An einem gewöhnlichen
der Maienzeit ähnlichen Tag: Zur zusammengestückelten
Innovation der moderaten Nation im allvertrauten Traktat der Zwietracht
Imperatoren, die kolossale Heeresverbände
unterhielten, um ein bestimmtes Weltbild im Erdglobus einzupflanzen,
gibt es längst nicht mehr, aber Imitatoren eines Plutos und
Initiatoren einer Agora zuhauf, deren sporadisches Pathos der Markt
ist und deren loyaler Nachtwächter die parlamentarisch perfektionierte
Gewalt.
Zum Beispiel das Deutsche Reich neoliberaler Berliner
Republik: Sie gründet sich auf der Palette der Parteien, die
als integrierter Bestandteil des Machtkartells gelten. Im Weltalter
der überlauten Globalismus-Glocken sind sie präpotente
Prämierten-Klubs prästabilisierter Harmonie – Pressure
Groups jener Herolde und Heroen, die im Herbarium des Besitz- und
Mäuse-Götzen als Reformmotor, Regimenter-Ring des generellen
Reformators, als regulativer Regenerator posaunen.
Welch eine Maskeraden-Manier: In der hochmütig
proklamierten Epoche der Informationsgesellschaft, der mikroelektronischen
Revolution, wiederholen die marktschreierisch mimenden Leitlenker
der reduzierten sozialen Zusammenhänge gebetsmühlenartig,
daß ihre hoch beachtlichen Taten nicht bei der Adresse der
Klientel ankamen. Verstanden habe sie die Masse der Unterklasse
nicht. Man habe das Getriebe der informatorischen Motoren nicht
kräftig genug betätigt.
Plötzlich ist der demoskopisch hoch deklamierte
Dorado-Demos so dämlich, daß er im ewigen Daseinskampf
seinen Untergang nicht als notwendigen Prozeß eines normativen
Progresses begreifen kann. Wo der Ingrimm, der bisher unter dem
Deckel des parlamentarisch paradierten Kessels gehalten werden konnte,
beginnt, vor sich hin zu köcheln! Auf die Dämone-Demen
im aktiven Untertanenakt richten sich daher die Argusaugen der sozio-humanen
Demontage-Demokraten.
Zum traktierten Tamtam des Reformrollers
zwischen Zornroten- und Zitterzonen
Noch lange wird die Welt nicht erfahren, welche Dramen
sich in einem auf Flughafengeländen zum „Transitraum“
deklarierten Arrestlokal abspielen, zu dem das demokratische Abwehrsystem
keinen Zutritt läßt. Das Deportationsrad dreht sich unter
Ausschluß der Öffentlichkeit, und die Melodrama-Maestros
der Menschenrechtsmelancholie sind nur von Fernweh erfüllt.
Der amtlich artikulierte Antirassismus, der sich am
Kapitalismus vorbei manövriert, trägt die Samen der hierarchischen
Strukturen der Differenz, die der Integrationsbetrieb gezielt ausstreut
und als subalternes Sondensystem der monotonen Majoritätssonette
die selektive Assimilation seiner Objekte nach dem Nützlichkeitskalkül
auf Touren bringt.
Die Eingewanderten-Quartiere wie Berliner Kreuzberg
und Hamburger Wilhelmsburg nimmt er daher als trüben Nebel
voller Tretminen ins Visier. „Türken“-Gettos, die
hier Unbehagen und Bange herbeiführen, werden z.B. in Lateinamerika
als Normalität notiert, nicht als Apachen-Reservat abgesondert,
sondern mehr als touristisches Appeal approbiert. Dazu in „Freitag“
vom 20. August 2004 aus einer Reportage von Jens Schneider, promovierter
Ethnologe und Autor des Buchs „Deutsch sein. Das Eigene, das
Fremde und die Vergangenheit im Selbstbild des vereinten Deutschland“
(Campus Verlag, Frankfurt/M/New York) und Stipendiat der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) in Rio de Janeiro:
Zur ethnischen Vielfalt Brasiliens gehören
- wie erwähnt - auch die Araber, sie werden dort übrigens
„die Türken“ genannt. Nach dem 11. September 2001
rückte die arabische Gemeinde, von der ein großer Teil
im Drei-Länder-Eck mit Argentinien und Paraguay bei den berühmten
Iguaçú-Wasserfällen lebt, ins Rampenlicht. Das
amerikanische FBI wurde in der Region tätig - zusammen mit
der brasilianischen Bundespolizei suchte es auch in Südamerika
nach Verbindungen zu al Qaida. Aber obwohl umfangreiche Geldflüsse
in arabische Länder offenbar wurden, konnten keinerlei Verbindung
zu terroristischen Strukturen - geschweige denn Terrorzellen im
Land selbst - nachgewiesen werden.
