XXV. Jahrgang, Heft 142
Okt - Nov - Dez 2006/4

 
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Letzte Änderung:
24.10.2006

 
 

 

 
 

 

 

In den Kulissen der Teutozentrale
Zitadellen-Zirkus zwischen Barbaren-Furcht und Bravaden-Sucht
Oder der Broker-Zirkel der Zivilisierten-Bastei beim Schlachtenspektakel Ausgewählte Impressionen aus der super-imperialen Sommersaison / Von Necati Mert

   
 
 

Zwanzig Tage zwischen Zyklonen-Zentrum und Rand der Zivilisationen

Istanbul im Hochsommer. In diesem heißen Himmelsstrich der heiteren Hominiden weilte der Verfasser dieser Zeilen drei Wochen lang und brüskierte das fidele Drunter und Drüber - mit dem schwermütigen Schädel des andächtigen Dichters. Ins Auge konnte er eine Steppe der Betonbuckel fassen, dazwischen fast zwanzig Millionen Zweibeiner und ein Staudamm geduldeter Nomaden, der emporwächst. Einige Impressionen davon drangen in sein Gedächtnis ein, jedoch explizit wenige Exponate aus der Marginalie der exotischen Exponenten. Es schien ihm schwer zugänglich, eine einigermaßen druckreife Reportage über die Menschenlandschaften inmitten der Betonbauten und der dazwischen kreischenden Karren zu kreieren und es zu Papier zu bringen. Als Ersatz dafür entsprang folgendes Glossen-Sortiment:


Mentale Momente der Meetings zwischen Krösus und Krummbuckel

Am Bosporus treten Zentrum und Peripherie zugleich auf den Plan, finden sich Okzident und Orient zusammen. Daraus ergab sich das imperial imitierte Szenario, den Erdstrich im Weltatlas als primäres Drehkreuz für angelsächsisch angeführte atlantische Kreuzzüge zu installieren.

Istanbul geisterte im Hinterkopf der Westler, die ihre edle Hochtour in den Ebenen des Orients suchten, schon immer als Drehort der intensiven Intrigen und Integration der Inspirationen herum - zumindest seit jener Zeit, als die Routen der Karawenen ein riskantes Geschäft darstellten, im Mittelmeer die Korsaren ihr Unwesen trieben und der Sklavenhandel blühte, die katholischen Galicier die kosmopolitische Oase auf der iberischen Landzunge, Andalusien, überfielen und sein Zentrum Granada samt seinen humanitären Blüten in Besitz nahmen (Reconquista).

Die Metropolis westseits des Bosporus am Schnittpunkt von Marmarameer und Goldenem Horn bewahrt diese Position auch gegenwärtig. Hier läßt sich nicht von einer Nachbarschaft, gar einer friedlichen Koexistenz sprechen, sondern von der Episode eines rivalisierenden Rollendebüts.

Einst Vorposten der nordatlantischen Allianz, jetzt Zwischen-Zentrum der monekratisch alterierten und spät-modern alliierten Feldzüge - darauf basiert der Horizont des okzidentalen Rationalismus, der mehr auf kategorische als analytisch dialektische Merkmale verweist. Selbst sein akademisch assoziierter, militärisch assistierter Orientalismus entstammt dem hermetischen Dogma des göttlich Eigenen und teuflisch Anderen, zielt nicht aufs Erkennen, sondern aufs Diffamieren. Die Selbstgerechtigkeit des Abendländers verdeckt aber seine Dummheit nicht, was das dialektische Denken angeht - Floh im Ohr. Ergreift er die Flucht vor dem Fluch der Flöhe, bleibt er im Phantom-Flur zwischen Roh und Reif hängen - übernächtigt bei der Lektüre des Epigonen-Epos über den Heiland.

Hier stellt sich die alte Frage aufs Neue, die nicht nur den Charakter der hoffärtigen Zivilisationsritter tangiert: Nach welchen Ansichten und Ansätzen läßt sich der christliche Westen erhabener als erkennen als der islamische Osten? Wurden die Juden vor fünfhundert Jahren, die den Flammen der Ketzer-verbrennenden Inquisition in Andalusien entrinnen konnten, nicht von der Flotte des osmanischen Reichs aus den Fängen der Ritterhorden befreit und mit offenen Armen aufgenommen? War es nicht das Volk der Denker und Dichter, das Adolf Hitler per Urnengang an die Macht brachte und somit den Holocaust ermöglichte - mit dem Freibrief des Oberhirten vom Vatikan?

