XXV. Jahrgang, Heft 142
Okt - Nov - Dez 2006/4

 
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Letzte Änderung:
24.10.2006

 
 

 

 
 

 

 

Lyrik




   
 
 

Irminsul

Karl, der Große, wie bekannt,
Fiel mit seinen Scharen
Mächtig in das Sachsenland,
Weil dort Heiden waren.
Und er sprach zu Widukind:
Deine Leute unnütz sind,
Beten ja zu Götzen.

Folge mir und werde Christ,
Diene meiner Lehre.
Kurz ist die Entscheidungsfrist,
Und es bringt dir Ehre.
Oder ich mit Stab und Schwert
Brenne nieder deinen Herd,
Stürze deine Götzen.

Und der große fromme Karl
Schlug mit seiner Keule
Allem Sachsenvolk zur Qual
Ihre Irminsäule.
Und da half kein Volk, kein Thing.
Donnernd sank nun im Osning
Irmin hin, der Götze.

Wie ein Tiger Widukind
Schliff die wilden Pranken.
Und die Heiden, sturmgeschwind,
Stürzten auf die Franken.
Und es kämpfte Gier mit Wut.
Und das Heid - und Christenblut
Schrie zu Kreuz und Götzen.

Und dann klang es durch die Welt,
Denn der Sachse lag geschlagen,
Karl heißt nun der große Held,
Dies in allen Tagen.
Und der Franke fiel auf`s Knie,
Betete vor Mensch und Vieh
An die Kreuzesfahne.

Kurt May


***


Der Bär ist tot

Ein Bär war los –
jetzt ist er tot,
erschossen – genau gesagt,
obwohl es auch anders ging.

Lang hat sie gedauert: die Flucht
von einem Land zum andern.
Doch endlich mal hat es geklappt
mit einem Schuss, das Schauspiel zu beenden.

In Ruhe jetzt können
Hühner Eier legen,
Schafe wieder gemächlich
auf der Wiese weiden.

Der Braune hat zu viel gewagt
die Grenze überschritten
das hätte er doch wissen müssen,
daß er nicht willkommen ist –
man duldet hier nicht die braune Gefahr.

Es war viel los in diesem Land
zu was der Mensch fähig ist,
hat sich gezeigt…

Gott sei dank, in diesem Land
Ruhe ist nun eigekehrt
jetzt können wir andere Dinge anpacken,
sie zum ersehnten Aufschwung bringen.

Endlich haben die Politiker wieder ein Gehör
für menschliche Belange –
dank der schnellen Reaktion
die braune Gefahr schnell zu beenden.

Zwar ist der Bruno tot
doch findet er keine Ruh’ –
die Geldemacher
reißen sich um seine Haut,
ein toter Bruno steigt an Wert:
Show und Kommerz boomt –
die Treiber reiben sich die Hände.

Lazar Dasic


***


Rede mit Wörtern

   Für Johanna Kokoszka

Der Emskanal ist das Herz des Münsterlandes.
Meine Liebe ist mein Herz.
Sie sagen, Münster ist eine Stadt der Liebe.
Ich glaube auch die Zeit, in der ich Dich kennen gelernt habe.

Ich laufe am Emskanal.
An beiden Seiten des Kanals sind die Felder mit Blumen bedeckt.
Jede von denen gibt mir deinen wunderschönen Duft wieder.
Das ganze Volk lebt in Aufregung durch das Viertelfinale-Fußballspiel.
Von Deiner Liebe bin ich betrunken.

In dieser Stadt führen alle Straßen zum Aasee.
Meine Augen sehen nur Deine Wege.
Meine Liebe zu Dir verbrennt mein Herz,
verbrennt meine Lungen.

Ich erzähle dem Rosengarten
Und der Nachtigall von dieser Liebe.
Sie verstehen diese Liebe, dieses Brennen, dieses Leid.
In welchen Zeilen kannst Du mich verstehen?
In diesem Moment schaut das ganze Volk das Viertelfinale,
Argentinien spielt gegen Deutschland.
Ich träume von Dir und schaue mir Deine Fotos an.
Es fließen auf meinen Wangen zwei Tränen.

