XXV. Jahrgang, Heft 142
Okt - Nov - Dez 2006/4

 
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Letzte Änderung:
24.10.2006

 
 

 

 
 

 

 

Die Brücke an der Spree

Sargbrot


   
 
 

Der Kaffee schmeckt gut, sonst würde ich ihn hier nicht trinken. Und ich trinke und weiß, daß ich gleich Magenschmerzen bekomme.

Die Cafeteria, im Soutterain des neuen Krankenhauses eingerichtet, hat ein sparsames Angebot an Kuchen, Salaten und Brötchen. Es reicht für die, die hier warten, die mit ihren Angehörigen hier sitzen, für kurze Zeit dem Krankenzimmer entflohen. Hier sehe ich die unterschiedlichsten, jedoch meist ausgelatschten Pantoffeln, zu kurz geschnittene Pyjamas unter Jacken und Trainingsanzüge mit Firmenlabel. Ich sehe auch manche Hand, die eine andere hält, stumm, vielleicht tröstend.

Komme ich durch den großen, zwei mal zweitürigen Eingang, befindet sich gegenüber der Fahrstühle gleich links ein breiter Tresen. Es ist eine Auskunftsstelle mit Computer, Telefon, Infomaterial.

Hinter dem Tresen Diensthabende. Ein kleiner Mann mit gestutztem Oberlippenbart und einem Kindergesicht geht häufig vor die Tür, raucht, erzählt von seinem 12-stündigem Dienst.

„Heute wieder so lange?“ manchmal frage ich, bekomme Antwort. Sein Lächeln ist verzerrt, und fällt nach dem letzten Wort wie eine Maske von seinem Gesicht.

Drei Jahre Baustelle. Jetzt ist die neue Klinik „Hedwigshöhe“ eingerichtet. Der Altbau wird teilweise abgerissen. Jeden Tag sehe ich einige Mauermeter weniger. Ein hoher Kran ist im Augenblick Wahrzeichen auf dem Berg, weit sichtbar, so wie auf der anderen Seite über Waldlinien der Müggelturm.

An der rechten Seite der Cafeteria stehen viele niedrige Tische und Sessel mit weit nach hinten ausladenden Rückenlehnen. Ich muß mir die Tasse Kaffee auf meine Kniee nehmen. Jeden Tag, wenn die die Krankenzimmertür 32 a auf der Station St. Konrad schließe, setze ich mich hier hin. Ich brauche Abstand.

Einmal machte mich, als ich meinen Kaffee trank, ein eigenartiges schepperndes Fahrgeräusch hellhörig.

Drüben, an der anderen Fensterseite, am Buffett vorbei, schob ein junger Mann mit Brille und blassem Gesicht ein hohes Gestell.

Jetzt seh ich ihn wieder, Richtung Fahrstuhl eilen.

Auf dem Gestell liegt ein großer silberner Blechkasten. Er ist langgestreckt und hat die Form eines Brotkastens. Wenn ich richtig gesehen habe, wird er von einer Seite aufgeklappt. Warum weiß ich nicht, aber mir fällt mein Brotkasten in der Küche auf dem Schrank ein. Er ist blumig bemalt und aus Bulgarien. Lange stand ich auf dem Markt, habe gewählt, die Kästen miteinander verglichen, wegen der Farbe ein Auge zugekniffen, schließlich solle er zu meinen Küchenmöbeln passen. Jünger war ich damals und diese Entscheidung hatte noch großes Gewicht.

Den silbernen Brotkasten hier sucht sich keiner aus.

Ich sehe aus dem Fenster. Draußen wirbelt der Wind Blätter auf, läßt sie wieder fallen. Der Herbst hat sie im vorigen Jahr von den Bäumen geholt.

Ich verfolge ein braunes rissiges Blatt. Es bleibt an einem Wurzelstock hängen. Ein kurzes Zittern, aber es kommt nicht mehr los. Längst darüber hinweggeeilt ist der Wind. Bald werfen neue Blätter helle Schatten.

Auf dem Weg zum Ausgang höre ich das Geräusch. Ich drehe mich nicht um.

Draußen vor der Tür steht der kleine Mann, Zigarettenrauch im Kindergesicht. Ich nicke ihm zu.

Marlies Schmidl

   

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