Jetzt leiern sich ausgegorene Kreuzritter Reparationsrituale aus dem Kreuz und betreiben im Vorderen Orient ihr Handwerk als Retter der Juden, gegen die sie jahrhundertelang eigenhändig Terror und Genozid praktizierten. Stammhalter der Konquistadoren und Sachwalter der neoliberal ökonomischen Inquisition trumpfen als weltanschauliche Honoratioren der Humanität mit ihren hochnäsigen Werten auf. Unter ihrer Regie wird das Szenario „Kampf der Kulturen“ ausgetragen. Natürlich lassen sie ihn im Kontext mit ihrem Kriegskurs gegen den Terrortrubel stehen, um ihr Revier gegen den Gewaltstreich der finsteren Horden und feigen Barbaren abzusichern - als Dolce-Vita-Dorado der rostroten Domänen-Demokratur. Die stilgerecht stimulierte Anti-Terror-Tortur trachtet obendrein danach, den denunziatorischen McCarthyismus wieder ins Leben zu rufen - auf eigenem Terrain.

Wenn die gesamte Region vom Hindukusch bis zum Mittelmeer in Flammen steht, dort die aufgeputschten Völkerschaften stets aneinandergeraten, Raketen fliegen und Alarmanlagen heulen, atomare Sprengköpfe in Waffenkammern mobil gemacht werden, finden die Emissäre und Missionare der OneWorldOrder wieder heim.

Ungehörige Regimenter, die kaum bis an ihre eigene Nasenspitze sehen können, geschweige darüberhinaus, und außerstande sind, ihre Hände an erster Stelle den Nachbarn entgegenzustrecken, gibt es zuhauf. Aber wo sind die Intellektuellen, die nicht staatskontrolliert weitsichtiger blicken müßten?


Reklamatorisch reflektierte Realitäten

Es gilt, die im Kern intensiv islamophoben Intentionen der abendländischen Intelligenzbestie als initiatives Signal zu begreifen, daß die aufklärerischen Institutionen stets das Bedürfnis verspüren, sich in Kriegssituationen östlich der Ägäis katzenfreundlich zu positionieren.

Der Weitblick der okzidentalen Reisenden als Kundschafter reicht nicht über die Wasserstraße zwischen dem Schwarz- und Weißmeer namens Bosporus hinaus, an dem seit über fünf Viertel Jahrhundert der kolonialistisch konstruierte „kranke Mann“ wohnhaft ist.

Das metroplitan manifestierte Konglomerat Istanbul mit Konsulaten und Handelskommissaren beginnt am Galata-Turm der Bankokratie und Bankrotterie, reicht bis Etiler, einem elitären Stadtviertel. Ein Bogen mit Repräsentanten der internationalen Über- und bodenständigen Unterwelt, der Diplomatie und Transaktion. Hier spielt und spiegelt sich das Geheimnis aller Art - Niedertracht pur...

Östlich vom Bosporus ist unterm Hesperus der Karl Mays und Fabeldichter mit akademischem Umhang alles bekannt. Hier beginnt der archaische Orient und geht das Gespenst jenes Kemalismus um, welcher der Gegenwart der westlichen Paranoia Hohn spricht. Er korrespondiert mit der nationalen Souveränität und - Umständen entsprechend - mit der Sozialität, legt sich dem superimperialistischen Konstrukt des ethno-kulturellen Identitätspathos quer. Er steht im Widerspruch zum postmodernen Demontage-Demokratismus, durch den Großgeschichten in Gedankensplittern versinken und Epen von Elegien verdrängt werden - vor allem in jenem World-Wide-Web-Areal, wo das periphere Menschentum als vagabundierende „Multitude“ der Posamentiers, sprich als fliegende Kurzwarenhändler, etwas nur anbieten kann, was sie hat und damit sein Kreuz tragen soll - ultra posse nemo obligatur!

Es ist gerade der Bedarf nach dem „Dialog der Kulturen“, der belegt, wie das Erdenrund in ethnische Identitäten zerfallen ist. Trotz allen Ruhms der individuellen Freiheit existieren nur noch homogene, meist metaphysische Blöcke der Kulten und mythischen Kollektive.

Auf diesem Themenboden operieren die Parlamentäre der Global Players, der aufpolierten Krautjunker, Patronagen und Patronaten. Vom irdischen Sachwalter des Himmels entlastet, handeln sie, hantieren eventuell mit dem Elend als Event. Das bezeugt, wie tief verflochten dieses Dies- und Jenseits im Hirn der klerikalen Hirten des Endkapitalismus ist.


