XXV. Jahrgang, Heft 142
Okt - Nov - Dez 2006/4

 
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Letzte Änderung:
03.06.2006

 
 

 

 
 

 

 

Necati Mert´s Kolumne

Der Glanz der Gemeinplatz-Geheimnisse im Herbarium der Besitz- und Mäusegötzen

   
 
 

An einem gewöhnlichen der Maienzeit ähnlichen Tag: Zur zusammengestückelten Innovation der moderaten Nation im allvertrauten Traktat der Zwietracht

Imperatoren, die kolossale Heeresverbände unterhielten, um ein bestimmtes Weltbild im Erdglobus einzupflanzen, gibt es längst nicht mehr, aber Imitatoren eines Plutos und Initiatoren einer Agora zuhauf, deren sporadisches Pathos der Markt ist und deren loyaler Nachtwächter die parlamentarisch perfektionierte Gewalt.

Zum Beispiel das Deutsche Reich neoliberaler Berliner Republik: Sie gründet sich auf der Palette der Parteien, die als integrierter Bestandteil des Machtkartells gelten. Im Weltalter der überlauten Globalismus-Glocken sind sie präpotente Prämierten-Klubs prästabilisierter Harmonie – Pressure Groups jener Herolde und Heroen, die im Herbarium des Besitz- und Mäuse-Götzen als Reformmotor, Regimenter-Ring des generellen Reformators, als regulativer Regenerator posaunen.

Welch eine Maskeraden-Manier: In der hochmütig proklamierten Epoche der Informationsgesellschaft, der mikroelektronischen Revolution, wiederholen die marktschreierisch mimenden Leitlenker der reduzierten sozialen Zusammenhänge gebetsmühlenartig, daß ihre hoch beachtlichen Taten nicht bei der Adresse der Klientel ankamen. Verstanden habe sie die Masse der Unterklasse nicht. Man habe das Getriebe der informatorischen Motoren nicht kräftig genug betätigt.

Plötzlich ist der demoskopisch hoch deklamierte Dorado-Demos so dämlich, daß er im ewigen Daseinskampf seinen Untergang nicht als notwendigen Prozeß eines normativen Progresses begreifen kann. Wo der Ingrimm, der bisher unter dem Deckel des parlamentarisch paradierten Kessels gehalten werden konnte, beginnt, vor sich hin zu köcheln! Auf die Dämone-Demen im aktiven Untertanenakt richten sich daher die Argusaugen der sozio-humanen Demontage-Demokraten.


Zum traktierten Tamtam des Reformrollers zwischen Zornroten- und Zitterzonen

Noch lange wird die Welt nicht erfahren, welche Dramen sich in einem auf Flughafengeländen zum „Transitraum“ deklarierten Arrestlokal abspielen, zu dem das demokratische Abwehrsystem keinen Zutritt läßt. Das Deportationsrad dreht sich unter Ausschluß der Öffentlichkeit, und die Melodrama-Maestros der Menschenrechtsmelancholie sind nur von Fernweh erfüllt.

Der amtlich artikulierte Antirassismus, der sich am Kapitalismus vorbei manövriert, trägt die Samen der hierarchischen Strukturen der Differenz, die der Integrationsbetrieb gezielt ausstreut und als subalternes Sondensystem der monotonen Majoritätssonette die selektive Assimilation seiner Objekte nach dem Nützlichkeitskalkül auf Touren bringt.

Die Eingewanderten-Quartiere wie Berliner Kreuzberg und Hamburger Wilhelmsburg nimmt er daher als trüben Nebel voller Tretminen ins Visier. „Türken“-Gettos, die hier Unbehagen und Bange herbeiführen, werden z.B. in Lateinamerika als Normalität notiert, nicht als Apachen-Reservat abgesondert, sondern mehr als touristisches Appeal approbiert. Dazu in „Freitag“ vom 20. August 2004 aus einer Reportage von Jens Schneider, promovierter Ethnologe und Autor des Buchs „Deutsch sein. Das Eigene, das Fremde und die Vergangenheit im Selbstbild des vereinten Deutschland“ (Campus Verlag, Frankfurt/M/New York) und Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in Rio de Janeiro:

Zur ethnischen Vielfalt Brasiliens gehören - wie erwähnt - auch die Araber, sie werden dort übrigens „die Türken“ genannt. Nach dem 11. September 2001 rückte die arabische Gemeinde, von der ein großer Teil im Drei-Länder-Eck mit Argentinien und Paraguay bei den berühmten Iguaçú-Wasserfällen lebt, ins Rampenlicht. Das amerikanische FBI wurde in der Region tätig - zusammen mit der brasilianischen Bundespolizei suchte es auch in Südamerika nach Verbindungen zu al Qaida. Aber obwohl umfangreiche Geldflüsse in arabische Länder offenbar wurden, konnten keinerlei Verbindung zu terroristischen Strukturen - geschweige denn Terrorzellen im Land selbst - nachgewiesen werden.

»Durch einen Zufall startete der größte TV-Sender „Rede Globo“ einige Wochen nach dem Attentat auf das World Trade Center eine neue Telenovela zur besten Sendezeit, die im arabischen Milieu spielte: „O Clone“ (Der Klon) - eine abstruse Geschichte über einen geklonten jungen Mann, der als Doppelgänger das Herz der Hauptdarstellerin Jade verwirrt. Während ein Großteil der westlichen Welt Osama bin Laden jagte und nebenbei die eigenen Muslime misstrauisch beobachtete, schaute Brasilien fasziniert auf deren orientalische Kultur, die man bisher kaum zur Kenntnis genommen hatte. Im darauf folgenden Karneval waren Jade-Kostüme im Bauchtanz-Look nicht zu übersehen.

Ansonsten fällt einem Besucher an der islamischen Gemeinde Brasiliens gerade auf, dass sie nicht auffällt. Musliminnen in São Paulo oder Santa Rosa tragen nur selten Kopftuch auf der Straße, obwohl es deshalb keine Restriktionen gibt. Auf den hypothetischen Fall angesprochen, dass diese Tradition künftig stärker befolgt werden könnte, sah darin keiner meiner brasilianischen Gesprächspartner irgendein Problem.

Wenn sie in Brasilien geboren werden, steht die Zugehörigkeit der Kinder islamischer Einwanderer zur brasilianischen Nation außer Frage - unabhängig davon, welche kulturellen Präferenzen sie haben. In Brasilien sitzt kein muslimisches Mädchen - und sei es streng gläubig - „zwischen den Stühlen“, sondern mindestens auf einem, wenn nicht gar auf zweien gleichzeitig. Auch gibt es keine Debatte über „hohe Ausländeranteile“, weil die bei einer selbstverständlichen Einbürgerung der Migranten-Kinder gar nicht entstehen können. Selbst die angebliche oder tatsächliche „Selbst-Gettoisierung“ islamischer Bevölkerungsteile beunruhigt niemanden, obwohl man die Konzentration auf das zitierte Drei-Länder-Eck und bestimmte Stadtteile in São Paulo sicherlich so interpretieren könnte.

Ihren dauerhaften Aufenthalt mussten und müssen sich Einwanderer in Brasilien ebenso hart erarbeiten wie in Deutschland. Schon die zweite Generation braucht den brasilianischen Pass nicht einmal mehr zu beantragen. Niemand spricht von Leitkultur, jeder darf und kann seine Herkunftskultur behalten.

Ein etwa in Rio de Janeiro geborenes Kind arabischer oder chinesischer Einwanderer wird von klein auf in dem Bewusstsein groß, ein Brasilianer zu sein - ohne Wenn und Aber. Ein in Hamburg geborenes Kind türkischer oder afghanischer Einwanderer wird dagegen in dem Bewusstsein groß, das Stigma des Nichtdeutschen kaum je zu verlieren. Wenn Einwandererkinder sich schnell in die Aufnahmegesellschaft integrieren, so liegt das nicht an der Attraktivität der empfangenden Kultur, es hängt allein von der Position ab, die diesen Kindern angeboten wird - dabei spielt die rechtliche Integration eine entscheidende Rolle.

