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»Ein Mensch tritt aus dem Holz«
Horst Dieter Gölzenleuchter wurde 70
Von Friedrich Grotjahn
Wie kann man das „Gesamtwerk„ eines Künstlers
beschreiben, der Holzschnitte herstellt, groß wie Türen,
auch aus Türen, eben so große Stahlskulpturen, der aber
zugleich ganz kleine Lyrikbände zu den Jahreszeiten herausgibt;
ein Künstler, der Holzschneider, Radierer, Skulpteur, Maler,
Buchkünstler, Autor und Verleger ist? –
Der Bochumer Künstler Horst Dieter Gölzenleuchter
wurde am 15. April 70 Jahre alt.
Das vielleicht wichtigste Jahr in seinem Leben war
das Jahr 1971. Da verließ er die Fabrik, in der er bis dahin
gearbeitet hatte, wurde freischaffender Künstler. „Mit
Literatur und Kunst wollten wir was bewegen„, schrieb er im
Nachhinein.
Das Atelier
Sein erstes Atelier war ein eher kleiner Raum auf
der „Künstlerzeche Unser Fritz„ in Wanne-Eickel.
1982 zog er um in eine von ihm instand gesetzte Hinterhof-Waschküche
eines ehemaligen Zechenhauses in Bochum-Langendreer. Hier gründete
er die Werkstatt „Wort und Bild„, die auch schon Veranstaltungsort
war. 1983 stellte hier Karl Meffert/Clement Moreau seine Linolschnitte
aus.
1994 schließlich fand er Räume im Kulturmagazin
Lothringen, einem Gebäude in der stillgelegten Zeche Lothringen
im Stadtteil Bochum Gerthe, einem Haus vielerlei Künste. Es
beherbergt den Bochumer Kulturrat, einen der wichtigen Theater-,
Musik-, und Lesungsorte der „freien Szene„ in Bochum.
Und außer Gölzenleuchters Atelier gibt es dort noch weitere
Atelier-Räume, sowie Kinder- und Jugendtheater-Bühnen.
In seinem Atelier kam und kommt es immer wieder zu
interessanten Begegnungen. Im Jahr 1996 war die indische Künstlerin
Sajitha Shankar dort drei Monate lang Gast, um ihre handwerklichen
Fähigkeiten in Sachen „Holzschnitt„ zu vertiefen.
Höhepunkt ihres Aufenthalts, der Besuch des indischen Politikers
Nayanar, Ministerpräsident des Bundesstaats Kerala, in dem
Sajitha geboren wurde und Kunst studiert hat.
Edition »Wort und Bild«
1979 gab Horst Dieter Gölzenleuchter das literarische
Bilderbuch „Nicht mit den Wölfen heulen„ heraus.
Darin waren Texte von 47 Autorinnen und Autoren versammelt, von
Heinrich Heine bis Klaus-Peter Wolf. Dieses Buch wurde der erste
Band der Editionsreihe „Wort und Bild„, den Gölzenleuchter
seither zusammen mit seiner Frau Renate herausgibt.
Mit einer Ausstellung im Bochumer Zentrum für
Stadtgeschichte, Oktober 2009, konnten sie auf 30 Jahre Edition
„Wort und Bild„ mit insgesamt 79 Büchern zurück
blicken. Die Umschläge der bei „Wort und Bild„
edierten Bücher zeigen je einen Originalholzschnitt Gölzenleuchters
selbst, sodass er an jedem dieser Bücher auch künstlerisch
beteiligt ist.
Radierung und Malerei
Dem Holzschneider sind zwei andere Techniken, die
Radierung und die Malerei, als künstlerische Ausdruckmittel
immer auch wichtig gewesen. Das Museum, das diesen Techniken jeweils
eine eigene Ausstellung gewidmet hat, ist das Stadtmuseum der westfälischen
Stadt Iserlohn.
2003 zeigte es unter dem Titel „Zeitzeugnisse
– Radierungen aus 30 Jahren„ Gölzenleuchters Radierungen,
die bis dahin nur sporadisch zu sehen waren.
Die Radierung erlaubte/erlaubt dem Künstler ein,
dem Holzschnitt gegenüber, schnelleres Eingehen auf aktuelle
gesellschaftspolitische Themen, die er oft auch zeichnerisch-satirisch
angeht, wie „Zensur„, „Gesinnungsschnüffelei„,
„Sexismus„, „Neonazis„, „Kollateralschaden„,
andererseits aber auch die künstlerische Auseinandersetzung
mit Dichtern, wie Bertolt Brecht, Wladimir Majakowskij, Erich Mühsam.
Zum Malerei gab es dort vor zehn Jahren, zum 60. Geburtstag
des Künstlers, eine Ausstellung: „Malerei aus 40 Jahren„.
– „Ich bin auch Maler!„ Hinter diesem fast trotzig
anmutenden Bekenntnis, zeigte sich ein überraschend anderer
Gölzenleuchter als man ihn bis dahin kannte. Nicht, dass ihn
in der Malerei sein linkspolitisches Engagement verlassen hätte!
Immer sind es konkrete Begebenheiten, von denen er ausgeht, mit
denen er sich auseinander setzt.
Eindrucksvoll die drei „Stationen zu Carl von
Ossietzky„, denen gemeinsam ist, dass sie die Häftlingsnummer
und den „roten Winkel„ zeigen, die von Ossietzky im
Konzentrationslager als politischen Gefangenen auswiesen.
Doch daneben – und diese Zusammenstellung machte
den eigentlichen Reiz dieser Ausstellung aus – hingen Bilder
wie: „Blaue Stunde„, „Poetische Skizzen„,
„Auf der Suche nach Farbe„, die der Maler selber mit
Sätzen kommentiert wie: „Das sind poetische Sachen, die
auch zum Leben gehören.„
Auffällig die mythologischen Anklänge: Der
vom Himmel stürzende Ikarus, oder Sisyphos, „der den
Stein nach Iserlohn schleppt„, Metaphern für ein Künstlerdasein,
das immer auch mit Vergeblichkeit zu tun hat.
Etwas Besonderes ist die Reihe von Postkarten, die
Gölzenleuchter im Urlaub malt und an Freunde, Bekannte, Kollegen
schickt, und sie für seine Ausstellungen immer wieder einsammelt.
In ihnen zeigt sich ein heiter gelassener und farbiger Gölzenleuchter.
Und eine interessante Entwicklung hat sich in den
letzten Jahren ergeben, weg von der „bunten„ zur Malerei
in schwarz-weiß. Horst Dieter Gölzenleuchter entdeckte
die Pinselzeichnung. Und die spielt von da an eine besondere Rolle,
in erster Linie in seinen Buchillustrationen.
Ausstellungen im Atelier
Immer wieder veranstaltet der Künstler spezielle
Ausstellungen in seinen Atelier-Räumen, zu denen er auch andere
Künstlerinnen und Künstler einlädt. So entstehen
gemeinschaftliche Arbeiten zu einer Person, zu Carl von Ossietzky,
Pablo Neruda, Bertolt Brecht. Am Ende, in der Vernissage, geht es
dann mit einer Lesung um Texte des Ausgestellten.
Werkstattdrucke
Seit dem Jahr 2000 bringt Gölzenleuchter jedes
Jahr zu Weihnachten eine Mappe mit „Werkstattdrucken„
heraus. Zusammengestellt sind darin je vier Originalgrafiken verschiedener
Künstlerinnen und Künstler zusammen mit kurzen Texten
von Autorinnen und Autoren.
In schöner Regelmäßigkeit findet sich
unter diesen Künstlern der Österreicher Wilhelm Schramm,
der in Zusammenarbeit mit dem deutschen Autor Ingo Cesaro, die „Werkstattdrucke„
mit interessant gestalteten literarisch-grafischen Blättern
bereichert.
Künstlerbücher
Eine Sparte, die bislang noch nicht erwähnt wurde,
sind die „Künstlerbücher„ Gölzenleuchters,
von denen ich hier drei vorstellen möchte.
2008 erschien das Buch „Holzschnittgeschichten„
das in eindrücklicher Weise den Weg des Holzschneiders Gölzenleuchter
vom Linolschnitt „Draußen vor der Tür„ (1966)
bis zu seinem mit der Flex gearbeiteten „Baum und Mensch„
(2008) aufzeigt:
„Ohne mein Dazutun, es ist etwas im Holz. Walze
es ein mit schwarzer Farbe und drucke es auf Keilrahmen, nesselbespannt.
Ein Mensch tritt aus dem Holz. Habe ihn im Holz entdeckt und aus
dem Holz geholt. Wer weiß, wie viele Jahre alt, zerrissen
und geschnitten. Ein Bild von uns.„
Ein weiteres Künstlerbuch ist in der Zusammenarbeit
mit einem einzelnen Autor entstanden: der Band mit Gedichten von
Paul Schallück, den Hugo Ernst Käufer 2012 zu Schallücks
90. Geburtstag im Aisthesis Verlag herausgegeben hat. Gölzenleuchter
„kommentiert„ darin die Gedichte Schallücks mit
seinen Pinselzeichnungen.
Mit Hugo Ernst Käufer, Mitbegründer der
Werkkreise „Literatur der Arbeitswelt„, hat Horst Dieter
Gölzenleuchter seit Jahren zusammengearbeitet. In der Edition
„Wort und Bild„ sind mehrere Bücher Käufers
erschienen. Und zu Gölzenleuchters 65. Geburtstag hat Käufer
zusammen mit dem Autor dieses Aufsatzes eine Hommage, „Schnittwege„,
mit mehr als 20 Beiträgen von Freunden und Freundinnen, herausgegeben.
Zum 70. Geburtstag schenkte der schon sehr kranke
Käufer ihm seine letzten, handschriftlichen, Gedichte. Hugo
Ernst Käufer starb am 9. Mai. Er wurde 87 Jahre alt.
Ein Künstlerbuch der besonderen Art schuf Horst
Dieter Gölzenleuchter im Jahr 2011, ein Buch mit dem schönen
Titel: „Am Anfang war der Strich.„ Es geht darin um
ein essayistisches Nachdenken über die Menschwerdung durch
das Entdecken der Linie, der Form. Der Text und die eigens dazu
geschaffenen fünf Holzschnitte verstehen sich als Aufruf, nicht
alles durch die Online-Kommunikationsmöglichkeiten zu deuten
und sich damit im wahrsten Sinne des Wortes „aus der Hand
nehmen„ zu lassen.
„Werkstattdrucke„ – bislang (2013)
14 Ausgaben, Edition Wort und Bild, Bochum. 40,– ¤.
Die „Werkstattdrucke„ können abonniert werden.
Künstlerbuch „Holzschnittgeschichten„.
Edition Wort und Bild, Bochum 2008. 25,– ¤.
Künstlerbuch „Paul Schallück, Hierzulande
und anderswo„, Gedichte. Herausgegeben und mit einem Nachwort
von Hugo Ernst Käufer. Pinselzeichnungen von Horst Dieter Gölzenleuchter
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2012. 19,80 ¤.
Künstlerbuch „Am Anfang war der Strich„.
Edition Wort und Bild, Bochum 2011. 70,– ¤.
Edition Wort und Bild, Hustadtring 31, 44801 Bochum.
hdgoelzenleuchter@web.de Tel. 0234/70 44 91
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Dichter der Bukowina
Mihai Eminescu – Der letzte europäische
Romantiker
Von Erich Rückleben
In der „Czernowitzer Allgemeinen Zeitung„ war im Oktober
1927 zu lesen, dass die Grundlage für das spätere Schaffen
Eminescus während seiner Schulzeit in Czernowitz gelegt wurde.
Von grundlegender Bedeutung für den Schüler sei der innige
Kontakt mit der deutschen Kultur und Literatur gewesen. Hervorgehoben
wird insbesondere sein Lehrer Ernst Rudolf Neubauer am deutschsprachigen
Gymnasium in Czernowitz, von dem Eminescu nicht nur Latein-und Geschichtskenntnisse
erwarb, sondern ebenso zur deutschen und rumänischen Literatur
hingeführt wurde. Unter dem Einfluss Neubauers und dessen humanistischer
Bildung war zweifelsohne für den Schüler Eminescu ein
nachhaltiger Schub in Richtung zum Dichterischen gegeben. Es war
ein Prozess in Gang gesetzt worden, dessen Entwicklung freilich
noch nicht abzusehen war und erst viel später während
seiner Studienzeit in Wien Früchte tragen sollte. Aber zunächst
nach Czernowitz zurückgekehrt und den Fokus auf Eminescus schulische
Leistungen gerichtet, mit denen er durch sein einseitiges Interesse
an Literatur und Geschichte nicht einmal zum Durchschnitt gehörte.
Herausragende Leistungen hingegen erzielte er mit einer einzigartigen,
noch nie da gewesenen Benotung in seinem Lieblingsfach Geschichte.
Aber ebenso ausgeprägt war sein Interesse für Literatur
als auch sein Hang zum Schauspiel. Geradezu begeistert von der Mimenkunst,
hatte Eminescu unter Mitwirkung seiner Klassenkameraden wiederholt
kleine Theaterstücke aufgeführt, und diese Begeisterung
führte so weit, dass er im April 1864 seinen Schulbesuch abbrach
und sich einer Wanderbühne, die gerade in Czernowitz gastierte,
anschloss. Als er nach einigen Monaten zurück kam und seine
unterbrochene Schulbildung fortsetzten wollte, dies jedoch mit einer
Prüfung verbunden war, auf die er sich vorbereiten sollte,
gab er jeden weiteren Gedanken an Schule auf, lebte noch einige
Zeit in Czernowitz, um sich dann in Richtung Siebenbürgen zu
verabschieden. Hier schloss er sich abermals einer wandernden Schauspieltruppe
an, die ihn als Kopisten, Übersetzer und Souffleur beschäftigte,
bis er dann am Bukarester Nationaltheater eine Anstellung als Souffleur
fand. Allein schon diese Nähe zum Theater, war für ihn,
der Schiller über alles liebte, ganze Passagen aus seinen Dramen
gespeichert hatte und rezitierend abrufen konnte, ein weiterer Meilenstein
auf dem Weg hin zu sich selbst, zum Schreiben, seinem eigentlichen
und eigenen Betätigungsfeld.
