unter dem Standbild einer Zivilisation, unter deren systematischem Tugendtrumpf sich allerhand stattliche Triumphe und triviale Trauer abspielen. Ihr kanonisches Wertevermächtnis und drama-theatralisches Testament, das magische Verswerk aus einer „unsichtbaren Hand“, diktiert höchst heilig, daß alles, was Früchte abwirft, einem kapitalen, zombig gezierten Kastenkastell des Privaten zu Gebote steht. Und alles, was dem zünftig zurechtgelegten Klassenkismet zuwider erscheint, gehört zugrunde gerichtet.

Ein fast einhalbes Jahrhundert breitestfrontmäßig kommandierter „Kalte Krieg“ gegen den Kommunismus, das Gespenst des Kollektiven, hat zur Folge, daß die kritischen Kräfte über kaum mehr Gewicht bei schicksalhaften Geschehnissen verfügen. Im gegenwärtig gesellschaftlichen Gestrüpp der raubritterlichen Rivalitäten wächst dennoch das Gestöhn nach dem Wo des linken Gestades. Und die Grübler des marktgläubigen Lehrgebäudes wechseln betrübt die Farbe, bleiben abermals gefühlsleer – allerorten, vor allem an der Spree.

Da rumort Berolina, gibt den bärbeißigen Berserkern der Kröten-Bastei die Klinke in die Hand. Erneut wird ein germanisch-hegemonisch heroischer Herbst angesagt. Über dem alten Kontinent fallen Blätter wieder dicht braun und häufen sich im Herbarium der habsüchtigen Heuchler der Humanitas-Heide an, die bewässert wird von dilettantischen Dichtertränen vor gehäuteten Zwiebeln – bravourös behütet von „Herr der himmlischen Heerscharen“ in persona.

Aufs Glatteis geführte und an den Bettelstab gebrachte Loser strömen ungestüm im herrischen Fanblock der Bellizisten zusammen, rauchen gemeinsam mit einsamen Pazifisten des Zitadellen-Zirkus die Friedenspfeife und fallen den probaten Potentaten der Fledderfreiheit zu Füßen.

Das retrospektive Repertoire der regimetreu reglementierten Repressionen lebt nicht trotz der Vielfalt von Räten und Verbänden fort, sondern dank ihres repräsentativen Reservoirs, die bourgeois resistente Überlegenheit des Eigenen zu legitimieren.

National-emotional aufgeladene (Ge)Zeiten werden von eleganten Allianzen aus der Taufe gehoben, um zuträglich das Zepter zu schwingen, ihre Riecher in die entlegensten Ecken zu stecken, mit endlos prächtigen bunten Flecken zu prahlen. Doch hinter dem eliminatorisch artikulierten Leuchtturm weitet sich das trostlose Nichts aus.

Edle wie eingebildete Intellektuelle, die nicht einmal auf einen Marschbefehl im Flüsterton warten, der Propagandamaschinerie für die markt-kreischenden Renaissance der Kreuzzüge zu assistieren, überstreifen sich mit dem Pathos der Philanthropie, memorieren das opulente Opus der millennaren Monekratie. Als stattlich satte Streiter der Status-quo-Quoten betreiben sie Betrübnisse, betreten das durch Schlachtenspektakel vermimte Terrain, halten hinter dem Hymnus des Hurrapatriotismus in Siebenmeilenstiefeln Schritt, huldigen hühnenhaft einen imperialen Husarenstreich nach dem anderen.

Zeitweilig verweilt das breite Publikum untertänig in der Saison der Impressionen sowie Souvenirs aus den Urlaubsorten, nimmt hinter dem reklamantorischen Dukatenscheißer her kaum den souveränen Duktus der dröhnenden Repressionen wahr.

Sozialisiert wird in allerlei Allüren die Saison der Gladiatoren und Plagiatoren der fliederfarbenen Philomela und fischblütigen Philo-Sophia filzokratischer Sensation – als Stoßkraft auf Usurpatoren-Tour.