Nein, es ist kein Traum.
Was schreibt mein Kugelschreiber?
Es ist nur eine Stimme aus meinem Herzen.
Diese Nacht kann ich wieder nicht schlafen.
Deine Liebe hat mich von mir weg genommen.
Vielleicht läufst Du unter Sternen umher
und gibst Deine Haare dem Wind
Wie ein Wildpferd.
Von den Sternen, von dem Rosengarten,
von Nachtigallen pflückte ich alle Liebeslieder.
Ich trage alle Liebeslieder auf meinen Schultern für Dich.

Du weißt,
Wie die Wasserfälle von Alpenbergen im Frühling fließen,
So fließt von Deinen Augen der Liebesstrahl in mein Herz.
Ich kann Dir nichts sagen,
Doch ich rede mit Sternen, mit Blumen, mit Wörtern.
Alle tragen Deinen wunderschönen Duft.

Molla Demirel


***


Brecht den Bann

Hört auf zu schweigen,
So lange Sprech- und Denkverbot,
Eure säuselnden Geigen
Sind geistiges Schweinebrot,
Brecht endlich den Bann,
Die Macht muß fallen,
Schluß mit der Angst,
Schluß mit dem Lallen,
Brecht endlich den Bann,
Weg mit der Hatz,
Heh, Knoten, platz,
Oder bist du tot, Mann?
Wenn die, die lügen,
Uns mit Geld kaltstellen,
Sagt, dass sie betrügen,
Euer Wort schlägt Wellen,
Sie schüchtern uns ein,
Drohen mit Knast,
Stellt den Schurken ein Bein,
Nur Gerechtigkeit paßt,
Laßt euch nicht darauf ein,
Ach, faule Kompromisse,
Die Wahrheitsfahne hisse,
Seid ein rollender Stein,
Die Solidarität ist mehr
Als Täterä und Raunen,
Nicht untern Teppich kehr,
Was wahr ist, laßt sie staunen,
Dass es noch Menschen gibt,
Die sich nicht kaufen lassen,
Gut ist der Mensch, der liebt,
Die Feigheit sollt ihr hassen,
Die Tyrannei der Worte,
Die toll ins Weltbild passen,
Die stinkenden Dummorte,
Das Heucheln sollt ihr hassen,
Mit Liebe, denn die Zeiten,
Der Mensch, er kann sich ändern,
Habt Mut, in Freud und Leiden,
Gebt Sonne kalten Ländern,
Und hört auf zu schweigen,
Die das nicht wollen,
Sie prügeln euch fest in ihren Rollen,
Wenn ihr das Maul haltet,
Sich der Freiheit zuzuneigen
Ist niemals veraltet,
Laßt sie toben, laßt sie grollen,
Klar im Herzen und nicht fett,
Das ist's, wie wir sein wollen,
Und nicht so verdammt nett
Wie die, die Sklaven sind
Von Ruhm und Gier und Geld
Und all dem, was ein schönes Kind
Für ganz gefährlich hält,
Sie sind nicht mein Herr,
Sie sind nicht mein Gott,
Freiheit, die ich meine,
Ob ich wache oder weine,
Bringt raus aus dem Trott,
Drum hört auf zu schweigen,
Schluß mit Hü und mit Hott,
Auf den Berg muß man steigen,
Im Tal verrott!

Hadayatullah Hübsch


***


Winterlandschaft

Ein weicher Teppich hüllt die stumme Erde
zu langersehnter Ruhe, warm und lind,
wie einer Mutter zärtliche Gebärde
die Decke breitet ihrem müden Kind.

Auf jedem Strauch, auf aller Bäume Zweigen
liegt nun des Winters festlich süße Last,
darunter sich die Äste tief verneigen.
Des Lebens buntes Farbenspiel verblaßt.

Die Flocken rieseln... Lautlos, endlos schweben
sie aus dem schweren Wolkengrau herab.
Auf weißer Erde endet nun das Leben.
Und Leben regt sich unter weißem Grab.