In einem kleinen Dorf in Nähe der moldauischen
Stadt Botosani wird der Dichter unter dem Namen Michael Eminovici
am 15. Jänner 1850 geboren. Erst Mitte der 1860er Jahre nannte
er sich Mihai Eminescu. Eine Namensänderung zu der es kam,
weil der Herausgeber der rumänischen Zeitschrift „Die
Familie„, Iosif Vulcan, welcher sein erstes Gedicht veröffentlichte,
seinen slawisch klingenden Namen nicht mochte. Er war das siebte
von elf Kindern des Gutbesitzers Gheorghe Eminovici und dessen Ehefrau
Raluca. Eminovici entstammte einem wohlhabenden Bauerngeschlecht,
das sich über mehrere Generation im Bereich Sucsawa (Südbukowina)
aufgehalten hatte, ehe er um 1830 nach Ipotesti dem Geburtsort Mihai
Eminescus übersiedelte und sich als Pächter eines Gutes
niederließ. Zu Eigentum, sprich zu einem Gutshof mit gleichzeitiger
Erhebung in den Bojarenstand, kam Gheorghe Eminovici, durch die
Heirat mit der Tochter eines Bojaren (Großgrundbesitzer im
alten Rumänien). Bis zu seinem achten Lebensjahr hielt sich
Mihai Eminescu hier auf, um dann zunächst eine rumänisch-orthodoxe
Konfessionsschule in Czernowitz zu besuchen und anschließend
auf das deutschsprachige Gymnasium der Landeshautstadt zu wechseln.
Obgleich er, wie schon erwähnt, hier entscheidende Impulse
für sein Leben erfuhr, scheint ihm das Umfeld „Schule„
nicht behagt zu haben, denn wiederholt nahm er Reißaus in
heimatliche Gefilde, was auf den Unmut seines Vaters stieß,
der ihn dann mit einer Tracht Prügel versehen, wieder nach
Czernowitz brachte. Als er dann 1864 abrupt das Gymnasium verließ,
sich vom Schulzwang befreite und sich als 14-Jähriger, unausgereifter
pubertärer Halbwüchsiger einer reisenden Schauspieltruppe
anschloss, forderte er einmal mehr den Zorn seines Vaters heraus,
der war jedoch machtlos, denn sein Sohn hatte sich seinem Zugriff
entzogen und ging jetzt eigene Wege. Fast fünf Jahre, mit einer
kurzzeitigen Rückkehr nach Czernowitz, war Mihai Eminescu mit
den unterschiedlichsten Tätigkeiten unterwegs, bis sein Vater
ihn im Jahre 1869 aufspürte und mit der Absicht nach Wien schickte,
den jetzt 19-jährigen Philosophie studieren zu lassen. Als
Anreiz hatte er seinem Sohn finanzielle Unterstützung zugesagt,
dabei jedoch nicht bedacht, dass ein Studium ohne Matura gar nicht
möglich war. Anscheinend sind aber Dokumente vorhanden, welche
die Immatrikulation Eminescus beweisen. Wahrscheinlicher ist jedoch,
dass er als Gast an Vorlesungen teilnahm. Dabei beschränkte
er sich keinesfalls nur auf Philosophie und Geschichte, sondern
weitete seine Teilnahme an Vorlesungen über Finanzwesen bis
hin zur Gerichtsmedizin und Biologie aus. Aber er war nur ein seltener
Gast in Hörsälen, vielmehr behagte ihm, das zurückgezogene
private Studium in den eigenen vier Wänden, inmitten seiner
Bücher. Die Wiener Zeit aber war eine fruchtbare Zeit für
den Dichter, der von vielen Seiten Anregungen und Inspirationen
erhielt, sich erstmals eingehend mit der Philosophie Schopenhauers
befasste und von dessen pessimistischer Weltsicht tief beeindruckt
zeigte. Zu beeindrucken aber wusste er im Jahre 1870 den rumänischen
Politiker Titus Maiorescu mit einem Gedicht, das in der Literaturzeitschrift
„Literarische Gespräche„ in Jassy erschienen war,
und dies so nachhaltig, dass er von jetzt an bis zum Lebensende
des Dichters seine schützend Hand über ihn hielt und ihn
unterstützte, wo immer er nur konnte. Maiorescu, der auf die
Förderung rumänischer Literatur und Kultur großen
Wert legte, sah in Eminescu den Nationaldichter par excellence,
der mit seinem Sprachtalent allen Anforderungen eines großen
rumänischen Dichters gerecht wurde. Eine Voraussage, die sich
bestätigen sollte und bis heute hin ihre Gültigkeit nicht
verloren hat.
Nach Wien war die nächste Station Berlin, wohin
ihn die rumänische Literaturgemeinschaft „Junimea„
mit der Auflage geschickt hatte, hier Philosophie mit abschließendem
Doktorat zu studieren. „Junimea„ übernahm auch
die Finanzierung des Studiums und Titus Maiorescu besorgte, auf
welchem Weg auch immer, das notwendige Dokument zum Nachweis seiner
Reifeprüfung (Matura). Und, Maiorescu hatte in Jassy schon
einen Lehrstuhl für Eminescu vorgesehen. Zwei Jahre, von 1872
bis 1874, hielt Eminescu sich in Berlin auf, ohne jedoch das erwünschte
akademische Ziel erreicht zu haben, kehrte er in seine Heimat zurück.
Er lässt sich in der moldauischen Hauptstadt Jassy (Iasi) nieder,
arbeitet in der Zentralbibliothek, ist als Hilfslehrer beschäftigt
und betätigt sich als Zeitungsredakteur. In Jassy hielt es
ihn jedoch nur drei Jahre, um dann 1877 nach Bukarest umzusiedeln
und in Diensten der Zeitung „Timpul„ als Redakteur bzw.
Chefredakteur zu wirken. Eine Aufgabe, die ihn auf Dauer womöglich
überforderte, aber nur vielleicht, wenn man den Gerüchten
nachgeht, die im Juni 1883 zu seinem Nervenzusammenbruch geführt
hatten. Eine Reihe von nicht belegbaren Vermutungen bis hin zu einem
politisch motivierten Zum-Schweigen-bringen, sind bis heute nicht
verstummt, wenn Nicolae Gerorgescu in der Zeitschrift „Lumea„
vom Dezember 2006 seinen Artikel zu den Vorgängen an jenem
Tag mit dem Titel überschreibt: „Wie wurde Eminescu am
28. Juni 1983 verhaftet„. Näher an der Wahrheit dürfte
die Tatsache sein, dass an diesem Tag eine beginnende Geisteskrankheit
ausbrach, die immer wieder Aufenthalte in Sanatorien zur Folge hatte
und sich zunehmend verschlechterte. Zwischenzeitlich suchte er Erholung
in Italien und hielt sich für kurze Zeit in Bukarest auf, versuchte
sich als Hilfsbibliothekar, musste sich einmal mehr in klinische
Behandlung begeben und starb am 15. Juni 1889 in einer Bukarester
Klinik. Ein ruheloses, von Zerrissenheit geprägtes Leben hatte
mit 39 Jahren ein Ende gefunden. Sein Leben war ein permanenter
Kampf zwischen den Anforderungen der Realität und einer geistigen
Sphäre, in welcher der Romantiker, Dichter und Poet lebte.
Dieser Kampf hatte ihn zermürbt und unter das Joch unvereinbarer
Gegensätze gezwungen, unter deren Last er schließlich
zusammen brach.
Bleibt noch das Kapitel „Frauen„ im Leben
des Dichters zu erwähnen, der schon in jungen Jahren eine Beziehung
zu einem Mädchen aus Ipotesti hatte, in Bukarest zwei Liebschaften
unterhielt, in Berlin ein Verhältnis gegen seine Regel, mit
einer Frau aus bürgerlichen Milieu eingegangen war und die
Vermutung liegt nahe, dass außer den genannten, eine Reihe
weiterer Unbekannter hinzukommen. Die Liebe seines Lebens aber war
Veronica Micle, eine verheiratete Frau die er einst in Wien kennen
gelernt hatte, von der er nicht los kam und nach der sich immer
wieder hingezogen fühlte. Die Chance zu einer Verbindung (Ehe),
ergab sich als ihr Ehemann verstarb, Eminescu jedoch schreckte vor
einer festen Bindung aus Gründen zurück, die vermutlich
in der Veränderung seines Frauenbildes Lagen, welches nicht
mehr identisch mit seinem romantischen Ideal war. Seine Vorstellung
von der Frau als Erlöserin, einem besseren Wesen schlechthin,
hatte einen Bruch bekommen. Eminesco dichtete seinen Frauen alle
jene Eigenschaften an, die er sich wünschte, den gütigen
Engel, die sanfte Seele bis hin zur personifizierten Göttlichkeit,
und war maßlos und bitter enttäuscht, wenn er auf den
wirklichen Menschen mit all seinen Schwächen und Fehlern traf.
Er fühlte sich belogen und betrogen und reagierte nicht nur
mit Enttäuschung, sondern vielmehr noch mit Verachtung bis
hin zum Hass. Die romantische Verklärung der Frau, ein Phantasieprodukt
des Dichters, findet in vielen seiner Gedichte Niederschlag, in
denen er anbetend sein Ideal verherrlicht und in späteren Jahren
umso mehr verteufelt. Die pessimistischen und sarkastischen Töne
in seinen Gedichten nahmen auffallend zu, nachdem Eminescu seiner
Geliebten Veronica Micle eine Absage in Sachen Ehe erteilt hatte.
Sein erstes Gedicht veröffentlichte Mihai Eminesco
anlässlich des Todes seines Czernowitzer Lehrers Aron Pumul
im Jahre 1866 in einer Schülerzeitschrift. Noch im gleichen
Jahr folgte ein weiteres, das in einer Bukarester Zeitschrift heraus
kam. Weitere Gedichte erschien in der Zeitschrift „Convobire
literare„. Aber obgleich Eminescu in seiner Lyrikproduktion
äußerst aktiv war, blieb es immer nur bei Einzelveröffentlichungen
seiner Gedichte, die verstreut in unterschiedlichen Zeitungen und
Zeitschriften veröffentlicht wurden. Zu Lebzeiten des Dichters
war ein einziger Sammelband herausgegeben worden. Eminescus Lyrik
ist von einer klaren Sprache gekennzeichnet, einer Sprache die auch
heute noch nicht veraltert ist, einer magischen Sprache mit geradezu
kristallener Schönheit. Namentlich in seiner Liebeslyrik fasziniert
der Dichter mit klingendem Wohllaut und melodischer Sprache. Insbesondere
sind es jene Gedichte, die sich mit seiner Liebe zu Veronica Micle
befassen, seiner himmlisch und irdisch Geliebten, seinem Engel und
seinem Dämon. Weltschmerz, Melancholie und Pessimismus, drei
Grundelemente, die das Werk des Dichters durchziehen, sind bezeichnend
für die Grundsituation Eminescus, dem im Spannungsfeld zwischen
Anspruch und Wirklichkeit die Balance abhanden zu kommen drohte
und die Tendenz zum Nihilismus ins Fleisch zu wachsen schien. Im
Bewusstsein dessen steuerte er mit allen Kräften dagegen und
doch blieb es eine Gratwanderung mit der stetigen Gefahr, in die
Verneinung aller und jeder Werte abzurutschen und ernsthafte Krisen
heraufzubeschwören.
Durch die deutsche Philosophie und namentlich durch
die Werke von Schopenhauer und Kant als auch durch Schiller, Jean
Paul, Goethe, Novalis und dem Buddhismus beeinflusst, sind es insbesondere
weltanschauliche und philosophische Themen mit denen sich Eminescu
auseinandersetzte . Und daneben befasste er sich in Zeitungsartikeln
und auch Gedichten mit der Lage seiner Nation, wird zum scharfen
Kritiker der rumänischen Gesellschaft und ihren Politikern,
deren schmutziges Handwerk er geißelt. Sie seien Lügner
und Interessenjäger mit moralischen Defekten, charakterlos
und egoistisch, wetterte der Dichter. Und er zielte mit seiner Kritik
auf die Liberalen seines Landes, welche, so seine Meinung, aus dem
Ausland artfremde Kultur einführten, was die rumänischen
Gesellschaft an ihrem nationalen Fortschritt hindere und eine Pseudozivilisation
heraufbeschwöre. Hier nun macht sich der Nationalist bemerkbar,
der nicht dadurch zu entschuldigen ist, dass er mit allen Fasern
seines Herzens tief in seiner Nation verwurzelt ist, aber sich fragen
lassen muss: was das eine mit dem anderen zu tun hat? Heimatverbundenheit
und Patriotismus muss notwendigerweise nicht Nationalismus nach
sich ziehen. Deutlich wird Eminescu in seiner rechten nationalistischen
und fremdenfeindlichen Haltung, in dem um 1883 entstandenen Gedicht
„Doina„. Unmissverständlich bringt er hier seine
politische Rechtsorientierung zum Ausdruck. Auch in dem Gedicht
„Der dritte Brief„ ( Scrisoarea III-a„) wird diese
Haltung spürbar und sein antisemitischer Standpunkt offenbar.
Das Wort „Jude„ wird zwar nicht genannt, aber wer gemeint
ist, das liest sich nur zu leicht aus den Zeilen heraus. Und gleichermaßen
sind es „all die Krüppel und Verrückten aus jedwedem
Nachbarlande„ die Eminescu für Abschaum und Pöbel
hält, welche mit dem Mal der „Fäulnis„ und
„Schande„ behaftet sind.
Seine sozialpolitische Einstellung indes hatte Eminescu
schon in den Wiener und Berliner Jahren in vielen Schriften bekundet
und später in seiner Eigenschaft als Chefredakteur der konservativen
Zeitung „Timpul„ wiederholt und immer wieder akzentuiert
offenbart. Er geht davon aus, dass insbesondere von den Liberalen
soziales Elend heraufbeschworen und hemmungslose Ausbeutung betrieben
würde. Der gegenwärtigen sozialen Misere stellt Eminescu
die Vergangenheit gegenüber, verglorifiziert das Gestern und
erinnert daran, dass das rumänische Volk einst von brüderlichem
Zusammenhalt geprägt war. Scharf und beißend mit seiner
Kritik wird Eminescu in seinem Gedicht „Kaiser und Proletariat„,
das sich abschließend mit einer düsteren Zukunft befasst,
welche der Dichter prognostiziert.