Euro-pariasierte Privatier-Party unter der Diktatur der Demokratie

Die lärmenden Vierräder schlagen die hausierenden Straßensänger in die Flucht. Der Zores wächst, damit auch der Zorn. Erkennbar an den Gesweitverzweigtichtern der Spaziergänger, wie kräftig die Fingerabdrücke des ökonomischen Terrors, des profitparat paradierenden Zyklopen sind. Daß dabei der Demokratie eine Leerformel innewohnt, die mit jeder Gülle gefüllt werden kann, da wissen Massen, wo eigentlich der Hase läuft.

Die schwächste Stelle der Ortsansässigen ist seine Abhängigkeit von den uferlosen Bedürfnissen, die durch rivalisierende Remakes der Reklame als kunterbunte Kunststücke zusätzlich gesteigert werden. Adam Smiths „unsichtbare Hand“ biegt gerade, daß der in wenigen Händen vermehrte Besitz dem Gerechtigkeitsideal Garantie bieten soll - oder lebenslange Einsatzbereitschaft beim Roulett. Doch die machiavellischen Prediger des „sanften Islams“ und Parteien-Partner der metropolitan besoldeten IMF-Musketiere widersprechen diesem monetär metaphorischen Grundsatz des angelsächsischen Geistlichen nicht, dessen Lehrgebäude das gegenwärtige Postament der Oktopoden-Ökonomie und deren neoliberalen Legitimation untermauert.

Die Türkei bildet sich binnen der OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development/Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) als das ärmste Land heraus, hat aber gemessen am Prokopfeinkommen den höchsten Konsumstand. Gerade darin erblicken die eurozentrisch zitierten Regime-Rhetoren der Reform-Routine das Modell des Aufschwungs, den sie durch emporsteigenden Warenimport zu bewerkstelligen glauben. Zugleich hetzen sie den aufstrebenden Glücksrittern auf den Märkten hinterher, lassen den frommen Müll-Wühler hoffen, irgendwann den Status der Zinszombies einzunehmen. So sichern die Regimenter der Staatsgewalt den Banken fette Ausbeute zu, die - wie neuerdings ruchbar - sogar vor ihren Pforten Kreditkarten aushändigen.

Es genügt, den Anatolistanbulern Honig um den Mund zu schmieren, dann sind sie die Partisanen des parasitären Systems - im Dickicht der medial moderierten Mythen, vom Bauarbeiter zum Showmaster zu mutieren.

Laut genug wird nebenbei auch über den Lärm der Globalismusglocke geklagt. Doch das nordamerikanische Imperium steigert ihn allgewaltig weiter, und seine altkontinentalen Alliierten stehen ihm zur Seite.

Besonders laut schlagen aber die Glocken der Spaßgesellschaft in den Bildröhren. Vierundzwanzig Stunden am Tag gibt es Leben. In allen Variationen des Neben- und Gegeneinanders: Liebe und Haß, Feier und Trauer, Hunger und Völlerei, Terror und Frieden...

Immergrün präsentieren sich die Get-together-Partys, zumindest vor den Kameras. Tiefverschleierten Gestalten begegnet man draußen kaum. Zeitweilig überwiegen junge Evas auf den Trottoirs zahlenmäßig die mittelprächtigen Machos, auch in der Nacht. Sie lustwandeln meist euphorisch mit dem Handy am Ohr.

Stetes Rennen hinter dem Spaß her steigert den Streß zusätzlich. Es erinnert an die letzten Tage von Pompeji. Nur, es ist nicht der Vesuv, der droht, Lava auszupusten, sondern der nächste Erdstoß, der bevorsteht, wie sich die Vivat-Poeten der Dolce-Vita-Dorados scheinbar fühlen, daher auf immer mehr Vergnügen pochen.

Während die letzten Partisanen der Spaßparty ins Bett gehen, stehen die Muezzins auf, zum Morgengebet aufzurufen. Ob die Schlawiner auf dem Staatssessel sich den Schlaf aus den Augen reiben und den Gebetsteppich betreten, davon kann keiner Kenntnis haben. Mit nachtwandlerischer Sicherheit läßt sich jedoch vermuten, daß sie sich allmählich dem Allmächtigen zuwenden, damit es in den Slums, sprich Gecekondus oder Varoschs, ruhiger verläuft als in den Luxus-Gettos der Businessmans, über die die mit göttlichem Gusto hantierenden Havarien und Hurien die Hand haben?