Es ist die siebengescheit gesiebte Saison der marktkonformen Intelligenzia, die auf dem Planetoid der Spaßpartisanen menschenrechtsmemoresk den Pegasus sattelt, systemisch stilistische Satelliten auf Trab bringt und erfaßt, wie furios die Lebenswelten allerwärts aneinander geraten.

Es sollte aber auch die sonnendurchflutete Saison des kollektiv utopischen Urbanismus und primär universalen Humanismus geben, wofür DIE BRÜCKE seit einem Vierteljahrhundert steht, und zwar wie ein standfester Fels vor der Feste Okzidentale. Als zeitgeist- und zivilisationskritische Brigadier-Barke der Feder schwingenden Individuen. Gegen den Briganten-Port der postmodernen Postulate. Als Bastion der kosmopolitanen Globetrotter – den Gezeiten der krisen-kapitalistischen Werte-Variante zum Trotz.

Gestartet war sie als Sprachrohr der Marginalisierten in der Feste Europa, der eingewanderten Minoritäten, Asylmigranten und “Illegalen“ sowie derer, die in trikontinentalen Mega-Slums den Staub von den Füßen schütteln, um sich den migrantischen Meuterern anzuschließen. Erstarkt ist sie als widerständiges Forum der literarisch rebellischen Handwerker. Über ein Vierteljahrhundert ebnete sie Tausenden von Streitschriftstellern den Weg zum medialen Meeting und trug erheblich dazu bei, daß die opulent orakelnden Oratoren des biologisch begründeten Rassismus und kulturell kokettierten Ethnizismus in der eurozentrischen Oase zu demaskieren.

Bekanntermaßen werden nach dem Erscheinen jeder Ausgabe ein paar Hundert potentiell Interessierten Probehefte versandt, außerdem erhalten alle darin vertretenen Autoren jeweils ein Belegexemplar mit einem begleitenden Appell, dem Fortbestand des Blätterwerks auch materiell beizustehen.

Denn dieses Forum ist seit Jahren den Eliminations-Ambitionen einer pangermanisch manischen “Koalition“ auf den Fährten des wilhelminischen Drang-nach-Osten-Denkens ausgesetzt, dessen Zielbahnhof das ethnische Zersplittern der kosmopolitischen Quartiere als Vorstufe der »humanitären Interventionen« innewohnt. Das gegenwärtige Terrain dieser Orient-Offensive umfaßt die Gebiete vom Balken bis nach Mesopotamien und zum Hindukusch genauso wie die hiesigen Parallelwelten.

Autoren, die das Blätterwerk bereits mit einem Abonnement oder einer Mitgliedschaft im herausgebenden Verein beistehen, bestellen zusätzliche Exemplare, andere leisten Spendenbeiträge. Hinzu kommt der Beistand einiger frei-gemeinnütziger Institutionen.

Trotz mancher Zugänge neuer Abonnements und Fördermitgliedschaften wird das kommende Jahr wieder ziemlich schwierig. Da bleibt der geschäftsführenden Redaktion kein anderer Weg übrig, als sich erneute an alle zu wenden:

• an die Bezieher von Probeexemplaren, ein Abonnement in Betracht ziehen.

• an die freiwilligen Autoren, dem herausgebenden Verein als aktives oder Fördermitglied beizutreten, nach Möglichkeit ein paar Extra-Exemplare (freilich mit Autorenrabatt) zu bestellen und dafür zu sorgen, daß die Buchläden in ihrer Nähe auch unser Printprodukt zum Verkauf ausstellen. Wünschenswert ist auch eine Mitarbeit in der Redaktionskonferenz.

Zuallerletzt werden die Rezensenten wiederholt daran erinnert, zu ihren Beiträgen folgende Angaben hinzufügen:

Name des Autors oder Herausgebers, Titel und Untertitel, Verlag oder Verband, Ort und Jahr, Seitenzahl und Ladenpreis der Publikation. Außerdem erwartet die Redaktion den Versand eines Rezensionsexemplars des jeweiligen Bandes.

Necati Mert

   

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