Eminescu hatte sich überwiegend von Beginn an
für die epische Form des langen Gedichtes entschieden, das
Erzählen in Versen, dessen Eigentümlichkeit darin besteht
im Spannungsfeld zwischen dem zur Objektivierung des Gegensatzes
drängenden Erzählens und dessen subjektiver Behandlung
und Deutung durch den Dichter, die prosaische Wirklichkeit zu entfalten.
Das Poem, sowohl Versdichtung als die Bezeichnung für das spezielle
kurze Gedicht, war für Eminescu das gängige Ausdrucksmittel
seine Themen zu bewältigen und stofflich zu vermitteln. Wohl
eines seiner schönsten Versdichtungen ist der „Abendstern„,
gleichsam ein Abgesang auf die europäischen Romantik, aber
ebenso ein Appell an die entwurzelten Menschen seines Jahrhunderts.
„Der Abendstern„, kommentiert Petru Mihai Gorcea, „ist
und bleibt die traurige Geschichte von der inneren Zerrissenheit
des modernen Menschen, dargeboten in einer verwirrenden Form: die
Einfachheit der volkstümlichen Verse ist ebenso täuschend
wie der Traditionalismus der poetischen Bilder. Das vordergründig
Volkstümliche hat bei Eminescu tiefere Schichten, nach denen
es zu graben gilt, um fündig zu werden. Bemerkenswertes findet
sich im Entstehungsprozess seiner Gedichte, die er immer wieder
überarbeitete, Neues hinzufügte, Altes wegnahm, nach neuen
Formulierungen suchte, andere sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten
ins Auge fasste und sich überhaupt schwer tat einen endgültigen
Guss zu finden. Letztlich verlor er dann gänzlich die Übersicht
und auch so manches Manuskript aus den Augen. Es stellte sich Unordnung
ein, die namentlich in den letzten Jahren seines Lebens zu nahm
und kaum noch beherrschbar für den Dichter war. Es fanden sich
in seinem Nachlass eine große Anzahl von Gedichten, die er
in mehreren Versionen verfasste, bei denen Eminescu, wie man jetzt
weiß, sich aber definitiv nicht für eine endgültige
entscheiden konnte.
Wie schon bemerkt war zu Lebzeiten Eminescus nur ein
einziges Buch erschienen (1883). Ende der 1930er Jahre veröffentlichte
der Literaturwissenschaftler Perpessicius erstmals eine mehrbändige
Sammlung seiner Schriften. Perpessicius aber in dem Glauben, er
müsse die veralterte Sprache Eminescus dem Zeitgeschmack anpassen,
veränderte zu Teilen einige sprachliche Passagen, aber der
Eminescu-Forscher Gheorghe Bulgar führte sie später wieder
zum Original zurück, welche das Signum seiner Identität
trägt und unverwechselbar Eminescu heißt. Zurzeit ist
sein Werk auf 16 Bände angewachsen, es ist in viele Sprachen
übersetzt und auch im deutsprachigem Raum liegt eine große
Anzahl seiner Bücher vor. In Deutschland (München) erinnert
ein Denkmal an den großen rumänischen Dichter, das im
Januar 1991 eingeweiht wurde, während in Czernowitz Gedenktafeln
an der ehemaligen rumänisch orthodoxen Volksschule und dem
damaligen deutschen Gymnasium angebracht sind. Und im Zentrum der
Stadt befindet sich ein Denkmal des Dichters, das auf Initiative
der rumänischen Kulturgesellschaft in Czernowitz errichtet
werden konnte. Peter Rychlo nennt Eminescu den „bedeutendsten
Lyriker rumänischer Sprache. Den „letzen Romantiker der
Weltliteratur„. „Er hat„, so seine Meinung, „der
rumänischen Literatur Weltgeltung verschafft.
***
Ein Muß ohne Klo
Christiane Ritters vielaufgelegter Bericht aus
der Polarnacht
Von Henner Reitmeier
1969 veröffentlichte der Schriftsteller Alfred Andersch mit
Hohe Breitengrade einen empfehlenswerten Reisebericht von einer
Nordlandfahrt. Unter anderem erwähnt er eine Stippvisite beim
betagten Polarjäger Hilmar Nois, der auf Spitzbergen haust.
Die im Nordatlantik gelegene Inselgruppe ist bald so groß
wie Irland, besteht aber nahezu ausschließlich aus Fels, Eis
und Schnee. Die Temperaturen bewegen sich die meiste Zeit des Jahres
zwischen minus 10 und minus 40 Grad. Als ich Andersch' Kleinod vor
Jahren las, fragte ich mich unter anderem, womit Nois und seine
wenigen, über das Ödland verstreuten Kollegen eigentlich
heizten. Nun weiß ich es, weil mir neuerdings Christiane Ritters
1938 erschienenes Buch Eine Frau erlebt die Polarnacht in die Hände
gefallen ist. Sie nehmen vor allem Treibholz, daneben Kohle. Diese
wird oder wurde sogar, bei Longyearbyen, auf der Hauptinsel selbst
gefördert. Das Treibholz besteht nicht selten aus ganzen Baumstämmen.
Über beträchtliche Strecken angeschwemmt, beispielsweise
aus Sibirien, ist es fast immer bleich wie ein Gerippe. Ritter,
bei ihrem Jahresaufenthalt 1934/35 Ende 30, vertreibt durch ausgiebiges
Brennholzsägen so manches Gespenst, während sie über
Tage oder gar Wochen bei klirrender Kälte und heulendem Schneesturm
auf die Rückkehr ihrer beiden (männlichen) Mitbewohner
wartet, die gerade Polarfuchsfallen abgehen oder der Fährte
eines Eisbären folgen. Die enge Hütte mit Flachdach ist
nicht mehr als ein Holzkasten, von dem nur schwer geglaubt werden
kann, die Stürme hätten ihn nicht längst nach Grönland
geblasen, weil man dort ebenfalls Treibholz schätzt. Einmal
kommen die Männer, der Österreicher Hermann Ritter und
der Norweger Karl Nicolaisen, mit Hundegespann und einem hünenhaften
Kollegen mit „hellen Augen, hellen Wimpern und buschigen Brauen„
zurück, dem das Gespann gehört. Er sei jedoch „tadellos
rasiert„ gewesen, fügt die Autorin hinzu. Das war Nois,
damals vermutlich noch keine 50 Jahre alt. Er hat sogar Post dabei.
Um sie zuzustellen, nahm er in der zerklüfteten Eiswüste
einen Umweg von 280 Kilometern in Kauf.
Wie sich versteht, sägte Ritter von Hand. Ohne
dabei die Härte eines solchen Daseins zu beschönigen,
stellt ihr erstaunlich gut geschriebener Bericht vor allem ein Lobgesang
auf jenes Einfache Leben dar, über das Ernst Wiechert zur selben
Zeit seinen besten, in den Masuren spielenden Roman schrieb. Einmal
vertreiben sich die drei HüttenbewohnerInnen den Abend, indem
sie die Zeitungsinserate studieren, die sich auf dem Papier finden,
in das ein aus Tromsø, Norwegen stammender neuer Glaszylinder
für die Petroleumlampe eingewickelt war. Da preisen die Kaufleute
ihre Vanillestangen, Dauerwellen, Leichenkisten nebst einem bequem
per Telefon zu alarmierendem Elektro-Reparaturdienst bei Ausfällen
der Bürobeleuchtung oder der Kühltruhe. „Eigentlich
rührend, finden wir, wie sich da unten in der Menschenwelt
einer dem anderen unentbehrlich zu machen weiß. Wie einer
vom anderen abhängt, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Nein, wir dürfen nicht herabschauen auf die Zivilisation, [..]
dürfen sie nicht als emporgeschraubtes Pflanzstadium verurteilen,
wie wir das in unserer spartanisch genügsamen Weltabgesondertheit
gern tun möchten. Nein, schon aus Nächstenliebe müssen
wir uns verzierte Särge, ondulierte Köpfe, Waschtische
mit fließendem Wasser und Rohrbrüche gefallen lassen.„
Verblüffenderweise versichert Ritter sogar, selbst
„der Hunger nach Musik„ fehle auf Spitzbergen völlig.
Immerhin stammt die junge Frau aus zugleich wohlhabendem und musischem
böhmischen Hause. Man bedenke auch die vielen, mal vom Wetter,
mal von der Abwesenheit der Jäger erzwungenen Mußestunden
in der verrußten Hütte. Ritter malt und zeichnet öfter,
denn das ist von Hause aus, noch vor der Musik, ihre Hauptleidenschaft.
Dem Buch sind auch einige Bilder und Skizzen beigegeben. Ritters
Lob der Schlichtheit hindert sie allerdings nicht daran, keinen
Furz darüber fallen zu lassen, wie es zwei Männer und
eine Frau bei dieser einzimmrigen Enge und diesen Schneeverwehungen
rings um die Hütte mit der Verrichtung ihrer Notdurft halten.
Seehund schießt und ißt sie, doch für das Weitere
war sie vielleicht doch zu prüde erzogen. Mit 20 heiratet sie
den Kapitän und Jäger Hermann Ritter, der in den folgenden
Jahren mehr unterwegs als in ihren Armen weilt. Und damit kommt
die nächste Merkwürdigkeit. Sie läßt sich schließlich
brieflich zu einer Überwinterung auf Spitzbergen verlocken
– als sie jedoch in der Kingsbai an Land geht und von ihrem
Gatten begrüßt wird, fällt über Wiedersehensfreude
oder gar über Zärtlichkeiten ebenfalls kein Tönchen.
Und so bleibt es die ganze Zeit, ein Jahr lang. Zu allem Überfluß
hat ihr der Gatte auch noch eröffnet, er habe sich einen Gehilfen
genommen, so daß sie, jedenfalls überwiegend, mit zwei
Männern in jenem Holzkasten zu hausen hat. Was hätten
Romanciers daraus gesponnen! Sie aber, Christiane Ritter, bringt
es fertig, diesen Zündstoff von der ersten Seite bis zum letzten
Satz des Nachwortes kurzerhand auszusparen. Einmal erwähnt
sie einen, möglicherweise nur aus der nervtötenden Enge
im Hüttenhaushalt entstehenden Streit mit ihrem Mann, das ist
schon viel. Gelegentlich wird das Ehepaar sogar von dem 27jährigen
Karl für Tage oder Wochen allein gelassen – nicht ein
Hauch von Andeutung, daß und vor allem wie es die Liebenden
für prickelnde oder auch katastrophale Zweisamkeit ausnutzen.
Der Hüttenherd schadhaft, das Bettzeug klamm, die Wände
zumeist vereist – nicht unbedingt festliche Bedingungen für
ein Liebespaar.
Gewiß ist es ebenso denkbar, daß sich
die beiden schon gehörig voneinander entfremdet hatten, wobei
es vielleicht auch blieb. Aus Ritters Nachwort, in hohem Alter geschrieben,
geht darüber nichts hervor. Auf der Webseite cms.huskyfotos.de
heißt es, die Familie Ritter – Töchterchen Karin
war bei der Oma geblieben – habe sich bald nach der Rückkehr
in Leoben, Steiermark nieder gelassen. Ebendort sei Hermann Ritter
1968 mit 76 Jahren gestorben. Die betagte Witwe siedelte später
nach Wien über, wo sie erst 2000 starb – mit 103 Jahren.
Über berufliche Tätigkeit und finanzielle Verhältnisse
ist von Ritter, wie schon in ihrem Bericht, so gut wie nichts zu
erfahren. Vermutlich wirkte sie vornehmlich als Hausfrau und Buchillustratorin.
Nötig hatte sie Erwerbstätigkeit wahrscheinlich kaum,
denn ihr in etliche Sprachen übersetztes Buch erschien und
erscheint in zahlreichen Auflagen bis heute. Einschlägige Trekking-Webseiten
geben es durchgehend als das bekannte Muß aus. Ritters Gatte
Hermann, offenbar sowohl erfahrener Jäger wie patentierter
Schiffsoffizier, soll sich bei Kriegsbeginn widerstrebend dem NS-Regime
als Wetterbeobachter in Grönland zur Verfügung gestellt
haben. Nach Entdeckung durch eine für die USA tätige Schlittenpatrouille
und Loyalitätskonflikten (Jägerkameradschaft!) habe er
sich jedoch zu den Amis abgesetzt. Mehr erfährt man von ihm
nicht.
In diesem Zusammenhang muß Ritters Buch ein
weiteres schmerzliches Desiderat angekreidet werden. Die Strukturen
des Erwerbslebens eines Polarjägers erhellt sie so wenig wie
das zeitgeschichtliche/politische Umfeld, in dem sich die Drei,
wie randständig auch immer, doch ohne Zweifel zu orientieren
haben. Brummt Nois bei seinem Besuch, nein, Krieg sei noch nicht,
soweit er gehört habe, ist es schon wieder viel. Immerhin verliert
die Autorin einmal einige Sätze über die Beweggründe
eines Jägers, seinem Gewerbe ausgerechnet in menschenleerer
Eiswüste nach zu gehen – aber für mein Empfinden
stellen sie keine wirkliche Erklärung dar. Ritter versichert,
die Polarjäger seien bei ihrem „fast unmenschlich„
anstrengendem Gewerbe nicht auf Ruhm aus. „Sie leben weitab
vom Getriebe der Welt. Sie leben fast alle ohne Heim und Familie.
Eine unbändige Liebe fesselt sie an das Land. Sie leben berauscht
von dem Lebensatem dieser wilden Natur, aus der zu ihnen die Gottheit
spricht.„ Ja, mein Gott – und warum, bitteschön?
Warum lieben sie ausgerechnet diese unbarmherzige Öde, deren
Farb- und Formspiel Ritter allerdings beeindruckend zu beschreiben
versteht? Warum suchen sie nicht die Nähe, vielmehr die Ferne
ihrer Mitmenschen? Warum hat dann Hermann Ritter überhaupt
geheiratet? Und warum ließ sich Christiane Ritter ausgerechnet
von ihm heiraten? Warum wird es ihr im Zuge ihres Jahresaufenthaltes
immer wichtiger, sich „der gigantischen Unfruchtbarkeit„
Spitzbergens, ja mehr noch, sich „dem Grauen vor dem Nichts„
zu stellen– aus freien Stücken sogar, da sie ja niemand
zu diesem „verrückten„ Wagnis zwang?