Im Unterschied zu Brasilien gab es in Deutschland nie türkische oder anders geartete „ethnische Siedlungsgebiete“. Nirgendwo in Deutschland stellen einzelne Einwanderergruppen die Mehrheit der Bevölkerung - nicht einmal in den als „Ausländergettos“ geltenden Stadtteilen der Großstädte. In Hamburg-Wilhelmsburg etwa liegt der Gesamtanteil von Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit bei 35 Prozent - verteilt auf Dutzende von Nationalitäten. In keiner deutschen Stadt gibt es militante ethnische Vereinigungen oder gar „Milizen“, deren Aktivitäten gegen den deutschen Nationalstaat gerichtet wären.

Und die so genannte „kulturelle Selbstisolierung“? Wenn es in Deutschland eingewanderte Frauen gibt, die auch nach Jahren des Aufenthalts kein Deutsch sprechen, dann ist das ein Problem - aber in erster Linie für die Frauen und weniger für die Gesellschaft. Die plötzlich erwachte Sorge konservativer Politiker um die Gleichberechtigung der Frauen wird dann heuchlerisch, wenn zum Beispiel die öffentlichen Mittel für Sprachkurse ersatzlos gestrichen werden - von Politikern, die Einwanderern im selben Atemzug Integrationsunwilligkeit vorwerfen.«


Zur »Zweidrittelgesellschaft« von einst und heute

Was nun damals als Kraftfirnis für die Freiheitsfassade der „sozialen Marktwirtschaft“ firmierte, dokumentiert sich nach einer Dekade als dekadente Diktion, wenn nicht alptraumwandlerisches Attribut. Denn dem Liquidationsgebot der DDR-eigenen sozialen Erfolge mußte die Legitimationsgewalt der Sieger folgen, die mehrjährig errungenen Wohlfahrtssysteme auch im Kerngebiet des Rechtsnachfolge-Gebildes des Deutschen Reichs unter dem provisorischen Kürzel BRD zu demontieren.

Jetzt in der explosiven Nebelzone des volksstaatlich überwölbten Krisenmanagements scheint die Kontinuität des kolonialen Rassismus wieder auf. Hinter dem Attackenakt der Reform-Routiniers rotiert nämlich der Roboter jener restaurierten Retourkutsche, der das Resümee innewohnt, auch den Unmut der enteigneten Untertanen zu ethnisieren und das geschärfte Augenmerk ihrer bodenständigen Population auf das Allochthonen-Areal zu lenken.

Der neoliberal nivellierte Ständestaat in Aktion artikuliert die veränderten Verhältnisse im Laufe von zwei Jahrzehnten. Er läßt narrensicher ins Gedächtnis rufen, wie in den 1980ern das Schlagwort „Zweidrittelgesellschaft“ das Gesichtsfeld der Perspektiven überzog, worauf sich die zivilgesellschaftliche Stabilitätsstatue auftürmte. Damals machte ein Drittel der bundesdeutschen Einwohner das Daseinsdunkel aus, das seither scheinbar so rasant expandierte, daß die gegenwärtigen „Gegenreformatoren“ ihren Handstreich genau auf die Mitte der Besitzstandspyramide zusteuern. Gewildert wird längst und immer markiger auf den ökonomischen Schlüsselgebieten, in denen sich der Preis der Produktionskraft Arbeit entspinnt.

Um die „unsichtbare Hand“ des Marktes zu protegieren, doktert der stattliche Standortstaat mit Ellbogenfreiheit und fasernackter Faust herum, das Unterbaumaterial des national sozialen Pyramidenprojekts - gemäß den validen Skizzen der spätkolonial globalen Apartheidsarchitektur - mit Zweidrittel seiner Untertanen zu untermauern. Zugleich favorisiert er eine faunische Favela, deren Population nicht nur aus besitzlosen Besitzständen besteht, sondern auch aus Homo orientalis im Status der Hammals (Kulis), „illegalen“ Nomaden, „irregulären“ Malochern, erwerbslosen Eremiten, Scheinselbständigen, Ich-AG-Fakirs, Elendsunternehmer, Pleitiers...