Tortur-süchtige und Subversions-tüchtige Substanz des Novum Romanum

Die menschenrechtsmissionaren Gladiatoren des Zivilisierten-Zentrums jagen nach Trophäen auf dem ganzen Globus. Mit den Mitteln aus ihren Reformwerkstätten und ideologischen Waffen aus dem aufgemöbelten Arsenal des Kolonialismus. Subsistenz-Existenzen werden überfallen und enteignet, Subtropen torpediert. Die Blockwart-Mentalität rechtfertigt triviale Herren- und Untermenschen-Mechanismen. Nach dem Motto, wer eine Schlacht ausruft, muß auch fechten, intensivieren sie den Propaganda-Feldzug für den „Krieg gegen Terror“, investieren in Anstalten der militaristischen Interventionen. Unter ihrer humanitär habituellen Gewalt befindet sich auch das Migrationsgeschehen im blutbefleckten Kontroll-Korsett. Tatsächlich liegt auf ihrer retrospektiven Restaurations-Route rigide der robuste Schutz der monekratischen Totalität beim alljahreszeitlichen Roulette.

Um ihrem Ruhm als anständige Anthroposophen gerecht werden zu können, müssen die Lemma-Lotsen und Legenden-Lektoren das abendländische Lehrgebäude und den von ihm eingebrockten verfahrenen Verlauf sozialer Verhältnisse auf dem Globus moralisch überpinseln und legitimieren. Vom irdischen Sachwalter des Himmels doch nicht entlastet, müssen sie handeln, mit dem expansiven Mangel als existentiale Manufaktur hantieren, vor allem mit Alien-ähnlich erdichteten Kreaturen Händel suchen. Um die martialischen Hintergründe der markigen Miseren nicht zu entlarven, müssen sie ohne Rast und Ruh für das waltende, den Erdkreis in Schach haltende Imperium Okzidentum die Hand ins Feuer legen sowie standhaft dem Fazit hohnsprechen: Das heutigentags verfaulte System läßt keinen Blütentraum aufkeimen, keinen Ausblick auf eine Zukunft jenseits markt-mentaler Mißstände wie Hunger, Gewalt und Krieg für wahrscheinlich halten. Nur ein neuwertiges Emanzipations- und Zivilisationsmodell macht die überfällige Umkehr möglich.

Doch die Markt- und Mammon-hörige Intelligenzia des Imperium Okzidentum, für die der Ökonomismus - verwertbare Ware und geldwertes Besitztum - als orakelhafter Glaube ins Gewicht fällt, lebt eine prometheische Abstraktionsfähigkeit vor, bei der sich der Rest des Globus einzuschleimen hat. Wer sich dagegen wehrt, wird der Reinkarnation Hitlers bezichtigt.

Sie räumt dem Raubritterkapitalismus so eine wuchtige Tragweite ein, daß ihr z.B. die Gewinnspanne der Pharmaindustrie gewichtiger ans Licht kommt als das allgemeine Wohlergehen.

Sie haut überlaut auf die Pauke, wenn Petroleum-Potentate - König, Prinz, Scheich, Pharao u.a. - in der Wildnis Arabiens private Eislaufhallen bauen, während Millionen in der Einöde Afrikas verdursten und verhungern.

Sie heftet den Blick auf Paläste und Präsidenten abfällig, wenn diese auf der Abschußliste des Pentagon stehen.

Sie setzt sich unentwegt über die Mißachteten des Mäuse-Tempels hinweg, weil diese die humanen Miseren zum Erliegen bringen wollen, daher der Werte- und Waren-Warte des Marktes mit Unbehagen begegnen.

Sie speist sich aus dem Herzensbedürfnis, den minderbemittelten Heloten die Botschaft zu übermitteln, daß sie die totale Untertänigkeit, damit das Leibeigenenverhältnis als Kismet zu begreifen und sich dem Ellenbogenrecht zu beugen haben.

Und Meriten erwerben ihre militanten Schwärmer dadurch, daß sie in der medialen Maskeraden-Gilde, der „Presstitution“ (Uri Avnery), die erste Geige spielen und mit der Pracht unter der monetären Übermacht prahlen. Brillant wie scharfsinnig formulieren die Funktionäre, die in den televisionären Talkrunden ihr Haupt wiegen, Imitationen, die Fundamente ihrer Syndikate systematisch auszuweiden. Der immense Wettbewerb zwingt sie dazu, ständig neue Waren herzustellen. Wer unter der Wucht der „unsichtbaren Hand“ als Marktteilnehmer nicht untergehen will, muß auch bereit sein, Krieg zu führen. Gewehre gewähren dem Gewerbe das Überleben.