Ich vergaß zu erwähnen, daß sich
Spitzbergen durch krasse Lichtverhältnisse auszeichnet, Stichwort
„Polarnacht„. Dort wird es einen Gutteil des Jahres
nie dunkel und einen anderen Gutteil des Jahres nie hell. Solche
Krassheit verstärkt das Grauen in der Einsamkeit sozusagen
naturgemäß ungemein. Ritter beschreibt diese physikalischen
Phänomene gewiß ausgezeichnet – aber einen psychologischen
(und damit auch biografischen) Zug billigt sie ihnen nicht wirklich
zu. Sie zieht sich auf esoterische Formeln wie „das Eigentliche„,
„die Gottheit„, „heilige Stille„ zurück.
In einer Phrase, mit der ich schließen will, verknüpft
sie ihre unpersönliche Betrachtungsweise auch noch erschreckend
einfältig mit der schon gerügten unpolitischen Sicht:
„Vielleicht werden Menschen späterer Jahrhunderte in
die Arktis gehen, so wie Menschen in biblischen Zeiten in die Wüste
zogen, um zur Wahrheit zurückzufinden.„
***
»WENIGSTENS EINE KLEINE ABSZISSE,
UM SICH EIN BISSCHEN AUFZURICHTEN«
Über die mehrschichtige Essenz der Literatur
Von Lev Detela
Sowohl die österreichische Literatur, als auch die Literaturen
der anderen Länder haben immer wieder die Diagnosen und manchmal
auch die Therapien für die Krisen, die uns bedrohen, hergestellt,
doch wer von Universalpolitikern und Experten für alle zuständigen
Fragen des Lebens und wer von den durchschnittlichen Lesern zieht
aus diesem Angebot und Potential wirklich Nutzen, wer kümmert
sich schon um die Tatsache, die der österreichische Schriftsteller
Hans Lebert in dem im Jahre 1960 erschienenen Roman „Die Wolfshaut„
als „ein Leben„ beschrieben hat, „welches sich
im Humus des Vergessens, unter dem weiterwachsenden Gras, beharrlich
entzieht – und nun..., weil man es so gut vergraben und vergessen
hat, hält es sich und stinkt mit jedem Tag ärger...„.
Diese Feststellung kann man als einen eindeutigen
Unkenruf gegen die Verdrängung der negativen Vergangenheit
in Österreich verstehen, doch sie könnte auch als Motto
gegen das Ignorieren der geschichtlichen Verfehlungen in Europa
und in der Welt im allgemeinen verstanden werden.
Auch heute, viele Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten
Weltkrieges, ist die Demokratie, durch verschiedene populistische
Tendenzen, „Berlusconisierungen„ und „Haiderisierungen„
verschiedenster Art, bedroht. Dabei verwundert es nicht, dass in
der ansetzenden wirtschaftlichen Krise viele verunsichert sind.
Manche haben nicht nur Geld und Arbeit, sondern auch viele schöne
Illusionen verloren. Nachdem die Missmutigen die Hilflosigkeit unseres
Tun und die Unfähigkeit der offiziellen Politik zu suggerieren
versuchen, schwindet manchmal die Kraft des Widerstandes gegen das
Vertuschen der Wahrhaftigkeit.
Man kann aber keine Weltkultur und kein gemeinsames
Europa aufbauen, wenn man das Wesentliche seiner Struktur, das Wechselspiel
der kleineren und größeren Kulturen negiert oder zerstört.
Man kann keine eigene Heimat für sich haben, indem man gegen
die anderen Heimatländer und andersartigen (z.B. anderssprachigen)
Landsleute kämpft. Nähe und Ferne der Welt, in der wir
leben, in der wir leben müssen, scheint in den Texten der kritischen
Autoren zeitweilig in größeren geschichtlichen, ökonomischen
und kulturellen Zusammenhängen zu erscheinen. Sie verbinden
mehrere Sprachräume und viele Generationen als eine gemeinsame,
die Schicksale der Nationen und Lebensläufe der Einzelnen verpflichtende
Aufgabe.
„Jedes Gewebe von Worten ist ein andersgearteter
Filter, durch den ein Destillat der Wirklichkeit zu gewinnen ist„,
schrieb 1973 die österreichische Autorin Hilde Spiel, die einen
Teil ihres Lebens in Großbritannien verbracht hatte. Auch
sie, lange Zeit als Emigrantin inmitten der fremden Sprachumgebung
lebend, gehörte zu der immer weniger seltenen Gattung der sogenannten
Auslands - Schriftstellerinnen und Schriftsteller.
Hilde Spiel, die in der Emigration als Londoner Zeitungskorrespondentin
arbeitete, kehrte 1963 endgültig in ihr Heimatland Österreich
zurück. Doch einige Autoren haben in der neuen Umgebung auch
eine neue Sprachheimat gefunden. Sie schrieben oder schreiben entweder
zweisprachig, in ihrer Muttersprache und in der Sprache des neuen
Landes, oder nur in der neuen Sprache, was vor allem jetzt in der
Zeit der großen Mobilität und Migrationen mit Annäherungen,
Grenzüberschreitungen, Berührungen und Loslösungen
ein Phänomen ist, das fortbesteht.
Im Jahre 1956 kam György Sebestyén aus
Ungarn nach Österreich, der die österreichische Literatur
„als Zeugnis einer aus verschiedenen Stämmen gewordenen...geistigen
Eigenständigkeit„ verstand und sie nicht nur als Schriftsteller,
sondern auch als Publizist und Redakteur mit kultivierten Essays
bereicherte.
Der Beitrag der sogenannten Ausländer in der
österreichischen Literatur ist nicht unbedeutend. Zum Beispiel
von Vintila Ivanceanu, der 1970 aus Bukarest nach Wien übersiedelte
und die deutschsprachige Öffentlichkeit mit Texten, durchwoben
mit surrealer Phantasie und ironischer Verspieltheit, überraschte.
Die österreichische Erfahrungsebene bereicherte
in diesem Zusammenhang auf überzeugende Art mit den Themen
seiner serbisch – pannonischen Jugenderinnerungen der 1923
in Budapest geborene, in Großbetschkerek (heute Zrenjanin
in Serbien) aufgewachsene Milo Dor. Vor allem seine großangelegte,
die engen nationalen oder lokalen Grenzen universell überspringende,
das Verbindende in der Welt der Völker und Nationen trotz aller
negativen Schicksalsschläge suchende Romantrilogie „Raikow
Saga„ ist von Bedeutung. Die drei Romane der „Saga„,
„Nichts als Erinnerung„, „Tote auf Urlaub„
und „Die weiße Stadt„, bestehen aus einer Reihe
einzelner Szenen und Episoden, die durch die Hauptfigur des Mladen
im Rahmen einer fein gesponnenen Familiengeschichte durch viele
Erlebnisebenen und geschichtlichen Migrationen miteinander verbunden
sind. Der Untergang einer Familie mit ihren gesellschaftlich –
politischen Koordinaten im alten Österreich, im „Nichts
als Erinnerung„ noch einmal vergegenwärtigt, ist eigentlich
ein Thema, das auch den großen Mann der kroatischen Literatur
des 20. Jahrhunderts, Miroslav Krle_a, immer wieder beschäftigt
hat.
„Tote auf Urlaub„ ist einem noch heute
gegenwärtigen Thema der Literaturen des ehemaligen Jugoslawien
und auch der deutschsprachigen Literatur gewidmet. Das Leben des
Haupthelden Mladen, dieses zweiten Ichs des Schriftstellers, inmitten
der Schrecknisse in der Zeit der deutschen Besetzung Jugoslawiens,
seine Erlebnisse zwischen Belgrad und Wien in der Zeit des Kriegsendes,
wachsen immer mehr zum nicht überwindbaren Symbol des Lebens,
das aus melancholischen Erinnerungen, Sehnsüchten und optimistischen
Hoffnungen geflochten ist. „Die weiße Stadt„ (Belgrad)
wird teilweise unter dem nüchternen analytischen Aspekt aus
der kritischen Distanz und teilweise liebenswürdig verinnerlicht
als persönliches Schicksal gesehen und erlebt.
Was am Beispiel der besonderen Lebenserfahrung von
Milo Dor am meisten anspricht, ist seine oft humorvoll dargebrachte
humanistische Aussage, ein Entgegenkommen dem Anderen oder dem Andersartigen,
das Bejahen der alten österreichischen Lebensart, zusätzlich
verbunden mit der Sehnsucht „nach dem alten Thrakien„,
was in der gleichnamigen Erzählung aus Dors Band „Meine
Reise nach Wien„ auf liebevoll versponnene und humoristisch
– selbstkritische Weise vorkommt: „Wo sind überhaupt
all die Völker geblieben, die sich zwischen dem Peloponnes
und dem Balkangebirge, zwischen der Adria und der Donau vor vielen
Jahrhunderten herumgetrieben haben? Was ist aus den Skyten, Paionern,
Odrysen und Sitalken geworden? ... Wenn ich, ein schlechter Serbe
und ein noch schlechterer Österreicher, ein ungläubiger
orthodoxer Christ und heimatloser Sozialist wenigstens eine kleine
Abszisse oder eine gewöhnliche Ordinate erwischen könnte,
um mich an ihnen ein bisschen aufzurichten, bevor die große
Kälte kommt.„
Österreich war stets multikulturell. Helmuth
A. Niederle betont in der von ihm herausgegebenen Anthologie „Die
Fremde in mir„ (Hermagoras Verlag, Klagenfurt 1999), in der
etwa hundert Autoren und Autorinnen veröffentlicht sind, die
in den Sprachen der österreichischen Minderheiten und in verschiedenen
fremden Sprachen der Zuwanderer schreiben oder im deutschen Sprachidiom
eine neue Möglichkeit der literarischen Aussage entdeckt haben,
dass Österreich „auch stets Einwanderungsland (war),
und die kulturelle Blüte dieses Landes um die Jahrhundertwende
(1900)... war und ist Ausdruck dieser Zuwanderung und der Multikulturalität„.
Die literarische Hinwendung zum neuen Kultur –
und Sprachraum ist für die Autorinnen und Autoren, die aus
den anderen Kulturkreisen oder aus dem langjährigen Exil kommen,
oft mit mannigfaltigen Problemen verbunden. Über die berichtet
unter vielen anderen immer wieder auch der österreichisch –
amerikanische Schriftsteller jüdischer Herkunft Herbert Kuhner
in seiner Prosa, Lyrik und in seinen geistreichen satyrischen Epigrammen.
Doch wir gewinnen, indem wir gleichzeitig verlieren. Der kreative
Schriftsteller, das steht fest, hat oft schwerer als der praktische
und konkrete, der kritische leichter als der verinnerlichte Poet.
Jean Améry, der Triestiner Slowene Boris Pahor, Erich Fried,
Jakov Lind, Witold Gombrowicz, der polnisch – amerikanische
Literaturnobelpreisträger Czeslaw Milosz sind einige Beispiele
für die mannigfaltigen literarischen Verneinungen und Verweigerungen
unter den extremen Bedingungen der Ausstoßung in eine unterhöhlte,
das Andersartige ablehnende Welt. Sie, die durch die Krisen des
Zweiten Weltkrieges gegangen sind, sind möglicherweise gerade
dadurch eigenwillige Autoren von großer Bedeutung und Aktualität
geworden. Elias Canetti mit den prägnant – scharfsinnigen
Texten mit dem ironischen Unterton, der große Humanist Manès
Sperber, der seine Romane im Deutsch und die vielen späteren
Essays in französischer Sprache verfasst hat, Joseph Breitenbach,
der die Mehrzahl seiner zeitkritischen Werke zweimal geschrieben
hat, deutsch und französisch, die Ungarn Tibor Déry
oder Julius Hay, überschritten die Grenzen der nationalen Sprachen
und lokalen Bewusstseinswelten.
Aber auch die mentalen zweisprachigen Missverständnisse
an den Grenzen in Kärnten sind oft Symptome der charakteristischen
Schwierigkeiten und Ereignisse. Die literarischen Überlieferungen
der Kärntner Slowenen(z. B. Florjan Lipu_) und der deutschschreibenden
Autoren (z.B. Peter Handke) können manche nicht synchronisieren,
obwohl durch die Sicht des Anderen eine neue Dimension, Interpretation
und Bereicherung der eigenen Denkweise ermöglicht wird.
Wenn wir über die nationalen Literaturen und
die europäische Kultur sprechen, dürfen wir nämlich
nicht vergessen, dass nationale und regionale Traditionen in Wirklichkeit
die Essenz einer Kultur bilden, deren exemplarische Einheit aus
Verschiedenartigkeit der einzelnen Teile und aus dem gemeinsamen
Streben all dieser Teile zu einer universelleren Zielsetzung besteht.
Die engstirnigen Kämpfer gegen die anderen Sprachen und Kulturen,
durch die sich angeblich bedroht fühlen, vernichten gerade
das, was am wertvollsten und am europäischsten im neuen Europa
sein musste: Sie vernichten durch ihren Radikalismus das Mehrschichtige
und das Widersprüchliche, sie zerstören das multikulturelle
Netz, entstanden aus geschichtlichen Tendenzen und Zusammenhängen,
die für unsere Gebiete so charakteristisch sind.
***
Bei der Bootsstation
Von Moritz Fichtner
Als er achtzehn war, schrieb Martin Tagebuch. Joana, Joana, Joana,
schrieb er. Woche für Woche schrieb er nichts Anderes, Nachmittag
für Nachmittag, bis er das Tagebuch in der Schublade aus splittrigem
Holz verschloss.