»Durch einen Zufall startete der größte
TV-Sender „Rede Globo“ einige Wochen nach dem Attentat
auf das World Trade Center eine neue Telenovela zur besten Sendezeit,
die im arabischen Milieu spielte: „O Clone“ (Der Klon)
- eine abstruse Geschichte über einen geklonten jungen Mann,
der als Doppelgänger das Herz der Hauptdarstellerin Jade verwirrt.
Während ein Großteil der westlichen Welt Osama bin Laden
jagte und nebenbei die eigenen Muslime misstrauisch beobachtete,
schaute Brasilien fasziniert auf deren orientalische Kultur, die
man bisher kaum zur Kenntnis genommen hatte. Im darauf folgenden
Karneval waren Jade-Kostüme im Bauchtanz-Look nicht zu übersehen.
Ansonsten fällt einem Besucher an der islamischen
Gemeinde Brasiliens gerade auf, dass sie nicht auffällt. Musliminnen
in São Paulo oder Santa Rosa tragen nur selten Kopftuch auf
der Straße, obwohl es deshalb keine Restriktionen gibt. Auf
den hypothetischen Fall angesprochen, dass diese Tradition künftig
stärker befolgt werden könnte, sah darin keiner meiner
brasilianischen Gesprächspartner irgendein Problem.
Wenn sie in Brasilien geboren werden, steht die
Zugehörigkeit der Kinder islamischer Einwanderer zur brasilianischen
Nation außer Frage - unabhängig davon, welche kulturellen
Präferenzen sie haben. In Brasilien sitzt kein muslimisches
Mädchen - und sei es streng gläubig - „zwischen
den Stühlen“, sondern mindestens auf einem, wenn nicht
gar auf zweien gleichzeitig. Auch gibt es keine Debatte über
„hohe Ausländeranteile“, weil die bei einer selbstverständlichen
Einbürgerung der Migranten-Kinder gar nicht entstehen können.
Selbst die angebliche oder tatsächliche „Selbst-Gettoisierung“
islamischer Bevölkerungsteile beunruhigt niemanden, obwohl
man die Konzentration auf das zitierte Drei-Länder-Eck und
bestimmte Stadtteile in São Paulo sicherlich so interpretieren
könnte.
Ihren dauerhaften Aufenthalt mussten und müssen
sich Einwanderer in Brasilien ebenso hart erarbeiten wie in Deutschland.
Schon die zweite Generation braucht den brasilianischen Pass nicht
einmal mehr zu beantragen. Niemand spricht von Leitkultur, jeder
darf und kann seine Herkunftskultur behalten.
Ein etwa in Rio de Janeiro geborenes Kind arabischer
oder chinesischer Einwanderer wird von klein auf in dem Bewusstsein
groß, ein Brasilianer zu sein - ohne Wenn und Aber. Ein in
Hamburg geborenes Kind türkischer oder afghanischer Einwanderer
wird dagegen in dem Bewusstsein groß, das Stigma des Nichtdeutschen
kaum je zu verlieren. Wenn Einwandererkinder sich schnell in die
Aufnahmegesellschaft integrieren, so liegt das nicht an der Attraktivität
der empfangenden Kultur, es hängt allein von der Position ab,
die diesen Kindern angeboten wird - dabei spielt die rechtliche
Integration eine entscheidende Rolle.
Im Unterschied zu Brasilien gab es in Deutschland
nie türkische oder anders geartete „ethnische Siedlungsgebiete“.
Nirgendwo in Deutschland stellen einzelne Einwanderergruppen die
Mehrheit der Bevölkerung - nicht einmal in den als „Ausländergettos“
geltenden Stadtteilen der Großstädte. In Hamburg-Wilhelmsburg
etwa liegt der Gesamtanteil von Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit
bei 35 Prozent - verteilt auf Dutzende von Nationalitäten.