Das Schicksal des Endkapitalismus hängt davon ab, die Weltgesellschaft in ethnizistisch definierte, konfliktbeladen markierte Gemeinschaften umzumodeln. In Kauf genommen wird gleichfalls ein Weltbürgerkrieg.

Auf dem Dünger, den das konforme System des Marktes verbreitet, gedeiht der Terror der Timokratie, der im Schoß des Kapitals fruchtet und historisch in Korrelation zur Theokratie steht. Krokodilstränen vergießen die Konföderierten der Konfrontation, wenn der Dreck, den sie verbreiten, an die eigenen Scheiben oder Schuhe spritzt.

Die vermeintlich westlichen Werte wie Freiheit, Demokratie und Menschenrechte haben Kultcharakter für den Markt. Ihre Gleichheitsgebot des Individuums gilt ausschließlich für den Erhalt des Rechtes auf Eigentum und untergräbt jegliche Universalität des Überlebens. Diese Werte sind der Ökonomie verpflichtet und unterminieren jeglichen Ansatz des Kollektiven als menschliche Existenzgrundlage.

Die Demokratie, die im neoständischen System des imperialen Kapitalismus als Schoner einprogrammiert wurde, strukturierte schon immer die Demagogie statt Empirie. Dabei ist die Seite der Repression so fürchterlich finster, daß ins Fenster Gegenpartei kaum noch Licht dringen kann.

Den merkantil manierierten Menschenrechten, die mit Doppel-Ellen gemessen werden, wohnen Partikular-Interessen inne, und es gibt kein Abtriften davon. Wenn nicht durch erpresserisch angetragene Freihandelsabkommen, dann durch „humanitäre Intervention“ in Fällen besonders störrischer Staaten. Edel empfinden die arischen Apologeten der Zivilisationszunft, was den eigenen Gesichtspunkt widerspiegelt. Revolutionär ist für sie, was dezidiert westliche Sichtweise einfordert und sich mit ihrem Ideal, das Erdenrund samt seiner Atmosphäre uneingeschränkt anzueignen, vermengt.

Kommentatoren kommunizieren über den merkantil markierten Draht der Kröten-Kirche. Um das landläufige Bild der Apokalypse, auf das sich die abendländische Pyramide stützt, zu konservieren, vergegenwärtigen die doktrinären Militanten der Journaillen-Junta einen „Dschihadismus“ und lassen ihn weitverzweigt gespenstern. Die schreibenden Legionäre fahren alles auf, was sie an bleiern mentalem Glanz des Marktes unterm Hesperos aufzuweisen haben.

Eine Zensur findet nicht statt, vorausgesetzt, daß die Broterwerbskünstler der medialen Gilde die Vorschriften im Strafgesetzbuch achten und die political correctness - im Kampf um Status-quo-Quoten... Aber man kann einen hybridischen Wild-West-Cowboy auf dem selbst stilisierten Imperatoren-Thron nicht als Staatsterrorist bezeichnen oder als improvisierten evangelischen Hitler karikieren.

Bewundernswert verkauft sich der siebengescheite Heldenmut mancher Marionetten der Journaillen-Junta. Auf Höchststand, da sie dem imposanten Verswerk des Marodeurs nicht von den Fersen weichen. Wer sich dem Paukenschlag widersetzt, landet im Hungerturm.

Welchen magischen Gehalt neuerdings die Münchhausiaden beim breiten Publikum unterm Hesperos hat, zeigt die moderne Fiktion des in rauhen Mengen produzierten und weiträumig publizierten „Islamo-Faschismus“, der dem maroden Bush-Werk entstammt. Somit können sich die Bravo-Brigadiers der „Presstitution“ leichter als zuvor der präventiven Propagandaschlacht gegen globale Briganten anschließen und mit judeophilem Gejubel die Antisemitismuskeule schwenken.

Mit stets verbalem Verweis auf die Gefahr des Dschihadismus wird zugleich die Renaissance der Kreuzzüge als notwendiges Novum renommiert. So maßt sich der US-amerikanisch katholische Missionar Robert Spencer, u.a. Moderator Leader der Webseite JhadWatch und Autor der Postille „The Politically Incorrect Guide to Islam (and the Crusades)“ an, für die Kreuzzüge eine historisch „gerechte“ Perspektive zu quittieren, die gewissermaßen eine Konstante im Gestern des Christentums enthält.

Auf dieser rauchigen Schiene rast die imperiale Lokomotive der Zivilisation und überrollt alles, was droht, ihr in die Parade zu fahren. Und längst wurden unter dem gewichtigen Geräusch der Oligarchen-Orgie Lebenswelten zu Warensubjekten der kapitalistischen Werte-Warte formatiert. Sie halten es für selbstverständlich, daß ihr Wohl und Wehe vom markt-ökonomischen Wachstum abhängt.