Dann, gewöhnlich, stahl er sich fort aus der
kahlen Vorstadtstraße, in der die enge Mietwohnung seiner
Eltern zwischen Hauswänden hinter geduckten Fenstern lag, wanderte
über die hellen Wallanlagen der Stadt zur Bootsstation hinaus,
die Joana zum Treffpunkt bestimmt hatte. Hier, am Bootshaus, unter
einer Ansammlung von Birken, die im Wind nickten, stand sie dann,
sie selbst, sie, die hinter den flatternden weißen Stores
in einer der großen am Fluss gelegenen Stuckvillen wohnte,
„so ganz andersartig, so königlich„, wie Martin
notiert hatte, dass er gleich am ersten Tag ihrer Bekanntschaft
herausgeplatzt war mit den Worten:
„Du hast was an dir, weiß Gott –
so, als wärst du zu nichts zu gebrauchen, haha, nicht mal zum
Küssen.„
Da hatte aber Joana nur ein paar hüpfende Tanzschritte
gemacht und laut gelacht und nichts erwidert, und wenn Martin heute,
schon Monate später, zu ihr kam, wenn er Joana nach seiner
langen Wanderung in die Arme nahm, so gab es da keine Probleme mehr,
oh nein, wenn sie bei guter Stimmung war, so ließ sie die
bloßen Füße im Fluss baumeln und schenkte Martin
ihr Lächeln, das er küssen durfte, so oft er nur mochte.
Oh ja, ich darf sie küssen, das hatte er ebenfalls
notiert, mehrmals, ehe dann ihr Name folgte, manchmal verschnörkelt,
manchmal hastig hingekritzelt, und das Ganze war so einige Wochen
lang fortgegangen – als Joana eines Tages, da die Beine wieder
im Wasser baumeln, unversehens sagt:
„Na, bei allem, was gewesen ist, aber wir sollten
uns hier eigentlich nicht mehr treffen, weißt du.„
„Nicht mehr hier? Aber es ist ja unser Punkt,
unser Treffpunkt…„
„Nein, weißt du„, Joana lächelt
und küsst ihn in diesem Augenblick, „einer meiner besten
Party-Freunde hat gerade jetzt hier am Fluss ein Apartment gemietet,
was soll er denken, wenn er uns sieht?„
Martin schweigt darauf, fasst nur Joanas Hand und
blickt mit zusammengekniffenen Augen auf ihre Sonnenbrille, als
könne er durch die dunklen Gläser hindurch ihre Augen
erspähen.
„Ich werde sterben„, sagte er, als sie
sich an diesem Abend trennten, „ich werde wirklich sterben,
wenn du nicht mehr kommst.„
Ein paar Nachmittage später hat Joana beschlossen,
ein Paddelboot zu nehmen, damit sie mehr Unterhaltung hätten,
und als sie an den grünen, von blühendem Löwenzahn
übersäten Ufern des Flusses dahingleiten, klatscht sie
dreimal in die Hände und ruft:
„Im Ganzen ein einziges Mal noch außer
heute will ich hier mit dir auf Paddeltour gehen, dann müssen
wir uns endgültig anderswo treffen, klar?„
Wieder antwortet Martin darauf nicht, sieht Joana
nur an und scheint nachzudenken.
„Ich sollte dir vielleicht etwas schenken„,
sagt er nach einer Weile, „etwas Besonderes … einen
Ring …„
„Na, etwas schenken? Und einen Ring?„
„Ja, aber keinen gewöhnlichen Ring„,
sagt Martin.
Und er kommt damit heraus, dass dieser Ring, der ihm
im Kopf herumgeht, eigentlich etwas Geheimnisvolles ist, ja, dass
er, Martin selbst, von nun an einen gleichen Ring tragen will, genau
den gleichen Ring …
Da lacht Joana laut auf.
„Ach Gott, du willst dich mit mir verloben?
Und gerade jetzt?„
Nun sitzt Martin nicht mehr so fest in dem gemeinsamen
Paddelboot wie vorher. Abwechselnd blickt er ins blinkende Wasser
hinab und zum blauen Himmel hinauf, und beim nächsten Treffen,
als sie wieder im Boot sitzen, dringt er unentwegt auf Joana ein,
indem er von dem Party-Freund redet, der am Flussufer wohnt: Wozu
braucht ihn denn Joana, wie? Und ist er nicht, wenn er nur zu Party-Zwecken
taugt, am Ende nichts Anderes als ein Lackaffe? – Joana aber,
während er spricht und spricht, schaut immer entschlossener
von ihm fort. Unmerklich hat sie dabei das Boot, dessen Steuerung
er aufgegeben hat, an ein Wiesenufer gelenkt, wo sie es, da Martin
immer noch redet, plötzlich mit der Spitze fest auf eine Sandbank
laufen lässt.
„Schön schön„, sagt sie, indem
sie energisch das senkrecht gehaltene Paddel in den Ufergrund der
Flussseite stemmt, „sehr schön, aber nun ist die Fahrt
zu Ende, mein Lieber, und einer von uns sollte jetzt aufgeben, nicht
wahr?„
Wirklich steigt Martin sofort aus, leicht schwankend,
aber ganz ruhig, wie es scheint, und setzt sich am erhöhten
Ufer auf den Erdboden. Er sagt kein Wort, als er dort sitzt, er
nickt nur mit wehendem Schopf vor sich hin, als sei er mit allem
einverstanden, doch als Joana gleich darauf ebenfalls nickt, als
sie das Paddel hebt und vom Ufer abstößt, schüttelt
ihn etwas, schüttelt ihn unversehens wie ein Krampf in allen
Gliedern. „Warte!„ ruft er. „So warte doch, da
ist noch etwas, ich habe noch etwas …„ Und er wirft
hastig die Jacke ab, springt ins Wasser und schwimmt in heftigen
Zügen zu dem Boot, in dem Joana davonzugleiten beginnt. Hier
hält er sich mit der Linken an Joanas Paddel fest und reicht
ihr mit der Rechten, die mitsamt dem Arm seltsam steif wie ein unbeholfener
Ast aus dem Wasser ragt, etwas zum Bootsrand hinauf.
„Nimm ihn!„ ruft er. „Nimm den Ring
zum Abschied!„
Und Joana lächelte, als sie den Ring nahm, lächelte
leicht und hatte feuchte Augen, ehe sie mit dem Boot davonfuhr.
Oh ja, oh ja, es ist ja noch immer Hoffnung, schrieb
Martin in dieser Nacht in sein Tagebuch: denn sie hat gelächelt,
Joana hat gelächelt, wie könnte es da anders sein?
Schon sehr früh am anderen Morgen, sich vorsichtig
heranpirschend, erscheint er wieder am wasserumspülten Bootssteg,
und kaum ist er am Platz und hat sich umgeblickt, da taucht auch
Joana auf, halb geduckt hinter einigen Büschen zunächst,
bevor sie sich aufrichtet und auf den Bootssteg zuschlendert. Martin
beob-achtet sie, als sie näher kommt. Er kann sehen, dass sie
am Ringfinger der linken Hand, die sie über ihrem weiten Rock
leicht angehoben hat, den funkelnden Silberring trägt.
Beide schweigen bei der Begrüßung, doch
als sie wieder auf dem Fluss sind und hintereinander im Paddelboot
sitzen, räuspert sich Joana geheimnisvoll, wobei sie feierlich
das Paddel niederlegt, greift dann in die Tasche ihres Rockes und
hält plötzlich, indem sie sich heftig umwendet, lächelnd
einen breiten Ring – ähnlich dem, den sie am Finger trägt
– dicht vor Martin hin.
„Für dich, mein Lieber, das ist für
dich, weil du es so tapfer fertigbringst, mich trotz allem jeden
Tag zu lieben.„
Martin fährt bei diesen Worten zusammen. Er starrt
auf den Ring, der in Joanas Hand liegt, dann lange schweigend auf
Joanas Lächeln. Endlich, noch immer ohne Ausdruck im Gesicht,
ergreift er den Ring, wiegt ihn in der Hand, schließt die
Faust um ihn, wirft ihn hoch und schließt wieder die Faust
um ihn.
„Oh, eine Gabe. Eine wunderbare Gabe, nicht
wahr? Und die … hätte ich mir verdient?„
Dann, indem er zu lächeln beginnt, wie vorher
Joana gelächelt hat, streckt er langsam die Faust mit dem Ring
über den Bootsrand hinaus, blickt Joana fest an und öffnet
die Faust …
Gleich darauf, da es unten im Wasser ein kleines glucksendes
Geräusch gegeben hat, stammelt Joana etwas Unverständliches,
wobei sie die Hände emporhebt. Die Hände hüpfen ein
wenig, sie verkrampfen sich und nesteln aneinander, bis, als sei´s
herausgepresst, etwas aus ihnen hervorspringt, ein silberner Funke,
der wie ein kleines Feuerwerk durch die Sonnenstrahlen an überhängenden
Weidenzweigen vorbei himmelwärts fliegt, dann niedergeht, ins
Wasser taucht und in kleinen kreisförmigen Wellen verschwindet.
„So!„ sagt Joana. „So. So. So.„
„Jawohl„, sagt Martin.
Darauf will Joana heimgefahren werden, „schnellstmöglich
heim zu ihrem Freund bei der Bootsstation.„ Martin lacht,
nachdem sie diesen Wunsch geäußert hat, lacht laut und
speit lachend in weitem Bogen aus, bevor er das Boot ganz in der
Nähe an einer flachen grasbewachsenen Stelle anlegt. Dann sieht
er Joana, die ausgestiegen ist, am Ufer davongehen: weit ausholende
Schritte im hohen Gras, während der Rock beim Gehen hin- und
herschwingt und ihre Schultern leicht auf- und abzucken.
„He, he!„ ruft er. „Weinst du denn?
Soll das heißen, dass du weinst?„
Dann lauscht er, ob Antwort kommt, lauscht lange und
angespannt, den Kopf schräg gehalten, aber nichts, vom Ufer,
das mit seinem hohen Gras und den ferner liegenden schaukelnden
Büschen wie verzaubert daliegt, ist kein Ton zu hören.
***
Über den »Selbstmord«
Von Manfred Dechert
Dem Menschen, vor allem der gequälten Seele, die unter schweren
Depressionen, Melancholie und Traurigkeit leidet, bleibt bei allem
Leid ein Rettungsanker: der Suizid, die Möglichkeit, der inneren
und äußeren Qual ein Ende zu bereiten. Es ist auch kein
„Selbst-Mord„, oft genug sind die Gründe in der
Lieblosigkeit der.Umwelt zu finden, und es ist ja keine „Heimtücke„,
die einen verzweifelten Menschen zu diesem letzten Ausweg greifen
lässt. Der leidende Mensch, je nach sozialer Lage, hat letzlich
nur diese einzige Option: Ein kleines Einkommen, das Urlaubsreisen
nicht zulässt, ein eingeschränktes Leben, das Teilnahme
an gesellschaftlichen Anlässen – Konzerte, Theater, Essen-Gehen
– nur beschränkt zulässt. Ein Leben in Traurigkeit,
abhängig von Psychopharmaka, in Einsamkeit, sozial am Rande,
von vielen gemieden, denn der depressive Mensch, der Hoffnungslosigkeit
oft ausstrahlt, findet nicht leicht Verständnis. Der leidende
Mensch, der in Beziehungen oft auch das Scheitern dieser Bindungen
erlebt, wird spüren, daß ihm auch Zweisamkeit, eine Beziehung
oft nur begrenzt Halt und Hoffnung gibt. Immer wird ihn die Einsamkeit,
die Beziehungslosigkeit, die seit Kindheitstagen in ihm wohnt, einholen.
Auch in Therapien wird er keine Hilfe finden, je länger ein
Mensch – erfolglos – gegen seine lebenslange Ängste
und Trauer gekämpft hat, desto schwerer wird eine Behandlung
mit ihm eingeschätzt. Ein Therapeut wird in der Regel diesen
Menschen als „schwer heilbar„ an eine Klinik Verweisen,
die wird ihn wieder zurückschicken – keiner ist zuständig.
Köperliche Krankheiten können das Leid noch
verstärken – was für ein Lebens-Sinn gibt es noch,
wenn ein depressiver, in einer Lebenskrise steckender Mensch auch
noch blind wird, an Krebs oder Aids erkrankt, seine Lebensqualität
immer mehr schwindet, was bleibt dann noch an Hoffnung?
Wenn dieser Mensch, von Kindheit auf mit schweren
Ängsten und mangelndem Vertrauen beladen, erleben muß,
daß keine Therapie mehr greift, weil die seelischen Verletzungen
zu schwer wiegen, nicht mehr durch Worte heilbar sind, nach dem
letzten Ausweg greift, sollte man ihn nicht verurteilen. Niemand
hilft ihm, sein Leid, das Gewicht seiner alten Ängste, Trauer
und Verletzungen, zu tragen. Auch ein Kirchgang wird keine Entlastung
bringen – was nützt es, einem Pfarrer zuzuhören,
der den Menschen, vor allem dem belasteten Menschen, etwas von einem
Gott erzählt, der im realen Leben meist nicht spürbar
ist.
Was nützt ein Kirchgang, wenn am nächsten
Tag, schon am gleichen Abend Einsamkeit, Kränkung, auf der
Arbeit Demütigung und Herabsetzung wartet? Was nützen
fromme Worte in Phasen seelischer Not, tiefer Kränkung, angestauter
Wut, häufig erlebter Ohnmacht? Am Ende bleibt das Schweigen,
die Dunkelheit, Einsamkeit, soziale Not, ein Mensch am sozialen
Rand, arbeitslos, ob Hartz-Vier, Klein-Rentner oder mit geringem
Einkommen, dieser Mensch wird wahrscheinlich lebenslang arm, und
ohne Chance sein, am gesellschaftlichen Wohlstand teilzuhaben.
Ein Suizid, jedoch, der nicht gelingt, wird dem Betroffenen
in die Mühle der Psychatrie, oder auch der Krankenhäuser
bringen: Suizid-Patienten stehen in der Hierarchie der Krankenhäuser
oft ganz unten, Pfleger bzw. Krankenschwester lassen ihren Unmut
und ihre Wut an diesen verzweifelten aus – leider zu oft!
Also bleibt nur die Hoffnung, daß ein Suizid gelingt, so daß
kein ärztlicher Quäler oder sadistische Krankenschwester
ihren Ärger am Patienten auslässt.