Frederic W. Nielsen

Aus: »Meine Lesungen«. Wort-Porträts.Toleranz Verlag, Freiburg 1991


***


Grab für New York

Die Erde wurde, bisher, als Birne gezeichnet,
will sagen – wie ein Busen.
Aber, vom Busen zum Epitaph
ist das einzig lakonische Tun des Erbauers:
New York,
die vierbeinige Zivilisation,
Morden auf jeder Seite
und auch der Weg der dahin führt,
und in der Ferne
Gehlenden, Schreie der Ertrinkenden.
New York,
Frau – Statue.
In einem Arm ein Lappen, den man Freiheit nennt,
Papierblätter die man Geschichte nennt.
Mit anderem Arm, erdrückt sie das Kind
das Erde heißt.
New York,
ein Leib in Asphaltfarbe,
ein Leib mit einem Feuchtigkeitsgürtel umschlungen.
Das Antlitz: ein geschlossenes Fenster...
es tröstet mich: Wollt Wittmann wird ihn öffnen...
"Ich spreche ein leeres Code aus " –
nur ein Gott hört mich der nicht zurückkehrt...

Adoms – All Ahmet Said

Aus dem Arabischen ins Serbische von Darko Tanaskovic´. Deutsch von Dragica Schröder


***


Den sie hängten

Im Dritten Reich stieg ein Ukrainer
Einer jungen maid nach hat sie
Belästigt so hieß es was genau passierte
Ist ungewiss
GESTAPO hat ihn festgenommen
Vor Bundenthal unweit
Eines feldkreuzes offen an einen baum
Aufgehängt hat man ihn
Ukrainische frauen und männer
Wurden aus den dörfern
Des Dahner Tales zusammen
Geholt mussten zu sehen wie
Der mann hingerichtet wurde
Appendix:
Ukrainer meldeten sich damals
Freiwillig aus ihrer heimat nach
Deutschland und verdingten sich
Als arbeiter in der landwirtschaft.

Peter Schantz


***


Tägliches Mahl

meine Kochplatte die Straße
glüht schwarz ich verstreiche
den Teer mit meinem
Löffel

***

großer Gewinn im Standortwettbewerb
gesicherte Zukunft
die Zeitung von gestern
heute stopfe ich meine nassen Schuhe aus
mit dem Entlassungsbrief
zu verbraucht für weitere Rendite

Norbert Büttner


***


Alle hatten ein Loch im Kopf
und glasige Augen.
Dann deckte die Erde sie zu.
Ein Herr mit roten Hosenstreifen
sagte, des Volkes Dank sei ihnen gewiß.
Die Nation neige in Ehrfurcht ihren Kopf
Und die Musik spielte dazu den toten Kameraden.

Alle hatten ein Loch im Kopf
und glasige Augen.
Dann deckte die Erde sie zu.
Eine Rote-Kreuz-Delegation grub einige aus
und stellte fest, es ließe sich nichts feststellen.
Dann lud der General zum Essen.

Alle hatten ein Loch im Kopf
und glasige Augen.
Dann deckte ihre Asche die Erde.
Ein General sprach von Verbrechen.
Ein Museum wurde errichtet
"Arbeit macht frei" lesen Schulkinder
und essen auf der Wiese Butterbrot

Jaime Salas


***


gespräch über bäume

es gab einmal eine zeit
da war es fast ein verbrechen
ein gespräch über bäume zu führen
weil es so viele untaten verschwieg

heute müssen wir über bäume sprechen
denn sie verwurzeln sich tief
um halt zu finden
und recken sich dem licht entgegen

sie bieten ihren schatten dem
der sich zu ihnen setzt
und wiegen in ihren ästen
die melodie des windes

ihre stämme haben etwas geradezu menschliches
nämlich rückgrat
darum ist es heute fast ein verbrechen
nicht über bäume zu sprechen

Artur Nickel


***


Du bist November

Ich bin der Fremde
Auf den Trottoirs des Herbstes,
Einsamer Schatten, verirrt
Beherrscher der Angst, namenloses Wesen
Ich bin der, der nicht dein ist

Ich bin die Stille,
Das unfruchtbare Wüstenland,
Unausgesprochene Liebe auf den Lippen
Dein Kleid bin ich, eine Erinnerungsspur,
Ich bin der, der dich ruft

Du bist November
Purpurrote Schwanenträne
Unerreichbar in der nördlichen Ferne
Morgennebel über den Dächern, unruhiges Antlitz
Du bist die Musik, meine Liebste

Du bist die Birke
Den ermüdeten Paradiesvögeln,
Die Mutter meiner veschollenen Rehe,
Leiser Fluss der Kindheit, meine Liebe
Du bist die Einzige, mein Indien bist du.