In keiner deutschen Stadt gibt es militante ethnische Vereinigungen
oder gar „Milizen“, deren Aktivitäten gegen den
deutschen Nationalstaat gerichtet wären.
Und die so genannte „kulturelle Selbstisolierung“?
Wenn es in Deutschland eingewanderte Frauen gibt, die auch nach
Jahren des Aufenthalts kein Deutsch sprechen, dann ist das ein Problem
- aber in erster Linie für die Frauen und weniger für
die Gesellschaft. Die plötzlich erwachte Sorge konservativer
Politiker um die Gleichberechtigung der Frauen wird dann heuchlerisch,
wenn zum Beispiel die öffentlichen Mittel für Sprachkurse
ersatzlos gestrichen werden - von Politikern, die Einwanderern im
selben Atemzug Integrationsunwilligkeit vorwerfen.«
Zur »Zweidrittelgesellschaft«
von einst und heute
Was nun damals als Kraftfirnis für die Freiheitsfassade
der „sozialen Marktwirtschaft“ firmierte, dokumentiert
sich nach einer Dekade als dekadente Diktion, wenn nicht alptraumwandlerisches
Attribut. Denn dem Liquidationsgebot der DDR-eigenen sozialen Erfolge
mußte die Legitimationsgewalt der Sieger folgen, die mehrjährig
errungenen Wohlfahrtssysteme auch im Kerngebiet des Rechtsnachfolge-Gebildes
des Deutschen Reichs unter dem provisorischen Kürzel BRD zu
demontieren.
Jetzt in der explosiven Nebelzone des volksstaatlich
überwölbten Krisenmanagements scheint die Kontinuität
des kolonialen Rassismus wieder auf. Hinter dem Attackenakt der
Reform-Routiniers rotiert nämlich der Roboter jener restaurierten
Retourkutsche, der das Resümee innewohnt, auch den Unmut der
enteigneten Untertanen zu ethnisieren und das geschärfte Augenmerk
ihrer bodenständigen Population auf das Allochthonen-Areal
zu lenken.
Der neoliberal nivellierte Ständestaat in Aktion
artikuliert die veränderten Verhältnisse im Laufe von
zwei Jahrzehnten. Er läßt narrensicher ins Gedächtnis
rufen, wie in den 1980ern das Schlagwort „Zweidrittelgesellschaft“
das Gesichtsfeld der Perspektiven überzog, worauf sich die
zivilgesellschaftliche Stabilitätsstatue auftürmte. Damals
machte ein Drittel der bundesdeutschen Einwohner das Daseinsdunkel
aus, das seither scheinbar so rasant expandierte, daß die
gegenwärtigen „Gegenreformatoren“ ihren Handstreich
genau auf die Mitte der Besitzstandspyramide zusteuern. Gewildert
wird längst und immer markiger auf den ökonomischen Schlüsselgebieten,
in denen sich der Preis der Produktionskraft Arbeit entspinnt.
Um die „unsichtbare Hand“ des Marktes
zu protegieren, doktert der stattliche Standortstaat mit Ellbogenfreiheit
und fasernackter Faust herum, das Unterbaumaterial des national
sozialen Pyramidenprojekts - gemäß den validen Skizzen
der spätkolonial globalen Apartheidsarchitektur - mit Zweidrittel
seiner Untertanen zu untermauern. Zugleich favorisiert er eine faunische
Favela, deren Population nicht nur aus besitzlosen Besitzständen
besteht, sondern auch aus Homo orientalis im Status der Hammals
(Kulis), „illegalen“ Nomaden, „irregulären“
Malochern, erwerbslosen Eremiten, Scheinselbständigen, Ich-AG-Fakirs,
Elendsunternehmer, Pleitiers...
Am Gegenufer trügt aber die Fassade, daß
der Klassenkampf unentwegt auf der „Arbeit“ fundiert.