Das Nichts, der Gedanke, ewig zu ruhen, ist die einzige
Hoffnung, die die verzweifelte Seele in dieser Welt hat. Der Gott
der Bibel hat sich schon lange verabschiedet, es handelt sich um
ein Geschichtsbuch, der gekreuzigte, lang aus der Welt gegangene
Jesus, ein abwesender Gott, die schon lange das Weltgeschehen sich
selber überlassen, sie können keine Hoffnung für
einen verzweifelten Menschen sein.
Wie die Stasi pälzisch glernt hot
Weesche wie des kumm is, daß sich die „Stasi„
– so hot friher in de DDR die „Staatssicherheit gheeß„,
sich met pälzische Gedichte beschäfticht hot? Ich han
em Inge, mei Kusine in Sonneberg, hinnerm „eiserne Zaun„
als mo geschreb, unn aa mol ee Gedicht gschickt.. „Marie kumm„
hot des gheeß, unn, do gings do drum, wie sich zwee alte Leit
uffs Schterwe vorbereite. „Es Tor steht schun uff, mer missen
nei„ -. do han die gmeent, des is e Codewort. „Was fer
Tor schteht dann do uff, han se gmeent, an de Grenz, also „lese
mer weiter„. „Heiland mach Dei Himmel uff„ –
„is des de Klassefeind, wo metme Hubschrauber kummt, unn määnt,
er vedient e Heilicheschei, fer sei edles Werk?„ So han sich
die Stasi-Leit wohl gdenkt, unn weiter glees. „Weesch Alder,
zu viele kumm ich viel zu frih – doch, wann mei Chef mich
schickt, no muß ich geh„ – so han ich mer, uff
pälzisch, de Tod vorgstellt. Doch die Stasi määnt:„De
Chef, des is de BND oder e Fluchthelferorganisation, der muß
die Leit aus de Oschtzon raushause, egal was kummt.
So hot die Stasi, schun in de achtzicher Johr, sich
met de pälzische Sproch rumgequält. Unn, des han ich bloß
erfahr, als es Inge in sei Stasi-Akte geguckt hot , unn ganz vewunnert
war, daß sich die Stasi so fer des Gdedicht „Marie kumm„
interessiert hot. Immerhi hots rer net gschadt, die Stasi hot wohl
kää Luscht ghatt, sich an dem Gedicht weiter die Zäh
aussebeiße, unn hans uff sich beruhe gloß.
Hätt ich awwer gwißt, daß die Stasi
sich sovel Zeit fer Pälzer Gedichte nemmt, hätt ich em
Inge als mo mi devun gschickt. Meensche net, die hätte vielleicht
sovel Spaß do dro gfunn, so daß ich hätt als mol
mei Gedichte bei de Stasi vorlese kenne, e Lesereise dorch die DDR,
unn e Händedruck vum Mielke, dem damaliche Stasi-Chef!
Hier ist Ihr Poetry-Slam-Navigator, fahren Sie mit
Ihren Manuskripten los, finden Sie sich rechtzeitig am Veranstaltungsort
ein. Überprüfung des Publikums und der auftretenden Dichter
aufnehmen, Publikumstauglichkeit Ihrer Texte mit den Zielgruppen
abgleichen. Studentisches Publikum erfasst, depressive Gedichte
wegstecken, Comedymaterial bereit machen, alle fünf Sätze
ein Lachen erzeugen.. Jetzt aufschauen, ersten Slammer wahr- nehmen,
Texte und Lacher analysieren, Gesichtsmuskulatur lockern, Publikumsreaktion
beachten, zum Slam-Master aufschauen, Zeitkontigent prüfen,
jetzt bereit machen, wieder umdrehen, Comedymaterial beiseite nehmen,
auf Tragik achten, zweiter Slammer setzt erfolglos Witze ein, Liebestexte
und Sterbeszenen einüben, tragisch einschwingen, jetzt zum
Auftritt bereit hinter die Bühne gehen.
Sie haben jetzt Ihr Ziel erreicht, Sie sind jetzt
auf der Bühne, vor Mikrofon stellen, und ausagieren. –
„Aber warum weint hier niemand, warum keine Betroffenheit,
lieber Navigator„, -
Entschuldigung, versehentliche falsche soziologische
Sensibilisierung des Navigators, Sie haben zwei Jahre Garantieanspruch
auf Ihren Poetry-Slam-Navigator, Tut mir leid, tut mir leid„.
Der Überfall – Sketch
Ärztin tritt ein, wird von Mann an der Wohnungstür
begrüßt – „Guten Tag, Frau Dokter, schön,
daß Sie gekommen sind. Wir gehen mal zu meiner Freundin, der
geht es ganz schlecht, schauen Sie…„
Die Ärztin geht in ein „Schlafzimmer„
(wird angedeutet) – der Gastgeber schließt schnell die
Tür, und schiebt einen Schrank davor – Schiller: „So,
jetzt schnell den Schrank davor, die kommt so schnell nicht wieder
raus„.
Ärztin schreit aus dem Zimmer:„Herr Schiller,
hier ist keine kranke Patientin, lassen Sie mich sofort wieder raus„
Schiller: „Sie bleiben jetzt erstmal drin. Haben
Sie schon mal überlegt, wie viele Stunden ich bei Ihnen im
Wartezimmer, trotz Termin, mit sinnlosem Warten verbracht habe?„
Ärztin: „Herr Schiller, das hat rechtliche
Konsequenzen, ich zeige Sie an wegen Freiheitsberaubung und Nötigung
– kommen Sie mir bloß nicht zu nahe. Herr Schiller,
öffnen Sie die Tür„ (schreit hysterisch)
Schiller: „Jetzt beruhigen Sie sich mal, Frau
Dokter, ich habe hier mal aufgeschrieben, wie viele Stunden ich
bei Ihnen sinnlos verwartet habe …„ (wird unterbrochen,
die Ärztin schreit, „Aufmachen, aufmachen, ich hol die
Polizei„.
Schiller: „Sie haben im Schlafzimmer ein kleines
Sichtfenster, da können Sie zu mir reinschauen„ (die
Ärztin schaut durch ein Pappefenster) „So, jetzt haben
Sie den Kinoblick, Sie haben bessere Unterhaltung bei mir, wie ich
bei Ihnen. So, jetzt meine Buchführung – 5.1. Zwei Stunden
gewartet, 7.1. drei Stunden, 14.1. dreieinhalb Stunden, 15.1. zweieinhalb
Stunden…„
Ärztin: „Warum kommen Sie auch so oft –
Sie nerven mich, Sie Hypochonder, ich habe wichtigere Patienten
wie Sie. Sie mit Ihren eingebildeten Krankheiten…„
Schiller: „Natürlich haben Sie Wichtigeres.
Ich höre ja immer, wer vorgezogen wird, in der Sprechstunde.
Die Arzneimittelvertreter mit Ihren Aktenkoffern natürlich,
dann der Vorsitzende vom Tennisverein, Frau Hohlmann aus der Nachbarschaft,
die ist ja Privat versichert, die hatten alle sicher keinen Termin„
Ärztin: „Das hat Folgen für Sie, Herr
Schiller, ich bringe Sie vors Gericht„.
Schiller: „Bis dahin werden wir noch etwas Kurzweil
haben. Keine Sorge, ich bin kein Gewalt-Täter, ich habe nur
einen bescheidenen Wunsch: Ich möchte für eine Stunde
Ihr Held sein, der Sie vor der Welt beschützt„.
Ärztin: „Sie mein Held? Sie sind krank,
Mann, total krank. Ein Hypochonder wie Sie als Held„ (lacht
schnippisch).
Schiller: „Kennen Sie Kino, Actionfilme, Mad
Max? Die Geschichte von den Rockern, und von dem Streifenpolizisten,
der die alle nach und nach zur Strecke bringt?„
Ärztin: „Ja, in meinen jungen Jahren habe
ich den mal gesehen. Meinen Sie denn, daß Sie mit Mel Gibson
mithalten können? Der ist ja außerdem viel durchtrainierter
wie Sie„.
Schiller: „Sehen Sie, jetzt mache ich mal Ihr
Programm, und Sie hören zu. Kennen Sie noch die Szene mit dem
Nightrider?„
Ärztin: „Der Irre, der mit dem Polizeiwagen
abhaut, aus der Untersuchungshaft, zusammen mit seiner hysterischen
Freundin?„
Schiller: „Jaaa, genau. Ich bin der Nightrider,
Ihr Bullenhunde, ich bin der Nightrider, schickt mir nur die Besten,
die allerbesten„.
Ärztin: „Gut, machen Sie den. Aber, wo
ist Ihr Auto?„
Schiller: „Das ist hierdrin (zeigt auf seine
Stirn) das ist hier oben, meine Gedankenmaschine. Das fährt
mit Ihnen hin, wo Sie wollen„.
Ärztin: „Wo ich will? Wirklich? Dahin,
wo ich will?„
Schiller: „Nur zu. Ich bin bereit, Puppe„
(lacht grell).
Ärztin: „Dann fahr mal zur Krankenkasse,
und zum Gesundheitsministerium, und mach mal alles platt, die machen
mich nämlich kaputt, als niedergelassener Arzt, kürzen
meine Honorare, wie soll ich da überleben?„
Schiller (geht in Pose): „Ihr Typen von der
Krankenkasse, Ihr habt es der Frau Dokter lange genug schwer gemacht,
ich blase Euch alle um, mit meiner Panzerfaust, mit meinem Panzerwagen
fahre ich Eure Büros platt, wie gefällt Euch das, he?„
Ärztin: „So gefallen Sie mir, Herr Schiller.
Aber, Ihre Allmachtsphantasien in Ehren, jetzt schließen Sie
Ihrer Ärztin mal auf, da warten nämlich noch mehr Patienten
draußen. Bitte„.
Schiller: „Ich muß erstmal den Schlüssel
finden, wo habe ich denn den hin…„ (sucht in Hosentasche,
auf dem Boden) – die Ärztin telefoniert mit Ihrem Handy:„Alleestraße
Zehn, Dr. Hartmann, ich bin als Geisel genommen, bitte kommen Sie,
schnell…„
Schiller: „Ich finde den verdammten Schlüssel
nicht„ –
Ärztin: „Dann such mal weiter, ich würde
das Du vorschlagen. – Weißt Du was, irgendwie bin ich
das langweilig-aufregende Leben in der Praxis leid – da sitzen
sie im Wartezimmer, Frau Dokter, das tut weh, Frau Dokter, Schreiben
Sie mich krank, ich kann nicht mehr, Frau Dokter, mein Kind hustet
stark, kommen Sie, Frau Dokter, meine Haut brennt, Frau Dokter,
mein Mann trinkt, Frau Dokter…„
Schiller, hält sich die Ohren zu – „Aufhören,
das ist ja unerträglich. Macht Dir Dein Job keinen Spaß
mehr?„
Ärztin: „Wenn ich Abends den Kittel ausziehe,
der letzte Patient gegangen ist, ich endlich Zuhause bin, dann ruft
schon wieder einer an, ein Notfall, oder mitten in der Nacht, oder
ich träume, einer von der Kasse will wieder mein Honorar beschneiden…„
Schiller: „Du Arme, diese Irren, diese Blutsauger
– ah (ruft erstaunt) – mein Schlüssel. Ich schließ
Dir auf – aber, willst Du mich wirklich schon verlassen? Wir
unterhalten uns hier doch so lustig…„ – schließt
auf –
Ärztin: „Jetzt ist Schluß mit lustig,
Schiller, das Sondereinsatzkommando ist auf dem Weg.„
Schiller: „Sondereinsatzkommando – wie
denn das?„
Ärztin: „Ich brauche einen finalen Abgang,
Schiller (betont cool wirkend), ich will mein stressiges Ärzteleben
beenden, und Du darfst als Geiselnehmer in die Filmgeschichte eingehen
– ich habe die Bullen angerufen„.
Schiller, wimmert: „Du bist wahnsinnig! Ich
will doch nicht sterben„.
Schiller fällt auf die Knie, die Ärztin
streichelt ihm über den Kopf -
Ärztin: „Immer noch besser mit mir hier
zusammen erschossen zu werden, denn ich habe zwei Schreckschußpistolen
dabei, die sehen täuschend echt aus, wir werden zusammen aus
dem Fenster knallen, wenn die stürmen, immer noch besser hier
im Showdown enden, als mit Herzinfarkt drei Monate nach der Pensionierung.
Weißt Du, wieviel Ärzte sich umbringen?„
Schiller, jammert: „Ich glaubs Dir ja, nun gut,
ich wollte auch schon immer mal einen großen Abgang haben.
Welche Zukunft habe ich denn noch, jeden Tag in Deinem Wartezimmer,
dreimal im Jahr dann in der Psychatrie – nein, danke. Ich
will sterben wie ein Mann, geb mir die Schreckschußknarre
her!„ (wird laut)
Ärztin: „Das ist ein Wort, Partner, jetzt
gehen wir mit gezogenen Waffen zur Tür….„
Man hört eine Durchsage, mit dem Megaphon:„Achtung,
Achtung, hier spricht die Polizei, Herr Schiller, Sie haben eine
Geisel in Ihrer Gewalt, lassen Sie sie unverzüglich frei. Sie
haben keine Chance, Ihr Haus ist umstellt, geben Sie auf„.
Schiller: „Das ist wie in Pro-Sieben, Mann,
das ist die Stelle, die so herrlich kraß wird, daß sie
rausgeschnitten wird, doch wir, wir sind mittendrin, im Actionkino„.
Ärztin: „Der Film muß jetzt zu Ende
gebracht werden, Schiller, wir gehen jetzt mit unseren Spielzeugpistolen
raus, und lassen uns zusammen erschießen, wie Bonnie und Clyde,
das ist nämlich mein Lieblingsfilm. Ich habe nämlich genug
von der Bettelei bei den Krankenkassen, den ganzen Tag mich mit
Pseudo-Kranken und Nervensägen rumzuschlagen, ich habe genug„.