Mili Tiro

Deutsch von Danica Nain-Rudovic


***


GÖÖGLMÖÖSCH & = 5

21
A sagte er habe ne falle gebaut
   bestückt mit aldischer aaswurst
Der köter der immer den hof beschiß
   der fiel darauf rein und der fraß urst
gierig davon Da hackte ihn
   das schaffott in zwei ungleiche teile
Er schlang immer noch aber scheißen könnt
   er nicht mehr ne ganze weile

22
Das mußten wir sehn zumal im moment
   oll Toussaint ausm gebüsch kam
AI hat die falle nicht benutzt
   weil er den Schneider für füsch nahm
Eingtlich war der für papier gedacht
   Er zeichnete nämlich an comics
da ging ‘s um veganischen inderwahn
   und OI mit Onkel Tom Mix

23
Da kam auch Gogus der schäfer drin vor
   der schickte seinen schnucken
weil das doch hochgebirgstiere sind
   ventile fürs pansendrucken
In Miesbach pfiff das und flog in die luft
   und er hatte sein scherzeug verloren
Da gab ‘s nur einen laden für
   und er kriegte sie nicht mehr geschoren

24
Gogus der hatte sein messer dabei
   son pansenentlastungsmesser
Das war ja dann nicht mehr nötig Das ex-
   plodiert bei AI aber besser
Mit dem messer hat Gogus dann just
   dem hund den pansen entlastet
Der hatte keinen Das war nicht schlimm
   denn der hatte auch gefastet

25
AI hat zwar die falle längs kaum benutzt
   weil die ja auf seinem tisch stnd
aber das katz das schnitt ‘s quer durch
   als das nach seinem fisch langt
Und weil er darüber sehr traurig war
   entlastete er sich den magen
Da hatte er aber kein messer für
   so lief ‘s ihm in den kragen

ToussainT


***


verspätung

Ich habe sie hängen sehen.
Wen?
Weiß nicht. einen mann
und eine frau.
Wie alt?
Weiß nicht. wie du und ich.
Wo?
An der linde am markt.
Wann?
Weiß nicht. hab’s vergessen
schon lang.

Oskarchen allein trommelt
und trommelt
warum? warum? warum?

Jutta Dornheim


***


Randmenschen

Du bist gestellt
An eine Klagemauer
Der Welt.

Du schaust
In den Sternenregen
und die Sterne
treffen
nicht Dich.

Du bleibst
An der Klagemauer
Ein Teil Deinesgleichen.

Kein Weg führt
Daran vorbei.

Betti Fichtl


***


Hoffnung

Vereiste Luft
Hat Träume
Im Spiegel verläuft der Weg
Gelöschte blutige Flügel
Ängstigen sich vor der Angst
Zittern in der Stille
Weit weg sind die Kerzen
Welche die Hoffnung antreiben
Fern sind Stämme
Mit menschlichem Herz
Alles wird sich verjüngen
Die Wege umkehren

Jasmina Segrt


***


Ich bin eine Weißhaut,
und schwer am Wanken –
beschreibe mit Schweiß heut´–
die schwarzen Gedanken.

Es gibt noch Apartheit,
durch die alten Buren –
dazu gibt es Zartheit,
in den Koransuren.

Südafrika Sklaven,
die gibt es noch heute –
durch die burenbraven,
Weiß-Holländerleute.

Ein blaßweißer Mehlwurm,
als Klein-Kontigent –
entfacht einen Mehlsturm,
im schwarzen Kontinent!