Sie sei obsolet geworden, pointiert der Wertkritiker Robert Kurz
kürzlich in einem Internet-Statement auf der „Exit“-Seite:
»Unter diesen Bedingungen blüht die
Krisenkonkurrenz statt entschlossener Widerstand. ... Für eine
Resolidarisierung bedürfte es erstens einer Mobilisierung,
die den Rahmen der betrieblichen Beschäftigung grundsätzlich
durchbricht und eine andere gesellschaftliche Organisationsebene
besetzt. Der klassische Streik müßte als Kampfmittel
ergänzt werden durch Blockaden der kapitalistischen Nervenbahnen,
wobei sich auch die Masse der Nicht-Beschäftigten beteiligen
kann. Zweitens wird die Debatte über gesellschaftliche Alternativen
jenseits von Lohnarbeit, Betriebswirtschaft, Geldverwertung, Markt
und Staat entscheidend. Nicht deshalb, weil eine andere Gesellschaft
sofort erreichbar ist, sondern weil es nur so einen Bezugsrahmen
für die Überwindung der Krisenkonkurrenz gibt. Es geht
ans Eingemachte. Gerade deshalb muß das „Gespenst des
Kommunismus“ neu erfunden werden.«
Der soziale Besitzstand unter dem Zyklon
der Filzokratie
Beim Abendrot einer Rhetoren-Runde: Zur
eurysomen Grauzone »irregulärer« Loser und »illegaler«
Parias im Sog des mäuse-miauenden Methusalem-Mythos
Der Sozialdarwinismus, der immer im Lehrgebäude
des Malthusianismus - der Elimination der Überflüssigen
durch Elend, Seuchen und Krieg - landet, klettert auf der spirituellen
Skala des realen Sozialdemokratismus aufwärts. Dieser wiederum
steckt noch tief in der Fäulnis des Mittelwegs und riskiert
seinen unrühmlichen Abgang aus den Annalen der späten
Geschichte. Blanker Hohn: Das tut er willfährig!
Da es keine revolutionäre Alternative mehr zur
Re-Aktion des Kapitals gibt, erledigt sich auch die Frage nach der
reformistischen Alternative zur Rebellion. Der „Dritte Weg“,
den die Oberhäupter der Sozialdemokratie seit dem lehrhaft
protokollierten Bankrott des Real- bzw. Staatssozialismus gehen,
führt in die Knechtschaft des Besitzgötzen unter dem Wachtturm
der globalen Kastenpyramide, der monetär montierten mondialen
Apartheid. Da bietet auch die Lafontainsche Poetik keine egalitäre
Perspektive, höchstens die Parodie eines napoleonesken Jakobinismus.
Der Erdstoß am Sockel des Götzentempels
Lohnarbeit versetzt sämtliche Fraktionen der Demo-Grazien in
Panik. Man klammert sich an die Doktrin der ökonomischen Klassik,
nach der die Arbeit den Nukleus aller Tätigkeiten umfaßt,
weil sie im Einsatz allein Wert schöpft und die Füllmasse
des Kapitals vermehrt.
Es ist gegenwärtig nicht die Arbeit, die abartig
im Weltmaßstab knapper wird, wie die Singakademie der Krisenkontroll-Kumpanen
vorträgt, sondern die Aneigner des Mehrwertes werden knalliger,
krakeelen klafterhoch, verlangen noch krasser knechtisches Verhalten.
Einzig dem Heiland des Broterwerbs gelingt es, schmettern
sie, den erzielten Wert „gerecht“ (?) zu verteilen.
In der Tat: Je weniger der Eigner des Produktionsfaktors Arbeit
von dem im wahren Warengehalt kristallisieren Wert bekommt, desto
stabiler wird das fiktive Fundament der Gerechtigkeit. Der konkrete
Mensch entschwindet im prävalenten Status der Produktionsfaktoren.
Darauf reduziert sich seine Existenzgrundlage, seine Fähigkeit,
sich selbst zu reproduzieren. Er lebt, um zu arbeiten, nicht umgekehrt.
Daher läßt sich das „Menschenrecht auf Arbeit“
als eine pervertierte Parabel, ein vulgäres Geschreibsel einstufen.
Analog des Paradigmas, das Gewicht des Humanen auf
seine Produktivkraft zu verringern, handeln auch die bürokratischen
Betreiber der Menschenrechtsreklame-Postillen wie in einem neuerlichen
„Grünbuch“ der EU-Generaldirektion „Beschäftigung
und Soziales“. Darin brüsten sich die Prosaisten der
Chancengleichheit, große Fortschritte im Bereich der „Bekämpfung
von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts, der Rasse oder ethnischer
Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des Alters, einer Behinderung
oder der sexuellen Ausrichtung“ erzielt zu haben.