Schiller: „Was sein muß, muß sein,
Hartmann, heizen wir denen da draußen ein„. Sie gehen,
mit erhobenen Waffen auf die Eingangstür zu…
***
Die letzte Parade der Sieger im Krieg der GescHlechter – Eine
Realsatire
Von Peter Schütt
Seit fast einem Vierteljahrhundert bin ich ein treues Mitglied meiner
Moscheegemeinde, aber in all denen Jahren habe ich es noch nicht
ein einziges Mal erlebt, dass ich vor verschlossenen Türen
stand. Aber jetzt war es passiert. Am Zaun vor dem Islamischen Zentrum
an der Alster stand wie vor einer Diskothek auf der Reeperbahn eine
ganze Riege vierschrötiger Bodyguards und verwehrte mir den
Zutritt zu meinem Gotteshaus. Ich war nicht bereit, kehrtzumachen,
ohne mein Mittagsgebet zu verrichten. Ich ließ mich auf keine
Diskussionen ein und bat darum, den Imam zu sprechen. Der erschien
schließlich missgestimmt am Zaun und gab den Wächtern
ein Zeichen, mich samt Fahrrad hereinzulassen. Die willkommeneren,
offenbar avisierten Gäste fuhren in Nobelkarossen vor.
Schon auf der Straße wehten mir angenehme Düfte
entgegen und wollten so gar nicht zu der maskulinen Machtdemonstration
am Moscheetor passen. Es duftete nach Rosenwasser, als würde
das Fest des Fastenbrechens gefeiert. Selbst die Waschräume
waren parfümiert, aber spätestens bei meiner Gebetswaschung
merkte ich: es war nicht der Duft der Heiligkeit, der meine Sinne
kitzelte, es war eher der herbe Duft der Eitelkeit, der alle Räume
der Moschee durchdrang. Ich befand mich in der Gesellschaft von
gewichtigen Herrschaften, die sich der Bedeutung ihres Amtes und
ihrer Person sicher waren und um ihre Sicherheit sehr besorgt schienen.
Sie wären sicherlich lieber unter sich und unter ihresgleichen
geblieben. So weit ich in der dicht gedrängten Menge sehen
konnte:
ich erkannte nur Mannsvolk unter sich. So viel geballte
Männermacht gibt es heute nur noch unter Soldaten und bei der
Geistlichkeit bestimmter Konfessionen, als hätten die Herren
den Himmel für sich gepachtet.
Sicher, ich bin auch ein Mann, aber für diese
Herrschaften war ich anscheinend nicht Manns genug. Ich fasste mir
unwillkürlich an den Kopf und stellte fest, dass mir ein wichtiges
Symbol männlicher Dominanz fehlte: ein Turban. Ich kam mir
klein vor, weil die Herren ringsum allesamt einen stattlichen Turban
trugen, der sie um eine ganze Kopflänge potenter machte, als
sie von Natur aus waren. Ich war zwar nicht eingeladen, aber als
langjährigem Gemeindemitglied konnte man mir den Zutritt nicht
verwehren. Obwohl ohne standesgemäße Kopfbedeckung, ohne
langen Bart und ohne bodenlanges Gewand, wurde ich in den Vortragssaal
geleitet, in die hinterste Ecke in der letzten Reihe. Vor mir saß
die gesammelte Weisheit von 220 zwölferschiitischen Gelehrten
aus ganz Europa. Unter Anleitung von einem ganzen Dutzend Ajatollahs
und anderen Hochwürdenträgern aus dem Iran sollten sie
über die neusten Richtungsänderungen entlang der Linie
des Imams informiert und instruiert werden.
Ich kam mir vor, als säße ich am Rande
eines Kardinalskollegiums, aber im Unterschied zu den katholischen
Kirchenfürsten waren ihre schiitischen Amtsbrüder nicht
in leuchtende und bunte Mäntel gekleidet. Es gab, als wäre
ich zurückversetzt in die Zeit der Schwarzweißfilme,
nur zwei Farben: schwarz oder weiß. Die geistlichen Herren
der Selbstherrlichkeit trugen entweder weiße oder, wenn sie
zum Stamm der Seyed, der Nachfahren des Propheten – Friede
sei mit ihm - , gehörten, schwarze Turbane. In ihrer Struktur
glichen die Turban, von hinten betrachtet, kunstvoll ineinander
verflochtenen Haarzöpfen, so als wollten sie die Gehirnwindungen
der darunter befindlichen klugen Köpfe abbilden. Mit den Farben
der Bärte verhielt es sich ähnlich. Bei den jüngeren
Gelehrten waren die Kennzeichen männlicher Würde und Weisheit
schwarz, bei den altehrwürdigen weisen Männern waren sie
in der Regel schlohweiß. Graue Zwischentöne suchte ich
vergebens. Entweder schwarz oder weiß waren auch die Mäntel
der Imame. Die meisten von ihnen trugen schwarze bodenlange wallende
Gewänder, aber ausgerechnet die Herrschaften mit schwarzer
Kopfbedeckung traten als weiße Väter in Erscheinung.
Bedrängt und beengt von so viel geballter männlicher
Dominanz, hielt ich Ausschau wenigstens nach einer Spur weiblicher
Präsenz. Nach langen Suchen entdeckte ich am anderen Ende der
letzten Reihe meine Imamin Halima Krausen, die Mutter Courage unserer
deutschsprachigen Gemeinde, und neben ihr gehörig verschleiert
unsere beiden Bibliothekarinnen. So als sollten sie wie winzige
weibliche Feigenblätter die nackte Zurschaustellung maskuliner
Potenz schamhaft verbergen. Ich sandte wenigstens ein Smily herüber
meinen Schwestern. Am liebsten hätte ich laut gelacht, als
der Leiter die Tagesordnung für das Symposion vorstellte. Der
dritte Punkt lautete: „Die Rolle der Frau bei der Verwirklichung
des Weltfriedens„.
Als in einer kurzen Pause Tee gereicht wurde, fragte
mich einer der Turbanträger auf Englisch, warum ich mich über
das Thema amüsiert hätte.
Das ist doch wichtig, belehrte er mich.
Ja, gab ich ihm Recht, aber ohne Frauen?
Dies sei ein Treffen von Gelehrten.
Gibt es keine gelehrten Frauen?
Doch. Aber die Frauen können keine Fatwas verkünden.
Warum nicht?
Imam Khomeini sagt, weil die Frauen sich eher von
ihren Gefühlen leiten lassen.
Und die Männer!
Von ihrer Vernunft.
Er benutzte das englische Wort „reason„,
aber für mich hörte sich das Wort eher wie das französische
„raison„ an,und das heißt klardeutsch „Gehorsam„.
Die Zwölfermachos wollten nach den Gebeten und
den üblichen, von lautem Männerweinen begleiteten Klagegesängen
auf Husseins Martyrium mit der eigentlichen Arbeit beginnen, als
einer der hochrangigen Ehrengäste aus dem Vaterland der Ajatollahs
mit einiger Mühe versuchte, auf das Podium zu klettern. Keiner
half ihm, sein Auftritt war offensichtlich nicht im Programm vor-
gesehen. Er stürzte und blieb ohnmächtig auf den Stufen
liegen. Allen stockte der Atem, die hohen, höchsten und allerhöchsten
Herrschaften erhoben sich von ihren Plätzen und murmelten Gebete.
Doch keiner tat etwas. Anscheinend hofften alle auf ein Wunder.
Doch plötzlich kam Bewegung in den Saal. Aus
der hintersten Reihe stürmten die beiden Bibliothekarinnen
nach vorn. Sie schwenkte ihre Rotkreuzausweise und zeigten damit
der geballten Männermacht, dass sie ihren Erstehilfekurs absolviert
hatten. Sie zögerten keine Sekunde. Sie warfen ihre Kopftücher
beiseite und rissen dann dem alten Mann Stück um Stück
die Kleider vom Leib. Offensichtlich gingen die barmherzigen Schwestern
davon aus, dass der Gestürzte einen Herzinfarkt erlitten hatte,
und begannen sofort mit ihren lebensrettenden Maßnahmen. Eine
Helferin hockte sich über den am Boden liegenden Notfallpatienten
und fing an, seine nackte Brust zu massieren. Die andere beugte
sich über seinen Kopf und versuchte, ihn von Mund zu Mund zu
beatmen. Sprachlos verfolgten die geistlichen Autoritäten,
wie die beiden Frauen um das Leben ihres Lehrmeisters kämpften.
Ihr Einsatz war nicht vergebens. Ein Aufatmen ging
durch die Reihen der Gottesmänner. Der gestürzte Ajatollah
riss plötzlich beide Augen auf, und er begann, mit beiden Armen
wild um sich zu schlagen. Der Schock darüber, dass sich gleich
zwei Frauen auf einmal an seinem halb entblößtem Körper
zu schaffen machten, war ihm offenbar so in die erstarrten Glieder
gefahren, dass er vor Schreck - oder vor lauter Freude darüber,
dass er so plötzlich geraden Weges ohne Zwischenaufenthalt
im Grabe, im Fegefeuer oder in der Hölle mitten im Paradies
gelandet war - aus seiner Bewusstlosigkeit aufgesprungen ist. Er
wusste im ersten Moment seiner Wiederauferstehung nichts Besseres
zu tun, als nach seinem Turban zu greifen. Er richtete sich mühsam
wieder auf, gehalten von seinen Lebensretterinnen.Im selben Augenblick
drängten zwei Notärztinnen mit schweren Koffern in die
Moschee und nahmen sich des schwankenden Turbanträgers an.
In ihren weißen Kitteln fügten sie sich zumindest optisch
in die schwarz-weiße Front der Gelehrten ein. Ihnen folgten
rasch zwei ebenso hell gekleidete Sanitäterinnen. Sie hatten
eine Bahre mitgebracht, und mit den vereinten Kräften von zwölf
helfenden Frauenhänden gelang es rasch, den schwer atmenden
Patienten für den Transport aus der Moschee ins nächste
Krankenhaus vorzubereiten.
Das Symposion konnte endlich in die Tagesordnung einsteigen.
Zwei Stunden später kam eine Nachricht aus dem Universitätskrankenhaus,
dass der Infarktpatient außer Lebensgefahr sei.
Die Tagung wurde erneut unterbrochen, und unter den
Gelehrten begann ein heimliches Tuscheln darüber, was den greisen
Ajatollah bewogen haben könnte, außerfahrplanmäßig
zum Podium zu drängen. Der Gestürzte war, so ging das
Gerücht, ein enger Gefolgsmann von Imam Khomeini, und er habe
wissen wollen, warum die Gastgeber bei der Eröffnung des Symposions
von der Linie des Imams abgewichen seien und den Revolutionsführer
mit keinem Wort und keinem Gebet gewürdigt hätten.
Stimmt es, fragte ich den Turbanträger, der mich
zuvor in der Frauenfrage eines Besseren belehrt hatte, dass die
Linie des Imams nicht mehr gilt.
Sie ist, bekam ich zur Antwort, vielleicht nicht mehr
die einzige Richtschnur.
Und wer gibt stattdessen die Linie vor?
Vernunft und Weisheit, meinte er vielsagend.
Das gibt Hoffnung, lachte ich, die Vernunft ist meinetwegen
eher männlich, dafür ist die Weisheit mehr weiblich. Dann
ist es eines Tages doch mit der Alleinherrschaft der gelehrten Männer
vorbei.
Gott weiß! seufzte er.
Gott weiß es besser! Hab ich geantwortet.
Von all den Rosenwasser- und Männerangstschweißgerüchen
benebelt, habe ich die Gelehrten unter sich gelassen. Ich kann mir
nicht helfen, aber die Ausklammerung aller weiblichen Aspekte in
der Theologie führt zu einem einseitig männlich, machoman,
herrisch geprägtem Gottesbild, das mich kalt lässt. Ich
bin nach Hause geradelt in der leisen Hoffnung, dass es beim nächsten
Symposion mehr nach Jasmin, Safran und Lotosblumenöl riechen
möge, dezentere Düfte, wie sie kluge orientalische Frauen
bevorzugen. Und dass dann keine Bodyguards mir den freien Zutritt
zu meiner Gebetsstätte verwehren.
***
Testimonialliteratur – schon mal gelesen oder gehört?
Von Willi Volka
Das Wort setzt sich aus zwei Begriffen zusammen: „Testimonial„
– ein Begriff der aus der Werbung bekannt ist, aus dem Englischen
kommt und eben dem allgemeinen Begriff „Literatur„.
Das englische Wort steht für Zeugnis, Beurteilung oder Empfehlungsschreiben.
In der Werbebranche versteht man darunter Aussagen von „authentischen„
Personen zu Erfahrungen mit Produkten oder Dienstleistungen. Beide
Begriffe vereint, führen zu einer neuen Bedeutung.
In der Literaturwissenschaft wird unter Testimonialliteratur
ein zwischen Analyse und Synthese historischer Roman verstanden.
Seine Merkmal ist: ein Zeugenbericht aus erster oder zweiter Hand
zu sein, der Gräueltaten und Unterdrückung von Menschen
literarisch verarbeitet und in Lateinamerika unter dem Druck von
Militärdiktaturen in den 60-er Jahren erwachsen ist. Diese
Literaturgattung ist als ein Spiegelbild gesellschaftlicher Verhältnisse,
eine Gattung die globalen Charakter trägt und durch den Lebensbezug
ihre Bedeutung gewinnt..
Wir kannten oder kennen sie noch die SportlerInnen
in Fotos oder Werbespots, wie ein Fritz Schumacher, die Klitschkobrüder
oder Steffi Graf, die Gesichter von Fußballspielern. Jetzt
nach dem erfolgreichem Abschneiden bei der Fußballweltmeisterschaft,
werden sie für viele Produkte ihre Namen und Abbilder verkaufen.
Jogi Löw machte es ja bereits vor der Weltmeisterschaft als
„Nivea men„ vor, wie viele andere
Spätestens, als Ende Mai 2014 die Unfallmeldung
erschien, dass beim Werbedreh zur Zeit des Trainingslagers der deutschen
Fußballnationalmannschaft unbeteiligte Menschen verletzt wurden
und damit nicht nur Spielerverletzungen Schlagzeilen machten, wird
deutlich, wie stark die Werbebranche auf bekannte Gesichter zugeht,
im wechselnden Einverständnis, denn es geht um hohe Einnahmen
bei der Werbeagentur und von den „Testimonial-Personen„.
Die Fußballpromis wurden schon vorbereitet, vermarktet, bevor
sie die Toperwartungen erfüllt hatten, eine Art Lagerbegleitung,
wie hier eine PR-Aktion für Mercedes. Zwar wird Joachim Löw
kaum am Steuer eines Mercedes gesessen haben, denn ein Mann ohne
Führerschein ist kein passender Werbeträger für Automobile.