Am Gegenufer trügt aber die Fassade, daß der Klassenkampf unentwegt auf der „Arbeit“ fundiert. Sie sei obsolet geworden, pointiert der Wertkritiker Robert Kurz kürzlich in einem Internet-Statement auf der „Exit“-Seite:

»Unter diesen Bedingungen blüht die Krisenkonkurrenz statt entschlossener Widerstand. ... Für eine Resolidarisierung bedürfte es erstens einer Mobilisierung, die den Rahmen der betrieblichen Beschäftigung grundsätzlich durchbricht und eine andere gesellschaftliche Organisationsebene besetzt. Der klassische Streik müßte als Kampfmittel ergänzt werden durch Blockaden der kapitalistischen Nervenbahnen, wobei sich auch die Masse der Nicht-Beschäftigten beteiligen kann. Zweitens wird die Debatte über gesellschaftliche Alternativen jenseits von Lohnarbeit, Betriebswirtschaft, Geldverwertung, Markt und Staat entscheidend. Nicht deshalb, weil eine andere Gesellschaft sofort erreichbar ist, sondern weil es nur so einen Bezugsrahmen für die Überwindung der Krisenkonkurrenz gibt. Es geht ans Eingemachte. Gerade deshalb muß das „Gespenst des Kommunismus“ neu erfunden werden.«


Der soziale Besitzstand unter dem Zyklon der Filzokratie

Beim Abendrot einer Rhetoren-Runde: Zur eurysomen Grauzone »irregulärer« Loser und »illegaler« Parias im Sog des mäuse-miauenden Methusalem-Mythos

Der Sozialdarwinismus, der immer im Lehrgebäude des Malthusianismus - der Elimination der Überflüssigen durch Elend, Seuchen und Krieg - landet, klettert auf der spirituellen Skala des realen Sozialdemokratismus aufwärts. Dieser wiederum steckt noch tief in der Fäulnis des Mittelwegs und riskiert seinen unrühmlichen Abgang aus den Annalen der späten Geschichte. Blanker Hohn: Das tut er willfährig!

Da es keine revolutionäre Alternative mehr zur Re-Aktion des Kapitals gibt, erledigt sich auch die Frage nach der reformistischen Alternative zur Rebellion. Der „Dritte Weg“, den die Oberhäupter der Sozialdemokratie seit dem lehrhaft protokollierten Bankrott des Real- bzw. Staatssozialismus gehen, führt in die Knechtschaft des Besitzgötzen unter dem Wachtturm der globalen Kastenpyramide, der monetär montierten mondialen Apartheid. Da bietet auch die Lafontainsche Poetik keine egalitäre Perspektive, höchstens die Parodie eines napoleonesken Jakobinismus.

Der Erdstoß am Sockel des Götzentempels Lohnarbeit versetzt sämtliche Fraktionen der Demo-Grazien in Panik. Man klammert sich an die Doktrin der ökonomischen Klassik, nach der die Arbeit den Nukleus aller Tätigkeiten umfaßt, weil sie im Einsatz allein Wert schöpft und die Füllmasse des Kapitals vermehrt.

Es ist gegenwärtig nicht die Arbeit, die abartig im Weltmaßstab knapper wird, wie die Singakademie der Krisenkontroll-Kumpanen vorträgt, sondern die Aneigner des Mehrwertes werden knalliger, krakeelen klafterhoch, verlangen noch krasser knechtisches Verhalten.

Einzig dem Heiland des Broterwerbs gelingt es, schmettern sie, den erzielten Wert „gerecht“ (?) zu verteilen. In der Tat: Je weniger der Eigner des Produktionsfaktors Arbeit von dem im wahren Warengehalt kristallisieren Wert bekommt, desto stabiler wird das fiktive Fundament der Gerechtigkeit. Der konkrete Mensch entschwindet im prävalenten Status der Produktionsfaktoren. Darauf reduziert sich seine Existenzgrundlage, seine Fähigkeit, sich selbst zu reproduzieren. Er lebt, um zu arbeiten, nicht umgekehrt. Daher läßt sich das „Menschenrecht auf Arbeit“ als eine pervertierte Parabel, ein vulgäres Geschreibsel einstufen.

Analog des Paradigmas, das Gewicht des Humanen auf seine Produktivkraft zu verringern, handeln auch die bürokratischen Betreiber der Menschenrechtsreklame-Postillen wie in einem neuerlichen „Grünbuch“ der EU-Generaldirektion „Beschäftigung und Soziales“. Darin brüsten sich die Prosaisten der Chancengleichheit, große Fortschritte im Bereich der „Bekämpfung von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts, der Rasse oder ethnischer Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des Alters, einer Behinderung oder der sexuellen Ausrichtung“ erzielt zu haben.