Im metaphysischen Schlagschatten ihrer humanitären Aspekte überwiegt bei weitem das Kriegskommando gegen die „Armeen von Holzbooten“. In der Endlosschleife menschenrechtsmental begründeter Brutalität findet Tod vor der Küste oder in der Wüste statt.

Die sonst wehhrhaften Ritter der geläuterten Demokratie-Domäne verhalten sich wie Leibwächter der Potentaten auf dem Wallach der Wallstreet-Wandalen, jagen nach der Rosinante in der Wildnis.

Wer glaubt, wie manche islam-grüne Tausendsassas, daß die Kraft, gegen Repression ohne Resignation Widerstand zu leisten, nur aus dem Tempel kommen kann, ist auf dem Weg von der Manie in die Depression.

Auch unter dem Lehrgebäude der „Multitude“ als emanzipatorischer Kraft mausern sich manche ambitionierte Musketiere des Menschenmanagements, mit Naturschauspielen hantierende NGO-Husaren und hochherzige Humanisten. Sie richten sich in einem asymmetrischen Frieden ein, verschanzen sich in einem humanen Elfenbeinturm intellektueller Fossilien. Jedes Wort, das ihnen in die Feder fließt, stammt aus dem gepflegten Mythos des Zivilisierten-Zirkus. Sie reden wohlfeilen Unsinn bezüglich der Möglichkeit einer „anderen Welt“, um eigentlich die rebellischen Stimme der Entrechteten und Gedemütigten zu übertönen. Schließlich spielen sie sich als Riten-Reiter auf, die Zores und Zorn der Armen-Armeen von oben herab sehen sowie ein übernächtigtes Individuum über das Kollektiv hinweg in den Himmel heben und hoffen auf das Gerechtigkeitsgenre der Hyänen - sinnverwandt mit der humanitären Hybris im Singkreis der Hurra-Hymnen.


Gehässiges Geheimnis: Ethno-Atlas aus der Giftküche Pentagoniens

Es gibt am Bosporus kaum ein Kuriosum, vor dem die spartanischen Späher der teutonischen Meute-Media die Augen verschließen. Daß sie von den sozialen Eskalationen keine Notiz nehmen, mit ethnischen Zwisten sowie geschenkten Geschichten aus der hegemonialen Giftküche herumfuhrwerken, dürfte längst nicht mehr verborgen sein. Daß sie sich zuletzt über die schmierigen Schatten des super-imperialistischen Übergewichts unter den „Stars and Stripes“ östlich vom Balkan ausschwiegen, müßte einer durchdachten Methode folgen.

Als eine Neuheit ging der Öffentlichkeit der Republik Türkei ein aus den Denkfabriken Pentagoniens stammender Ethno-Atlas an die Nieren, publiziert Ende Juni 2006 vom „Armed Forces Journal“, einem Periodikum der „Army Times Publishing Company“. Es dreht sich dabei um einen generalstabsmäßig protegierten pompösen Plan propagandistischer Popularität sowie demagogischer Diktion für die Dekomposition fast sämtlicher Staaten des Vorderen und Mittleren Orients östlich von Griechenland und westlich von Indien.

Territorialverluste und neue Grenzscheiden betreffen unter anderem die Türkei, Syrien, den Libanon, Saudi-Arabien, Irak, Iran und Pakistan. Ganze Nationalstaatsgebilde sollen aufgelöst und durch ausgegorene, nach Kriterien der Stammes- und Religionszugehörigkeit definierte Völkerrechtssubjekte ersetzt werden. Demnach entstünde auf dem Boden der heutigen Osttürkei und des Nordirak ein Flächenstaat „Freies Kurdistan“ von der dreifachen Größe Syriens. Der Rest-Irak wird erneut zerstückelt, die Hauptstadt Bagdad zerschlagen. Der Iran verliert weite Teile seiner Küsten, und in den an Pakistan grenzenden Gebieten soll ein „Freies Baluchistan“ aufkeimen. Die heiligen Städte Mekka und Medina, bisher in Saudi-Arabien gelegen, steigen zu Macht-Metropolen eines muslimischen Gottesstaates auf, das an die Südgrenzen Jordaniens stößt - als Doublette des haschemitischen Territoriums („Groß-Jordanien“).