Nicht etwa zufällig fehlt auf der ausgiebigen
Liste die sozial strukturierte „Diskriminierung“. Denn
für diese EU-Polyarchie der mächtigen Kernstaaten gilt
der absolute Grundsatz, den Anteil der Lohnarbeit am BrottoSozialProdukt
soweit zu senken, daß er ausreicht, die Mindestbedürfnisse
der „Kälber“ zu decken. Damit die systemischen
Symmetrien unangefochten in Sack und Tüten sind, halten die
Bürohengste der Eurokratie über dem expandierenden Schattenmarkt
der Fronarbeit die Hand, verweigern sich daher, die UN-Wanderarbeiter-Konvention
zu ratifizieren. Die puritanische Internationale der Moneten trumpft
mit der zerschmetterten Internationale der Proleten auf und zelebriert
ihren Triumph.
Da ein Zurück zu traditionellen nicht marktbedingten
Reproduktionsformen schwer vorstellbar erscheint, manövriert
der Staatsapparat besonders offensiv mit massiven Reformen, die
sozialen Besitzstände so zu revidieren, daß der privat
aneignende Faktor komplett überhand nimmt.
Hier beim Händewechsel des Eigentums vom Kollektiven
und Kleinen zum Privaten und Großen hat das neoliberal potente
Protektorat der Ständegesellschaft nicht nur die Finger im
Spiel, sondern es hebelt auch jede Form des nachbarschaftlichen
Zusammenhaltens aus. Überlassen wird dabei die zivile Elendskanzlei
jenen Feierabendhumanisten des Kommunitarismus, die sich zuvor als
Freiwilligen-Patrouillen der armutsfreien Viertel etabliert haben.
Zum Zusammenkrachen der modrigen
Montage des Gebrülls »Deutschland einig Vaterland«
hinter dem Spektakel »Wir sind das Volk«
Kein Gespenst mehr geht um im Chateau des Besitz-
und Krötengötzen. „Marx ist tot, Jesus lebt!“
schrie der Ex-Arbeitsminister und selbststilisierte Jetzt-Sozialrevolutionär
Norbert Blüm Anfang der 90er im vorigen Jahrhundert Hand in
Hand mit Lech Walesa in Warschau.
Jesus lebt, und kein Gespenst mehr spukt dem freien
Lauf der Marktkräfte entgegen. Die „unsichtbare Hand“
läßt sich nicht mehr als eiserne Faust der Plutokratie
bloßstellen. Am Horizont der Urbanen weht die Laisser-aller-Flagge,
das Flaggschiff der Invasionsflotte, die aristokratisch arrivierte
Armada der Privatier-Piraten, zielt seine Kanonen auf den Rest der
Subsistenzstrukturen. Das Erdenrund ähnelt einem Spielball
der Freiheits-Furien, jener parasitären Postulanten der monetären
Gewalt, denen es immer wieder gelingt, ihr demagogisch domestiziertes
Antlitz demokratisch aufpolieren zu lassen.
Ihr Zielhafen liegt in ihrem Masterplan, die kollektiven
Lebenswelten erst in ethnische Sippschaften zu zerstückeln,
sie dann sich gegenseitig an die Kehle fahren zu lassen und sie
am Ende in Galeerensklaven an den Rändern ihres „globalen
Dorfes“ oder gleich in Asche zu verwandeln. Im Bilde sind
die Architekten dieser Fiktion auch, das Konkurrenzschwert wachstumsgerecht
zu wetzen, und schicken sich sogar an, dem Universum des Individuums
über die Küchen- und Schlafzimmergeheimnisse hinaus auf
die Spur zu kommen.
Um die Abstände zwischen dem Zentrum als zukünftige
Zwingburg und dem Rand als Horst der Drachensaat zu zementieren,
benötigt die höchst zivilisatorische Ideenmanufaktur den
stattlichen Staatsapparat auf den Säulen eines völkisch
fundierten Einheitsbreis. Er fungiert, die ökonomischen Abläufe
so zu überwachen, daß jeder Auftritt dazu dient, uneingeschränkt
Eigentum zu erwerben. Die Freiheitsstatue, deren Sockel er pflegt,
nimmt ihn in die Pflicht, alle anderen, besonders kollektiven Freiheiten
zu minimieren, deren Fernziel die human-soziale Gleichheit innewohnt.