Nicht etwa zufällig fehlt auf der ausgiebigen Liste die sozial strukturierte „Diskriminierung“. Denn für diese EU-Polyarchie der mächtigen Kernstaaten gilt der absolute Grundsatz, den Anteil der Lohnarbeit am BrottoSozialProdukt soweit zu senken, daß er ausreicht, die Mindestbedürfnisse der „Kälber“ zu decken. Damit die systemischen Symmetrien unangefochten in Sack und Tüten sind, halten die Bürohengste der Eurokratie über dem expandierenden Schattenmarkt der Fronarbeit die Hand, verweigern sich daher, die UN-Wanderarbeiter-Konvention zu ratifizieren. Die puritanische Internationale der Moneten trumpft mit der zerschmetterten Internationale der Proleten auf und zelebriert ihren Triumph.

Da ein Zurück zu traditionellen nicht marktbedingten Reproduktionsformen schwer vorstellbar erscheint, manövriert der Staatsapparat besonders offensiv mit massiven Reformen, die sozialen Besitzstände so zu revidieren, daß der privat aneignende Faktor komplett überhand nimmt.

Hier beim Händewechsel des Eigentums vom Kollektiven und Kleinen zum Privaten und Großen hat das neoliberal potente Protektorat der Ständegesellschaft nicht nur die Finger im Spiel, sondern es hebelt auch jede Form des nachbarschaftlichen Zusammenhaltens aus. Überlassen wird dabei die zivile Elendskanzlei jenen Feierabendhumanisten des Kommunitarismus, die sich zuvor als Freiwilligen-Patrouillen der armutsfreien Viertel etabliert haben.


Zum Zusammenkrachen der modrigen Montage des Gebrülls »Deutschland einig Vaterland« hinter dem Spektakel »Wir sind das Volk«

Kein Gespenst mehr geht um im Chateau des Besitz- und Krötengötzen. „Marx ist tot, Jesus lebt!“ schrie der Ex-Arbeitsminister und selbststilisierte Jetzt-Sozialrevolutionär Norbert Blüm Anfang der 90er im vorigen Jahrhundert Hand in Hand mit Lech Walesa in Warschau.

Jesus lebt, und kein Gespenst mehr spukt dem freien Lauf der Marktkräfte entgegen. Die „unsichtbare Hand“ läßt sich nicht mehr als eiserne Faust der Plutokratie bloßstellen. Am Horizont der Urbanen weht die Laisser-aller-Flagge, das Flaggschiff der Invasionsflotte, die aristokratisch arrivierte Armada der Privatier-Piraten, zielt seine Kanonen auf den Rest der Subsistenzstrukturen. Das Erdenrund ähnelt einem Spielball der Freiheits-Furien, jener parasitären Postulanten der monetären Gewalt, denen es immer wieder gelingt, ihr demagogisch domestiziertes Antlitz demokratisch aufpolieren zu lassen.

Ihr Zielhafen liegt in ihrem Masterplan, die kollektiven Lebenswelten erst in ethnische Sippschaften zu zerstückeln, sie dann sich gegenseitig an die Kehle fahren zu lassen und sie am Ende in Galeerensklaven an den Rändern ihres „globalen Dorfes“ oder gleich in Asche zu verwandeln. Im Bilde sind die Architekten dieser Fiktion auch, das Konkurrenzschwert wachstumsgerecht zu wetzen, und schicken sich sogar an, dem Universum des Individuums über die Küchen- und Schlafzimmergeheimnisse hinaus auf die Spur zu kommen.

Um die Abstände zwischen dem Zentrum als zukünftige Zwingburg und dem Rand als Horst der Drachensaat zu zementieren, benötigt die höchst zivilisatorische Ideenmanufaktur den stattlichen Staatsapparat auf den Säulen eines völkisch fundierten Einheitsbreis. Er fungiert, die ökonomischen Abläufe so zu überwachen, daß jeder Auftritt dazu dient, uneingeschränkt Eigentum zu erwerben. Die Freiheitsstatue, deren Sockel er pflegt, nimmt ihn in die Pflicht, alle anderen, besonders kollektiven Freiheiten zu minimieren, deren Fernziel die human-soziale Gleichheit innewohnt.