Elisabeth Rosing


***


Normen

Werkzeug derer die
hinter den Kulissen
arbeiten
sie helfen
Individuen
zu steuern
Fäden in der Hand
zu behalten
vereinfachen
das Miteinander
so werden
Machtsysteme
aufrechterhalten
Wir stehen
für dieses Spiel
zur Verfügung
fragen nicht einmal
nach dem Regisseur

Gudrun Kropp


***


Brigadier-Brief an Berolina

Seit du an der Spree Berolina fest
im Nebelschleier und hinterm dichten Dolce-Vita-Deich
nebst den Neigen und Nischen im Planetentheater
über die Eskalation der Grenzsperren gebietest
expandiert der Gottesacker im mediterranen Teich

Dann eilen deine Dragoner des Germanen-Genus
die Eselsbrücke zum Mäuse-Morgen zu retten
   vor dem Handstreich auf Gemeinplatz-Party
und auf Daseinskunst beim Kurtisanen-Genuß
spurten die Deinen ausgewogen zu Quoten-Quartetten
die Warenwarte des Privatier-Kometen zu warten
   in Gegengestaden der Partisanen-Partie
   beim Höhenflug über dem Krauter-Garten

Aus der Geschichte gerufen scharen
sich deine Ulanen in Kasernen des Front-Extras
   vor der Windsbraut der Barbaren
verheißen Graswurzelkomplotte aus Habsucht
und säen Hybriden-Haß
auf Planetär-Plenen der Pleitiers und Parias
strecken ihre geschwind geschliffenen Lanzen
   weit bis hin zur Brodel-Bucht der Flucht
   an Euro-Reichs Außengrenzen

An der Spree-Spitze spekulieren deine Dramen-Dichter
mit der Mutation durch Mulatten-Detonation
und der Renaissance des Römischen Reichs
         Deutscher Nation
tüfteln Laien-Leid in der Leitkultur-Arena
aus mehrerlei Sketchen Höllenkrach
   wenn nicht auf einmal tausend-
   wenigsten aber hundertfach

Im www-Varia haben deine Possen-Posamentiers
und sonst fliegende Kurzwarenhändler nur
zu verkaufen was sie allfeil haben –
      ultra posse nemo obligatur
Libertiner-Lyrik und Jägerlatein
   aus deinem Luftschloß-Schrein

Im Netzwerk deiner Nestoren steigen
stetig Marketender-Aktien und du läßt
jedem Gegengegröle die alte Leier geigen
dann allerlei Altertümer umsetzen
selbst die virulente Rentabilität
      in die virtuelle Realität
und dann die Großgeschichten der Humanität
als Gedankensplitter der Exekutions-Ästhetik

Bärbeißig deinem Bergsattel Berolina
ziehen Zeloten der Zivilisation ins Gefecht
zitieren das Zitadellen-Recht
auf Steppenspaß seit etwa zehntausend Jahren
nachdem himmelauf die Herrschaft entstand
und sie hierfür in Habschaft die Götter erfand
   und warmen Tauschwert der Waren

Immer wenn auf dem Mons vaticanus
professoral der Pontifex maximus
spricht über Universitas scientiarum stetig
macht er verstiegen universitätstätig
den Herren der himmlischen Heerscharen
zum Teilhaber des hart errungenen Ehrbaren

Immer wenn der oberste Hirte
stahlhart auf heiligem Stuhl
   seine Herde zum Zeugnis zitiert
   und stämmig das Artefakt Marias
      als Wunder-Varia rezitiert
      dünkt auf dem Titanen-Turm
dem Morgen die Dunkelfelder seines Habitus
beschworen der nächste Schlachtsturm

Nebenan im Imperatoren-Gottesacker
   und seiner Kamikaze-Hijacker
beruft sich Gelehrten-Geleit auf Revanche
und die Rekruten in der Rivalen-Revue
spannen im Krokodilenchor das Prokrustesbett
auf dem Ground Zero der Twintower
und im Kröten-Kosmos der Wallstreet
artikulieren sie gottgleich genial
genauso rabiat die Attacke auf jenes Ideal
das im Kommentaren-Konvoi des Kommunismus
als Epos erklingt und als Eloge auf Utopia
mit der Maxime "Omnia sunt communia"

Feuer fängst du Berolina
unter Dramen-Druck und Tyrannen-Teppich
bestickt aus Tränen von Zäunen und Stränden
   im feste-okzidentalen Himmelsstrich
   wo Elendsemigranten in Scharen enden
wenn sie nolens volens nordwestwärts nomadisieren
auf Träumer-Touren mit bloßen Händen
und dem Manifest des Überlebens testen
   die Stachelmauern zu trennen
   und Grenzwälle zu überrennen