Die panamerikanisch paraphierte Ethno-Karte, der die Geburtswehen eines Gewaltstreichs innewohnen, und die im Sinn hat, den „Großen Mittleren Osten“ fest an die nordatlantische Achse zu schweißen, erschien den sonst siebengescheiten Germanen aufklärerischer Ambitionen nicht erwähnenswert. Sie siebten das US-Kartenwerk vermutlich als morbide Mißgeburt heraus, nahmen es wie ein Buch mit sieben Siegeln wahr. Doch dahinter steckt mehr.

In einem Gespräch mit der german-foreign-policy.com-Redaktion Anfang September 2006 urteilt der Pariser Historiker Dr. Pierre Hillard: „Die deutsche Politik spielt bei der Propagierung dieser Ideen eine große Rolle“. Der Spezialist für deutsch-französische Kooperation erwähnt in diesem Kontext die „Kopenhagener Kriterien“ und erläutert: „Diese EU-Kriterien verlangen nach Minderheitenrechten in der deutschen Definition. Sie sind von Deutschen ersonnen und von Deutschen in die EU-Dokumente eingeführt worden, wie ich in meinen Veröffentlichungen mehrmals nachgewiesen habe. Diese ethnisch geprägte Minderheitenpolitik ist zum Bestandteil der gesamten EU-Nachbarschaftspolitik geworden, sie betrifft auch die osteuropäischen Kandidaten und Anlieger der EU. Es geht um ethno-regionalistische Konzepte, die zur Zerstörung souveräner Staaten führen.“

Und zu den Ohren des breiten Publikums dringt kein Fingerbreit. Denn die mediale Singakademie stimmt mental die Melodie derer an, von denen sie etabliert, gepäppelt und vorweg zum Geniestreich egalisiert wird. Stetig steigt daher ihre Aktie als Handlanger im Laienlager für die Legitimation des liederlichen Gelärms von „War on Terror“, und sie wiehert als nächstes Zirkuspferd, auf das die alliierten Sekurity-Sektionen des Imperium Okzidentum unentwegt setzen.


»Malthusianistische Krise«

Wieder kursieren entstellte Daten am Himmel der hochbetuchten Bourgeoisen. Ein Bericht der „Deutschen Stiftung Weltbevölkerung“ alarmiert: Die Zahl der Erdenbürger wird von derzeit 6,6 Milliarden bis 2050 auf 9,2 anwachsen. Davon werden nur 665 Millionen Europäer sein, gerade noch 7,2 Prozent. In „www-telepolis.de“ vom 21. August 2006 kommentiert Thorsten Stegemann:

„Für die Entwicklungsländer kann der unkontrollierte Anstieg der Weltbevölkerung nichts Gutes bedeuten. Mit den Menschen werden auch Armut und Ressourcenknappheit zunehmen, so dass soziale Unruhen, Bürgerkriege und Verteilungskämpfe aller Art vorprogrammiert sind. In Europa wächst derweil nicht nur die moralische Verpflichtung, den Menschen durch effiziente Hilfe zur Selbsthilfe in sehr viel größerem Umfang beizustehen als jemals zuvor. Das Bevölkerungswachstum wird den Druck auf die schon jetzt streng bewachten Grenzen der westlichen Welt noch einmal erhöhen und die aktuellen Migrationsphänomene vermutlich in den Versuch einer Völkerwanderung münden lassen.“

Daß Hunger eine furchtbare Geißel ist, weiß man einfach. Er stört dennoch nicht, solange er am anderen Ufer des Mittelmeers als Furie ganz eigener Art verbleibt.

Die Intelligentsia des Abendlandes, tiefer als in den Zeiten der Reconquista im Lehrgebäude des Christianismus versunken, verbreitet das Bild des apokalyptischen Reiters, den sie als „malthusianistische Krise“ der Menschheit verdeutscht. Sie eskaliert. Und ihr begegnen die Apostel der Schicksalsgemeinschaft mit Rat- und Perspektivlosigkeit der Enteigneten, die sie aus dem Morast der Geschichte kennen. Denn die Maschinerie des Marktes, die von der „unsichtbaren Hand“ gelenkt wird, läßt sich kaum noch mit den Mitteln der Reformen warten. Die Beobachter auf den Sternwarten melden Unstimmigkeiten im Sonnensystem und der Atmosphäre bevorstehende Wasserkriege.

Überhaupt auf den „Krieg der Kulturen“ stützt sich die eurozentrische Architektur der globalen Zivilgesellschaft, die experimentiert, äußere Feinde auch als innere Gefahr zu instrumentalisieren, damit das krisenfeste Konstrukt der metropolitanen Sicherheit steht. Das lautstark glorifizierte „globale Dorf“ besteht längst aus Enklaven, Elendstrichtern, ethnisch identitären „Intifade“-Inseln. Hier lebt der Neoliberalismus fort und die kolonialen Genozide.