Dem Gleichheitspostulant der kollektiven Besitzstände begegnen die Posten-Postulanten des demokratischen Staates mit dem Gerechtigkeitspathos unter dem Tempelturm des Besitzgötzen. Zum Maximum des Mechanismus gehört die Manipulation des humanen Daseins. Funktionsfähig erweist er sich nur, solange die enteignete Realmehrheit sich als grundgute Geschwisterschaft der oberen Zehntausend nach sicherem Glück sehnt, aber keine Alternative sieht. Oftmalig blieb sie unterwegs zu Barrikaden auf der Strecke und bekam zu Gesicht: Der Weg zum Mammon-Ruhm geht über Leichenberge.

Hier kommt dem Glauben besonderes Gewicht zu. Damit ihre patronageparaten Partialinteressen nicht Zuschaden gehen, schwören die Klerikal-Kompagnons des Kröten-Kartells Brief und Siegel, die Abtrünnigen des Privateigentums so lange mit Sudel zu bewerfen und ihnen auf den Nerven herumzutrampeln, bis sie sich in der Horde der Monaden, der isolierten Individuen, akklimatisieren.


Zum unangehaltenen Universalismus des schwermütigen Verseschmieds im Atelier des Arier-Arkanums

Immer wehmütiger weichen die fettleibigen Wohlfahrtsverbände vom Habitus ihres humanitären Anspruchs ab. Sie dürfen nicht horchen, müssen nur aufhorchen. Immer plastischer entpuppen sie sich als parasitäre, gefräßige Apparate der Menschenmanager, die jetzt auch noch mit den Früchten von Zwangsarbeit, Angaria, Frondienst u.a. gefüttert werden sollen.

Jeder Akt im System reproduziert das Ganze ein Stück weiter - selbst der Eine-andere-Welt-ist-möglich-Schrei, der daher die Poseure wie den roten Oskar Lafontaine und schwarzen Heiner Geißler vor den mäuse-gesteuerten Kameras tiefgründig begeistert. Zur Kenntnis genommen wird dieses Genre des Gerechtigkeitsgeredes von kommenden Generationen garantiert mit Staunen und Unbehagen.

Es gehört zur Fähigkeit der Wetterfahnen, je nach Stärke des Windhauchs verkommenes Zeug zu reden, nachdem sie sich in überschlagenden Lobgesängen ergingen und gleich danach einen Schwenk um 18 Grad vollzogen. Darin liegt keine zivilisatorische Schwäche, sondern die Marksteine eines verlockenden Ordonnanz-Liberalismus gemäß den hierarchischen Besitzständen, der vor allem auf stattlich kontrollierte Ver- bzw. Entwertung des Menschenmaterials unter den Prämissen des Monetarismus zielt.

Ohne das Unterfangen, die gegenwärtigen Verhältnisse, welche alles einem in Geld meßbaren Nützlichkeitskalkül unterwerfen, in Frage zu stellen, wird es keinen Ausweg geben - vor allem für die reale Majorität der Enteigneten. Also ohne den Kehraus der Verwertungsgesellschaft wird es den Horizont einer „anderen Welt“ nicht geben.

Solange das Ziel vollkommen in der Nebelzone der Besitzverhältnisse liegt, bleibt auch der Weg heiß umstritten, damit das Licht der Einigkeit verschwommen. Dazu bedarf es eines langen Atems, der jedoch dem gegenwärtigen Diskurs nicht innewohnt.

Die selbststilisierten Links-Lyriker der metropolitanen Litanei verkürzen ihr Wortkunstwerk auf einen einzigen Refrain und spielen die zweite Geige: Die Arbeit geht zur Neige! Daher darf der Souverän nicht alles dem Markt überantworten, in dem sich der Mensch als Zombie funktionalisieren ließe und gar nichts mehr wüßte, als Herr seiner selbst zu sein und Teil der Wüste. Das Publikum ist Kunde und Kundgeber des Dividenden-Demokratismus, für den sich die Wahl- und Werbetext-Experten ihres verführerischen Talentes rühmen und den Ton angeben. Läßt sich das ändern, indem man sich der Singakademie der Zivilgesellschaft anschließt? Ist diese fragil fabulierte Formation nicht das imaginäre Bollwerk der Oligarchien (die Herrschaft der Wenigen bzw. der besitzenden Wenigheiten), die wissen, wie eine Jungfrau zur Hure gemacht werden kann?