Dem Gleichheitspostulant der kollektiven Besitzstände
begegnen die Posten-Postulanten des demokratischen Staates mit dem
Gerechtigkeitspathos unter dem Tempelturm des Besitzgötzen.
Zum Maximum des Mechanismus gehört die Manipulation des humanen
Daseins. Funktionsfähig erweist er sich nur, solange die enteignete
Realmehrheit sich als grundgute Geschwisterschaft der oberen Zehntausend
nach sicherem Glück sehnt, aber keine Alternative sieht. Oftmalig
blieb sie unterwegs zu Barrikaden auf der Strecke und bekam zu Gesicht:
Der Weg zum Mammon-Ruhm geht über Leichenberge.
Hier kommt dem Glauben besonderes Gewicht zu. Damit
ihre patronageparaten Partialinteressen nicht Zuschaden gehen, schwören
die Klerikal-Kompagnons des Kröten-Kartells Brief und Siegel,
die Abtrünnigen des Privateigentums so lange mit Sudel zu bewerfen
und ihnen auf den Nerven herumzutrampeln, bis sie sich in der Horde
der Monaden, der isolierten Individuen, akklimatisieren.
Zum unangehaltenen Universalismus des
schwermütigen Verseschmieds im Atelier des Arier-Arkanums
Immer wehmütiger weichen die fettleibigen Wohlfahrtsverbände
vom Habitus ihres humanitären Anspruchs ab. Sie dürfen
nicht horchen, müssen nur aufhorchen. Immer plastischer entpuppen
sie sich als parasitäre, gefräßige Apparate der
Menschenmanager, die jetzt auch noch mit den Früchten von Zwangsarbeit,
Angaria, Frondienst u.a. gefüttert werden sollen.
Jeder Akt im System reproduziert das Ganze ein Stück
weiter - selbst der Eine-andere-Welt-ist-möglich-Schrei, der
daher die Poseure wie den roten Oskar Lafontaine und schwarzen Heiner
Geißler vor den mäuse-gesteuerten Kameras tiefgründig
begeistert. Zur Kenntnis genommen wird dieses Genre des Gerechtigkeitsgeredes
von kommenden Generationen garantiert mit Staunen und Unbehagen.
Es gehört zur Fähigkeit der Wetterfahnen,
je nach Stärke des Windhauchs verkommenes Zeug zu reden, nachdem
sie sich in überschlagenden Lobgesängen ergingen und gleich
danach einen Schwenk um 18 Grad vollzogen. Darin liegt keine zivilisatorische
Schwäche, sondern die Marksteine eines verlockenden Ordonnanz-Liberalismus
gemäß den hierarchischen Besitzständen, der vor
allem auf stattlich kontrollierte Ver- bzw. Entwertung des Menschenmaterials
unter den Prämissen des Monetarismus zielt.
Ohne das Unterfangen, die gegenwärtigen Verhältnisse,
welche alles einem in Geld meßbaren Nützlichkeitskalkül
unterwerfen, in Frage zu stellen, wird es keinen Ausweg geben -
vor allem für die reale Majorität der Enteigneten. Also
ohne den Kehraus der Verwertungsgesellschaft wird es den Horizont
einer „anderen Welt“ nicht geben.
Solange das Ziel vollkommen in der Nebelzone der Besitzverhältnisse
liegt, bleibt auch der Weg heiß umstritten, damit das Licht
der Einigkeit verschwommen. Dazu bedarf es eines langen Atems, der
jedoch dem gegenwärtigen Diskurs nicht innewohnt.
Die selbststilisierten Links-Lyriker der metropolitanen
Litanei verkürzen ihr Wortkunstwerk auf einen einzigen Refrain
und spielen die zweite Geige: Die Arbeit geht zur Neige! Daher darf
der Souverän nicht alles dem Markt überantworten, in dem
sich der Mensch als Zombie funktionalisieren ließe und gar
nichts mehr wüßte, als Herr seiner selbst zu sein und
Teil der Wüste. Das Publikum ist Kunde und Kundgeber des Dividenden-Demokratismus,
für den sich die Wahl- und Werbetext-Experten ihres verführerischen
Talentes rühmen und den Ton angeben. Läßt sich das
ändern, indem man sich der Singakademie der Zivilgesellschaft
anschließt? Ist diese fragil fabulierte Formation nicht das
imaginäre Bollwerk der Oligarchien (die Herrschaft der Wenigen
bzw. der besitzenden Wenigheiten), die wissen, wie eine Jungfrau
zur Hure gemacht werden kann?