Unter dem Zwang zunehmender Globalität der markt- und mammon-konformen Humanität verkümmert die Freiheitsidee zur partikularen Fortuna von Privateigentümern und sonstigen Privilegierten.

Der Wärter der biologistisch-utilitaristisch aufgezogenen kulturalistischen Eselsbrücke begegnet dem als andere definierten Dilettanten nicht nur mit Argwohn, sondern er fühlt sich auch auf der Höhe seiner Fähigkeit, diesen abartigen Störenfried über den Jordan zu schicken oder ihm solange an der Kehle zu drücken, bis die Kerze aus ist.

Die Eliten-Zunft, die sich weitsichtig der Furcht der Hochbetuchten vor dem Aufbruch der Enteigneten zuwendet, rückt mit aller Kraft die Demographie ins Zentrum der Demokratie und harrt auf die Renaissance des Sozialdarwinismus gemäß der Konstitution eines eliminatorischen Kulturalismus.

Historisch steht der Kapitalismus im engen Kontext mit dem Christentum. Selbst sein postmodern präpotentes Postament läßt sich im abrahamitischen Lehrsatz positionieren. Sein Urvater, Adam Smith, war Geistlicher der evangelikanen Kirche und erfand jene „unsichtbare Hand“, welche die Macht hat, materiellen Reichtum respektive Kapitalstock zu mehren und allen einen göttlichen Wohlstand zu bescheren. Diesen Ansatz griff seinerzeit ein anderer Ökonom namens Thomas Robert Malthus auf, der ebenfalls der britischen Kirche angehörte.

Auf dem Lehrgebäude des Theologen Malthus basiert der Sozialdarwinismus, der postuliert, daß der gesellschaftliche Prozeß ähnlich dem eines biologischen Organismus verläuft. Im engeren Sinne bezieht er sich auf den ökonomischen Erfolg sowie auf als angeboren angenommene Eigenschaften wie Fleiß, Intelligenz und ähnliche Charakterzüge. Gesteuert durch die unsichtbare Hand der Evolution setzt sich langfristig das durch, was sich am besten fähig zum Überleben erweist.

In seinem „Essay on the Principle of Population“ geht der Schwarzrock Malthus davon aus, daß die Reproduktion der humanen Population exponentiell steige, die Lebensmittelproduktion in derselben Zeit aber nur linear. Dies folgt aus einer einfachen mathematischen Formel: Wenn ein Paar vier Kinder hat und diese wieder vier Kinder pro Paar, so wächst die Bevölkerung immer schneller, die Bevölkerung verhält sich wie Zinseszinsen. Er übeträgt Darwins Deszendenztheorie auf die Gesellschaft und erklärt soziale Konflikte, Naturkatastrophen sowie den Krieg als schicksalhaften Vorgang. Demnach ruft ein potentiell explosives Wachstum von (menschlichen) Populationen zusammen mit der Begrenztheit an Ressourcen den „Kampf ums Dasein“ hervor.

Malthus sah es als gottgewollt an, daß ein großer Teil der Erdbewohner sich seinem Schicksal, einem Leben in Armut, durch die “naturnahen“ wirtschaftlichen Umstände verursacht, zu stellen hat. Elend, Seuchen, Zwangsmaßnahmen, Kriege u.a. sollen die überschüssige Produktion der Menschen reduzieren. Und der Neomalthusianismus befürwortet sogar den Einsatz von Massenvernichtungswaffen.

Die naturalistische Theorien vom „Überleben des Angepaßten“ setzten die Nazi-Ideologen um, indem sie dem Schicksal der Ausgelieferten das Trugbild des “lebensunwerten Lebens“ oder der “minderwertigen Rassen“ zuschrieben.

Wüten und zerstückeln kann der hochbetagte Kapitalismus-Krake auch im moribunden Stadium. Mit weinenden Augen und zerrissenem Herz zelebrieren seine Palast-Privatiers den letzten Sieg über den Planeten.

Noch nie wurde auf dem Globus so viel Reichtum angehäuft wie heute, welcher allen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen könnte. Nur: Auf ein Prozent der Erdenbürger entfällt soviel Einkommen, welches dem Anteil von siebenundfünfzig Prozent entspricht.

Doch eine andere Welt wird es jenseits eines Morgens des Sozial-Kollektiven nicht geben.

   

Netzbrücke:

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