Hervorgetreten, in den nordamerikanischen Konflikt-Quartieren zu ermitteln, manifestiert sich die CivilSociety als das Modell der Elendskanzlei, basiert auf dem Masterplan, den Umbau vom Sozial-, über Nachtwärter-, zum Ständestaat zu vollenden. Sie zielt auf den Einsatz der Moral, das gesellschaftliche Zankpotential zu reduzieren, und die soziale Kooperation gemäß den Erfordernissen des Mammons zu modernisieren.

Das Gewaltkartell ist kein intermediäres Phänomen zwischen dem Neoliberalismus, sprich Monetarismus, und dem sozial domestizierten Kapitalismus. Dieser Hegemon ist das Zentrum und der Generator der gesellschaftlichen Stabilität. Als Regulator der Wohlfahrtspartys und des Sozialraubs demotiviert und geißelt er markttraditional das Gleichheitsideal. Daß er zeitweise auch für partielle Interessen der Werktätigen paradiert, kann an dieser Stelle dahinstehen. Er ist der Adressat der Elendsproduktion und deren Verwalter.


Zum sonderbaren Nachtrauern der Sommersonntagskinder im Tagtraum nach der Wiederkehr des versorgenden Souveräns

Die Pressure Group der Politokratie malt sich ihre apokalyptischen Reiter: Das imaginierte gesichts- und gewissenslose Böse, der schwelende allgegenwärtige Terror - der Horror als Dramaturgie der ökonomischen Olympiade.

Von der Planierraupe der Reform-Rituale schöpfen auch die Tüftlergenies der Plutokratie frischgebackene sozialdemokratische Begriffe wie Sozialkonservativismus, Linkspopulismus, Fundamentalismus, Traditionalismus...

Für sie verfügt der lang errungene soziale Besitzstand über kein elementares Gewicht mehr. In den Zeiten des catch-as-catch-can-Championats hat die individuelle Fortuna der Parvenüs absoluten Vorrang, dessen Logik etwa der Atmosphäre eines Spielkasinos ähnelt: Alles dreht sich hinter dem Tageslicht.

Um ihr Ziel zu erreichen, stützen sich die Tempel-Ordinariusse des Monetarismus auf die Message: Die Zukunft der Nachkömmlinge sichern. Wie sie aber konkret aussehen soll, halten sie hinterm Berg. Doch es geht um den schleichenden Aufbau der Ständegesellschaft. Man will das Elend nicht überwinden, geschweige denn sein Wachstum unterbinden, sondern es „effizienter“ verwerten.

Dementsprechend auch der Kanzler-Appell im Sommerloch: Die Masse aus der Gosse hat das Abwärts ihres Existenzminimums als Zukunftsgarantie „unseres Landes“ zu verinnerlichen. Die Sorge um „unsere Kinder“ motiviert den Chancen-Chancellor dazu, die minderbemittelten Kinder zur Kasse zu bitten - mit steil steigender Tabaksteuer.

Damit ihm sein Gerechtigkeitsgerüst nicht abhanden kommt, gibt sich der oberste Kulinarier der Berliner Republik große Mühe, den Leuten den Gehalt seiner Reformrituale zu erklären. Vor allem will er die Steuerzahler in Schutz nehmen, aber nicht die Haushalte als Konsumenten, unter anderem die Haushunde und Katzen, ohne deren Mehrwertsteuer ein Standbein des Staatsapparats bald zu wackeln beginnen kann.

Ein Rätsel wird lange bleiben, ob sich dieser Advokat in Kanzler-Tracht auf seiner mit Kaschmir bezogenen Ottomane ein Nickerchen gönnen oder einen hinter die Binde gießen kann, bevor er seine Klientel unter dem Wortgeklingel verschmelzt: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus! Jedenfalls spricht er erpicht Tacheles: Der Bulldozer der Klassenbaukunst wird auf der Reform-Route weiter rollen. TINA (There Is No Alternativ)!

   

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