Aber im Gelingen WM-Meisterschaft erstrahlt der Mannschafts- und
Trainerruhm. „Testimonial-Promis„, die im Glanz von
Erfolg in die Kamera schauen, durch sie zu uns.
Aber nicht nur Sportler oder andere Promis, sind es,
die sich mit Produkten identifizieren und vorgeben, sie zu nutzen,
um damit dem Normalverbraucher ein Mitanteilgefühl zu vermitteln,
dieses, wenn du es dir leistest, steigst du in unsere Sphäre.
Wir sehen dabei manchmal auch Experten, die es wissen müssen,
die ein Produkt loben, oder Angehörige eines Unternehmens,
die preisen, was sie unter angepriesenen hervorgehobenen Bedingungen
produzieren oder auch die Nutzer selbst, die überzeugt von
einem Produkt sind und ihre positiven Erfahrungen bekennen. Offen
bleibt dabei inwieweit Überzeugung oder die Honorarverlockung
im Hintergrund steht. Alle treten sie als Produktvermittler vor
die Kamera und zeigen sich in Bildern der Gesellschaft.
Nicht anders tun es z.B. die südamerikanischen
„Testimonial-AutorInnen„ mit ihren Erlebnisberichten.
Es sind aber Menschen, die sich im Gegensatz zur Werbung nicht auf
der Erfolgsspur bewegen, doch bezeugend auftreten, aus Betroffenheit
Zeugnis ablegen von Unterdrück-, Geplagt- und Verfolgtsein.
Wenn sie Glück haben, werden sie durch das Werk prominent,
gewissermaßen auf dem Rücken der selbst erlittenen Geschichte
und werden wahr genommen. Das „Honorar„ kann, infolge
des Anprangerns bestimmter Gewaltverhältnisse, Verfolgung und
Todesdrohung nach sich ziehen.
Die Inhalte der Testimonialliteratur stammen aus persönlicher
Betroffenheit und tragen einen schicksalhaften Hintergrund mit dokumentarischem
Charakter. Die „Erzählungen„ sind voller kollektiver
Energie, verhelfen der Wahrheit ans Licht, erwecken oder stärken
die Kollektivität in der Gesellschaft und stützen eine
persönliche wie auch die kulturelle Identität, die aus
der Geschichte erwächst. Das Schicksal wird offenbart, durchbricht
die Klaviatur der Unterdrückung auch darin, wenn sich z.B.
unter dem Druck der Drogenmafia Geknechtete sich solidarisieren.
Die Qual und die Erniedrigung reizen zum Trotz, zur Opposition bis
hin zum Aufstand aus dem Untergrund.
Ihre Literatur ist authentisch – sie wirbt nicht
für ein fertiges Produkt, sondern rechnet mit missbrauchter
Macht ab, deckt die Methoden der Mächtigen auf, sensibilisiert,
zeigt Leiden und Stärken. Ihre Beglaubigungssituation ist nicht
eine Werbung für ein „Superprodukt„, sondern stellt
sich als ergreifender sozialer und psychischer Bericht dar, der
sich meist auf die unteren benachteiligten Gesellschaftsschichten
bezieht und sich gegen die Gräueltaten diktatorischer Regime
und gesellschaftliche Zustände richtet. Diese „testimoniale
Funktion„ lebt durch eine Beglaubigungsfunktion, indem sie
Einblicke in die „Produktionsebene„ gibt – in
diesem Fall von Gewalt und Machtmissbrauch – quälendes
und menschenrechtsverachtenden Gebaren bezeugt und anklagt. Hier
treten die „Kunden„, als wirklich „überzeugte„
hervor.
Diese „testimoniale Funktion„ ist von
einer allgemeinen erzählerischen Literatur (wie etwa „Vom
Winde verweht„) zu unterscheiden – sie sieht den Auftrag
besonders in der Aufklärung von geschehenem persönlichem
Unrecht. Ausgangspunkt sind die stark diktatorisch geprägten
Länder der 60er Jahre mit ihrem Höhepunkt in den 70ern.
Die Liste der Herkunftsländer ist lang: Chile, Guatemala, Honduras,
Kolumbien, Kuba, Nicaragua, Patagonien, auch das Land der Fußballweltmeisterschaft
2014 mit seiner „LIteratura Marginal„ u.a. und setzt
sich bis in die Gegenwart fort. Lateinamerika verdanken wir eine
Literaturgattung, die zur Entfaltung einer Erinnerungskultur beiträgt,
sich auf Wurzeln des Menschseins besinnt. Aber hat nur Ibero-Amerika
solche narrative „Erzählungen„? Wohl kaum. Diese
Art von Literatur existiert, leider muss man sagen, auch in anderen
Kulturräumen.
Auch die europäische Literatur ist der testmonialen
Literaturaspekt nicht unbekannt – man denke an den Holocaust,
an Die Tagebücher von Anne Frank bis hin zu erschütternde
Berichte von Überlebenden aus den Lagern. Diese Literatur zählt
zur Vergangenheitsbewältigung, d. h. Aufarbeitung der Verbrechen
der nationalsozialistischen Herrschaft, der Auseinandersetzung mit
den Diktaturen Südeuropas und der traumatischen Erfahrungen
mit Militärdiktaturen. Die Erinnerungsliteratur ist Teil einer
Zeugnis- bzw. Testimonialliteratur.
Diese Art von Literatur kann unter den Zwiespalt von
Fiktion und Zeitzeugenhaft geraten – eine Art Dokufiktion,
die im Extremall auch Zeugenschaft imitieren kann, indem sie hier
als „erdachte Erinnerung„ erscheint, die im Zeitgeist
und den bestehenden Umständen recht plausibel anknüpft.
Der Begriff sollte auch weit stärker in unserem
Bewusstsein verankert sein, weil solche Literatur als Grenzgänger
zwischen realem Geschehen und dem Aufarbeiten des Geschehens von
menschenverachtender Gewalt und Macht, ein weitverbreitetes Phänomen
ist, eine Art Offenbarung, die in die Gesellschaft hinein wirkt.
Dazu gehören auch Literaturwerke wie „Der Archipel Gulag„
von Alexander Solschenizyn, der die Straflagerpraxis in Russland
öffentlich machte, oder die Enthüllungsgeschichten von
Günter Wallraff „Ganz unten„, der sich eine begrenzte
Zeit als Underdog verdingt und sich einem System unterwirft und
zum Zeugen von Ausnutzung und Unterdrückung wurde. Manche Autoren
erhalten durch ihre Aufzeichnungen Ikonencharakter.
Man kann einen engeren oder weiteren Rahmen fassen,
der Kern ist und bleibt der gequälte Mensch, der in seinem
literarischen Bericht gewissermaßen einen Schrei ausstößt,
wie Eduard Munch es in seinem beängstigten Bild darstellt.
Es ist Aufschreibliteratur, die aus der Seele und dem zugefügten
Leid erwächst, uns zu Mitwissern macht, bewegen kann. Diese
gibt nicht nur vor authentisch zu sein, sondern ist es und vermittelt
unterdrücktes Leben anderen gegenüber. Wissen von extremen
Lebensbedingungen in Worte zu fassen, die uns nach Gründen
fragen lässt. Testimonialliteratur ist Botschaft, für
verfolgte menschliche Kreaturen, die uns berühren sollte, zum
Bewusstsein bringen, dass auch uns derlei einmal passieren könnte.
Nicht nur das geschriebene Wort zählt, sondern
auch Bilder, versteckt gedrehte Videos oder Fotoarbeiten von ReporterInnen.
So zeigte z.B. das 4. LumixFestival im Juli 2014 in Hannover eine
Fotostrecke von Daniela Volpe über den „Guatemala Genocide„,
der unter andrem an den Maya Ixil-Ureinwohnern begangen wurde und
durch Exhumierungen offenbar wird. Dieser Bürgerkrieg in Guatemala
forderte etwa 200 000 Tote. Familien suchen bis heute Angehörige,
die auf der Flucht vor der Armee starben oder im Dschungel verhungerten.
Leider müssen wir auf die Krisenherde und Kriegskonflikte
unserer Tage schauen: Israel und Palästina, Ukraine, Syrien,
Irak und viele andere. Die Grausamkeiten dieser Ereignisse werden
einen Schub der Testimonialliteratur nach sich ziehen und traurige
Denkmäler an die Verbrechen dieser Tage aufzeigen und festhalten.
Manches geschundene Ich wird sein Leiden fest halten, das Recht
auf Autorisierung beanspruchen, diesen selbst gegebenen Auftrag
ausführen.
Es wird als eine Art Aufbäumen sein, Widerstand
gegen das Unrecht, das empfunden, durchlitten wurde, das den Taten
Ausdruck und Stimme leiht. Der Motor ist das erlittene Leid, das
über die Menschen kam. Verantwortung vor sich selbst zu suchen,
den Widerspruch zum Sosein zum Aufstand nutzen, Menschenwürde,
Gewissen, Rest von Gerechtigkeit, Widerstand durch Worte, ein sich
einmischen. Passivität wird zugleich zur Kollaboration mit
dem Bösen. Durch Worte Identität wieder finden. Warten
wir es ab, die Gräueltaten werden ihre Ankläger finden.
Weder bin ich ein Literaturwissenschaftler noch ein
Experte der Unterdrückungsgeschichte – aber staune im
Nachhinein, wenn man sich auf einen Begriff einlässt, was sich
dabei herausschält, wenn man sich auf die Fährte eines
Begriffes setzt und auf diese Weise sich einen Begriffsnagel in
die Geschichtswand schlägt. Über Wissen und Erkenntnis
kann Handeln gewonnen werden, Freiheit wachsen …
***
Les fleurs du charme
Von Ulrich Bergmann
Nach vielen Jahren traf ich eine alte Freundin auf dem Blumenmarkt
in der Stadt meiner Jugend. Wir standen neben den Vasen mit den
Margeriten. Ich war neugierig zu hören, was sie in ihrem Leben
erfahren hatte, wie es ihr geht, aber ihr lief das Herz im Mund
über: „Stell dir vor, eben wurde ich auf meine alten
Tage von einem Mann angesprochen. Das ist mir lange nicht mehr passiert.
Als ich eine junge Frau war, vielleicht gerade noch ein Mädchen,
lief mir ein Bildhauer mitten in der Stadt in den Weg, sah mich
an und sagte: Ich male Sie und schlage Sie in Stein! Ich war perplex,
er fasste mich an der Hand und zog mich in sein Atelier, nicht weit
von der Stelle, wo mich eben der Mann ansprach, ein seriöser
Herr ungefähr in meinem Alter, sehr gut aussehend. Er starrte
mich schon von weitem an, und als ich unter die Arkaden der Kaufhalle
abbog, folgte er mir und holte mich bald ein: Sie haben eine Ausstrahlung!,
sagte er, Sie besitzen ein umwerfendes - Appeal! Der Bildhauer sagte:
Sie sind nicht nur schön, sondern es geht weit darüber
hinaus, Sie haben einen nie dagewesenen Kopf. Den wolle er unbedingt
haben, sagte er noch. Der Mann, den ich so sehr verzaubert hatte,
fragte mich, ob ich mir meines Charismas überhaupt bewusst
sei? Er ergriff meine Hand und schlug vor, mit ihm einen Kaffee
trinken zu gehen. Ich fühlte mich überrollt. Ich wand
mich aus der Hand und sagte: Nein. Ich weiß nicht, warum ich
wieder an den Bildhauer denken musste, der meinen Kopf in wenigen
Minuten mehrmals zeichnete und mir eine der Skizzen schenkte, als
wir uns verabschiedeten. Der Mann, den ich heute so verhexte, stellte
sich mir als Kunsthistoriker vor. Nicht schlecht, dachte ich, aber
als er dann vermutete, ich sei gewiss eine Künstlerin, fröstelte
mich diese Suche nach Übereinstimmung, oder war es Angst, ich
weiß es nicht, eigentlich freute ich mich über die Avancen
des Kavaliers, zumal mein Mann immer wieder betont, wie alt wir
doch schon seien, sozusagen grabfertig. Vielleicht verstärkten
diese Gedanken, die mir durch den Kopf schossen, die Intensität
meiner Ausstrahlung, meinem Kavalier stand die Sehnsucht ins Gesicht
geschrieben ... Wie dem auch sei, ich gab ihm den Laufpass. Mich
erinnert diese Begegnung an ein Gedicht von Baudelaire ...“
Meine Freundin erzählte das alles so, als hätten
wir uns gestern noch gesehen und über alle Dinge des Alltags
gesprochen, und mir ging es genauso. „Vor wenigen Jahren“,
konterte ich, „hat mich nach einem Vortrag, den ich in Ludwigsburg
hielt, eine Frau, ungefähr in der Mitte ihres Lebens, angesprochen,
im Beisein anderer Gäste: Ihre Worte haben mich ergriffen,
sie schmeicheln meinem Verstand, Sie sind ein Mann des Geistes,
der den Körper kennt und die Gesetze der Natur!, und gab mir
ihre Visitenkarte. Besuchen Sie mich, wann Sie wollen!, und fügte
hinzu, es sei ihr heute Abend keinesfalls zu spät. Was tun?
Sie rühmt meinen Geist, dachte ich, und meint noch andere Kräfte
... Ich sah verzückt in ihren Augen die Süße, die
verlockt, die Lust die mich zersetzen sollte...“ Die letzten
Worte sagte ich mit einem geheimnisvoll verschwörerischen Lächeln
zur Freundin, der ich so intensiv wiederbegegnet war. „Ich
steckte ihre Visitenkarte ein und sagte mit einem abfedernden Lächeln:
Ich fühle mich sehr geehrt von Ihren Worten, Madame. Ich ließ
offen, was nun geschah.“ - „Deine charmante Bittstellerin
muss gedacht haben: Ein Blitz - nun geht er in das Dunkel hin...“,
sagte meine wiedergefundene Freundin. - „Ja“, sagte
ich, „wir wissen voneinander nicht, wohin wir gehen.“
- „Du hättest die Gelegenheit beim Schopfe packen sollen“,
sagte sie. - „Vorbei“, sagte ich, „vorbei. Komm,
gehen wir Kaffee trinken ...“
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