Wachteln vom Kaukasus unterbrechen Reisen
kreischen über Ruinen der merkantilen Malaise
über deren Arial der Melodramen
die Aasgeier der archaischen Arier kreisen

Es ist gegenwärtig Berolina
   zweifelsfrei die Zwischenzeit
wenn Theo-Sophia der Technokratie
im zyklischen Zwergen-Streit
die Barden der Bären-Bravour befehligt
den Brigantensturm der Demokratie
auf Barbaren-Barke am Urbanen-Ufer

Als du von Fernweh nach Fruchtregen
gerissen ans Werk gingst Berolina
   dich bergauf zu bewegen
im Graniten-Glanz deines Deiches
und Granaten-Garant deines Reiches
geschickt hinter der Silhouette der Sirenen-Schlote
im sansculottengerecht sanktionierten Versteck
saßen die Meinen im Café Viereck
gingen immerfort durch Feuer und Flut
hindurch in noch faltenfreien Jahren
haben dann den Verrat in Bruder-Blut
      und Niedertracht erfahren

Als deine "Schutzstaffel"-Schergen
starkherzig wie starr sich zur Schau stellen ließen
mit Ballerina-Tracht in Braun
hängten die Meinen am Morgengrauen
   vor rabenschwarzen Mauerrissen

Jetzt weißt du alimentär
wie deine Rudimentär-Rivalen
beim Ellbogen-Event im ewig Elementaren
   in Elendstrichtern vegetieren
und die Berber deiner Kapitale in Scharen
unter Brücken hinterm Zoo picknicken
wobei die Erwerbslosen auf Bambule blicken

Als diejenigen Deinen Berolina
im ungefähr fünfzehnten Jahrhundert
   mit Standpauke und Schwert
   und bibel-belesenem Späher-Riecher
den Thüringer Wald erreichten
und die Fürsten-Standarte-Kriecher
Thomas Müntzers abgeschlagenen Schädel
blutgetränkt auf die Stange spießten
da er aufrief standhaft beim Morgennebel
      alle Magd und Knecht
zum allerersten echten Menschenrecht
auf "alles ist allen – alles ist gemeinsam"
stolzierten die Meinen schwellend schwer
an der Ägäis der Banderole hinterher
   während sie aus dem Verswerk
   Scheich Bedreddins die Zeilen
   "alles im Tun und Verteilen
      gemeinschaftlich" sangen
      "Außer der Geliebten Wangen"

Als die Meinen meisterlich marschierten
mannigfach unter dem Wahlspruch
      "Alle Macht den Räten"
begingst du Berolina Hals über Kopf
   aus Furcht vor Methusalems Fluch
die Flucht auf Mons Vaticanus
hast fiktiv vor Summus Episcopus
   Divina Commedia gespielt
Als du von Schwermut getrieben
entlang den nachträglichen Tribunal-Tagen
die Route zum Regenbogen geschlagen
hast im Tyrannen-Trabant inständig sehr
am Feuerhagel einen Affen gefressen
   ob über Land oder Meer
dich mit dem Todesengel kurzgeschlossen
hast geendet wiederholt in den Gossen
in fliegender Hast alles abgeworfen
furios den Mythos der Humanitas
   den burschikosen Husaren-Barritus
   selbst den Burlesken-Ballast
   und den wuchtigen Barrikaden-Palast
In der Wallahalla der Alienationen hast
du wieder deine Domänen-Demokratie dekoriert
dann deine Dämonen-Doktrin kuriert

Bald hier Berolina bald dort
gedulde dich eiförmig im Ellbogen-Eifer
im Hades oder Eldorado der Homunkulus-Trauer
bleibe dem Helios des Herolds fort
mondial dämmert die Epoche der Brückenbauer
Anmarschiert kommen dann
die Sonnensong-Schreiber im Zusammenhalt
souverän in Kosmopolitania an
   hinterm Spartakus-Hymnus heiter
   und Dulzineas Don Quijotes weiter
in Myriaden aus Vorstädten und Gettos
versorgen mit millennarem Mulatten-Ethos
   oder dem Verdruß des Desperados
   die vertraut Versammelten allerorts
besteigen den mondänen Meridian unterwegs
zum humanen Herzen des Europiden-Forts

M. Kurtulus

   

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