Hervorgetreten, in den nordamerikanischen Konflikt-Quartieren
zu ermitteln, manifestiert sich die CivilSociety als das Modell
der Elendskanzlei, basiert auf dem Masterplan, den Umbau vom Sozial-,
über Nachtwärter-, zum Ständestaat zu vollenden.
Sie zielt auf den Einsatz der Moral, das gesellschaftliche Zankpotential
zu reduzieren, und die soziale Kooperation gemäß den
Erfordernissen des Mammons zu modernisieren.
Das Gewaltkartell ist kein intermediäres Phänomen
zwischen dem Neoliberalismus, sprich Monetarismus, und dem sozial
domestizierten Kapitalismus. Dieser Hegemon ist das Zentrum und
der Generator der gesellschaftlichen Stabilität. Als Regulator
der Wohlfahrtspartys und des Sozialraubs demotiviert und geißelt
er markttraditional das Gleichheitsideal. Daß er zeitweise
auch für partielle Interessen der Werktätigen paradiert,
kann an dieser Stelle dahinstehen. Er ist der Adressat der Elendsproduktion
und deren Verwalter.
Zum sonderbaren Nachtrauern der Sommersonntagskinder
im Tagtraum nach der Wiederkehr des versorgenden Souveräns
Die Pressure Group der Politokratie malt sich ihre
apokalyptischen Reiter: Das imaginierte gesichts- und gewissenslose
Böse, der schwelende allgegenwärtige Terror - der Horror
als Dramaturgie der ökonomischen Olympiade.
Von der Planierraupe der Reform-Rituale schöpfen
auch die Tüftlergenies der Plutokratie frischgebackene sozialdemokratische
Begriffe wie Sozialkonservativismus, Linkspopulismus, Fundamentalismus,
Traditionalismus...
Für sie verfügt der lang errungene soziale
Besitzstand über kein elementares Gewicht mehr. In den Zeiten
des catch-as-catch-can-Championats hat die individuelle Fortuna
der Parvenüs absoluten Vorrang, dessen Logik etwa der Atmosphäre
eines Spielkasinos ähnelt: Alles dreht sich hinter dem Tageslicht.
Um ihr Ziel zu erreichen, stützen sich die Tempel-Ordinariusse
des Monetarismus auf die Message: Die Zukunft der Nachkömmlinge
sichern. Wie sie aber konkret aussehen soll, halten sie hinterm
Berg. Doch es geht um den schleichenden Aufbau der Ständegesellschaft.
Man will das Elend nicht überwinden, geschweige denn sein Wachstum
unterbinden, sondern es „effizienter“ verwerten.
Dementsprechend auch der Kanzler-Appell im Sommerloch:
Die Masse aus der Gosse hat das Abwärts ihres Existenzminimums
als Zukunftsgarantie „unseres Landes“ zu verinnerlichen.
Die Sorge um „unsere Kinder“ motiviert den Chancen-Chancellor
dazu, die minderbemittelten Kinder zur Kasse zu bitten - mit steil
steigender Tabaksteuer.
Damit ihm sein Gerechtigkeitsgerüst nicht abhanden
kommt, gibt sich der oberste Kulinarier der Berliner Republik große
Mühe, den Leuten den Gehalt seiner Reformrituale zu erklären.
Vor allem will er die Steuerzahler in Schutz nehmen, aber nicht
die Haushalte als Konsumenten, unter anderem die Haushunde und Katzen,
ohne deren Mehrwertsteuer ein Standbein des Staatsapparats bald
zu wackeln beginnen kann.
Ein Rätsel wird lange bleiben, ob sich dieser
Advokat in Kanzler-Tracht auf seiner mit Kaschmir bezogenen Ottomane
ein Nickerchen gönnen oder einen hinter die Binde gießen
kann, bevor er seine Klientel unter dem Wortgeklingel verschmelzt:
Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus! Jedenfalls spricht
er erpicht Tacheles: Der Bulldozer der Klassenbaukunst wird auf
der Reform-Route weiter rollen. TINA (There Is No Alternativ)!
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